Buch lesen: «Ein Herz für Tiere und für Menschen die Tiere mögen»
Adalbert Ludwig Balling
Ein Herz für Tiere und für Menschen die Tiere mögen
Humorvolles, Informatives, Besinnliches
für Menschen- und Tierfreunde
Herausgeber
Studiendirektor Reinhart Urban
Engelsdorfer Verlag Leipzig
Für alle,
die Katzen, Hunde, Pferde und Vögel etc. gernhaben,
ohne die Menschen weniger zu lieben.
Bibliografische Information
durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet
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Copyright 2017
Engelsdorfer Verlag Leipzig
Schongauer Straße 25, 04328 Leipzig
Alle Rechte beim Autor Adalbert Ludwig Balling,
Hauptstraße 1, 86756 Reimlingen
Tel.: 09081-2970-114
All rights reserved
Titelfoto: Christine und Bernhard Rösch,Würzburg
Illustrationen: Wilhelm Busch und Hugo Kocher (Scherenschnitte)
Typografie und Satz: Roman Schmuker
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
EINFÜHRUNG
Dann herrscht Frieden zwischen Menschen und Tieren
I.
Als die Tiere in den Himmel kletterten
II.
Tier-Mythen- und Legenden aus alten und neueren Zeiten
III.
Alles, was da kreucht und fleucht
IV.
Die Heiligen und die Tiere
V.
Sanfte, störrische und stachlige Tiere
VI.
Omas lobheischende Katze
VII.
Ein Potpourri der Tiere
VIII.
Wussten Sie schon?
IX.
Von der Gemeinschaft aller fühlenden Wesen
HINFÜHRUNG ZUM THEMA
LEITWORTE & GRUNDSÄTZLICHES
Dann herrscht Frieden zwischen Menschen und Tieren
Was Sie wissen sollten, ehe Sie mit der Lektüre dieses Buches beginnen
Bei uns zu Hause, auf einem kleinen fränkischen Bauerndorf, gab es in meiner Kindheit und Jugend noch allerlei Haustiere: Wir hatten Pferde, Kühe (Kälber, Ochsen, Bullen), Schweine, Gänse, Hühner, Katzen; zeitweise, vor allem in den Kriegs- und Nachkriegsjahren, auch Ziegen, Kaninchen, Tauben, Gänse, und immer auch einen Hofhund.
Mit den Tieren im Wald, auf den Wiesen und Äckern waren wir vertraut. Winters vor allem begaben sich auch Rehe, Hasen und Füchse bis an die Dorfränder und Gehöfte; sehr selten auch schon mal Wildschweine, doch regelmäßig Marder, Iltisse, Eichhörnchen, Hamster, Mäuse u.s.w. Auch von (wilden) Vögeln wimmelte es nur so: Spatzen, Krähen, Habichte, Geier, Kauze und Eulen, aber auch von Spechten, Lerchen, Ammern, Amseln und anderen Zweibeinern mit Flügeln.
Natürlich hatten wir auch Ungeziefer, vor allem Mäuse und Ratten. Dafür waren unsere Katzen zuständig. Sie durften zwar ab und an in die Küche kommen, vor allem wenn gegessen wurde, aber ansonsten mussten sie Ställe, Scheunen, Schober, Hallen, Hausgärten usw. bewachen – und eben auch hin und wieder ein Mäuschen erwischen, um ihr Menü aufzubessern.
Kurzum, wir wuchsen mit vielen Tieren auf. Wir lernten mit Pflanzen und Tieren den Kreislauf der Natur kennen. Und wir erfuhren, wie schwer es unseren Eltern (oder/und Knechten und Mägden) fiel, wenn sie sich (wir alle) von einem abgemagerten und altersschwachen Ackergaul oder einer liebgewonnen Kuh trennen mussten.
Geschlachtet wurde meist winters: Während des Krieges und noch einige Jahre danach war es staatlicherseits vorgeschrieben, wie viele Schweine man pro Jahr schlachten durfte. Alles war rationiert; es gab für lange Jahre auch Lebensmittel-Karten!
Das Schweine-Schlachten wurde damals noch auf dem Hof selber ausgeführt. Zu uns kam Onkel Johann, dessen Frau eine Schwester unseres Papas war. Eigentlich war er Maler- und Tüncher-Meister, der sogar in Buxtehude seinen Meister gemacht hatte; aber in den Wintermonaten fungierte er als Hausmetzger in mehreren Dörfern der Umgebung. – Mit einem Schlachttag war immer auch ein bisschen Wehmut verbunden, eben weil Tiere, die man selbst großgezogen und liebgewonnen hatte, nun ihr Leben lassen mussten.
Wir haben als Kinder und Jugendliche auch miterlebt, wie »wilde« Tiere, sprich: noch untrainierte junge Pferde und Stiere eingebrochen wurden, um künftig als Zugtiere vor den Wagen oder Pflug gespannt zu werden. Bei diesem »Training« ging es alles andere als sanft oder gar zärtlich zu. Die »einzuübenden Tiere« wurden arg hergenommen, oft und immer wieder auch hart geschlagen. Sie taten einem richtig leid.
Wir haben als Bauernkinder auch mitbekommen, wie man männliche Jungtiere kastriert – oder die Kühe zum Bullen und die Mutterschweine zum Eber gebracht hat. Damals kannte man auf den Dörfern die künstliche Besamung der Hausiere noch nicht. Da war alles noch eingebettet in den bäuerlichen Alltag. Man nahm, was geschah oder geschehen musste, einfach hin. Es war so, und so akzeptierte man es, auch die gelegentlichen Grausamkeiten gegenüber den eigenen Haustieren. Vieles, was damals in den entlegenen Bauerndörfern passierte, akzeptierte man unreflektiert; weil es seit Generationen so gewesen war.
Jahre, Jahrzehnte später kam ich langsam und allmählich zur Überzeugung, dass wir Menschen uns in vielerlei Hinsicht an den Tieren versündigten. Jede mit roher Gewalt ausgeübte Zähmung tut weh; jeder brutale Eingriff, gegen den sich ein Tier nicht wehren kann, jede überzogene Bevormundung der Tiere durch uns Menschen (etwa auch, welches männliche Tier zur Zucht genommen und welches von vorneweg davon durch grausam-schmerzhafte Kastration verhindert wird) ist strenggenommen ein Verstoß gegen die Schöpfung.
Obgleich wir Menschen uns seit Jahrtausenden unter anderem auch von Tierfleisch ernähren, ist doch die Frage berechtigt: Wer hat uns Menschen dies erlaubt? Wer hat uns zu brutalen Metzgern der Tiere bestellt? Und – ginge es wirklich nicht anders? Haben nicht moderne Wissenschaftler schon vor Jahrzehnten errechnet, dass die gesamte Menschheit wesentlich leichter zu ernähren wäre, wenn wir alle – auch und gerade die in den sogenannten reichen Ländern Lebenden – auf den regelmäßigen Genuss von Tierfleisch verzichteten?
Persönlich bin ich fest davon überzeugt, dass eines fernen Tages, vielleicht in 500 oder 1000 Jahren, unsere jetzige Epoche als eine grausame beschrieben wird, vielleicht sogar als das Zeitalter der »Tierfresser«. Könnte es nicht sein, dass man dann unserer Ära ähnlich skeptisch gegenübersteht wie wir etwa heute auf das »düstere Mittelalter« und die frühe Neuzeit schauen, als man noch Hexen verbrannte und mit dunkelhäutigen Sklaven handelte? Oder die Hereros und Buschmänner im damaligen Namibia und Botswana wie Großwild jagte? Und vielerorts die Frauen durchwegs als Menschen zweiter Klasse einstufte?
Was mir vorschwebt, ist eine Menschheit, die weder die Todesstrafe gegenüber Ihresgleichen kennt noch das wilde Abschlachten von unschuldigen Tieren. Befinde ich mich mit dieser Meinung völlig im Bereich des Utopischen? Ich glaube nicht. Der Mann, der die »Utopia« geschrieben hat, nämlich der Brite Thomas Morus, ein Heiliger der katholischen Kirche, hatte diese Vision bereits zu seiner Zeit.
Es werden in diesem Buch keine langen und weltbewegenden Themen behandelt, es sind eher sinnvolle und überlegenswerte Kurztexte, Märchen, Legenden und Fabeln sowie Aphorismen und Essays, die uns nachdenklich stimmen wollen über unser Verhältnis zur Tierwelt.
Blättern Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zunächst einmal hier und dort – und schnuppern Sie ein wenig nach Lust und Laune ehe Sie das Buch zur intensiveren Lektüre aufschlagen. Die kleinen Lese-Häppchen werden Sie vielleicht zum Weiterlesen anregen. Es werden hier keine schweren wissenschaftlichen Beiträge angeboten. Und die verschiedentlich humorvollen Aufsätze sind keine Spottverse auf die Tierwelt, sondern eher eine Hommage auf die erwähnten tierischen Lebewesen. Bei all dem gilt weiterhin: Echte Liebe zu den Tieren geht niemals gegen den Menschen; sie geht auch nicht den Menschen ab. Sie ist zusätzliche Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung.
Noch eine letzte Anmerkung: Es stand zu diesem Thema umfangreiche Literatur zur Verfügung; aus einigen Quellen wurde schon zitiert; andere gaben wertvolle Anregungen. Auf einen Buchtitel soll eigens verwiesen werden: »Da Tiere eine Seele haben.« Hier werden Stimmen aus zwei Jahrtausenden gesammelt und herausgegeben von Gotthard M.Teutsch beim Kreuzverlag in Stuttgart (1987).
Schließen möchte ich mit einer Tierfabel oder einem Mini-Märchen aus dem Nahen Osten: Da war einmal ein mächtiger Löwe; er lebte an einer Wegkreuzung mitten in der baumlosen Savanne. Meistens versteckte er sich hinter einem kleinen Hügel, bewachsen von halbmeterhohen dürren Gräsern. Wann immer sich Menschen seinem Revier näherten, war’s um sie geschehen, es sei denn, sie näherten sich ohne alle Ängste vor seiner Majestät, dem König der Wildnis. Mit anderen Worten, nur wer gut von ihm dachte und wohlwollend mit ihm plauderte, blieb am Leben. Furchtsame und Ängstliche bekamen keine Chance zu überleben. – Unsere Chance, die Chance der gesamten Menschheit heißt heute: Bewahrung der Schöpfung. Wenn wir dabei mithelfen, wird (auch) in Zukunft Frieden möglich sein zwischen Menschen und Tieren.
ADALBERT LUDWIG BALLING
Gebt Acht auf die Tiere.
Auf die Rinder, die Schafe, die Esel!
Glaubt mir, sie haben auch eine Seele – nur dass sie
ein Fell tragen und nicht sprechen können.
Gebt ihnen zu essen.
VON NIKOS KAZANTZAKIS
Liebet die Tiere, sie sind Gottes eigene Geschöpfe
Liebet die Tiere! Gott gab ihnen die Uranfänge des Denkens und eine ungetrübte Freude; die stört nicht! Quält nicht die Tiere; nehmt ihre Freude nicht weg; widersetzt euch nicht den Gedanken Gottes. – Mensch, erhebe dich nicht über die Tiere; sie sind sündlos, du aber bringst, in deiner Erhabenheit, die Erde durch dein Erscheinen auf ihr zum Eitern und lässt Spuren deiner Fäulnis hinter dir zurück.
STAREZ SOSSIMA in Dostojewskis »Brüder Karamasov«
Das Tier ist eine in sich geschlossene Welt – mit einem eigenen Schicksal, mit einer eigenen Schuldlosigkeit. Wenn das Tier sündigen könnte, so wäre es heilig, denn das Tier hat sich der Hektik freiwillig ausgesetzt. Nur durch den Sündenfall des Menschen ist das Tier in den Schmelztiegel des Leidens, der Leidenschaften und der Gewalt geworfen worden. Seine Welt ist eine Welt voller Rätsel. Die Schönheit, das Geheimnis, die Introvertiertheit der Tierwelt haben von jeher auch Künstler gefesselt, erinnern wir uns nur an die expressionistischen Ikonen von Franz Marc.
TATJANA GORITSCHEWA
Die Tiere in unserem Denken müssen wieder mächtig werden, wie in der Zeit vor ihrer Unterwerfung. – Und immer erwartet man vom Hauch der Tiere, dass er sich zu neuen, unerhörten Worten formt.
ELIAS CANETTI
Der Hund hat alles auf den Menschen gesetzt, als er sich ihm anschloss, schreibt Daniel Kehlmann. Hunde verknüpfen ihr Schicksal mit dem Willen der betreffenden Menschen, denen sie »untertänig« sind. Man könne auch sagen, sie lieferten sich »ihren Herrchen oder Frauchen« aus und vertrauten darauf, dass wir es gut mit ihnen meinten. Diese Unbedingtheit sei etwas Besonderes und sehr Kostbares…
Auf Franz von Assisi soll die Aussage zurückgehen: »Dass mir der Hund das Liebste sei, sagst du, o Mensch, sei Sünde!? – Der Hund blieb mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.«
Geschöpfe desselben Herren und Meisters
Tiere und Menschen trennen Welten. Aber sie fühlen sich einander nahe, sie vertrauen einander, sind mitunter sogar gute Freunde. Tiere und Menschen (Pflanzen und Steine) sind Teile des einen Kosmos; Geschöpfe desselben Herrn; laut Genesis von Gott ins Leben gerufen; ins Leben geliebt. Im Alten Testament heißt es weiter, einige Menschen hätten die Sintflut überlebt – zusammen mit Noah, dem Erbauer der Arche und Retter allerlei Tierarten. In zahlreichen anderen Bibelstellen ist ebenfalls von Tieren die Rede, oft in symbolischer Deutung, in sinnigen Vergleichen und bildhaften Fabeln.
Auch im Neuen Testament werden laufend Tiere erwähnt: Schon bei der Geburt Jesu kamen Hirten, direkt weg von ihren Schafherden, um dem neugeborenen Gottessohn zu huldigen. Und laut Legenden eilten (drei) Weise (Könige) aus dem Morgenland auf Kamelen und Pferden herbei – mit sinnvollen Geschenken »an den König der Juden«.
Später, Jahrzehnte später, während seines öffentlichen Auftretens, bediente sich Jesus eines Esels, als er feierlich in Jerusalem einzog. Und in seinen Gleichnissen ist immer wieder die Rede von Schafen, Schlangen, Tauben und Sperlingen.
In der frühchristlichen Kunst nehmen Tier-Darstellungen einen bevorzugten Platz ein, ganz zu schweigen von der Kunst im Allgemeinen. Wer denkt da nicht an Franz Marcs »blaue Pferde« oder an Paul Klees Vögel und Fische? – Kaum ein Künstler von Rang, der nicht auch Tierbilder geschaffen hätte!
In der Literatur ist es nicht anders. Goethe schrieb das Tierepos »Reineke Fuchs«, Rilke rühmt die Stärke und Größe des Panthers, Carossa beschreibt ein sensibles Kätzchen ...
Schon in der Antike galt die Aufmerksamkeit vieler Poeten den Tieren. Der griechische Fabeldichter Äsop fand mit seinen amüsanten Tiermärchen Eingang in die christlich-abendländische Literatur. Seine Fabeln wurden von dem Franzosen La Fontaine aufgegriffen und ergänzt. – Unzählige andere Poeten haben ein ähnliches Lob auf vielerlei Tiere gesungen. Einen großen Raum nehmen auch die Tiermärchen ein, bei fast allen Ländern und Völkern. Anhand von Tierfabeln versucht man, den Reichen und Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Indem man die zu Kritisierenden in Tiere verwandelt (zum Beispiel einen mächtigen Häuptling als Elefanten auftreten lässt, einen dorfbekannten Geizkragen als nimmersatten Geißbock bzw. einen listigen Oberlehrer als findigen Fuchs!) wischt man den betreffenden Menschen eins aus. Und alle, die die Fabel hören, wissen nur zu gut, wer in Wirklichkeit mit der Kritik erreicht und getroffen werden soll.
In den »Bestiarien« (Tier-Büchern) des Mittelalters tauchen auch Beschreibungen auf, die heute so nicht mehr passen; weil »Kinder ihrer Zeit«, müssten sie umfassend aktualisiert werden. Manches, was noch von Albertus Magnus,Thomas von Aquin, Isidor von Sevilla oder Konrad von Magdeburg gelehrt wurde, war eben weithin eine Neuauflage jener Geschichten, die schon im 3. Jahrhundert unter Physiologus gelehrt wurden. Da hieß es zum Beispiel: »Wenn der Löwe einsam in seiner Höhle schlummert, dann wacht er in Wirklichkeit, denn er schläft mit offenen Augen!« Dazu hat man sogar Salomon als Zeugen zitiert: »Ich schlafe, aber mein Herz wacht.« Daran knüpfte man eine theologische Aussage: »Die Leiblichkeit des Herrn schläft am Kreuz, seine Göttlichkeit aber wacht; sie sitzt zur Rechten des Vaters…«
Eine weitere irrige Deutung des Löwen lautete: Sie bringen ihre Jungen tot zur Welt; die Löwenmutter behütet jedoch das Neugeborene solange, bis der Löwenvater am dritten Tag erscheint und dem Jungen ins Gesicht bläst; so lange, bis es zum Leben erwacht. – So, erklärten die frühchristlichen Theologen weiter, habe Gottvater seinem Erstgeborenen, dem am Kreuz verstorbenen Gottessohn, nach drei Tagen im Grab wieder Leben eingehaucht und dadurch die sündige Menschheit erlöst…
Neben dem Löwen wird in der christlichen Literatur der ersten Jahrhunderte auch der Adler erwähnt als Symbol für Christus; er verweist auf das Göttliche in Christus. Der Löwe galt lange als Symbol des Guten; fast gleichzeitig aber auch als Abbild der Bosheit und des Hasses. In diesem Zusammenhang klingt es bei Petrus: »Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann!« (1Ptr 5,8) – Damit werden dämonische Mächte beschworen. Der Satan wird gerne in Bocksgestalt beschrieben; er zählte weithin zu den »hässlichen« Tieren – widerlich und abstoßend, übelriechend wie Geißböcke, Schweine, Esel, Fledermäuse, Lurche usw.
Ins schier Phantastische ausgemalt wurde schließlich ein Moloch-Tier durch Johannes, den Evangelisten, in seiner Geheimen Offenbarung; da ist die Rede von einem siebenköpfigen Drachen: »Das Tier glich einem Panther; seine Füße waren wie Tatzen eines Bären; sein Maul glich dem eines Löwen.« (Offenbarung 13,1–2). Dieser Drache, so fährt der Seher von Patmos weiter, kämpfte mit einer Frau, »von der Sonne bekleidet und den Mond zu ihren Füßen, umgeben von einem Kranz von Sternen«.
Andere »Phantasie-Tiere« in der christlichen Kunst und Literatur sind neben Drachen vor allem Einhörner. Beschrieben bzw. dargestellt werden sie sehr unterschiedlich. Bei Physiologus heißt es, es sei klein wie ein Zicklein, besitze aber sagenhaften Mut und außergewöhnliche Kräfte. Sein Name kommt von dem einen Horn, das es trage, mitten auf dem Kopf, zwischen den beiden Augen. Will man es einfangen, so lege man ihm eine »reine Jungfrau, schön bekleidet« auf den Weg. Das Tier springt ihr sofort in den Schoß – und damit hat die hübsche Jungfrau Macht über das Tier; es folgt ihr überallhin – bis es im Schloss ihres Königs überwältigt wird.
Viele Kirchenväter haben dieses Bild übernommen und in ihren Predigten und Katechesen weiter beschrieben und ausgemalt. Ein gewisser Konrad von Megenburg, der um die aus der Antike stammende Sage von der Heilkraft dieses Tieres wusste, schrieb: »Das Einhorn symbolisiert unseren Herrn Jesus Christus, der zornig und böse war über die Eitelkeit und Hoffart der Engel im Himmel und über den Ungehorsam der Menschen auf Erden, ehe er selber Mensch wurde in Maria, der keuschen und unbefleckten Jungfrau…«
Das legendäre Einhorn bewegte viele Poeten und Maler gleicherweise. Stephan Lochners Madonna im Rosenhag trägt zum Beispiel eine Brosche mit dem Bildnis des Einhorns. – Ein lateinisches Messbuch aus Neuhausen/Pforzheim enthält die Verse: »Durch frommen Glauben angelockt, vom mütterlichen Schoß umfangen, so wird das Einhorn eingefangen.« – Bei Achim von Arnim, aber auch bei Rainer Maria Rilke taucht das Sagentier abermals auf: »O, dies ist das Tier, das es nicht gibt. Sie wussten’s nicht…« (Sonette an Orpheus).
Aber auch in unseren Tagen haben sich Poeten mit diesem Tier beschäftigt, unter anderen auch Hilde Domin:
Die Freude / dieses bescheidene Tier
dies sanfte Einhorn / so leise
man hört es nicht / wenn es kommt
wenn es geht / mein Haustier
Freude / wenn es Durst hat
leckt es die Tränen / von den Träumen.
Weitere wichtige christliche Symboltiere: Hahn, Pelikan, Fisch, Muschel und Biene. –Vom Vogel Pelikan heißt es bei Physiologus, er gehe in der Liebe zu seinen Küken völlig auf. Weil aber die Jungvögel ihren Eltern ins Gesicht picken, hacken diese zurück und töten die Kleinen. Später trauern sie um ihre Jungen und am dritten Tag reißt sich die Pelikanhenne selber die Brust auf – und in dem Moment, als ihr Blut auf die toten Leiber der Küken tropft, werden diese wieder zum Leben erweckt … – Damit wird auf Christus Bezug genommen, auf sein Leiden, auf seinen Tod und auf seine Auferstehung.
Dass der Fisch zum Symbol der Christen wurde (neben dem Kreuz), hängt mit dem griechischen Wort für Fisch »ichtys« zusammen. Die einzelnen Buchstaben wurden so gedeutet: Jesus(I) Christus(CH) Gottessohn(T) Heiland und Erlöser.
Die den vier Evangelisten zugeschriebenen Symboltiere gehen auf eine Interpretation des heiligen Irenäus von Lyon zurück: Engel/Mensch für Matthäus; Löwe für Markus; Stier für Lukas und Adler für Johannes. In der Schule gab man uns die Eselsbrücke: ELSA – nach den Anfangsbuchstaben der vier Symboltiere.
Eine besondere Stellung in der Tiersymbolik nahm die Biene ein. Sie gilt als fleißig, lieblich, süß und wohlriechend; aber auch als jungfräulich und rein; als Sinnbild der Gottesmutter. »Die Bienenkörbe, die beispielsweise auf Grünewalds Stuppacher Madonna ganz im Hintergrund auszumachen sind, verweisen, laut Konrad von Würzburg1 (ca.1220/30–1287), ein bekannter Mariendichter, auf Maria, »die süßeste von allen«.
Kaum bekannt ist die Muschel als christliches Symboltier. Möglicherweise hat zu ihrer Bedeutung auch die Sage beigetragen, die Muschel steige von Zeit zu Zeit an die Oberfläche und öffne sich. Im günstigen Falle werde sie von einem Blitz getroffen bzw. von »himmlischen Tau« befruchtet; so entstünde eine Perle.
Christliche Denker haben diese Deutung aufgegriffen und auf die Menschwerdung Christi in der Jungfrau Maria verwiesen. So wurde schließlich die Perle zum Sinnbild Christi; zum Symbol für die Verbindung von Göttlichem und Menschlichem. Daher zieren seit dem Mittelalter besonders große und schöne Muscheln auch viele Gotteshäuser, oft schon an den Außenmauern.
Die großen bekannten christlichen Wallfahrtsorte, allen voran Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens, verteilen die Pilgermuscheln an alle, die den Ort besucht haben, genauer, sich er-pilgert haben. (Dieses spanische Santiago lag sozusagen am Ende der Welt – ehe Amerika von Kolumbus entdeckt wurde!) Somit wurde die Muschel zum begehrten Abzeichen der Wallfahrer (Man befestigte sie gerne am Wanderstab oder am Pilgerhut). Aber auch zur übernatürlichen Deutung des Menschenlebens: Es sei ein Wandern zwischen zwei Welten bzw. zur Deutung, der Mensch sei ein homo viator, ein Wanderer schlechthin.
Leider haben wir heute die tiefere Tiersymbolik früherer Epochen vielfach vergessen. Leider sind uns teilweise auch die inneren Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier (beide sind Gottes Geschöpfe!) verloren gegangen.
Wolfgang Urban schrieb abschließend: »Das (Wieder-) Erlernen der Bildsprache, das Verstehen der einzelnen Zeichen und Symbole holt ein Stück verlorener Heimat zurück und eine Welterfahrung, die durchdrungen war vom Wissen um das tiefe Mysterium der Schöpfung sowie des Heilshandeln Gottes, erahn- und sichtbar in allen Kreaturen.« (ALB)
Hoffnung für die leidende Kreatur
Tiere seien Gottes »andere und schon seit Ende der Sintflut benachteiligte Geschöpfe«, schrieb Wolfgang Hildesheimer vor Jahren einmal, und Hilde Spiel trauerte über ihren Kater, von dem sie infolge eines Umzugs sich verabschieden musste; er blieb bei ihrer Putzfrau zurück: Nie habe sie sich verziehen, ihn im Stich gelassen zu haben. Denn bald schon sei er der Putzfrau entlaufen – und sei nie mehr gesehen worden … Noch im hohen Alter trauerte die Dichterin um das Tier »wie um einen verlorenen Menschen«.
Elias Canetti, ein weiterer Poet, fragte eines Abends seine Tischnachbarin, ob sie gerne die Sprache der Tiere verstünde und erhielt die Antwort: Nein! Und auf die Frage, warum nicht: »Damit sie, die Tiere, sich nicht fürchten müssen!« – An anderer Stelle von Canettis Aufzeichnungen2 heißt es: »Kein Tier habe ich umarmt. Ein ganzes Leben lang habe ich mit qualvollem Erbarmen an Tiere gedacht, aber kein Tier habe ich je umarmt.« Er litt offensichtlich darunter.
Von wieder einem anderen Denker, vom Philosophen Friedrich Nietzsche, wird berichtet, er habe in den ersten Dezembertagen 1888 in Turin vor einem arg geschundenen Droschkengaul lauthals geweint, sei dem Tier um den Hals gefallen und habe es geküsst. So sehr habe ihn das Mitleid übermannt. Nietzsche, der Autor des Zarathustra, der sich sonst eher hochnäsig und versnobt benahm, von dem das Wort stammt: »Was fällt, soll man auch noch stoßen!« und auch der folgende Satz: »Die Schwachen und die Missratenen sollen zugrunde gehen!« – dieser Friedrich Nietzsche zeigte ein Herz für ein müdes und altersschwaches Pferd; er hatte es nicht länger mitansehen können, wie ein unschuldiges Tier sinnlos geprügelt wurde.
In der gesamten Weltliteratur gibt es unzählige Geschichtchen mit und um Tiere: Sven Hedin, der berühmte schwedische Wüstenforscher, schrieb sehr liebevoll über die Kamele, die ihn durch die Wüste Gobi begleiteten. – Konrad Lorenz, der jahrzehntelang Graugänse beobachtet und mit ihnen zusammengelebt hat, um ihr Alltags-Verhalten zu studieren, war von diesen Tieren begeistert. – Hans Carossa malte zärtliche Szenen von einem Kätzchen in seinem rumänischen Tagebuch. – Goethe schrieb ein ganzes Tier-Epos und Ernest Hemingway schilderte in seiner meisterhaften Novelle »Der alte Mann und das Meer« den Kampf eines greisen Fischers mit einem übergroßen Fisch an der Angel. – Und Don Quijote (von Cervantes) ist ohne seinen Esel gar nicht zu denken! – Kurzum, es gibt unzählige Beispiele aus der Weltliteratur über Menschen und Tiere. Die unübersehbare Zahl der Tiermythen und Tiermärchen noch gar nicht mitgerechnet.
Vom russischen Philosophen Berdjajew weiß man, dass er in seinem Arbeitszimmer in der Nähe von Paris eine wunderschöne Angorakatze neben sich sitzen hatte; ohne dieses Tier, so ließ er seine Besucher wissen, könne er nicht arbeiten. Einmal schrieb er über dieses Tier: »Ich kann nicht an das Reich Gottes denken, ohne meiner Katze Moury darin einen Platz anzuweisen.« Berdjajew wollte damit sagen, dass er an ein (wie auch immer geartetes) Fortleben der Tiere glaube – oder doch zutiefst wünschen würde.
Das führt uns zur Frage ganz allgemein: Wie steht es um eine/die Theologie der Tiere grundsätzlich? – Historiker verweisen in diesem Zusammenhang gerne an den Glauben der Alten Ägypter: Ihre Pharaonen wurden beispielsweise auf dem Sterbebett befragt, ob sie zu Lebzeiten gut zu den Tieren gewesen seien, und ihre Tiere wurden interviewt, ob sie zu irgendeiner Zeit von ihren Herrschern misshandelt oder völlig ignoriert worden seien.
Das war vor dem Christentum! Die christlichen Theologen taten sich lange Zeit sehr schwer, die Tiere auch theologisch in die Gesamtschöpfung einzuordnen und zu deuten. Man sah die Tiere sehr lange schon als Gottesgeschöpfe schlechthin, aber dass wir eine Mitverantwortung für sie trügen – davon war kaum mal die Rede. Tiere waren »Freiwild«; wir Menschen hielten sie für Geschöpfe ohne Seele, ohne Gefühle, ohne Schmerzen. Selbst die heilige Hildegard von Bingen, eine der großen Frauen des Mittelalters, hatte keinerlei Hemmungen, aus lebendigen Fröschen Medizin zu gewinnen.
Sakrale Tieropfer gab es in fast allen antiken Religionen, nur im Christentum hat man von Anfang an davon Abstand genommen, weil Jesus es so wollte. Aber manche Tiere wurden zu Negativ-Symbolen, etwa die Schlange oder der Wolf. Außer Acht blieb die Würde der Tiere als solche. Tiere hatten keine eigenen Rechte; man (der Mensch) machte sich zum Herrn der Tiere. Diese Haltung wird heute noch eingenommen, wenn es zum Beispiel darum geht, ein paar Wochen ohne Tiere sein zu wollen, etwa in den Ferien! Dann werden mitunter sogar Haustiere wie Hunde und Katzen zu Weg-Werf-Waren, die man einfach ein paar Wochen los-haben möchte!
Erst 1989 wurde in Deutschland eine Gesetzesänderung vorgenommen: Tiere sind jetzt offiziell »keine Ware« mehr, sondern Lebewesen! (ALB)
»Sie haben auch eine Seele!«
Gebt Acht auf die Tiere, auf die Rinder,
auf die Schafe, auf die Esel;
glaubt mir, sie haben auch eine Seele!
Nur dass sie ein Fell tragen und nicht sprechen können.
Frühere Menschen sind es; gebt ihnen zu essen.
Gebt auch auf die Olivenhaine und Weingärten Acht –
auch sie waren einst Menschen, aber viel, viel früher.
Sie haben keine Erinnerungen mehr;
Doch der Mensch kann sich erinnern –
daher ist er Mensch!
NIKOS KAZANTZAKIS3
Was wissen wir vom Leiden der Tiere?
Wir wissen wenig Konkretes. Weil die Tiere, wenn überhaupt, nur untereinander plaudern. Wir Menschen ahnen zwar vieles, was Tieren wehtut, was sie bekümmert und wie sie ihr Leben als solches verstehen. Aber wirklich wissen, nein, das geht über unsere Möglichkeiten, wenngleich es jede Menge »Pferde-Flüsterer gibt; und überall jede Menge Hunde-, Katzen- und Vogel-Versteher.
Bei Friedrich Spee (der besser bekannt wurde als Kämpfer gegen den Hexenwahn) stimmen zwar auch die Vögel in die Trauer um Christi Leiden ein, aber die Mehrzahl der Theologen schloss sich dem Jesuitenpater diesbezüglich nicht an. Sie hielten sich bedeckt. Dabei hatte schon der Völkerapostel Paulus vom Schmerz und Weh der gesamten Kreatur gesprochen: »Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt, (in Geburtswehen liegt) und sich ängstigt. (Vgl. Röm 8,21–22)
Lange vor Paulus, in der jüdischen Tradition, machte man keinen strikten Unterschied zwischen Tieren und Menschen, was den Lebensraum anlangte: Alle Lebewesen erhielten von Gott ihren je eigenen Freiraum. Und bei der großen Flut wurden sie alle von Noah in die Arche geholt …
Was uns heute vielfach fehlt, ist die direkte Begegnung. Wir kaufen Fleisch, ohne darüber nachzudenken, woher es kommt. Wir trinken Milch – und jedes Kind weiß, die kauft Mama im Laden, und wir essen zum Frühstück ein Ei, das irgendwann mal von einer Henne gelegt worden war.
Im Fränkischen sagte man früher mit Recht: »Wenn sich ein Bauer bekehrt, spürt es im Stall das Vieh!« Er wurde auch zu seinen Tieren freundlicher, liebevoller, irgendwie auch kollegialer. Hierher passt ebenfalls ein Pauluswort: »Das ängstliche Harren der Kreatur wartet drauf, dass die Kinder (Söhne) Gottes offenbar werden.« (Röm 8,19)
Hoffnung für die leidende Kreatur
Schon vor über 25 Jahren, um 1990, schrieb der bekannte Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann, man wisse, dass unzählige Millionen Tiere konsumgerecht gezüchtet und gemästet würden, »bis sie verkaufsrentabel den Weg in die Todesfabriken der städtischen Schlachthöfe« anträten. Man schätze, dass zusätzlich über 300 Millionen Tiere »aller erdenklichen Arten weltweit jedes Jahr ihr Leben für ebenso sinnlose wie grausame Experimente« lassen müssten. Es würden Versuchstiere mit angeborenen Körperschäden gezüchtet, anderen durchtrennte man die Stimmbänder, um ihre Schreie nicht hören zu müssen, wieder andere würden zu reinen Demonstrations-Zwecken einfach enthauptet. Im Dienste der Psychiatrie führe man bei Affen, Katzen und Wüstenmäusen grausame Gehirn-Operationen durch, einfach »um das Fehlverhalten dieser armen Geschöpfe« zu beobachten. (Vgl.E. Drewermann, Über die Unsterblichkeit der Tiere,Walter Olten, 1990)