Die Habsburger

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Die Habsburger
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Albert Stähli

DIE HABSBURGER

Eine Dynastie prägt Europas Geschichte


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


© FAZIT Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch

Frankenallee 71 – 81

60327 Frankfurt am Main

Umschlag: Nina Hegemann, Frankfurt am Main

Satz: Wolfgang Barus, Frankfurt am Main

1. Auflage

Frankfurt am Main 2020

eISBN 978-3-96251-100-5

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Für Nada, Esther und Thoma

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Der Aufstieg der Habsburger

Von den Anfängen in der Schweiz bis Rudolf I

Kapitel 2

Felix Austria

Der lange Weg zur Vormachtstellung: von Albrecht I bis Maximilian I

Kapitel 3

Herrscher über ein Weltreich

Die spanische Linie

Kapitel 4

Kampf für Krone und Katholizismus

Die österreichische Linie

Kapitel 5

Heilige Allianzen in unruhigen Zeiten

Zwei Staatsmänner gegen Liberalismus und Nationalismus

Kapitel 6

Kunst und Wissenschaft

Die Habsburger als Mäzene und Vorreiter der Wissenskultur

Kapitel 7

Was wir von den Habsburgern lernen können

Epilog

Abbildungsnachweise

Literatur

Der Autor

Prolog

Die Geschichte Europas gründet auf Burgen, Schlössern und Büchern. Insofern ist dieses Buch ein wahrhaft europäisches, denn die Geschichte der darin ins Heute zurückgeholten Dynastie beginnt auf einer Burg im schweizerischen Aargau und endet in Schloss Schönbrunn in Wien. Genau genommen beginnt und endet sie im schweizerischen Muri. Dort hat vor eintausend Jahren ein Stammvater der Habsburger ein Kloster gestiftet, und als hätte er’s mitfühlend vorhergesehen, liegt nun im Schutze seines Altars das Herz des letzten Kaisers und Königs von Österreich-Ungarn begraben.

Seit dem Mittelalter stellten die Habsburger die römischdeutschen Könige und die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sowie weitere hundert Jahre die Kaiser von Österreich. Es ist nicht übertrieben zu sagen: Das Haus Habsburg hat die Geschichte Europas geprägt. Dank mehr als einmal strategisch geplanter Erbfälle, Entschlossenheit und ihrer im Motto Europas in varietate concordia zum Ausdruck kommender Integrationsfähigkeit gehören die Habsburger zu den wenigen Dynastien, die in der Alten wie in der Neuen Welt und sogar im Fernen Osten ihre Spuren hinterlassen haben. Was Karl von Habsburg, geboren 1961 und amtierender Chef des Hauses Habsburg (2020), auf den denkbar kürzesten Nenner bringt: „Über Jahrhunderte waren Vertreter meiner Familie in führenden politischen Positionen in Europa (kurzfristig auch in Lateinamerika) tätig.“

„Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate.“ Diese berühmte Abwandlung eines Verses von Ovid führt den Erfolg der Habsburger auf ihre geschickte Heiratspolitik zurück. Und es stimmt ja auch: Bereits im Kindesalter wurden die jungen Erzherzoge und Erzherzoginnen mit den Sprösslingen anderer Herrschergeschlechter vermählt, auf dass ein günstiges Geschick den weiteren Ausbau des Hauses Habsburg befördern möge … Doch auch von nicht blaublütig Geborenen forderte die Macht des felix Austria ihren Tribut. Neben Hochzeiten waren Kriege ein selbstverständlicher Teil der habsburgischen Politik.

Unter der Führung des Hauses Habsburg wurde Österreich im ausgehenden 18. Jahrhundert zum hartnäckigsten Gegner des revolutionären Frankreich. Nach dem Sieg über Kaiser Napoléon wurde das Land unter Staatskanzler Fürst von Metternich zum Hauptträger der neuen, auf dem Wiener Kongress festgelegten europäischen Ordnung. Doch auch er konnte die Revolutionen von 1848 nicht verhindern. Sie erschütterten das kontinentale Gefüge ebenso wie die Säulen der habsburgischen Macht. Das Glück kehrte Österreich-Ungarn den Rücken. Schuld daran waren der große Metternich und ein Habsburger, der die geistigen Fesseln seiner Herkunft nicht sprengen konnte. So entluden sich die nationalen Ressentiments in der großen Völkerschlacht des Ersten Weltkriegs. Mit dem letzten österreichischen Kaiser Karl I endeten die Monarchie und die Herrschaft der Habsburger.

In diesem Buch zeichne ich nach, auf welche Weise die Habsburger fast 700 Jahre (in) Europa regiert haben. Ich frage aber auch, ob und gegebenenfalls was wir daraus für unsere heutigen Führungstätigkeiten lernen können. Die Antwort gibt, wie in allen meinen Büchern, das letzte Kapitel. Wer wie ich historische Geschehnisse vor dem Hintergrund der Gegenwart analysiert, wird mir beipflichten, dass die Laufrichtung der Geschichte vornehmlich von den Handlungen der beteiligten Akteure – Kaiser, Könige, Kanzler, Generäle – bestimmt wird. In der Gegenwart treffen wir die Entscheidungen. In der Regel haben wir eine Auswahl an Optionen und bilden unser Urteil auf der Grundlage von Informationen. Mit diesem Buch möchte ich erneut dazu anregen, auch die Vergangenheit zum Teil des relevanten Sets an Informationen zu machen. Denn, um mit den Worten des Philosophen Odo Marquardt zu argumentieren: „Zukunft braucht Herkunft.“

KAPITEL 1
Der Aufstieg der Habsburger

Von den Anfängen in der Schweiz bis Rudolf I

Am rechten Ufer der March, einem Nebenfluss der Donau in Niederösterreich, entscheidet sich am 26. August 1278 das Schicksal zweier Könige. Der eine wird den Grundstein für eine der mächtigsten Herrscherdynastien Europas legen. Der andere wird diesen Tag nicht überleben.

Doch das wissen weder der römisch-deutsche König Rudolf I aus dem Hause Habsburg noch sein mächtiger Widersacher, Böhmens König Ottokar II Přemysl. Ottokar, der den König trotz päpstlicher Entscheidung nicht anerkennt, ist zugleich Markgraf von Mähren und Herzog von Österreich, der Steiermark, Kärnten und Krain – Gebiete, die schon bald untrennbar mit dem Namen Habsburg verbunden sein werden. Beide Befehlshaber sind mit ihren gepanzerten Reitersoldaten aufmarschiert und lauern auf das Signal zum Angriff.

„Die Kräfteverhältnisse dürften ziemlich ausgeglichen gewesen sein“, interpretiert der Historiker Karl-Friedrich Krieger die spärlich überlieferten Berichte von Augenzeugen des Geschehens. „Ottokar verfügte zwar über eine beträchtliche Übermacht an schweren Panzerreitern, dagegen konnte Rudolf mit den Kumanenverbänden (die Avantgarde, d. Verf.) des ungarischen Heeres stark überlegene leichte Reitertruppen ins Feld führen.“ (2003, S. 148)

Das Areal zwischen den Dörfern Dürnkrut und Jedenspeigen eignet sich ideal für eine Reiterschlacht. Auf der rechten Seite wird es durch den Fluss begrenzt, links bietet ein Wald scheinbar Schutz vor gegnerischen Manövern an der Flanke. Rudolf I ist eigens aus dem von ihm besetzten Wien hierher gezogen, um seinem Rivalen an dieser Stelle entgegenzutreten. Er ist es auch, der die Schlacht eröffnet, in dem er die leichten berittenen Bogenschützen seines ungarischen Verbündeten Ladislaus IV vorschickt, um dem Gegner erste Verluste beizubringen und damit dessen Schlachtordnung durcheinanderzubringen. Nach diesem Ansturm prallen die Ritter der gegnerischen Heere aufeinander. Ottokars Streitmacht ist der seines deutschen Widersachers zahlenmäßig überlegen. Ein blutiger Nahkampf entbrennt, bei dem Rudolf I von seinem Pferd stürzt und dem Tode nahe am Boden bleibt. Nach gut zwei Stunden Kampf scheint die Schlacht entschieden.

 

In diesem Moment bringt eine List die Entscheidung. Vor Kampfbeginn hat Rudolf einen 60 Mann starken Reitertrupp im Wald versteckt. Überdies hat er seinen besten Männern Zurückhaltung befohlen; er will sie in Reserve halten. Nun, im Augenblick der höchsten Not, greift ein zuvor erteilter Befehl des Königs, den erschöpften Gegner sowohl von der Seite als auch im Zentrum anzugreifen. Die Überraschung ist perfekt. Der verzweifelte Versuch Ottokars, den unerwarteten Flankenangriff abzuwehren, wird von den in der Mitte kämpfenden böhmischen Rittern als Rückzugssignal missverstanden. Sie kehren dem Feind den Rücken und fliehen. Das nun folgende Gemetzel, in dem auch Ottokar den Tod findet, zeichnet den Ausgang der Schlacht vor. „Der 26. August des Jahres 1278 ist einer der wichtigsten Tage in Oesterreichs Geschichte, ein Markstein in selber, der Geburtstag des Habsburgischen Oesterreichs“, wird der Offizier und Historiker Wilhelm Edler von Janko 600 Jahre später über die Bedeutung dieser Schlacht schreiben (1878, S. V).

In der Schweiz fängt alles an

Die meisten Stammbäume der Habsburger beginnen mit Rudolf I. Der römisch-deutsche König ist jedoch nicht der Urvater der berühmten Dynastie. Bereits im Hochmittelalter gehörte seine Familie zu den angesehenen Adelshäusern im Südwesten des Reichs. Von dort stammt auch die Fürstendynastie der Staufer, die seit 1138 den Thron innehat. Mit Friedrich I Barbarossa und Friedrich II hat sie zwei der bedeutendsten Kaiser des Mittelalters hervorgebracht.

Die Habsburger sind Parteigänger der Staufer und können in der Schweiz bis ins späte zehnte Jahrhundert zurückverfolgt werden. Ein gewisser Guntram, genannt „der Reiche“, ist der älteste nachweisbare Vorfahre. Vermutlich aus dem Elsass stammend, womöglich ein Nachkomme merowingischer Herzöge, erstrecken sich seine Besitzungen vom Oberrhein bis hinunter ins Aargau. (Stoldt, H.-U., 2010, S. 52) Sein Sohn Radbot stiftet um 1027 gemeinsam mit seinem Bruder, dem Bischof Werner von Straßburg, das Kloster Muri im Aargau. Die dort verfasste Chronik ist für Historiker eine der wichtigsten Quellen der Geschichte der frühen Habsburger.

Doch erst Werner, ein Enkel von Radbot, nennt sich ab dem Jahr 1108 „Graf von Havichsberg“ – ein Hinweis auf die Stammburg des Hauses. „Seit dieser Generation nennt sich das Adelsgeschlecht nach der Burg, die in den darauffolgenden Jahrhunderten zum Inbegriff für ein weltumspannendes Reich wird.“ (Meier, B., 2010, S. 11) Die sogenannte Habichtsburg, deren Bau und Ruine noch heute zu sehen sind, wurde wenige Jahre nach dem Kloster errichtet. Sie liegen etwa 30 Kilometer nördlich von Muri auf dem Wülpelsberg im Juragebirge, zu ihren Füßen der Unterlauf der Aare und der Ort Brugg.

Eine Burg – zwei Geschichten

Gemessen an ihrer prunkvollen Geschichte ist die Stammburg der Habsburger ein überraschend kahles Gemäuer. Die Habichtsburg strahlt weder Glanz aus, noch bietet sie großen Komfort. Um ihre Gründung rankt sich eine Legende (vgl. Meier, B., a. a. O., S. 11 f.): Der Ritter Radbot soll bei der Beizjagd einen abgerichteten Habicht verloren haben. Nach langer Suche findet er ihn auf dem Felsen des Wülpelsbergs. Sofort erkennt Radbot dessen strategisch günstige Lage und beschließt, dort eine Burg zu errichten: die Habichtsburg. Sie wird erstmals im Jahre 1108 als „Havichsberch“ erwähnt. Das lässt jedoch auch eine andere Interpretation des Namens zu, denn das mittelhochdeutsche Wort „hab“ oder „hav“ bedeutet so viel wie „Flussübergang“ oder „Furt“, was sich wiederum auf die Aare beziehen könnte.

Abbildung 1: Burg Habsburg

Der tatsächliche Grund für die Errichtung der Burg am Flussübergang bei Brugg dürfte eine Familienfehde zwischen Radbot und seinem nächstjüngeren Bruder Rudolf gewesen sein. Beide streiten sich um den Besitz im weiter südlichen Muri. Dabei kommt es zur Zerstörung des dortigen Herrenhofes. Wohl auch deshalb gründen Radbot und seine Frau, Ita von Lothringen, das Kloster Muri im Jahr 1027, berichtet Peter Frey über den Stand der Erforschung des Burggeländes. (1986, S. 107)

Und noch eine Geschichte kursiert durch die Zeit (vgl. Meier, B., a. a. O., S. 14): Um die Burg errichten zu können, musste Radbot seinen Bruder oder Schwager, besagten Bischof Werner von Straßburg, um Geld bitten. Dieser gibt es ihm auch und kommt in der Folgezeit in den Aargau, um die Burg in Augenschein zu nehmen. Er findet jedoch nur einen schlichten Turm vor, weshalb er seinen Bruder tadelt. Der kontert den Vorwurf mit der Ankündigung, binnen einer Nacht werde die Burg eine starke Mauer haben. Am nächsten Tag lagern zahlreiche Ritter mit ihren Knechten um den Turm. Radbot zeigt auf die Ritter und belehrt seinen Bruder, dass starke Burgmauern allein keinen Nutzen hätten. Nur eine treue und gut bezahlte Gefolgschaft böte eine wirksame Verteidigung. In einem deutschen Lesebuch des 19. Jahrhunderts war diese Sage in den folgenden Vers gekleidet:

„Da sprach der Bischof: ‚Sicherlich

An solchen Mauern halte Dich:

Nichts ist so fest

Als Treue, die nicht von Dir läßt.

So schütze Habsburg fort und fort

Lebend’ger Mauern starker Hort,

Und herrlich schau’n

Wird’s über alle deutschen Gau’n.“

(Wandruszka, A., 1978, S. 39)

Das Interregnum als Chance für Aufsteiger

Gefolgschaft leisten die Habsburger den Staufern bis zum Schluss. Graf Albrecht IV, der Vater des ersten Habsburgers auf dem römisch-deutschen Königsthron, Rudolf I, dient den Staufern noch als Hauptmann der Stadt Straßburg. Über Rudolfs Mutter, Heilwig von Kyburg, kommen Besitzungen im Thurgau in die Hand der Habsburger. Diese erweiterte Machtbasis wird der 1218 geborene Rudolf geschickt ausnutzen, als sich die Herrschaft der Staufer mit dem Tod Friedrichs II 1250 dem Ende neigt. Es beginnt die Zeit des sogenannten Interregnums.

Die letzten beiden Staufer, Konrad IV (1228–1254) und sein Sohn Konradin (1252–1268), nehmen in Italien ein tragisches Ende. Sie scheitern bei dem Versuch, die Herrschaft über Reichsitalien und das eigenständige Königreich Sizilien wiederherzustellen. Rudolfs Bruder Hartmann bezahlt diese Politik mit dem Leben und stirbt als Gefolgsmann der Staufer in lombardischer Gefangenschaft.

Im Reichsgebiet fehlt nun die ordnende Hand eines Kaisers, der wegen der Bindung des Kaisertums an das Papsttum zwingend der salbenden Hand des Nachfolger Petri bedarf. Zahlreiche Grafen und Herzöge nutzen dessen zeitweilige Absenz, um ihre Territorien auf Kosten der Nachbarn zu erweitern. Zu ihnen gehört auch Graf Rudolf IV, der seinem 1240 auf einem Kreuzzug gestorbenen Vater als Graf von Habsburg folgt. Als Feldherr erwirbt sich Rudolf den Ruf eines „Burgenzerstörers“. Und auch den Konflikt mit dem Bischof von Basel scheut er nicht. Durch seine Ehe mit Gertrud von Hohenberg gewinnt er zudem Gebiete im Elsass. Sein Ehrgeiz ist erwacht, doch richtet der sich weniger auf ihn selbst als auf seinen Namen und den seiner Familie. „Die Vermehrung ihrer Hausmacht und die Schaffung eines erblichen Königtums standen seitdem im Fokus der habsburgischen Politik.“ (Beck, B., 2018, S. 10)

Ein anderer bekannter Fürst, der das Interregnum zur Machterweiterung nutzt, ist Ottokar II. Aufgrund seiner Strenge und seines Reichtums wird er von Zeitgenossen der „Eiserne“ oder „Goldene König“ genannt. Ottokar gewinnt in wenigen Jahren die Herrschaft über Österreich, die Steiermark, Kärnten und Krain sowie die Windische Mark und Friaul. An ihm, so ist er sich sicher, führt bei der nächsten Königswahl im Jahr 1273 kein Weg vorbei. Er betrachtet Rudolf nur als den „armen Graf“ – ein spöttisch gemeintes Diktum, das die Habsburger später gern aufgreifen. Denn so stellt sich ihr Aufstieg umso strahlender dar.

Die Wahl zum römisch-deutschen König

1272 stirbt einer der letzten Gegenkönige des Interregnums. Den einzig verbliebenen Konkurrenten dieser Zeit lehnt Papst Gregor X ab. Und ohne das Plazet des Stellvertreters Gottes auf Erden wird kein König zum Kaiser gekrönt. Die Königsherrschaft wiederum wurzelt im Wahlrecht der Großen des Reichs: „Als christlicher Herrscher, außerdem legitimiert durch Traditionen selbständiger adliger Herrschaft, fungierte der König als unverzichtbarer Garant für die Rechtsordnung und den Reichsverband.“ (Heimann, H.-D., 2009, S. 24) Weil Wirren das Reich zerrütten und die letzten christlichen Bastionen im Heiligen Land in Gefahr sind, drängt der Papst die sieben Kurfürsten zur Wahl eines neuen, mächtigen, einigenden Königs. Mit dem französischen König Philipp III „der Kühne“ und dem böhmischen König Ottokar II stehen zwei einflussreiche Kandidaten bereit.

Doch als die Kurfürsten am 29. September 1273 in Frankfurt am Main zusammenkommen, haben sie ihre eigenen Interessen im Sinn. Sie entscheiden sich für Graf Rudolf von Habsburg. Ihr Kalkül: Er ist mächtig genug, um im Reich wieder Ordnung herzustellen, aber schwächer als die Herrscher Frankreichs und Böhmens. Dennoch trauen sie ihm zu, mit ihrer Unterstützung Ottokar die widerrechtlich angeeigneten Länder zu entreißen und so dessen Macht zu stutzen. Angesichts seines Alters von 55 Jahren wähnen sich die Kurfürsten mit Rudolf I auf der sicheren Seite. Eine Dynastie wie die der Staufer, davon sind sie überzeugt, wird er in der ihm verbleibenden Lebenszeit nicht etablieren können.

Abbildung 2: Rudolf I, römisch-deutscher König

Ganz ohne Zuwendungen dürfte die Wahl freilich nicht gelaufen sein. Die Kurfürsten erhalten Geldbeträge als Aufwandsentschädigung, und zwei von ihnen macht Rudolf zu seinen Schwiegersöhnen. Seine Tochter Mathilde vermählt er mit dem Pfalzgrafen bei Rhein und Herzog von Oberbayern Ludwig II. Herzog Albrecht II von Sachsen erhält die Hand von Rudolfs Tochter Agnes. Später arrangiert Rudolf noch die Hochzeit zwischen seiner Tochter Hedwig und Otto VI, dem Bruder des Markgrafen Otto V von Brandenburg. Ein früher Höhepunkt der legendären Habsburger Heiratspolitik – wir kommen darauf zurück.

„Das entscheidende Jahr für den Aufstieg der Habsburger war 1273“, notiert der österreichische Historiker Karl Vocelka (2010, S. 18). Am 24. Oktober dieses geschichtsträchtigen Jahres wird Rudolf gemeinsam mit seiner Frau in Aachen zum König gekrönt. Wie lange er es sein wird, entscheidet sich im Kampf mit seinem mächtigen Widersacher Ottokar II. Der denkt nicht daran, die Wahl anzuerkennen und sich Rudolf als neuem Lehensherrn zu fügen. Vielmehr versucht er beim Papst die Anerkennung des Habsburgers als ehemaligen Parteigänger der Staufer und damit Gegner des Vatikans zu verhindern. Vergebens. So bahnt sich ein gewaltsamer Konflikt zwischen Rudolf I und Ottokar II an, der erst 1278 mit der Schlacht an der March sein zu Beginn dieses Kapitels beschriebenes Ende finden wird.

Der Konflikt mit Ottokar von Böhmen

„Mit einem Fuß in der Tür der Weltgeschichte war Rudolf energisch genug, sie mit der Schulter ganz aufzustoßen.“ Unbedingte Zielstrebigkeit ist nach Ansicht der amerikanischen Historikerin Dorothy Gies McGuigan (2016, S. 16) der wichtigste Charakterzug des ersten Habsburgers. Im November 1274 versammelt Rudolf in Nürnberg einige Fürsten zum Hoftag. Der beschließt, dass der König alle Gebiete, die während des Interregnums verlorengingen, für das Reich wieder in Besitz nehmen soll. Der Auftrag zielt natürlich auf Ottokar II, der seine Herrschaft inzwischen enorm ausgeweitet hat. Die Eroberung der von ihm annektierten ehemals babenbergischen Herzogtümer Österreich und Steiermark bietet Rudolf zudem die Möglichkeit, seine Hausmacht zu vergrößern, ohne anderen Fürsten Gebiete abnehmen zu müssen. Verstärkt wird die Verlockung durch die Schmach. Denn Ottokar weigert sich beharrlich, Rudolf als neuem König zu huldigen.

Daraufhin verhängt Rudolf die Reichsacht über seinen Widersacher. Sämtliche Lehen, also auch die rechtmäßigen über Böhmen und Mähren, werden Ottokar aberkannt. Dieser selbst wird für vogelfrei erklärt und seine Vasallen damit von ihrem Treueeid entbunden. Der Krieg ist nun unvermeidbar. Im Sommer 1276 bricht Rudolf gemeinsam mit seinen Verbündeten zum Feldzug gegen den böhmischen König auf. Der rechnet mit einem Angriff auf seine Stammlande. Doch überraschend marschiert Rudolf nach Wien und belagert die Stadt. Daraufhin zieht ihm Ottokar entgegen. Die Heere lagern auf den gegenüberliegenden Ufern der Donau. Keiner der beiden wagt den Angriff.

 

Ein Aufstand böhmischer Adliger zwingt Ottokar zum Friedensschluss, um den Zusammenbruch seiner Herrschaft und damit den Verlust ihrer Besitztümer zu verhindern. Demütig muss er sich Rudolf unterwerfen und die Steiermark und seine weiteren Gebietsgewinne während des Interregnums abgeben. Rudolf geht als Sieger vom Platz, Ottokar ist der ohnmächtige Verlierer und sinnt auf Rache. Zwei Jahre später rüstet er erneut zum Krieg.

Zwei Ehen sichern den Frieden

Und so wiederholt sich 1278 die Geschichte. Wieder zieht Rudolf mit einem Heer in Richtung Wien. Diesmal ist er jedoch im Nachteil: Einige seiner einstigen Förderer verweigern ihm die Unterstützung, weil er ihnen zu mächtig geworden ist. Dafür kann Rudolf auf die Waffenhilfe des ungarischen Königs zählen. Der schließt sich ihm auf dem Weg zum Marchfeld an. Dort findet König Ottokars Glück durch Rudolfs taktische List sein Ende.

Sich im Moment des militärischen Sieges politisch zu mäßigen, um langfristig den Frieden zu sichern, gehört zu den Fähigkeiten kluger Staatsmänner. Dank seines Sieges bei Dürnkrut könnte Rudolf seinen Besitz erheblich erweitern – um Österreich, die Steiermark und um Böhmen und Mähren, deren Vasall tot auf dem Schlachtfeld liegt.

Doch damit würde Rudolf noch bedeutender als Ottokar auf dessen Zenit werden. Der König weiß, dass er mit einer Landnahme die starken Kurfürsten gegen sich aufbringen und das empfindliche Machtgefüge im Reich aus dem Gleichgewicht bringen würde. Daher einigt er sich mit Kunigunde von Halitsch, der Witwe Ottokars, und Wenzel II, ihrem minderjährigen Sohn und Thronfolger der Přemysliden, auf eine diplomatische Lösung: Der siebenjährige Wenzel darf Böhmen und Mähren als Lehen behalten und wird mit Rudolfs gleichaltriger Tochter Guta von Habsburg verlobt. Erst Jahre später, 1285, wird die Braut ihrem künftigen Gatten zugeführt. Der erhält als Hochzeitsgabe die Burg und Stadt Eger als Reichslehen. Rudolf gelingt es mit dieser Eheschließung, gleich vier Kurfürsten – die Herren von Oberbayern, Sachsen, Brandenburg und Böhmen – als Schwiegersöhne zu gewinnen. Damit ist deren Loyalität zu den Habsburgern gesichert.

In die Richtung seines unterlegenen Rivalen zieht Rudolf noch eine weitere Sicherheitsleine ein. Ottokars Tochter, Agnes von Böhmen, wird Rudolfs jüngstem Sohn, Rudolf II, versprochen. Auch die beiden sind noch minderjährig, weshalb sie erst im März 1289 vor den Traualtar treten. Der Ehe entstammt ein Sohn, der berüchtigte Johann „Parricida“, der später Albrecht I, den zweiten Habsburger, auf dem Königsthron ermorden wird (siehe Seite 35).

Der Gewinn Österreichs

Weniger Zurückhaltung übt Rudolf I bei den Gebieten, die Ottokar II bereits zwei Jahre vor seiner Niederlage auf dem Marchfeld abtreten musste. Das bereits 1156 zum Herzogtum erhobene Österreich und die Steiermark sind ein wohlbestelltes Feld, was vor allem an den Babenbergern liegt, deren letzter männlicher Vertreter 1246 in einer Schlacht gegen die Ungarn den Tod gefunden hat. Dieses österreichisches Markgrafen- und Herzogsgeschlecht hat aus der umkämpften Region an der südöstlichen Grenze des Reiches ein geschlossenes Gebiet geformt.

Nach seinem Sieg über Ottokar II übernimmt Rudolf de facto die Macht in Österreich und der Steiermark, in Krain und der Windischen Mark. Damit werden aus den Grafen von Habsburg nunmehr Herzöge – eine ebenso verdiente wie willkommene Rangerhöhung für die Familie. Bezahlt macht sich nun auch Rudolfs Heiratspolitik. Auf dem Reichstag von Augsburg am 27. Dezember 1282 erhält sein Vorschlag die Zustimmung, seine beiden Söhne Albrecht und Rudolf mit den Neuerwerbungen zu belehnen.

Das Lehen wird „zur gesamten Hand“ vergeben, das heißt, die Gebiete bleiben zwischen den Söhnen ungeteilt. In der „Rheinfelder Hausordnung“ legt Rudolf fest, dass der ältere Sohn Albrecht alleiniger Regent der Gebiete wird. Das sorgt für handfesten Streit innerhalb der Familie, der Jahre später in der Bluttat von Johann „Parrecida“ gegen seinen Onkel gipfelt.

Um den Bogen nicht zu überspannen, gibt Rudolf seinem wichtigsten Verbündeten, dem Grafen von Görz, die Region Kärnten zum Lehen. Auch die Krain überlässt er ihm als Pfand. Nach dem Aussterben der Görzer fallen diese Gebiete rund 50 Jahre später kampflos an das Haus Habsburg zurück. Mit dieser territorialen Neuordnung verschiebt sich die Machtbasis der Habsburger vom Südwesten in den Südosten des Reiches.

Von den Österreichern werden Rudolf und seine Nachkommen zunächst als Schwaben betrachtet. Es wird einige Generationen dauern, ehe die Habsburger dort wirklich heimisch werden. „Rudolf von Habsburg … fühlte sich aber noch nicht als ‚Österreicher‘, sondern sein Blick galt vornehmlich dem Reich“, urteilt denn auch der Biograph Gerhard Hartmann über Rudolf I (2013, S. 104).

Die letzten Jahre des Königs

Im Südwesten des Reiches scheitert Rudolfs Versuch, das frühere staufische Herzogtum Schwaben zu erneuern. Den Widerstand mächtiger Territorialfürsten wie den des Grafen von Württemberg kann er nicht brechen. Auch in den übrigen Gebieten versucht Rudolf, den Frieden im Reich wiederherzustellen. Mit harter Hand greift er in lokale Konflikte ein – doch nicht immer mit Erfolg.

Das zeigt, wie unterschiedlich die Entwicklung im Heiligen Römischen Reich im Vergleich zu der in Frankreich und England verläuft. Zwar müssen sich die Könige dort ebenfalls mit mächtigen Baronen und Fürsten auseinandersetzen, doch ihre Stellung ist ungleich stärker. Sie verfügen über größere Geldmittel und Machtinstrumente. Da hilft es dem römisch-deutschen König wenig, dass er nominell als designierter Kaiser über ihnen steht.

Zum Kaiser würde sich Rudolf I nur zu gern vom Papst krönen lassen. Doch von welchem? In die 18 Herrschaftsjahre von Rudolf fallen nicht weniger als acht Päpste. Sie üben ihr Pontifikat zum Teil nur wenige Monate aus. Das ist einer der Gründe, warum Rudolf von Kriegsabenteuern in Italien absieht. Denn die haben die Staufer in dem Konflikt mit dem Vatikan schließlich zu Fall gebracht.

Im Gegensatz zu ihnen sucht Rudolf die Aussöhnung mit dem Papst. Als ehemaliger Parteigänger der Staufer muss er sich freilich beim Heiligen Stuhl unablässig um Glaubwürdigkeit bemühen. Und sich zudem für die Krönung nach Rom begeben, das heißt, mitten durch ein feindlich gesinntes Nord- und Mittelitalien ziehen. Obwohl es drei Mal gelingt, sich auf einen Krönungstermin zu einigen, bleibt der Habsburger in dieser Hinsicht glücklos. Mal stirbt der Papst zur Unzeit, und der Nachfolger muss erst wieder überzeugt werden. Mal verhindern Kriegszüge seine Reise nach Rom.

Und noch ein weiteres dynastisches Vorhaben Rudolfs scheitert: Es gelingt ihm nicht, seinen Sohn Albrecht zu Lebzeiten zum Nachfolger wählen zu lassen. Dieser dünkt den auf Autonomie bedachten Kurfürsten aufgrund seiner österreichischen Hausmacht schon zu mächtig. Albrecht wird erst später den Thron besteigen.

Rudolfs Tod – das Ende vom Anfang

Im Februar 1281 stirbt Rudolfs langjährige Gemahlin Gertrud von Hohenberg, die sich seit der Krönung 1273 Anna von Habsburg nennt. Im Alter von 66 Jahren tritt der König ein zweites Mal vor den Traualtar. Seine Braut ist die erst 14-jährige Agnes (Isabella) von Burgund. Die 1284 geschlossene Ehe ist ein politisches Zweckbündnis, um dem französischen Expansionsdrang an der Westgrenze des Reiches Einhalt zu gebieten. Kinder entspringen dieser Ehe nicht.

Einen Tag vor seinem Tod am 15. Juli 1291 zieht der 73-jährige Rudolf in Speyer ein. Es ist ein zutiefst symbolischer Akt, denn im Kaiserdom der Stadt ruhen die sterblichen Reste der Herrscher der salisch-staufischen Dynastie. Indem er sich neben ihnen begraben lässt, stellt Rudolf sich und die Habsburger in diese Herrschertradition.

Die noch erhaltene Grabplatte zeigt ein realistisches Abbild des römisch-deutschen Königs. Es wird zu Lebzeiten des Königs angefertigt und ist daher nicht nur künstlerisch von großem Interesse. Die Skulptur zeigt einen großen, hageren Mann und verbirgt auch nicht Rudolfs gewaltige, scharf geschnittene Nase. Für die wird er sein ganzes Leben lang verspottet. Doch Rudolf ist weder eitel noch prunksüchtig, sondern bescheiden, geradlinig und fromm. Sein Biograf Oswald Redlich (1903, S. 154) beschreibt ihn so: „Sein Grundzug ist die einfache Schlichtheit eines überlegenen Geistes, der unverzagte Frohmut einer willenskräftigen Natur. … Er lebt auch als König ohne Prunk, mässig, verabscheut jegliche Schwelgerei …“. Wohl auch deshalb ist er auf seiner Grabplatte nicht im kaiserlichen Staat, sondern in einem schlichten Gewand zu sehen.

Auch wenn es ihm nicht gelang, seinen Sohn als Nachfolger im Amt durchzusetzen, so hat Rudolf doch „mit Beharrlichkeit den Grundstein für den Aufstieg des Hauses Habsburg gelegt“, fasst Gerhard Hartmann die Bedeutung von Rudolf I zusammen. (2013, S. 104) Sein Sohn Albrecht wird sich ebenfalls gegen einen Widersacher behaupten müssen. Doch er kann dies, anders als sein Vater, aus einer Position der Stärke heraus tun. Und erneut wird ein König tot auf dem Schlachtfeld zurückbleiben.

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