12 Jesse Trevellian FBI Thriller August 2021: Krimi Paket

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In unserem Job wird man leider des öfteren Zeuge der menschlichen Grausamkeit.

Aber das, was in diesem Fall an Menschenverachtung und Zynismus zu Tage trat, war selbst für hartgesottene G-men schwer zu verdauen.

Insgesamt 16 Personen retteten wir aus dem Gefängnis der Organjäger, das diese zynischerweise als ihr Depot bezeichneten.

Die Geretteten standen allesamt unter Schock.

Psychologen und Streetworker würden sich um sie kümmern müssen.

Im Laufe des folgenden Tages ergab sich aus den Aussagen der Festgenommenen ein Bild der Organisation, die hinter der Mordserie unter den Tunnelmenschen stand. In Dr. Jamesons Praxis waren die Organe entnommen worden. In diesem Zusammenhang fahndeten wir inzwischen nach einem Narkosearzt und einem weiteren Chirurgen, die angeblich bei den Operationen assistiert hatten.

Lopez und seine Leute waren für die Beschaffung der Opfer zuständig gewesen. Inzwischen waren sie alle verhaftet worden und vermutlich würde die Arbeit der Spurensicherung, der Labors und unserer Verhörspezialisten dafür sorgen, dass man den meisten von ihnen eine Tatbeteiligung auch nachweisen konnte.

Kenneth Ross' Zugriff auf die FBI-Computer hatte dafür gesorgt, dass die Killer bis ins letzte Detail über unsere Operationen informiert gewesen waren.

Daher hatten sie auch von unserer Untergrund-Mission gewusst.

Vermutlich hatte Kenneth Ross sich sogar Bilder von mir und Milo downloaden lassen.

Ob der Computer-Freak das alles nur getan hatte, um seinem Bruder einen Gefallen zu tun, würde sich im Laufe des Gerichtsverfahrens wohl herausstellen.

Bei der Durchsuchung seiner Wohnung - vor allem seines Hausmülls - stellte sich heraus, dass Kenneth Ross sehr wahrscheinlich der Urheber jener Drohbriefe war, die Mister McKee in letzter Zeit erhalten hatte.

Unter anderem war ein angefangener Brief sichergestellt worden. Die Buchstaben stammten aus dem New Yorker, Papier und Klebstoff waren mit dem identisch, was bei den bisherigen Briefen verwendet worden war.

Es gab nur einen Haken.

Das fehlende Motiv.

Das Motiv für den Anschlag auf das Hauptquartier des Tunnel King hingegen lag auf der Hand.

Lopez' maskierte Killer hatten damit verhindern wollen, dass wir uns mit dem Tunnel King trafen, der die grausame Jagd in den Tunneln gedeckt hatte.

In dem Moment, als Lopez und seinen Leuten durch Ross' Computerangriff klarwurde, dass uns der Tunnel King in die Hände fallen würde, musste dieser ausgeschaltet werden.

In Dr. Jamesons Praxis wurden die Operationen durchgeführt und die Organe entnommen, die dann an Interessenten in ganz Amerika gingen.

Das zu organisieren war die Aufgabe eines gewissen Sanders, der ein Unternehmen zum Versand medizinischer Präparate betrieb. Sanders' Name tauchte immer wieder in den Befragungen auf. Außerdem besaß Lopez ein Schließfach, dessen Inhalt inzwischen aufgewertet worden war. Der Inhalt bestand aus Tonbändern, auf denen Dutzende von Telefongesprächen aufgezeichnet waren. Anrufe von Sanders, in denen zum Teil genaue Angaben über die jeweiligen 'Kundenwünsche' gemacht wurden.

Offenbar hatte Lopez gedacht, sich auf diese Weise absichern zu können.

Und das nicht nur gegenüber Sanders, sondern auch, was andere Gesprächsteilnehmer betraf.

Bei den Kassetten befanden sich genaue Aufzeichnungen darüber, welcher Anruf von wem stammte.

Es gab zwar Dutzende von Menschen mit dem Namen Sanders in New York, aber nur einen, zu dem eine der Telefonnummern aus Lopez' Register passte. Der Name war dort nur mit S. abgekürzt worden.

Er schien die treibende Kraft im Hintergrund zu sein.

Ein Organ-Dealer im großen Stil.

Wir ließen ihn durch eine Computerabfrage überprüfen.

Er war vor zehn Jahren Rausschmeißer in der Discothek eines Unterwelt-Paten gewesen. Im Zusammenhang mit einigen Schießereien war er als Zeuge vernommen worden. Eine eigene Tatbeteiligung hatte ihm nie nachgewiesen werden können.

Wir riefen Sanders in seinem Büro an, dass er in der 67. Straße betrieb. Die Beweise, die wir gegen ihn hatten, waren in unseren Augen zwar stichhaltig. Schließlich hatten wir Lopez' Aufzeichnungen und die Aussagen mehrerer Verhafteter, dass es sich bei der Stimme auf den Bändern tatsächlich um Sanders' Stimme handelte. Letzteres konnte man mit einer Stimmanalyse hieb- und stichfest machen. Daher nahmen wir das Gespräch mit ihm auf. Schließlich brauchten wir für die Analyse eine Vergleichsprobe.

"Mister Sanders?", fragte ich.

"Am Apparat."

"Ich möchte mich mit Ihnen treffen."

"Wer sind Sie?"

"Das tut nichts zur Sache. Nur so viel: Lopez ist tot. Und ich möchte gerne in seine Geschäfte einsteigen."

Auf der anderen Seite der Leitung herrschte Schweigen.

Von Lopez Tod konnte er kaum etwas wissen - und auch von den Verhaftungen nicht. Denn inzwischen gab es eine totale Nachrichtensperre in dem Fall. Außerdem war der Kontakt zu Sanders anscheinend ausschließlich über Lopez gelaufen. Zwar waren immer wieder einige seiner Leute bei verschiedenen Treffen dabei gewesen, aber niemand sonst hatte gewusst, wie man mit ihm in Kontakt treten konnte.

Auf der anderen Seite der Leitung hörte ich nur noch ein Atmen.

Sanders schien nachzudenken.

"Kommen Sie heute gegen 18.00 in die Lockwood-Bar, 23. Straße", schlug ich vor und legte auf.

"Glaubst du, er wird kommen?" fragte Milo.

"Ich hoffe es", erwiderte ich.

"Jedenfalls kann er uns in keinem Fall durch die Lappen gehen. Die Beschattung hat bereits begonnen..."

"Gut."

Um Sanders illegalen Handel mit Organen nachzuweisen, reichten unsere Beweise. Aber er würde natürlich behaupten, nichts von deren Herkunft gewusst zu haben.

Wenn sich aber beweisen ließ, das das doch der Fall war, konnte die Staatsanwaltschaft anschließend viel stärkere Geschütze gegen ihn auffahren...

Beihilfe und Anstiftung zum Mord zum Beispiel.

Eine Verurteilung auf Grund dieser Tatbestände würde Sanders jedenfalls für sehr viel länger aus dem Verkehr ziehen.




33


Unser Maskenbildner veränderte mein Äußeres vor dem Rendezvous mit Sanders in der Lockwood-Bar.

Schließlich war nicht ganz auszuschließen, dass auch Sanders durch Kenneth Ross' Computerkünste schon einmal ein Bild von mir gesehen hatte. Das war zwar unwahrscheinlich, aber die Möglichkeit bestand.

Ich bekam graue Haare und wurde insgesamt zwanzig Jahre älter geschminkt. So überzeugend war ich, dass selbst Agent Max Carter mich im ersten Moment nicht erkannte, als ich ihn auf dem Flur traf.

In der Lockwood-Bar herrschte gedämpftes Licht, als ich dort um 18.00 Uhr vor einem Glas Bourbon auf Sanders wartete.

Ich hatte ein winziges Mikrophon am Kragen. Milo und die anderen hielten sich in der Umgebung verborgen oder hatten sich unter die Gäste gemischt.

Sanders kam schließlich.

Mit Verspätung und in Begleitung von zwei Gorillas.

Einem von ihnen glitt das dunkle Jackett zur Seite, und ich sah für einen Moment den Griff eines Revolvers.

Sanders blickte sich etwas orientierungslos um.

Er suchte jemanden.

Mich.

Schließlich setzte er sich auf den Barhocker und bestellte einen Drink.

"Mister Sanders?", sprach ich ihn an und ging mit meinem Drink auf ihn zu. Ich setzte mich neben ihn. Seine Gorillas wirkten nervös. Die Hände glitten unter die Jacketts.

"Schon gut, Leute", sagte Sanders und hob die Hand.

Mir saß ein blassgesichtiger Mann mit dünnem Oberlippenbart gegenüber. Seine Stimme klang leise, aber sehr deutlich.

"Haben wir telefoniert?", fragte er.

"Ja."

"Gut, dann sollten wir irgendwohin gehen, wo wir ungestört reden können!"

 

"Mir gefällt es hier sehr gut, Mister Sanders. Wir reden hier oder gar nicht. Aber da ich mir denken kann, dass Ihre Kunden Ihnen im Nacken sitzen, werden Sie bleiben."

"So?"

"Schicken Sie Ihre Leute weg. Ich will mit Ihnen Geschäfte machen und Sie nicht verprügeln."

Sanders überlegte. Dann machte er eine Kopfbewegung.

"Verschwindet", knurrte er. "Geht ein bisschen spazieren!"

Die Gorillas verzogen sich. Sie drehten sich noch einmal kurz herum, als sie durch die Tür ins Freie gingen.

"Wie kam Lopez zu Tode?", fragte Sanders.

"Einer seiner Leute hat ihn erschossen. So ist das. Wer sich an der Spitze nicht behaupten kann, wird abserviert."

"Waren Sie das?"

"Tut das etwas zur Sache?"

"Wie ist Ihr Name?"

"Auch der tut nichts zur Sache. Im übrigen will ich dieselben Konditionen, die Sie Lopez eingeräumt haben."

"Wie schnell können Sie liefern?"

"Im Moment gibt es ein gewisses Problem... Das FBI saß Lopez im Nacken..."

"Das hat Lopez mir erzählt", unterbrach er mich. "Ich denke, er wollte nur den Preis hochtreiben - und wenn Sie das jetzt auch versuchen, brauchen wir uns nicht weiter zu unterhalten."

"Ach, ja?"

"Achten Sie einfach in Zukunft darauf, dass man die Leichen der Mole People nicht findet... In dem Punkt hat es sich Lopez wohl etwas zu einfach gemacht!"

"Was brauchen Sie?"

Er zog ein Kuvert heraus und gab es mir. "Hier ist eine Liste. Dringende Fälle, seltene Blutgruppen."

"Ich habe ein volles Depot", sagte ich.

Lopez grinste.

"Das haben Sie auch übernommen?"

"Ja."

"Kaufe ich Ihnen nach und nach ab. Es ist allerdings auch einiges an Ausschuss dabei. Lopez hatte mir eine Liste gegeben, auf denen die wichtigsten medizinischen Indikatoren angegeben waren..."

Ich nahm das Kuvert, öffnete es. Darin lag eine Liste, die mit einem Allerweltscomputer geschrieben worden war.

"Ich werde sehen, was ich tun kann", sagte ich.

"Wie kann ich Sie erreichen?", fragte Sanders.

"ICH erreiche SIE."

"Wenn ich im Moment nicht so dringend auf Sie angewiesen wäre, würde ich..."

"Sparen Sie sich Ihre Drohung, Sanders."

Sanders nickte."Wenn Sie versagen, werden Sie es bereuen."

"Ist schon klar."

"Für mich geht es um die Existenz - aber für Sie auch!"

Er drehte sich herum und ging zur Tür. Sein Spiel war aus, er wusste es nur noch nicht.

Ich trank meinen Bourbon aus. Draußen würden ihn unsere Leute ihn in Empfang nehmen und verhaften.

Milo kam aus einer Ecke heraus. Er hatte das Treffen beobachtet. Er hatte das Funkgerät am Ohr. Als er mich erreichte, berichtete er: "Sie haben ihn."

"Gut. Ich denke, er wird für lange Zeit aus dem Verkehr gezogen..."

Milo deutete auf mein Gesicht.

"Heute siehst du wirklich alt aus!"




34


Wir besuchten den Professor im St. Joseph's Hospital.

"Wenn Sie Ihren Wachhund vor der Tür abziehen, dann werde ich so schnell wie möglich wieder in die Tunnel gehen...", meinte er.

"Warten Sie damit wenigstens, bis die Verwundung auskuriert ist", riet ich ihm.

"Naja, mal sehen..."

"Der Tunnel King ist jedenfalls aus dem Verkehr gezogen..."

"Es wird andere geben, die an seine Stelle treten", erwiderte McDonald, der Professor.

"Möglich."

"Ich möchte Ihnen danken", erklärte McDonald dann. "Dass zwei G-men mir das Leben retten, damit hätte ich nie gerechnet..."

"Wir müssen Ihnen danken", mischte sich Milo ein. "Schließlich hätten wir ohne Sie wohl kaum den Tunnel King auftreiben können..."

McDonalds Blick wurde nachdenklich.

"Wollen Sie es nicht mal wieder mit dem Leben über der Erde versuchen?", fragte Milo.

McDonald schüttelte den Kopf.

"Nein, das verstehen Sie nicht..."

"Ich könnte mich ja mal unter Bekannten umhören, ob jemand einen Job zu vergeben hat... Sie sind kein Dummkopf, es müsste sich doch was finden lassen."

McDonald lächelte.

"Danke, Agent Samariter!", meinte er an Milo gerichtet. "Sollte ich das Leben da unten tatsächlich mal satthaben, werde ich darauf zurückkommen, okay?"

"Okay", nickte Milo.

Das würde nie geschehen. Wir wussten es alle.

Der Professor setzt zwei Finger an die Schläfe. "So long", sagte er. "Ich denke nicht, dass Ihr Job Sie sobald wieder in die Stadt unter der Erde führt..."

"Machen Sie's gut, Professor", sagte ich.




35


Eine Tage später trafen wir einen sehr nachdenklichen Jonathan D. McKee. Als wir sein Büro betraten, saß der Special Agent in Charge hinter seinem Schreibtisch und blickte auf einen zusammengeklebten Brief.

Er blickte auf.

"Hallo Jesse!", sagte er und nippte an dem Kaffeebecher, der zwischen den verschiedenen Telefonen stand und inzwischen wohl kalt geworden war.

Er deutete auf den Brief.

"Das kam heute Morgen mit der Post..."

"Ich dachte, die Sache wäre ausgestanden..."

"Dachte ich auch. Aber nun sieht es so aus, als wäre Kenneth Ross nur ein Trittbrettfahrer, der sich einen Spaß daraus gemacht hat. So wie es für ihn ein Spaß war, in fremde Computer einzudringen... Er wusste aus unseren Dateien jede Einzelheit, was diese Drohbriefe anging..."

"Der Briefeschreiber wird uns ins Netz gehen", meinte ich.

"Früher oder später", nickte Mister McKee. "Heute Morgen, als ich zum Dienst fahren wollte, waren die Reifen meines Wagens zerstochen."

"Sie vermuten einen Zusammenhang?"

"Ich denke darüber nach..." Ein Ruck ging durch unseren Chef. "Aber das soll Sie beide jetzt nicht weiter beschäftigen. Für Sie gibt es wichtigere Aufgaben..."

ENDE




Trevellian und der Mordauftrag des Maskenmannes


von A. F. Morland

Der Umfang dieses Buchs entspricht 99 Taschenbuchseiten.

Jesse Trevellian ist ein Ermittler in New York. Er kämpft unbeirrt gegen das Verbrechen und die organisierte Kriminalität. Auch wenn er von einem Sumpf aus Korruption und Lüge umgeben ist, versucht er einen geraden Weg zu gehen. Denn die Schicksale der Opfer lassen ihn nicht los... Trevellian lässt nicht locker. So lange es auch dauern mag, am Ende findet er die Mörder...




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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1


Der Zug presste ein dickes, muffiges Luftkissen aus dem Tunnel in die U-Bahn-Station. Viele Menschen standen auf dem Bahnsteig. Männer. Frauen. Jung. Alt. Weiß. Farbig... Ein bunt zusammengewürfeltes Völkchen - und ein vertrautes Bild für Jeff Pepin, den grauhaarigen Zugführer. Ein Bild, das er schon lange nicht mehr wahrnahm, weil es sich in jeder Station wiederholte. Eine lebende Kulisse, die in dem Augenblick in hektische Bewegung geraten würde, sobald der Zug hielt und die Türen aufgingen.

 

Pepin bremste gefühlvoll. Er hielt sich für einen guten Zugführer, der seinen Job erfahren, konzentriert und gewissenhaft tat. In 25 Jahren hatte noch nie ein Fahrgast Grund gehabt, sich über ihn zu beschweren, und so würde es wohl auch bleiben.

Plötzlich...

Pepin riss entsetzt die Augen auf. Aus der wartenden Menge kippte ein Mädchen. Es fiel auf die Gleise. Blitzschnell leitete der Zugführer die Notbremsung ein, doch er konnte nicht verhindern, dass das Mädchen vom Zug erfasst, überrollt und grauenvoll zerstückelt wurde...




2


Die Tote hieß Yvonne Bercone. Wir hätten uns nicht um diesen Fall gekümmert, wenn sie nicht Andrew Holdens Sekretärin gewesen wäre.

Holden hatte sich bis vor kurzem als unbequemer Senator eine Menge Feinde geschaffen, war dann aus der Politik ausgeschieden und unter die Buch-Autoren gegangen. Seine »Enthüllungen« waren zurzeit der Renner auf dem amerikanischen Buchmarkt, und er befand sich gerade mit seiner Frau auf Autogramm-Tour durch nahezu alle Bundesstaaten. Begleitet von unseren Kollegen Blackfeather und Steve Tardelli, die dafür sorgen sollten, dass ihm nichts zustieß.

Und nun war seine Sekretärin im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder gekommen.

War dem Mädchen plötzlich schlecht geworden? Hatte Yvonne Bercone einen unbedachten Schritt nach vorn getan? Hatte jemand sie gestoßen?

Tragischer Unfall oder heimtückischer Mord? Unser Chef, Mr. McKee, fand, dass es der Sache nur dienlich sein konnte, wenn sich auch das FBI hinzuschaltete.

»Vielleicht wollte jemand Andrew Holden auf diese Weise treffen«, sagte der Special Agent in Charge. »Yvonne Bercone hat schließlich die ganze Schreibarbeit zu diesem Buch für ihn erledigt. Holden hat sich in seinem Buch extra dafür bei ihr bedankt. Bringen Sie Licht in dieses Dunkel.«

Wir rückten also aus. Unsere erste Anlaufstelle war Hank Hogan, unser bester V-Mann. Er hatte ein Büro für private Ermittlungen in Manhattan-Süd, nahe der Brooklyn Bridge. Wir waren seit langem mit dem blonden Hünen befreundet und hatten schon so manchen wertvollen Tipp von ihm bekommen. Er versprach, sich für uns umzuhören.

»Sobald ich etwas erfahre, womit ihr etwas anfangen könnt, melde ich mich bei euch«, versprach der breitschultrige Muskelmann.

Wir hofften, dass er uns schon sehr bald mit brauchbarem Material versorgen würde. In der Zwischenzeit wollten wir aber nicht untätig sein, deshalb suchten wir Jeff Pepin auf.

Der grauhaarige Zugführer erweckte den Eindruck, als würde er sich die Schuld am Tod des Mädchens geben. Er wohnte in einem kleinen Apartment in Brooklyn.

Sein Gesicht war fahl. Die Lippen waren blutleer. Seine Hände zitterten.

»Sehen Sie mich an«, sagte er voller Bitternis. »Dieses schreckliche Ereignis hat mich zum physischen und psychischen Wrack gemacht.«

Ich ließ meinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Auf einer zerkratzten Kommode standen mehrere gerahmte Fotos. Pepins Augen folgten meinem Blick.

»Meine Familie«, sagte er leise. »Meine Frau und meine drei Töchter. Es sind Drillinge. 13 Jahre alt. Wir sehen uns zweimal im Jahr. Zu Weihnachten und am Thanksgiving Day. Meine Frau lebt mit den Mädchen in Florida. Unsere Ehe besteht nur noch auf dem Papier. Wir haben uns in Freundschaft getrennt.«

»Warum lassen Sie sich nicht scheiden?«, fragte Milo Tucker, mein Freund und Kollege.

Pepin zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich will es nicht. Meine Frau will es auch nicht. Vielleicht hoffen wir beide, ohne dass es uns richtig bewusst ist, dass wir irgendwann doch wieder zueinander finden.«

Ich lenkte das Gespräch auf Yvonne Bercones Tod.

Jeff Pepins zitternde Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich werde derzeit psychiatrisch betreut, damit ich den Schock irgendwie verarbeiten kann«, sagte der Zugführer. »Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich jemals darüber hinwegkommen werde.«

»Das braucht sehr viel Zeit«, sagte ich.

Pepin sah mich ernst an. »Ich werde nie wieder mit einem Zug fahren können, Agent Trevellian«, sagte er mit belegter Stimme. »Der Psychiater ist zwar anderer Meinung - aber kann er nachvollziehen, mit was für einem Gefühl man in eine Station einfährt, wenn man so etwas mal erlebt hat? Man steht permanent unter Hochspannung, wartet ständig darauf, dass es wieder passiert. Niemand kann mir garantieren, dass nie wieder etwas geschieht. Einem solchen Stress wäre ich nicht gewachsen. Ich könnte meinen verantwortungsvollen Job nicht mehr zuverlässig genug ausüben. Wer unsicher ist, macht leichter Fehler.«

»Was werden Sie tun, Mr. Pepin?«, fragte mein Partner.

»Das weiß ich noch nicht«, gab der Zugführer zur Antwort. »Vielleicht lasse ich mich in die Werkstatt versetzen.«

Ich bat ihn, den Hergang des Geschehens so präzise wie möglich zu schildern. Ich wusste, was ich ihm damit zumutete, und wäre froh gewesen, wenn ich es ihm hätte ersparen können.

Aber er war der einzige Augenzeuge, den wir hatten. Alle, die um Yvonne Bercone herum gestanden hatten, waren spurlos verschwunden.

Stockend erzählte Jeff Pepin. Er musste immer wieder absetzen und tief durchatmen. Es ging ihm seelisch sehr schlecht dabei. Die grauenvollen Bilder liefen einmal mehr wie ein Horror-Schocker in seinem Kopf ab und peinigten ihn erbarmungslos.

»Ist das Mädchen gefallen oder wurde es gestoßen, Mr. Pepin?«, fragte ich.

»Das weiß ich nicht, Agent Trevellian.«

»Ist Ihnen in Yvonne Bercones Nähe irgendjemand aufgefallen?«

Pepin schüttelte den Kopf. »Niemand. Es ging alles so entsetzlich schnell - und dann bremst man und weiß doch, dass man die vielen Tonnen, die einen vorwärts schieben, auf diese kurze Distanz unmöglich zum Stehen bringen kann. Obgleich die Katastrophe in Zeitlupe passiert, kann man sie nicht verhindern. Man ist zum Zusehen verdammt.«

Er legte die Hände auf sein Gesicht und schluchzte.