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Der Bastard von Mauléon

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Epilog

Der gute Ritter mit der eisernen Faust hatte sich getäuscht, als er eine Dauer von acht Tagen für die Erzählung seiner Thaten und unglücklichen Lebensereignisse bezeichnete. Er gehörte zu denjenigen, welche rasch erzählen, weil er eine sichere und malerische Sprache hatte, und was sein Auditorium betrifft, so hatte sich nie ein verständigeres und empfänglicheres um einen leidenschaftlicheren Erzähler gefunden.

Man mußte Jeden der Anwesenden mit einer der Erzählung des Ritters entsprechenden Pantomime allen Gemüthsbewegungen folgen sehen, die er in seine zu: gleich kräftige und energische Sprache übersetzte.

Mit funkelnden oder feuchten Augen verschlang Jehan Froissard jedes Wort; es war, als stellte er sich die Landschaften, den Himmel und die Thaten ganz genau vor, und jede Sache spiegelte sich in seinem gescheiten Blick.

Messire Espaing bebte bei der Erzählung der Schlachten, als hörte er die Clarine Spaniens und die Hornschnecken der Mauren.

Allein in dem dunkelsten Winkel des Zimmers, beobachtete der Knappe des redenden Ritters Stillschweigen und Unbeweglichkeit.

Den Kopf auf die Brust geneigt, während so viele durch das glänzende Wort seines Herrn gefärbte Erinnerungen vorüberzogen, erhob er sich in Augenblicken, wenn man eine von seinen Heldenthaten erzählte, oder wenn sich der Ritter dergestalt belebte, daß ein Wiederaufbrechen des Schmerzes zu befürchten war.

Elf Stunden, die langen Stunden der Nacht gingen so vorüber, oder entflogen vielmehr wie die Funken des Rebfeuers, das das Zimmer erwärmte, wie der Rauch der Lampe und der Wachskerzen, welcher über den Stirnen der Zuhörer wirbelte.

Gegen das Ende der Erzählung waren die Herzen tief beklommen und die Augen feucht.

Sichtbar erschüttert, stieß die Stimme des Ritters von Mauléon gleichsam jeden Satz ab und schraffierte jede Gemüthsbewegung, wie es der Pinselstrich des begeisterten Künstlers thut.

Musaron heftete einen sanften, schwermüthigen Blick auf ihn, legte ihm mit jener Vertraulichkeit, welche mehr an den Diener als an den Freund erinnert, eine Hand auf die Schulter und sprach:

»Stille, gnädiger Herr; genug, genug nun!«

»Oh!« murmelte der Ritter, »diese Asche ist noch nicht erkaltet. Man brennt sich, wenn man sie aufrührt!«

Zwei schwere Thränen rollten über die Wangen des Chronikschreibers, Thränen des Mitleids und der Theilnahme ohne Zweifel, die aber ein schlimmer Geist, der Geist, der stets darauf bedacht ist, die beste Gesinnung der Chronikschreiber und Romandichter anzuschwärzen, seitdem der Freude, eine so schöne Erzählung durch den Helden des Abenteuers vernommen zu haben, zugeschrieben hat.

Als die Geschichte zu Ende war, beleuchtete schon die Sonne den First des Gasthauses und die Gipfel der grünen Waldungen.

Jehan Froissard konnte nun das Gesicht des Ritters sehen, und dieses Gesicht verdiente die ganze Aufmerksamkeit eines Mannes, der die Menschen studirt.

In die verständige, edle Stirne hatte das Nachsinnen oder vielmehr der Kummer eine tiefe Furche gegraben. Schon waren am Winkel der Augen jene auslaufenden Netze sichtbar, welche Fäden bestimmt, das Auge anzuziehen, als wollten sie es gewaltsam vor dem Tod schließen, zu sein scheinen.

Der Blick des Bastards forderte weder Beifall, noch Trost von seinen Zuhörern.

»Die rührende Geschichte!« sagte Froissard, »die schöne Malerei! die reiche Tugend!«

»Im Grabe, im Grabe dies Alles, Meister,« erwiderte der Ritter, »dies Alles ist todt, todt. Dona Aissa, dieses geliebte Haupt ist nicht das einzige, das ich beweinen muß: nicht jede Liebe, nicht jede Freundschaft von mir hat dasselbe Feld gewählt, um sich zu begraben. Wenn dieser,« sprach der Ritter, indem er mit einem zärtlichen Blick seinen an den Rücken seines Stuhles angelehnten Knappen bezeichnete,«wenn dieser, der leider älter ist als ich, die Augen geschlossen hat, habe ich Niemand mehr auf Erden, und beim wahrhaftigen Gott! ich werde fortan Niemand mehr lieben; mein Herz ist todt, Sire Jehan Froissard, weil es in kurzer Zeit zu viel gelebt hat . . . «

«Aber, Gott sei Dank!« unterbrach ihn Musaron mit einer Anstrengung, um seine Stimme, welche die Erschütterung zusammengepreßt hatte, frei und freudig zu machen, »Gott sei Dank! ich befinde mich sehr wohl, mein Arm ist gut, mein Auge fest, ich sende einen Pfeil so fern als früher, und das Pferd ermüdet mich kaum.«

»Herr Ritter,« sprach Froissard, »Ihr erlaubt also meiner unwürdigen Feder, die schönen Thaten und die zarten Mißgeschicke, die ich aus Eurem Munde erfahren, aufzuzeichnen? Ihr erweist mir dadurch eine große Ehre, und es ist für mich eine süße und zugleich bittere Freude.«

Mauléon verbeugte sich.

»Doch um der Liebe Jesu willen, guter Ritter,« fuhr Froissard fort, »verzweifelt nicht. Ihr seid noch jung, Ihr seid schön, Ihr müßt von den Gütern dieser Erde haben, so viel als es für einen edlen Mann und ein edles Herz Bedürfniß ist. An Freunden, fehlt es den braven Leuten nie.«

Der Ritter schüttelte traurig den Kopf. Musaron machte eine Bewegung mit den Schultern, um die ihn der Stoiker Epikter, oder der Zweifler Pyrrho beneidet hätte.

»Wenn man sich,« fuhr Froissard fort, »wenn man sich im Heer durch seine Tapferkeit, im Rathe der Fürsten durch seine Weisheit ausgezeichnet hat, wenn man zugleich der Arm ist, der kräftig vollführt, und der Geist, der sicher entwirft, so wird man aufgesucht; man nähert sich dem Hofe nicht, ohne von seinen Gnadenbezeugungen überströmt zu werden; und Ihr, edler Herr von Mauléon, habt zwei Höfe, welche Euch in Huld zugethan sind und sich um das Vergnügen, Euch reich und mächtig zu machen, streiten . . . Hat Spanien den Vortritt vor Frankreich erhalten? Habt Ihr die Grafschaft jenseits des Gebirgs der Baronie im Vaterlande vorgezogen?«

»Sire Froissard,« erwiderte Mauléon mit großer Ruhe und mit einem schweren Seufzer, »es war eine tiefe Trauer, welche Frankreich am dreizehnten Juli dreizehn-hundert und achtzig bedeckte! An diesem Tage hauchte sich eine Seele zum Herrn aus, und diese Seele war die edelste, die erhabenste, welche in dieser Welt erschienen. Ach! Sire Jehan Froissard, sie streifte meine Brust, als sie von hinnen zog, denn ich hielt den Kopf des tapferen Connetable knieend in meinen Armen, und dieser Kopf erstarrte auf meinem Schooß.«

»Ach!« rief Froissard.

»Ach!« wiederholte Espaing, indem er sich frommer Weise bekreuzte, während Musaron die Stirne faltete, um sich nicht zu merklich bei dieser Erinnerung rühren zu lassen.

»Ja, Messire, als der Connetable Bertrand Duguesclin in Castelneuf de Randon gestorben, als er, der der Gott der Schlachten zu sein schien, todt und das Heer ohne Führer, ohne Oberhaupt war, da fühlte ich mich ohnmächtig werden: ich hatte viel von meinem Leben in das seinige gesetzt, ich hatte alle Fibern meines Herzens so mit ihm verbunden, daß sie mit seinem Herzen unauflöslich verkettet waren.«

»Ihr hattet noch den König Karl den Weisen, Herr Ritter.«

»Ich mußte seinen Tod in dem Augenblick beweinen, wo ich noch den des Connetable beweinte; von diesen zwei Schlägen erhob ich mich nicht mehr. Ich hing das Schwert und die Tartsche an den Balken meines Häuschens auf, das mir mein Oheim vermacht hatte, und begrub hier vier Jahre meinen Schmerz und meiner Erinnerungen . . .«

Eine neue Regierung verjüngte indessen Frankreich ich sah zuweilen freudige Ritter vorüberziehen und hörte die jungen Lieder der Minnesänger ertönen. . . Oh! Messire, welche Schläge versetzten sie meinem Herzen, diese Troubadours, wenn sie über die Pyrenäen zogen und auf die so traurige Melodie der Romanze die spanischen Verse der uns Blanche von Bourbon und Don Federigo, den Großmeister, gemachten Ballade sangen:

 
El rey no me ha contado
Con las virgines, mi roz,
Casstilla, di que te hize!«
 

»Wie! edler Herr, dies Alles brachte Euch nicht wieder in die Nähe des Hofes von Spanien, des Königs Enrique, der so glorreich regierte und Euch so sehr liebte?«

»Herr Chronikschreiber, der Augenblick kam, wo mein armer in Flammen stehender Kopf nur von Spanien träumte. Ich hatte von allen meinen früheren Thaten eine so verschleierte, so traurige Erinnerung behalten, daß ich sie den Folgen eines Traumes zuschreiben konnte. Mein Leben kam mir in der That von einem langen Schlaf durchschnitten vor, und ohne Musaron, der zuweilen zu mir sprach: »»Ja, gnädiger Herr, ja, wir haben Alles, was diese Leute singen, gesehen,«« ohne Musaron, sage ich, hätte ich an einen Zauber geglaubt.

»Jede Nacht träumte ich von Spanien; ich erblickte Toledo wieder und Montiel, die Grotte, wo wir Hafiz sterben sahen, und in der sich Caverley niedergesetzt. Ich sah Burgos und die Herrlichkeiten des Hofes; Soria! Soria! Herr, und die Entzückungen der Liebe. . . Mein Leben verzehrte sich in Wünschen, in Widerstrebungen. Es war ein schlafartiger Zustand, es war Fieber.

»Eines Tages zogen die Trompeter blasend durch die Gegend. Es waren die Heerhaufen von Monseigneur Louis von Bourbon, der sich nach Spanien an den Hof von König Enrique begab, welcher im Krieg mit Portugal besiegt zu werden befürchtete und Frankreich zum Beistande aufgefordert hatte.

»Der Herzog von Bourbon hörte von einem Ritter sprechen, der in dem Lande Spanien gestritten habe und allerlei geheime Dinge von den Zügen der Compagnien wisse. Ich sah die Edelknechte und Ritter zu mir kommen, die meinen Hof füllten und meine Diener ungemein in Erstaunen setzten.

»Ich, ich stand am Fenster und hatte kaum Zeit, hinabzugehen, um dem Prinzen den Steigbügel zu halten. Da befragte mich dieser mit viel Artigkeit über meine Wunde und mein Abenteuer; er wollte den Tod von Don Pedro, meinen Kampf mit dem Mauren erzählen hören; doch ich verbarg ihm Alles, was Dona Aissa betraf.

»Ganz begeistert, bat mich der Herzog, flehte er mich an, ihn zu begleiten; ich befand mich in einem der Augenblicke der Entzückung, wo mir mein Leben wie ein Traum erschien, und dann wollte ich wissen, dann brannte ich vor Begierde, wiederzusehen. Die Trompeten berauschten mich überdies, und Musaron machte mir begehrliche Augen; er hielt schon seine Armbrust in der Hand.

 

»»Auf! Mauléon, auf!«« sprach der Prinz.

»»Gut, also, Monseigneur,«« antwortete ich; »»den König von Spanien wird es auch freuen, mich wiederzusehen.««

»Wir brachen auf, muß ich es sagen? beinahe freudig; ich sollte mich auf die Erde neigen, die mein Blut und das meiner Viel geliebten getrunken hatte . . . Oh! edle Herren, es ist etwas Schönes um die Erinnerung; viele Leute wissen nur einmal zu leben; mit großer Mühe sangen Andere immer wieder die Tage an, die sie schon verloren haben.

»Vierzehn Tage nach dem Aufbruch waren wir in Burgos und nach vierzehn weiteren Tagen in Segovia mit dem Hof.

»Ich sah den König Enrique wieder, der sehr gealtert hatte, aber immer noch gerade und majestätisch war.

Ich wußte nicht, wie ich mir den geheimen Widerwillen erklären sollte, der mich von ihm entfernte, von ihm, den ich so sehr geliebt, in einer Zeit, wo die Tugend mit dem goldenen Glauben mich ihn als edel und unglücklich, das heißt, als vollkommen betrachten ließ . . . Als ich ihn wiederfand, las ich die Grausamkeit, die Falschheit in seinem Gesicht.

»»Ach!« sagte ich zu mir selbst, »es ist also die Krone, was das Antlitz und die Seele verändert.«

»Es war nicht die Krone, was Enrique verändert hatte, es war mein Gesicht, das unter dem Schatten der Krone zu lesen wußte! Das Erste, was der König dem Herzog in Segovia im Thurm zeigte, war ein eiserner Käsig, in welchem die Söhne von Don Pedro und Maria Padilla eingeschlossen waren. . . Unglückliche, welche, bleich und ausgehungert, in dem engen Raum ihres Gitters heranwuchsen, beständig bedroht von dem Spieße einer Schildwache, stets verletzt durch das wilde Lächeln eines Gefangenenwärters oder eines Besuches.

»Das eine von diesen Kindern, meine edlen Herren, glich wie ein getreues Portrait seinem unglücklichen Vater. Es heftete Blicke auf mich, die mein Herz durchbohrten, als ob die Seele von Don Pedro sich in diesen Leib geflüchtet hätte, und Alles wissend, mir seinen Tod und das Unglück seines Geschlechtes stillschweigend zum Vorwurf gemacht hätte.

»Dieses Kind, oder vielmehr dieser junge Mann, wußte jedoch nichts von mir und kannte mich nicht; er schaute mich ohne Zweck, ohne Absicht an, aber mein Gewissen sprach eben so viel, als das von Enrique wenig sprach.

»Dieser Fürst nahm den Herzog von Bourbon in der That bei der Hand, führte ihn zu dem Käfig und sagte:

»»Das sind die Kinder desjenigen, welcher Eure Schwester tödten ließ. Wollt Ihr sie auch sterben lassen, so gebe ich sie Euch preis,««

»Worauf der Herzog antwortete:

»»Sire, die Kinder sind nicht schuldig an den Verbrechen der Eltern.««

»Ich sah den König die Stirne falten und Befehl geben, daß man den Käfig wieder schließe.«

Gern hätte ich den braven Herrn Herzog umarmt.

Als Monseigneur mich nach dem Spaziergang dem König vorstellen wollte, der mich mit großer Aufmerksamkeit angeschaut hatte, erwiderte ich auch:

»»Nein, nein, ich wäre nicht im Stande, mit ihm zu sprechen.««

»Aber der König hatte mich erkannt. Er ging vor dem ganzen Hose auf mich zu, begrüßte mich bei meinem Namen, was mich unter allen andern Umständen vor Freude und Stolz weinen gemacht hätte, und sagte:

»»Herr Ritter, ich habe ein Versprechen gegen Euch zu erfüllen; erinnert mich daran.««

»»Nein, nein, Sire,«« stammelte ich, »»ich weiß nichts davon.««

»»So werde ich morgen für Euch sprechen,« erwiderte der König mit einem freundlichen Lächeln, das mich seinen grausamen Blick gegen die gefangenen Kinder nicht vergessen ließ.

»Doch ich wartete diesen morgigen Tag nicht ab. Mit der Erlaubniß des Herzogs brach ich auf der Stelle nach Frankreich auf, und verweilte in Spanien nur noch eine Viertelstunde, um mein Gebet auf dem Grabe von Aissa beim Schloß Montiel zu sprechen.

»Arm sind wir ausgezogen, der brave Musaron und ich; arm sind wir heimgekehrt, während Andere reich zurückgekommen wären. Das ist das Ende der Geschichte, Herr Chronikschreiber. Fügt dem bei, daß ich geduldig den Tod erwarte, denn er muß mich mit meinen Freunden wiedervereinigen.

«Ich habe so eben meine alljährliche Pilgerfahrt nach dem Grabe meines Oheims gemacht und kehre nach meinem Hause zurück. Kommt Ihr dort vorüber, meine Herren, so werdet Ihr wohl aufgenommen sein und mir eine Ehre erweisen . . . Es ist ein kleines Castell von Backstein und Kieseln gebaut: es hat zwei Thürme und ein Wald beherrscht es. Jeder in der Gegend wird es Euch bezeichnen.«

Nachdem Agenor von Mauléon so gesprochen, grüßte er höflich Jehan Froissard und Espaing, verlangte sein Pferd und schlug langsam, ruhig wieder den Weg nach seinem Hause ein, gefolgt von Musaron, der die Rechnung bezahlt hatte.

»Ah!« sprach Espaing, während er ihn weg reiten sah, »welche herrliche Gelegenheit hatten diese Männer nicht! Die schöne Zeit! die edlen Herzen! . . .«

»Ich werde acht Tage brauchen, um dies Alles niederzuschreiben,« sagte Froissard zu sich selbst; »der gute Ritter hatte Recht . . . und dann, werde ich es auch so gut schreiben, als er es erzählt hat?«

Einige Zeit nachher starben die zwei Kinder von Don Pedro und Maria Padilla, schön wie ihre Mutter und stolz wie ihr Vater, in dem Käfig von Segovia. Enrique von Transtamare regierte indessen glücklich und gründete eine Dynastie.

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