"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25)

Text
Aus der Reihe: Forschung zur Bibel #124
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25)
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Forschung zur Bibel Band 124

Begründet von Rudolf Schnackenburg und Josef Schreiner Herausgegeben von Georg Fischer und Thomas Söding


forschung zur bibel


Alban Rüttenauer

„Und ihr Wollt das Land besitzen?“

(Ez 33,25)

Ezechiels Umgang

mit repräsentativen Redensarten


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Druck und Bindung: Difo-Druck GmbH, Bamberg ISBN 978-3-429-03384-2 (print)

978-3-429-06008-4 (epub)

978-3-429-03385-9 (pdf)

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde dankenswerter Weise im Sommer 2010 von der Universität Augsburg als Dissertation angenommen.

Erste Anregung einer näheren Beschäftigung mit Ezechiel erhielt ich durch Prof. Dr. P. Bovati vom Bibelinstitut in Rom, der meine Lizenziatsarbeit über Ez 18 begleitete mit der wichtigen Redensart in 18,2. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Fr. Sedlmeier verdanke ich den Anstoß, die Aufmerksamkeit nun auf alle Redensarten bei Ezechiel auszudehnen und zu konzentrieren. Ich habe ihm herzlichen Dank zu sagen für so viele weiterführende Ratschläge bei der methodischen Durchführung der Arbeit, die sich als nur zu fruchtbar erweisen sollten. Zu diesen Früchten zählt neben anderen Überraschungen, daß sich erst im Verlauf der Arbeit das Thema Land als ein zentraler Bezugspunkt der Redensarten herauskristallisierte. Ich danke Prof. Dr. J. Pichler für das Zweitgutachten und Prof. Dr. Georg Fischer SJ für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Forschung zur Bibel“.

Dank zu sagen habe ich aber auch meinen Eltern, die mir beim Korrekturlesen und bei der Vorbereitung für den Druck sehr behilflich waren. Der Pallottinergemeinschaft danke ich besonders in der Person von P. Steffen Brühl SAC, der auch in einer Zeit, wo das Geld knapp ist, den Druckkostenvorschuß für mich bereitzustellen wußte.

Zu guter Letzt sei auch Sr. Theresita Solchenberger vom Dritten Orden der Franziskanerinnen genannt, stellvertretend für all diejenigen, die mir durch ihr Gebet und andere Unterstützung während der Zeit den Rücken gestärkt haben. So hat auch der Eine-Welt-Laden von Friedberg mich immer ausgiebig durch freundlich lächelnde Damen mit dem erstklassigen Doping-Mittel eines gerecht gehandelten Kaffes versorgt.

Der größte Dank gebührt Gott selbst, der es nie unterließ, mir mit den stillen mitternächtlichen Strahlen des Mondes auch durch dichtestes textkritisches Gestrüpp hindurch tröstliche Botschaften in die Pallottinerbibliothek zu Friedberg zu schicken.

Vallendar, im Februar 2011

Alban Rüttenauer SAC

Meinen Eltern Walburga und Bernhard

INHALTSVERZEICHNIS

A. EINLEITUNG

1. Einzelheiten

1. a) Schriftbild

1. b) Abkürzungen.

2. Einführung in die Thematik

3. Methodische Überlegungen

3. a) Synchronie, sofern diachron reflektiert.

3. b) Synchronie als solche.

3. c) Diachronie reflektierende Synchronie.

B. DIE EINZELNEN SPRÜCHE

1. Die Wirklichkeit Gottes in der Sichtweise der Menschen: 8,12

1. a) Rahmenhandlung und Gliederung von Kap. 8 - 11

1. b) Kontext von 8,12 in Kap. 8

1. c) Text und Übersetzung von 8,12

1. d) Analyse von 8,12

1. e) Exkurs: Die Bedeutung von „Sehen“ im Buch Ezechiel

1. f) Die Sinnkrise des Volkes

2. Die Wirklichkeit der Menschen in der Sichtweise Gottes: 9,9

2. a) Kontext in Kap. 9

2. b) Text und Übersetzung von 9,9

2. c) Analyse von 9,9

2. d) Exkurs: Ez 7-9 und priesterschriftlicher Flutprolog Gen 6,11-13

2. e) Analyse von 9,9 Fortsetzung

2. f) Verantwortungslosigkeit in der Krise

3. Geheime Intrige am Tor: 11,2-3

3. a) Kontext in 11,1-12

3. b) Text und Übersetzung von 11,2-3

3. c) Analyse von 11,2-3

3. d) Historische Bezüge

3. e) Jahwekrieg gegen Intrige

4. Falsche Zuversicht aus mißverstandener Tempelnähe: 11,15

4. a) Kontext in 11,13-21

4. b) Text und Übersetzung von 11,15

4. c) Analyse von 11,15

4. d) Der mitgehende Gott und das Geschenk seiner Nähe

4. e) „Boden Israels“ oder „das Land“? Exkurs zu zwei konkurrierenden Begriffen

5. Die drohende Gefahr einer zweiten Gola: 12,9

5. a) Kontext in Kap. 12

5. b) Text und Übersetzung von 12,9

5. c) Analyse von 12,9

5. d) Ende der Monarchie - Anfang einer neuen Geschichte

6. Zweifel am Eintreffen der Prophetenworte: 12,22

6. a) Kontext in Ez 12

6. b) Text und Übersetzung von 12,22

6. c) Analyse von 12,22

6. d) Zeitbezug der Prophetie als Wortereignis

7. Zweifel am Gegenwartsbezug der Prophetenworte: 12,27

7. a) Kontext von 12,27

7. b) Text und Übersetzung von 12,27

7. c) Analyse von 12,27

7. d) Vergebliches Ausweichen

8. Ungerechtfertigter Anspruch selbsternannter Propheten: 13,6-7

8. a) 13,6-7 im Kontext

 

8. b) Text und Übersetzung von 13,6-7

8. c) Analyse von 13,6-7

8. d) Keine Zugehörigkeit zum Volk ohne gewissenhaften Umgang mit Gott

9. Trügerische Beruhigung durch Propheten: 13,10

9. a) 13,10 im Kontext

9. b) Text und Übersetzung von 13,10

9. c) Analyse von 13,10

9. d) Kühnheit bei Sonnenschein - Fluchtverhalten bei Unwetter

10. Festlegung durch natürliche Verwandtschaft: 16,44

10. a) Kontext in Kap. 16

10. b) Text und Übersetzung von 16,44

10. c) Analyse von 16,44

10. d) Die Schatten der Vergangenheit und der Boden der Tatsachen

11. Schuldverantwortung zwischen den Generationen: Ez 18,2

11. a) Kontext in Kap. 18

11. b) Text und Übersetzung von 18,2

11. c) Analyse 18,2

11. d) Freiheit trotz Bindung

12. Schuldverantwortung in der Familie: Ez 18,19

12. a) Zum Kontext von Ez 18,19

12. b) Text und Übersetzung von 18,19

12. c) Analyse von 18,19

12. d) Nicht die Verwandtschaft definiert den Menschen

13. Anstoß an Gottes Wegen: 18,25-29

13. a) Kontext von 18,25-29

13. b) Text und Übersetzung von 18,25-29

13. c) Analyse von 18,25-29

13. d) Die Freiheit Gottes und die Gedanken der Menschen

14. Preisgabe der Identität: 20,32

14. a) Kontext in Kap. 20

14. b) Text und Übersetzung von 20,32

14. c) Analyse von 20,32

14. d) Selbstbehauptung in Ergebenheit

15. Schwieriger Redestil des Propheten: 21,5

15. a) Kontext im 21. Kapitel

15. b) Text und Übersetzung von 21,5

15. c) Analyse von 21,5

15. d) Prophet im Zwiespalt

16. Das Stöhnen des Propheten: 21,12

16. a) Kontext von 21,12

16. b) Text und Übersetzung 21,12

16. c) Analyse von 21,12

16. d) Kein Entrinnen!

17. Schwacher Hoffnungsschimmer: 21,15

17. a) 21,15 im Kontext

17. b) Text und Übersetzung von 21,15

17. c) Analyse von 21,15

17. d) Wie verläßlich ist ein Hoffnungsschimmer?

18. Falsche Propheten als Mitverschworene der Oberschicht: 22,28

18. a) Kontext in Kap. 22

18. b) Text und Übersetzung von 22,28

18. c) Analyse von 22,28

18. d) Fortschreitende Verwahrlosung der Gesellschaft

19. Trauerunfähigkeit des Propheten: 24,19

19. a) Kontext in Kap. 24

19. b) Text und Übersetzung von 24,19

19. c) Analyse von 24,19

19. d) Vorweggenommenes Schicksal der Familien

20. Identitätsverlust aus Sicht der Nachbarvölker: 25,8

20. a) Im Kontext der Fremdvölkersprüche

20. b) 25,8 im Kontext von Kap. 25

20. c) 25,8: Text und Übersetzung

20. d) Analyse von 25,8

20. e) Abweisung von Neid und Schadenfreude

21. Wirtschaftliche Profitgier: 26,2

21. a) 26,2 im Kontext

21. b) Text und Übersetzung von 26,2

21. c) Analyse von 26,2.

21. d) Schutz vor rücksichtslosem Profitstreben

22. Gefährliche Selbstgefälligkeit: 27,3

22. a) Kontext von 27,3

22. b) Text und Übersetzung von 27,3

22. c) Analyse von 27,3

22. d) Schönheit und ihre Kehrseite

23. Verhängnisvolle Selbstvergottung: 28,2

23. a) Kontext in Kap. 28

23. b) Text und Übersetzung von 28,2

23. c) Analyse von 28,2

23. d) Abfahrt statt Auffahrt

24. Angemaßte Selbsterschaffung: 29,3

24. a) Kontext in Kap. 29

24. b) Text und Übersetzung von 29,3

24. c) Analyse von 29,3

24. d) Seinsverlust statt Selbsterschaffung

25. Rückhaltloses Schuldbekenntnis und tiefe Resignation: Ez 33,10

25. a) Kap. 33 als Prolog zu den Heilsworten

25. b) Interner Aufbau und Charakter des 33. Kap.

25. c) Kontext von 33,10

25. d) Text und Übersetzung von 33,10

25. e) Analyse von 33,10

25. f) Lern- und Leidensfähigkeit der Exulanten

25. g) Entscheidung zur Freiheit statt Resignation

26. Erneuter Anstoß an Gottes Wegen: 33,17-20

26. a) Kontext von 33,17-20

26. b) Text und Übersetzung von 33,17-20

26. c) Analyse von 33,17-20

26. d) Das Angebot zur Umkehr

27. Unerschütterbares Selbstbewußtsein: 33,24

27. a) Kontext von 33,24

27. b) Text und Übersetzung von 33,24

27. c) Analyse von 33,24

27. d) Ethik für Landbesitzer

28. Beachtung des Propheten im Volk : 33,30-32

28. a) Kontext von 33,30-32

28. b) Text und Übersetzung von 33,30-32

28. c) Analyse von 33,30-31

28. d) Ausbleibende Wirkung der Botschaft

28. e) Analyse von 33,32

28. f) Zustimmung ohne Folgen

29. Uneinigkeit als Einladung zu Eroberung: 35,10

29. a) Kontext in Kap. 35

 

29. b) Text und Übersetzung von 35,10

29. c) Analyse von 35,10

29. d) Gefahr im Verzug

30. Das Land als Wüste und Fraß: 35,12

30. a) 35,12 im Kontext

30. b) Text und Übersetzung von 35,12

30. c) Analyse von 35,12

30. d) Immer Näherrücken der Gefahr

31. Die natürlichen Gegebenheiten als Anreiz: 36,2

31. a) Kontext in Kap. 36

31. b) Text und Übersetzung von 36,2

31. c) Analyse von 36,2

31. d) Notwendigkeit von Veränderung

32. Land als Menschenfresser: 36,13

32. a) Kontext in Kap. 36

32. b) Text und Übersetzung von 36,13

32. c) Analyse von 36,13

32. d) Mut zur Veränderung

33. Das Schicksal des Gottesvolkes und die Sicht der Völker: 36,20

33. a) 36,20 im näheren Kontext

33. b) Text und Übersetzung von 36,20

33. c) Analyse von 36,20

33. d) Veränderung durch Ursachen-, statt Symptombehandlung

34. Land als wiederhergestelltes Paradies: 36,35

34. a) 36,35 im Kontext

34. b) Text und Übersetzung von 36,35

34. c) Analyse von 36,35

34. d) Verwandlung durch Veränderung

35. Physisches und moralisches Gestorbensein: 37,11

35. a) Kontext in Kap. 37

35. b) Text und Übersetzung von 37,11

35. c) Analyse von 37,11

35. d) Hoffnung wider alle Hoffnung

36. Einheit und Einigkeit des Volkes: 37, 18

36. a) Kontext in Kap. 37

36. b) Text und Übersetzung von 37,18

36. c) Analyse von 37,18

36. d) Einheit durch Gerechtigkeit

37. Scheinbare Schutzlosigkeit des Volkes: 38,10-12

37. a) Kontext in Kap. 38 - 39

37. b) Text und Übersetzung von 38,10-12

37. c) Analyse von 38,10-12

37. d) Nabel der Erde: Anziehungspunkt und Falle

38. Aussicht auf große Beute: 38,13

38. a) 38,13 im Kontext

38. b) Text und Übersetzung von 38,13

38. c) Analyse von 38,13

38. d) Mitgegangen - Mitgefangen

C. GESAMTAUFBAU DER REDENSARTEN UND IHRE THEOLOGISCHE AUSSAGE

1. Die Redensarten im Zusammenhang des Ezechielbuches

2. Die Entwicklung der Exulanten im Spiegel der Redensarten

3. Aufbau und Zusammenhang der Redensarten untereinander

4. Selbstverständnis und Herrschaftsanspruch im Personengebrauch

5. Theologische Aussage in Hinblick auf Bewältigung der Krise des Exils

6. Ezechiels Heilsdialektik entlang der Redensarten

6. a) Überwindung falschen Widerstandes gegen das auferlegte Schicksal

6. b) Bewahrung der eigenen Identität trotz unerläßlicher Anpassung

6. c) Offenheit für die überraschenden Wege Gottes

D. HAUPTAUSSAGEN DER ARBEIT IN THESEN

E. BIBELSTELLENREGISTER

LITERATURVERZEICHNIS

1. KOMMENTARE zum Buch Ezechiel und zu anderen biblischen Büchern

2. HILFSMITTEL und Textausgaben

3. Monographien und Sammelbände

4. Zeitschriftenartikel, Aufsätze und Wörterbuchartikel

5. Literatur zu aktualisierenden Vergleichen

A. Einleitung
1. Einzelheiten
1. a) Schriftbild

Für das Schriftbild wird nach folgenden Regeln vorgegangen. Es werden:

1. lateinische Ausdrücke, die konsequent lateinisch formuliert sind, klein und kursiv geschrieben;

2. eingedeutschte lateinische Fremdwörter dagegen wie deutsche Wörter behandelt;

3. Bezeichnungen der hebräischen Stammformen (Qal etc.) groß und kursiv geschrieben;

4. im Haupttext für gewöhnlich in Anführungszeichen nur übersetzte Zitate aus der Bibel gegeben;

5. Zitate aus der Sekundärliteratur in die Fußnoten verbannt;

6. bei Literaturangaben Titel von Monographien kursiv, Titel von Zeitschriftenartikeln in Anführungszeichen gesetzt, Einträge aus Wörterbüchern mit voranstehendem <Art.>, Rezensionen mit voranstehendem <Rezension> versehen;

7. in Fußnoten immer nur abgekürzte Titel genannt, mit vollständiger Angabe im Literaturverzeichnis;

8. Versuntergliederungen nach BHt immer kursiv gesetzt;

9. bei Zitierung von zwei hebräischen Wörtern und mehr gewöhnlich eine neue Zeile begonnen, um unangenehme Überraschungen bei Umbrüchen zu vermeiden.

1. b) Abkürzungen.


atalttestamentlich
BHSBiblia Hebraica Stuttgartensia
BHtBiblia Hebraica Transcripta
EzStellenangaben nach Loccumer Richtlinien, bei ausdrücklichem Bezug auf Propheten oder Autor auch Ausschreibung des Namens.
ezezechielisch
FVSFremdvölkersprüche
Impf.Imperfekt
KKetib = Lesart nach überliefertem Konsonantentext
Kap.Kapitel bei biblischen Stellenangaben; sonst ausgeschrieben.
MTMasoretentext (durch die Masoreten genannten jüdischen Gelehrten überlieferter hebräischer bzw. aramäischer Text des sog. AT)
PPriesterschrift
P.Person
Par.Partizip
Perf.Perfekt
Pl.Plural
p967Chester Beatty Papyrus 967
QQetib = von Masoreten vorgeschlagene Lesart
Sg.Singular
Vers(s).Versionen (alte Übersetzungen)

2. Einführung in die Thematik

Im Buch des Propheten Ezechiel kommen immer wieder die Adressaten seiner prophetischen Botschaft - sei es das ganze Volk, einzelne Volksgruppen oder gar fremde Völker - selbst zu Wort, mit einzelnen Aussprüchen oder sprichwortartigen Wendungen. Oft finden sich diese Redensarten, wie sie hier genannt sein sollen, in größeren Einheiten, die als Disputationsworte bezeichnet werden, weil die betreffende Redensart zur kritischen Auseinandersetzung über ein bestimmtes Thema das Stichwort liefert. Sie kommen aber auch in anderen Zusammenhängen vor, die sich nicht als Disputationsworte im strengen Sinn bezeichnen lassen, wo sie Zimmerli als illustrierende Zitate und Fragen der Leute von den Disputationsworten streng unterscheidet.1 In vorliegender Arbeit sollen die Disputationsworte und illustrierenden Zitate unter dem Oberbegriff repräsentative Redensarten zusammengefaßt werden.

In seiner Dissertation über die Zitate im Ezechielbuch führt Clark die Bezeichnung repräsentatives Zitat ein, um einen Mittelbegriff zwischen den sog. authentischen und fiktiven Zitaten zu finden, in der Annahme, daß es rein authentische Zitate im Ezechielbuch wahrscheinlich nicht geben wird.2 Hier wird von einem etwas weiter gefaßten Verständnis des Begriffes ausgegangen, der einige Zitate darunter zu subsumieren erlaubt, die Clark nicht dazugezählt hat. So konnte er sich z.B. nicht vorstellen, daß auch in den FVS befindliche Redensarten repräsentativen Charakter haben. Einem Hinweis Fechters folgend, darf dennoch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß sie etwas von Eigenart und Selbstverständnis der verschiedenen Fremdvölker erkennen lassen, wenn auch aus einem besonderen Blickwinkel heraus.3 Vielleicht dürfen die Bildungs- und Informationsmöglichkeiten, die der Aufenthalt in einem Weltreich, wie dem damaligen Babylon, bot, nicht zu gering veranschlagt werden.4 Clarks Unterscheidung wird jedoch dankbar angenommen, um Stellen wie 26,17-18 und 27,32b-36 aus der Betrachtung auszuklammern, die auschließlich der poetischen Gattung eines Klageliedes entsprechen, ohne geschichtlich reelle Gestalten zu Sprechern zu haben.

Repräsentative Redensarten sind solche, die repräsentativ für die jeweiligen Sprecher stehen, ihren Charakter, ihre Einstellung, ihre Rolle. Repräsentation kann dabei auch den Gedanken der Stellvertretung mit einschließen. Die Redensarten repräsentieren Personen, die nicht unmittelbar anwesend sein müssen oder können. Für die Exilierten stellen sie die Jerusalemer bzw. die Fremdvölker dar. Sie können aber ihrerseits die Exilierten, ihre Stimmungen und Spannungen für das in späteren Zeiten wiederzuvereinende Volk lebendig erhalten wollen. Zukünftige Gestalten wie Gog werden so in die Gegenwart hereingeholt. Vielleicht ist dies der heimliche Grund dafür, daß die Babylonier mit Redensarten erstaunlich unterrepräsentiert sind. Sie waren für die damalige Zeit so allgegenwärtig, daß sie nicht eigens in Szene gebracht werden mußten (vgl. aber Ez 36,20 eine Redensart von den Völkern, zu denen die Israeliten gebracht wurden, ohne Namensnennung). Repräsentation stellt damit eine besondere Form der Verlebendigung dar. Es ist aber nicht so sehr die Verlebendigung einer Szene, als die von Personen und den mit ihnen verbundenen typischen Denk- und Verhaltensmustern. Repräsentative Redensarten, so wie sie hier verstanden werden, umfassen all die Zitate, die nach einer anderen Einteilung Clarks antithetischen oder explanatorischen Charakter tragen. Einen solchen explanatorischen Charakter haben die Verständnisfragen der Leute.5 Ursprünglich war für die gegenwärtige Untersuchung eine Beschränkung auf die antithetischen Redensarten im Sinne Clarks geplant, doch hat sich im Verlauf der vorliegenden Arbeit die kompositionelle Verknüpfung mit den Fragen der Leute zu sehr aufgedrängt, um sie übergehen zu können.

Im Unterschied zu Clark wird hier Ez 16,44 noch zu den antithetischen Redensarten hinzugezählt. Die Redensart scheint mit dem abschätzigen Wort der als Liebhaber vorgestellten Nachbarvölker nur das Urteil über die Braut Jerusalem ergänzen und bestärken zu sollen, der Vergleich mit anderen Redensarten wie 18,2; 20,32 und 25,8 zeigt aber, daß auch sie indirekt zum Widerspruch reizen will, um zu verhindern, daß verwandtschaftliche Beziehung oder unmittelbare Umgebung Freiheit und Berufung der Menschen, die zum erwählten Volk gehören, behindern. 36,35 enthält die einzige aus den mit Clark als citations with supplemental message einzustufenden Redensarten, die hier auch als repräsentative behandelt wird. Sie repäsentiert zukünftige Nachbarvölker, deren Verhalten gegenüber dem Land Israel eine entscheidende Wandlung erfährt. Antithetisch ist daher auch sie, wenn man sie im Vergleich zum früheren Verhalten derselben Völker sieht.

In einem Exkurs seiner den Fremdvölkersprüchen Ezechiels gewidmeten Untersuchung befaßt sich auch Fechter mit der Problematik der Zitate im Ezechielbuch und listet sie unter der Überschrift Zitate von Anderen auf. Ihnen stellt er Zitate von Jahweworten und Zitate von Worten des Propheten gegenüber.6 Der etwas seltsam klingenden Bezeichnung Zitate von Anderen spürt man die Schwierigkeit an, diese Anderen als Urheber der Zitate näher zu bestimmen. Offenbar läßt sich nicht mehr Gemeinsames unter ihnen feststellen, als dies, daß sie von JHWH und dem Propheten gleichermaßen verschieden sind, indem sie als dritte Größe zu ihnen hinzutreten. Diese Schwierigkeit macht auf die Problematik aufmerksam, die Zitate ausschließlich über die Sprecher definieren zu wollen. Deshalb soll hier der andere Weg beschritten werden, sie auch über eine inhaltliche Bestimmung abzugrenzen. Neben dem schon erwähnten repräsentativen Charakter fällt nämlich auch ein gewisser redensartlicher Zug an ihnen auf, Redensart im weitesten Sinne verstanden. Ein völlig adäquates Wort ist auch im Deutschen nicht leicht zu finden. Neben Alternativen, wie Sprichwort oder Redewendung, ist die Entscheidung zuletzt aus vorwiegend pragmatischen Gründen für Redensart gefallen. Diese Bezeichnung läßt viele Unterarten zu und schließt doch zugleich den Zitatcharakter indirekt mit ein. Als Redensart wird hier die typische Deutung einer Situation betrachtet, wie sie von mehreren Personen in unterschiedlichen Situationen gebraucht werden kann. Deshalb hat sie einen verallgemeinernden, mehrdeutigen Charakter, der sie zwar von einer bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit ausgehen, diese aber auch ab einem entscheidenden Punkt bei überzogener Verallgemeinerung verfehlen läßt. In diesem Sinn sind solche Redensarten Äußerungen, wie sie von vornherein nicht im Munde JHWHs oder des wahren Propheten (im Unterschied zu den falschen) zu erwarten sind.

Es werden aus diesem Grunde nur solche Zitate behandelt, die bereits eine Deutung der jeweiligen geschichtlichen Situation enthalten, und nicht bloß eine passive Reaktion darauf. Ausgeschieden wird daher, neben den genannten Zitaten, auch das Zitat in Ez 33,21: Hier übermittelt der Flüchtling nur die geschichtliche Tatsache vom Fall Jerusalems.

Keine Berücksichtigung finden hier auch einzeln stehende Interjektionen, wie das „Ha!“ der Heidenvölker in 25,3, das keine richtige Aussage, sondern nur eine Stimmung wiedergibt.

Viele der hiermit ausgegrenzten Zitate werden dennoch indirekt miteinbezogen werden, da sie oft mit wirklichen Redensarten in kontextueller oder stichwortartiger Verbindung stehen (Vgl. z.B. 25,3 mit 25,8). Nur eine eigene sprachliche Analyse sollen sie nicht erhalten.

Eine einheitliche Bezeichnung für diese Redensarten kann man vom Ezechielbuch selber nicht erwarten. An drei Stellen, 12,22.23 und 18,2, trifft man auf die Bezeichnung - der Maschal - „das Sprichwort“, jeweils auf einen Volksspruch bezogen. Im weiteren Sinn begegnet man dem Ausdruck noch in 14,8; 17,2; 18,2; 21,5 und 24,3. Das entsprechende Verb „sprichworten“ taucht dann noch in 12,23; 16,44; 17,2; 18,2.3; 21,5 (Piel!) und 24,3 auf. Die Verwendung dieses Wortes ist bei Ezechiel so vielfältig wie sonst in der hebräischen Bibel, man könnte aber den Eindruck erwecken, daß eine gewisse negative Bedeutung, etwa im Sinne von Spottvers, vorherrscht. In 12,22-23 und 18,2-3 ist es Gott selbst, der sich jeweils einen Maschal von seiten des Volkes verbittet. In 16,44 liegt ein fingierter Spottvers gegen die Braut Jerusalem vor. In 21,5 ist es umgekehrt das Volk, das sich über den nur in Meschalim redenden Propheten beschwert. Es bleibt dabei offen, ob der Ausdruck sich auf die Schwerverständlichkeit der Bilder bezieht oder vielleicht doch auch auf den drohenden Charakter der Gerichtsbotschaften. Tatsächlich werden einige Prophetenworte mit Drohwortcharakter als Maschal eingeleitet, so in 17,2 und in 24,3. 14,8 läßt Gott Menschen, die, ohne sich warnen und bekehren zu lassen, zum Propheten gehen, um ihn zu befragen, selbst zu Meschalim werden. Dagegen werden die Zeichenhandlungen des Propheten Ez 4,3 als und der Prophet Ezechiel selbst 12,6; 24,24 als (beides = „Zeichen“) und eben nicht als bezeichnet.

Zu den entscheidenden Stilmerkmalen, anhand derer die Redensarten erkenntlich sind, gehört die Einleitung, die ihr jeweils vorausgeht und sie als Zitat kenntlich macht. Sie liefert Informationen zu den Sprechern, zu deren Verhalten und Absichten, aber auch zum allgemeinen Verständnis der Redensarten. Die Urheber der von uns gesuchten Redensarten tragen zumeist kollektiven Charakter, da es zur Natur dieser Redensarten gehört, keine einmaligen Sprachschöpfungen zu sein, sondern von ähnlich gesinnten Personen in vergleichbaren Situationen wiederholt zu werden. Redensarten von Einzelpersonen, bei denen man immer noch einen repräsentativen Charakter heraushört, findet man unter den Fremdvölkersprüchen. Diese Einzelpersonen werden als zuständige Könige, Fürsten o.ä. angesprochen, die für ein zugehöriges Volk verantwortlich sind.

Zitate anderer Menschen sind in Prophetenbüchern oft Zitate von Gegnern der Propheten.7 Die Redensarten im Ezechielbuch könnten auch als Zitate von Gegnern angesprochen werden8, aber mit einem gewissen Unterschied. Die Redensarten liefern zwar Stoff zu leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die von schroffer Ablehnung bis zu sanft mahnender Zurechtweisung reichen, die persönliche Betroffenheit des Propheten tritt jedoch meistens stark hinter seinem Eifer für den gekränkten Gott zurück. Man ahnt, daß den Propheten an den Sprechern mehr das Typische als das Individuell-Historische interessiert. Dadurch erhalten die Redensarten einen Charakter besonderer Art. Sie lassen eine einmalige historische Gelegenheit, bei der sie ursprünglich wahrscheinlich gebraucht wurden, noch eben erkennen und erhalten doch zugleich einen erzählerischen Rahmen, der sie in den Gesamtzusammenhang des Buches einbaut. Dennoch scheint es der Prophet darauf angelegt zu haben, sie als etwas nicht völlig Unbekanntes den Hörer bzw. Leser wiedererkennen zu lassen.

Die Kennzeichnung als Zitat geschieht bei Ezechiel fast immer in der etwas formelhaften Weise über die Wurzel - „sagen“. Das In-Szene-Setzen der Redensarten kann auf unterschiedliche Weise geschehen, je nachdem, ob die Wurzel im Perfekt oder perfectum consecutivum gebraucht wird oder als Partizip auftritt. Zu schematisch erschiene es aber vielleicht, darin nur den Unterschied zwischen Vorzeitigkeit, Gleichzeitigkeit und Nachzeitigkeit ausgedrückt zu sehen.9 Verba dicendi können ohnehin auch im Perfekt die Gleichzeitigkeit bezeichnen.10 Gleichzeitigkeit scheint jedoch aus inhaltlichen Gründen der vorherrschende Fall bei den im Ezechielbuch zitierten Redensarten zu sein, da mit ihnen die gerade herrschenden Stimmungen und Ansichten wiedergegeben werden. Die Redensarten zeichnet ihre relative Kürze aus, die mit Einleitung meist nur einen Vers umspannt. Im Wesentlichen zielen sie auf eine bestimmte Aussage ab, die durch Vergleiche oder Gegensätze hervorgehoben wird.