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Die beiden Dianen

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XVII.
Der verliebte Gefangenwärter

Diana von Castro empfing Lord Wentworth mit jener ruhigen, keuschen Würde, welche von ihrem engelischen Blick und von ihrem reinen Antlitz eine unwiderstehliche Zaubermacht entlehnte. Unter ihrer scheinbaren Ruhe lag übrigens viel Angst, und die Arme zitterte, während sie den Gruß des Gouverneurs erwiderte und ihm mit einer ganz königlichen Gebärde ein Fauteuil bezeichnete.

Dann machte sie Mary und Jane, welche sich zurückziehen zu wollen schienen, ein Zeichen, im Gegentheil zu bleiben, und als sie sah, daß Lord Wentworth, in Bewunderung ihrer Person versunken, schwieg, entschloß sie sich, zuerst zu sprechen.

»Ich glaube, ich befinde mich vor Lord Wentworth, dem Gouverneur von Calais?« sagte sie.

»Es ist Lord Wentworth, Euer ergebener Diener, der Eure Befehle erwartet, Madame.«

»Meine Befehle,« erwiderte sie voll Bitterkeit, »oh! Mylord, sprecht nicht so, denn ich könnte glauben, Ihr spottet. Wenn man, nicht auf meine Befehle, sondern auf mein Bitten, auf mein Flehen gehört hatte, so wäre ich nicht hier. Ihr wißt, wer und von welchem Hause ich bin, Mylord?«

»Ich weiß, daß Ihr Frau Diana von Castro, die geliebte Tochter von Heinrich II. seid.«

»Warum hat man mich also zur Gefangenen gemacht?« versetzte Diana, deren Stimme, statt sich zu verstärken, bei dieser Frage schwächer wurde.

»Gerade weil Ihr die Tochter des Könige waret, Madame, weil nach der mit dem Admiral Coligny abgeschlossenen Capitulation man den Siegern fünfzig Gefangene nach ihrer Wahl, von jedem Rang, jedem Alter und jedem Geschlecht, ausliefern mußte, und weil sie natürlich die Vornehmsten, die Gefährlichsten und, erlaubt mir, es zu sagen, diejenigen wählten, welche ihnen das größte Lösegeld bezahlen konnten.«

»Aber wie hat man erfahren, daß ich in Saint-Quentin unter dem Namen und dem Kleide einer Benedictiner-Nonne verborgen war? Außer der Superiorin wußte nur eine einzige Person in der Stadt mein Geheimniß.«

»Nun! diese Person wird Euch verraten haben,« sagte Lord Wentworth.

»Oh! nein, gewiß nicht,« rief Diana mit einer Lebhaftigkeit und einer Ueberzeugung, daß sich Lord Wentworth von der Schlange der Eifersucht im Herzen gebissen fühlte, und nichts zu erwidern fand. »Es war am Tage nach der Einnahme von Saint-Quentin,« fuhr Diana fort. »Ich hatte mich ganz zitternd und bewegt in meine Zelle geflüchtet. Man ließ in das Sprechzimmer die Schwester Bénie rufen . . . mein Novizenamen, Mylord. Es war ein englischer Soldat, der so nach mir verlangte. Ich befürchtete ein Unglück, eine furchtbare Kunde, stieg aber nichtsdestoweniger hinab, erfaßt von jener gräßlichen Neugierde des Schmerzes, welcher wissen will, was er beweinen soll. Der Bogenschütze, den ich nicht kannte, erklärt mir, ich sei seine Gefangene. Ich entrüste mich, ich widerstehe, aber was vermochte ich gegen die Gewalt? Es waren drei Soldaten da, ja, Mylord, drei, um eine Frau zu verhaften! Ich bitte Euch um Verzeihung, wenn Euch das verletzt, doch ich sage, wie es ist. Diese Leute bemächtigen sich also meiner und fordern mich auf zu gestehen, ich sei Diana von Castro, die Tochter des Königs von Frankreich. Ich leugne Anfangs, da sie mich aber trotz meines Leugnens fortschleppen, so verlange ich zu dem Herrn Admiral von Coligny geführt zu werden, und da der Herr Admiral die Schwester Bénie nicht kennt, so erkläre ich, ich sei wirklich diejenige, welche sie bezeichnen. Ihr glaubt vielleicht, Mylord, auf mein Geständniß geben sie nach und gewähren mir die ganz einfache Bitte, vor den Herrn Admiral geführt zu werden, der mich erkannt und reclamirt hätte? Keines Wegs! sie freuen sich nur ihres Fanges, stoßen und schleppen mich nur rascher fort, schieben oder werfen vielmehr mich, die Weinende, die Bestürzte, in eine geschlossene Sänfte, und während ich von Schluchzen erstickt und vom Schmerz vernichtet zu erkennen suche, wohin man mich bringt, bin ich schon außerhalb Saint-Quentin und auf der Straße nach Calais. Lord Grey, der, wie man mir sagt, die Escorte befehligt, weigert sich, mich zu hören, und ein Soldat eröffnet mir, daß ich Gefangene seines Herrn bin, und daß man mich bis zu Bezahlung meines Lösegelds nach Calais führt. So bin ich hier angekommen, ohne mehr zu erfahren, Mylord.«

»Und ich habe Euch nicht mehr zu sagen, Madame,« erwiderte Lord Wentworth nachdenkend.

»Nicht mehr, Mylord?« rief Diana. »Ihr könnt mir nicht sagen, warum man mich weder mit der Superiorin der Benedictinerinnen, noch mit dem Herrn Admiral hat sprechen lassen? Ihr könnt mir nicht sagen, was man von mir will, da man mir nicht gestattet, mich denjenigen zu nähern, welche meine Gefangenschaft dem König gemeldet und den Betrag meines Lösegeldes von Paris geschickt hätten! Warum diese geheime Entführung? Warum habe ich nicht einmal Lord Grey gesehen, der, wie man mir sagt, dies Alles befohlen hat?«

»Ihr habt ihn gesehen, vorhin, als Ihr an uns vorüber gingt. Es ist der Herr, mit dem ich sprach, und der Euch zu gleicher Zeit mit mir grüßte.«

»Entschuldigt, Mylord, ich wußte nicht, in wessen Gegenwart ich mich befand. Doch da Ihr, mit Lord Grey, Eurem Verwandten, wie dieses Mädchen sagt, gesprochen habt, so mußte er Euch mittheilen, was er gegen mich beabsichtigt.«

»In der That, Madame, ehe er sich nach England einschiffte, und gerade in dem Augenblick, wo man Euch in dieses Hotel führte, erklärte er mir seine Absicht. Er theilte mir mit, in Saint-Quentin habe man Euch ihm als die Tochter des Königs bezeichnet, und da er zur Haft von drei Gefangenen berechtigt gewesen sei, so habe er mit allem Eifer eine vortheilhafte Beute angenommen, jedoch ohne Jemand von seinem Fang in Kenntniß zu setzen, um dadurch jede Einsprache zu vermeiden. Sein Zweck war einfach der, aus Euch so viel als möglich Geld zu beziehen, und ich billigte lachend das Verfahren meines Habgierigen Schwagers, als Ihr durch den Saal gingt, in welchem wir uns befanden. Ich habe Euch gesehen, Madame, und begriffen, daß Ihr, wenn eine Tochter des Königs durch die Geburt, eine Königin durch die Schönheit seid. Zu meiner Schande gestehe ich es Euch, seitdem habe ich meine Ansicht Lord Grey gegenüber geändert, wenn nicht in Beziehung auf seine vergangene Handlungsweise, doch wenigstens hinsichtlich seines zukünftigen Vorhabens. Ja, ich habe seinen Plan, ein Lösegeld von Euch zu erhalten, zu billigen aufgehört. Ich habe ihm dargestellt, er könnte viel mehr hoffen; da England und Frankreich sich bekriegten, so würdet Ihr vielleicht zu einem wichtigen Austausch dienen, und Ihr wäret wohl eine Stadt werth. Kurz, ich forderte ihn auf, eine so reiche Beute nicht um einen so geringen Preis aus den Händen zu lassen. Ihr wäret in Calais, einer uns gehörenden Stadt, einer uneinnehmbaren Stadt, und man müßte Euch hier behalten und warten.«

»Wie!« rief Diana, »Ihr habt Lord Grey solche Rathschläge gegeben, und gesteht dies vor mir zu! Oh! Mylord, warum habt Ihr Euch so meiner Befreiung widersetzt? Was habe ich Euch gethan? Ihr hattet mich nur eine Minute gesehen! Ihr hasst mich also?«

»Ich hatte Euch nur eine Minute gesehen, und liebte Euch, Madame,« sprach Lord Wentworth verlegen.

Diana wich erbleichend zurück.

»Jane! Mary!« rief sie den zwei Frauen zu, welche beiseit in einer Fenstervertiefung standen.

Doch Lord Wentworth machte ihnen ein gebieterisches Zeichen, und sie rührten sich nicht. Dann sprach er traurig lächelnd:

»Fürchtet Euch nicht, Madame, ich bin ein Edelmann, Ihr seid es nicht, ich bin es, der bange haben und zittern muß. Ja, ich liebe Euch, und konnte mich nicht enthalten, es Euch zu sagen. Ja, als ich Euch so reizend, so anmuthreich, so einer Göttin ähnlich sah, ging mein ganzes Herz zu Euch. Ihr seid in meiner Gewalt, und man gehorcht mir auf ein Zeichen . . . Doch gleichviel, befürchtet nichts, ich bin mehr in Eurem Besitze, als Ihr in dem meinigen, und von uns Beiden seid Ihr nicht der wahre Gefangene. Ihr seid die Königin, Madame, und ich bin der Sklave. Befehlt und ich werde gehorchen.«

»Dann, mein Herr,« sprach Diana zitternd, »dann schickt mich nach Paris, von wo aus ich Euch jedes Lösegeld, das Ihr bestimmen wollt, zusenden werde.«

Lord Wentworth antwortete nach kurzem Zögern:

»Alles außer diesem, Madame! Doch ich fühle, daß dieses Opfer über meine Kräfte geht. Ich sage Euch, daß ein einziger Blick mein Leben für immer an das Eurige gekettet hat. Hier in diesem Exil, wo ich verweilen muß, war mein Herz lange nicht mehr in einer meiner würdigen Liebe entbrannt! Seitdem ich Euch so edel, so schön, so stolz gesehen, habe ich gefühlt, daß alle zusammengedrängten Kräfte meiner Seele nun ihren Aufschwung und ihr Ziel gefunden. Ich liebe Euch seid zwei Stunden, doch wenn ihr mich kennen würdet, so wüßtet Ihr, daß es ist, als ob ich Euch seit zehn Jahren liebte.«

»Aber mein Gott! was wollt Ihr denn, Mylord?« entgegnete Diana. »Was hofft Ihr? Was erwartet Ihr? Was ist Eure Absicht?«

»Ich will Euch sehen, Madame, ich will mich Euerer Gegenwart und Eures reizenden Anblicks erfreuen, nichts Anderes. Ich wiederhole, setzt bei mir keine eines Edelmannes unwürdige Absichten voraus. Nur ist es mein Recht, das ich segne, Euch bei mir zu behalten, und ich mache Gebrauch davon.«

»Und Ihr glaubt, Mylord, die Gewalt, die man mir anthut, werde mich zwingen, Eure Liebe zu erwidern?«

»Ich glaube das nicht,« sprach Lord Wentworth mit weichem Tone, »doch wenn Ihr mich vielleicht jeden Tag so ergeben, so ehrfurchtsvoll kommen seht, nur um mich nach Euch zu erkundigen und Euch eine Minute anschauen zu können, werdet Ihr vielleicht gerührt sein von der Unterwürfigkeit desjenigen, der Zwang anwenden könnte . . . und fleht.«

»Und dann,« sagte Diana mit einem verächtlichen Lächeln, »dann wird die Tochter Frankreichs besiegt die Geliebte von Lord Wentworth werden?«

»Dann,« erwiderte der Gouverneur, »dann wird Lord Wentworth, der letzte Sprößling eines der erhabensten und reichsten Häuser von England, Frau von Castro auf den Knieen seinen Namen und sein Leben anbieten. Meine Liebe ist, wie Ihr seht, eben so ehrenhaft, als aufrichtig!«

 

»Sollte er ehrgeizig sein?« dachte Diana. »Hört, Mylord,« sprach sie laut, indem sie zu lächeln suchte, »ich rathe Euch, laßt mich frei, gebt mich meinem Vater zurück, und ich werde mich gegen Euch durch ein Lösegeld nicht jeder Schuld überhoben glauben. Es komme zwischen den beiden Staaten ein am Ende unvermeidlicher Friede, und ich werde, wenn ich mich Euch nicht selbst geben kann, wenigstens für Euch eben so viel oder mehr Ehren und Würden erlangen, als Ihr wünschen könntet, wenn Ihr mein Gemahl wäret. Seid großmüthig, Mylord, und ich werde dankbar sein.«

»Ich errate Euren Gedanken, Madame,« versetzte Wentworth mit Bitterkeit. »Doch ich bin zugleich uneigennütziger und ehrgeiziger als Ihr glaubt. Von allen Schätzen des Weltalls wünsche ich nur Euren Besitz.«

»Dann ein letztes Wort, Mylord, das Ihr vielleicht begreifen werdet,« sprach Diana zugleich verwirrt und stolz. »Mylord, ein Anderer liebt mich.«

»Und Ihr bildet Euch ein, ich werde Euch diesem Nebenbuhler überliefern, indem ich Euch frei ziehen lasse!« rief Lord Wentworth außer sich. »Nein! er soll wenigstens eben so unglücklich sein, als ich! noch unglücklicher, denn er wird Euch nicht sehen, Madame. Von diesem Tage an können Euch nur drei Ereignisse befreien: entweder mein Tod, doch ich bin jung und kräftig; oder ein Friede zwischen Frankreich und England, doch die Kriege zwischen Frankreich und England dauern, wie Ihr wißt, hundert Jahre; oder die Einnahme von Calais, Calais aber ist uneinnehmbar. Wenn nicht einer dieser beinahe verzweifelten Fälle eintritt, werdet Ihr, glaube ich, lange meine Gefangene sein, denn ich habe Lord Grey alle seine Rechte auf Euch abgekauft, und ich will Euch nicht gegen Lösegeld herausgeben, und wäre dieses Lösegeld ein Kaiserreich! Was aber die Flucht betrifft, so werdet Ihr wohl thun, nicht daran zu denken; denn ich bin es, der Euch bewacht, und Ihr werdet sehen, was für ein aufmerksamer und sicherer Kerkermeister ein Mann ist, welcher liebt.«

Nach diesen Worten entfernte sich Lord Wentworth mit einer tiefen Verbeugung und ließ Diana ganz zitternd und trostlos zurück.

Sie beruhigte sich erst ein wenig bei dem Gedanken, der Tod wäre eine gewisse Zuflucht und bliebe in äußersten Gefahren dem Unglücklichen immer offen.

XVIII.
Das Haus des Waffenschmieds

Das Haus von Pierre Peuquoy bildete die Ecke der Rue du Martroi und des Marktplatzes. Auf zwei Seiten stützte es sich auf starke hölzerne Pfeiler, wie man solche in Paris noch in den Hallen sieht. Es hatte zwei Stockwerke. An seiner Facade spielten das Holz der Backstein und der Schiefer seltsam in zugleich launenhaften und regelmäßigen Arabesken. Dabei boten die Fenstergesimse und die dicken Balken bizarre Figuren von Thieren mit lustigem Blätterwerk umgeben, Alles naiv und plump, doch nicht ohne Erfindung und Leben. Das breite und hohe Dach stand hinreichend vor, um eine äußere Gallerie mit Geländerdocken zu beschützen, welche wie bei den Sennhütten der Schweiz um den ersten Stock lief.

Ueber der Glasthüre des Ladens hing das Schild, eine Art von hölzerner Fahne, auf der ein schauderhaft gemalter Krieger den Gott Mars vorstellen wollte, wobei ihn ohne Zweifel die Inschrift: »Dem Gotte Mars. Pierre Peuquoy, Waffenschmied.« zu unterstützen hatte.

Eine vollständige Rüstung, Helm, Panzer, Armschienen und Beinschienen, diente unten an der Thüre als sprechendes Schild für diejenigen Edelleute, welche nicht lesen konnten.

Ueberdies konnte man durch die in Blei eingelassenen Glasscheiben des Vordertheils vom Laden trotz der Dunkelheit der Magazine noch andere Rüstungen, so wie Angriffs- und Vertheidigungswaffen aller Art erschauen. Die Schwerter besonders machten sich durch Anzahl, Verschiedenheit und Reichthum bemerkbar.

Zwei unter den Pfeilern sitzende Lehrbursche riefen die Vorübergehenden an und boten ihnen die Waaren unter den lockendsten Einladungen.

Der Waffenschmied Pierre Peuquoy selbst verweilte majestätisch entweder in der Hinterbude, welche auf den Hof ging, oder in seiner im Hintergrunde desselben Hofes errichteten Schmiede. Er kam nur, wenn ein durch das Geschrei der Lehrlinge oder vielmehr durch den Ruf von Peuquoy angelockter Kunde von Bedeutung nach dem Meister verlangte.

Besser beleuchtet als das Magazin, diente die Hinterbude zugleich als Wohnstube und als Speisezimmer. Sie war überall mit Eichenholz ausgetäfelt und mit einem viereckigen Tische mit gedrehten Füßen, mit gepolsterten Stühlen und einer herrlichen Lade meublirt, worauf das Meisterstück von Pierre Peuquoy, von ihm unter den Augen seines Vaters ausgeführt, als er zum Meister aufgenommen wurde; dies war eine reizende Rüstung in Miniature, ganz mit Gold damascirt und von der feinsten, zartesten Arbeit. Man vermöchte sich nicht zu denken, wie viel Kunst und Geduld es gebraucht hatte, um die Vollendung eines solchen Kleinods zu erlangen.

Eine der Lade gegenüber im Tafelwerk angebrachte Nische enthielt eine Gypsstatue der Jungfrau, umgeben von geweihtem Buchs. Der fromme Geist waltete so beständig im Familiensaale.

Ein anderes rückwärts liegendes Gelaß wurde beinahe gänzlich von dem Gehäuse einer steilen hölzernen Treppe eingenommen, welche nach den oberen Stockwerken führte.

Entzückt, den Vicomte d’Ermès und Jean Peuquoy bei sich zu empfangen, wollte Pierre Peuquoy den ersten Stock durchaus Gabriel und seinem Vetter einräumen. Hier waren also die Zimmer der Gäste. Er selbst bewohnte den zweiten Stock mit seiner jungen Schwester Babette und seinen Kindern. Man hatte im zweiten Stock auch den verwundeten Stallmeister Arnauld du Thill einquartiert. Die Lehrlinge und Gesellen wohnten in den Dachkammern. In allen den bequemen und wohlgeschlossenen Zimmern bemerkte man, wenn nicht den Reichthum, doch wenigstens den Wohlstand und die gemächliche Einfachheit, wie sie zu allen Zeiten dem Altbürgerthum eigenthümlich war.

Bei Tische finden wir Gabriel und Jean Peuquoy wieder, denen ihr achtbarer Wirth vollends die Honneurs eines reichlichen Abendbrods machte. Babette bediente die Gäste. Die Kinder standen ehrfurchtsvoll in einiger Entfernung.

»Ei, mein Gott! wie wenig eßt Ihr, gnädiger Herr, wenn ich es sagen darf,« sprach der Waffenschmied, »Ihr seid ganz sorgenvoll und Jean sieht ganz nachdenkend aus. Wenn die Bewirthung mittelmäßig ist, so ist doch das Herz, welches sie bietet, gut. Nehmt doch wenigstens von diesen Trauben, sie sind ziemlich selten in unserer Gegend. Ich weiß von meinem Großvater, der es von dem seinigen gehört hatte, daß früher zur Zeit der Franzosen der Weinstock in Calais edel und die Traube golden war. Doch seitdem die Stadt englisch ist, täuscht sich die Traube und glaubt, sie sei in England, wo sie nicht reif zu werden pflegt.«

Gabriel konnte sich des Lächelns nicht enthalten bei den seltsamen Schlüssen der Vaterlandsliebe des braven Pierre.

»Wohl,« sagte er, sein Glas erhebend, »ich trinke aus die Reife der Trauben in Calais!«

Man kann sich denken, ob die Peuquoy einen solchen Toast herzlich erwiderten! Als das Abendbrod vorüber war, sprach Pierre das Dankgebet, welches seine Gäste stehend und mit entblößtem Haupte anhörten. Die Kinder wurden sodann ins Bett geschickt.

»Du auch, Babette, Du kannst Dich nun auch entfernen,« sprach der Waffenschmied zu seiner Schwester. »Wache darüber, daß die Lehrburschen da oben nicht zu viel Lärmen machen, und ehe Du in Dein Zimmer gehst, begib Dich mit Gertrude in das des Stallmeisters vom Herrn Vicomte, um nachzusehen, ob der Kranke nicht noch etwas braucht.«

Die hübsche Babette erröthete, machte einen Bückling und ging hinaus.

»Nun sind wir drei allein, mein lieber Vetter,« sagte Pierre zu Jean, »und wenn Ihr mir eine geheime Mittheilung zu machen habt, so bin ich bereit, sie zu hören.«

Gabriel schaute Jean Peuquoy erstaunt an; dieser aber erwiderte mit seiner ernsten Miene:

»In der That, Pierre, ich sagte Euch, ich hätte über wichtige Dinge mit Euch zu reden.«

»Ich will mich entfernen,« sprach Gabriel.

»Verzeiht, Herr Vicomte,« erwiderte Jean, »Eure Gegenwart bei dieser Unterredung ist nicht nur nützlich sondern nothwendig, denn ohne Eure Mitwirkung vermöchten die Pläne, welche ich Jean anzuvertrauen habe, nicht zum Ziele zu gelangen.«

»Ich höre Euch also, Freund,« sagte Gabriel wieder in seine traurige Träumerei versinkend.

»Ja, gnädiger Herr,« sprach der Bürger, »ja, hört uns, und indem Ihr uns hört, werdet Ihr das Haupt mit Hoffnung und, wer weiß? mit Freude erheben.«

Gabriel lächelte traurig bei dem Gedanken, daß, während er fern von der Freiheit seines Vaters, fern von der Liebe von Diana zurückgehalten wurde, die Freude für ihn wie ein abwesender Freund sein sollte. Nichtsdestoweniger wandte sich der muthige junge Mann gegen Jean und bedeutete ihm durch ein Zeichen, er könne anfangen.

Dann sprach Jean mit ernstem Tone zu Pierre:

»Vetter und mehr als Vetter, Bruder, es ist an Euch, zuerst zu sprechen, um dem Herrn Vicomte d’Ermès zu zeigen, in welchem Grade man auf Eure Vaterlandsliebe bauen kann. Sagt uns, Pierre, in welchen Gefühlen gegen Frankreich Euer Vater Euch erzogen hat und selbst von seinem Vater erzogen worden war. Sagt uns, ob Ihr, Engländer durch die Gewalt, je dem Herzen nach Engländer gewesen seid. Sagt uns, ob Ihr eintretenden Falles Euer Blut und Eure Unterstützung dem alten Vaterlande Eurer Ahnen, oder dem neuen, das man ihnen auferlegt hat, schuldig zu sein glauben würdet.«

»Jean,« antwortete der andere Bürger mit eben so viel Feierlichkeit, als sein Vetter, »ich weiß nicht, wenn mein Name und mein Geschlecht englisch wären, was ich denken und fühlen würde; aber ich weiß aus Erfahrung, daß, wenn eine Familie, wäre es auch nur einen Augenblick, vor mehr als zweihundert Jahren französisch gewesen ist, jede andere fremde Herrschaft den Mitgliedern dieser Familie unerträglich bleibt, und ihnen hart vorkommt wie die Sklaverei und bitter wie die Verbannung. Derjenige von meinen Ahnen, Jean, welcher Calais in die Gewalt des Feindes fallen sah, sprach in Gegenwart seines Sohnes von Frankreich nie anders als mit Thränen und von England nie anders als mit Haß. Sein Sohn hat dasselbe bei dem seinigen gethan und das doppelte Gefühl des Bedauerns und der Abneigung hat sich von Geschlecht auf Geschlecht übertragen, ohne schwächer zu werden oder sich zu verändern. Die Luft unserer alten bürgerlichen Häuser bewahrt es. Der Pierre Peuquoy vor zwei Jahrhunderten lebt in dem Pierre Peuquoy von heute wieder auf, und wie ich denselben französischen Namen habe, so habe ich dasselbe französische Herz, Jean. Die Schmach ist von gestern und so auch der Schmerz. Sagt nicht, Jean, ich habe zwei Vaterländer, es gibt nur eines und kann nur eines geben, und sollte ich zwischen dem Lande wählen, dem mich die Menschen unterworfen, und dem Lande, das Gott mir gegeben hatte, glaubt mir, ich würde nicht zögern.«

»Hört Ihr, gnädiger Herr« rief Jean sich an den Vicomte d’Ermès wendend.

»Ja, Freund, ja ich höre, und das ist gut, es ist edel!« antwortete d’Ermès ein wenig zerstreut.

»Doch ein Wort, Pierre,« sagte Jean Peuquoy, »nicht wahr, leider denken unsere ehemaligen Landsleute hier nicht alle wie Ihr? Ihr seid ohne Zweifel nach Verlauf von zweihundert Jahren das einzige Kind Frankreichs, das nicht gegen das Mutterland undankbar geworden ist?«

»Ihr täuscht Euch, Jean,« erwiderte der Waffenschmied. »Ich habe im Allgemeinen und nicht für mich allein gesprochen. Ich sage nicht, daß alle diejenigen, welche einen französischen Namen besitzen, ihren Ursprung nicht vergessen haben; doch viele bürgerliche Familien lieben und beklagen stets Frankreich und aus diesen Familien wählen die Peuquoy gern ihre Frauen. Seht, in den Reihen der Bürgergarde von Calais, zu der ich wider Willen gehöre, würde mancher Bürger eher seine Hellebarde zerbrechen, als sie gegen einen französischen Soldaten kehren.«

»Es ist gut, daß man das weiß!« murmelte Jean Peuquoy, sich die Hände reibend. »Sagt mir, Vetter, Ihr müßt einen Grad bei dieser Bürgergarde haben. So wie Ihr geliebt und geachtet seid, versteht sich das von selbst!«

»Nein, ich habe jeden Grad ausgeschlagen, um mich jeder Verantwortlichkeit zu überheben.«

»Desto schlimmer und desto besser! Ist der Dienst, den man Euch auferlegt, sehr anstrengend? Erneuert er sich oft?«

»Ja, die Frohne ist ziemlich häufig und hart, weil an einem Platze wie Calais die Garnison nie zureicht, und ich bin meinestheils den 5. von jedem Monat kommandiert.«

»Regelmäßig den 5. von jedem Monat, Pierre? Diese Engländer sind sehr unklug, daß sie auf eine so feste Art den Dienst von Jedem bestimmen.«

 

»Ah!« entgegnete der Waffenschmied den Kopf schüttelnd, »nach einem Besitz von zweihundert Jahren ist keine Gefahr. Und da sie nichtsdestoweniger der Bürgergarde ein wenig mißtrauen, so überlassen sie ihr nur zwei völlig uneinnehmbare Posten. Ich bin immer auf der Plattform des Thurmes Octogon genannt, der von der See besser vertheidigt wird, als von mir, und dem sich vom Gewässer aus nur die Möven allein nähern können.«

»Ah! Ihr habt immer am 5. jedes Monats die Wache auf dem Thurme Octogon?«

»Ja, von vier bis sechs Uhr Morgens. Das ist die Stunde, die mich der Viertelsmeister wählen ließ, und die ich vorziehe, weil ich um diese Stunde drei Viertel des Jahres den Reflex des Sonnenaufgangs auf dem Ocean sehe, was auch für einen armen Gewerbsmann, wie ich bin, ein göttliches Schauspiel ist.«

»In der That ein so göttliches Schauspiel, Pierre,« sagte Jean Peuquoy, die Stimme dämpfend, »daß, wenn trotz der uneinnehmbaren Stellung ein kühner Abenteurer von dieser Seite Euren Thurm Octogon zu erklettern versuchen wollte, Ihr es, ich wette, nicht sehen würdet, dergestalt wäret Ihr in Eure Betrachtung vertieft.«

Pierre schaute seinen Vetter erstaunt an und erwiderte, nachdem er eine Minute gezögert:

»Es ist wahr, ich würde ihn nicht sehen; denn ich wüßte, daß nur ein Franzose ein Interesse haben kann, in die Stadt zu dringen, und da ich als ein Gezwungener gegen diejenigen, welche mich zwingen, zu nichts verpflichtet bin, so würde ich eher, als daß ich den Gefangenen zurückstieße, ihm vielleicht hereinhelfen.«

»Gut gesagt, Pierre!« rief Jean Peuquoy. »Ihr seht, gnädiger Herr, daß Pierre ein treu ergebener Franzose ist,« fügte er sich an Gabriel wendend bei.

»Ich sehe es, Meister,« antwortete dieser, stets unwillkürlich unaufmerksam bei einem Gespräch, das ihm unnütz zu sein schien. »Ich sehe es, doch ach! wozu soll diese Ergebenheit nützen?«

»Wozu nützen? ich will es Euch sagen,« erwiderte Jean Peuquoy, »denn ich denke, es ist nun die Reihe an mir, zu sprechen. Wenn Ihr wollt, Herr Vicomte, können wir an Calais unsere Entschädigung für Saint-Quentin nehmen. Ganz stolz auf einen zweihundertjährigen Besitz, entschlummern die Engländer in einer trügerischen Sicherheit; diese Sicherheit muß ihnen zum Verderben gereichen. Wir haben, wie der gnädige Herr sieht; völlig bereite Hilfsgenossen am Platze. Wir wollen diesen Plan reifen lassen; Eure Vermittlung bei denjenigen, welche die Macht haben, unterstütze uns, und meine Vernunft, mehr noch mein Instinkt sagt mir, daß ein kühner Handstreich uns wieder zu Herren der Stadt machen würde. Ihr hört mich, nicht wahr, gnädiger Herr?«

»Ja, ja, gewiß,« antwortete Gabriel, der in der That nicht hörte, den aber dieser unmittelbare Aufruf aus seiner Träumerei erweckte, »ja, Euer Vetter will zurückkehren, nicht wahr? in unser schönes Frankreich, in eine französische Stadt versetzt werden, nach Amiens zum Beispiel? Nun! ich werde mit Lord Wentworth sprechen und auch mit Herrn von Guise. Die Sache läßt sich machen und meine Vermittlung, die Ihr in Anspruch nehmt, soll Euch nicht fehlen. Fahrt fort, Freund. Ich bin ganz der Eure. Gewiß höre ich.«

Und er versank wieder in, seine mächtige Zerstreutheit.

Denn die Stimme, die er in diesem Augenblick hörte, war in der That nicht die von Jean Peuquoy, nein; es war in seinem Innern die von Heinrich II., wie er, nachdem ihm Coligny die Geschichte von der Belagerung von Saint-Quentin erzählt, den Befehl gab, auf der Stelle den Grafen von Montgommery freizulassen. Dann war es die Stimme seines Vaters, der ihm noch düster und eifersüchtig bezeugte, Diana sei die Tochter seines gekrönten Nebenbuhlers. Endlich war es die Stimme von Diana selbst, welche nach so vielen Prüfungen ihm sagen und von der er das erhabene göttliche Wort hören durfte: »Ich liebe Dich.«

Man begreift, daß er bei diesem süßen Traume nur die Hälfte der gewagten und siegreichen Pläne von Jean Peuquoy hören konnte.

Doch der ernste Bürger mußte sich verletzt fühlen durch die geringe Aufmerksamkeit, welche Gabriel seinem Plane schenkte, der gewiß groß und muthig war, und er sprach daher mit Bitterkeit:

»Wenn der gnädige Herr meiner Rede ein etwas minder zerstreutes Ohr zu leihen die Güte gehabt hätte, so würde er gesehen haben, daß die Gedanken von mir und Peuquoy weniger persönlich und weniger mittelmäßig sind, als er voraussetzt . . .«

Gabriel antwortete nicht.

»Er hört Euch nicht, Jean,« sagte Pierre auf seinen abermals in Gedanken versunkenen Gast deutend, »er hat vielleicht auch seinen Plan, seine Leidenschaft . . .«

»Die seinige ist nicht uneigennütziger, als die unsrige,« versetzte Jean ärgerlich. »Ich würde sogar sagen, sie sei selbstsüchtig, wenn ich diesen edlen Herrn nicht der Gefahr mit einer Art von Muth trotzen und sogar sein Leben hätte aussetzen sehen, um das meinige zu retten. Gleichviel! er hätte mich anhören müssen, da ich für das Wohl und den Ruhm des Vaterlandes sprach. Doch ohne ihn wären wir, trotz unseres Eifers, nur unnütze Werkzeuge, Pierre. Wir haben nur das Gefühl! der Geist fehlt uns und die Macht.«

»Gleichwohl war das Gefühl gut, denn ich habe Dich verstanden und begriffen, Bruder!« sprach der Waffenschmied.

Und die zwei Vetter drückten sich feierlich die Hand.

»Mittlerweile müssen wir auf unsere Chimäre verzichten oder sie wenigstens vertagen,« sagte Jean Peuquoy, »denn was vermag der Arm ohne den Kopf? was vermag das Volk ohne den Adel?«

Dieser Bürger der alten Zeit fügte mit einem seltsamen Lächeln bei:

»Bis zum Tage, wo das Volk zugleich der Arm und der Kopf sein wird.«