¡PARAGUAY, MI AMOR!

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¡PARAGUAY, MI AMOR!

TEIL 1: DAS FAMILIENGEHEIMNIS

1. Auflage, erschienen 02-2021

Umschlaggestaltung: Romeon Verlag

Text: Wiebke Groth

Layout: Romeon Verlag

ISBN (E-Book): 978-3-96229-847-0

www.romeon-verlag.de

Copyright © Romeon Verlag, Jüchen

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

¡PARAGUAY, MI AMOR!

TEIL 1:

DAS FAMILIENGEHEIMNIS

Vorwort

Die Idee zu diesem Buch entstand schon vor 25 Jahren, als ich mit 18 verschiedene kleine Geschichten schrieb. Tatsächlich wählte ich Paraguay als Handlungsort, weil ich über dieses Land nichts wusste und es sehr spannend fand, darüber zu recherchieren und dann eine Geschichte zu schreiben.

Diese hier beendete ich aber nicht, sondern widmete mich dann meinem Abitur und meiner Ausbildung (Außenhandel).

Im Anschluss lebte und arbeitete ich 2,5 Jahre in Frankreich in einem Vorort von Paris.

Seitdem war mein Leben aufregend genug und ich vergaß das Schreiben und die Zufriedenheit, die mir dieses „Hobby“gab.

Bis ich Ende 2017 (ich war gerade 40 geworden) plötzlich wieder an diese Geschichte dachte.

Auf dem Weg von der Arbeit zurück, überlegte ich mir die Szenen im Kopf, bastelte viel gedanklich daran herum, bis ich dann ca. im Januar 2018 anfing, die Geschichte noch mal aus dem Kopf aufzuschreiben.

Tatsächlich behielt ich eine gewisse Grundhandlung aus dem alten Entwurf bei, baute das Ganze aber viel weiter aus und änderte auch die Erzählperspektive. War es zunächst eine reine ich-Erzählungsform, ließ ich nun verschiedene Charaktere zu Wort kommen.

Es dauerte mehr als 1 Jahr, bis ich alles aufgeschrieben hatte, mein Job und meine Familie ließen leider ein schnelleres Tempo nicht zu.

Dann tippte ich alles noch in eine Worddatei, welches nochmals fast ein Jahr dauerte.

Ende Juli 2020 sendete ich das ganze Manuskript dann an verschiedene Verlage und entschied mich schließlich für den Romeon-Verlag.

Ursprünglich war es eine Geschichte über 580 Seiten. Aus verschiedenen Gründen teilte ich es dann in zwei Teile auf.

Teil 1 liegt nun hier als mein erstes Buch vor.

Ich möchte darauf hinweisen, dass ich alle Informationen über Paraguay leider nur durch Internetrecherche erworben habe, aber leider niemals in diesem faszinierenden Land war.

Aber das, was ich über dieses Land herausgefunden habe, ist mehr als beeindruckend und die Einwohner dieses südamerikanischen Binnenstaates sind mir sehr ans Herz gewachsen.

Ich muss gestehen, dass ich nie vor Ort war und deswegen kann es sein, dass ich ein paar Dinge etwas naiv oder auch fehlerhaft darstelle. Allerdings weise ich auch darauf hin, dass alle Handlungen und Personen in diesem Buch meiner Fantasie entsprungen sind.

Sie haben keinerlei Ähnlichkeit mit lebenden Personen.

Die Handlungen in diesem Buch beruhen auf keiner wahren Begebenheit.

Ich hoffe sehr, dass Ihnen das Buch gefällt, so wie es mir Spaß gemacht hat, es zu schreiben!

PROLOG
RAMÓN

25.07.1999 - Paraguay

Mierda, wenn ein Tag bescheiden anfängt, soll man nicht mehr zu viel von ihm erwarten.

Heute Morgen saßen die anderen schon ungeduldig auf ihren Pferden, als ich mit leichter Verspätung eintraf. Luis rastete fast aus, als er merkte, dass ich am Vorabend etwas viel getrunken hatte.

Dafür gibt er mir nun die langweiligsten und anstrengendsten Aufgaben. Stoisch lasse ich seine Wut an mir abprallen.

Stattdessen denke ich an Valeskas aufregenden Körper und höre kaum, wie Luis sagt: „Das war jetzt das letzte Mal, dass ich diese Eskapaden durchgehen lasse! Beim nächsten Mal erfährt Don José davon! Claro?“

„Sí claro“, nicke ich schicksalsergeben.

Er seufzt tief auf und sagt: „Es wäre hilfreich, wenn du wenigstens ein bisschen Einsicht zeigen würdest, aber alles, was dein Gesicht sagt ist:

„Bist du endlich fertig, Alter?“, er grinst, also versuche ich ein unsicheres Lächeln. Aber dann ordnet er an, dass ich heute die Kälber markieren darf und ich weiß, dass er noch nicht fertig mit mir ist.

Seufzend mache ich mich ans Werk, die Kühe von ihren Kälbern zu trennen, als wir auf dem Weideland angekommen sind.

Der Vormittag fließt zäh dahin, ich werde zwei Mal von Luis angeblafft, weil mir kleine Fehler unterlaufen. Chale! Wie ich den Feierabend herbeisehne!

Nach der Mittagspause nimmt Luis mich noch mal beiseite und fragt barsch: „Sag mal, Ramón, welches Mädchen vernebelt dir jetzt wieder den Verstand?“

Matteo, der mitgehört hat, mischt sich ein und meint grinsend: „Ist es am Ende Don Josés deutsche Tochter? Vorgestern hast du sie doch schon sehr eifrig getröstet! Ich habe gesehen, wie ihr aus dem Stall kamt und du sie sehr eng an dich gezogen hast!“

Wütend starre ich ihn an und sage unbeherrscht: „Du mieser kleiner Spion! Was geht dich das an?“

Natürlich weiß Luis jetzt Bescheid.

„Luis!“, höre ich plötzlich die aufgeregte Stimme von Sebastiano.

„Da reitet ein verrücktes Mädchen direkt auf die Herde zu. Scheinbar kann sie ihr Pferd nicht anhalten!“

Ich schnappe mir das Fernglas und sehe als Erstes meine kleine Schwester auf Estrella, die versucht, das vor ihr rasende Pferd – Rubia! – zu stoppen.

Auf dem Pferderücken sitzt niemand anderes als meine Stiefschwester Valeska!

VALESKA

Deutschland, 5 Wochen früher

Ungläubig starre ich auf den Bildschirm. Mein Herz rast und ich kann nur einen klaren Gedanken fassen: Nein, es ist nicht wahr! Das kann doch nicht stimmen!

Trotzdem lese ich nochmals die Zeilen der E-Mail am Laptop meines Vaters, die ich aus Neugierde geöffnet hatte, weil der Absender unseren Nachnamen trägt.

„Hallo Hugo, Du berichtetest mir in Deiner letzten Nachricht, dass unsere Valeska Abitur gemacht hat. Ich bin so unglaublich stolz! Ich weiß, es entspricht nicht unserer Abmachung, aber ich würde sie so gerne einmal kennenlernen. Du kannst mich ja als den Onkel aus Südamerika vorstellen.“

An dieser Stelle erscheint ein albern grinsender Smiley.

„Alles was sie ist und wie wundervoll sie sich entwickelt hat, ist Dir und Jola anzurechnen, aber bitte gewähre Deinem kleinen Bruder den Wunsch, seiner leiblichen Tochter in die Augen blicken zu dürfen.“

Wenn es da nicht eindeutig um mich gehen würde, hätte ich schon längst meinen Blick von diesen schwülstigen und arroganten Zeilen abgewendet; stattdessen entringt sich meiner Kehle ein trockener Schluchzer. Entschlossen drücke ich auf das Drucker-Symbol.

***

„Was hat das zu bedeuten?“

Mit nur schwer unterdrückter Erregung wedele ich circa drei Stunden später mit dem Ausdruck unter der Nase meiner Eltern herum. Im elterlichen Wohnzimmer ist alles für einen beschaulichen Feierabend eingeläutet.

Aus dem Zimmer meines Bruders Erik wummern die Bässe einer mir unbekannten deutschen Hardrock-Band.

Hugo fängt sich als Erster und nimmt den Zettel entgegen. Seine Hand zittert unmerklich, als er liest.

„Das …das solltest du so nicht erfahren“, stottert mein sonst so redegewandter Vater (?).

Resolut nimmt meine Mutter ihm den Zettel aus der Hand.

„Oh, dieser egozentrische Dummkopf“, murmelt sie leise. „Ja, es stimmt, Valeska.

Dein leiblicher Vater ist Jost Harald König, der jüngere Bruder von Hugo“, fährt sie fort.

„Wir“, sie hüstelt kurz, „hatten eine kurze, aber folgenschwere Affäre, bevor ich Hugo heiratete“, betont sie.

„Dann aber wurde mir klar, dass Hugo der richtige Mann für mich ist und wir heirateten im Sommer 1979.

Silvester desselben Jahres feierten wir bei gemeinsamen Freunden von Jost und Hugo. Dein Onkel konnte nicht dabei sein, da er auf einer Geschäftsreise war und so fuhr ich mit Jost hin. Als er mich gegen drei Uhr morgens nach Hause brachte nutzte er die Gunst der Stunde und verführte mich.

Kurz darauf stellte ich fest, dass ich schwanger war – es war klar, dass nur Jost der Vater sein konnte, aber dann …“

„Kniff mein feiner Bruder und wanderte kurz darauf nach Paraguay aus“, ergänzt der Mann, den ich 19 Jahre für meinen Vater hielt, und beginnt zu erzählen.

 

JAN-HUGO

Hamburg, Februar 1980

„Ich war gerade von einer Geschäftsreise heimgekehrt. Jola erwartete mich aufgelöst im Flur unserer Wohnung in Hamburg-Barmbek.

„Hallo, mein Schatz“, küsste ich sie freudig. „Alles klar?“

„Hugo!“, stieß sie gepresst hervor. „Ich bin schwanger!“

„Oh, Liebling – wie wunderbar!“

Ich wollte sie fest in die Arme nehmen und wieder küssen, aber sie wich zurück.

„Es ist nicht so, wie du denkst.“

„Ich gebe zu, es ist schwer zu erklären, aber was Jola sagen möchte: Du bist nicht der Vater, großer Bruder!“

Ich erstarrte.

„Jost, was machst du hier?“, fragte ich lahm.

„Jola hat gleich den werdenden Vater informiert“, sagte er, während er durch die Küchentür in den Flur zu uns trat.

„Du – Du hast dich wieder an Jola herangemacht??!! Du mieses hinterhältiges Schwein!

Und als ob das nicht schlimm genug wäre, hast du sie auch noch geschwängert?!“

Ich zittere vor Wut und kann kaum glauben, was ich da höre. Am liebsten würde ich mich auf meinen kleinen Bruder stürzen und ihn verprügeln, aber da steht Jola, meine wunderhübsche junge Frau und sie erwartet ein Kind!

Ich atme also tief durch, als Jost sagt: „Ich habe Jola natürlich gesagt, dass sie es abtreiben soll!“

„Wie bitte? Das war mir klar, dass du dem ganzen nicht gewachsen bist!

Aber du hast hier gar nichts zu melden! Meine Frau wird selbst entscheiden, was sie mit diesem neuen Leben macht!“

„Dann nimm du das mal wieder in deine zuverlässigen Hände“, sagte Jost mit bitter-höhnischer Stimme. „Du warst ja schon immer der Verantwortungsvollere von uns beiden. Mutter hat keine Gelegenheit versäumt, das immer wieder zu betonen!“

„Ach ja? Dann wird es wohl stimmen. Wie war es denn mit dir? Sobald du etwas Verantwortung tragen solltest, hast du gekniffen. Angefangen bei unseren Haustieren – du hast sie nur selten versorgt- über die Unordnung in deinem Zimmer und so weiter und so fort.

Als du dann mal auf unsere jüngeren Cousinen aufpassen solltest, hast du ihnen Zigaretten angeboten und sie rauchen lassen und sie für dich die Haushaltssachen erledigen lassen, die Mutter dir aufgetragen hatte. Zum Glück kam ich an dem Tag früher nach Hause und entdeckte es!

Dann deine Berufswahl: Du studierst seit fünf Jahren und liegst Vater damit auf der Tasche. Birga, Betty und ich arbeiten, seit wir 16 sind und verdienen unser eigenes Geld.

Du kannst mit 25 nicht mal eine Familie ernähren! Geschweige denn Verantwortung für ein Kind tragen!“ Ich war außer mir vor Empörung und ballte die Fäuste, mein Gesicht war rot angelaufen.

Jola legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. Ich zwang mich zur Ruhe, aber da hörte ich meinen Bruder provozierend entgegnen:

„Ganz genau Jan-Hugo. Kaufmännisch-präzise auf den Punkt gebracht, wie wir es von dir kennen.

Ich kann keine Familie ernähren. Nächstes Jahr bin ich mit dem Studium fertig und werde dann mit einem Schlag mehr verdienen als meine drei älteren Geschwister zusammen!“

Bei den Worten schnaubte ich verächtlich auf, aber Jost Harald fuhr unbeirrt fort:

„Deshalb sage ich dir, liebste Jola:

Bitte, bitte lass dieses – Missgeschick – wegmachen! Ich kann nicht dafür sorgen.“

Ich konnte vor Fassungslosigkeit gar nichts sagen – aber meine Frau schrie erstickt auf, bevor sie auf Jost zuging und ihn energisch Richtung Tür schob, dabei sagte sie diese Worte und ich weiß, warum ich sie ewig lieben werde: „Verschwinde Jost – verschwinde für immer aus unserem Leben!

Mit diesen Worten hast du dich für immer für die Vaterschaft disqualifiziert!

Dieses Kind wird zur Welt kommen und es wird nur einen Vater haben, der Jan-Hugo König heißt!“

VALESKA

17.06.1999

„Das ist wirklich so geschehen?“, frage ich meinen Onkel schockiert.

„Ja, in der Tat, so war es“ entgegnet er traurig.

„So seid ihr auseinandergegangen?“

„Nein, kurz nach deiner Geburt im Oktober stand Jost plötzlich mit einem Geschenk vor der Tür.

Einer roten Frotteepuppe für Babys“

„Ach ja“, erinnere ich mich. „Damit habe ich viel gespielt, auch als ich schon größer war.“

JAN-HUGO

20.10.1980

Zehn Tage waren seit Valeskas Geburt vergangen. Zehn schlaflose Nächte ebenfalls, denn die Kleine brüllte sich irgendeinen Frust von der Seele, den wir nicht kannten und ergo nicht lösen konnten.

Sie war nachts nur ruhig, wenn sie an Jolas Brust trank oder auf meinem Bauch schlief.

Es klingelte. Ich war gerade von der Arbeit zurückgekommen. Am liebsten hätte ich die Tür wieder geschlossen, aber dann ließ ich meinen kleinen Bruder doch rein.

„Wo ist die Kleine?“, wollte Jost wissen.

„Gib das Geschenk her und verzieh dich!“, entgegnete ich barsch.

In dem Moment erschien Jola mit Valeska auf dem Arm.

„Jola! Herzlichen Glückwunsch, frischgebackene Mama!“

Er trat auf Jola zu und gab ihr einen Kuss auf beide Wangen.

Dann fuhr er leise an uns gewandt fort: „Es tut mir unendlich leid, was ich vor knapp neun Monaten sagte. Ich war überfordert und unreif. Glaub mir, Jola, ich bin nun verantwortungsvoller geworden und ich wollte fragen“, an dieser Stelle versagte seine Stimme, er sah sehr erbärmlich aus.

Dann drückte er seinen Rücken durch und fuhr gefasster fort:„ ob ich Valeskas Entwicklung mitverfolgen darf und sie regelmäßig sehen kann.“

„Kommt gar nicht infrage!“, erwiderte Jola fest in einem Tonfall, der keinen Diskussionsspielraum zuließ.

Jost ließ geknickt den Kopf hängen.

„Jola, ich bitte dich, meine Liebe, ich bin ihr Valter! Ich möchte sie sehen dürfen und natürlich werde ich sie auch finanziell unterstützen, aber bitte lasst mich an ihrem Leben teilhaben!“

Er ging auf sie zu und umfasste zärtlich ihren Arm, in dem Valeska lag und interessiert den Schemen betrachtete, der nicht nach Jola oder Hugo duftete, ihr aber auch nicht beängstigend erschien.

Selig lächelte er die Kleine an und schäkerte angeregt mit ihr.

Jola ließ ihn zunächst gewähren, dann entzog sie sich seinem Griff und sagte:

„Nein Jost, es ist entschieden. Valeskas Vater ist Jan-Hugo und so steht es in der Geburtsurkunde. Geh und mach es nicht noch schlimmer!“

„Sie hat recht Jost“, bestätigte ich ihm so freundlich wie möglich.

„Es ist für alle besser so. Bitte denke auch an das Mädchen. Sie soll in soliden Verhältnissen aufwachsen. Wie belastend wäre es für sie, wenn sie zwei Väter hätte.“ Ich hatte Jost seit jenem schicksalshaften Tag nicht mehr gesehen. Zum Kummer von Oma Rosa hatte er jede Familienfeier tunlichst vermieden und derer gibt es viele im Hause König.

Er sah jetzt schlanker aus und ja, irgendwie reifer. Sollte mein kleiner Bruder etwa doch erwachsen geworden sein?

Ich schreckte aus meinen Gedanken, als ich ihn fragen hörte:

„Bitte, darf ich sie wenigstens einmal halten?“

Jola wollte ihm schon eine verneinende Antwort geben, aber ich sagte schnell: „Natürlich Jost, diesen Wunsch können wir dir erfüllen.“

Ganz der stolze Vater und deswegen gönnerhaft, nahm ich Jola vorsichtig das Baby aus dem Arm und reichte es dem Erzeuger.

„Ist sie nicht ein goldiger Schatz?“, gurrte ich verzückt.

Andächtig nahm Jost unsere Tochter entgegen und murmelte: „Valeska, du wunderschönes Wesen! Ich bin dein Vater und in Gedanken werde ich immer bei dir sein. Eines Tages wirst du mich treffen und erfahren, wer ich bin.“

Seine Augen waren feucht geworden, als er mit einer energischen Handbewegung die langen, lockigen Haare aus dem Gesicht strich und zu mir und Jola sagte:

„Das ist euer letztes Wort?“

Wir nickten stumm und schauten ihn traurig an.

Heftiger als beabsichtigt, legte Jost den Säugling in die neben ihm stehende Wiege, wo dieser sofort zu schreien begann.

„Also gut, hier hält mich nichts mehr. Ich breche mein Studium ab und wandere nach Paraguay aus!

Paraguay, 22. Juli 1999

„Sehr geehrte Damen und Herren, unser Flug nähert sich dem Ende. Bitte bringen Sie Ihre Sitze wieder in eine aufrechte Sitzposition und legen Sie Ihre Sicherheitsgurte an.

In wenigen Augenblicken setzen wir zum Landeanflug auf Asunción an. Das Wetter dort ist für den hier herrschenden Winter mit 25 Grad Celsius sehr angenehm, also nicht viel anders als im sommerlichen Deutschland. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

Der Pilot, der das ganze routiniert abgespult hat, hält kurz inne, bevor er sich auch auf Spanisch von den Passagieren verabschiedet.

Verschlafen schaue ich aus dem Fenster. Unter mir bietet sich eine erste Aussicht auf Paraguay. Ich sehe eine Flusslandschaft, das muss der Río Paraguay sein.

Vor meinem Abflug habe ich versucht, so viele Informationen wie möglich über Paraguay, Land und Leute, Geschichte, Klima und Wirtschaft herauszufinden.

Im Internet habe ich ein paar Anhaltspunkte bekommen, aber Hugos lahme Internetverbindung hat meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Weiß der Geier, wie er damit arbeiten kann!

Auch im örtlichen Reisebüro habe ich versucht, aktuelle Informationen zu bekommen.

Selbst in der Bücherhalle - dort gab ich vor, ein Referat halten zu wollen und die freundliche Bibliothekarin suchte mir das kümmerliche Material, das es gab, zusammen.

Hier das Ergebnis meiner Recherche: Der Binnenstaat Paraguay, 1811 gegründet, liegt südlich des Äquators und wird von überwiegend tropischem Klima geprägt.

Er teilt sich in zwei Klimazonen, der trockene, warme und wasserarme Chaco im Westen des Landes mit wenig Vegetation und ebensolcher Besiedelung. Andererseits der Osten, wo der Großteil der Paraguayer wohnt. Hier liegen die meisten großen Städte und es herrscht ein eher tropisches Klima.

Bis vor zehn Jahren war Paraguay eine Diktatur! Auch seitdem reichen sich die Präsidenten die Klinke in die Hand.

Der letzte musste abdanken und fliehen, weil er im Verdacht stand, in ein Mordkomplott verwickelt zu sein. Das war vor vier Monaten!

Es gibt zwei Amtssprachen: Spanisch und Guaraní, die Sprache der Ureinwohner. Oftmals wird aber eine Mischung aus beidem gesprochen.

Soweit ich weiß, reagiert immer noch die Partei des Diktators, ein Mann mit deutschen Vorfahren!

Demnächst sollen aber wohl die nächsten Wahlen anstehen.

Dieser Alfredo Stroessner hat Paraguay über drei Jahrzehnte seinen Stempel aufgedrückt. Er kollaborierte mit sämtlichen südamerikanischen Diktatoren.

In Paraguay sollen auch viele ehemalige Nazis und deren Nachkommen leben. Ihnen sowie einer großen Anzahl an deutschen Auswanderern in den darauffolgenden Jahrzehnten und bis heute ist es zu verdanken, dass fünf Prozent der Bevölkerung deutschstämmig sind und Deutsch beliebte Fremdsprache in der Schule ist.

Tatsächlich ließ Stroessner in den 70er-Jahren Anzeigen in vielen deutschen Zeitungen schalten, in denen Paraguay als Auswanderungsland für Deutsche angepriesen wurde.

Vielleicht hat Jost daher diese Idee ...

Das mit den Nazis gefällt mir gar nicht und dass Jost sich gerade ein Land aussuchte, in dem eine Diktator herrschte, noch weniger.

Jetzt werde ich ihm gleich gegenübertreten – meinem Vater.

Zunächst bringe ich noch die Zoll- und Einreiseformalitäten hinter mich und warte auf mein Gepäck – ein riesiger Hartschalenkoffer von Jan-Hugo.

Ich schnappe mir das Monstrum und ziehe es energisch hinter mir her. Vor den automatischen Schiebetüren bleibe ich noch mal stehen. Fahre durch meine Kurzhaarfrisur, straffe mich zu meinen stolzen 165 cm und hole tief Luft, bevor ich entschlossen nach draußen trete.

Fast gleichzeitig entdecken und erkennen wir uns.

Der 170 cm große Mann in Jeansjacke, weißem T-Shirt und verwaschener Blue Jeans kommt mir mit einem unsicheren Lächeln auf den Lippen entgegen.

Seine Augen sind eine Nuance dunkler als meine himmelblauen, das Haar wellig, kurz und hellbraun.

Ich lächele vorsichtig zurück und sage: „Hallo“

„Valeska“, sagt er nur. „Meine Tochter. Es ist schön, dich endlich mit eigenen Augen zu sehen! Unser erstes Telefonat vor drei Wochen war anders, als ich es mir erhofft hatte.“

 

Deutschland, 17.06.1999

„Wie konntet ihr nur etwas so Widerwärtiges machen? Warum habt ihr mir das angetan?

Was seid ihr für Menschen?! Du“, ich zeige auf meine Mutter, „du“, dies gilt Jan-Hugo, „und mein sogenannter Vater Jost Harald! Warum habt Ihr ihn so weggeschickt?

Er wollte Anteil nehmen! Warum hat er sich nicht gewehrt, dieser Feigling! Ein Vaterschaftstest wäre das Mindeste gewesen!“

Ich breche schluchzend zusammen und sinke auf den Boden.

Beide trösten mich und irgendwann habe ich mich beruhigt.

„Ach Leska“, seufzt Jan-Hugo. „Damals dachten wir, es sei das Beste für alle.

Wir hielten Jost der Verantwortung nicht für gewachsen. Vaterschaftstests waren damals nicht so üblich wie heute und schließlich gab er nach und ging nach Paraguay“

„Ich will mit ihm telefonieren“, schluchze ich.

„Ja in Ordnung. Aber das machen wir morgen. Heute sind wir alle zu aufgeregt“, sagt mein Onkel.

***

Am nächsten Tag sitze ich vor unserem Mobilteil und starre auf die lange Telefonnummer.

Zuerst wollte Hugo seinen Bruder vorwarnen, aber ich sagte, dass ich allein mit ihm sprechen möchte.

Mit klopfendem Herzen beginne ich zu wählen.

„Hola“ meldet sich eine weibliche Stimme.

Ich stottere den spanischen Satz, den ich mir zurechtgelegt habe.

„Sí claro“, antwortet die Señora und ich höre sie nach „José“ rufen.

„Hola“, meldet sich kurz darauf eine angenehme, männliche Stimme.

„Hallo ... – Jost“, sage ich stockend. „Hier ist deine Tochter.“

Plötzlich steigen Tränen und eine unbändige Wut in mir hoch:

„Wie konntest du nur wie ein elendiger Feigling davonlaufen?

Wann wolltet ihr mir eigentlich die Wahrheit sagen? Auf euren Totenbetten?“

Jetzt kann ich nicht weitersprechen, denn die Tränen brechen sich ihre Bahn.

„Oh Gott – Valeska!“

Am anderen Ende der Leitung – über 10.000 Kilometer entfernt – ist ein tiefer Atemzug zu hören. „Valeska – verzeih mir, bitte! Wie hast du es erfahren?“

„Durch deine dämliche Mail und meine Neugier!“

Paraguay, 22. Juli 1999

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns nach diesem Auftakt sehen würden. Du hattest ja danach aufgelegt. Ich war total fertig. Aber am nächsten Tag riefst du wieder an, entschuldigtest dich sogar.

Es wurde ein gutes Gespräch und wir sprachen eine Stunde und ich war so glücklich, als du meiner spontanen Einladung folgtest und zusagtest, herzukommen.“

Er schaut mich lächelnd an:

„Valeska, meine große, deutsche Tochter, es ist schön, dass du hier bist!“ Er breitet die Arme aus und zögernd umarme ich ihn. Er taxiert mich und sagt:

„Du bist ein sehr hübsches Mädchen.“

Ich schaue ihn an, als ob er einen Scherz gemacht hat:

Mit meinen 165 cm bin ich eher klein, habe kräftige Beine, kleine Hände und kurze dicke Finger.

Ich bin stämmig, aber nicht dick. Allenfalls bin ich durchschnittlich.

Das dichte hellbraune Haar, das ich sehr kurz trage, in Kombination mit den wasserblauen Augen und den vollen Lippen sowie die runden, wohlgeformten Brüste gefallen mir wiederum.

„Quatsch, ich bin nicht hübsch!“

„Selbstbewusstsein und Liebe zu deinem Körper haben sie dir nicht beigebracht“ murmelt Jost ungehalten. Dann, freundlicher: „Ich sage das nicht nur als stolzer, sondern auch als besorgter Vater.

Du bist eine junge, hübsche Frau in der Blüte ihrer Jahre.

Du bist nicht in Deutschland, sondern in Paraguay, wo noch ein anderes, ein archaischeres Weltbild von Männern und Frauen herrscht.“

Ich lache unwillkürlich, es klingt irgendwie so lächerlich und gestelzt.

„Ich möchte, dass du es ernst nimmst! Sei einfach vorsichtig.

Die Männer und Jungen hier sind nicht immer so zurückhaltend, wie du es aus Deutschland kennst.“

„Ach ein bisschen Machotum ist für uns manchmal ganz nett“, sage ich provozierend.

Was bildet er sich eigentlich ein?

Klugerweise schweigt er nun, er merkt wohl, dass es nicht gut angekommen ist.

„Warum bist du eigentlich hierhergekommen?“, frage ich, um einen Themenwechsel bemüht.

„Ich meine, bis vor zehn Jahren war Paraguay eine üble Diktatur und eine Nazihochburg.“

„Ja, das ist leider wahr. Es gibt hier viele ausgewanderte Nazis und deren Nachkommen, die dieser Ideologie anhängen.“ Er lächelt gequält. „Aber Paraguay ist bei Weitem nicht das einzige Land in Südamerika mit diesem Problem.

Du musst mir glauben, dass ich damit überhaupt nichts am Hut habe.“

Währenddessen sind wir durch die Ankunftshalle Richtung Ausgang gelaufen.

„Ich erzähle dir gleich alles, was du über mich wissen willst.

Wir haben knapp drei Stunden Fahrt vor uns. Aber zuerst: Hast du Hunger, möchtest du etwas trinken?“

„Wir hatten im Flugzeug gerade noch etwas zu essen.“ Es ist jetzt 14:00.

„Aber was zu trinken wäre super.“

„Ich habe Wasser im Auto. Hier in Paraguay sollte man immer genügend Wasser bei sich haben, selbst jetzt in unserem Winter und erst recht im Sommer, wenn es oft über 40 Grad Celsius heiß ist.“

„Wasser klingt gut.“

„Ach, weißt du was, wir gehen trotzdem in einen Supermarkt“, sagt er, „ich wollte sowieso schauen, ob sie unsere Produkte gut platziert haben und so kannst du gleich sehen, womit ich hier meinen Lebensunterhalt verdiene.“

„Ja, okay“, ich bin total aufgedreht. Obwohl ich im Flugzeug immerhin etwas geschlafen habe, lassen mich der Jetlag und die neuen Eindrücke hellwach sein.

Wir verlassen nun das Flughafengebäude, warme Luft schlägt mir entgegen.

„Wir sind hier in Luque, einem größeren Nachbarort von Asunción. Wir gehen nun zum Parkplatz und fahren dann ins Stadtzentrum unserer Hauptstadt“, erklärt Jost.

Eine völlig fremde, faszinierend exotische Welt schlägt mir entgegen. Der „Aeropuerto Internacional Silvio Pettirossi“ selbst ist ein moderner hellgrauer Komplex auf mehreren Ebenen und auf einer Gebäudeseite vollständig mit Grünpflanzen bepflanzt.

Der Flughafen liegt am nordwestlichen Stadtrand von Luque, ein Zubringer führt uns ins benachbarte Ascunción. Tropische Pflanzen, die ich allenfalls aus Filmen kenne, wachsen am Wegesrand, für einen Freitagnachmittag herrscht reger Verkehr in und um den Flughafen.

Jost führt mich zu den Parkplätzen und einen in die Jahre gekommenen Jeep.

„Bei den hiesigen Straßenverhältnissen, besonders auf der Estancia, ist der Jeep einfach praktisch“, erklärt er fast verlegen.

„Ist doch okay“, meine ich, „es ist mir egal, was für ein Auto du fährst“

Er lacht: „Komm, steig ein, Kleine.“

Schnell erreichen wir das Stadtzentrum Asuncións, wobei ich Josts stoische Gelassenheit bewundere, mit der er den Geländewagen ruhig durch den teils chaotischen Verkehr lenkt.

Wir halten an einem super mercado. Drinnen sieht es nicht viel anders aus als in einem deutschen oder europäischen Lebensmittelgeschäft, nur halt alles auf Spanisch.

Stolz zeigt Jost mir das Rindfleisch, welches hier an prominenter Stelle in der Frischetheke ausliegt.

„Biofleisch von unserer Estancia. Wir verkaufen nicht nur hier, sondern exportieren auch nach Europa – auch nach Deutschland.“

„Aha, ist es einträglich?“

„Man kann in einem Land wie Paraguay gut davon leben. Den Betrieb haben wir vor einigen Jahren von Isabellas Eltern übernommen – wir haben ihn damals als einen der ersten Betriebe in Paraguay auf Bio umgestellt“, erklärt er stolz, „ in Deutschland und Europa ist das jetzt ja der Zukunftsmarkt – ich schätze in zehn bis zwanzig Jahren wird Bio normal sein, aber zurzeit machen wir guten Umsatz mit unserem Konzept, vor allem in Deutschland, Frankreich und den USA. Da sind sie ganz wild nach südamerikanischen Rindern, die ein glückliches, freies Leben mit biologisch angebautem Futter oder auf unbehandeltem Weideland geführt haben. Dabei muss man wissen“, er gluckst etwas, „dass in Paraguay nahezu alle Rinderzüchter und Mäster ihre Tiere auf der Weide halten oder traditionell in großen Gebieten hüten. Wir mussten also nur das Futter und ein paar Kleinigkeiten ändern.“

„Nicht schlecht. Aber das klingt nach viel Arbeit“

„Wir haben zehn Angestellte und trotzdem haben Isabella und ich alle Hände voll zu tun.“

Ich suche mir noch eine paraguayische Limo und Kekse aus, die Jost wie selbstverständlich bezahlt, dann treten wir von dem gut klimatisierten Geschäft wieder in die warme Luft Asuncións.

Als wir weiterfahren, erzählt Jost:

„Asunción ist die älteste Stadt des südlichen Südamerikas. Sie wurde am 15.08.1537 als Festung gegründet.

Sie wird „Madre de Ciudades“ (Mutter der Städte) genannt, da von hier zahlreiche Expeditionen gestartet wurden. Viele Städte wurden von hieraus gegründet, auch Buenos Aires!“