Thriller Spannung 2021: 13 Urlaubs-Krimis auf 1527 Seiten

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Am frühen Abend rief Fichte an und beschwerte sich: „Du hast dich ja wieder mal glänzend bei Reuter eingeführt.“

„Sag bloß, dieser Sesselfurzer hat mich anschwärzen wollen?“

„Hat er.“

„Unmöglicher Mensch. Ich bleib' beim Personenschutz.“

„Schade, und ich hatte gehofft, dich endlich loszuwerden.“

„Pech für dich.“

„Es gibt übrigens im Fall Schiefer/Vandenburg einen weiteren Personenschaden.“

„Und wen?“

„Senta Stolze. Sie hat sich nach der Suspendierung erhängt.“

„Ich weiß nicht, ob sie mir leid tut. Schließlich hat ein Kollege durch sie sein Leben verloren und zwei Kleinkinder ihren Vater. Hat sie noch was über ihren Kontaktmann gesagt?“

„Nein. Aber wir haben doch im Lesterwald eine männliche Leiche gefunden, an deren Shirt hingen zwei brünette Frauenhaare. Im Moment findet ein DNA-Abgleich mit Senta Stolze statt. Das bleibt aber vorerst bitte unter uns.“

„Versprochen, Chef.“




Freitag, 20. Juni


Trotz des einsetzenden Wochenendverkehrs kam er auf der 61 nach Norden flott voran, konnte noch vor Mittag seinen Leihwagen zurückgeben und sich am frühen Nachmittag mit seinem Karren auf den Weg nach Mülheim machen. Katrin Köhler verzieh ihm großmütig den Ärger, den er in Ückesdorf angerichtet hatte, und stöhnte nur, dass die Wohnung immer noch nicht verkauft sei, und zum Abendessen traf er sich mit Dorberg in einer Kneipe in Rüttenscheid, die nach Dorbergs Meinung nicht nur ein trinkbares Exportbier vom Fass anbot, sondern auch die besten panierten Schnitzel der Stadt. Rudi und Alexander Dorberg testeten Speis' und Trank in einem beachtlichen Ausmaß und hatten hatten Mühe, hinterher unfallfrei Dorbergs Wohnung in der Gundulastraße zu erreichen. Alka-Seltzer und klarer Sprudel waren zum Glück in ausreichender Menge vorhanden, die Klappliege hätte bequemer sein können, aber der abgehärtete Mann überlebte auch diese Nacht.

Tante Leni Behrens zeigte sich ziemlich indigniert, als Rudi sie bat, in Julias Abwesenheit deren Zimmer durchsuchen zu dürfen. Rudi bewies mal wieder seine Überredungskünste beim weiblichen Geschlecht, wurde wunschgemäß allein gelassen und sogar mit frischem Kaffee versorgt. Was er zu finden hoffte, verriet er Tante Leni nicht, die sich auch nicht neugierig zeigte. Eine Stunde später hielt er einen Briefbogen mit dem Aufdruck Isa Vandenburg in der Hand. In der Grundschule hatte Isa eine bessere Handschrift gehabt.

Liebe Julia, manchmal tut man das Richtige, ohne es zu wissen. Du musste Dich nicht entschuldigen und dir erst recht keine Vorwürfe machen. Du hast mir die Augen geöffnet für etwas, was ich seit fast zwanzig Jahren hätte wissen können, aber nicht habe sehen wollen. Nun ist Schluss, dafür danke ich Dir. Aus der ganzen Sache herauszukommen, wird nicht einfach sein, aber ich habe mir schon einen Weg ausgeknobelt und bereite alles vor. Wenn mir doch was passieren sollte, halte dich an Tante Leni und mit ihr jederzeit an Ilka. Beide zusammen haben alle Vollmachten, für Dich und Jonas zu sorgen, bis ihr auf eigenen Füßen steht.Für Deine Zwischenprüfung im Mai drücke ich Dir alle Daumen und selbstverständlich komme ich zu Deinem ersten Engagement.

Alles Gute und Liebe, Deine Mutter.

Rudi knipste die Seite mehrfach und legte sie dann im Umschlag sorgfältig zurück. Dieser Brief war zwar nicht das, was er zu finden gehofft hatte, war aber dennoch sehr wichtig und hilfreich. Nach der Art der Vollmachten fragte er Leni Behrens nicht, als er sich bedankte und verabschiedete.

Die Fahrt wurde schrecklich, sein Kopf brummte unablässig wie ein forte gespielter Kontrabass und auf den letzten Kilometern kämpfte er gegen den Schlaf an. Nie wieder Bier und gepanzerte Schnitzel mit Alexander Dorberg. In seiner Wohnung schlief er sofort ein. Als er aufwachte, war es draußen schon dunkel. Er rief Dorberg an, dem es auch nicht übermäßig gut ging, und vermeldete, dass er wider Erwarten heil nach Wiesbaden gekommen war.

Paul Fichte hatte zwei Neuigkeiten. Andrea Sturm hatte gegen Muno und Lupo Haftbefehl beantragt, und die beiden Frauenhaare, die ein aufmerksamer Assistent in der Gerichtsmedizin von dem Shirt ihrer Lesterwald-Leiche abgelesen hatte, stammten tatsächlich von Senta Stolze.

„Also war sie die undichte Stelle?“

„Sieht ganz so aus.“

„Und Kowalski?“

„Den habe ich freigestellt, vielleicht meldet sich ein Kollege, der eine Planstelle für diese Flachpfeife hat.“

„Oder ein Revierleiter in Hintertupfingen im Westerwald.“

„Auch das.“

Rudi ging früh schlafen und träumte von einer lautstarken Auseinandersetzung zweier attraktiver Frauen, die sich erbittert darüber stritten, wer Schlüssel für Rudis Wohnung bekommen sollte.

*


Rechtsanwalt Gregor Nellen verbrachte einen unerfreulichen Abend. Er traf sich mit Mehtar Ben Ali zum Essen, der Tunesier erklärte ihm schon beim Aperitif, dass er einen anderen „Spediteur“ gefunden und deshalb kein Interesse mehr an Utom habe. Umstimmen ließ er sich nicht: „Sie haben sich für diesen Agenturfuzzi verbürgt. Nun bürgen Sie mal schön.“

Nellen und Ben Ali konnten nicht wissen, dass es dazu keine Gelegenheit mehr geben würde, Niels Kollau irgendwie zur Kasse zu bitten oder zur Rechenschaft zu ziehen, er wurde in diesen Stunden mit einer Infektion durch einen multiresistenten Keim aufgrund seiner Ohrverletzung durch einen Streifschuss auf die Intensivstation verlegt. Dort starb er acht Tage später. Sein Mitarbeiter mit dem Spitznamen Lupo saß zu der Zeit noch in U-Haft; Bodo Zollers Leiche wurde verbrannt und die Urne mit der Asche auf einem Baumfriedhof beigesetzt. Die „Agentur Kollau“ existierte nicht mehr, Muno suchte und fand einen neuen „Arbeit“geber. Kein Mensch weinte der Agentur eine Träne nach. Der Ex-Personenschützer Claus Kowalski quittierte den Dienst, als sich keine Abteilung im LKA oder Präsidium bereit fand, ihn zu übernehmen. Er wurde Türsteher im Paradise Lost und seine früheren Kollegen grüßten ihn nicht mehr.




Samstag, 21. Juni


Nach dem Frühstück fuhr Rudi noch einmal nach Schlangenbad und traf vor der Haustür auf Ilka Vandenburg, die gerade zum Einkaufen gehen wollte. Nein, er hatte keine erfreulichen Nachrichten für sie. Es reichte, wenn sie weiterhin nur für eine Person einkaufen ging. „Ich mache Dir ein Angebot.“

„Ja?“

„Ich trage deinen Einkaufsbeutel und lade dich zu einem Kaffee ein, wenn du jetzt diese Datei liest und mir später ein paar Fragen dazu beantwortest.“

„Lass mal sehen.“

Den Brief ihrer Schwester an Tochter Julia kannte sie noch nicht, las ihn stumm auf dem Display und meinte dann trocken: „Okay. Aber ich kann ein paar Kilo Kartoffeln einkaufen?“

„Die Henkel deines Beutels müssen aber noch halten.“

Sie hielten, und er war froh, die Einkäufe im Café absetzen zu können.

„Ja, sagte Ilka gelassen. „Isa wollte türmen, auf die Kanaren. Leni und ich haben gemeinsam Vollmacht, für Julia und Jonas zu sorgen und ihnen das Erbe zu übergeben, wenn beide Kinder das wollen. Jonas kann an vielen Stellen auf der Welt als Ingenieur einen Job finden, aber ob Julia als Schauspielerin Erfolg haben wird, steht doch noch dahin.“

„Aus welcher Sache wollte Isa jetzt herauskommen?“

„Aus der Utom.“ Sie schaute Rudi nachdenklich an und rührte eine ganze Zeit zerstreut in ihrer Kaffeetasse. Natürlich hat die Utom illegale Geschäfte gemacht und Isa war in alles eingeweiht. Oder wie sonst wäre sie an das Haus hier gekommen und an das Geld, das sie Julia und Jonas hinterlassen würde und für das Projekt auf den Kanaren.“

„Also schmutziges Geld?“

„Und wie. An manchen Scheinen klebte nicht nur Dreck, sondern auch Blut, da bin ich ziemlich sicher.“

„Warum hat sie das gemacht?“

 

„Weil sie geldgierig war, Armut fürchtete und nie daran gedacht hat, ihre Ansprüche einzuschränken. Und später hatte sie für sich die Rechtfertigung gebastelt, sie müsse für ihre Kinder sorgen.“

„Ich denke, Tomasio hat regelmäßig für Julia und Jonas gezahlt.“

„Hat er auch, aber hat Isa dir auf Lanzarote seinerzeit nicht den Preis dafür verraten?“

„Welchen Preis?“

„Jonas soll nach Italien ziehen und als Erbe Tomasios in der Familie Lucano leben.“

„Also ein Mafiosi werden“, resümierte Rudi.

„So könnte man es vielleicht interpretieren.“

„An Julia haben die Lucanos kein Interesse?“

„Vielleicht kann man sie später einmal in eine befreundete Familie verheiraten oder so eine Fehde beilegen.“

„Du spinnst doch. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.“

„Das erzähle du mal den zwangsverheirateten jungen Türkinnen bei uns.“

Rudi schwieg. Er hatte einmal eine junge, in Deutschland geborene Türkin bis zum Prozess begleitet, der man Mord wegen der verletzten Familienehre angedroht hatte, weil sie mit einem Deutschen intim befreundet war.

„Und wo kann sie jetzt stecken?“

„Ich weiß es beim besten Willen nicht. Man müsste erst einmal wissen, wer sie entführt hat. Die Lucanos oder diejenigen, die die Utom übernehmen möchten, oder diejenigen, die mit der Utom schmutzige und noch nicht verjährte Geschäfte gemacht haben und nun fürchten, durch Isas Aussagen aufzufliegen.“

Rudi schwieg immer noch. Eine richtige aber sinnlose Antwort, allein die Lucano-Familie zu finden, konnte Wochen dauern. Und wie sie dann dazu bringen, etwas zuzugeben, was in ihren Kreisen als ehrloser Verrat galt? Wer wollte die Utom übernehmen? Wer auch immer das war, der hielt sich schön bedeckt im Hintergrund und schickte Strohmänner vor. Nicht anders jene, die mit der Utom illegale Geschäfte gemacht hatten. Gab es dafür irgendwelche Unterlagen, Korrespondenz, Frachtbriefe, Zollbescheinigungen, Überweisungen?

„Sag mal, Ilka, wenn Isa etwas verstecken will, und zwar an einem Ort, auf den kein Fremder kommt – wo hätte sie diese Sachen deponiert?“

„Damit die Archäologen sie im nächsten Jahrhundert vielleicht finden?“

Ihr Spott schmerzte, aber sachlich hatte sie völlig Recht. Isa musste jederzeit an das Versteck herankommen können, wenn sie auf freiem Fuß war. Ilka hatte länger überlegt und meinte schließlich zögernd: „Vielleicht im Haus unserer Großmutter, in Kriftel.“

„Kannst du mir die Adresse geben?“

„Am Untertor, die Hausnummer habe ich vergessen. Ein uralter Bau aus roten Backsteinen, nicht weit davon ist ein moderner Schnellimbiss entstanden. Aber ich war seit Jahren nicht mehr da.“

„Wie hieß deine Großmutter mit Familiennamen?

„Berting, Martha Berting. Sie ist 105 Jahre alt geworden.“

„Was ist aus dem Haus nach ihrem Tod geworden?“

„Wenn ich mich recht erinnere, gab es kein Testament und keinen direkten Erben. Ihr Sohn Rudolf war schon vor dem Dritten Reich nach Amerika ausgewandert, hatte alle Brücken nach Deutschland abgebrochen und müsste eigentlich auch schon gestorben sein.“

„Dann könnte ich mich vielleicht als Rudolfs Sohn Ludolf ausgeben.“ „Wenn du Lust hast ... Einen Tip kann ich dir vielleicht noch geben, Auf dem Dachboden gab es im Kaminschacht ein gemauertes Versteck, in dem Isa und ich unsere Poesie-Alben versteckt und dann vergessen haben.“

„Soll ich dir deines mitbringen?“ Bis das Jahr versinkt,dein Satz in meinen Ohren klingt: Ich liebe Dich.“ So was?

„So etwa. Aber nicht darin lesen, okay!?“

„Versprochen.“

*


Rechtsanwalt Blume hatte es zwar eilig, wollte aber zehn Minuten für Rudi erübrigen.

„Ja, ich habe mich auch über das Mandat gewundert. Sonst ging Schiefer zum Kollegen Nellen, aber der hatte keine Zeit und hat mich vorgeschlagen.“ Einen Moment kaute Blume auf seinen Lippen. „Aber merkwürdig war es schon ...“

„Wie meinen Sie das?“

„Die Verhandlung hat Nellen sich angehört. In der letzten Reihe im Zuhörerteil.“

„Ach nee.“

„Als ich das Schiefer zugeflüstert habe, wurde der sehr unruhig und hat etwas ganz Verrücktes gesagt: 'Hat der Scheißkerl also schon die Seiten gewechselt?'“

„Haben Sie das verstanden?“

„Nein, Schiefer wollte mir auch nichts erklären.“

„Vielen Dank, Herr Rechtsanwalt, das war's schon.“

„Und Sie suchen immer noch die Zeugin Isa Vandenburg?“

„Und ihren Sohn Jonas“, verbesserte Rudi ungehalten.

„Viel Glück dabei, Herr Hauptkommissar.“

*


Die Staatsanwältin Andrea Sturm sah ihn aus großen Augen an: „Sie wollen was?“

„Wenn möglich, eine Sprecherlaubnis mit Ullrich Schiefer.“

„Und warum das?“

„Mit ihm hat das Ganze doch angefangen. Und zur Zeit bin ich kein Personenschützer, sondern vorübergehend Mitglied in der OK.“

„Die setzen sich freiwillig auch jede Laus in den Pelz“, murmelte sie beleidigend deutlich. „Sind Sie wenigsten weitergekommen und wissen Sie jetzt, wo man Isa Vandenburg gefangen hält.“

„Sie meinen hoffentlich, Isa und Jonas Vandenburg“, verbesserte er unfreundlich.

„Richtig.“ Kritik steckte sie ungerührt weg.

„Nein, aber ich weiß jetzt, wie man den Grund dafür ausräumt, sie gefangen zu halten.“

„Da bin ich aber gespannt.“

„Dann genießen sie die Spannung noch etwas. Sobald ich mit Schiefer reden kann, packe ich aus.“

Sie tippte sich an die Stirn, aber Rudi grinste nur hässlich. Er hatte schließlich einen Ruf als ungehobelter Vorgesetzten-Schreck zu verteidigen.

*


Bevor er nach Kriftel losfahren konnte, bimmelte sein Handy. Julia Vandenburg heulte Rotz und Wasser; „Rudi, ich muss dir was gestehen!“

„Hast du Timo Reufels verziehen?“

„Nein, schlimmer. Ich bin Schuld daran, dass Mama und Jonas entführt worden sind.“

„Aha. Putz dir erst einmal die Nase und dann erzählst du mir hintereinander, was passiert ist.“

„Ich habe mich anfixen lassen. Von einem Mann, der vor meiner Schule Drogen verkauft hat. Er meinte, mit fünfzehn sei ich alt genug, es mal auszuprobieren. Nein, gefährlich wäre das gar nicht. Und er sei für mich immer da mit billigem Stoff. Und so eine Hübsche wie ich könnte sich doch immer ein paar Scheine nebenbei verdienen. Da sollte ich mir keine Sorgen machen, das würde er kostenlos vermitteln.“

Dass ein Anfixer so offen und dreist vorging, war neu für Rudi. Er hatte noch gelernt, dass dieses Lumpen junge Mädchen mit Liebesschwüren und billigem Stoff ködern, bis die Sucht das Mädchen voll im Griff hatte, dann stiegen plötzlich die Preise und die Süchtigen mussten sich schließlich prostituieren.

„Aber der erste Versuch war fürchterlich. Ich habe die Tropfen überhaupt nicht vertragen. Mir ging's so schlecht, dass ich Mama alles gebeichtet habe. Sie wurde totenbleich und hat mich getröstet. Den Kerl würde ich nie wiedersehen.“

„Und? Hast du ihn noch einmal gesehen?“

„Nein. Ich habe seitdem nie wieder etwas geschluckt, geschnieft oder gespritzt. Und Mutter war mir auch gar nicht böse. Im Gegenteil, ich hätte ihr die Augen geöffnet.“

„Ja, das habe ich auch schon gehört.“

„Ich hab' übrigens meine Zwischenprüfung mit sehr gut bestanden.“

„Herzlichen Glückwunsch. Ist damit dein erstes Engagement in Sicht?“

„Nein, noch lange nicht.“

„Ich verspreche dir, deine Mutter kann dann deinen ersten Auftritt bewundern.“

„Bewundern? - ich weiß nicht, sie wird wohl eher Händchen halten müssen. Ich habe mir dummerweise Lampenfieber zugelegt.“

„Das vergeht auch wieder, glaube mir. Schöne Grüße bitte an Tante Leni.“

„Geht in Ordnung. Tschüss.“

*


Er hatte keine Lust mehr, heute noch nach Kriftel zu fahren, sondern kaufte ein, fuhr nach Hause und begann zu telefonieren. Fichte war mehr als erstaunt: „Du willst was?“

„Ich will einem Journalisten, dem man vertrauen kann, etwas zuspielen, was die Staatsanwaltschaft bestimmt unter Verschluss halten würde. Wenn rauskommt, dass ich der Informant war, kann ich gleich kündigen.“

„Hm. Und mehr willst du mir nicht verraten?“

„Jetzt noch nicht.“

„Hm. Es soll also an die Öffentlichkeit, aber es darf nicht bekannt werden, dass du der Informant bist.“

„So ist es. Und sofort danach möchte ich in den Zeugenschutz zurück.“

„Mehr nicht? Der Job des Polizeipräsidenten reizt dich nicht?“

„Noch nicht. Später vielleicht mal.“

Fichte war überhaupt nicht begeistert, aber weil er nicht nur ein guter Chef war, sondern auch ein echter Freund, sagte er nach langer Bedenkzeit: „Ich würde mich mal an Hans Gerlach wenden. Beim Vadum Francorum.“

„Beim was?“

„Das ist Latein und heißt die 'Furt der Franken'.“

„Nie gehört.“

„Vadum deckte Skandale und Schweinereien auf. Klingt komisch, ist aber eine seriöse Redaktion. Oberster Grundsatz: Nie ein Honorar für Informanten, keine Anzeigen, die Abhängigkeiten schaffen. Keine Honorare für Mitarbeiter. Preis des Heftes je nach Umfang.“

„So was gibt es noch?“

„Selten, aber doch, ja, gibt es noch.“

„Vadum mit Viktor?“

„Warte, ich kann dir die Nummer diktieren.“

Rudi lacht lautlos in sich hinein.

*


Stunden später hatte er gerade den Korken aus einem Grauburgunder gezogen, der zwar keinen Vergleich mit Anjas Riesling Spätlese aushielt, aber doch sehr trinkbar war, als es klingelte. Anja stand vor seiner Tür und er sagte rasch: „Ich habe noch ein zweites sauberes Glas für dich, komm' rein!“

Sie meinte auch, dass man den Wein trinken könne, und beschwerte sich: „Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt ...“

„... muss die schöne Nachbarin beim Nachbarn klingeln.“

Sie wurde etwas verlegen, widersprach aber nicht. „Schöne Frau Wesskamp, was meinst du. Kannst du morgen noch einmal dein Reisebüro schwänzen und mit mir einen Ausflug nach Kriftel machen?“

„Kriftel wäre toll, im Moment von Touristen nur so überlaufen. Man richtet deswegen schon Straßensperren ein.“

„Prima. Mach dich aber nicht fein für einen Tagesausflug, sondern zieh' lieber Klamotten an, die eindrecken dürfen und hinterher gewaschen werden können.“

„Ich fiebere nach Abenteuern. Der Wein ist übrigens sehr gut. Hast du nur eine Flasche davon?“

„Nein, tu dir keinen Zwang an.“

Die erste Flasche neigte sich beunruhigend schnell dem Ende zu, als sein Handy wieder loslegte.

„Guten Abend, Herr Herzog. Hier spricht Ihre Staatsanwältin. Ich soll Ihnen grünes Licht für einen Besuch bei Ullrich Schiefer im Knast geben.“

„Großartig.“

„Nehmen Sie mich mit?“

„Lieber nicht. Schiefer mag Sie und Ihre Behörde vielleicht nicht leiden und will deswegen nicht reden.“

„Ich würde auch mein hübschestes Kleid mit einem besonders großen Ausschnitt anziehen.“

„Danke, trotzdem lieber abgelehnt, verehrte Andrea.“

„Wer zum Teufel ist denn nun Andrea?“, fragte Anja spitz.

„Eine Staatsanwältin, die mich nicht leiden kann.“

„Das tut dir weh, was? Ist sie so hübsch?“

„Um diese Tageszeit ziehe ich keine Vergleiche mehr, Prost.“




Sonntag, 22. Juni


In Kriftel war es wirklich schwierig, in Nähe des Untertors einen Parkplatz ohne Zeitbegrenzung zu finden. Dagegen war es leicht, den Altbau und den Schnellimbiss zu entdecken. Sie schlenderten an dem Backsteingemäuer vorbei und linsten auf die Haustür. Das Haus war leider bewohnt, und für einen Besuch war es einfach noch zu früh. Außerdem musste er ihr einiges erklären, bevor sie sich in die Höhle des Löwen wagten. Bei einem Kännchen Kaffee lauschte sie gebannt.

 

„Ich heiße Ludolf Berting, lebe in Amerika und bin der Urenkel von Martha Berting, die hier im Alter von 105 Jahren verstorben ist. Die Anschrift dieses Hauses habe ich erst erfahren, als die Sachen meines Vaters aufgeräumt wurden. Daraufhin bin ich nach Germany geflogen, um etwas mehr über meine deutschen Wurzeln zu lernen. Du arbeitest in einem Frankfurter Reisebüro. Dort haben wir uns kennengelernt und du hast dich angeboten, mir diesen weltbekannten Ort zu zeigen. Alles okay? Du musst gar nichts sagen, sondern nachher nur andächtig lauschen, eine Spur verliebt in mich, aber nicht so, als wolltest du morgen mir morgen mit mir in die Vereinigten Staaten fliegen. Kriegst du das hin?“

„Na sicher.“

*


Laut Klingelschildchen hieß der junge Mann Müller, der die Haustür öffnete. Er hatte gut zehn Kilo Übergewicht und Hängebäckchen.

Bevor Rudi etwas sagen konnte, meinte Müller erstaunt: „Das geht ja schnell.“

„Wie meinen Sie das?“

„Gestern war der Anwalt hier und heute schickt er schon den ersten Kaufinteressenten.“

Rudi schaltete schnell: „Da muss ich Sie enttäuschen. Ich will nicht kaufen, sondern wollte Sie um einen Gefallen bitten .“

„Ja?“ Müller verbarg seine Enttäuschung nicht und kratzte seinen Bauch.

„In diesem Haus ist meine Urgroßmutter Martha Berting im Alter von 105 Jahren gestorben. Ihr Sohn Rudolf, mein Großvater, ist schon vor 1933 in die Vereinigten Staaten ausgewandert und hat den Kontakt in die Heimat verloren.“ Rudi sprach bestes Kaugummideutsch und dankte nachträglich dem Zufall, der ihn mal beruflich für einige Monate in die USA geführt hatte. „Sein Sohn, mein Vater, ist nun auch gestorben, und als wir seinen Nachlass geordnet haben, sind wir auf diese Adresse gestoßen. Und jetzt wollte ich Sie bitten, ob ich mir das Haus meiner Urgroßmutter einmal anschauen darf. Das ist Anja Wesskamp, sie arbeitet in einer Traveller Agentur und hilft mir, mich in einem fremden Land zurechtzufinden.“

Müller überleget einige Minuten bauchjuckend und trat dann zu Seite: „Kommen Sie herein, solche Geschichten hört man nicht alle Tage.“

Rudi machte höfliche Konversation: „Sie wollen verkaufen?“

„Ich muss. In dem alten Kasten ist soviel zu reparieren, dass ein Neubau billiger wird.“

Rudi kannte sich ja in Deutschland nicht aus und wusste auch nicht das englische Wort für Denkmalschutzamt.

Müllers Frau war jünger, schlanker und so hübsch wie hilfsbereit. Sie führte ihren Besuch bereitwillig durch alle Räume, und Rudi hatte Mühe, sie vor der Treppe auf den Dachboden höflich abzuwimmeln. Der Fußboden des Dachbodens ächzte unter der Last von Staub aus mehreren Generationen. Bei jeder Bewegung wirbelte Staub auf und reizte zum Niesen. Die Erschütterung sorgte dann für Nachschub.

Das Versteck im Kaminschacht war gar nicht schwer zu entdecken, wenn man wusste, dass man und wo man suchen sollte. Jemand hatte vor nicht allzu langer Zeit zwei Ziegelsteine herausgenommen. In der Höhlung lagen zwei Klarsicht-Kunststoffhüllen mit zwei Scheiben, entweder CDs oder DVDs. Rudi steckte sie ein und schob die Steine sorgfältig an die alte Position zurück, verschmierte etwas Staub zur Tarnung.

Frau Müller wartete am Fuß der Dachbodentreppe und entschuldigte sich: „Da müsste unbedingt mal gründlich geputzt werden, aber die Arbeit wollte ich mir gern ersparen.“ Quasi zum Trost lud sie Rudi und Anja zum Kaffee ein. Müller männlich entschuldigte sich mit einem wichtigen Termin und verabschiedete sich. Seine Frau seufzte leise: „Sein Stammtisch.“

Rudi, der ahnungslose Amerikaner, ließ sich von seiner deutschen Begleiterin erklären, was das ist, und lachte leise: „Bier ohne Kontrolle, wie?“

Die Müllerin nickte bekümmert. „Dabei sollte er besser abnehmen. Schade, dass Sie nicht kaufen wollen.“

„Ihr Mann hat was von einem Rechtsanwalt erwähnt, der sich darum kümmern wollte.“

„Dem schrägen Vogel habe ich kein Wort geglaubt.“

„Wem nicht?“

„Diesem Anwalt.“

Rudi horchte auf: „Wissen Sie zufällig noch, wie der hieß?“

„Moment, ich habe seine Visitenkarte aufgehoben.“

Die lag in einer Holzschale auf dem Buffet. „Gregor Nellen.“ Mit einer Kanzlei in Frankfurt-Mitte.“ Er notierte sich alles und meinte: „Natürlich möchte ich gerne wissen, wer sich für das Haus meiner Urgroßmutter interessiert. Vielleicht Verwandtschaft, von der ich noch nichts weiß.“

„Hoffentlich nette Verwandte“, wünschte sie herzlich. „Da kann man ja leider böse Überraschungen erleben.“

„Hoffen wir das Beste“ stimmt Rudi zerstreut zu; Denn ihm war gerade wieder eingefallen, wann und wo er den Namen Gregor Nellen das letzte Mal gehört hatte. Von wegen: Verwandtschaft. Aus der Rückfahrt überlegte er lange hin und her: das Haus in Kriftel konnte nur Isa erwähnt haben, und das hieß: Ihre Entführer setzten sie mächtig unter Druck. Anja schwieg und schaute ihn manchmal von der Seite an, als wisse sie nicht, ob sie ihm noch vertrauen dürfe.

*


Andrea Sturm wunderte sich: „Wollen Sie meine Handynummer nicht als Kurzwahl programmieren?“

„Noch nicht.“

„Was wollen Sie dann von mir am heiligen Sonntag?“

„Arbeitet die KTU heute?“

„Ja, es gibt einen Bereitschaftsdienst.“

„Können wir uns da in einer halben Stunde treffen? Ich schenke Ihnen dann auch was!“

„Is' nich' wahr.“

Die Staatsanwältin begrüßter Anja Wesskamp nicht gerade überschwänglich, immerhin auch nicht stutenbissig. Und eine forsche Staatsanwältin brachte die müde KTU-Mannschaft schnellen auf Trab, als Rudi das gelungen wäre. Von den beiden DVDs wurden je fünf Kopien hergestellt, so schnell die Maschinen liefen.

„Ein Paar schenke ich Ihnen“, sagte Rudi großmütig. „Es ist, wie ich annehme, ein wirklich interessanter Film.“

„Und für wen sind die anderen Kopien?“

„Für's Finanzamt, einen Anwalt, für mich und für ein Archiv.“

Das Archiv hatte einen Namen, nämlich Hans Gerlach, und der staunte am Telefon: „Sie wollen mir was schenken?“

„Ja. Wenn Sie in der Redaktion des Vadum Francorum eine DVD mit zahlreichen Dateien abspielen und auswerten können.“

„Jederzeit.“

*


Die Wohnanschrift des Anwalts Gregor Nellen herauszufinden, war gar nicht so einfach, aber nach zahlreichen Telefonaten klappte es und die sehr unfreundliche, wenn nicht aggressive Miene änderte sich sehr, als Rudi ihm zwei silberne Scheiben in die Hand drückte.

„Was soll das?“

„Sie sollen sich das ansehen und lesen.“

„Und was bekomme ich zur Lektüre?“

„Das Innenleben einer Firma namens Utom. Auch Finanzamt, Staatsanwaltschaft und Öffentlichkeit werden sich gründlich informieren. Utom ist danach nichts mehr wert. Wenn Sie jetzt mit uns zu dem Ort fahren, wo Ihre Auftraggeber Isa und Jonas Vandenburg gefangen halten, könnten Sie tätige Reue geltend machen. Ihre Zulassung sind sie wohl so oder so los, aber es bleibt immer noch ein Unterschied zwischen sieben bis acht oder fünf Jahren Knast.“

„Ich muss erst einmal prüfen, ob das stimmt, was Sie da erzählen.“

„Tun Sie das, aber lassen Sie sich nicht zu viel Zeit.“

Anja wollte nach Hause. „Deine Sonntagsausflüge sind mir zu anstrengend.“

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