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Die beiden Dianen

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X.
Gefährliches Tournier

Beim Anblick des düsteren, feierlichen Gesichtes des jungen Grafen von Montgommery fühlte der König einen Schauer des Erstaunens und vielleicht des Schreckens alle seine Adern durchlaufen.

Doch er wollte es sich nicht selbst gestehen, und noch weniger die Anderen diese erste Bewegung, die er rasch Bewältigte, sehen lassen. Seine Seele sträubte sich gegen seinen Instinct, und gerade weil er eine Secunde bange gehabt hatte, zeigte er sich muthig und sogar verwegen.

Gabriel sprach zum zweiten Male mit langsamem ernstem Tone:

»Ich bitte Eure Majestät inständig, nicht auf ihrem Willen zu beharren!«

»Ich beharre dennoch darauf, Herr von Montgommery,« antwortete der König.

Das Gesicht geblendet durch so viele entgegengesetzte Gemüthsbewegungen, glaubte Heinrich eine Art von Herausforderung in den Worten und in dem Ton von Gabriel wahrzunehmen. Erschrocken über die Rückkehr der seltsamen Unruhe, welche Diana von Castro einen Augenblick zerstreut hatte, stemmte er sich energisch gegen seine Schwäche an und wollte der feigen Erschütterung, die er seiner, Heinrichs II., eines Sohnes von Frankreich, eines Königs unwürdig hielt, ein Ende machen.

Er sagte daher zu Gabriel mit einer beinahe übertriebenen Festigkeit:

»Schickt Euch an, mein Herr, die Lanze gegen mich einzulegen.«

Das Gemüth nicht minder in Aufruhr als das des Königs, verbeugte sich Gabriel, ohne zu antworten.

In diesem Augenblick näherte sich Herr von Boisy, der Oberstallmeister, dem König und sagte, die Königin beschwöre Seine Majestät, aus Liebe für sie das Kampfspiel nicht fortzusetzen.

»Antwortet der Königin,« erwiderte Heinrich, »gerade ihr zu Liebe wolle ich noch diese Lanze brechen.«

Und sich gegen Herrn von Vieilleville umwendend:

»Auf, Herr von Vieilleville, waffnet mich sogleich.«

In seiner Unruhe verlangte er von Herrn von Vieilleville einen Dienst, der zu den Attributen der Stelle des Oberstallmeisters, Herrn von Boisy, gehörte. Sehr erstaunt, bemerkte ihm dies Herr von Vieilleville ehrfurchtsvoll.«

»Das ist richtig!« sagte der König sich vor die Stirne schlagend. »Wo habe ich denn meinen Kopf!«

Er begegnete dem kalten, unbeweglichen Blick von Gabriel und fügte ungeduldig bei:

»Doch, doch, ich habe Recht! muß nicht Herr von Boisy den Auftrag der Königin vollziehen und ihr meine Antwort überbringen? Ich wußte wohl, was ich that und was ich sagte! Waffnet mich, Herr von Vieilleville.«

»Wenn dem so ist, Sire,« sprach Herr von Vieilleville, »und da Eure Majestät durchaus noch diese letzte Lanze brechen will, so bemerke ich, daß es mir gebührt, gegen sie zu kämpfen, und ich nehme mein Recht in Anspruch. Herr von Montgommery hat sich in der That am Anfang des Kampfspiels nicht gezeigt und ist erst erschienen, als er es schon geschlossen glaubte.«

»Ihr habt Recht, mein Herr,« erwiderte Gabriel rasch, »und ich ziehe mich zurück, um Euch meinen Platz abzutreten.«

Doch in dem Eifer, mit dem der Graf von Montgommery jeden Kampf mit ihm vermied, sah der König hartnäckig die beleidigende Schonung eines Feindes, der sich einbildete, er mache ihm bange.

»Nein! nein!« erwiderte er Herrn von Vieilleville mit dem Fuß auf den Boden stampfend. »Gegen Herrn von Montgommery und nicht einen Andern will ich diesmal kämpfen, und es ist nun genug des Verzugs! Waffnet mich.«

Er tauschte einen stolzen, hochmüthigen Blick gegen den starren, ernsten Blick des Grafen und bot, ohne etwas beizufügen, seine Stirne dar, um von Vieilleville den Helm aufsetzen zu lassen.

Sein Verhängniß verblendete ihn offenbar!

Es kam auch Herr von Savoie, um ihn im Namen von Catharina von Medicis zu bitten, die Bahn zu verlassen.

Und als der König nicht einmal auf sein dringliches Flehen antwortete, fügte er leise bei:

»Auch Frau Diana von Poitiers, Sire, hat mich beauftragt, Euch insgeheim zu sagen, Ihr möget auf Eurer Hut sein und wohl Obacht geben, wem Ihr diesmal den Sieg streitig machen wollt.«

Bei dem Namen von Diana bebte Heinrich unwillkührlich, doch er überwand auch dieses Beben.

»Soll ich vor meiner Dame die Miene haben, als fürchte ich mich?« sagte er zu sich selbst.

Und er beobachtete fortwährend das hochmüthige Schweigen eines belästigten und entschlossenen Mannes.

Indessen sagte auch Herr von Vieilleville, während er ihn waffnete, mit leiser Stimme zum König:

»Sire, ich schwöre Euch beim lebendigen Gott, daß ich seit mehr als drei Nächten beständig träume, es werde Euch heute ein Unglück widerfahren, und dieser letzte Juni sei ein unseliger Tag für Euch.«

Doch der König schien ihn nicht einmal zu hören: er war schon gewaffnet und ergriff seine Lanze.

Gabriel hielt die seinige in der Hand und erschien auch auf der Bahn.

Die zwei Streiter stiegen zu Pferde und stellten sich einander gegenüber auf.

Es trat nun ein seltsames, tiefes Schweigen in der Menge ein. Aller Augen waren aufmerksam, jeder Athem stockte.

Der Connétable und Diana von Castro waren indessen abwesend, und Niemand, mit Ausnahme von Frau von Poitiers, wußte, daß zwischen dem König und dem Grafen von Montgommery Gründe des Hasses und Anlässe zur Rache obwalteten. Niemand sah klar bei einem Scheinkampf einen blutigen Ausgang vorher. An dergleichen gefahrlose Spiele gewöhnt, hatte sich der König seit drei Tagen hundertmal aus der Arena unter Bedingungen gezeigt, die denen ungefähr ähnlich waren, welche sich abermals boten.

Und dennoch fühlte man bei diesem bis zum Ende geheimnißvoll gebliebenen Gegner, bei seinen bezeichnenden Weigerungen, zu kämpfen, bei der blinden Beharrlichkeit des Königs etwas Ungewöhnliches und Furchtbares, und vor dieser unbekannten Gefahr schwieg und wartete man. Warum? das hätte Niemand sagen können! Doch ein Fremder, der in diesem Augenblick gekommen wäre und das Aussehen aller dieser Gesichter wahrgenommen hätte, würde sich gesagt haben:

»Es wird gewiß ein außerordentliches Ereigniß stattfinden.«

Die Luft war gleichsam mit Angst erfüllt.

Ein bemerkenswerther Umstand gab ein fühlbares Zeichen von der düsteren Beschaffenheit der Gedanken der Menge:

Bei den gewöhnlichen Kampfspielen und so lange diese dauerten, ließen die Clarine und Trompeten fortwährend betäubende Fanfaren ertönen. Es war dies gleichsam die schallende, freudige Stimme des Turniers.

Als aber der König und Gabriel in die Schranken traten, schwiegen die Trompeten plötzlich und alle gleichzeitig; nicht eine einzige ertönte mehr, und ohne daß man sich davon Rechenschaft gab, verdoppelten sich bei diesem ungewöhnten Stillschweigen die allgemeine Erwartung, die Angst aller Zuschauer.

Noch viel mehr als die Anwesenden, fühlten die zwei Streiter die außerordentlichen Eindrücke der Bangigkeit, welche so zu sagen die Atmosphäre erfüllten.

Gabriel dachte nicht mehr, sah nicht mehr, lebte beinahe nicht mehr. Er bewegte sich maschinenmäßig und wie in einem Traum, that aus Instinct, was er schon unter ähnlichen Umständen gethan hatte, aber gewissermaßen geleitet durch einen geheimem mächtigen Willen, der sicherlich nicht der seinige war.

Der König war noch leidender, noch verwirrter. Er hatte auch vor seinen Augen eine Art von Wolke, und es schien, als handelte und bewegte er sich ebenfalls in einer unerhörten Phantasmagorie, welche weder die Wirklichkeit noch der Traum war.

Es trat jedoch ein Blitz seines Geistes ein, wo er klar die Wahrsagungen wiedersah, die ihm zwei Tage vorher am Morgen die Königin überbracht hatte, die seiner Nativität und die von Forcatel. Plötzlich, durch irgend einen furchtbaren Schimmer erleuchtet, begriff er den Sinn und die wechselseitigen Beziehungen dieser finsteren Weissagungen. Ein kalter Schweiß überströmte ihn vom Kopf bis auf die Füße. Er hatte einen Augenblick Lust, die Bahn zu verlassen und auf diesen Kampf zu verzichten. Aber die Tausende von aufmerksamen Augen lasteten auf ihm und fesselten ihn an seinen Platz!

Ueberdies gab Herr von Vieilleville das Zeichen zum Anfang.

Der Würfel ist geworfen. Vorwärts! und Gott thue, was ihm gefällt!

Die zwei Pferde sprengten zu gleicher Zeit im Galopp vor; sie waren in diesem Augenblick vielleicht verständiger und minder blind, als ihre schweren, geharnischten Reiter.

Gabriel und der König begegneten sich mitten in der Arena. Beider Lanzen stießen an einander, zerbrachen auf ihren Panzern, und sie ritten ohne einen Unfall an einander vorbei.

Die angstvollen Ahnungen hatten also Unrecht gehabt! Ein freudiges Gemurmel entströmte gleichzeitig der erleichterten Brust aller Anwesenden. Die Königin hob ihren Blick dankbar zu Gott empor.

Doch man freute sich zu früh!

Die Reiter waren in der That noch auf dem Kampfplatz. Nachdem Jeder das Ende, dem entgegengesetzt, durch welch sie eingeritten waren, erreicht hatte, mußten sie im Galopp zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren und sich folglich zum zweiten Male begegnen.

Welche Gefahr war jedoch noch zu befürchten? sie kreuzten sich, ohne sich zu berühren.

Aber geschah es in seiner Unruhe, geschah es absichtlich, geschah es aus Unglück, wer wußte je die Ursache außer Gott? Gabriel warf, als er zurückkehrte, nicht, dem Gebrauche gemäß, den Stumpf der zerbrochenen Lanze, der ihm in der Hand geblieben war, auf die Erde. Er hielt ihn vor sich gesenkt.

Und von seinem Pferde im Galopp fortgetragen. traf er mit diesem Stumpfe bei der Rückkehr Heinrich II. an den Kopf!

Das Helmvisir wurde durch die Heftigkeit des Stoßes aufgeschlagen und der Lanzensplitter drang tief in das Auge des Königs und kam durch das Ohr heraus.

Die Zuschauer, die sich schon zum Aufbruch erhoben und zerstreut hatten, sahen nur zur Hälfte diesen furchtbaren Schlag. Doch die es sahen, stießen einen gewaltigen Schrei aus, der die Anderen aufmerksam machte.

 

Heinrich ließ indessen den Zügel fahren, hing sich an den Hals seines Pferdes und vollendete so die Laufbahn, an deren Ende ihn die Herren von Vieilleville und Boisy empfingen.

»Ah! ich bin todt!« dies war das erste Wort des Königs. Er murmelte noch:

»Man beunruhige Herrn von Montgommery nicht! . . .es war gerecht . . . ich verzeihe ihm.«

Und er sank in Ohnmacht.

Wir wollen es nicht versuchen, die Verwirrung, welche hierauf folgte, zu schildern. Man schleppte Catharina von Medicis halb todt fort. Der König wurde auf der Stelle in sein Zimmer in den Tournelles gebracht, ohne daß er nur einen Augenblick zum Bewußtsein kam.

Gabriel war vom Pferd gestiegen, er blieb unbeweglich, versteinert, und als hätte ihn selbst der Schlag getroffen, den er gethan, bei der Schranke stehen.

Die letzten Worte des Königs waren gehört und wiederholt worden. Niemand wagte es also, ihn zu beunruhigen. Doch man flüsterte um ihn her und schaute ihn mit einer Art von Schrecken von der Seite an.

Der Admiral von Coligny, der dem Turnier beigewohnt hatte, besaß allein den Muth, sich dem jungen Mann zu nähern, und er sagte, indem er an seiner linken Seite vorüberging, mit leiser Stimme:

»Das ist ein furchtbares Ereigniß, Freund! Ich weiß wohl, daß der Zufall Alles gethan hat; unsere Ideen und die Reden, die Ihr, wie mir la Renaudie sagt, in der Versammlung der Place Maubert hörtet, haben sicherlich keinen Antheil an diesem Unglück! Gleichviel und obschon man Euch wegen eines Unfalls nicht anklagen kann, seid auf Eurer Hut. Ich gebe Euch den Rath, auf einige Zeit zu verschwinden und Paris und sogar Frankreich zu verlassen. Rechnet stets auf mich. Auf Wiedersehen.«

»Ich danke,« antwortete Gabriel, ohne seine Stellung zu verändern.

Ein trauriges, beinahe unmerkliches Lächeln war über seine bleichen Lippen hingeschwebt, während der Anführer der Protestanten mit ihm sprach.

Coligny machte ein Zeichen mit dem Kopf und entfernte sich.

Einen Augenblick nachher schritt der Herzog von Guise, der den König hatte wegtragen sehen, einige Befehle ertheilend, nach der Stelle zu, wo Gabriel war.

Er ging auf der rechten Seite an dem jungen Grafen vorüber und sagte ihm, während er vorüberging, in’s Ohr:

»Ein sehr unglücklicher Schlag, Gabriel! Doch, man kann Euch deshalb nicht grollen: man muß Euch nur beklagen. Bedenkt aber dennoch, wenn Jemand unser Gespräch in den Tournelles gehört hätte, welche abscheuliche Muthmaßungen würden die Boshaften aus diesem einfachen, aber traurigen Zufall ziehen! Gleichviel, ich bin nun mächtig, und ich bin Euch ganz ergeben, wie ihr wißt. Zeigt Euch einige Tage nicht, verlaßt aber Paris nicht, das ist unnöthig. Sollte es Jemand wagen, als Ankläger gegen Euch aufzutreten, so erinnert Euch dessen, was ich Euch gesagt habe: zählt überall, immer, und wofür es auch sein mag, auf mich.«

»Ich danke, Monseigneur,« sprach Gabriel abermals mit demselben Ton und mit demselben schwermüthigen Lächeln.

Der Herzog von Guise und Coligny hatten offenbar, wenn nicht eine gewisse Ueberzeugung, doch einen unbestimmten Verdacht, der mißliche Zufall, den sie scheinbar beklagten, sei nicht ganz ein Zufall. Ohne es sich ihrem Gewissen gegenüber zugestehen zu wollen, vermutheten der Protestant und der Ehrgeizige, dieser, Gabriel habe auf’s Gerathewohl die Gelegenheit ergriffen, das Glück eines bewunderten Beschützers zu unterstützen, jener, der Fanatismus habe den jungen Hugenotten antreiben können, seine unterdrückten Brüder von ihrem Verfolger zu befreien.

Beide hatten sich daher verpflichtet geglaubt, einem verschwiegenen und ergebenen Helfer einige gute Worte zu sagen; und deshalb hatten sie sich hinter einander dem jungen Mann genähert, und deshalb hatte Gabriel ihren doppelten Irrthum mit diesem traurigen Lächeln aufgenommen.

Der Herzog von Guise kehrte indessen unter die unruhigen Gruppen zurück, die ihn umgaben. Gabriel blickte endlich umher, sah, wie man ihn von allen Seiten erschrocken anschaute, seufzte und entschloß sich, den unseligen Ort zu verlassen.

Er kam in sein Haus in der Rue des Jardins-Saint-Paul zurück, ohne daß ihn irgend Jemand aufhielt oder nur anrief.

* * *

In den Tournelles war das Zimmer des Königs für Jedermann, mit Ausnahme der Königin, ihrer Kinder und der Aerzte, welche herbeieilten, um dem königlichen Verwundeten, beizustehen, geschlossen.

Aber Fernel und alle andere Aerzte erkannten sehr bald, daß keine Hoffnung vorhanden war, und daß sie Heinrich II. nicht retten konnten.

Ambroise Paré befand sich in Peronne. Der Herzog von Guise dachte nicht daran, ihn holen zu lassen.

Der König blieb vier Tage ohne Bewußtsein; am fünften kam er nur ein wenig zu sich, um einige Befehle zu geben, namentlich den, auf der Stelle die Hochzeit seiner Schwester zu feiern.

Er sah auch die Königin und gab ihr seine Aufträge und Empfehlungen in Betreff seiner Kinder und der Angelegenheiten des Reiches.

Dann faßten ihn wieder das Fieber und das Delirium und die völlige Abspannung.

Am 10. Juli 1559, einen Tag, nachdem gemäß seinem letzten Willen seine Schwester Margarethe in Thränen den Herzog von Savoyen geheirathet hatte, verschied Heinrich II. nach eilf langen Tagen des Todeskampfes.

* * *

An demselben Tag reiste oder floh vielmehr Frau Diana von Castro nach ihrem alten Kloster der Benedictinerinnen von Saint-Quentin, das seit dem Frieden von Cateau-Cambrésis wieder geöffnet war.

Die Regierung von Franz II.
XI.
Neuer Zustand der Dinge

Für die Favoritin wie für den Günstling eines Königs ist der wahre Tod nicht der Tod, sondern die Ungnade.

Der Sohn des Grafen von Montgommery mußte also hinreichend am Connétable und an Diana von Poitiers den gräßlichen Tod seines Vaters gerächt haben, wenn durch ihn die zwei Schuldigen von der Macht zur Verbannung, vom Glanze in die Vergessenheit herabsanken.

Dies war das Resultat, das Gabriel noch in der düsteren, träumerischen Einsamkeit seines Hauses erwartete, wo er sich nach dem unseligen Schlag vom 30. Juni begraben hatte. Es war nicht seine eigene Bestrafung, was er, wenn Montmorency und seine Genossin die Gewalt behielten, fürchtete, es war ihre Freisprechung. Und er wartete.

Während der eilf Tage, die Heinrich II. mit dem Tode rang, bot Montmorency Alles auf, um seinen Antheil am Einfluß bei der Regierung zu behalten. Er schrieb an die Prinzen von Geblüt und forderte sie auf, ihren Platz im Rathe des jungen Königs einzunehmen. Seine dringlichen Bitten waren hauptsächlich an Anton von Bourbon, König von Navarra, des nächsten Erben des Thrones, nach den Brüdern den Königs, gerichtet. Er ermahnte ihn, schleunigst zu kommen, und bemerkte ihm, der geringste Verzug dürfte Fremden eine Ueberlegenheit geben, die er ihnen nicht mehr zu entreißen vermöchte. Er sandte endlich Courier auf Courier ab, forderte die Einen auf, flehte die Anderen an und versäumte nichts, um eine Partei zu bilden, welche im Stande wäre, der von Guise entschieden entgegenzutreten.

Diana von Poitiers unterstützte ihn, trotz ihres Schmerzes, mit ihren besten Kräften in seinen Anstrengungen; denn ihr Glück war nun auch auf das Engste mit dem ihres alten Liebhabers verknüpft und von diesem gleichsam abhängig.

Mit ihm konnte sie noch regieren, wenn nicht unmittelbar, doch wenigstens wirksam.

Als am 10. Juli 1559 der älteste von den Söhnen von Heinrich II. unter dem Namen Franz II. durch den Wappenherold zum König ausgerufen wurde, zählte der junge Prinz erst sechszehn Jahre, und obgleich ihn das Gesetz für volljährig erklärte, zwangen ihn doch sein Alter, seine Unerfahrenheit und seine schwache Gesundheit auf mehrere Jahre die Leitung der Staatsangelegenheiten einem Minister zu überlassen, der unter seinem Namen mächtiger war, als er selbst.

Wer sollte nun dieser Minister, oder vielmehr dieser Vormund sein? Der Herzog von Guise oder der Connétable? Catharina von Medicis oder Anton von Bourbon?

Dies war die Frage am folgenden Tag nach dem Tod von Heinrich II.

An diesem Tag sollte Franz II. um drei Uhr die Abgeordneten des Parlaments empfangen. Derjenige, den er Ihnen als ihren Minister vorstellen würde, konnte von ihnen, streng genommen, als ihr wahrer König begrüßt werden.

Es handelte sich also darum, bei diesem Kampf der Parteien den Sieg davon zu tragen, und am Morgen des 12. Juli begaben sich Catharina von Medicis und Franz von Lothringen, jedes seinerseits, zu dem jungen König unter dem Vorwand, ihm ihre Beileidsbezeigungen zu überbringen, in Wirklichkeit aber, um ihm ihre Rathschläge einzuflüstern.

Die Witwe von Heinrich II. übertrat sogar zu diesem Behufe die Gesetze der Etiquette, die ihr, sich vierzig Tage lang nicht zu zeigen, vorschrieben.

Von ihrem Gemahl bedrückt und vernachlässigt, fühlte Catharina von Medicis seit zwölf Tagen in ihrem Innern jene weitumfassende, tiefe Herrschsucht erwachen, die den Rest ihres Lebens ausfüllte.

Doch da sie nicht die Regentin eines volljährigen Königs sein konnte, so war ihre einzige Chance, durch einen ihren Interessen ergebenen Minister zu regieren.

Der Connétable von Montmorency sollte nicht dieser Minister sein. Er hatte unter der vorhergehenden Regierung nicht wenig dazu beigetragen, den rechtmäßigen Einfluß von Catharina auf die Seite zu schieben, um an dessen Stelle den von Diana von Pottiers zu setzen. Die Königin Mutter verzieh ihm seine Intriguen nicht und dachte nur daran, ihn für sein stets hartes und oft barbarisches Benehmen gegen sie zu bestrafen.

Anton von Bourbon wäre ein gelehrigeres Werkzeug in ihrer Hand gewesen, doch er gehörte der Reformierten Religion an; Johanna d’Albret, seine Frau, war auch herrschsüchtig, und sein Titel als Prinz von Geblüt konnte ihm, in Verbindung mit dieser wirklichen Gewalt, gefährliche Velleitäten eingehen.

Es blieb der Herzog von Guise. Würde aber Franz von Lothringen gutwillig das moralische Ansehen der Königin Mutter anerkennen, oder würde er sich gegen jede Theilung der Macht sträuben?

Dies war es, worüber sich Catharina von Medicis gern Sicherheit verschafft hätte: sie nahm auch mit Freuden die Zusammenkunft an, welche am Morgen dieses entscheidenden Tages der Zufall in Gegenwart des Königs zwischen ihr und Franz von Lothringen herbeiführte.

Sie wollte Gelegenheit suchen oder schaffen, um den Balafré auf die Probe zu stellen und seine Gesinnung in Beziehung auf sie zu sondieren.

Doch der Herzog war nicht minder gewandt in der Politik als im Krieg, und er blieb sorgfältig auf seiner Hut.

Dieser Prolog des Stückes fand im königlichen Zimmer im Louvre statt, wo Franz II. am Tage vorher eingesetzt worden war, und hatte als Schauspieler nur die Königin Mutter, den Balafré, den jungen König und Maria Stuart.

Franz und seine junge Königin waren neben diesen kalten, egoistischen, herrschsüchtigen Charakteren nur reizende, naive, verliebte Kinder, deren Vertrauen dem Ersten, dem Besten gehören sollte, der sich auf eine geschickte Weise ihrer Gemüther zu bemächtigen wüßte.

Sie beweinten aufrichtig den Tod des Königs, ihres Vaters, und Catharina fand sie ganz traurig und trostlos.

»Mein Sohn,« sagte sie zu Franz, »es ist gut von Euch, daß Ihr diese Thränen dem Andenken desjenigen schenkt, den Ihr zuerst unter Allen beklagen müßt. Ihr wißt, ob ich diesen bitteren Schmerz theile! Bedenkt aber auch, daß Ihr nicht allein Sohnespflichten zu erfüllen habt. Ihr seid auch Vater, Vater Eures Volkes! Nachdem Ihr der Vergangenheit diesen gerechten Tribut des Bedauerns entrichtet habt, wendet Euch der Zukunft zu. Erinnert Euch, daß Ihr König seid, mein Sohn, oder vielmehr Eure Majestät, damit ich mich mit einer Sprache in Einklang sehe, die Euch zugleich an Eure Obliegenheiten und an Eure Rechte mahnen muß.«

»Ach!« sprach Franz II., den Kopf schüttelnd, »ach! Madame, der Scepter von Frankreich ist eine schwere Bürde für sechzehnjährige Hände, und nichts hatte mich auf den Gedanken vorbereitet, eine solche Last dürfte so bald meine, der Erfahrung und des Ernstes entbehrende, Jugend bedrücken.«

»Sire,« erwiderte Catharina, »nehmt zugleich mit Ergebenheit und Dank die Last an, die Euch Gott auferlegt; es wird die Sache derjenigen sein, welche Euch umgeben und Euch lieben, sie mit allen ihren Kräften zu erleichtern und ihre Anstrengungen mit den Eurigen zu verbinden, um sie Euch würdig tragen zu helfen.«

»Madame . . . ich danke Euch,« murmelte der junge König, der in Verlegenheit war, welche Antwort er auf dieses Entgegenkommen geben sollte.

Und maschinenmäßig richtete er seine Blicke auf den Herzog von Guise, als wollte er von dem Oheim seiner Frau Rath verlangen.

 

Bei seinem ersten Schritte im Königthum, und sogar seiner Mutter gegenüber, fühlte schon der arme gekrönte Jüngling Schlingen und Fallen auf seinem Wege.

Der Herzog von Guise sprach aber, ohne zu zögern:

»Ja, Sire, Eure Majestät hat Recht; dankt, dankt auf das Innigste der Königin für ihre guten und ermuthigenden Worte. Doch, beschränkt Euch nicht darauf, daß Ihr dankt. Sagt auch unverhohlen, daß unter denjenigen, die Euch lieben und die Ihr liebt, sie den ersten Rang einnimmt, und daß Ihr folglich, auf ihre wirksame mütterliche Beihilfe bei der schwierigen Aufgabe, die Ihr so jung zu erfüllen berufen seid, rechnen müßt und rechnet.«

»Mein Oheim von Guise ist der getreue Dolmetscher meiner Gedanken, Madame,« sprach nun ganz entzückt der junge König zu seiner Mutter, »und wenn ich Euch aus Furcht, sie zu schwächen, seine Ausdrücke nicht wiederhole, so nehmt sie dennoch als von mir gesagt an, Madame und vielgeliebte Mutter, und versprecht meiner Schwäche Euren kostbaren Beistand.«

Die Königin Mutter hatte schon dem Herzog von Guise einen Blick des Wohlwollens und der Beistimmung zugeworfen.

»Sire,« erwiderte sie ihrem Sohn, »das Wenige, was ich an Erleuchtung besitze, gehört Euch, und ich werde glücklich und stolz sein, so oft Ihr mich um Rath fragen wollt. Doch ich bin nur eine Frau, und Ihr braucht an der Seite Eures Thrones einen Vertheidiger, der ein Schwert zu führen vermag. Diesen starken Arm, diese männliche Energie wird Eure Majestät unter denjenigen zu finden wissen, welche die Bande der Verwandtschaft zu ihren natürlichen Stützen machen.«

Catharina von Medicis bezahlte dem Herzog von Guise sogleich ihre Schuld für sein gutes Benehmen ab.

Es bestand zwischen ihnen gleichsam ein, durch einen einzigen Blick geschlossener, stummer Vertrag, der jedoch wir müssen es gestehen, weder von der einen, noch von der andern Seite aufrichtig war und, wie man sehen wird, nicht lange dauern sollte.

Der junge König verstand seine Mutter und reichte, ermuthigt durch einen Blick von Maria, dem Balafré seine schüchterne Hand.

Mit diesem Händedruck übergab er ihm die Regierung von Frankreich.

Doch nach dem Willen von Catharina von Medicis sollte sich ihr Sohn nicht zu weit einlassen, ehe ihr der Herzog von Guise gewisse Pfänder seiner guten Gesinnung gegeben hätte.

Sie kam also dem König, der wahrscheinlich durch irgend ein förmliches Versprechen seine vertrauensvolle Gebärde zu bestätigen im Begriff war, zuvor, nahm zuerst das Wort und sagte:

»In jedem Fall, Sire, hat Eure Mutter, ehe Ihr einen Minister wählt, Euch nicht um eine Gnade zu bitten, sondern eine Forderung an Euch zu stellen.«

»Sagt: mir einen Befehl zu geben, Madame,« erwiderte Franz II., »sprecht, ich bitte Euch.«

»Wohl, mein Sohn, es handelt sich um eine Frau, die viel Böses mir und noch viel mehr Frankreich zugefügt hat. Es geziemt sich nicht für uns, die Schwächen desjenigen zu tadeln, der uns mehr als je heilig sein muß. Doch leider ist Euer Vater nicht mehr, Sire, sein Wille herrscht nicht mehr in diesem Schlosse, und dennoch wagt es diese Frau, die ich nicht nennen will, immer noch, darin zu bleiben, und thut mir bis an’s Ende die Beleidigung ihrer Gegenwart an. Während der langen Lethargie des Königs stellte man ihr vor, es wäre unschicklich von ihr, im Louvre zu bleiben.

»Ist der König todt?« fragte sie.

»Nein, er athmet noch.«

»Wohl, dann hat Niemand als er das Recht, Befehle zu geben.«

»Und sie blieb unverschämter Weise.«

Der Herzog von Guise unterbrach ehrfurchtsvoll die Königin Mutter und erwiderte rasch:

»Verzeiht, Madame, ich glaube die Absichten Seiner Majestät in Beziehung auf diejenige, von welcher Ihr sprecht, zu kennen.«

Und ohne eine weitere Bemerkung schlug er auf ein Glöckchen. Es erschien ein Diener.

»Man melde Frau von Poitiers, der König wolle sie auf der Stelle sprechen,« sagte er.

Der Diener verbeugte sich und ging ab, um den Befehl zu vollziehen.

Der junge König schien nicht im Geringsten darüber erstaunt oder unruhig, daß man ihm so die Gewalt ohne sein Gutheißen aus den Händen nahm. Er war im Grunde entzückt über Alles, was seine Verantwortlichkeit vermindern und ihm die Mühe, zu befehlen und zu handeln, ersparen konnte.

Der Balafré wollte indessen seinem Schritt die Sanction der königlichen Bestimmung geben.

»Ich glaube nicht zu sehr vorzugreifen, Sire,« sprach er, »wenn ich sage, ich kenne die Wunsche Eurer Majestät in dieser Hinsicht?«

»Nein, gewiß nicht, theurer Oheim,« erwiderte Franz voll Eifer. »Handelt immerhin! ich weiß zum Voraus, daß das, was Ihr thun werdet, wohlgethan ist.«

»Und das, was Ihr sagt, ist wohlgesagt, mein Herzchen,« flüsterte ihm mit sanfter Stimme Maria Stuart in’s Ohr.

Franz erröthete vor Freude und Stolz. Für ein Wort, für einen Blick der Billigung von seiner angebeteten Maria hätte er wahrhaftig alle Königreiche der Erde gefährdet und preisgegeben.

Die Königin Mutter erwartete mit ungeduldiger Neugierde, welchen Beschluß der Herzog von Guise fassen würde.

Sie glaubte jedoch, sowohl um das Stillschweigen auszufüllen, als um ihre Absicht schärfer kundzugeben, beifügen zu müssen:

»Diejenige, welche Ihr berufen habt, Sire, kann übrigens, wie mir scheint, ganz wohl den Louvre ungetheilt der einzigen gesetzlichen Königin der Vergangenheit sowohl, als der reizenden Königin der Gegenwart überlassen,« fügte sie, freundlich sich gegen Maria Stuart verneigend, bei. »Hat die reiche und schöne Dame nicht als Zufluchtstätte und Trost ihr prächtiges Schloß Anet, das sicherlich königlicher und prächtiger ist, als mein einfaches Haus in Chaumont an der Loire.«

Der Herzog von Guise antwortete nichts, doch er merkte sich diese Einschärfung in seinem Innern.

Es ist nicht zu leugnen, er haßte Diana von Poitiers nicht weniger, als es Catharina von Medicis that. Es war Frau von Valentinois, welche bis dahin, um ihrem Connétable zu gefallen, dem Glück und den Plänen des Balafré Fesseln angelegt und Hindernisse entgegengestellt hatte; sie war es, die ihn ohne Zweifel für immer in den Schatten verbannt haben würde, hätte nicht die Lanze von Gabriel mit dem Leben von Heinrich II. die Macht der Zauberin gebrochen.

Doch der Tag der Wiedervergeltung war endlich für Franz von Lothringen gekommen, und er wußte eben so gut zu hassen, als er zu lieben verstand.

In diesem Augenblick meldete der Huissier mit lauter Stimme:

»Die Frau Herzogin von Valentinois.«

Frau von Poitiers trat, offenbar beängstigt, aber immer noch hoffärtig, ein.