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Der Bastard von Mauléon

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Vierundsiebzigstes Kapitel.
Die Schwierigkeit

Während das ganze Lager der Bretagner die Nacht in der Trunkenheit des Triumphes und Don Pedro in den Bangigkeiten des Schreckens hinbrachte, benachrichtigten Cavaliere, welche die besten Pferde des Heeres ritten, Don Enrique und den Connetable.

Agenor war die Nacht bei dem Gefangenen geblieben, der, sich in ein scheues Stillschweigen verschließend, jeden Trost wie jede Erleichterung zurückwies.

Man konnte einen König, einen Feldherrn nicht gebunden lassen: man band ihn also los, nachdem man ihm sein adeliges Wort abgenommen, daß er keinen Versuch, zu entfliehen, machen wolle.

»Aber,« sagte der Stammler zu seinen Officieren, »man kennt den Werth des Wortes vom König Don Pedro: verdoppelt die Posten und laßt das Zelt so umstellen, daß er nicht einmal einen Gedanken an eine Flucht haben kann.«

Man fand den Connetable drei Meilen von Montiel; er jagte vor sich her wie Herden die Trümmer der zwei Tage vorher besiegten Armee, und vervollständigte so durch eine Beute an Gefangenen mit reichem Lösegeld den Gewinn dieses wichtigen Tages, Denn die Toledaner hatten sich geweigert, ihre Thore selbst den Besiegten, ihren Verbündeten, zu öffnen, so sehr befürchteten sie einen Betrug, wie er in jenen barbarischen Zeiten, wo die List einen ebenso großen Platz einnahm, als die Stärke, gang und gebe war.

Der Connetable hatte nicht sobald die Nachricht vernommen, als er ausrief:

»Dieser Mauléon hatte mehr Geist als wir.«

Und er ritt mit einer unbeschreiblichen Freude gen Montiel.

Als er ankam, versilberte schon der anbrechende Tag die Gipfel der Berge.

Der Connetable schloß den in seinem Triumph bescheidenen Mauléon in seine Arme und sprach zu ihm:

»Ich danke Such, Messire, für Eure muthige Beharrlichkeit und für Eure Scharfsichtigkeit.

Wo ist der Gefangene?« fügte er bei.

»In dem Zelte des Stammlers von Villaines,« erwiderte Mauléon; »doch er schläft oder stellt sich, als schliefe er.«

»Ich will ihn nicht sehen,« sagte Bertrand; »es geziemt sich, daß die erste Person, mit der Don Pedro eine Unterredung pflegen wird, Enrique, sein Sieger und sein Gebieter, ist.

Hat man scharfe Bewachung angeordnet? Gewisse böse Geister brauchen nur ein gutes Gebet zum Teufel, um befreit zu werden.«

»Es sind dreißig Ritter um das Zelt her aufgestellt, Messire,« antwortete Agenor.

»Don Pedro wird nicht entkommen, wenn ihn nicht ein Engel Satans an den Haaren fortzieht, wie einst den Propheten Habakuk; auch würden wir ihn weggehen sehen . . .«

»Und ich würde ihm mitten in die Luft einen Bolzen nachschicken, daß er noch vor dem Engel der Finsterniß in die Hölle käme,« sagte Musaron.

»Man schlage mir ein Feldbett vor dem Zelt auf,« befahl der Connetable.

»Ich will wie die Anderen den Gefangenen bewachen, um ihn selbst Don Enrique vorzustellen.«

Man gehorchte dem Connetable, und sein Bett, aus Brettern und Heidekraut bestehend, wurde vor der Thüre des Zeltes bereitet.

»Ah!« rief Bertrand, »er ist beinahe ein Ungläubiger und im Stande, sich umzubringen; hat man ihm seine Waffen abgenommen?«

»Man hat es nicht gewagt, hoher Herr; es ist ein geheiligtes Haupt, denn man hat ihn vor dem Altar Gottes zum König ausgerufen.«

»Das ist richtig: übrigens ist man ihm bis auf die ersten Befehle von Don Enrique jede Achtung und jeden Beistand schuldig.«

»Ihr seht, hoher Herr,« sprach Agenor, »Ihr seht, wie sehr jener Spanier log, als er Euch versicherte, Don Pedro wäre nicht in Montiel.«

»Wir werden auch diesen Spanier und die ganze Garnison henken lassen,« sagte ruhig der Stammler von Billaines.

»Durch seine Lüge hat er den Connetable seines Wortes entbunden.«

»Hoher Herr,« sprach Agenor lebhaft, »diese unglücklichen Soldaten haben keine Schuld, wenn ein Anführer befiehlt. Ueberdies würdet Ihr, wenn sie sich ergeben, einen Mord begehen, und wenn sie sich nicht ergeben, wird man sich ihrer nicht bemächtigen.«

»Man wird sich ihrer durch Aushungerung bemächtigen,« erwiderte der Connetable.

Der Gedanke, Aissa Hungers sterben zu sehen, riß Mauléon über alle Grenzen seiner natürlichen Zurückhaltung.

«Oh! meine edle Herren,« sagte er, »Ihr werdet keine solche Grausamkeit begehen!«

»Wir werden die Lüge und die Unredlichkeit bestrafen,« entgegnete der Connetable. »Muß man sich übrigens nicht Glück wünschen, daß uns diese Lüge Gelegenheit bietet, den Saracenen Mothril zu bestrafen? Ich will einen Parlamentär an diesen Elenden abschicken, um ihm zu verkündigen, Don Pedro sei gefangen genommen; da man ihn gefangen genommen, so sei er in Montiel gewesen; man habe mich folglich belogen, und zum Beispiel für alle Betrüger werde die Garnison decimirt, wenn sie sich ergebe, und zum Hungertode verurtheilt, wenn sie sich nicht ergebe.«

»Und Dona Aissa?« unterbrach ihn Mauléon, bleich vor Angst und Liebe.

»Wir werden die Frauen verschonen, wohlverstanden,« erwiderte Duguesclin; »denn verflucht sei der Kriegsmann, der die Greise, die Kinder und die Frauen nicht schont!«

»Aber Mothril wird Aissa nicht schonen, gnädiger Herr; das hieße sie einem Andern nach ihm überlassen; Ihr kennt ihn nicht, er wird sie tödten . . . Ihr habt mir aber versprochen, mir zu geben, was ich mir von Euch erbitten würde, Messire: ich bitte Euch um das Leben von Aissa.«

»Und ich bewillige es Euch, mein Freund; doch wie werdet Ihr es machen, um sie zu retten?«

»Ich flehe Eure Herrlichkeit an, keinen anderen Parlamentär an Mothril zu schicken, als mich, und mir die Worte zu überlassen, die ich zu ihm sprechen werde. . . Ich stehe Euch so für eine rasche Unterwerfung des Mauren und der Garnison . . . Doch habt Mitleid, gnädiger Herr, schont das Leben der unglücklichen Soldaten! sie haben nichts gethan.«

»Ich sehe, daß man sich in Euren Willen ergeben muß. Ihr habt mir genugsam gedient, daß ich Euch nichts abschlagen kann. Der König seinerseits verdankt Euch ebenso viel als mir, denn Ihr habt Don Pedro gefangen genommen, ohne den unser Sieg unvollständig war. Ich kann Euch also in seinem Namen wie in dem meinigen bewilligen, was Ihr wünscht. Aissa gehört Euch; den Soldaten, den Officieren sogar der Garnison soll mit ihrer besten Habe freier Abzug gesichert sein; doch Mothril wird gehenkt.«

»Gnädigster Herr . . .«

»Oh! fordert das nicht, denn es kann Euch nicht gewährt werden. Ich würde Gott beleidigen, wenn ich diesen Ruchlosen verschonte.«

»Gnädigster Herr, er wird mich vor Allem fragen, ob ihm das Leben geschenkt sein soll; was werde ich antworten?«

»Antwortet, was Ihr wollt, Messire von Mauléon,«

»Aber Ihr hättet ihn nach den Bedingungen des mit Rodrigo Sanatrias abgeschlossenen Waffenstillstands verschont.«

»Ihn! nie! Ich habe gesagt, die Garnison. Mothril ist ein Saracene, ich zähle ihn nicht unter den Vertheidigern des Schlosses: das ist überdies eine Rechnung, welche zwischen Gott und mir geordnet werden muß. Habt Ihr nur Aissa, mein Freund, das Uebrige geht Euch nichts an. Laßt mich machen.«

»Ich flehe Euch noch einmal an, Messire. Ja, dieser Mothril ist ein Elender, ja, seine Bestrafung dürfte Gott angenehm sein; doch er ist entwaffnet, er kann nicht mehr schaden. . . «

»Es ist gerade, als ob Ihr zu einer Bildsäule sprächet, Sire von Mauléon,« erwiderte der Connetable. »Ich bitte Euch, laßt mich ruhen. Was die Worte betrifft, die Ihr der Garnison überbringt, so stelle ich das ganz Euch anheim. Geht!«

Es war nichts mehr einzuwenden. Agenor wußte wohl, daß Duguesclin, wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte, unbeugsam blieb und nie zurückwich.

Er begriff auch, daß Mothril, wenn es ihm bekannt, Don Pedro sei in die Hände der Bretagner gefallen, nichts mehr schonen würde, weil er wüßte, er hätte auch keine Schonung zu erwarten.

Mothril war in der That einer von den Menschen, die das Gewicht des Hasses, den sie einflößen, zu tragen und sich den Folgen davon zu unterziehen wissen. Unversöhnlich gegen Andere, fügte er sich darein, keine Gnade zu erhalten.

Dann würde auch Mothril nie einwilligen, Aissa herauszugeben. Die Lage von Agenor war äußerst schwierig.

»Wenn ich lüge, so entehre ich mich,« sagte er: »wenn ich Mothril das Leben verspreche, ohne mein Wort zu halten, werde ich unwürdig der Liebe einer Frau und der Achtung der Männer.«

Er war in das Gewirre dieser grausamen Verlegenheiten versunken, als die Trompeten die Ankunft von König Enrique vor dem Zelte verkündigten.

Es war schon hoch am Tag und man sah vom Lager aus die Plattform, auf der Mothril und Don Rodrigo, lebhaft sprechend, auf und abgingen.

»Was der Connetable Euch nicht bewilligt hat, wird Euch König Enrique bewilligen,« sagte Musaron zu seinem Herrn, als er ihn ganz traurig sah: »bittet, und Ihr werdet erhalten.

Was liegt an dem Mund der Ja sagt, sagt er nur ein Ja, das Ihr, ohne zu lügen, Mothril überbringen könnt?«

»Versuchen wir es,« sprach Agenor.

Und er kniete bei dem Steigbügel von Enrique nieder, dem ein Stallmeister vom Pferde half.

»Gute Kunde, wie es scheint,« sagte der König.

»Ja, Hoheit.«

»Ich will Euch belohnen, Mauléon; verlangt eine Grafschaft, wenn Ihr wollt.«

»Ich bitte Such um das Leben von Mothril.«

»Das ist mehr als eine Grafschaft, doch es sei Euch gewährt,« antwortete Enrique.

»Geht geschwinde, gnädiger Herr.« sagte Musaron seinem Gebieter ins Ohr, »denn der Connetable kommt, und es wäre zu spät, wenn er es hörte.«

Agenor küßte dem König die Hand; dieser setzte den Fuß auf die Erde und rief:

»Guten Morgen, lieber Connetable, es scheint, der Verräther ist in unsern Händen?«

»Ja, Hoheit,« sagte Bertrand, der sich stellte, als bemerkte er nicht, wie Agenor mit Enrique sprach.

Der junge Mann eilte weg, als ob er einen Schatz mit sich trüge. Als beauftragter Parlamentär hatte er das Recht zwei Trompeter mitzunehmen: er wählte sie, schickte sie voraus und stieg, gefolgt vom unzertrennlichen Musaron, bis zur ersten Pforte des Schlosses hinan.

 

Fünfundsiebzigstes Kapitel.
Diplomatie der Liebe

Man öffnete ihm ungesäumt das Thor, und er vermochte, auf dem Wege fortschreitend, die Schwierigkeiten des Terrain zu beurtheilen.

Zuweilen hatte der Pfad nicht mehr als einen Fuß Breite, und überall fiel der Felsen senkrecht in den ausgehöhlten Trichter hinab; nicht gewöhnt an Berge, fühlten die Bretagner, wie sich der Schwindel ihrer bemächtigte.

»Die Liebe macht uns sehr unvorsichtig, gnädiger Herr,« sagte Musaron zu seinem Gebieter; »doch. . . Gott ist am Ende aller Dinge.«

»Vergissest Du, daß unsere Personen unverletzlich sind?«

»Ei! gnädiger Herr, was hat der verfluchte Maure zu schonen, und was seht Ihr Unverletzliches für ihn auf der Erde?«

Agenor hieß seinen Knappen schweigen, stieg immer weiter hinauf und gelangte auf die Plattform, wo ihn Mothril erwartete, der ihn auf dem Wege erkannt hatte.

»Der Franzose!« murmelte er, »was bedeutet seine Gegenwart im Schloß?«

Die Trompeter bliesen; Mothril erwiderte durch ein Zeichen, er höre.

Agenor sprach:

»Ich komme im Auftrage des Connetable, um Dir Folgendes zu sagen:

»»Ich schloß einen Waffenstillstand mit meinen Feinden unter der Bedingung, daß Niemand das Schloß verlasse . . . Ich sicherte Allen das Leben unter dieser Bedingung; heute muß ich von meiner Zusage abgehen, da Ihr Euer Wort gebrochen habt.«

Mothril wurde bleich und erwiderte:

»Worin?«

»In dieser Nacht sind drei Reiter über die Verschanzung gezogen, trotz unserer Schildwachen,« fuhr Agenor fort.

»Nun!« sagte Mothril, der sich gewaltig gegen sich selbst anstrengte, »man muß sie mit dem Tod bestrafen . . . denn sie sind meineidig geworden.«

»Das wäre leicht, wenn man sie in den Händen hätte,« erwiderte Agenor, »doch sie sind entflohen.«

»Warum habt Ihr sie nicht festgenommen?« rief Mothril, unfähig, seine Freude gänzlich zu mäßigen, nachdem er eine so lebhafte Angst empfunden hatte.

»Weil unsere Leute, auf Euer Wort bauend, minder thätig als gewöhnlich wachten, und weil nach dem Urtheil des hier anwesenden Senor Rodrigo Keiner von Euch ein Interesse hatte, zu entfliehen, da Euch Allen das Leben gesichert war . . .«

»Was schlichst Du hieraus?« fragte der Maure.

»Daß die Bedingungen des Waffenstillstands eine Veränderung zu erleiden haben.«

»Ah! ich vermuthete es,« sprach Mothril mit bitterem Tone. »Die Milde der Christen ist zerbrechlich wie ein Glas; man muß sich in Acht nehmen, daß man es beim Trinken nicht zerbricht. Du kommst, um uns zu sagen, mehrere Soldaten . . . sind es Soldaten? . . . haben sich aus Montiel geflüchtet, und Du werdest genöthigt sein, uns Alle dem Tod zu überantworten.«

»Und vor Allem, Saracene,« sprach Agenor, verletzt durch diesen Vorwurf und durch diese Voraussetzung, »vor Allem mußt Du wissen, wer die Flüchtlinge sind.«

»Wie sollte ich das wissen?«

»Zähle Deine Garnison.«

»Ich bin es nicht, der hier befehligt.«

»Du gehörst also nicht zur Garnison?« fragte rasch Agenor, »Du bist also nicht mit in dem Waffenstillstand begriffen?«

»Du bist listig für einen jungen Mann.«

»Ich bin es durch das Mißtrauen geworden, weil ich so viele Saracenen gesehen; doch antworte.«

»Ich bin in der That der Anführer,« sagte Mothril, der die Vortheile einer Capitulation, wenn eine solche möglich wäre, zu verlieren befürchtete.

»Du siehst, daß ich Recht hatte, List zu gebrauchen, da Du logst . . . Doch hierum handelt es sich nicht. Du gestehst, man habe die Bedingungen verletzt.«

»Das sagst Du, Christ.«

»Und Du wirst mir glauben,« entgegnete Mauléon mit stolzem Wesen. »Vernimm den Befehl des Connetable, unseres obersten Gebieters: »»Der Platz wird noch heute übergeben, oder die strengste Blockade beginnt.««

»Ist das Alles?«

»Das ist Alles.«

»Man wird uns aushungern?«

»Ja.«

»Und wenn wir sterben wollen?«

»Das steht Euch frei.«

Mothril schaute Agenor mit einem ganz besondern Ausdruck an, den dieser vollkommen begriff.

»Allen?« fragte er, dieses Wort stark betonend.

»Allen,« erwiderte Mauléon; »doch wenn Ihr sterbt, so geschieht es, weil Ihr es so wollt . . . glaube mir, Don Pedro wird Euch keine Hilfe bringen.«

»Meinst Du?« »Ich bin dessen sicher.«

»Warum?« »Weil wir ihm ein Heer entgegen zu stellen haben, während er keines mehr hat, und weil Ihr vor dem Tag, wo er eines gefunden hat, Alle Hungers gestorben sein werdet.«

»Dein Schluß ist richtig, Christ.«

»Rettet also Euer Leben, da die Sache in Eurer Macht liegt.«

»Ah! Du bietest uns das Leben?«

»Ich biete es Euch.«

»Auf wessen Wort? Auf das des Connetable?«

»Auf das des Königs, der so eben angekommen.«

»In der That, er ist angekommen,« sprach Mothril voll Unruhe, »doch ich sehe ihn nicht.«

»Schaue nach seinem Zelt . . . oder vielmehr nach dem des Stammlers von Villaines.«

»Ja . . . ja . . . Du bist sicher, daß er uns das Leben gewähren wird.«

»Ich verbürge mich dafür.«

»Und mir auch?«

»Auch Dir . . . Mothril; ich habe das Wort des Königs.«

»Wir können uns zurückziehen, wohin es uns beliebt?«

»Wohin es Euch beliebt.«

»Mit Knechten, Gepäcke und Schätzen?«

»Ja, Saracene.«

»Das ist sehr hübsch! . . .«

»Du glaubst nicht daran?. . . Du bist ein Narr; warum sollten wir Dich bitten, heute zu uns zu kommen, während wir Dich todt oder lebendig haben werden, wenn wir einen Monat hier bleiben.«

»Oh! Ihr könnt Don Pedro fürchten.«

»Ich versichere Dich, daß wir ihn nicht fürchten.«

»Christ, ich will es mir überlegen.«

»Wenn Du Dich in zwei Stunden nicht ergeben hast, so betrachte Dich als todt,« sprach ungeduldig der junge Mann.

»Der eherne Gürtel wird sich nicht mehr öffnen.«

»Gut! gut! zwei Stunden! das ist keine bedeutende Großmuth,« sagte Mothril, ängstlich den Horizont befragend, als sollte aus der Ebene ein Retter erstehen.

»Ist das Deine ganze Antwort?« fragte Agenor.

»In zwei Stunden,« stammelte Mothril zerstreut.

»Oh! gnädiger Herr, er wird sich ergeben, Ihr habt ihn überzeugt,« flüsterte Musaron seinem Herrn ins Ohr.

Plötzlich schaute Mothril nach dem Lager der Bretagner mit einer Aufmerksamkeit, die er nicht mehr verbarg.

»Oh! oh!« murmelte er, Rodrigo das Zelt des Stammlers von Villaines bezeichnend.

Der Spanier kniete auf die Brustwehr, um besser zu sehen.

»Deine Christen zerfleischen sich unter sich, wie es scheint,« sagte Mothril; »sieh, wie man nach jenem Zelte läuft,« Viele Officiere und Soldaten liefen in der That nach dem Zelt mit Merkmalen der lebhaftesten Angst.

Das Zelt bewegte sich, als würde es innerlich von Streitern erschüttert.

Agenor sah den Connetable mit einer Geberde des Zorns dahin stürzen.

»Es fällt etwas Seltsames und Furchtbares in dem Zelte vor, wo Don Pedro ist,« sagte er, »laß uns gehen, Musaron.«

Die Aufmerksamkeit des Mauren war durch diese unbegreifliche Bewegung abgelenkt. Die von Rodrigo war es noch mehr. Agenor benützte ihre Unachtsamkeit, um mit seinen Bretagnern den steilen Abhang hinab, zusteigen. Mitten auf dem Weg hörte er einen furchtbaren Schrei, der von der Ebene zum Himmel empordrang.

Es war Zeit, daß er die Schranken erreichte; kaum hatte man das Thor hinter ihm geschlossen, als Mothril mit einer Donnerstimme ausrief: »Allah! Allah! der Verräther täuschte mich, Sie haben den König Don Pedro gefangen genommen. Allah! man verhafte den Franzosen und er diene uns als Geißel. Zu den, Thoren, schließt! schließt!«

Doch Agenor war schon jenseits der Verschanzungen und in Sicherheit; er konnte sogar in seinem ganzen Umfang das furchtbare Schauspiel sehen, dem der Maure von der Plattform herab beigewohnt hatte.

»Barmherziger Gott!« sagte Agenor, zitternd und die Arme zum Himmel erhebend,« eine Minute länger, und wir waren gefangen und verloren: was ich hier in diesem Zelt sehe, hätte Mothril für seine blutigsten Repressalien entschuldigt.«

Sechsundsiebzigtes Kapitel.
Was man in dem Zelte des Stammlers von Villaines sah

Der König Don Enrique, nachdem er Agenor verlassen und ihm die Begnadigung von Mothril gewährt hatte, wischte sein Gesicht ab und sagte zum Connetable:

»Mein Freund, mein Herz schlägt stark, ich werde in der Demüthigung denjenigen sehen, welchen ich aus den Tod hasse; das ist eine Freude, gemischt mit Bitterkeit, und ich kann mir die Mischung in diesem Augenblick nicht erklären,«

»Sire,« erwiderte der Connetable, »dies beweist, daß das Herz Eurer Majestät edel und groß ist, sonst würde es nichts Anderes mehr enthalten, als die Freude des Triumphes.«

»Das ist seltsam,« fügte der König bei, »es ist seltsam, daß ich in dieses Zelt nur mit Mißtrauen und, ich wiederhole es, nur mit beklommenem Herzen eintrete . . . Wie ist er?«

»Sire, er sitzt aus einem Stuhl und hält seinen Kopf in seine Hände gesenkt. Er scheint niedergeschlagen.«

Enrique von Transtamare machte ein Zeichen mit der Hand und Jeder entfernte sich.

»Connetable,« sagte er ganz leise, »ich bitte, einen letzten Rath. Ich will sein Leben verschonen, aber soll ich ihn verbannen oder in eine Festung einschließen?«

»Fragt mich nicht um Rath, Sire König,« antwortete der Connetable, »denn ich vermöchte Euch keinen zu geben. Ihr seid weiser als ich und steht einem Bruder gegenüber. Gott gebe Euch ein, was Ihr zu thun habt.«

»Eure Worte haben meinen Entschluß ohne Umkehr festgestellt, Connetable; ich danke Euch.«

Der König hob den Leinwandflügel auf, der das Zelt schloß, und trat ein.

Don Pedro hatte die Stellung nicht verlassen, die Duguesclin dem König geschildert. Nur seine Verzweiflung war nicht schweigsam; sie verrieth sich nach außen bald durch dumpfe, bald durch geräuschvolle Ausrufungen, und man hätte glauben sollen, es habe sich seiner ein Anfang von Wahnsinn bemächtigt.

Der Tritt von Enrique machte, daß Don Pedro das Haupt erhob.

Sobald er seinen Sieger an seiner majestätischen Haltung und an seinem aus einem goldenen Löwen bestehenden Helmschmuck erkannte, ergriff ihn die Wuth.

»Du kommst,« sagte er, »Du wagst es, zu kommen!«

Enrique antwortete nicht; er beobachtete sein gelassenes Wesen und sein Stillschweigen.

»Vergebens habe ich Dich im Kampfe gerufen,« fuhr Don Pedro, sich stufenweise erhitzend, fort; »doch Du hast nur den Muth, einen besiegten Feind zu beleidigen, und selbst in diesem Augenblicke verbirgst Du Dein Gesicht, damit ich Deine Blässe nicht sehe.«

Enrique machte langsam die Spangen seines Helmes los und stellte ihn auf den Tisch. Sein Gesicht war wirklich bleich, aber seine Augen bewahrten eine milde Freundlichkeit.

Diese Ruhe brachte Don Pedro außer sich. Er stand auf und rief:

»Ja, ich erkenne den Bastard meines Vaters, denjenigen, welcher sich König von Castilien nennt und vergißt, daß es keinen andern König von Castilien geben wird, so lange ich lebe.«

Den blutigen Beleidigungen seines Feindes suchte Enrique die Geduld entgegenzusetzen; aber der Zorn stieg ihm stufenweise zur Stirne und Tropfen kalten Schweißes singen an über sein Gesicht zu laufen.

«Nehmt Euch in Acht,« sagte er mit zitternder Stimme, »Ihr seid hier bei mir, vergeßt das nicht. Ich beleidige Euch nicht, und Ihr entehrt Eure Geburt durch Worte, welche unserer Beider unwürdig sind.«

»Bastard!« schrie Don Pedro, »Bastard. . . Bastard!«

»Elender! Du willst also meinen Zorn entfesseln?«

»Oh! ich bin sehr ruhig,« erwiderte Don Pedro, indem er sich ihm mit entflammten Augen und Leichenbleichen Lippen näherte; »Du wirst Deinen Zorn nicht weiter gehen lassen, als es die Sorge für Deine Selbsterhaltung heischt. Du hast Angst . . . «

«Du lügst!« brüllte Don Enrique in maßlosem Grimm.

Statt zu antworten, packte Don Pedro Enrique bei der Gurgel, und Don Enrique preßte Don Pedro mit seinen Armen zusammen.

»Ah!« sagte der Besiegte, »es fehlte uns nur dieser Kampf; Du sollst sehen, er wird entscheidend sein.«

Sie kämpften mit solcher Heftigkeit, daß das Zelt erschüttert wurde, daß die Leinwand schwankte, und daß bei dem Lärmen der Connetable, der Stammler und mehrere Officiere herbeiliefen.

Um einzudringen, sahen sie sich genöthigt, mit ihren Schwertern die Leinwand des Zeltes zu schlitzen.

Fest an einander gepreßt, einander wie zwei Schlangen umschlingend, hielten sich die zwei Feinde an den Vorhängen selbst mit ihren bespornten Füßen angeklammert.

 

Da sah man ganz offen das Innere des Zeltes und den mörderischen Kampf.

Der Connetable stieß einen gewaltigen Schrei aus.

Tausend Soldaten flogen in der Richtung des Zeltes herbei.

Da konnte Mothril von der Plattform herab sehen; da fing auch Mauléon an vom Ende der Verschanzung zu sehen.

Die zwei Gegner wälzten und krümmten sich und suchten, so oft sie einen Arm frei hatten, sich einer Waffe zu bemächtigen.

Don Pedro war Her Glücklichere; es gelang ihm, Enrique von Transtamare unter sich zu bringen, und während er ihn mit seinem Knie festhielt, zog er aus seinem Gürtel einen kleinen Dolch, um seinem Feinde einen Stoß zu versetzen. Aber die Gefahr gab Enrique seine Kräfte wieder; er warf noch einmal seinen Bruder von sich ab und hielt ihn auf der Seite. So neben einander, bliesen sie sich das verzehrende Feuer ihres ohnmächtigen Hasses in's Gesicht.

»Es soll ein Ende werden,« rief Don Pedro, als er sah, daß es Niemand wagte, sie zu berühren, so sehr beherrschten die königliche Majestät und das Grauenhafte der Lage die Anwesenden. »Heute kein König von Castilien mehr, aber auch kein Thronräuber mehr. Ich höre auf zu regieren, doch ich bin gerächt. Man wird mich tödten, aber ich werde Dein Blut getrunken haben.«

Und mit einer unverhofften Kraftanstrengung preßte er seinen durch den Kampf erschöpften Bruder unter sich, drückte ihm die Gurgel zusammen und hob die Hand auf, um ihm den Dolch in den Leib zu stoßen.

Duguesclin, als er nun sah, daß er schon mit dem Dolch das Panzerhemd und den Panzer erforschte, um die Blöße zu finden, packte ihn mit seiner kräftigen Faust beim Fuß und bewirkte so, daß er das Gleichgewicht verlor.

Der Unglückliche rollte unter Enrique.

»Ich mache weder Könige, noch vertilge ich sie; ich helfe meinem Herrn,« sagte der Connetable mit einer dumpfen, zitternden Stimme.

Enrique, der wieder athmen konnte, raffte rasch seine Kräfte zusammen und zog sein Messer.

Es war nur ein Blitz.

Der Stahl versenkte sich ganz und gar in die Gurgel von Don Pedro; eine Blutwoge sprang in die Augen des Siegers und erstickte zugleich den furchtbaren Schrei, der aus den Lippen von Don Pedro hervordrang.

Die Hand des Verwundeten sank schlaff nieder, seine Augen erloschen; er ließ seine finster zusammengezogene Stirne rückwärts gehen, und man hörte seinen Kopf gewichtig auf dem Boden aufschlagen.

»Oh! was habt Ihr gethan?« rief Agenor, der in das Zelt gestürzt war und, die Haare gesträubt, sah, wie der Leichnam im Blut schwamm und der Sieger knieend in seiner rechten Hand seine Waffe hielt, während er sich mit der linken zu stützen suchte.

Eine furchtbare Stille schwebte über der ganzen Versammlung.

Der königliche Mörder ließ seinen gerötheten Dolch fallen.

Man sah nun einen Blutbach unter dem Leichnam hervorkommen und langsam über den Abhang des felsigen Bodens hinfließen.

Jeder wich vor dem Blut zurück, das noch rauchte, als hätte es das Feuer des Zornes und des Hasses bewahrt.

Don Enrique setzte sich, sobald er sich erhoben hatte, in eine Ecke des Zeltes und verbarg sein verdüstertes Gesicht in seinen beiden Händen.

Er konnte den Glanz des Tages und die Blicke der Umstehenden nicht ertragen.

Eben so düster als er, aber energischer, hob ihn der Connetable sachte auf und schickte die Zuschauer dieser furchtbaren Scene weg.

»Sicherlich,« sagte er, »sicherlich wäre es besser gewesen, dieses Blut im Kampfgewühle mit Eurem Schwert oder mit Eurer Streitart zu vergießen.

Doch Gott thut wohl, was er thut, und was er gethan, ist in Erfüllung gegangen. Kommt, Sire, und saßt wieder Muth.«

«Er hat sterben wollen,« murmelte der König.

»Ich beabsichtigte, ihm zu verzeihen. . . Seid besorgt, daß seine Ueberreste nicht länger den Blicken ausgesetzt bleiben, . . daß ein ehrenvolles Begräbniß . . . «

»Sire, denkt nicht mehr hieran . . . vergeßt das und überlaßt uns die Sorge.«

Der König schritt durch eine doppelte Reihe schweigsamer, bestürzter Soldaten und verbarg sich in einem andern Zelt.

Duguesclin ließ den Profoß der Bretagner kommen und sagte, indem er auf den Leichnam von Don Pedro deutete:

»Du schneidest diesen Kopf ab . . . und Ihr, Stammler von Villaines, Ihr schickt ihn nach Toledo. Das ist der Gebrauch in diesem Land, wo wenigstens die Usurpatoren des Namens der Todten nicht mehr das Recht haben, die Regierung und die Ruhe der Lebendigen zu stören.«

Kaum hatte er vollendet, als ein Spanier von der Festung erschien und im Auftrag des Gouverneur verkündigte, die Garnison würde um acht Uhr Abends gemäß den vom Parlamentär des Connetable gestellten Bedingungen die Waffen strecken.