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Die beiden Dianen

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Er erzählte, durch welche seltsame Umstände er abwechselnd in seinem Dienste die beiden Martin-Guerre gehabt habe, wie er lange Zeit gebraucht, um sich die Veränderungen der Laune und der Natur seines doppelten Stallmeisters zu erklären, wie er jedoch am Ende durch die Ereignisse auf den rechten Weg gebracht worden sei.

Gabriel sagte endlich Alles, die Schrecknisse von Martin, die Verräthereien von Martin du Thill, die Tugenden des Einen und die Laster und Verbrechen des Andern; er machte diese dunkle und verworrene Geschichte vor Aller Augen klar und hell, verlangte Bestrafung für den Schuldigen und Wiederherstellung der Ehre für den Unschuldigen.

Die Justiz war in jener Zeit minder gefällig und minder bequem für die Angeklagten als in unseren Tagen. So wußte Arnauld du Thill noch nicht, welche niederschmetternde Indizien gegen ihn vorlagen. Wohl hatte er mit einiger Unruhe die Beweise mit der baskischen Sprache und dem Ballspiel zu seiner Verwirrung ausfallen sehen, doch er glaubte hinreichende Entschuldigungen vorgebracht zu haben. Was die Probe mit dem alten Schuhmacher betrifft, so hatte er nichts davon begriffen. Er wußte endlich nicht, ob Martin-Guerre, den man hartnäckig vor ihm verbarg, im Ganzen besser als er aus den Verhören hervorgegangen war.

Durch ein Gefühl der Billigkeit und der Großmuth bewogen, hatte Gabriel verlangt, daß Arnauld du Thill dem Plaidoyer, wo die gegen ihn vorgebrachten Beweise verhandelt wurden, beiwohnen sollte, damit er im Falle der Noth darauf antworten könnte. Martin-Guerre hatte nichts dabei zu thun und blieb in seinem Gefängniß. Doch Arnauld du Thill wurde vorgeführt, damit man ihn contradictorisch richten könnte, und er verlor nicht ein Wort von der überweisenden Erzählung von Gabriel.

Als jedoch der Vicomte d’Ermès geendigt hatte, stand Arnauld du Thill, ohne sich einschüchtern oder entmuthigen zu lassen, ruhig auf und verlangte die Erlaubniß, sich vertheidigen zu dürfen. Das Tribunal hätte ihm dieselbe verweigert, doch Gabriel trat seiner Bitte bei, und Arnauld konnte sprechen.

Er sprach bewunderungswürdig. Der schlaue Bursche war wirklich von Natur sehr beredt und besaß einen äußerst gewandten Geist.

Gabriel war besonders bemüht gewesen, Licht in der Finsternis der Abenteuer der beiden Martin zu verbreiten. Arnauld bemühte sich, alle Fäden unter einander zu mischen und zum zweiten Mal eine heilsame Verwirrung unter seine Richter zu bringen. Er gestand, er begreife die hervorgehobenen Abenteuer zweier Existenzen, von denen man die eine für die andere genommen, durchaus nicht. Es liege ihm nicht ob, alle diese Quiproquo zu erklären, durch die man ihn in Verlegenheit sehe. Er sei nur für sein eigenes Leben verantwortlich und habe nur seine Handlungen zu rechtfertigen. Dies zu thun sei er bereit.

Er begann sodann die logische und gedrängte Erzählung seines Lebens und seiner Thaten seit seiner Jugend bis auf den gegenwärtigen Tag. Er rief seine Freunde und Verwandten auf, gedachte ihnen gegenüber gewisser Umstände, die sie selbst vergessen hatten, lachte bei einigen Erinnerungen und war gerührt bei andern.

Es ist wahr, er konnte weder mehr Baskisch sprechen, noch Ball spielen.

Doch nicht Jedermann hatte ein Gedächtniß für Sprachen. Wenn auch sein Gegner die Richter in diesen zwei Punkten befriedigt hätte, so wäre doch am Ende nichts leichter, als ein Patois zu lernen und sich in einem Spiel zu üben.

Endlich sei er vom Grafen von Montgommery, den irgend ein Intrigant zu einem Irrthum verleitet, angeklagt worden, er habe seinem Stallmeister die Papiere gestohlen, die seinen Stand und seine Persönlichkeit bestätigen; doch für dieses Factum liege durchaus kein Beweis vor.

Was den Bauern betreffe, wer könne behaupten, daß es nicht ein Genosse desjenigen sei, welcher sich Martin-Guerre nenne?

Hinsichtlich des Lösegeldes, das er, Martin-Guerre, dem Grafen von Montgommery gestohlen haben sollte, behauptete er, er sei allerdings nach Artigues mit einer gewissen Summe zurückgekommen, welche jedoch größer gewesen, als die von dem Grafen genannte, und er erklärte den Ursprung dieser Summe, indem er das Certicat des durchlauchtigsten Herrn Connétable, Herzogs von Montmorency, vorlegte.

Arnauld du Thill ließ in seiner Vertheidigung mit einer außerordentlichen Geschicklichkeit den blendenden Namen des Connétable vor den Augen der Richter spielen. Er flehte inständig, man möge sich bei seinem erhabenen Herrn nach ihm erkundigen. Er sei versichert, daß seine Rechtfertigung klar und gleichsam greifbar aus einer solchen Nachforschung hervorgehen würde.

Kurz, die Rede des listigen Burschen war so geschickt und so verfänglich, er drückte sich mit einer solchen Wärme aus und die Unverschämtheit gleicht zuweilen so sehr der Unschuld, daß Gabriel die Richter abermals unentschieden und erschüttert sah.

Es handelte sich also darum, einen entscheidenden Schlag zu thun, und Gabriel entschloß sich hierzu, obwohl ungern.

Er sagte dem Präsidenten ein Wort ins Ohr, und dieser befahl, Arnauld du Thill wieder in sein Gefängniß zu bringen und Martin-Guerre einzuführen.

XXV.
Es sieht aus, als sollten die Täuschungen wieder beginnen

Man führte Arnauld du Thill nicht sogleich in den Kerker, den er in der Conciergerie von Rieux inne hatte. Er wurde nur in den Hof zunächst beim Tribunal gebracht, wo man ihn einige Augenblicke allein ließ.

Die Richter, sagte man, könnten ihm, nachdem sie seinen Gegner verhört, abermals befragen müssen.

Seinen Betrachtungen überlassen, wünschte sich der listige Bursche vor Allem Glück zu der Wirkung, die er offenbar mit seiner geschickten und Unverschämten Rede hervorgebracht hatte. Der brave Martin-Guerre würde mit seinem guten Recht Mühe haben, eben so überzeugend zu sein.

In jedem Fall hatte Arnauld Zeit gewonnen. Doch wenn er die Dinge strenger prüfte, konnte er sich nicht verleugnen, daß er nur dies gewonnen. Die Wahrheit, die er so frech in Abrede gezogen, würde am Ende von allen Seiten hervortreten. Dürfte sich Herr von Montmorency auf dessen Zeugniß er sich so kühn berufen, herbeilassen, mit seinem Ansehen die nachgewiesene Missethaten seines Spions zu bedecken? Dies war äußerst zweifelhaft.

Anfangs so freudig, versank Arnauld du Thill allmälig aus der Hoffnung in die Angst und sagte sich, seine Lage sei, Alles wohl betrachtet, keine besonders beruhigende.

Er beugte das Haupt unter der Entmuthigung, als man kam, um ihn wieder in sein Gefängniß zu führen.

Das Tribunal hatte es also nicht für geeignet erachtet, ihn nach den Erklärungen von Martin-Guerre zu befragen. Ein neuer Gegenstand der Angst!

Dies hielt indessen Arnauld du Thill, der Alles bemerkte, nicht ab, zu bemerken, derjenige, der ihn holte und ihn in diesem Augenblick begleitete, sei nicht sein gewöhnlicher Gefangenenwärter.

Warum diese Veränderung? verdoppelte man die Vorsichtsmaßregeln gegen ihn? wollte man ihn zum Sprechen bringen? Arnauld du Thill gelobte sich, auf seiner Hut zu sein, und blieb auf dem ganzen Wege stumm.

Doch nun kam ein anderes Motiv des Erstaunens! das Gefängniß, in das ihn der neue Wärter führte, war nicht das, welches er gewöhnlich inne hatte.

Dieses hatte ein vergittertes Fenster und einen hohen Kamin, zwei Dinge, welche im andern fehlten.

Alles bezeugte indessen, daß noch vor Kurzem ein Gefangener hier gewesen: Ueberreste von frischem Brod, ein halbgeleerter Wasserkrug, ein Strohlager und eine geöffnete Kiste, in der man Männerkleider erblickte.

Gewohnt, sich zu bemeistern, gab Arnauld du Thill kein Erstaunen kund. Doch sobald er allein war, lief er auf die Kiste zu, um sie zu durchsuchen.

Es fanden sich darin nur Kleider. Kein anderes Anzeichen. Doch Arnauld du Thill glaubte sich dieser Kleider ihrer Farbe und Form wegen zu erinnern. Es waren dabei besonders zwei Leibröcke von braunem Tuch und Beinkleider von gelbem Tricot, welche offenbar einen ungewöhnliche Nuance und einen ungewöhnlichen Schnitt hatten.

»Oh! oh!« sagte Arnauld du Thill zu sich selbst, »das wäre sonderbar!«

Als es Nacht wurde, trat der unbekannte Gefangenenwärter ein.

»Holla, Meister Martin-Guerre,« sagte er und klopfte dem träumerischen Arnauld du Thill auf eine Weise auf die Schulter, woraus hervorging, daß, wenn der Gefangene seinen Wärter nicht kannte, der Wärter wenigstens seinen Gefangenen kannte.

»Was gibt es denn?« fragte Arnauld du Thill den so vertraulichen Gefangenenwärter.

»Mein Lieber,« erwiderte der Mann, »Eure Angelegenheiten machen sich offenbar immer besser. Wißt Ihr, wer von den Richtern die Erlaubniß erhalten hat, einige Augenblicke mit Euch sprechen zu dürfen, und sich diese Erlaubniß nun von Euch selbst erbittet?«

»Meiner Treue, nein! wie sollte ich das wissen? wer kann es sein? . . .«

»Eure Frau, mein Lieber, Bertrande de Rolles, die nun wohl einsieht, auf welcher Seite das gute Recht ist. Doch wenn ich an Eurer Stelle wäre, würde ich mich weigern, sie zu empfangen.«

»Und warum dies?« fragte Arnauld du Thill.

»Warum?« versetzte der Gefangenenwärter, »weil sie Euch so lange mißkannt hat! Es ist wahrhaftig Zeit, daß sie auf die Seite der Wahrheit tritt, da morgen spätestens ein Spruch des Gerichtes dies öffentlich und officiell erklären wird! Nicht wahr, Ihr seid auch meiner Meinung und ich werde Eure Undankbare kurz und gut wegschicken?«

Der Gefangenenwärter machte einen Schritt gegen die Thüre, doch Arnauld du Thill hielt ihn durch eine Gebärde zurück.

»Nein, nein,« sagte er, »schickt sie nicht weg. Ich will sie im Gegentheil sehen, ich will . . . Kurz, da sie von den Richtern die Erlaubniß erhalten hat, führt Bertrande de Rolles ein, mein lieber Freund.«

»Hm! immer derselbe!« sagte der Gefangenenwärter, »immer mildherzig und sanftmüthig! Wagt Ihr nichts, wenn Ihr so schnell Eure Frau ihr früheres Uebergewicht wieder gewinnen laßt? . . . Nun, das geht Euch an.«

 

Der Gefangenenwärter entfernte sich, mitleidig die Achseln zuckend.

Zwei Minuten nachher kam er mit Bertrande de Rolles zurück. Es war indessen immer finsterer geworden.

»Ich lasse Euch allein,« sagte der Gefangenwärter, »doch ich werde Bertrande, ehe es völlig Nacht geworden, wieder abholen; so lautet der Befehl. Ihr habt also kaum eine Viertelstunde für Euch, benützt sie, um Euch zu balgen, oder um Euch auszusöhnen, nach Eurem Belieben.«

Und er entfernte sich abermals.

Bertrande trat nun ganz verschämt und den Kopf gesenkt auf den angeblichen Martin-Guerre zu, der stillschweigend sitzen blieb und sie kommen und sprechen ließ.

»Oh! Martin,« sagte sie endlich, als sie nahe bei ihm war, mit schwacher, schüchterner Stimme, »werdet Ihr mir je verzeihen wollen?«

Ihre Augen füllten sich mit Thränen und sie zitterte an allen Gliedern.

»Euch verzeihen, was?« versetzte Arnauld du Thill, der sich nicht gefährden wollte.

»Meinen plumpen Mißgriff,« antwortete Bertrande. »Ich habe sicherlich sehr Unrecht gehabt, daß ich Euch nicht erkannte. Doch war nicht Grund vorhanden, daß ich mich täuschte, da Ihr Euch, wie es scheint, zur Zeit selbst getäuscht habt? Ich bekenne auch, damit ich an meinen Irrthum glaube, muß mir von der ganzen Gegend, vom Herrn Grafen von Montgommery und von dem Gericht, das sich darauf versteht, bezeugt werden, Ihr seid mein wahrer Gatte und der Andere sei nur ein Betrüger und Fälscher.«

»Sprecht, welcher ist der erwiesene Betrüger?« sagte Arnauld »derjenige, welchen der Graf von Montgommery hierher gebracht hat, oder der, welchen man im Besitz der Habe und der Papiere von Martin-Guerre fand?«

»Der Andere!« erwiderte Bertrande, »derjenige, welcher mich getäuscht hat, derjenige, welchen ich Alberne, ich Verblendete noch in der vorigen Woche meinen Gatten nannte.«

»Ah! die Sache hat sich also nun völlig herausgestellt?« fragte Arnauld bewegt.

»Mein Gott, ja, Martin,« erwiderte Bertrande mit derselben Verwirrung. »Diese Herren vom Tribunal und Euer würdiger Gebieter haben mir so eben erklärt, es walte für sie kein Zweifel mehr ob und Ihr seid wirklich der wahre Martin-Guerre, mein guter und lieber Mann.«

»Ah! wahrhaftig? . . .« sagte Arnauld erbleichend.

»Dabei hat man mir zu verstehen gegeben, ich würde wohl daran thun, Euch um Verzeihung zu bitten und mich mit Euch zu versöhnen, ehe das Urtheil ausgesprochen wäre, und ich bat um Erlaubniß, Euch besuchen zu dürfen, was mir auch gestattet wurde . . .«

Sie schwieg einen Augenblick, doch als sie sah, daß ihr vorgeblicher Gatte nicht antwortete, fuhr sie fort:

»Es ist nur zu gewiß, mein guter Martin-Guerre, daß ich eine große Schuld gegen Euch habe. Doch ich bitte Euch, zu bedenken, daß es unwillkürlich geschehen ist, ich nehme hierfür die Jungfrau Maria und das Jesuskind zu Zeugen! Mein erster Fehler besteht darin, daß ich nicht den Betrug jenes Arnauld du Thill entdeckt und entlarvt habe. Doch konnte ich annehmen, es gebe auf der Welt so vollständige Aehnlichkeiten und es könne Gott belustigen, zwei so ganz gleiche Geschöpfe zu machen? Gleich an Gesicht und gleich an Wuchs, doch es ist wahr, nicht gleich an Herz und an Charakter, und diese Verschiedenheit ist es, was mir, ich muß es gestehen, hätte die Augen öffnen sollen. Doch nichts warnte mich, auf meiner Hut zu sein. Arnauld du Thill sprach mit mir von der Vergangenheit, wie nur Ihr es hättet thun können. Er hatte Eure Papiere, Euren Ring; bei keinem Freunde, bei keinem Verwandten regte sich ein Verdacht. Ich gab mich in gutem Glauben hin und schrieb die Veränderung der Laune der Erfahrung zu, die Ihr, die Welt durchwandernd, erlangt hättet. Bedenkt, mein theurer Freund, daß ich unter dem Namen dieses Fremden immer nur Euch liebte, Euch, dem ich mich mit Freuden unterwarf. Zieht das wohl in Betracht, und Ihr werdet mir diesen ersten Irrthum vergeben, der mich, großer Gott! ohne daß ich es wollte und wußte, die Sünde begehen ließ für die ich dem Himmel und Euch den Rest meines Lebens um Vergebung bitten werde.«

Bertrande de Rolles schwieg abermals, um zu sehen, ob Martin-Guerre mit ihr sprechen und sie ein wenig ermuthigen würde. Doch er beobachtete ein hartnäckiges Stillschweigen, und die arme Bertrande fuhr mit gepreßtem Herzen fort:

»Wenn es unmöglich ist, Martin, daß Ihr mir wegen dieses ersten unwillkürlichen Fehlers einen Groll bewahrt, so verdient der zweite leider alle Eure Vorwürfe und Euren ganzen Zorn. Da Ihr nicht da wart, konnte ich einen Andern für Euch halten, doch als Ihr erschient und es mir vergönnt war, eine Vergleichung anzustellen, hätte ich Euch auf der Stelle erkennen müssen. Bedenkt indessen, ob nicht auch hier Einiges zu meiner Entschuldigung sprechen dürfte. Einmal war Arnauld du Thill, wie Ihr sagtet, im Besitze des Namens und des Titels, die Euch gehören und es widerstrebte mir, eine Ahnung zuzulassen, die mich schuldig machte. Dann gestattete man mir auch kaum, Euch zu sehen und zu sprechen. Als man mich mit Euch confrontirte, hattet Ihr nicht Eure gewöhnlichen Kleider, und Ihr wart in einen langen Mantel gehüllt, der mir Euren Wuchs und Euren Gang verbarg. Seitdem bin ich beinahe im Gewahrsam gehalten worden, wie Arnauld du Thill und wie Ihr, und ich habe Euch Beide kaum vor dem Tribunal wieder gesehen und zwar stets getrennt und immer sehr von ferne. Welches Mittel hatte ich, vor dieser furchtbaren Aehnlichkeit die Wahrheit herauszufinden? Ich entschied mich gleichsam aus Zufall für denjenigen, welchen ich am Tage zuvor meinen Gatten nannte. Ich beschwöre Euch, mir deshalb nicht zu grollen. Doch die Richter geben mir heute die Versicherung, daß ich mich getäuscht, und daß sie die Beweise hierfür erlangt haben. Ich komme dem zu Folge ganz reumüthig und ganz verwirrt zu Euch und vertraue nur auf Eure frühere Liebe und Güte. Habe ich Unrecht gehabt, so auf Eure Nachsicht zu zählen?«

Nach dieser beinahe unmittelbaren Frage machte Bertrande eine neue Pause. Doch der falsche Martin blieb immer stumm.

Bertrande gebrauchte offenbar, indem sie Arnauld du Thill so verließ, ein seltsames Mittel, um ihn zu erweichen, doch sie handelte im guten Glauben und vertiefte sich immer mehr auf diesem Weg, den sie für den wahren hielt, um zu dem Herzen desjenigen zu gelangen, welchen sie anflehte.

»Ihr werdet mein Wesen sehr verändert finden,« fuhr sie fort. »Ich bin nicht mehr das hochmüthige, launenhafte, zornige Weib, das Euch so viel ausstehen ließ. Die schlechte Behandlung, die ich von diesem Arnauld zu erfahren hatte, und die ihn mir hätte verrathen müssen, hat wenigstens die gute Folge, daß sie mich beugte und mürbe machte, und Ihr dürft gewärtig sein, mich in Zukunft eben so folgsam und gefällig zu finden, als Ihr selbst sanft und gut seid . . . Denn nicht wahr, Ihr werdet sanft und gut gegen mich sein, wie in der Vergangenheit? Ihr werdet es mir dadurch beweisen, daß Ihr mir verzeiht, und so werde ich Euch an Eurem Herzen wiedererkennen, wie ich Euch schon an Euren Zügen erkannt habe?«

»Ihr erkennt mich also nun wieder?« sagte Arnauld du Thill endlich.

»Ah! ja,« antwortete Bertrande, »und ich schmähe mich, daß ich zu diesem Behuf den Urtheilsspruch der Richter abgewartet habe.«

»Ihr erkennt mich?« wiederholte Arnauld dringend, »Ihr erkennt mich, nicht als jenen Intrigant, der sich noch in der vorigen Woche frecher Weise Euren Gatten nannte, sondern als den wahren und legitimen Martin-Guerre, den Ihr seit Jahren nicht mehr gesehen habt? Schaut mich an. Ihr erkennt in mir Euren wahren und einzigen Gatten?«

»Ganz gewiß,« antwortete Bertrande.

»Und an welchen Merkmalen erkennt Ihr mich?« fragte Arnauld.

»Ach!« erwiderte Bertrande naiver Weise, »ich muß es gestehen an völlig äußerlichen und von Eurer Person unabhängigen Merkmalen. Stündet Ihr neben Arnauld du Thill, gekleidet wie er, so wäre die Aehnlichkeit so vollkommen, daß ich Euch vielleicht noch nicht unterscheiden würde. Ich erkenne Euch als meinen wahren Gatten, weil Ihr dieses Gefängniß inne habt und nicht das von Arnauld, weil Ihr mich nicht mit der Strenge aufnehmt, die ich verdiene, während mich Arnauld abermals zu täuschen und zu verführen suchen würde.«

»Elender Arnauld!« rief Arnauld mit seinem strengen Tone. »Und Du zu leichtgläubige Frau!«

»Ja, schmäht mich!« sagte Bertrande de Rolles, »Eure Vorwürfe sind mir lieber, als Euer Stillschweigen. Wenn Ihr mir Alles gesagt habt, was Ihr auf dem Herzen tragt, werdet Ihr – ich kenne Euch, Ihr seid nachsichtig und zärtlich, – werdet Ihr Euch besänftigen und mir vergeben!«

»Auf!« sagte Arnauld mit milderem Tone, »verzweifelt nicht, Bertrande, wir werden sehen.«

»Ah!« rief Bertrande, »was sagte ich? Ja, Ihr seid mein wahrer, mein guter Martin-Guerre!«

Sie warf sich ihm zu Füßen, sie benetzte seine Hände mit aufrichtigen Thränen, denn sie glaubte wirklich mit ihrem Gatten zu sprechen, Arnauld du Thill, der sie mit seinem mißtrauischen Blicke betrachtete, konnte nicht den geringsten Verdacht schöpfen. Die Zeichen der Freude und der Reue, die sie von sich gab, waren entfernt nicht zweideutig.

»Es ist gut!« brummte Arnauld in seinem Innern, »Du wirst mir dies Alles eines Tages bezahlen, Treulose!«

Mittlerweile schien er einer unwiderstehlichen Bewegung der Zärtlichkeit nachzugeben.

»Ich bin muthlos und fühle, daß ich schwach werde,« sagte er, indem er sich den Anschein gab, als trocknete er eine Thräne, welche nicht floß.

Und gleichsam unwillkührlich hauchte er einen Kuß auf die gebeugte Stirne der Reumüthigen.

»Welch ein Glück!« rief Bertrande, »ich bin nun wieder in Gnaden!«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre und der Gefangenenwärter erschien wieder.

»Ausgesöhnt!« sagte er mit einer verdrießlichen Miene, als er die sentimentale Gruppe der vorgeblichen Ehegatten erblickte. »Ich wußte das zum Voraus! Oh! Martin, Ihr nasse Henne!«

»Wie, Ihr macht ihm ein Verbrechen aus seiner Gutmüthigkeit!« entgegnete Bertrande.

»He! he! laßt das! laßt das!« sagte Arnauld mit seiner väterlichen Miene lächelnd.

»Nun, ich wiederhole, das ist Eure Sache!« sprach der unbeugsame Kerkermeister. »Was mich angeht, ist mein Befehl. Die Stunde ist vorüber und Ihr könnt nicht mehr eine Minute länger hier bleiben, meine schöne Thränenreiche!«

»Wie! ich soll ihn schon verlassen?« rief Bertrande.

»Ihr werdet morgen und die folgende Tage Zeit haben, ihn zu sehen,« erwiderte der Gefangenenwärter.

»Es ist wahr, morgen ist er frei!« versetzte Bettrande. »Morgen, Freund, werden wir unser sanftes Leben von früher wieder beginnen.«

»Morgen alle Zärtlichkeiten!« sagte der rauhe Gefangenenwärter. Für den Augenblick müßt Ihr Euch wegpacken.«

Bertrande küßte zum letzten Mal die Hand, die ihr Arnauld mit einer königlichen Gebärde reichte, sandte ihm mit ihrer Hand noch ein Lebewohl zu und ging vor dem Gefangenenwärter hinaus.

Als dieser die Thüre schließen wollte, rief ihn Arnauld zurück.

»Könnte ich Licht haben, eine Lampe?« fragte er.

»Gewiß, heute wie jeden Abend,« antwortete der Gefangenenwärter, »wenigstens bis zur Stunde der Feuerglocke, bis um neun Uhr. Bei Gott! man hält Euch nicht so streng, wie Arnauld du Thill! Und dann ist Euer Herr, der Graf von Montgommery, so freigebig! Man ist gefällig gegen Euch . . . um ihn sich verbindlich zu machen. In fünf Minuten werde ich Euch Euren Leuchter schicken, Freund Martin!«

Ein Knecht des Gefängnisses brachte wirklich nach einigen Augenblicken Licht. Er entfernte sich wieder, nachdem er dem Gefangenen guten Abend gewünscht und ihm, sobald er die Feuerglocke höre, sein Licht auszulöschen empfohlen hatte.

Als sich Arnauld allein sah, streifte er sachte die linnenen Kleider ab, die er trug, und zog nicht minder sachte einen von den bekannten braunen Leibröcken und gelben Tricothosen an, die er in der Kiste von Martin-Guerre entdeckt hatte.

Dann verbrannte er Stück für Stück seinen alten Anzug am Licht und vermischte die Asche davon mit der Asche, die schon den Herd des Kamins füllte.

Dies war in weniger als einer Stunde geschehen, und er konnte sein Licht auslöschen und sich zu Bette legen, ehe die Feierglocke ertönte.

»Warten wir nun,« sagte er zu sich selbst. »Es scheint entschieden, daß ich vor den Richtern gesiegt habe. Doch es wäre angenehm, wenn ich gerade aus meiner Niederlage die Mittel zu meinem Siege ziehen könnte. Warten wir.«