Kreaturen des Todes - 1. Band

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Kreaturen des Todes - 1. Band
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Walter Brendel

Kreaturen des Todes

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Einleitung

Die Hinrichtung einer Frau – der Fall Anne-Marie Allaix

Der Monstermörder - Der Fall Cécile Bloch und andere

Der Tote im Straßengraben – der Fall Azzouz Jhilal

Giftmord – Der Fall Bruno Lieber

Der Hammermörder – Der Fall Carmelo Castronovo

Leiche ohne Mörder - Der Fall Didier Lacote

Ein Familiendrama - Der Fall Elisabeth Alem


Einleitung

Wenn man der Lehre von Cesare Lombroso, ein italienischer Arzt, Professor der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, folgen würde, wäre es relativ leicht, einen Mörder zu erkennen und zu überführen. In seiner umstrittenen Theorie, die 1887 erstmals veröffentlicht wurde „Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung“ begründete er eine neue Theorie in der Kriminologie, den Übergang vom Tat- zum Täterstrafrecht. Seiner Lehre vom „delinquente nato – dem geborenen Verbrecher“ nach, wird der Kriminelle hier als besonderer Typus der Menschheit beschrieben, der in der Mitte zwischen Geisteskranken und Primitiven stehe. Die direkte Verwandtschaft zu den aggressiveren, nicht kulturell domestizierten Vorfahren des heutigen Menschen trete bei manchen Personen in ihren körperlichen Merkmalen offen zutage, so Lombrosos These.


Cesare Lombroso

Danach ist eine bestimmte Schädelform oder zusammengewachsene Augenbrauen der Verweis auf eine atavistische – damit niedrigere und gewalttätigere – Entwicklungsstufe. Damit deuten äußere Merkmale auf die tief verwurzelten Anlagen zum Verbrecher hin, die auch durch die Aneignung sozialer Verhaltensweisen nicht überdeckt werden können. Zum „Beweis“ seiner Theorie führte Lombroso in seinem Institut Messungen an zahlreichen Schädeln (u. a. von Hingerichteten) durch. Lombroso glaubte, den typischen Verbrecher von Geburt an aufgrund von Äußerlichkeiten feststellen zu können.

Es gibt demnach den Kriminellen, dessen abweichendes Verhalten unvermeidlich ist. Der Verbrecher sei nicht in der Lage, sich für oder gegen ein Verbrechen zu entscheiden, sondern handle vollständig unfrei und determiniert.

Lombroso beschreibt Diebe und Mörder folgendermaßen: Die Diebe haben im allgemeinen sehr bewegliche Gesichtszüge und Hände; ihr Auge ist klein, unruhig, oft schielend; die Brauen gefaltet und stoßen zusammen; die Nase ist krumm oder stumpf, der Bart spärlich, das Haar seltener dicht, die Stirn fast immer klein und fliehend, das Ohr oft henkelförmig abstehend …

Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtsnase; die Kiefer starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich; die Lippen dünn, die Eckzähne groß … Im allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, die Stirnhöhlen gewölbt, die Kinnlade enorm, das Kinn viereckig oder vorragend, die Backenknochen breit, – kurz ein mongolischer und bisweilen negerähnlicher Typus vorhanden.

Wissenschaftlich ist das natürlich blanker Unsinn, aber in der Bevölkerung sind derartige Ansichten dennoch nach wie vor weit verbreitet: Den Glauben, dass der Sohn des Totschlägers wieder gewalttätig wird, gibt es noch immer. Das Sprichwort "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm" drückt diese Ansicht aus.

Warum begeht jemand schwere Verbrechen?

Das Potenzial, andere zu beschränken, ihnen zu schaden, wehzutun, das steckt in jedem Menschen und ist sehr unterscheidlich ausgeprägt. .

Nur wann genau dunkle Ideen, Gefühle und Wünsche zu einer Tat werden, die andere als falsch, böse oder verwerflich betrachten, das ist die Frage.

Bei den meisten Menschen, auch jenen mit schlimmen Kindheitserfahrungen, werden aggressive Impulse in Schranken gehalten. Durch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die Fähigkeit zum Mitgefühl und durch die Akzeptanz moralischer Grundsätze. Wenn aber eine oder sogar alle drei dieser Fähigkeiten versagen, dann steigt das Risiko, Gewalt wiederholt zum eigenen Vorteil einzusetzen.

Experten unterscheiden bei Intensivstraftätern drei Typen, bei denen diese Schranken nicht zuverlässig funktionieren. Instrumentelle Täter, sie machen etwa 30 Prozent aus, sehen Gewalt als Strategie, um Konflikte zu lösen. Sie sind in einem Umfeld aufgewachsen, das sie gelehrt hat: Gewalt ist überlebenswichtig, effektiv und wird belohnt. Die zweite Gruppe besteht aus impulsiven, chronischen Gewalttätern. Sie leiden an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, fallen schon als Kinder auf, weil sie stehlen, soziale Regeln missachten oder das Eigentum anderer zerstören. Sie wissen, dass ihre gewaltsamen Ausbrüche ihnen langfristig eher schaden als nützen, ändern aber ihr Verhalten trotz harscher Konsequenzen nicht. Etwa 60 Prozent aller Intensivstraftäter fallen in diese Kategorie. Sie fühlen sich schnell bedroht, rasten schnell aus, schlagen schnell zu. Ihr Mitgefühl mit anderen hält sich in Grenzen, ihr Selbstwert ist leicht angreifbar. Neben einer problematischen Kindheit finden sich bei diesen Menschen häufig noch andere Auffälligkeiten – und zwar im Gehirn. Neurowissenschaftler konnten zeigen, dass impulsive Gewalttäter Veränderungen in der Anatomie und Funktion des präfrontalen Kortex, einem Areal hinter der Stirn, aufweisen. Anders als bei anderen Menschen hemmt das Areal bei ihnen aggressive Impulse nicht. Darüber hinaus ist bei diesen Tätern die Stressverarbeitung gestört: Der Mandelkern, für die emotionale Bewertung von Reizen zuständig, ist hyperaktiv. Das führt dazu, dass sich das Gefühl, bedroht zu werden, viel schneller einstellt als bei anderen Menschen. Kein Lernen nach Bestrafung oder auch Belohnung, eine Unempfindlichkeit gegenüber sozialen Sanktionen oder Bestärkungen, das ist auch typisch für die dritte Tätergruppe: die Psychopathen. Sie sind mit zehn Prozent die kleinste, aber gefährlichste Gruppe.

Auch bei ihnen gibt es Auffälligkeiten im präfrontalen Kortex, wie bei den impulsiven Tätern. Eines aber ist bei ihnen anders: Ihr Mandelkern, das Furchtzentrum, ist nicht hyperaktiv, sondern völlig still.

Lassen wir es dabei bewenden. Die nachfolgenden tatsächlichen Kriminalfälle beantworten zum Großteil die eingangs erwähnte Frage, warum jemand schwere Verbrechen begeht.

Die Hinrichtung einer Frau – der Fall Anne-Marie Allaix

Es geschah in Marseille und wir schreiben den 13. Februar 1996. Um 8 Uhr morgens klingelt bei der Kriminalpolizei das Telefon. Im Norden der Stadt geschah ein Mord. Eine Person war in ihrem Fahrzeug regelrecht hingerichtet worden. Ein Motorradfahren hatte angehalten, geschossen und war davon gerast.

Solche Vorfälle sind für die Polizei von Marseille schon fast Alltag. Also gingen sie sofort von einer Abrechnung im Verbrechermillieu aus. Doch das Opfer entspricht absolut nicht dem üblichen Profil. Es handelte sich um eine Frau, eine Frau die so hingerichtet wurde. Das war schon sehr seltsam, wirklich ungewöhnlich, dass eine Frau unter solchen Umständen erschossen wird. Das ist eher eine Form der Abrechnung unter kriminellen Männern.

Die Polizisten untersuchen den Tatort, Das Opfer saß noch auf dem Fahrersitz und war von mehreren großkalibrigen Geschossen getroffen worden und sofort tot. Der etwa 50jährigen Frau war direkt in den Kopf geschossen worden. Schnell ist die Polizei von Augenzeugen umringt, die eine regelrechte Hinrichtung beschreiben und das am helllichten Tag.

Ein Mann auf einem Motorrad hielte an und ging seelenruhig auf den Renault der Frau zu. Er trug einen Helm. Der Mann zog eine Waffe aus seiner Lederjacke, er schoss etwa sechs Mal und ging völlig ruhig und ohne Eile zu seinem Motorrad zurück. Danach fuhr er davon. Offensichtlich ist der Schütze ein Profi, darauf deutet sein ruhiges und gelassenes Vorgehen hin. Man muss schon sehr abgebrührt sein, um an einer roten Ampel ein Opfer auf diese Weise zu erschießen.

Alles deutete auf einen Auftragsmord hin. Am Tatort liegen keine Patronenhülsen und es gibt keine Reifenabdrücke. Der Mörder ist extrem vorsichtig, um keine Spuren zu hinterlassen. Die Identifizierung des Opfers hat jetzt Priorität. Wer ist diese Frau? Gibt es einen Hinweis, der ihr tragisches Ende erklären könnte?

 

Möglichweise lebte sie mit einen Kriminellen zusammen, einen Bandenmitglied und war selbst in etwas verwickelt. Im Auto finden die Polizisten die Handtasche des Opfers, mit ihren Ausweis und Papieren.

Das Opfer war Anne-Marie Allaix, eine Lehrerin auf dem Weg zu ihrer Arbeit. Sie war Lehrerin für Sozialkunde an einem Gymnasium im Norden der Stadt und Mutter eines 19jährigen Sohnes. An diesen Tag hatte sie Prüfungsaufsicht. Die 47jährige Lehrerin ist geschieden. Ihr Profil passt so gar nicht in das Bandenschema, von dem die Polizei ausgeht. Sie hatte überhaupt keine Verbindung zur Unterwelt. Es konnte also keine Abrechnung sein. Sie ging jedem Morgen zur Arbeit, kam abends wieder. Sie hatte einen Freund und kümmerte sich um ihr Haus.


Das Opfer Anne-Marie Allaix

Sie spielte nicht, trank nicht und ging nicht aus. Auch über ein ausschweifendes Sexleben war nichts bekannt. Eine absolute durchschnittliche Frau und Bürgerin. Auf der einen Seite gab es das absurd brutale Verbrechen, auf der anderen Seite eine ganz normale Frau. Das passte einfach nicht zusammen.

Die Polizisten sind ratlos. Wer hat diese harmlose Person umgebracht? Die Ermittler fahren zur ihrer Arbeitsstelle. Die Schule liegt in einem Gebiet, in dem es häufig zu Gewalttaten kommt. Der Mord geschah nahe der Schule. Es schien, als habe der Mörder alles ausgekundschaftet, und sie bei der letzten roten Ampel vor dem Gymnasium aufgelauert. Es konnte also jemand von der Schule gewesen sein. Eventuell ein Kollege, mit dem sie Streit hatte, vielleicht hatte sie auch einen Schüler eine runtergehauen oder war mit einem Elternteil aneinandergeraten.

Die Ermittler verhören Schulleiter, Lehrer und Schüler. Danach wirkt Anne-Marie Allaix noch normaler. Sie wurde als eine dynamische, glückliche Frau beschrieben, die in ihren Beruf aufging und sich sehr für ihre Schüler einsetzte. Sie wurde sehr geschätzt. Die Schüler waren betroffen, einige weinten sogar.

Nach während den Befragungen wird den Ermittlern klar, dass sie die falsche Spur verfolgen. Es ist zwar ein schwieriger Stadtteil, hatte aber nichts mit dem Fall zu tun. Auch mit der Verwaltung hatte das Opfer keinen Streit. Eine Lehrerin, die Opfer einer derartigen kaltblütigen Straftat wird, das alle s war völlig absurd. Offensichtlich gibt es für den Mord an Anne-Marie Allaix kein Motiv. Handelt es sich um einen tragischen Irrtum? Vielleicht verfolgten die Täter jemanden, der ein solches Fahrzeug fuhr und es kam zu einer Verwechslung. Das wäre eine Möglichkeit. Und der Schütze dachte, er schießt auf einen Mann mit langen Haaren. Am Ende des ersten Ermittlungstages haben die Kripo-Beamten nicht die geringste Spur.

Einen Tag nach dem Mord kommt ein Mann auf die Polizeiwache. Er hat die Schießerei beobachtet und sagt, er habe wichtige Informationen. Einer der Zeugen sah den Täter auf sein Motorrad steigen und verfolgte ihm eine Zeitlang. Irgendwann verlor er ihm aus den Augen. Aber er hatte das Kennzeichen notiert. So etwas bringt zwar nicht immer Ergebnisse, aber man muss der Sache nachgehen. Ist das Motorrad gestohlen, landet man aber in einer Sackgasse.

Zur gleichen Zeit macht eine Streife unweit des Tatorts eine wichtige Entdeckung. Die Beamten entdeckten ein Motorrad, was in allem Punkten mit dem des Täters übereinstimmte, knapp einen Kilometer vom Tatort entfernt. Und das noch komplett mit Helm und Handschuhen. Die Ermittler sind überzeugt, dass sie das Täterfahrzeug sichergestellt haben. Der Abgleich des Kennzeichens bestätigt das. Das Nummernschild, was der Zeuge nach der Verfolgung notiert hat, war identisch. Jetzt stand fest, dass dieses Motorrad am Tatort gewesen war.

Die Polizisten sind sicher. Der Mörder hat sein Motorrad dort abgestellt, und mit einen anderen Fahrzeug zu fliehen. Er war wirklich gut vorbereitet. Zur Überraschung der Ermittler ist das Motorrad nicht als gestohlen gemeldet. Ist der Besitzer auch der Mörder? Der Besitzer wird festgenommen und auf die Wache gebracht. Außerdem wurde sein Haus durchsucht. Doch etwas stimmt nicht. Der Mann war nicht aktenkundig und völlig bestürzt über seine Verhaftung. Er sei tatsächlich der Besitzer dieses Motorrades, aber er habe es vor einiger Zeit in ein Geschäft zum Weiterverkauf gebracht.

Die Ermittler fahren sofort zur angegebenen Werkstatt. Der Besitzer sagte, dass er das Motorrad nicht mehr habe. Er habe einen Interessenten gefunden und es bereits im Januar weiterverkauft. Er hatte alle Unterlagen und konnte den neuen Besitzer des Motorrads nennen. Der Verkäufer war ein gewisser Antoine Cionini, 50 Jahre alt und vom Beruf Taxifahrer. Bei seiner Überprüfung machen die Beamten eine unglaubliche Entdeckung.

Der Mann kannte das Opfer sehr gut. Er war der Ex-Mann von Madam Allaix. Jetzt haben die Polizisten eine Spur, einen Hinweis auf ein Verbrechen aus Eifersucht. Allerdings war das Paar nur zwei Jahre verheiratet und die Scheidung schon lange her. Die Scheidung war 1987, der Mord 1996. Die Trennung lag so lange zurück, dass sie kaum noch Auswirkungen haben konnte.

Antoine Cionini, der Ex-Mann, der neun Jahre nach seiner Scheidung kaltblütig mordet. Die Theorie scheint etwas weit hergeholt. Er war nicht polizeibekannt, hatte andere Berufe gehabt, bevor er Taxifahrer wurde. Kein typischer Gangster also. Cionini führte zu dieser Zeit ein sehr geregeltes Leben, völlig unauffällig.

Antoine Cionini schien ein ganz gewöhnlicher Taxifahrer zu sein, kaum vorstellbar dass er der Täter oder Anstifter des Verbrechens sein sollte. Die Ermittler haben weder ein mögliches Motiv, noch eine Erklärung für das zurückgelassene Motorrad. Sie haben nur eine Möglichkeit, sie müssen den Hauptverdächtigten zu fassen bekommen.


Antoine Cionini

Seine Spur zu verfolgen, war kein Problem. Die Polizei hatte Papiere, Telefonnummer, alles. Sofort fahren die Beamten zu seinem Wohnort. Doch seine Wohnung war neu vermietet worden. Von den Nachbarn erfuhr man, dass er schon länger nicht mehr dort wohnte. Seit Ende 1995 war er fort.

Die Hausmeisterin erzählt, dass Antoine Cioninivor seinem Auszug seine Kontaktdaten hinterlassen hat. Die neue Adresse macht die Beamten stutzig. Er hat tatsächlich eine Adresse abgegeben: Rue Tue-Allaix- „Tötet Allaix“. Ein makabres Wortspiel mit dem Namen seiner Ex-Frau. Den Beamten wir klar, dass der Mörder mit ihnen Katz und Maus spielt.

Er hatte nicht nur der Polizei ein Schnippchen geschlagen, er machte sich obendrein noch über die ganze Justiz lustig. Ein zynisches, provokantes Geständnis. Die Polizei hatte nun den Namen des Mörders und sein Geständnis in Form eines Wortspiels. Scheinbar ist er also der Mörder und bekennt sich zu seiner Tat. Doch er ist nicht zu finden.

Die Polizei verfolgt alle möglichen Spuren. Vergeblich. Von seinen Angehörigen erhalten sie eine interessante Information. Taxifahrer übernachten manchmal in kleinen Bezirken westlich von Marseille. Das waren Hotels, in denen man weder Ausweise vorzeigt, noch Formulare ausfüllt. Alle Hotelketten von Marseille wurden erfasst und mit Fotos von Antoine Cionini klapperten die Beamten die einzelnen Hotels ab. Die akribische Ermittlungsarbeit zahlt sich aus.

In einen Hotel, im 11. Bezirk von Marseille war der Mann bekannt. Irgendwann standen die Beamten wieder einmal an einer Hotelrezeption, zeigten das Foto und fragten, ob der Angestellte den Mann erkenne. Und dieser war sich ganz sicher. Der Gesuchte hat im Hotel übernachtet und sei vor zwei Tagen abgereist. Cionini hatte einen falschen Namen angegeben. Trotzdem konnte ihm die Polizei mit einem wichtigen Datum in Verbindung bringen, den Vorabend des Verbrechens.

Am 12. Februar, einen Tag vor dem Mord, verlässt Antoine Cionini das Hotel auf einen Motorrad. Es war wie eine Schnitzeljagd, er hinterließ das Motorrad, seine Wohnung, aber jede Spur führte ins Leere.

Am 17. Februar 1996, vier Tage nach dem Mord an Anne-Marie Allaix, verhören die Ermittler einen Onkel von Antoine Cionini. Der Mann erzählt, dass er am Tag des Mordes von seinen Neffen gehört, aber das Gespräch nicht viel Sinn ergeben hat. Kurz nach dem Mord erhielt der Onkel einen Anruf. Antoine Cionini sagte, es ist erledigt. Der Onkel verstand das nicht, aber später, im Zusammenhang mit dem Verbrechen, wurde ihm klar, dass Cionini auf seine Art den Mord gestanden hat.

Für die Polizei ist das ein Geständnis, aber noch immer wissen sie nicht, warm Antoine Cionini seine Ex-Frau getötet hat. Sie durchleuchten die Vergangenheit des Paares. Antoine Cionini und Anne-Marie Allaix hatten sich 1976 kennengelernt.


Anne-Marie Allaix und Antoine Cionini

Antoine Cionini war ein großer Mann mit blauen Augen und wirkte sehr attraktiv auf junge Frauen. Er war ein Geck, wie dort gesagt wurde. Er ließ die Muskeln spielen, war ein richtiger Sonny-Boy. Anne-Marie verliebte sich und sie zogen zusammen. Sie heirateten und bekamen ein Kind. Antoine Cionini hat alles, was man zum glücklich sein braucht, außer einen festen Job. Und er hat ein sehr persönliches Problem. Die Zeit verging und er bekam Haarausfall. Das wurde für ihn zu einem Riesenproblem. Anne-Marie war das vollkommen egal, aber für ihn war es irrational wichtig. Er war sehr frustriert.

Um sich zu beschäftigen, baut Antoine Cionini ein Haus für sich und seine Familie. Aber nach und nach wird der Mann depressiv, jähzornig und gewalttätig. Anne-Marie litt sehr darunter und erzählte ihrer Verwandtschaft, dass ihr Mann ein sehr unbeherrschter Mensch geworden ist. Wenn er einen schlechten Tag hatte, versteckte er die Autoschlüssel, damit sie nicht weggehen konnte. Er tolerierte keine Fehler, hielte es nicht aus, wenn sie mal fünf Minuten zu spät kam. Er überprüfte ihre Arbeitszeiten und wann ihr Unterricht begann und endete.

Während den Anhörungen zeichnet sich langsam das wahre Gesicht von Antoine Cionini. Ein krankhaft eifersüchtige Mann, der manchmal die Kontrolle verliert. Eine Verwandte, die Schwägerin von Anne-Marie, wurde Zeuge, als sie Anne-Marie einmal nach Hause begleitete. „Sie öffnete die Tür und wir gingen in ihr Zimmer und ein paar Sekunden später flog die Garagentür auf und da stand er. Knallrot im Gesicht und mit einem Bratenmesser in der Hand. Und er sagte zu mir, ich werde euch töten. Alle Allaix werde ich töten und diesen Moment entscheid Anne-Marie, dass sich trennen würde. Für Antoine war das aber unvorstellbar.“

Angesichts der Bedrohung flüchtete Anne-Marie mit ihrem Kind zu ihren Eltern und reicht die Scheidung ein. Die Situation verschärft sich. Antoine Cionini steht nun komplett allein da, hat Frau und Kind verloren. Man dachte, er würde sich nun beruhigen, aber das Gegenteil war der Fall. Er begann seine Ex-Frau zu belästigen und zu Stalkern. Es wurde immer schlimmer, sie musste mehrfach umziehen. Es war weniger Waffengewalt als Belästigung. Wenn sie irgendwo entlang lieg, stellte er sich in ihre Blickrichtung und machte eine Handbewegung, die bedeutete, ich werde Dich töten. Er hinterließ Nachrichten mit Drohungen auf ihrer Windschutzscheibe, wie „ich steche Dich ab“ und sagte in aller Deutlichkeit, er werde sie umbringen.

Sie erstattete natürlich Anzeige, aber ohne Verletzungen übernimmt die Polizei nichts. Es war entmutigend und sie wusste nicht mehr, was sie noch tun konnte, dass man ihr glaubt. Sie wollte ihren Ex-Mann nicht irgendetwas anhängen.

Eine Woche nach dem Mord an Anne-Marie Allaix haben die Beamten ein Täterprofil erstellt. „Gewalttätig, impulsiv und zu der Tat durchaus fähig.“ Es gab aber keine Spur von Antoine Cionini und es bestand die Gefahr, dass er wieder zuschlägt. Die Wochen vergehen und Antoine Cionini bleibt verschwunden. Er ist sehr gerissen und hinterlässt keinerlei Spuren. Die Ermittler sind frustriert. Am 15. Dezember hatte er sein Konto aufgelöst und knapp 40 000 Euro zur Verfügung. Er hatte kein Einkommen, keine Rente und damit gab es auch keine Spur zu ihm. Sein Gesamtvermögen beträgt nun 37 000 Euro. Die Beamten geben nicht auf und weiten die Ermittlungen aus. Wieder verhören sie den Bekanntenkreis von Antoine Cionini, darunter seine zweite Frau Iveline I.

 

Sie hatten 1994 geheiratet, aber nach sechs Monaten war die Ehe schon kaputt. Seine zweite Frau beschrieb ihm als extrem gewalttätig. Iveline bestätigt die bisherige Zeugenaussage, besonders die der Familie Allaix und gibt der Polizei eine wichtige Information. Ihr Ex-Mann ist schwer krank. Antoine Cionini war HIV-positiv und musste sich deswegen behandeln lassen.

Das war ein wichtiger Hinweis für die Ermittler, denn er brauchte ja Medikamente und ärztliche Behandlung. Schließlich war das eine schwere Krankheit. Damit konnte man ihm aufspüren. Also begann die Polizei mit der Such bei den Krankenversicherungen, aber wieder keine Spur. Antoine Cionini ließ sich anscheinend nicht behandeln. Die Polizei verschickt Fandungsaufrufe zu Antoine Cionini, mit und ohne Perücke – ohne Ergebnis.

Nach mehreren Monaten bleiben nur noch zwei Möglichkeiten. Alle Nachforschungen bei Finanzunternehmen und Verwaltung ließen nur noch zwei Schlussfolgerungen zu. Der Mann war entweder gestorben, oder er hat sich in Ausland abgesetzt. Falls er noch lebte, hatte er seine Flucht sehr sorgfältig vorbereitet. Der Mord war so gut organisiert, dass er sein Verwinden im Voraus geplant haben muss. Er hätte nur wenige Stunden nach dem Mord eine Landesgrenze überqueren können.

Trotz seiner Flucht kann sich Antoine Cionini der Rechtsprechung nicht vollkommen entziehen. 1998 wird er in Abwesenheit wegen Mord an Anne-Marie Allaix verurteilt. Das Rechtssystem musste eingreifen, man konnte den Fall nicht einfach ruhen lassen. Damit konnte man ihm auf die Fahndungsliste Krimineller setzen. Ab sofort ist eine Sonderfahndungseinheit für die Suche nach Antoine Cionini verantwortlich. Das ganze Land ist alarmiert. Steuerbehörden, Sozialversicherungen und Justizbehörden. Sobald ein Fahrzeug mit seinen Namen auftauchte oder er bei einer Verwaltung erschien, wurde im Polizeicomputer ein Alarm ausgelöst.

Irgendwann macht der Flüchtige einen Fehler, aber die Wartezeit zieht sich hin. Acht lange Jahre vergehen ohne ein Lebenszeichen von Antoine Cionini. Am 1. Dezember 2004 gibt es plötzlich einen Alarm im Polizeicomputer. Einer von vielen an diesem Nachmittag, aber dieser bringt den Fall Cionini wieder in Gang. Der Alarm kam von der Krankenkasse. Antoine Cionini hatte einen Antrag auf Kostenübernahme gestellt. Nach acht Jahren ohne ein Lebenszeichen war die Spur plötzlich wieder brandheiß.

Die überraschten Ermittler überprüfen sofort die Information. Die Sozialversicherung-nummer von Antoine Cionini wurde für einen Antrag auf HIV–Behandlung verwendet. Ein Antrag auf Kombinationstherapie. Das konnte nur der Gesuchte sein. Also raste die Polizei los. Der Mann lebte in einer kleinen Wohnung. Doch die Beamten der Sondereinheit hatten Schwierigkeiten ihn zu finden. Der einzige Antoine in diesem Haus war Antoine Canovas.

Das konnte der Gesuchte sein, er hatte schließlich in den Hotels auch schon falsche Namen benutzt. Also beschlossen die Polizisten, vorsichtig an die Sache heranzugehen. Eine kleine Einheit blieb vor dem Haus postiert. Sie beobachteten den Ein- und Ausgang der Bewohner dieses Hauses. Nach einigen Stunden erregt ein Mann ihre Aufmerksamkeit. Sie entdeckten einen Typ, mit einer Kapuze. Der müde und geschwächt aussah. Sie überprüften die Fotos, die sie von Antoine Cionini hatten und sagten sich, dass ist er. Er hatte keinen Selbstmord begangen, war nicht im Ausland, sondern hatte es schafft unter anderen Namen sein Leben zu führen und das auch noch ganz in der Nähe.

Der Hauptverdächtigte im Mordfall Anne-Marie Allaix ist gefunden. Die Polizisten zögern nicht. Um Fehler zu meiden, beließen sie, den Mann in seiner Wohnung zu verhaften. Ein paar Stunden betreten die Kriminalisten das Wohnhaus. Das Haus war keine Festung, Antoine Cionini saß in der Falle. Nach acht Jahren Flucht leistet er keinen Wiederstand.

In der Wohnung entdeckten die Ermittler eine herumstehende Kiste und darin einen wichtigen Gegenstand. Sie fanden eine 357-Magnum, öffneten die Trommel und darin waren sechs leere Patronen. Cionini sagte, mit denen habe er seine Ex-Frau getötet. Die Ermittler können es nicht fassen. Antoine Cionini hat nicht nur die Mordwaffe acht Jahre lang behalten, sondern gesteht auch den Mord.

Er wird sofort ins Gefängnis gebracht. Die Polizei und die Familie des Opfers sind erleichtert. Eine unglaubliche Geschichte. Wenn jemand ein Buch darüber schreibt, werden alle denken, das sei nur ausgedacht. Am nächsten Morgen legt Antoine Cionini in Marseille ein Geständnis ab. Er gestand alles sofort. Bei der Schilderung seines Verbrechens wirkte er sehr zufrieden mit sich selbst.

Das Motiv hat nichts mit Eifersucht zu tun, der Mann beschuldigt Anne-Marie Allaix, ihm ruiniert zu haben. Der Grund war schlicht und ergreifend Geld. Die Scheidung hatte ihm finanziell ruiniert. Das war das Hauptmotiv. Er sagte, er habe beschlossen sie zu töten und man solle mal die schlimmen Dinge berücksichtigen, die sie ihm angetan hat. Sie hatte Geld genommen, was ihr nicht zustand.

Cionini hat keine Gewissensbisse. Der Mord an seiner Ex-Frau war sorgfältig geplant. Was die achtjährige Flucht angeht, so erklärt er mit einer gewissen Genugtuung, wie er es geschafft hat, die Behörden so lange zu überlisten. Er lebte unter den Namen Canovas und hatte verschiedene Jobs. Zuerst freundete er sich mit einer älteren Person an, die ihm bei sich wohnen ließ. Dann nahm er ein Psychiater-Ehepaar für sich ein. Er konnte gut reden und sich verstellen. Deshalb hatte niemand die ganzen Jahre auch nur den geringsten Verdacht geschöpft.

Nach dieser Aussage interessierte den Richter eine Frage. Warum hat Antoine Cionini nie die ärztliche Versorgung unter seinen richtigen Namen beantragt und sich damit verraten? Das Geld wurde knapp. Ein Leben auf der Flucht ist teuer. Er hatte keine Arbeit, keine Geld mehr und seine Krankheit schränkten ihm sehr ein.

Plötzlich sah er nach acht Jahren keinen anderen Ausweg mehr und da er jetzt in einem anderen Verwaltungsbezirk wohnte, beschloss er, alles auf eine Karte zu setzen. Sein Fehler bringt Antoine Cionini direkt vor das Schwurgericht. Am 6. Mai 2006 wird er zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt und geht sofort in Berufung.

Ein Jahr später, vor dem Berufungsgericht ist Antoine Cionini kaum wieder zu erkennen. Seine Krankheit hat ihm schwer gezeichnet. Er saß im Rollstuhl und war extrem gealtert. Er war damals in den 60zigern, sah aber aus wie 80. Er hat seine HIV-Medikamente abgesetzt und sagt, dass er sterben will. Sein juristischer Todesstoß kommt, als seine Frau Iveline als Zeugin der Anklage aufgerufen wird. Sie beschrieb die Beziehung mit ihm und das war, als ob man Anne-Marie Allaix zuhörte.

Er war mit einer neuen Frau verheiratet, aber den Missbrauch, den er ausübte war der Gleiche. Die gleiche Manipulation und Unterdrückung. Ivelines Aussage hat schwere Konsequenzen. Cionini erhält eine höhere Strafe als in der ersten Instanz. 22 Jahre. Der Fall scheint abgeschlossen. Doch Cionini hat bereits einen neuen Plan.

Juli 2008. Cionini vegetiert in seiner Zelle dahin und verweigert seine Medikamente. Irgendwann ist er so geschwächt, dass Ärzte und Richter alarmiert werden. Er war schwach, aß nichts mehr und hatte stark abgenommen, stand kurz vor dem Tod. Deshalb setzte die Strafvollzugskammer seine Gefängnisstrafe aus. Es ist nun mal keine menschenwürdiger Tod, im Gefängnis zu sterben, ganz gleich, welche Verbrechen man begangen hat. Entweder man stirbt im Krankenhaus, was leider bei vielen Menschen der Fall ist. Im besten Fall kann man zu Hause sterben, anstatt in einer Zelle.

Nach vier Jahren Haft ist Cionini wieder frei, steht kurz vor dem Tod. Er findet Unterschlupf bei einem Freund in einem kleinen Dorf. Als er ankommt, wiegt er nur noch 50 Kilo. Dort wohnte er etwa vier Monate. Sein Zustand verbesserte sich, er aß wieder und nahm seine Medikamente.

Nach drei Jahren beschließen die Richter, dass Cionini gesund genug sei, um den Rest seiner Gefängnisstrafe zu verbüßen. Vor der Haftweinweißung wird ein medizinisches Gutachten angefordert. Es gab keinerlei Probleme, Cionini kam in die Praxis von Dr. Benslima, die Untersuchung verlief gut. Es gab nichts, was gegen eine neue Hafteinweisung gesprochen hätte. Aufhebung der Strafaussetzung aus gesundheitlichen Gründen lautete der Extrakt des Gutachtens.

Aber Cionini will auf keinen Fall ins Gefängnis zurück. Er versuchte mit seiner Krankheit und seinen Alter Mitleid zu erregen. Man sagte ihm, er müsse ins Gefängnis zurück. Im Entlassungsbericht stand schwarz auf weiß, dass er im Falle einer Besserung seiner Gesundheit die Reststrafe verbüßen muss.

2. April 2011. Antoine Cionini muss zurück ins Gefängnis. Aber er weigert sich. Als die Polizei ihm zum Haftantritt abholen will, stellen sie fest, dass der Mann geflohen ist. Er hatte alle seine Möbel verkauft, Geld zurückgelegt und sich auf eine längere Flucht vorbereitet. Die Ermittler nehmen sofort die Verfolgung auf. Sie wissen wie gefährlich Antoine Cionini ist und er bleibt seinen Ruf treu.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?