Tanz der Finanzen

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Tanz der Finanzen
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Thomas Neiße

TANZ DER FINANZEN

Ein Wirtschaftskrimi


»Tanz der Finanzen« ist eine fiktive Geschichte. Handlung, Personen und Dialoge sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten wären rein zufällig.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 by R. G. Fischer Verlag

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

Schriftart: Bergamo 11pt

Herstellung: rgf/bf/1A

ISBN 978-3-8301-1875-6 EPUB

Für meine Tochter Sabrina,

die immer an mich geglaubt hat.

Inhalt

Prolog

Treffen

Lichtblick

Abschneiden

Verkrümeln

Überraschungen

Rachegelüste

Teambildung

Angriffsplanung

Details

Anpfiff

Signale

Bestandsaufnahme

Frust

Lackmustest

Rückschritt

Fortschritte

Strategieänderung

Wechselbad

Entdeckungen

Veränderung

Einweisung

Permanenz

Entwicklung

Vorbereitung

Veränderungen

Fiasko

Frontveränderungen

Rückschläge

Erkenntnisse

Wiederbelebung

Aussprache

Fortgang

Präparieren

Zuspitzung

Faktensammlung

Planspiele

Wandel

Repetition

Eskalation

Management

Erkenntnis

Diskreditierung

Wechsel

Kraftproben

Nachverfolgung

Bombenwirkung

Probleme

Eskalation

Eruption

PROLOG

So schlecht ging es ihm gar nicht. Sie hatten ihm eine Einzelzelle zugewiesen, selbst in diesem vergleichsweise komfortablen Gefängnis ein Privileg. Das hatte am Anfang sehr viele kritische Blicke und Anfeindungen, sowohl von den Mitgefangenen als auch den Justizvollzugsbeamten, mit sich gebracht. Aber mittlerweile war er akzeptiert und, was in dieser Umgebung noch wichtiger war, respektiert. Dazu hatte vor allem seine Tätigkeit in der Gefängnisküche beigetragen, bei der er seine Fähigkeiten als exzellenter Hobbykoch voll ausspielen konnte. Aber auch seine mit flotter Musik gewürzte allabendliche Moderation aktueller politischer, wirtschaftlicher und gefängnisrelevanter Nachrichten auf dem hauseigenen Sender hatte ihm viele Pluspunkte eingebracht.

Konrad Pair war durchaus zufrieden mit seiner momentanen Situation, auch wenn der Verlust der uneingeschränkten Bewegungsfreiheit doch ab und zu an seinen Nerven zehrte. Aber letzteres war ja, wie er wusste, nur vorübergehend. Wie zur Bestätigung hörte er das Schloss an seiner Zellentür und sah seinen Aufseher eintreten.

»Sie haben Besuch.«

Na, dachte er, das wurde ja auch allmählich Zeit. An der Identität seines Besuchers hatte er keine Zweifel. Wer zu so später Stunde noch einen Besuchstermin im Gefängnis bekam, verfügte über erstklassige Beziehungen, und da kam nur eine Person in Frage. Als er das Besuchszimmer betrat, war er trotzdem überrascht. Zwar saß, wie erwartet, sein Führungsoffizier in dem Raum, er wurde allerdings von einer zweiten Person begleitet. Diese wies in ihrem Äußeren keinerlei hervorstechende Merkmale auf, sowohl Gesicht als auch Gestalt waren nichts sagend. Unwillkürlich fiel einem bei seinem Anblick die Farbe Grau ein. Sein Chef, Lothar Kaminski, dagegen trug einen etwas altmodischen, aber tadellos geschnittenen Zweireiher in einem kräftigen Blauton.

»Hallo, Herr Pair«, der bewusst joviale Unterton in der Stimme war nicht zu überhören, »schön, Sie wiederzusehen. Sie sehen gut aus. Das Leben in diesem, äh, überschaubaren Umfeld scheint Ihnen bestens zu bekommen.«

Pair nickte ihm zu und setzte sich an die andere Seite des Tisches. Auf seinen fragenden Blick fuhr Lothar Kaminski fort: »Ich habe, Ihre Einwilligung vorausgesetzt, noch Max Snyder, einen Kollegen aus den USA, mitgebracht. Er ist derjenige, der uns damals um Amtshilfe gebeten hat, und wir benötigen ihn noch für ein paar Formalitäten, die auch in Ihrem Sinn sein dürften.«

Konrad Pair sagte immer noch nichts und sah Max Snyder direkt an. Neben der Farbe Grau kam ihm dabei noch kalt, eiskalt in den Sinn.

Snyder lächelte dünn. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Sie haben uns damals aus einer ziemlichen Verlegenheit geholfen, aber ich denke, unsere gesamte, mhh, Branche sollte Ihnen dankbar sein. Die US-Regierung ist es jedenfalls. Es wäre äußerst problematisch gewesen, wenn Samuel Leist unsere Existenz und Arbeitsmethoden ausgeplaudert hätte. Daher haben wir uns bereit erklärt, Sie mit einer neuen Identität auszustatten, damit Sie aus der deutschen Öffentlichkeit verschwinden können. Ich hoffe doch, Sie haben nichts dagegen, zu einem Amerikaner zu mutieren.«

Er nahm den von Snyder über den Tisch geschobenen amerikanischen Pass entgegen und blätterte in ihm herum. Das Bild war identisch mit seinem deutschen Passbild.

»John Norton, wer hat sich denn diesen fantasievollen Namen ausgedacht? Und wo soll ich Ihrer Meinung nach wohnen und arbeiten? Ich nehme doch an, dass ich arbeiten soll.«

Snyder und Kaminski tauschten einen flüchtigen Blick, bevor Letzterer antwortete: »Unsere amerikanischen Kollegen sind sehr an einer Mitarbeit in ihrer Organisation interessiert«, das zustimmende Nicken war die bisher lebhafteste Regung von Max Snyder, »das bedeutet natürlich, dass Sie Ihr Domizil in Washington DC aufschlagen. Wir geben Sie hiermit an Silberstein und Partner ab, mich werden Sie in der Ihnen vertrauten Rolle nicht wiedersehen. Sie werden übrigens morgen in aller Herrgottsfrühe entlassen«, dabei umspielte ein leicht boshaftes Lächeln seine Lippen. »Natürlich wegen guter Führung. Sechs Monate Haft haben ausgereicht, um Sie aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit zu tilgen. In Ihrem eigenen Interesse sollten Sie aber unverzüglich in die USA reisen, wir haben für Sie einen Flug für übermorgen gebucht. Sehen Sie zu, dass Sie, wenn Sie Ihre persönlichen Sachen aus Ihrer Wohnung holen, nicht gesehen werden und kontaktieren Sie auch niemanden. Wir wollen keine dummen Fragen bezüglich Ihrer viel zu frühen Entlassung aus dem Gefängnis auslösen. Alles Gute, Herr Norton.«

 

Mit diesen Worten standen seine beiden Besucher auf, nickten ihm noch einmal zu und schickten sich an, den Raum zu verlassen. Kurz vor der Tür stoppte sie jedoch die Stimme von Pair. »Mich würden aber schon die Auswirkungen meiner kleinen Aktion interessieren. Man erschießt schließlich nicht alle Tage einen Menschen.«

Für einen Moment glaubte er, seine Frage würde ignoriert werden, aber dann drehte sich Max Snyder zu ihm um. »Im Interesse einer künftig guten Zusammenarbeit darf ich Ihnen sagen, dass auch die Gespielin von Samuel Leist einem tragischen Unfall zum Opfer fiel.« Wieder dieses enervierende, dünne Lächeln. »Was die globale Banken-Allianz Ihrer Freunde von der Wertebank angeht, scheint diese wohl zu stocken, wie ich hörte. Der Chef der Allamo Trust hat seinen Posten aus gesundheitlichen Gründen zur Verfügung gestellt, und sein Nachfolger setzt offensichtlich andere Prioritäten. Auch die Chinesen sollen angeblich nicht mehr Feuer und Flamme für diesen Plan Ihres Freundes Peter Nehmer sein. Über deren Gründe kann man natürlich nur spekulieren.«

Bei den letzten Worten konnte auch ein Max Snyder eine boshafte Grimasse nicht unterdrücken.

TREFFEN

Diese Warterei ging ihm nun doch allmählich auf die Nerven. Der Abflug des Barcelona-Fluges verzögerte sich schon fast um zwei Stunden. Am Anfang fand er das nicht so schlimm, er hatte für heute ohnehin noch nichts in Barcelona geplant. Die Maya-Ausstellung, das eigentliche Ziel seiner Reise, öffnete erst morgen ihre Pforten. Allerdings wäre es mit Sicherheit spannender gewesen, sich in Barcelona die Zeit um die Ohren zu schlagen, als hier auf dem Frankfurter Flughafen zu versauern. Niels Werner seufzte resigniert, stand auf und machte sich auf den Weg zu dem kleinen Café nicht weit von seinem Gate. Unterwegs stockte allerdings sein Schritt. Ungläubig starrte er den Mann an, der ihm da entgegenkam.

»Konrad?«

Konrad Pair war nicht minder geschockt, fasste sich allerdings schnell. Er umklammerte Niels Werners Arm und zog ihn zu dem Café. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass in der Nähe des von ihm anvisierten Platzes keine unliebsamen Zuhörer saßen, zwang er Werner mit sanfter Gewalt, Platz zu nehmen. »Mein Name ist John Norton, Herr Werner«, und mit einem leichten Klopfen auf Werners Schulter: »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Niels.«

»Du siehst mich leicht perplex. Meines Wissens wurdest du zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, nachdem du vor aller Augen im Gerichtssaal Samuel Leist erschossen hast. Das ist gerade einmal, warte, sechs Monate her.«

»Es war nicht im, sondern vor dem Gerichtssaal. Ich wurde gerade wegen guter Führung entlassen.«

»Konrad, erzähl keinen Scheiß. Was wird hier eigentlich gespielt?«

»Das ist eine lange Geschichte, na ja, so lang auch wieder nicht. Aber auf jeden Fall zu lang, um hier ohne einen Drink zu sitzen. Möchtest du auch ein Bier?«

Nach einem zustimmenden Nicken winkte Konrad Pair die Kellnerin heran und bestellte zwei Bier.

»Also Prost, mein Lieber. Ja, wo fange ich an?«

»Am besten am Anfang und angesichts der vielen Leute hier am besten im Flüsterton. Im Gerichtsaal, nein, vor dem Gerichtssaal hast du vor deinem Schuss zu Leist gesagt, dass Hakim dein bester Freund war.«

»War er auch, deswegen ist es mir ziemlich leichtgefallen, den Mistkerl zu erschießen. Hakim Sailer hat nie einer Fliege etwas zu Leide getan und diese Ratte Leist brachte sein Flugzeug zum Absturz. Das hat er ja selbst zugegeben. Ja, schau mich nicht so skeptisch an. Und dann hat er Peters Jungen entführt, damit Peter der von ihm initiierten Bankenfusion doch noch zustimmt.«

»Konrad«, Niels Werner sah ihn durchdringend an, »du bist doch ein viel zu rationaler Typ, um so einen Mord aus emotionalen Gründen auszuführen.«

Konrad Pair seufzte. »Natürlich war das nicht der einzige Grund für meine Aktion. Ich hatte schon immer gewittert, dass der Typ kein Normalo war. Er gehörte ja, wie wir heute wissen, einer streng geheimen Unterabteilung des Secret Service an. Diese wiederum operiert weltweit im Interesse der USA unter dem Deckmantel der legendären Investmentfirma von Silberstein und Partner. Die Gefahr war einfach zu groß, dass der Leist das alles rausposaunt, um seinen Kopf zu retten. Deshalb musste er aus dem Weg geräumt werden.«

»Aber Konny, was hat das alles mit dir zu tun?«

»Tja, jetzt kommen wir zu des Pudels Kern«, und nach einer längeren Pause: »Es versteht sich doch wohl von selbst, Niels, dass du zu niemandem auch nur ein Sterbenswort sagst?«

Nach dem lautlos formulierten Klar von Niels Werner fuhr Pair fort: »Auch ich gehöre seit ewigen Zeiten einer geheimen Organisation an, die aber deutsche Interessen vertritt, nennen wir sie mal Bundesnachrichtendienst. Die Amerikaner haben uns quasi um Amtshilfe gebeten. Und auch für uns wäre es nicht wünschenswert gewesen, bestimmte Kreise auf die Existenz unserer Zirkel aufmerksam werden zu lassen. Deshalb erging an mich der Auftrag, den Leist zu eliminieren.«

Niels Werner ließ zischend den unwillkürlich angehaltenen Atem entweichen. »Ich habe mich ohnehin schon gefragt, wie du eine Waffe durch die strengen Kontrollen am Gericht hast schmuggeln können.«

»Ja, du bist clever. Ein Gerichtsdiener hat sie mir zugesteckt, deswegen bin ich auch als erstes in den Gerichtssaal gegangen.« »Das bedeutet also, du hast nicht nur für die Wertebank und unseren Chef Peter Nehmer gearbeitet, sondern darüber hinaus auch noch alle Neuigkeiten aus der Wertebank brühwarm an den BND oder wen auch immer weitergeleitet. Sind derartige Arrangements eigentlich der Normalfall in der deutschen Wirtschaft?«

»Da bin ich überfragt, ich kenne ja nur meinen Fall. Die Routine, mit der ich von denen geführt wurde, spricht allerdings dafür, dass Derartiges nicht so selten ist. Schließlich besteht ein großes Interesse an Informationen aus der Wirtschaft und insbesondere aus der Finanzwelt.«

»Echt?«

»Ja. Der Übernahmekampf zwischen dem Brauner und seiner Meinebank und unserem Peter Nehmer mit der Wertebank hat die natürlich brennend interessiert. So etwas war ja in Deutschland einmalig. Und dann Peters Versuch, eine globale Banken-Allianz auf die Beine zu stellen. Da wird jeder Geheimdienst hellhörig, schließlich kann das enorme Komplikationen in der Finanzwelt auslösen.«

»Schon richtig, das erklärt aber immer noch nicht, wieso du jetzt hier herumspazieren kannst.«

»Ich spaziere nicht herum, sondern bin auf dem Weg in die Staaten. Meine dortigen neuen Freunde haben mir eine andere Identität verpasst und werden mich auch beschäftigen. Ich bin also jetzt John Norton, ein Teammitglied von Silberstein und Partner. Und jetzt verstehst du hoffentlich, warum du mich nie gesehen hast. Diese Sorte Amerikaner versteht keinen Spaß, sie haben auch die Geliebte von Leist in Moskau getötet.«

»Puh, Konrad, ich glaube, ich brauche jetzt noch ein Bier. Das muss ich erst einmal verdauen.«

»Ich bin dabei, mein Lieber, aber danach muss ich zum Flieger, der soll pünktlich starten.«

»Ganz im Gegensatz zu meinem.«

Niels Werner gab der Bedienung mit zwei Fingern ein Zeichen.

»Wo willst du eigentlich hin?«

»Nach Barcelona, da ist eine Ausstellung über die neuesten Maya-Funde auf Yukatan. Ich bin ein großer Fan ihrer Kultur.« »Ach, Quatsch, Niels, ich kenne dich doch, du bist mal wieder auf der Suche nach Außerirdischen und hoffst auf neue Hinweise durch die Ausgrabungen.«

Werner hätte sich beinahe an seinem zweiten Bier verschluckt. »Woher weißt du das denn?«

»Das hast du mir selber mal auf einem gemeinsamen Wochenendseminar erzählt. Erinnerst du dich nicht mehr? Nein? Na egal, es gibt wichtigeres für dich zu tun.« Konrad Pairs Gesicht war auf einmal todernst. »Hör zu, vergiss Barcelona und vergiss die Mayas. Fahr nach München zu Peter, der braucht dich. Wenn ich mich nicht allzu sehr täusche, hat er Probleme.«

»Woher willst du das denn wissen?«

»Dieser Typ aus Amerika, der für Silberstein arbeitet, ein gewisser Max Snyder, hat eine Bemerkung gemacht, nach der die Banken-Allianz zum Scheitern verurteilt ist. Sowohl die Amerikaner als auch die Chinesen scheinen aus der Sache auszusteigen. Er hat dabei ein so selbstzufriedenes Gesicht aufgesetzt, dass ich glaube, er hat mit Sicherheit seine Hand im Spiel. Wenn das stimmt, ist die Wertebank in ernsten Problemen, schließlich hat sie für diese Allianz einen Teil ihrer Aktivitäten eingestellt und würde damit mehr oder weniger nackt und bloß dastehen.«

»Puh, das wäre wirklich nicht so super. Aber was kann ich dabei für Peter tun? Wie du weißt, bin ich in erster Linie ein Asset Manager und weniger ein Bankmensch.«

»Genau das ist der Punkt. Deswegen braucht er dich. Um der alten Zeiten willen gebe ich dir jetzt einen Tipp«, Konrad Pair hob abwehrend die Hände, »bevor du etwas sagst, nein, ich gebe diesen Tipp nur dir und niemandem sonst. Im Gefängnis hat man viel Zeit zum Nachdenken, und ich habe ja so eine Art Abendnachrichten im Gefängnissender moderiert und kommentiert.« »Was du als exzellenter Ökonom bestimmt auch super gemacht hast.«

Konrad Pair prostete Niels Werner zu. Offensichtlich freute er sich über das Kompliment. »Danke, ich war ja nicht umsonst Chefvolkswirt unserer Bank. Aber hör zu, die Zeit wird knapp. Der derzeit lächerlich niedrige Zins, den die Bundesrepublik Deutschland bei neuen Schulden zahlen muss, ach was, mittlerweile ist dieser Zins ja teilweise negativ, hat mich dabei auf eine Idee gebracht. Wie wäre es, wenn Deutschland, sagen wir mal 500 Milliarden, neue Schulden aufnehmen und dieses Geld in den Aktienmarkt investieren würde? Du nimmst Geld zu Nullzinsen auf und investierst es in eine Anlage, die sich immer noch langfristig jedes Jahr mit sechs bis acht Prozent verzinst. Die Belastung für den Jahreshaushalt ist gleich Null, du zahlst ja keine Zinsen für das neue Geld, und die, sagen wir, siebenprozentigen Erträge aus dem Investment des Geldes lässt du in einem Fonds anwachsen und kreierst so Werte für jeden einzelnen Bürger. Wenn du es schaffst, die Politiker von dieser Idee zu überzeugen, dann verwaltest du für die Wertebank zusätzliche 500 Milliarden mit wachsender Tendenz und hast ausgesorgt. Keine Bankenallianz würde auch nur annähernd so viele Erträge erzeugen und Peter könnte diese Lieblingsidee von ihm getrost vergessen. Die Einzelheiten auszubaldowern überlasse ich dir, du bist ein kluger Kopf.«

Niels Werner hatte völlig vergessen, sein Bier weiter zu trinken, so fasziniert hatte er zugehört. Konrad Pair tätschelte ihm leicht die Wange. »Mach den Mund zu und denk darüber nach, mein Freund. Ich muss mich jetzt sputen, der Flieger wartet nicht. Pass auf dich auf und vergiss nicht, du hast mich nie gesehen.«

Mit diesen Worten umarmte er ihn und eilte zu seinem Gate. Niels Werner blieb noch einen Moment wie betäubt sitzen. Was für eine geile Idee! Aber wie er wusste, lag bei diesen Dingen der Teufel im Detail. Und ihm war klar, dass er so schnell wie möglich Kontakt mit Peter Nehmer aufnehmen musste. Er war sich zwar nicht sicher, wie der ihn begrüßen würde, aber es war allemal einen Versuch wert. Fürs Erste konnte ihm der Flieger nach Barcelona den Buckel runterrutschen. Gut, dass er nur Bordgepäck dabeihatte.

LICHTBLICK

Nachdem er das Telefonat beendet hatte, pfiff Peter Nehmer in seinem Büro leise vor sich hin. Das war in der Tat eine, wie Niels Werner es gerade formuliert hatte, geile Idee. Die Frage war nur, wie sie im Detail aussah und wie er den zuständigen Politikern das Ganze schmackhaft machen konnte. Oh, er hörte im Geiste schon die Einwände, all die Worthülsen, die Politiker so gerne formulieren, wie sozial ungerecht, verteilungspolitisch problematisch und ähnliches. Darüber hinaus verstand die Mehrzahl der in der Verantwortung stehenden Politiker nichts von ökonomischen Zusammenhängen. Wie denn auch, dachte er resigniert, die sind ja vor allem Berufspolitiker. Als solche agieren sie nicht kreativ im Sinne der Bürger, sondern im Sinn von Macht und Einfluss. Wer handelt, macht sich angreifbar und könnte Wählerstimmen verlieren. Da ist es doch besser, mit der Meute zu heulen.

 

Er rief sich innerlich zur Ordnung. Das vordringlichste Problem war jetzt erst einmal, seine Vorstandskollegen mit ins Boot zu holen. Das würde schwierig genug werden, er konnte sich noch gut an die Diskussionen im Rahmen des Übernahmegefechtes mit der Meinebank erinnern. Insbesondere sein Risikovorstand Barbara Kohler hatte ihm das Leben mit bohrenden Fragen schwer gemacht. Na, mal sehen, ob es da nicht Möglichkeiten gab, sie etwas zu zähmen. Auch beim ständig nach Beratern rufenden Vorstandskollegen Wohler konnten ein paar Daumenschrauben nicht schaden. Von wegen Berater, von dieser Idee durfte nichts nach draußen sickern. Aus diesem Grund würde er auch seinen Kollegen noch nicht komplett reinen Wein einschenken, sondern nur die grobe Richtung seines Strategiewechsels andeuten. Bankvorstände generell waren häufig Selbstdarsteller und auch der eine oder andere Vorstandskollege von ihm neigte zum Plaudern in der Öffentlichkeit.

Nehmer griff erneut zum Telefon und rief seinen Personalchef Jan Bernhardt an.

»Bernhardt.«

»Hallo, Herr Bernhardt«, obwohl sie schon jahrelang zusammenarbeiteten, waren sie immer noch per Sie. »Ich sehe Sie nachher bei unserem Vorstandstreffen?«

»Selbstverständlich, wenn Sie das wünschen.«

»Sehr schön, dann bringen Sie doch bitte eine detaillierte Aufstellung der Mitarbeiterzahlen mit. Vielleicht brauche ich sie zwecks Erläuterung der durch die Umstrukturierung zur Bankenallianz ausgelösten Bewegungen bei unseren Arbeitnehmern. Eventuell müssen wir erneut eine andere Weichenstellung in unserem Geschäftsmodell diskutieren, und da möchte ich ein Gefühl für mögliche Auswirkungen im Personalbereich haben.«

»Gehen wir denn zu unserem alten Modell zurück?«

»Ganz sicher nicht, aber ehrlich gesagt, weiß ich selbst noch nicht, wo die Reise hinführt. Es ist aber klar, die ursprünglich angedachte globale Bankenallianz wird sich so nicht verwirklichen lassen. Wir werden unseren Plan zumindest adjustieren müssen.«

»Ich werde die Zahlen parat haben, Herr Nehmer.«

»Ach, Herr Bernhardt, wenn ich Sie schon mal am Telefon habe«, die Sprechpause hatte genau die richtige Länge, um unschuldig zu wirken, »sagen Sie, wie sieht es eigentlich mit den Vorstandsverträgen aus? Stehen da einige zur Verlängerung an?«

Soso, dachte Jan Bernhardt, kommen wir jetzt zum eigentlichen Zweck des Anrufs? »Nun, Ihr Vertrag ist ja gerade verlängert worden«, sein Tonfall war absolut neutral, »Herr Kern hat noch vier Jahre und Herr Wohler zwei Jahre Laufzeit. Lediglich bei Frau Kohler müsste der Aufsichtsrat so langsam aktiv werden, ihr Vertrag endet in zwölf Monaten.«

»Danke, Herr Bernhardt, wir sehen uns später.«

Dachte ich es mir doch, Nehmer war hochzufrieden. Dann wollen wir mal sehen, wie die Gute reagiert. Aber erst muss ich den Kaiser briefen. Auch bei seinem Finanzchef rief er direkt an, die Sekretärinnen mussten ja nicht alles mitbekommen. Bereits nach dem ersten Klingeln war Horst Kaiser am Telefon. »Peter?«

»Hallo, Horst, wir sehen uns ja nachher beim Vorstandstreffen. Ich möchte bewusst nur ein Treffen und keine offizielle Vorstandssitzung. Du und der Bernhardt sind dabei. Du kennst ja schon das Thema, und wie du dir denken kannst, wird es an der einen oder anderen Stelle hoch hergehen. Deine Aufgabe wird es sein, auf einen Wink von mir darauf hinzuweisen, dass es vielleicht gut wäre, bei einer Neuausrichtung unserer Aktivitäten uns an den erzielbaren Renditen zu orientieren. Mit anderen Worten, wir sollten das Asset Management und die Vermögensverwaltung weiter forcieren.«

Horst Kaiser erfasste sofort den tieferen Sinn des Anliegens seines Chefs. »Heißt das, du hast einen Plan, wie das gehen soll? Und du weißt, dass wir endlich wieder einen absoluten Spitzenmanager für diese Sparte brauchen.«

»Niels Werner hat mich angerufen und mir dafür eine Superidee geliefert. In Kurzform: Staat leiht sich zu den derzeitigen Nullzinsen Geld und investiert in den hoch rentierlichen Aktienmarkt. Und diesen, ich nenne ihn mal Bürgerfonds, verwalten wir und verdienen so nebenbei eine hübsche Summe Geld.«

Es dauerte einige Momente, bis die Antwort kam. »Wow, umso dringlicher ist die Managementfrage. Meinst du, du kannst Niels zurückholen?«

»Da bin ich mir ziemlich sicher.«

»Super, dann lass uns diese Sache angehen. Vermutlich wird aber die Kohler wieder Zicken machen.«

»Du alter Chauvi, ich glaube, ich kann sie etwas einbremsen. Ihr Vertrag steht zur Verlängerung an.«

»Endlich mal eine gute Nachricht, sie piesackt mich ganz schön. Und das Schlimme ist, du kannst ihr auch kein X für ein U vormachen. Clever ist sie.«

»Lass mich mal machen.«

Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und rief seine Assistentin Hannah Pauli herein.

»Hannah, bitte doch Frau Kohler, mir vor der Vorstandssitzung ein kurzes Briefing über unsere Risikosituation zu geben.«

Bereits nach fünf Minuten war seine Assistentin zurück. »Frau Kohler hat gerade einen Besucher von der Finanzaufsicht empfangen und kann noch nicht so ganz abschätzen, wann das Gespräch beendet sein wird. Sie kommt so bald als möglich.«

Nehmer nickte. »Danke, bis Frau Kohler kommt, bitte keine Gespräche«, und als sich ein Hoffnungsschimmer im Gesicht von Frau Pauli breitmachte: »Nein, auch keine Postbesprechung. Ich muss nachdenken.«

Wieder allein nahm er ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch und fing an, seine ersten Überlegungen zu skizzieren. Der Gedanke von Niels Werner war brillant. Deutschland konnte in der Tat zu Nullzinsen Geld am Kapitalmarkt aufnehmen, weil seine Reputation als Schuldner erstklassig war. Der Haushalt würde daher durch diese Aktion nicht belastet werden. Die Frage war nur, was mit diesem Geld geschehen sollte. Das könnten zum einen Investitionen in Infrastrukturoder Umweltprojekte sein. Aber es könnten auch Finanzinvestitionen sein, also Aktienkäufe. Dazu war die Expertise von Asset Managern nötig, sowohl für die Begebung der Anleihen als auch für die Käufe von Wertpapieren und natürlich vor allem für das Managen der getätigten Investments. Da kam dann seine Bank ins Spiel. Es mussten also drei Schritte gelingen, erstens Politiker von der Kreditaufnahme zu überzeugen, zweitens ihnen die Anlage der Gelder im Aktienmarkt schmackhaft zu machen und drittens die Wertebank als das Kompetenzzentrum für diese Transaktionen zu etablieren.

Der dritte Schritt war angesichts der in der Vergangenheit erworbenen hervorragenden Beziehungen in die Politik vermutlich der einfachste. Vor allem die Bayernpartei dürfte ihn stark unterstützen, sie war ihm noch so einiges schuldig für die infolge der gewonnenen Übernahmeschlacht gegen die Meinebank mögliche Rettung von tausenden Bankarbeitsplätzen in München. Den zweiten Schritt musste er mit einem zündenden Marketingschlagwort garnieren, wie Bürgerfonds, Schaffen von Werten für die Bevölkerung, Schaffen eines dritten Standbeins für die marode Rentenversicherung oder ähnliches. Der erste Schritt dürfte der schwierigste sein. Wer macht schon gern ohne Not Schulden? Da müssten in Berlin so einige über ihren Schatten springen, insbesondere der Finanzminister, der immer noch seinen Traum von einer schwarzen Null im Budget hochhielt.

Es war aber völlig klar, dass er einen detaillierten Plan zur Ausgestaltung und Umsetzung nicht allein bewerkstelligen konnte, er brauchte dafür eine Arbeitsgruppe. Dazu sollten auf alle Fälle sein Finanzchef Horst Kaiser und Niels Werner, den er hoffte zurückholen zu können, gehören. Vielleicht wäre es ja nicht schlecht, auch Barbara Kohler hinzuzuziehen. Zuckerbrot und Peitsche, das altbewährte Mittel. Und er hätte sie dann schon mal auf seiner Seite. Er selbst könnte nur sporadisch mitarbeiten, schließlich hatte er so nebenbei noch eine Bank zu führen, deren internationale Allianz gerade in Trümmern lag. Woher Niels Werner das wusste, war ihm völlig schleierhaft, er selbst hatte erst gestern diesbezügliche Hinweise erhalten. Er ließ derzeit von seinen Experten eine Ad-hoc-Mitteilung für die Kapitalmärkte vorbereiten, schließlich war es seine Pflicht, Eigenkapital- und Kreditgeber sofort über geschäftsrelevante Veränderungen zu informieren. Ach ja, und dann musste er noch seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Benjamin Fieber die bittere Nachricht der auseinanderdriftenden Partner der Bankenallianz überbringen.

Nehmer notierte sich die einzelnen Schritte und malte jede Menge Diagramme in sein Notizbuch. Er registrierte weder, wie schnell die Zeit verging, noch dass Barbara Kohler plötzlich vor seinem Schreibtisch stand. Erst als sie sich räusperte, schaute er auf. »Ah, Frau Kohler, setzen Sie sich doch bitte.« Er zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

»Ich fürchte, dazu haben wir keine Zeit, Ihr Vorstandstreffen soll doch in zehn Minuten beginnen.«

»Ach, entspannen Sie sich, ohne uns können die nicht anfangen.« Er drückte den Knopf der Sprechanlage. »Frau Pauli, informieren Sie doch bitte meine Kollegen, dass das Treffen fünfzehn Minuten später beginnt, wir haben hier erst noch etwas zu klären. Danke.«

Daraufhin setzte sich Frau Kohler an den kleinen Besprechungstisch und schaute ihn erwartungsvoll an. Nehmer konnte sich nun nicht mehr hinter seinem Schreibtisch verschanzen, sondern musste ihr Gesellschaft leisten. Seinem Gesicht war dabei nicht anzusehen, ob er sich ausgebremst fühlte oder nicht.

»Frau Kohler, ich habe Sie natürlich nicht wegen des Risikoberichtes hergebeten. Mir war es ein Bedürfnis, Sie, bevor wir in das Treffen mit unseren Kollegen gehen, über unsere bröckelnden Bankallianzen zu informieren.«

Barbara Kohler zog hörbar die Luft ein. »Oh nein, bloß nicht das. Wer bröckelt?«

»Nun, unser amerikanischer Partner, die Allamo Trust, hat einen neuen Chef, und der hat mir gestern seine neuen Prioritäten mitgeteilt. Wir kamen in dieser Aufzählung nicht mehr vor. Er will sich vor allem auf den US-Markt konzentrieren. Damit nicht genug, wollen auch unsere chinesischen Freunde nicht mehr mitmachen.«

»Ausgerechnet. Die beiden waren doch die Eckpfeiler unserer künftigen Strategie. Jetzt stehen wir schön blöd da, wir haben schließlich ganze Geschäftsbereiche zu deren Gunsten geschlossen. Wieso kriegen die auf einmal kalte Füße?«

Er zuckte mit den Schultern. »Da bin ich auf Vermutungen angewiesen. Die Chinesen könnten sauer sein, weil wir unseren Anteil an der Meinebank an die Bundesrepublik Deutschland verkauft haben. Dadurch konnten sie ihre Absicht nicht realisieren, im deutschen Bankenmarkt nachhaltig Fuß zu fassen. Bei den Amerikanern tappe ich im Dunkeln, allerdings hat die dortige Regierung sich über die Silbersteins wohl mit der Meinebank verbündet. Zumindest habe ich die Andeutung von Brauner über seine unbegrenzten Finanzmittel, um uns aufzukaufen, so verstanden. Vielleicht liegt hier, wie bei den Chinesen, der Hund begraben.«