Buch lesen: «Baphomet»
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Akron: Baphomet – Tarot der Unterwelt
Akron Edition GmbH
ISBN 9783905372441
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© 2009 Akron Edition GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
„Baphomet“ 1992 bei Urania AG, CH-Neuhausen.
Herausgeber: Akron
Umschlagbild: The Spell IV, 1977, komplette Version, gespiegelt
Weitere Bildbearbeitungen: Voenix (S. 38, 315, 316 und 382)
Layout, Satz & Umschlaggestaltung: Medienagentur Holger Kliemannel,
Gesamtherstellung: Prospektus Nyomda, Ungarn
1.digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
ISBN 9783905372441
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
VORWORT
Die Reise in die Unterwelt
HINTERGRUND – 1991/2008
Vom „Crowley-Tarot“ zum „Schöpfervirus“
DIE SIEBEN SIEGEL DES BAPHOMET
Der gehörnte Gott
Der magische Gott
Der sich selbst erkennende Gott
Das geschlossene Buch
Das erste Siegel
Das zweite Siegel
Das dritte Siegel
Das vierte Siegel
Das fünfte Siegel
Das sechste Siegel
Das siebente Siegel
EINFÜHRUNG IN DEN TAROT
Tarot als Modell unserer Hoffnungen und Ängste
Die Synchronizität von Innen und Außen
Die innere Realität
Der äußere Weg
DIE LEGEMETHODEN
Achtung
I Baphomet
Fragestellung
Allegorie (Die Invokation des Baphomet)
Deutung
II Der Grüne Engel
Fragestellung
Allegorie (Der Grüne Engel)
Deutung
III Der Seelenspiegel
Fragestellung
Hintergrund
Deutung
IV Der Schöpfungsknall
Fragestellung
Allegorie (Der Schöpfungsanfang)
Deutung
V Mephistos Hammer
Fragestellung
Allegorie (Der Schöpfungsuntergang)
Deutung
VI Das Nornenrad
Fragestellung
Hintergrund (Die Schicksalsnornen)
Deutung
VII Der Fünfstrahl (Der Entscheidungsweg)
Fragestellung
Hintergrund
Deutung
VIII Der Neunstrahl (Das Beziehungsspiel)
Fragestellung
Hintergrund
Allegorie (Adams Rippe)
Deutung
IX Der Zehnstrahl (Das keltische Kreuz)
Fragestellung
Hintergrund
Deutung
Die Tarot-Meditation
0 DER NARR
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Narren
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
I DER MAGIER
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Magiers
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
II DIE HOHEPRIESTERIN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Hohepriesterin
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
III DIE HERRSCHERIN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Herrscherin
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
IV DER HERRSCHER
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Herrschers
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
V DER HOHEPRIESTER
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Hohepriesters
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
VI DIE LIEBENDEN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Liebenden
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
VII DER WAGEN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Wagens
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
VIII DIE KRAFT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Kraft
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
IX DER EREMIT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Eremiten
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
X DAS SCHICKSALSRAD
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Schicksalsrades
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XI DIE GERECHTIGKEIT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Gerechtigkeit
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XII DIE GEHÄNGTE
Die Karte1
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Gehängten
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XIII DER TOD
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Todes
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XIV DIE ALCHIMIE
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Alchimie
Die 7 Stufen des Werks
1. Kalzination
2. Sublimation
3. Solution
4. Putrefaktion
5. Destillation
6. Fixation
7. Tinktur
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XV DER TEUFEL
Baphomet
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Teufels
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Kurzformel
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
XVI DER TURM
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Turmes
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XVII DER STERN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Sterns
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XVIII DER MOND
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Mondes
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XIX DIE SONNE
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Sonne
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XX DAS GERICHT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Gerichts
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XXI DAS UNIVERSUM
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Universums
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
DER TRÄGER UNIVERSALER ENERGIEN
Das Virus
Was wissen wir über Viren?
∞ DAS SCHÖPFERVIRUS
Die Karte
Das Geheimnis des Lebens – die Viren
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
Ein kleiner Leitfaden durch das Labyrinth der „Baphomet“-Karten
0 DER NARR – Metamorphose
I DER MAGIER – Ich-Durchsetzung
II DIE HOHEPRIESTERIN – Ich-Hingabe
III DIE HERRSCHERIN - Mutterschaft
IV DER HERRSCHER – Recht und Ordnung
V DER HOHEPRIESTER – Die geistige Autorität
VI DIE LIEBENDEN – Die seelische Anziehung
VII DER WAGEN – Sturm und Drang
VIII DIE KRAFT – Sexueller Instinkt
IX DER EREMIT – Die verborgene Wahrheit
X DAS SCHICKSALSRAD – Ursache und Wirkung
XI DIE GERECHTIGKEIT – Das Urteil
XII DIE GEHÄNGTE – Das Opfer
XIII DER TOD – Stirb und werde
XIV DIE ALCHIMIE – Transformation
XV DER TEUFEL – Das Licht der Hölle
XVI DER TURM – Die Illusion der Materie
XVII DER STERN – Illumination
XVIII DER MOND – Der Spiegel der Seele
XIX DIE SONNE – Der schöpferische Weg
XX DAS GERICHT – Zeit und Ewigkeit
XXI DAS UNIVERSUM – Das kosmische Ziel
∞ DAS SCHÖPFERVIRUS – Das implodierte Ich
ENDE UND ANFANG - Das Perpetuum Mobile
Interviews
H. R. Giger – Juli 1995
„… ein Monster ist viel faszinierender, wenn es sich geheimnisvoll darstellt.“
H. R. Giger – Dezember 2001
„Und wenn der Kopf fällt, dann sag’ ich hoppla!“
Akron – September 2002
Seelenführer durch die Unterwelt
Akron – Januar 2003
Magie – entzaubert
Die Karten zum Buch
Dantes Inferno
Der Astroführer durch die Unterwelt
Dantes Inferno
Die Comic-Reihe
Der Akron-Tarot
Voenix
Der Mythen-Tarot
Bilderverzeichnis
Karte/ Werk-Nr./ Titel/ Maße (cm)/ Jahr
0 Der Narr/ 610/ Pumpexcursion 1/ 100 x 70/ 1988
1 Der Magier/ 344/ Spiegelbild/ 100 x 70/ 1977
2 Die Hohepriesterin/ 238/ The Spell II (Teil)/ 240 x 420/ 1974
3 Die Herrscherin/ 251/ Li II/ 200 x 140/ 1974
4 Der Herrscher/ 305/ Safari/ 100 x 70/ 1973-91
5 Der Hohepriester/ 275/ Chidher Grün/ 200 x 140/ 1975
6 Die Liebenden/ 307/ Meister und Margarita/ 100 x 70/ 1976
7 Der Wagen/ 532/ Biomechanoid/ 100 x 70/ 1983
8 Die Kraft/ 622/ Die Kraft/ 100 x 70/ 1992
9 Der Eremit/ 295/ Samurai/ 100 x 70/ 1976
10 Das Schicksalsrad/ 341/ Hexentanz/ 200 x 140/ 1977
11 Die Gerechtigkeit/ 324/ Satan I/ 100 x 70/ 1977
12 Die Gehängte/ 355/ Todgebärmaschine/ 200 x 140/ 1977
13 Der Tod/ 276/ Der Magus/ 200 x 140/ 1975
14 Die Alchimie/ 344a/ The 2nd Celebration/ 100 x 70/ 1976
15 Der Teufel/ 272/ Baphomet/ 200 x 140/ 1975
16 Der Turm/ 255/ Biomechanoid III/ 134 x 103/ 1974
17 Der Stern/ 351/ Katarakt/ 100 x 70/ 1977
18 Der Mond/ 320/ The Spell III (Teil)/ 240 x 280/ 1976
19 Die Sonne/ 235/ Passage XXXII/ 100 x 70/ 1973
20 Das Gericht/ 412/ Vlad Tepes/ 200 x 140/ 1978
21 Das Universum/ 571/ Hyperspace II/ 100 x 70/ 1985
∞ Das Virus/ 331/ The Spell IV (Teil)/ 240 x 420/ 1977
Die 24 Illustrationen am Ende des Buches – „Die 24 Stufen zum Throne Gottes“ – wurden von H. R. Giger 1992 als Bildzyklus zu den mystischen Phantasmagorien der Originalausgabe (Federzeichnung und Airbrush) angefertigt.
Die Bleistiftzeichnungen (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12) wurden von Patricia Cooney im Herbst 2008 zur thematischen Erhellung der Karte „Das Schöpfervirus“ gestaltet.
Im Weiteren bedanken wir uns sehr herzlich bei Marco Witzig und Matthias Belz, die uns liebenswürdigerweise ihr hochwertiges Bildmaterial der Kartenmotive zur Verfügung stellten und damit ganz entscheidend zur Qualität dieser Neuauflage beitrugen.
Warnung
Dieses Buch ist kein Tarot-Buch im üblichen Sinn. Es ist nicht für Menschen geschrieben, die nach der Wahrheit suchen, ohne sich selbst in Frage zu stellen, oder die sich hinter der Maske des „Positiven“ verbergen. Es ist auch nicht für jene da, die sich wie Süchtige auf die Suche nach dem Licht begeben, indem sie den bei sich selbst längst überwunden geglaubten Schatten ausschließlich beim anderen suchen – und finden! Als „Schattentarot“ schlechthin präsentieren Karten und Buch das Panorama einer seelischen und geistigen Unterwelt, die den wahren Schatten im Verdrängen des Schattens – nämlich im „Streben nach Licht“ – erkennbar werden lässt. Denn die Suche nach dem Licht ist in der Tat wie eine Sucht: Die Droge, die einem dabei im Nacken sitzt, ist der Schatten selbst! Demzufolge richtet sich dieses Buch an Menschen, die zuerst herausfinden wollen, warum sie überhaupt die Wahrheit suchen sollen, bevor sie die Wahrheit selbst zu finden versuchen.
VORWORT
Die Reise in die Unterwelt
In den Augen von uns Menschen ist die Welt, in der wir leben, von Polaritäten geprägt. Ob sie es in Wirklichkeit ist, wissen wir allerdings nicht so genau. Doch wir ahnen Schreckliches. Wir ahnen, dass sie in Wirklichkeit eben nicht aus dem Guten und dem Bösen, aus dem Erstrebenswerten und dem Abscheulichen besteht, sondern aus einem ganz anderen Material gestaltet ist.
Was daran so schrecklich ist?
Nun, was gäbe es für die Menschen noch zu tun, wenn das Gute nicht mehr erstrebenswert und das Böse nicht mehr verabscheuungswürdig wäre? Wo könnten wir uns noch engagieren? Welchen Sinn würde das Leben noch für uns haben?
Die Antwort ist: Der Mensch fiele in ein Loch. In ein riesiges, bodenloses, depressives Loch. Es mag sein, am Ende dieses Lochs, in das alles Helle und alles Dunkle gleichermaßen hineingesaugt würde, am Ende des Tunnels steht das Nirwana. Oder die Erleuchtung oder wie dergleichen Karotten vor der Nase des Esels gern genannt werden.
Aber es ist gut, dass wir darüber keine Gewissheit haben. Wir ahnen es, wir vermuten es, wir hoffen es. Aber sobald wir aus dem numinosen Gefühl der Hoffnung heraus wieder ein konkretes Ziel erschaffen, fängt das Spiel der Polarität uns von neuem ein.
Akron würde das so ausdrücken: Gott ist überall. Der einzige Weg für den Esel, ihn nicht zu finden, ist der, aus ihm eine Karotte zu machen.
Wir sehen, die Lage ist hoffnungslos. Wir sind Wesen, die in ihrem eigenen Kopf eingesperrt sind und dort im Kreis herumlaufen. Wir wollen so sehr das Gute und erzeugen doch damit – fast scheint es, auf magische Weise – seinen Gegenpol, das „Böse“. Mehr noch: Wo wir aus der Polarität heraustreten wollen, weil wir das zugrunde liegende seelische Muster durchschauen, da errichten wir uns – vermeintlich jenseits der Polarität – schon wieder eine Welt des Guten, Seligen, Heiligen. Und damit fängt das alte Spiel aufs Neue an! Eine wahrhaft unendliche Geschichte. Das ist die Crux des Menschseins. Es gibt keinen Ausweg. Du kommst da nicht raus!
Akron führt in diesem Zusammenhang Schopenhauer an: Der Mensch kann zwar tun, was er will; aber er kann nicht wollen, was er will.
Was also können wir tun?
Die erste Antwort Akrons lautet: „Vergiss, dass du da herauswillst!“
Solange du noch herauswillst, kreierst du dir aufs Neue eine Karotte und bleibst ein Esel. Zugegeben: ein edler Esel, ein Esel ohne Fehl und Tadel, ein Esel, dessen sämtliche Chakren – mit viel Mühe – bereits rechtsdrehend synchronisiert sind (dank der Chakra-Orgeln!). Aber eben doch ein Esel.
Die zweite Antwort – und ihr sind das vorliegende Buch und die dazugehörigen Karten gewidmet – lautet: „Du hast in deinem Wunsch, aus der Polarität herauszutreten, etwas sehr Wichtiges übersehen.“ Deshalb soll dieses Buch zeigen – oder, bescheidener: andeuten –, welche wichtigen Schritte du bei dieser Arbeit bisher übersehen hast. Ich selbst kann das, was Akron und Giger uns mit ihrem Buch mitzuteilen versuchen, am besten in der Form eines Bildes ausdrücken:
Das Menschsein ist vergleichbar mit einem Haus. Mit einem großen Haus. Schon in der Bibel finden wir die Allegorie des Turmbaus zu Babel. Jenes Haus wurde mit dem erklärten Ziel errichtet, in die Nähe Gottes zu gelangen: „Wohlan“, sagten sie, „lasst uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis zum Himmel reicht. Wir wollen uns einen Namen machen.“ (Genesis 11, 4)
So ist es immer. Immer wollen wir hoch hinaus, um uns einen Namen zu machen. Wir sind alle irgendwie auf dem Weg nach oben. Erinnern wir uns der Darstellungen des babylonischen Turms im Mittelalter: spiralförmig geht es außen um den Turm herum nach oben, in schwindelnde Höhe hinauf. Das ist die Welt des „Guten“. Und je höher hinauf wir gelangen, je mehr wir die irdische Welt verlassen, desto näher wähnen wir uns der Majestät Gottes. Bald schon, so glauben wir, sitzen wir Gott zur Rechten. Jesus selbst wird dir leutselig seinen Arm um die Schulter legen und dich als seinen jüngeren Bruder willkommen heißen. 95 Prozent aller „esoterischen“ Bücher belehren mich darüber, was ich auf diesem langen und beschwerlichen Weg nach oben (der Turm ist wirklich sehr hoch!) alles zu tun und zu lassen habe: Fasten und Beten und Yoga und rechtsdrehende Müslis und die Chakrenorgeln nicht zu vergessen! Und das Sperma beim Orgasmus – bitteschön – höchstens durch die geschlossene Schädeldecke nach oben. (Hör jetzt endlich damit auf, Monika!)
Dann – und nur dann – „machst du dir einen Namen“. Du heißt dann eines Tages: Sai Mai Baba (Man muss es hessisch lesen ...). (Monika, ich warne dich!)
Aber: So wie jeder Baum, der mit seiner Krone in den Himmel ragt, nach unten noch einmal so lange Wurzeln hat, genau so hat auch der Turmbau des Guten einen Keller. Und dieser Keller besteht nicht etwa nur aus einer einzigen Etage, nein, er reicht genauso weit in die Tiefe, wie der Turm über der Erde in die Höhe reicht. Dante hat das noch gewusst. Sein Inferno beschreibt die Vielfalt der Etagen der seelischen Unterwelt als „die zehn Kreise der Hölle“, zu denen es ebenfalls spiralförmig, gleichsam in Serpentinen, hinabgeht!
Das ist das Gesetz der Polarität! So, wie dich das Gute hinaufführt, so führt dich auch das Böse hinab. Denn solange du nicht erkennst, dass das eine die Voraussetzungen dafür schafft, dass sich das andere entwickeln kann, hast du statt eines geschlossenen Ganzen immer zwei Seiten, die du isoliert voneinander betrachtest. Um bei meinem Bild zu bleiben: Mit jeder Etage, die du in dir selbst nach oben aufstockst, erzeugst du unweigerlich eine weitere Etage, die nach unten hinabführt. Das wäre nicht weiter problematisch, käme nicht noch eine zusätzliche Erschwernis hinzu: Du glaubst nicht, dass es so ist, und nicht im Traum kämst du auf die Idee, dir die unteren Etagen freiwillig anzuschauen. Du gehst einfach nicht gern in diese Regionen. Stattdessen projizierst du sie hinaus in die Welt: Dort sei das Böse, sagst du! Nach oben treibt es dich mit Macht, damit du dir „einen Namen machst“, das Unten aber fliehst du.
Genau hier setzen Buch und Karten von Akron und Giger an. Beide fordern klipp und klar: Schau dir den unteren, verborgenen Teil deines Turmbaus an. Du hast ihn selbst in deiner eigenen Tiefe errichtet, hast ihn selbst gebaut, weil du dir „oben“ einen Namen machen wolltest. Es ist der Keller deines EGO-Turmes oder, wenn dir das Wort besser gefällt: der dunkle Schatten deines zum Licht der Sonne aufstrebenden Turmes.
Akron und Giger sind erfahrene Reisende in der Schattenwelt. Sie kennen diese seelische Unterwelt und beschreiben sie plastisch und anschaulich: der eine in Bildern, der andere mit Worten. Und sie wissen: Die Landschaften, die Wesen, die dort leben, gehören zu dir. Sie wollen, dass du deinen eigenen Schatten kennen lernst; sie wollen, dass du dich zu ihm bekennst. Dass du ihn nicht mehr ins „Böse“ verbannst, sondern ihn nach Hause, ans Licht, holst. Solange du auf deinem Weg nach oben warst, hast du ihn verbannt, ins Exil gezwungen, in die Diaspora der Seele. Dort unten wandert er nun herum, wie Ahasverus, der ewig ruhelose, schattenlose Gesell, der deshalb keinen eigenen Schatten hat, weil er selbst der personifizierte Schatten ist.
Was dem unerlösten Teil in dir fehlt, hast du in dir selbst! Du, der seinen Schatten „in die Welt geworfen“ (aus sich selbst hinausprojiziert) hat, um sich nicht zu ihm bekennen zu müssen. Der „Schatten-Tarot“ führt dich in ähnliche Bereiche wie die tiefere Symbolik in der Geschichte des Peter Pan. Peter hat seinen Schatten verloren, und jetzt jagt er ihn. Er will ihn wiederhaben. Du hast deinen Schatten ebenfalls verloren, aber du willst nichts mehr von ihm wissen. Jetzt jagt er dich! Er bittet dich, oder er zwingt dich, ihn endlich zur Kenntnis zu nehmen – ganz wie du willst. Er kommt aus deinem eigenen Unbewussten, mit dem du nichts zu tun haben möchtest.
So erfahren wir es auch aus dem Mythos: Jeder Held muss die Reise in die Unterwelt antreten. Dazu braucht er einen Führer. Aeneas hatte eine Sibylle, diese hatte wiederum einen goldenen Zweig. Auch Dante hatte den Dichter Vergil. Und der heutige Reisende hat Akrons und Gigers „Schatten-Tarot“. Nicht als Sibylle, sondern als Wanderkarte. Als Geländer, an dem entlang du dich in dieses unbekannte Bauwerk, das du selbst bist, hineinbegeben kannst. Akron und Giger geben dir die inneren Koordinaten zur Navigation, in Bild und Wort. So entstehen in dir deine eigenen Bilder von dieser geheimnisvollen inneren Welt.
Akron und Giger hatten den Mut, sich in diese Terra incognita der Seele hineinzubegeben. Mut erfordert es auch, ihnen dorthin zu folgen.
Was erschauen wir in jener Welt?
Nicht etwa die „Wahrheit“ oder den „letzten Sinn“. Aber gewiss einige verlorene, in fremden Farben schillernde Mosaiksteine aus dem erstaunlichen Gesamtkunstwerk, das wir „Seele“ nennen. Lange waren sie in deinen eigenen unteren Etagen verschüttet. Jetzt kannst du sie betrachten und in dein Selbst integrieren. Aber sei auf der Hut, dass du deine Tiefe nicht unter der Hand wieder zu einer neuen „Höhe“ machst, zu einem Ziel, das es zu verwirklichen gilt. Halte dich nicht fest! Nimm es so, wie Dante es nehmen sollte, dem Vergil sagte: „Schau hin und gehe weiter!“ Mach keine Geschichten daraus! Beiß dich nicht fest! Das haben Magier zu allen Zeiten getan und sind daran kläglich gescheitert.
Wo liegt der Ausweg aus dem Dilemma des Menschseins? Nun, vielleicht ganz einfach hierin: Nachdem wir Jahrtausende lang den Turm zu ersteigen versuchten und doch nicht an die Himmelspforte kamen; nachdem wir jetzt auch noch in die tiefsten Abgründe der Seele geschaut und wiederum nicht gefunden haben, was wir suchten – nach alldem sollten wir jetzt endlich dieses Bauwerk ganz normal durch den Haupteingang wieder verlassen.
Wissend, dass wir gar nichts mehr wissen können.
Peter Orban (und Monika), Frankfurt im Juli 1992