Johann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01

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Johann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01
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Bert Alexander Petzold

Johann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01

Leben (1749–1832), Werke, Bedeutung

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Alle Rechte vorbehalten.

Herausgeber: Bert Alexander Petzold

Copyright © 2021 by Bert Alexander Petzold

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Erstausgabe by Amor Verlag GmbH,

Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig

E-Book-ISBN: 978-3-98587-001-1


Der Titel erscheint in der Reihe BASISWISSEN

und ist ebenfalls als Hörbuch überall im Handel erhältlich:

Bert Alexander Petzold

Johann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01

Leben (1749–1832), Werke, Bedeutung

gelesen von René Wagner

Laufzeit: 152 Minuten

Hörbuch-ISBN: 978-3-947161-51-5


Alle Titel und ausführliche Informationen unter:

www.amorverlag.de

In der Reihe BASISWISSEN erscheinen klar strukturierte Biografien bedeutender Persönlichkeiten in verständlicher Sprache. Zusätzlich werden wichtige geschichtliche Ereignisse und die Beziehungsgeflechte der Akteure erläutert. Zusammenhänge werden dadurch besser und schneller verstanden. Logische und nachvollziehbare Kapitelstrukturen sowie präzise Zeitleisten geben zusätzlich Orientierung. Bei den Hörbüchern der Reihe erleichtern professionelle Lesungen anerkannter SprecherInnen den Wissenszugang. Folgende Titel der Reihe sind als E-Book und Hörbuch lieferbar.

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE #01

E-Book-ISBN 978-3-98587-001-1 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-51-5

FRIEDRICH SCHILLER #02

E-Book-ISBN 978-3-98587-002-8 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-52-2

BERTOLT BRECHT #03

E-Book-ISBN 978-3-98587-003-5 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-53-9

MAX FRISCH #04

E-Book-ISBN 978-3-98587-004-2 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-54-6

WOLFGANG AMADEUS MOZART #05

E-Book-ISBN 978-3-98587-005-9 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-55-3

LUDWIG VAN BEETHOVEN #06

E-Book-ISBN 978-3-98587-006-6 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-56-0

FRIDA KAHLO #07

E-Book-ISBN 978-3-98587-007-3 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-57-7

ANDY WARHOL #08

E-Book-ISBN 978-3-98587-008-0 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-58-4

WLADIMIR ILJITSCH LENIN #09

E-Book-ISBN 978-3-98587-009-7 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-59-1

LEO TROTZKI #10

E-Book-ISBN 978-3-98587-010-3 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-60-7

FRIEDRICH HEGEL #11

E-Book-ISBN 978-3-98587-011-0 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-61-4

JEAN-PAUL SARTRE #12

E-Book-ISBN 978-3-98587-012-7 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-62-1

ANNE FRANK #13

E-Book-ISBN 978-3-98587-013-4 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-63-8

SOPHIE UND HANS SCHOLL #14

E-Book-ISBN 978-3-98587-014-1 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-64-5

GESCHICHTE DEUTSCHLANDS #15

E-Book-ISBN 978-3-98587-015-8 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-65-2

GESCHICHTE DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA (USA) #16

E-Book-ISBN 978-3-98587-016-5 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-66-9

WILLIAM SHAKESPEARE #17

E-Book-ISBN 978-3-98587-017-2 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-71-3

THOMAS MANN #18

E-Book-ISBN 978-3-98587-018-9 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-72-0

FRANZ KAFKA #19

E-Book-ISBN 978-3-98587-019-6 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-73-7

ERNEST HEMMINGWAY #20

E-Book-ISBN 978-3-98587-020-2 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-74-4

FRANZ JOSEPH HAYDN #21

E-Book-ISBN 978-3-98587-021-9 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-75-1

JOHANN SEBASTIAN BACH #22

E-Book-ISBN 978-3-98587-022-6 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-76-8

PABLO PICASSO #23

E-Book-ISBN 978-3-98587-023-3 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-77-5

SALVADOR DALÍ #24

E-Book-ISBN 978-3-98587-024-0 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-78-2

IMMANUEL KANT #25

E-Book-ISBN 978-3-98587-025-7 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-79-9

FRIEDRICH NIETZSCHE #26

E-Book-ISBN 978-3-98587-026-4 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-80-5

ALBERT EINSTEIN #27

E-Book-ISBN 978-3-98587-027-1 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-86-7

SIGMUND FREUD #28

E-Book-ISBN 978-3-98587-028-8 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-87-4

GESCHICHTE ISRAELS #29

E-Book-ISBN 978-3-98587-029-5 Hörbuch-ISBN 978-3-947161-88-1

GESCHICHTE CHINAS #30

E-Book-ISBN 978-3-947161-89-8 Hörbuch-ISBN 978-3-98587-030-1


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Inhalt

1. Goethe, bis heute bedeutendster Vertreter deutscher Dichtkunst

2. Familie, Kindheit und Jugend in Frankfurt am Main (1749–1765)

3. Goethe wird schwärmerischer Dichter und Student (1765–1771)

 

4. Überraschungserfolg: Die Leiden des jungen Werther (1771–1775)

5. Der Sturm und Drang hatte begonnen (1765–1785)

6. Wahlheimat Weimar bei Herzog Karl August (1775–1786)

7. Goethes Italienreise (1786–1788)

8. Als Naturforscher zurück in Weimar (1788–1794)

9. Die Weimarer Klassik (1794–1805)

10. Friedrich Schiller, der neue Freund (1794–1805)

11. Gespräch mit dem französischen Kaiser Napoleon Bonaparte (1805–1814)

12. Als verehrter Dichter auf Reisen (1814–1832)

13. Goethe und allerlei Damen (1766–1823)

14. Meistzitiertes Werk deutscher Sprache: Faust. Eine Tragödie (1773–1832)

15. Wichtige Veröffentlichungen und Hauptwerke

16. Zusammenfassung

17. Zeitleiste

1. Goethe, bis heute bedeutendster Vertreter deutscher Dichtkunst

Im deutschen Sprachraum ist kein Dichter, Autor oder Gelehrter so weitläufig bekannt wie Johann Wolfgang von Goethe. Er gilt als Inbegriff des deutschen Kanons und hat ein umfangreiches Œuvre aufzuweisen, das von Lyrik über Prosa und Dramen bis hin zu wissenschaftlichen Abhandlungen und Naturbeobachtungen alles abdeckt. Darüber hinaus produzierte der rege Austausch mit seinen Zeitgenossen, wie zum Beispiel den Gebrüdern Humboldt oder Friedrich Schiller, über 15.000 Briefe, denen eine Vielzahl von seinen über 3.000 Gedichten enthalten waren.

Goethe wurde bereits zu Lebzeiten ein immenses Ansehen zugleich. Mit dem 1773 veröffentlichten Drama „Götz von Berlichingen“ begründete Goethe im zarten Alter von 24 Jahren den Sturm und Drang und beeinflusste zum Beispiel Schiller dazu, sein Werk „Die Räuber“ zu schreiben. Im Folgejahr wurde sein Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ zum europaweiten Erfolg. Goethe stieg damit in bisher ungekannte Höhen der Berühmtheit auf, die über sein gesamtes Leben anhielt und ihn bis zur Audienz vor Napoleon Bonaparte im Jahr 1808 brachte.

Zuerst aber wurde Goethe der Patron Weimars, nachdem er 1775 einer zuerst formlosen Einladung des Herzogs Karl August folgte. Schnell wurde er zum engen Freund, Begleiter und zum höchsten Beamten des Herzogtums. Er reformierte in seinen Zwanzigern den Weimarer Staat, erließ Brandschutzgesetze und führte diplomatische Verhandlungen. Als Naturforscher entdeckte er 1784 den Zwischenkieferknochen, entwarf später eine Theorie der Metamorphose und eine Farblehre.

Die stete Bewegung und der Wandel im Leben des Dichters glich einem seelischen Credo. Es überrascht wenig, dass die ab 1786 geführte zweijährige Italienreise wieder einen neuen Goethe hervorbrachte. Der Begründer des Sturm und Drang war nun gemäßigt, beruhigt, der Antike verbunden und einer Ethik des Reinen ergeben. Sechs Jahre später fußte auf dieser ästhetischen Haltung die mit Schiller zusammen begründete Weimarer Klassik.

Die einzigartige Freundschaft und Kollaboration zweier Genies brachte auf beiden Seiten ungeheuer erfolgreiche Werke hervor und verortete die deutsche Literaturszene kurzerhand im Alleingang zurück in die Klassik, wohlgemerkt nicht aus Berlin, oder München, sondern aus Weimar. Schiller war es auch, der Goethe bedrängte, die Arbeit an der „Faust“-Tragödie wieder aufzunehmen.

„Faust“ beschäftigte Goethe sein Leben lang, schon als Kind kam er mit dem historischen Fauststoff in Verbindung. Erst durch Schiller fand er die Kraft und Muse, das Fragment fertigzustellen und es 1790 zu veröffentlichen. Erleben konnte der Freund die Veröffentlichung des ersten Teils 1808 nicht mehr, und auch Goethe würde von seinem Opus überdauert werden. Der zweite Teil erschien einige Monate nach Goethes Tod 1832.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Dichter ein langes, erfülltes und bewegtes Leben gelebt. Spätestens seit der Weimarer Klassik stand sein Schaffen im Zeichen der Wirkung. Ihm war die Bedeutung seiner Werke zu Lebzeiten bereits bewusst und er schuf auch einen neuen deutschen Kanon. Die Gründung zweier Epochen und das Lebenswerk „Faust“ allein würden für dieses Ziel wohl reichen, aber Goethe war eben noch viel mehr.

Natürlich wurde sein Leben, wie auch das von Schiller, über die turbulente Geschichte Deutschlands hochstilisiert und mythisiert, doch seine Wirkung bis in die heutige Zeit kann selbst unter Anbetracht dieser historischen Realität nicht dementiert werden. Das Goethe und Schiller Archiv sowie das zugehörige Museum belegen die einzigartige Produktivität und verdeutlichen, warum es zum Beispiel Einrichtungen wie das Goethe-Institut gibt, die global agieren und das Ethos des Universalgenies berechtigterweise weltweit vertreten. In dem Sinne lohnt sich ein Blick auf das Leben des Dichters, allein schon um zu verstehen, in welchem Kontext sein Schaffen stand. Nebst den vermeintlich trockenen Fakten lebte Goethe aber eben auch im Zeichen der Selbstbestimmung und Freizügigkeit, wodurch seine Biografie ebenso zur süffisanten Unterhaltung taugt.

2. Familie, Kindheit und Jugend in Frankfurt am Main (1749–1765)

Am 28. August 1749 wurde Johann Wolfgang Goethe, laut seinem eigenen Bericht in „Dichtung und Wahrheit“, „mittags mit dem Glockenschlage zwölf“ in der freien Reichsstadt Frankfurt am Main geboren. Über die Umstände seiner Geburt konnte sich Goethe wohl doppelt glücklich schätzen, denn einerseits verlief die Geburt damals nicht ganz ohne Komplikationen. Goethe, der von der Nabelschnur stranguliert auf die Welt kam, wurde wegen der bereits bläulichen Färbung seines Gesichts von der Hebamme für tot gehalten. Erst kräftiges Schütteln und Klopfen ließen ihn die ersten Atemzüge schnappen.

Andererseits tat er diese ersten Luftschnapper in äußerst gut situierten Verhältnissen. Sein Vater Johann Caspar stammte aus einer Thüringer Bauern-, Handwerker- und Gastwirtsfamilie, von der er beträchtlich geerbt hatte. Er heiratete 1748 Catharina Elisabeth Textor, ihres Zeichens die Tochter des Frankfurter Stadtschultheißen, dem höchsten Beamten und Vertreter des Kaisers in der Reichsstadt. Großvater Textor nahm übrigens die schwierige Geburt des Enkels zum Anlass, um die Hebammen-Ausbildung zu reformieren und den Berufsstand der Geburtshelferin zu etablieren.

Johann Wolfgang hatte nur eine Schwester, Cornelia, die ein Jahr jünger war als er. Vier weitere Geschwister verstarben, noch bevor sie die Adoleszenz erreicht hatten. Seine Beziehung zur Schwester war dementsprechend eng, sie bewunderte ihn von Kindesbeinen an. Er war bedacht, alles, was er lernte, an die jüngere Schwester weiterzugeben, beide waren einander die engsten Vertrauten. Über die Beziehung reflektierte Goethe selber:

„Und so wie in den ersten Jahren Spiel und Lernen, Wachstum und Bildung den Geschwistern völlig gemein war, sodass sie sich für Zwillinge halten konnten, so blieb auch unter ihnen diese Gemeinschaft, dieses Vertrauen bei Entwicklung physischer und moralischer Kräfte. Jenes Interesse der Jugend, jenes Erstaunen beim Erwachen sinnlicher Triebe, die sich in geistige Formen geistiger Bedürfnisse, die sich in sinnliche Gestalten einkleiden, alle Betrachtungen darüber, die uns eher verdüstern als aufklären, manche Irrungen und Verwirrungen, die daraus entspringen, teilten und bestanden die Geschwister Hand in Hand.“

Die häusliche Umgebung konnte man durchaus als charakteristisch für Stand und Vermögen des Elternhauses bezeichnen. Der bei Goethes Geburt bereits 40-jährige Johann Caspar war höchst bedacht, seinen Kindern alle bildungstechnischen Privilegien zukommen zu lassen. So bekamen die Kinder die ungeteilte Aufmerksamkeit mehrerer Hauslehrer, lernten frühzeitig Latein, Griechisch, Französisch und Italienisch, lasen Klassiker im Original. Schon damals profilierte sich Johann Wolfgang durch sein Sprachtalent. Die Privilegien gingen einher mit einer immensen Erwartungshaltung, die vom Vater ausging und sich in einer routinierten Strenge auf die Kinder niedertrug.

Auf der entgegengesetzten Seite stand die viel jüngere Mutter, Catharina Elisabeth war bei Johann Wolfgangs Geburt gerade einmal 18 Jahre alt. Ihr war die kindliche Welt freilich näher, nachvollziehbarer und vertrauter. Sie ging voll auf in der gemeinsamen Freizeitgestaltung, im abendlichen Vorlesen und war selbst vom Leben nicht zu desillusioniert, um sich Phantasiewelten hingeben zu können. Den Einfluss der Eltern brachte Goethe knapp auf den Punkt: „Vom Vater habe ich die Statur, des Lebens ernstes Führen. Vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren.“

Bedeutend war ebenfalls der Einfluss seiner Heimat. Die florierende Handelsstadt war mit 30.000 Einwohnern umtriebig, verwinkelt und geschichtsträchtig. Johann Wolfgang war Stadtkind durch und durch, das Labyrinth der Häuserschluchten verpflegte den hungrigen, jungen Geist mit allerlei Eindrücken. Gegenwärtig prasselten Schmiede, Fischer, Metzger und allerlei Händler auf den Jungen ein, während die alten Kirchen, Türme und Klöster eine gewisse Ehrfurcht vor dem Vergangenen und den Traditionen verlangten. In alledem die Idylle des schön gelegenen Elternhauses, Goethe erinnerte sich an seinen Lieblingsplatz im Obergeschoss:

„Dort war mein liebster, zwar nicht trauriger, aber doch sehnsüchtiger Aufenthalt. Über Gärten hinaus, über Stadtmauern und Wälle, sah man in eine schöne fruchtbare Ebene. Dort lernte ich Sommerszeit gewöhnlich meine Lektionen, wartete die Gewitter ab und konnte mich an der untergehenden Sonne nicht satt genug sehen. Da ich aber zu gleicher Zeit die Nachbarn in ihren Gärten wandeln und ihre Blumen besorgen, die Kinder spielen, die Gesellschaften sich ergötzen sah, so erregte dies frühzeitig in mir ein Gefühl der Einsamkeit und einer daraus entspringenden Sehnsucht, das, dem von der Natur in mich gelegten Ernsten und Ahndungsvollen entsprechend, seinen Einfluss gar bald und in der Folge noch deutlicher zeigte.“

Im menschgemachten Getümmel sehnte sich bereits der Jüngling nach der Natur. Diese Sehnsucht blieb sein Leben lang. In gleicher Manier zeichnete sich bereits zu jungen Jahren eine regelrechte Gier nach Wissen und der Drang, das Wissen zu verarbeiten, bei Johann Wolfgang ab. Aus der Bibliothek des Vaters verschlang er Juristisches, machte sich an französischen Theaterstücken von Racine oder Voltaire zu schaffen und griff immer wieder zur Bibel. Auch wenn er später den kirchlichen Formen des Christentums gänzlich absagte, nannte Goethe die Bibel als frühe Quelle seiner Bildung.

Das frühe Stadtleben etablierte schon damals Goethes berühmte Sensibilität für seine Umwelt. So nahm ihn die Kunde vom schweren Erdbeben in Lissabon am 1. November 1755, das als eine der großen Naturkatastrophen des Jahrhunderts in die Geschichte einging, schwer mit. In „Dichtung und Wahrheit“ ließ Goethe nachklingen, wie sehr er als Knabe davon betroffen war:

„Schneller als die Nachrichten hatten schon Andeutungen dieses Vorfalls sich durch große Landstrecken verbreitet. An vielen Orten waren schwächere Erschütterungen zu verspüren, an manchen Quellen ein ungewöhnliches Innehalten zu bemerken gewesen. Um desto größer war die Wirkung der Nachrichten selbst. Der Knabe, der alles dieses wiederholt vernehmen musste, war nicht wenig betroffen.“

Gleichzeitig war eine bewegte Handelsstadt wie Frankfurt freilich selbst fest eingebunden in die zeitgenössische Geschichte. 1759 wurde Frankfurt von den mit den Österreichern verbundenen Franzosen überrumpelt und besetzt, im Elternhaus nahm der leitende französische Verwaltungsbeamte fast zweieinhalb Jahre die unteren Stockwerke in Beschlag.

 

Die französische Besatzung brachte ebenfalls eine Schauspieltruppe in die Stadt, Goethe war elf Jahre jung und besuchte die Aufführungen regelmäßig. Gleichzeitig machte Goethe seine ersten poetischen Versuche zu dieser Zeit. Zum Sonntagsempfang war es normal, dass die Kinder Verse vortrugen, Goethe war von der Qualität seiner Verse schnell überzeugt, vor allem weil die anderen in seinen Augen „sehr lahme Dinge vorbrachten“.

3. Goethe wird schwärmerischer Dichter und Student (1765–1771)

Mit 16 Jahren fühlte sich Goethe der Stadt Frankfurt, aber gemäß dem Alter wahrscheinlich auch dem Elternhaus, überdrüssig. Goethe wollte studieren, sein Ziel die Universität Göttingen, wo er unter Christian Gottlob Heyne und Johann David Michaelis die Altertumskunde studieren wollte, um seiner Dichtkunst mehr Substanz zu verleihen. Sein Vater war ebenfalls der Meinung, dass der Sohn, dem bisher jegliches Wissen spielerisch zugefallen war, bereit für ein Studium war. Mit dem Studienfach und -ort hingegen war er nicht d’accord.

Johann Caspar hatte zu seiner Zeit die Universität in Leipzig besucht, Jura studiert und hegte weiterhin einige Kontakte, die er bei Bedarf spielen lassen konnte. Für ihn stand außer Frage, dass der Zögling in die eigenen Fußstapfen zu treten hatte. Goethe erinnert sich, wie der Vater stundenlang über seine Studienzeiten schwadronierte, ließ ihn reden und machte sich „kein Gewissen“ daraus.

Am 27. September 1765 hieß es also: Abschied nehmen von den Frankfurter Freunden. Unter den Kumpanen Johann Jakob Riese, Ludwig Moors und Johann Adam Horn ging nur Horn ebenfalls nach Leipzig und auch erst ein halbes Jahr später.

Goethe erreichte die sächsische Messestadt am 3. Oktober 1765. Leipzig war damals von etwa gleicher Größe und internationaler Umtriebigkeit wie Frankfurt, präsentierte sich aber nicht altertümlich verwinkelt, sondern modern, mit breiten Straßen, Blockquartieren und einheitlichen Fassaden. Studenten hausierten in durchaus komfortablen Zwei-ZimmerQuartieren, die unweit des berühmten „Auerbachs-Keller“ entfernt lagen. Auch Goethe würde in naher Zukunft schon häufig hier verkehren.

Leipzig stand im Zeichen des Rokokos, die Mode war bunt, auffällig, schick und kostspielig. Für den jungen Goethe spielte Geld kaum eine Rolle, die Apanagen des Vaters beliefen sich monatlich auf hundert Gulden. Im Arbeitervolk war das ein gutes Jahresgehalt. Goethe genoss den Luxus in vollen Zügen, noch im Oktober 1765 prahlte er gegenüber dem Freund Riese: „Hühner, Gänse, Truthahnen, Enten, Rebhühner, Schnepfen, Feldhühner, Forellen, Hasen, Wildbret, Hechte, Fasanen, Austern pp. Das erscheinet täglich.“ Goethe lud Kommilitonen ins teure Theater ein und schmückte sich in modischster Kleidung. An der Universität fiel er auf, man machte sich etwas lächerlich über den jungen Mann, Geschmack ließ sich eben auch damals nicht kaufen.

Die anfängliche Euphorie musste recht schnell einer gewissen Ernüchterung weichen. Zum einen vermisste der junge Goethe seine Freunde, oft fühlte er sich sozial isoliert, denn die einheimischen gehobeneren Gesellschaften, in denen er freilich zügig verkehrte, störten sich an der vorlauten Art und am Dialekt des Frankfurters. Gleichzeitig tangierten ihn seine Studien nicht, an Riese schrieb er bereits ein halbes Jahr nach der Prahlerei:

„Da sah ich erst, dass mein erhabener Flug, wie er mir schien, nichts war als das Bemühen des Wurms im Staube, der den Adler sieht zur Sonn' sich schwingen, und wie der hinauf sich sehnt. Er sträubt empor und windet sich und ängstlich spannt er alle Nerven an – und bleibt im Staub.“

Literarisch galten in Leipzig Professor Christian Fürchtegott Gellert und Johann Christoph Gottsched als die Koryphäen, und zu Gotthold Ephraim Lessing, der ja auch in Leipzig studiert hatte, traute er sich kaum aufzuschauen. Treffen mit Gellert und Gottsched nahmen Goethe die Ehrfurcht vor „großen Männern“, denn beide erschienen ihm für die Zeiten unpassend. Großen Einfluss hatten darüber Johann Michael Stock und Adam Friedrich Oeser, die ihm das Zeichnen und den Kupferstich lehrten. Dabei machte ihn Oeser speziell mit dem Klassizismus bekannt.

Neben den Künsten entdeckte Goethe in Leipzig seine größte Leidenschaft. Der mittlerweile 17-Jährige begegnete zu Gast im Schönkopschen Weinhaus der Tochter der Wirtsleute, Anna Katharina, genannt Käthchen, und verliebte sich in sie. Die Liebelei war schnell von Goethes Eifersucht geprägt, welche die Verehrte wohl lang, laut ihm, mit „unglaublicher Geduld“, aber eben nicht ewig aushielt. In einem Brief an den Leipziger Freund Behrisch spricht er davon, dass man mit Liebe angefangen habe und jetzt mit Freundschaft ende und glücklich sei.

In Wahrheit nahm Goethe die Trennung nur schwerlich auf, auch weil ihm die Eifersucht als unangenehme Seite an ihm offenbart wurde. In Verbindung mit den stetig schleppenden Studien wurde Goethe regelrecht übermannt und brach zusammen. Im Juli 1768 erlitt er einen lebensgefährlichen Blutsturz, der ihn mit dem Tod ringen ließ. Die Genesung ging langsam vonstatten. Am 28. August 1768, seinem neunzehnten Geburtstag, reiste er schlussendlich gen Frankfurt ab, wo er ein einjähriges Moratorium einlegte.

Zurück in der Vaterstadt, sah sich Goethe mit der Unzufriedenheit des Patriarchen konfrontiert, denn er hatte nach drei Jahren des Studiums nichts vorzuweisen, was dem Vater von wert war. Goethe reflektierte über seine Briefe, denen er die meisten seiner Gedichte aus dieser Zeit angehängt hatte, und musste sich hier der eigenen Unzufriedenheit stellen. Er bemerkte einen „gewissen selbstgefälligen Dünkel“, sein Stil kam ihm vor wie eine platte Nachahmung des vornehmen Tons.

Immer noch schwer gebeutelt durch die Krankheit, feilte Goethe an eben jenen Gedichten und veröffentlichte dann 1769 eine Sammlung in Kollaboration mit dem Freund Theodor Breitkopf unter dem Titel: „Neue Lieder, in Melodien gesetzt von Bernhard Theodor Breitkopf“. Seine erste Veröffentlichung verblieb ohne Namensnennung des Autors.

Im Oktober 1769 entschied sich Goethe dazu, nach Straßburg zu ziehen, mitunter wieder, weil der Vater es wünschte, denn er hatte während seinem Studium selbst einige Zeit in der französischen Stadt verbracht. Natürlich sollte Goethe endlich sein Studium beenden, er aber plante von Straßburg nach Paris, der kulturellen Hauptstadt der Welt, überzusiedeln.

Anfang April 1770 kam Goethe in Straßburg an und quartierte sich in der Nähe des Alten Fischmarkts ein. Belebt vom wieder guten gesundheitlichen Zustand, nahm er sich vor, Straßburg nicht ohne Abschluss zu verlassen. Das Pauken ging ihm leicht von der Hand und so bestand er am 27. September 1770 das Kandidaten-Examen. Er war damit vorlesungsfrei und musste nur noch eine Dissertation abliefern.

Das ebenfalls altertümliche Straßburg ließ Goethe im Vergleich zum modernen Leipzig eher kalt, einzig das Münster faszinierte ihn immens. Später hielt er in dem Text „Von deutscher Baukunst“ den ersten Eindruck fest:

„Mit welcher unerwarteten Empfindung überraschte mich der Anblick, als ich davor trat. Ein ganzer großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelheiten bestand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Da offenbarte sich mir in leisen Ahndungen der Genius des großen Werkmeisters.“

Nach dem schnellen Studienerfolg war Goethe nun bedacht, die „freie, gesellige, bewegliche Lebensart“ in Straßburg auszukosten. Er machte schnell Bekanntschaft mit dem Mittagstisch um Mamsell Lauth, wo er ebenfalls die neuen Freunde Johann Daniel Salzmann und Franz Lersé kennenlernte. Im Rahmen jener Gesellschaft wurde ihm auch der damals nur fünf Jahre ältere, aber schon berühmte und formidable Johann Gottfried Herder vorgestellt. Über Herder bemerkte Goethe bewundernd:

„Da seine Gespräche jederzeit bedeutend waren, er mochte fragen, antworten oder sich sonst auf eine Weise mitteilen, so musste er mich zu neuen Ansichten täglich, ja, stündlich befördern. Ich ward mit der Poesie von einer ganz andern Seite, in einem andern Sinne bekannt als bisher. Und zwar in einem solchen, der mir sehr zusagte.“

Herder war Goethe gegenüber kritisch, tadelte ihn oft, von Herder „konnte man niemals eine Billigung erwarten, man mochte sich anstellen, wie man wollte“. Dieser Umstand bewegte den jungen Goethe später dazu, Herder nie bei größeren Projekten einzuweihen, da seine „Tadelsucht“ ihm sonst die Motivation geraubt hätte.

Bei einem Ausritt durchs Umland im Sommer 1770 wurde Goethe vom Freund Engelmann mit der Familie Brion in Sessenheim bekannt gemacht. Goethe verliebte sich in die Tochter Frederike und schrieb ihr von Straßburg aus:

„Liebe neue Freundin, ich zweifle nicht, Sie so zu nennen, denn wenn ich mich anders nur ein klein wenig auf die Augen verstehe, so fand mein Aug' im ersten Blick die Hoffnung zu dieser Freundschaft in ihrem. Und für unsere Herzen wollt ich schwören. Sie, zärtlich und gut wie ich sie kenne, sollten sie mir, da ich sie so lieb habe, nicht wieder ein bisschen günstig sein?“

Im Spätsommer 1770 verweilte Goethe mehrere Wochen in Sessenheim, Goethe war über beide Ohren in Frederike verliebt. Er dichtete, ursprünglich nur für sie, so zum Beispiel das „Maifest“:

Wie herrlich leuchtet / Mir die Natur! / Wie glänzt die Sonne! / Wie lacht die

Flur! // … // Du segnest herrlich / Das frische Feld, / Im

Blütendampfe / Die volle Welt! // O Mädchen Mädchen, / Wie lieb’ ich

dich! / Wie blinkt dein Auge! / Wie liebst du mich!

Die Idylle und Verliebtheit waren von recht kurzer Dauer, Goethe äußerte schon nach wenigen Monaten Bedenken:

„Der Zustand meines Herzens ist sonderbar. Als Knab' pflanzt ich ein Kirschbäumchen, im Spielen, es wuchs. Und ich hatte die Freude, es blühen zu sehen. Ein Maifrost verderbte die Freude mit der Blüte und ich musste ein Jahr warten, da wurden sie schön und reif. Aber die Vögel hatten den größten Teil gefressen, eh ich eine Kirsche versucht hatte. Ein ander Jahr waren's die Raupen, dann ein genäschiger Nachbar, dann das Mehltau. Und doch, wenn ich Meister über einen Garten werde, pflanz' ich doch wieder Kirschbäumle. Trotz allen Unglücksfällen gibt’s noch so viel Obst, dass man satt wird.“

Im Winter 1770/71 war Goethe wieder in Straßburg, um dann im Frühsommer 1771 schlussendlich seine Dissertation anzugehen. Die Motivation dazu kam vor allem durch Vaters Geheiß. In seiner Dissertation behandelte Goethe unter anderem die Frage, ob der Staat die Religion seiner Untertanen bestimmen dürfe. Die Reaktionen waren harsch, die Universität verweigerte den Druck, Elias Stöber legte damals nahe, dass der Autor „in seinem Obergebäude einen Sparren zuviel oder zuwenig haben“ müsse.

Goethe musste sich zum Missmut des Vaters mit einem Lizenziat zufriedengeben und kehrte im August 1771 nach Frankfurt zurück, wo er sich postalisch von Frederike trennte.

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