Killer & Cosa Nostra: Sammelband 4 Krimis

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12


JEAN BETRAT EINEN RAUM, der von hunderten von Kerzen erleuchtet wurde. Ein Springbrunnen plätscherte und stellte die einzige Geräuschkulisse dar. Das Kerzenlicht flackerte leicht.

Jean befand sich in einem der Meditationsräume des PRANAVINDRAMAN CENTER OF SPIRITUAL REVELATION in der 66. Straße. Er verzog das Gesicht. Es gefiel ihm schon nicht, dass man am Eingang die Schuhe ausziehen musste.

Dies war kein Treffpunkt nach seinem Geschmack.

Jean blickte sich um.

Es war verdammt warm hier. Er schwitzte unter seiner Baskenmütze.

Dann entdeckte er einen im Yogasitz verharrenden Mann mit langen Haaren und einem Bart, der ihm bis zum Brustbein hinab reichte.

Sieht aus wie ein Jesus-Look-alike!, ging es Jean durch den Kopf.

Der Bärtige war offenbar in einer Art tranceähnlichen Versenkung begriffen. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Gesichtszüge wirkten gelassen und entspannt. Dass dem nicht immer so war, ließ sich an teils recht markanten Falten ablesen, die das Gesicht des Bärtigen zeichneten. Grau mischte sich bereits in die teilweise verfilzten Haare hinein. Wie ein Silberstreif. Jean schätzte ihn auf Mitte vierzig.

Bevor der Kille auf ihn zuging, vergewisserte er sich erst, dass sie allein im Raum waren.

Dann trat er auf den Meditierenden zu, blieb einen halben Meter vor ihm stehen.

Der Bärtige öffnete nicht die Augen.

"Setzen Sie sich, Jean", sagte er, ohne dass sich an seiner absolut entspannten Haltung auch nur das geringste änderte.

"Soll ich Sie immer noch 'Birdie' nennen?", fragte Jean mit sarkastischem Unterton, während er sich eins der zahlreichen Sitzkissen zurechtlegte. 'Birdie', das 'Vögelchen', so hatte Jean den Bärtigen bei ihrer ersten Begegnung nennen sollen. Weil seine Seele in der Lage wäre, zu fliegen wie ein Vogel.

"Auch Sie haben eine Seele, die man dazu bringen könnte, wie ein Vogel zu fliegen", erklärte Birdie.

"Merci beaucoup, aber da fliege ich doch trotz aller Risiken immer noch lieber mit der Concorde!"

"Ihr Hohn trifft mich nicht, Jean!"

"Was wollen Sie von mir?"

"Scheint, als wäre Ihr Versuch, Atkinson zu töten fehlgeschlagen."

Jean zögerte mit der Antwort. Er ließ misstrauisch den Blick über das Meer der Kerzenlichter gleiten. "Bevor ich dazu irgendetwas sage, wüsste ich gerne..."

"...ob hier die Gefahr besteht, dass wir abgehört werden?"

Jetzt endlich öffnete Birdie die Augen. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Ein überlegenes Lächeln, das Jean nicht gefiel.

"Sie haben es erfasst, Birdie!"

"Selbst mit Richtmikrofonen wäre es sehr schwer, uns in diesem Raum abzuhören. Liegt an dem Plätschern. Und im übrigen vertraue ich den Betreibern dieses Meditationszentrums. Sie sind über jeden Zweifel erhaben. Ich komme regelmäßig hier her, um neue Kraft zu schöpfen."

Jean atmete tief durch. "Dieser Hund scheint tatsächlich überlebt zu haben, das ist richtig."

"Kriegen Sie das noch in den Griff?"

"Er wird verdammt gut bewacht und trägt offenbar Unterwäsche aus Kevlar."

"Es wird nach jedem fehlgeschlagenen Versuch schwerer werden."

"Das fürchte ich auch."

"Sobald wir wissen, wo sich Atkinson befindet, gebe ich Ihnen Bescheid, Jean. Und ich hoffe, dass Sie dann Ihren Fehler wiedergutmachen. Andernfalls..."

Jean bleckte die Zähne wie ein Raubtier.

"Sie sollten mir nicht drohen, Birdie. Das haben schon ganz andere versucht und sich dabei mehr als eine blutige Nase geholt."

"Was Sie nicht sagen, Jean..." Die Stimme des Bärtigen klang jetzt eisig. "Aber vielleicht haben Sie recht und ich sollte jemand anderen damit betrauen..."

"So war das nicht zu verstehen."

"Freut mich zu hören! Übrigens gibt es eine Spur von Zeb Robbins."

Jean hob die Augenbrauen.

"Ach, ja?"

"Nachdem Sie seinen Partner umgebracht und im Long Island Sound versenkt haben, wurde er wohl nervös und versucht jetzt unterzutauchen. Er hat sich an einen Mann namens Sonny Martinez gewandt, dem er Geld schuldet. Der soll ihm aus der Patsche helfen, dafür bietet Zeb Robbins ihm den umgebauten Heli zum Sonderpreis."

"Einen Heli, der ihm nicht gehört."

"Exakt."

"Sie sind gut informiert, Birdie!"

"Das Geheimnis jeden Erfolges!"

"Vermutlich haben Sie recht!"

Birdie holte eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines schneeweißen Hemdes und reichte sie Jean. "Wenden Sie sich an Martinez. Ich habe ihm gesagt, dass ich jemanden schicken würde, der das Problem aus der Welt schafft!"




13


ES WAR VIER UHR NACHTS, als Agent Scott Cosgrove mich weckte. Er war einer der Agenten, die die Aufgabe hatten, mein Leben zu schützen - beziehungsweise das von Brent Atkinson, dessen Rolle ich ja übernommen hatte.

"Es geht los", sagte Scott.

"Nach Connecticut?"

"Ja."

Ich stand auf und machte mich fertig. Das Anlegen einer Kevlar-Weste unter der Kleidung war dabei natürlich obligatorisch.

Milo und Fred hatten sich ebenfalls ein paar Stunden aufs Ohr gehauen. Miles Albert, ein anderer Kollege, brachte ein paar Donuts zum Frühstück mit. "Leider gab's nichts anderes hier in der Gegend!"

"Kein Problem", meinte ich.

Das Telefon schrillte, Milo nahm ab und schaltete auf laut, so dass wir alle mithören konnten.

Es war unser Kollege Jay Kronburg. Er meldete sich aus einem Blockhaus in den Wäldern bei Terranova einem kleinen Nest in Connecticut, dass vermutlich aus nicht viel mehr als einem Drugstore und einer Tankstelle bestand.

"Wir haben hier alles vorbereitet, Milo! Bislang tut sich hier nichts!"

"Das wäre ja auch noch schöner, Jay!"

"Die gesamte Umgebung ist mit unseren Leuten gespickt. Wenn hier jemand auftaucht, um Brent Atkinson umzubringen, wird er sein blaues Wunder erleben."

"Dann braucht ihr mich ja wohl gar nicht mehr", grinste ich.

Die anderen schmunzelten.

Natürlich wusste jeder von uns, dass dem nicht so war.

Schließlich hatten wir keine Ahnung, wie dicht uns die AUTONOMY-Leute auf den Fersen waren. Und da bedurfte es schon mehr als nur einer lancierten Pressemeldung, um die Killer in eine bestimmte Richtung zu lenken.

"Wir erwarten euch!", sagte Jay.

"In Ordnung", erwiderte Milo und legte auf.

Wir tranken dünnen Kaffee aus Pappbechern. Die Thermoskanne, aus der das Gebräu stammte, hatte es nur lauwarm halten können.

Dann ging es los.

Agent Harry Miller meldete sich über Funk. Er wartete mit dem Wagen vor der Tür. Offenbar war alles in Ordnung.

"Ich hoffe, die AUTONOMY-Leute finden mich auch."

"Du solltest sie nicht unterschätzen!", kommentierte Fred LaRocca.

Und Milo ergänzte: "Wenn wir es ihnen zu leicht machen, werden die Brüder nur misstrauisch."

Wir traten auf den Flur.

Der Lift brachte uns wenig später hinab.

Meine Kollegen hatten ihre Hand an den Waffen.

Milo trug sogar eine MPi, die anderen ihre SIGs.

Ich selbst trug ebenfalls meine SIG Sauer P 226 bei mir, allerdings verdeckt. Nur im äußersten Notfall würde ich sie benutzen. Ansonsten musste ich den Waffengebrauch den Kollegen überlassen. Andernfalls wäre meine Legende sofort aufgeflogen. Ein offiziell sogar in Haft befindlicher Überläufer, der zur Waffe griff war für einen Beobachter alles andere als überzeugend.

Agent Harry Miller meldete sich noch einmal.

Über Funk. Meine Kollegen trugen Ohrhörer und Mikros am Kragen. Ich hörte Harrys Stimme nur wie eine Art Zirpen, weil Milo seine Lautstärke etwas zu hoch eingestellt hatte.

"Alles okay da draußen!", meinte er.

Wir traten wenig später ins Freie.

 

Ein Landrover der Fahrbereitschaft wartete mit laufendem Motor. Am Steuer saß Harry Miller. Vor und hinter dem Landrover standen zwei weitere Zivilfahrzeuge des FBI.

Milo und ich stiegen auf die Rückbank des Landrovers.

Fred LaRocca setzte sich auf den Beifahrersitz.

Die anderen Kollegen verteilten sich auf die beiden zusätzlichen Fahrzeuge.

Vor uns fuhr ein grauer, unscheinbarer Ford. Der Wagen hinter uns war ein Lieferwagen.

Agent Miller fädelte uns in den Verkehr ein.

Es ging alles glatt.

Nach einigen Minuten gelangten wir auf den Grand Central Parkway, auf dem es Richtung Norden ging. Eine Brücke führte über den East River, dann passierten wir Randalls Island, bevor wir schließlich die South Bronx erreichten. Hier änderte der Highway seinen Namen, nannte sich jetzt Bruckner Expressway. Wie eine Dschungelschneise schnitt sich der Expressway durch die nicht gerade für ihre architektonische Raffinesse berühmte Stadtlandschaft der Bronx.

Es befanden sich nicht viele Fahrzeuge auf dem Expressway.

Die Beleuchtung machte die Nacht hier fast zum Tag.

Aber im Lichtermeer der angrenzenden Viertel gab es dunkle Flecken. In manchen Straßenzüge der South Bronx herrschte reine Anarchie. Unsere Kollegen der City Police trauten sich nur schwerbewaffnet und in größerer Anzahl dorthin. Und wehe einem Gangmitglied, das es wagte, im falschen Gebiet anzuhalten.

"Verdammt, ich möchte wissen, woher diese AUTONOMY-Leute so gut informiert sind!", meinte Fred LaRocca irgendwann.

"Zumindest sind sie nicht so gut informiert, dass sie wissen, wer ich in Wirklichkeit bin!"

"Ja, das erstaunt mich fast."

"Auf jeden Fall ist uns niemand gefolgt", meinte Milo.

"Ich habe genau darauf geachtet."

Jetzt meldete sich plötzlich Agent Miller, der Fahrer zu Wort.

"Hey, was ist das denn da?"

Er bremste ab.

Die beiden Begleitfahrzeuge des Landrovers ebenfalls.

In einer Entfernung von wenigen hundert Metern war ein Trupp von Straßenarbeitern gerade damit beschäftigt, alle in nördliche Richtung führenden Spuren des Expressways abzusperren.

Einsatzwagen der Highway Patrol standen ebenfalls in der Nähe.

Das ließ mich innerlich etwas aufatmen und die Alarmglocken, die in meinem Inneren schon wie wild geschrillt hatten, fürs erste verstummen.

Wir hielten an. Alle drei Fahrzeuge.

Ein Beamter der Highway Patrol ging auf den ersten Wagen zu, in dem unter anderem unser Kollege Miles Albert saß. Genau wie Scott Cosgrove, der im hinter uns fahrenden Wagen mitfuhr, war Miles ein jung Kerl, der frisch aus Quantico kam und noch nicht allzuviel Erfahrung hatten.

Aber bislang hatten sich beide mehr als hervorragend bewährt. Von den dienstlichen Beurteilungen, die man ihnen bis dahin gegeben hatte, konnte man als G-man nur träumen.

Ein Fenster wurde hinuntergelassen.

Einen Augenblick später meldete sich Miles Albert über Funk.

"Die Straße musste kurzfristig gesperrt werden. Wir kommen hier nicht durch", hörten wir die Stimme unseres Kollegen durch den Lautsprecher der Funkanlage.

Milo ballte wütend die Hände zu Fäusten.

"Verdammt, wieso wissen wir nichts davon?"

"Weil es - wie gesagt - ein sehr kurzfristig angeordneter Einsatz ist", berichtete Agent Miles Albert.

"Ein Lastwagen hat sich quergelegt und verliert irgendeine giftige Substanz. Sergeant Bender von der Highway Patrol kommt zu euch rüber!"

Milo und Fred griffen zu ihren SIGs.

Fred ließ das Fenster herunter.

Der Highway Patrol Sergeant grüßte freundlich.

"Wir müssen hier durch", sagte Fred, zeigte dabei wie beiläufig seine ID-Card.

"Tut mir aufrichtig leid, Sir, aber das ist unmöglich!", erwiderte der Sergeant unmissverständlich.

In diesem Moment peitschten Schüsse auf.

MPi-Salven knatterten aus dem Schatten jenseits der Highwayböschung. Mündungsfeuer blitzte. Der Körper des Highway Patrol-Mannes zuckte, tanzte für einen Moment wie eine Puppe. Mindestens ein Dutzend Kugeln drangen in seinen Körper, ehe er zu Boden ging. Seinen Kollegen erging es ähnlich.

"Runter!", rief Milo.

Wir duckten uns.

Die Seitenscheibe auf Fred LaRoccas Seite glitt hoch. Die Kugeln drangen in das Glas, blieben aber darin hängen. Der Landrover, den wir benutzten, war kugelsicher.

"Losfahren!", rief ich an Harry Miller gewandt.

Der junge G-man war für eine Sekunde wie konsterniert.

Aber dann trat er das Gaspedal durch.

Den Motor hatte er die ganze Zeit über nicht abgestellt.

Die beiden Begleitfahrzeuge waren nicht kugelsicher. Die Scheiben zersprangen im Bleihagel. Unsere Kollegen duckten sich, feuerten hier und da zurück.

"Was wird mit Miles und den anderen?", rief Fred LaRocca.

"Diese Hunde wissen genau, wo sie hinzielen müssen!", knurrte ich. "Nämlich auf DIESEN Wagen..."

Über Funk gaben wir Alarm an unser Field Office.

Aber selbst bei günstigsten Bedingungen würde es etwas dauern, bis Verstärkung eintraf. Wir hatten einfach nicht damit gerechnet, dass AUTONOMY hier und jetzt zuschlagen würde, während wir in der Nähe von Terranova, Connecticut, eine raffinierte Falle für sie aufgebaut hatten. Offenbar hatten wir erneut den Fehler begangen, unsere Feinde zu unterschätzen. Sie waren uns offenbar auch diesmal den entscheidenden Schritt voraus gewesen.

Agent Miller trat das Gaspedal voll durch, fuhr einen Bogen und brach dann durch die Absperrung durch. Die Straßenarbeiter lagen flach auf dem Boden. Manche von ihnen verletzt oder tot. Die Wagen unserer Kollegen glichen inzwischen durchschossenen Sardinenbüchsen. Die Reifen waren zerfetzt, so dass sie gar nicht mehr manövrierfähig waren. Die einzige Chance, sie aus dem Schusshagel zu bewegen bestand in dieser Flucht nach vorn, die wir versuchten.

Etwas flog durch die Luft.

Im Schein der Straßenbeleuchtung war es deutlich zu sehen.

Ein eiförmiger Gegenstand.

"Eine Handgranate!", rief Milo.

Sie prallte vom Dach des Landrovers ab, fiel auf die Straße, rollte in Richtung des Fords, an dem wir gerade vorbeizogen.

In der nächsten Sekunde geschahen zwei Dinge gleichzeitig.

Mit dem Aufprallschutz des Kühlers räumte der Landrover eine Absperrung zur Seite.

Im selben Moment gab es hinter uns eine Explosion. Ganz in der Nähe des Fords riss die Granate ein Loch in den Asphalt. Der Ford bekam natürlich auch etwas ab.

Einen Augenaufschlag später explodierte auch noch der Tank des Fords. Menschliche Körper wurden wie Puppen durch die Nacht geworfen.

Die MPi-Salven, die uns hinterher geschickt wurden, zerfetzten jetzt die Reifen des Landrovers. Harry konnte den Wagen nicht mehr halten. Er brach seitwärts aus, rutschte über den Asphalt. Funken sprühten, als die blanken Felgen über den Straßenbelag kratzten. Ein weiterer Reifen wurde regelrecht zerfetzt. Der Wagen drehte sich, rutschte dann über die seitliche Begrenzungslinie, überschlug sich, als er die Böschung hinunterschlidderte. Wir kegelten durcheinander.

Der Wagen blieb auf dem Dach liegen.

Ich stieß die Tür auf.

"Raus!", rief ich. Ich war der erste, der aus dem Wagen herauskam, blickte mich um. Das Firmengelände einer Spedition schloss sich an den Expressway an. Zwischen den Trucks waren schattenhaft Gestalten in Kampfanzügen zu sehen.

Mindestens drei.

MPi-Feuer brandete auf.

Ich warf mich zu Boden.

Milo krabbelte aus dem Wrack heraus. Er hatte die MPi im Anschlag, ballerte drauf los.

Die Killer gingen in Deckung.

"Harry ist eingeklemmt, verdammt!", rief Milo. "Und Fred hat's auch übel erwischt."

Ich hatte inzwischen meine SIG gezogen.

In dieser Situation riskierte ich sogar, dass das ganze Theater, dass wir den AUTONOMY-Killern bislang erfolgreich vorgespielt hatten, aufflog.

Milo verfeuerte noch ein paar Salven, mit denen er dafür sorgte, dass die Killer in ihrer Deckung blieben.

Solange wir unter Beschuss waren, konnten wir Harry Miller und Fred LaRocca nicht helfen.

Ich drehte mich um. Die von Einschüssen gezeichnete Panzerglasscheibe auf Freds Seite war von innen mit Blut beschmiert.

"Verdammt!", knurrte ich. Ich wusste, dass jetzt sehr schnell etwas geschehen musste, wenn es für die beiden anderen Insassen des Landrovers nicht zu spät sein sollte.

Also machte ich einen verzweifelten Vorschlag.

"Sorg mit deiner Bleispritze dafür, dass diese Killer für eine Minute in ihren Löchern bleiben! Ich werde dann loslaufen..."

"Bist du verrückt, Jesse?"

"Wenn ich wirklich Atkinson wäre, würde ich diese Gelegenheit zur Flucht nutzen und keinem G-man mehr trauen, der mir irgendetwas von Sicherheit erzählt! Du nicht auch?"

"Jesse!"

Ein Mündungsfeuer blitzte auf. Wir duckten uns. Milo ballerte zurück.

Das Mündungsfeuer auf der anderen Seite verlosch.

"Die werden dich kriegen, Jesse!"

"Nein, das werden sie nicht!"

Ich wartete nicht länger, rappelte mich auf und rannte in geduckter Haltung los.

Milo ließ die MPi erneut losknattern, so dass die Killer bei den Trucks es nicht wagten, ihre Köpfe hervorzustrecken. Das Gegenfeuer war spärlich. Ich erreichte das Gelände der Spedition.

Als Milo die MPi leergeschossen hatte, brach das Feuer von der anderen Seite wieder los.

Die Killer hatten natürlich mitgekriegt wo ich war.

Ich warf mich zu Boden, rollte mich herum, so dass ich unter einen abgestellten Lastwagen kam. Ich lag vollkommen im Schatten und verhielt mich ruhig.

Bei meinen Gegnern hörte ich heisere Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was sie genau sagten.

Ich rollte mich auf der anderen Seite unter dem Wagen hervor.

Ein Mann in Sturmhaube und Kampfanzug stand in einer Entfernung von etwa dreißig Metern. Er trug eine Kevlar-Weste wie unsere Spezialkommandos. Aber dieser Mann war kein Cop. Er stand auf der anderen Seite.

Er hatte eine zierliche MPi vom israelischen Typ Uzi in den Händen. Bevor er abdrücken konnte, feuerte ich. Ich hatte keine andere Wahl, denn ich wusste, dass mein Gegenüber nicht zögern würde, mich umzubringen. Nicht eine Sekunde. Schließlich war genau das der Auftrag dieser Leute.

Mein Schuss traf exakt den Kopf.

Auch was das anging, hatte ich keine andere Wahl, denn wenn ich ihm nur ein paar Bleikugeln in sein grüngraues Kevlar hineinhämmerte, dann konnte er mich dennoch in aller Ruhe erschießen.

Der Mann sank zu Boden, kam schwer auf dem Asphalt auf und blieb regungslos liegen. Ich bückte mich, nahm die Uzi an mich und tastete den Kerl flüchtig ab. Ich fand ein Handy, nahm es an mich und rannte dann weiter.

Zur Straße hin wurde das Gelände der Spedition durch eine etwa ein Meter fünfzig hohe Mauer abgegrenzt.

Ich schwang mich hinüber.

Schüsse peitschten hinter mir her.

Ich konnte nicht lokalisieren wo sie genau herkamen. So duckte ich mich, kauerte mich hinter die Mauer, lud inzwischen die Uzi durch.

Die AUTONOMY-Killer waren hinter mir her.

Sie hielten mich offenbar immer noch für Brent J. Atkinson.

Gut so, dachte ich.

Wieder peitschten Schüsse.

Ich tauchte aus der Deckung hervor, feuerte.

Dann rannte ich weiter. Ich überquerte eine schlecht beleuchtete Straße, verbarg mich dann in der Türnische eines ziemlich heruntergekommenen Brownstone-Hauses. Ich presste mich gegen die Mauer, wartete einen Moment lang ab. Dann hörte ich die Stimmen.

Sie folgten mir.

Oben auf dem nahen Highway wurde jetzt nicht mehr geschossen.

Stattdessen waren jetzt aus der Ferne die Sirenen von Einsatzwagen zu hören. Unsere Kollegen waren im Anmarsch.

Ein Rettungshubschrauber kreiste in der Luft, senkte sich tiefer.

Ich mochte mir gar nicht vorstellen, welche unserer Kollegen es erwischt hatte. Für Miles Albert und die anderen Insassen des Fords standen die Überlebensaussichten auf jeden Fall sehr schlecht. Ich nahm an, dass sie tot waren.

Von den Highway Police Männern und den Insassen des zweiten Begleitwagens hatte es vermutlich auch einige erwischt.

 

Dasselbe galt für die Straßenarbeiter. Die Killer, die es auf Brent J. Atkinson abgesehen hatten, kannten keine Skrupel. Es war ihnen offensichtlich völlig gleichgültig, wenn sie bei der Ausführung ihrer Mordpläne auch Unbeteiligte mit in den Tod rissen.

Ich hörte die Schritte der Killer auf dem Asphalt.

Fünf Mann, so schätzte ich. So viele waren es zumindest in meiner unmittelbaren Umgebung. Ich fragte mich, ob diese Männer wirklich Mitglieder von AUTONOMY waren. Leute, die von einer politischen Idee so sehr besessen waren, dass sie bereit waren, dafür zu morden. Die andere Möglichkeit war, dass die Anführer von AUTONOMY schlicht und ergreifend eine Meute von Söldnern angeworben hatten, die für jeden mordeten, der genug Dollars dafür auf den Tisch legte.

Ich tippte auf die zweite Möglichkeit Jedenfalls war bislang nichts davon bekannt, dass AUTONOMY jemals Geldprobleme gehabt hatte.

Mir war klar, dass ich nicht zurück auf die Straße konnte.

Meine Verfolger hatten sie mehr oder weniger in ihrem Schussfeld.

Sobald ich auftauchte, war ich ein Sieb. Da nützte mir dann auch die Kevlar-Weste nichts mehr.

Ich stieß die Tür an, stellte fest, dass sie offen war.

Das Schloss hatte jemand herausgebrochen. Die Tür ließ sich überhaupt nicht mehr schließen. Ich trat ein, ging einen dunklen Flur entlang. In der Jackentasche hatte ich einen Micro-Lenser, eine zigarettengroße Taschenlampe, die eigentlich dafür gemacht war, dass man in der Dunkelheit den Schlüssel in die richtige Öffnung steckte. Das reichte aus, um sich einigermaßen zu orientieren. Licht machen konnte ich schließlich nicht. Durch die Milchglasscheiben in der Tür würde man das draußen sofort merken. Schon der Micro-Lenser war ein Risiko.

Außerdem bezweifelte ich, dass die Elektrik in diesem Haus überhaupt funktionierte.

Ich stieg über eine zusammengekrümmt auf dem Boden sitzende Gestalt. Es handelte sich um einen Mann, soweit ich sehen konnte. Der Kerl wirkte völlig apathisch.

Er grunzte mich an, murmelte irgendetwas Unverständliches. Ich nahm an, dass er auf Crack war.

Ich ging weiter durch den Korridor, erreichte schließlich die Rückfront des Hauses. Auch diese war nicht verschlossen. Die Milchglasscheiben hatte jemand eingeschlagen. Ein düsterer, weil gar nicht beleuchteter Hinterhof schloss sich an. Das Mondlicht fiel so, dass ich eine Katze sehen konnte, die von einem überfüllten Müllcontainer hinuntersprang.

Völlig lautlos.

Ich öffnete die Tür, trat hinaus.

Ich durchquerte den Hinterhof.

Auf der gegenüberliegenden Seite war ein Durchgang. Die Einfahrt führte auf eine Nebenstraße. Auch dort war es ziemlich dunkel. Dafür konnte man den Sternenhimmel sehen, was ansonsten nur an ganz wenigen Punkten im Big Apple möglich ist.

In der Nebenstraße standen weitere überquellende Mülltonnen. Fahrzeuge parkten zu beiden Seiten. Soweit ich sehe konnte waren viele davon wohl Dauerparker. Schon deswegen, weil den Wagen die Reifen und andere wesentliche Teile fehlten. Eine Art wilder Schrottplatz war hier entstanden. Die Gebäude zu beiden Straßenseiten wirkenden unbewohnt. Das nächste Licht war erst einige hundert Meter entfernt.

Ich schaltete den Micro-Lenser nur ein, wenn es unbedingt nötig war. Im Großen und ganzen hatten sich meine Augen ganz gut an die Dunkelheit gewöhnt. Die meiste Zeit über hielt ich mich in der Nähe der Brownstone-Mauern.

Bröckelnde Fassaden, über die sich gnädige Dunkelheit gesenkt hatte.

Ich hörte Schritte.

Stimmen.

Das Rauschen von Funkgeräten.

Man hätte an einen unserer Einsätze denken können.

Aber ich wusste es besser. Mein Instinkt für Gefahr, den ich in all den Jahren beim FBI erworben hatte, sagte mir, dass ich auf der Hut bleiben musste. Die Gefahr war längst nicht vorbei. Die Killer, die AUTONOMY mir auf die Fersen geschickt hatte, hatten noch längst nicht aufgegeben.

Schattenhaft sah ich ihre Gestalten.

Ich drückte mich in eine Türnische hinein, fasste die SIG mit beiden Händen.

Einen Augenblick lang dachte ich daran, mir einen dieser Kerle zu schnappen und festzunehmen, um auf diese Weise an weitergehende Informationen zu kommen. Ob das erfolgreich gewesen wäre, stand natürlich auf einem anderen Blatt.

Ich entschied mich schließlich dagegen.

Es war ein kühler sachlicher Gedanke, der mich dazu bewegte, einfach nur ruhig auszuharren und darauf zu hoffen, dass die Meute mich in dieser Dunkelheit nicht finden würde.

Wenn diese Leute mit den eigentlichen AUTONOMY-Aktivisten, die aus dem Hintergrund heraus die Fäden zogen, gar nichts zu tun hatten und tatsächlich nichts weiter als bezahlte Killer waren, dann brachte mich keiner von denen weiter.

Mal davon abgesehen, dass meine Chancen, einen von ihnen tatsächlich festzunehmen auch extrem schlecht standen.

Ich sah zwei von ihnen die Straße entlang patrouillieren.

Einer murmelte etwas in sein Funkgerät. Sie schwenkten ihre Lampen, wodurch ich sie die ganze Zeit über gut lokalisieren konnte. Der Strahl einer dieser Lampen fuhr auch an der Türnische vorbei, in der ich mich gegen die Wand presste.

Ich hatte Glück.

Oder sie schauten einfach nicht genau genug hin.

Jedenfalls zogen sie weiter.

Ich atmete tief durch, rührte mich nicht.

Vollkommen still lauschte ich in die Nacht hinein.

So lange, bis ich schließlich sicher war, dass keine Gefahr mehr drohte. In meinem Hirn arbeitete es bereits fieberhaft. Die Flucht von Brent J. Atkinson würden die Kollegen schon plausibel an die Medien verkaufen können. Und ich konnte davon ausgehen, dass die Lockvogel-Idee dadurch noch lange nicht gestorben war. AUTONOMY musste sicher gehen, dass Atkinson nicht doch noch eine Gelegenheit suchte, um auszupacken und die Hintermänner von AUTONOMY ans Messer zu liefern. Um jeden Preis.

Ich verließ die Nische, ging weiter die Straße entlang.

Nur wenige Stunden noch, dann würden die ersten Sonnenstrahlen zwischen diesen Ruinen für Licht sorgen.

Plötzlich nahm ich eine huschende Bewegung von der Seite wahr. Ich wirbelte herum.

Zu spät.

Ich spürte noch den Schlag gegen meinen Schädel. Alles drehte sich vor meinen Augen. Ich taumelte, fühlte einen Augenblick später den feuchten Asphalt unter meinen Händen.

Dann war da nichts weiter als Schwärze meinen Augen.

Nichts weiter.