Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit

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Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit
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utb 3368

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Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz, Assessor jur., Magister rer. publ., Ministerialdirektor a. D., Professor für Rechtswissenschaft, insbesondere Familien- und Kinder- und Jugendhilferecht am Fachbereich Sozialwesen, Hochschule RheinMain, Wiesbaden

Außerdem im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:

Wabnitz, Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit, 5. Auflage 2019

(UTB-Bestellnummer 978-3-8252-5314-1)

Wabnitz, Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit, 6. Auflage 2020 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-5384-4)

Wabnitz, Grundkurs Bildungsrecht für Pädagogik und Soziale Arbeit, 1. Auflage 2015 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-4350-0)

Sauer, Wabnitz, Fischer, Grundkurs Existenzsicherungsrecht für die Soziale Arbeit, 1. Auflage 2016 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-4673-0)

Fischer, Sauer, Wabnitz, Grundkurs Berufsrecht für die Soziale Arbeit, 1. Auflage 2019 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-5145-1)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 3368

UTB-ISBN 978-3-8252-5386-8

5., aktualisierte Auflage

© 2020 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Printed in EU

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

1Soziale Arbeit und Recht

1.1Recht als Rahmenbedingung Sozialer Arbeit

1.1.1Soziale Wirklichkeit und Recht

1.1.2Soziale Arbeit und Recht

1.1.3Studium der Sozialen Arbeit und Recht

1.2Recht, Rechtswissenschaft und „die Juristen“

1.2.1Sollensordnungen und Recht

1.2.2Wissenschaften und Recht

1.2.3Juristen und Recht

1.3Ziele und Funktionen von Recht

1.3.1Interessenausgleich

1.3.2Freiheitssicherung

1.3.3Gewährleistung von Gleichheit

1.3.4Gewährleistung von Gerechtigkeit

1.3.5Gewährleistung von Rechtssicherheit

1.3.6Friedenssicherung

1.3.7Steuerung gesellschaftlicher Prozesse

1.3.8Erziehung

1.3.9Abschreckung

1.3.10Strafe

2Rechtsnormen

2.1Charakteristika von Rechtsnormen

2.1.1Normierung menschlichen Verhaltens

2.1.2Rechtsetzung durch den Staat

2.1.3Rechtsetzung durch Mehrheitsentscheidungen

2.1.4Rechtsetzung durch formalisierte Verfahren

2.1.5Zunahme des Bestandes an Rechtsnormen

2.2Objektive und subjektive Rechtsnormen

2.2.1Objektives und subjektives Recht

2.2.2Möglichkeiten der Einteilung von Rechtsnormen

2.3Hierarchie, Zitierweise und Strukturen von Rechtsnormen

2.3.1Rechtsquellen

2.3.2Gliederung und Zitierweise von Rechtsnormen

2.3.3Strukturen von Rechtsnormen

2.4Zivilrecht und Öffentliches Recht

3Methoden praktischer Rechtsanwendung

3.1Rechtstechnik/Subsumtion

3.2Gesetzesauslegung

3.2.1Grammatikalische Auslegung

3.2.2Systematische Auslegung

3.2.3Historische Auslegung

3.2.4Teleologische Auslegung

3.2.5Weitere Auslegungsmethoden und Argumentationsfiguren

3.3Fallbearbeitung

3.3.1Arbeiten am Sachverhalt

3.3.2Auffinden einer Norm mit „gefragter“ Rechtsfolge

3.3.3Eventuell: Entwurf einer Lösungsskizze

3.3.4„Fünf goldene Schritte“ bei der Fallbearbeitung

4Allgemeine Zivilrechtsfragen

4.1Personen

4.1.1Natürliche und juristische Personen

4.1.2Der eingetragene Verein (e. V.)

4.2Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit

4.2.1Rechtsfähigkeit

4.2.2Handlungsfähigkeit

4.2.3Geschäftsfähigkeit

4.2.4Deliktsfähigkeit

4.2.5Altersstufen im Recht

 

4.3Willenserklärungen und Verträge

4.3.1Willenserklärungen

4.3.2Verträge

4.4Rechtsgeschäftliche und gesetzliche Vertretung

4.4.1Rechtsgeschäftliche Vertretung

4.4.2Gesetzliche Vertretung

5Einzelne zivilrechtliche Verträge

5.1Kaufvertrag

5.2Mietvertrag

5.3Dienstvertrag, Arbeitsvertrag, Werkvertrag

5.3.1Dienstvertrag

5.3.2Arbeitsvertrag

5.3.3Werkvertrag

5.4Fälle

6Zivilrechtliche Haftungsfragen (Deliktsrecht)

6.1Das System der unerlaubten Handlungen nach dem BGB

6.2Deliktsfähigkeit

6.3Der Grundtatbestand des § 823 Abs. 1 BGB

6.4Haftung für das Handeln oder Unterlassen anderer

6.4.1Haftung für den Verrichtungsgehilfen

6.4.2Haftung des Aufsichtspflichtigen

6.4.3Haftung von Vereinen, Dienstleistungsunternehmen und sonstigen Gesellschaften

6.5Rangverhältnis

6.6Fälle

7Gerichtliche und außergerichtliche Rechtsverwirklichung

7.1Gerichtsaufbau und richterliche Unabhängigkeit

7.1.1Gerichtsaufbau in Deutschland

7.1.2Gerichtliches Verfahrensrecht

7.2Beratungshilfe und Streitschlichtung

7.2.1Beratungshilfe

7.2.2Streitschlichtung

7.3Prozesskostenhilfe

8Verfassungsrecht

8.1Grundgesetz und Landesverfassungen

8.2Staatsprinzipien des Grundgesetzes

8.2.1Republikanisches Prinzip

8.2.2Demokratieprinzip

8.2.3Bundesstaatsprinzip

8.2.4Rechtsstaatsprinzip

8.2.5Sozialstaatsprinzip

8.3Grundrechte

8.3.1Überblick

8.3.2Einzelne Grundrechte

8.3.3Das Grundrechtssystem des Grundgesetzes

8.4Fälle

9Öffentliche Verwaltung und Verwaltungsbehörden

9.1Grundfragen der Verwaltungsorganisation

9.1.1Öffentliche Verwaltung

9.1.2Träger, Organe und Behörden

9.2Bundes- und Landesverwaltung

9.3Kommunalverwaltung

9.3.1Rechte und Aufgaben der Städte, Gemeinden und Landkreise als kommunale Gebietskörperschaften

9.3.2Aufbau und Organisation der Kommunalverwaltung

9.4Sozialversicherung

10Überblick über das Sozialrecht und das Sozialgesetzbuch

10.1Entwicklung und Prinzipien

10.1.1Gegenstand und Entwicklung des Sozialrechts in Deutschland

10.1.2Strukturprinzipien des Sozialrechts

10.2Leistungsarten

10.3Leistungsträger

10.4Leistungserbringer

10.5Sozialverwaltungsverfahren

10.5.1Zuständigkeiten

10.5.2Verfahrensvorschriften

10.5.3Sozialdatenschutz

11Grundformen des Verwaltungshandelns

11.1Verwaltungsakt

11.1.1Begriff und Bestandteile des Verwaltungsaktes

11.1.2Inhalt, Form und Nebenbestimmungen des Verwaltungsaktes

11.1.3Bestandskraft und Aufhebung des Verwaltungsaktes

11.2Öffentlich-rechtlicher Vertrag

11.3Gebundene und Ermessensverwaltung

11.4Fälle

12Rechtsschutz gegenüber Verwaltungshandeln

12.1Rechtsschutz durch Verwaltung und Volksvertretung

12.2Widerspruchsverfahren

12.3Sozial- und verwaltungsgerichtliches Verfahren

12.4Fälle

13Strafrecht

13.1Strukturprinzipien und Rechtsquellen des Strafrechts

13.2Materielles Strafrecht

13.3Rechtsfolgen der Straftat

13.4Fälle

14Strafverfahrensrecht, Jugendstrafrecht

14.1Akteure und Verfahrensabschnitte

14.2Soziale Arbeit und Strafverfahren

14.3Jugendstrafrecht

14.4Fälle

Anhang

Musterlösungen

Literatur

Sachregister

Soweit der Autor Aktualisierungen zu evtl. Gesetzesänderungen mitteilen sollte, wären diese zu finden auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlages und der UTB GmbH bei der Darstellung dieses Titels: www.reinhardt-verlag.de, www.utb.de

Abkürzungsverzeichnis


a. a. O.am angegebenen Ort
AGAmtsgericht
BAföGBundesausbildungsförderungsgesetz
BEEGBundes-Elterngeld- und Elternzeitgesetz
BerHGBeratungshilfegesetz
BGBBürgerliches Gesetzbuch
BGBlBundesgesetzblatt
BGHBundesgerichtshof
BGHZAmtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
BKGGBundeskindergeldgesetz
BTHGBundesteilhabegesetz
BVerfGBundesverfassungsgericht
BVerfGEAmtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
EGBGBEinführungsgesetz zum BGB
EStGEinkommensteuergesetz
FamFGGesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
GGGrundgesetz
Gbl.Gesetzblatt (der ehemaligen DDR)
GVGGerichtsverfassungsgesetz
ISSInstitut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
i. V. m.in Verbindung mit
JGGJugendgerichtsgesetz
JZJuristenzeitung
LGLandgericht
NJWNeue juristische Wochenschrift
OLGOberlandesgericht
OWiGGesetz über Ordnungswidrigkeiten
PKHProzesskostenhilfe
RDLGRechtsdienstleistungsgesetz
RGReichsgericht
RGBl.Reichsgesetzblatt
RGStAmtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RKEGGesetz über die religiöse Kindererziehung
RzRandziffer(n)
SGBSozialgesetzbuch
SGB IErstes Buch Sozialgesetzbuch (Allg. Teil)
SGB IIZweites Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende)
SGB IIIDrittes Buch SGB (Arbeitsförderung)
SGB VIIIAchtes Buch SGB (Kinder- und Jugendhilfe)
SGB IXNeuntes Buch SGB (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen)
SGB XZehntes Buch SGB (Verwaltungsverfahren)
SGB XIIZwölftes Buch SGB (Sozialhilfe)
SGGSozialgerichtsgesetz
StGBStrafgesetzbuch
StPOStrafprozessordnung
UNVereinte Nationen
VAVerwaltungsakt
vgl.vergleiche
WEWillenserklärung
VwGOVerwaltungsgerichtsordnung
ZPOZivilprozessordnung

Vorwort

 

Lehrveranstaltungen zum Thema Recht sind fester Bestandteil der Ausbildung an den Fachbereichen für Sozialarbeit, Sozialpädagogik bzw. Sozialwesen an Hochschulen in Deutschland. Zumeist ist dort bereits zu Beginn des Studiums eine allgemeine Einführungsveranstaltung zum Recht für die Soziale Arbeit zu besuchen und mit einer Klausur abzuschließen. Darauf will der „Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit“ vorbereiten. Dieser soll zugleich Neugierde wecken und Freude beim „ersten Einstieg“ in das Recht vermitteln. Das vorliegende Buch, aus Lehrveranstaltungen an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden hervorgegangen, stellt in 14 Kapiteln relevantes Basiswissen in einer auf die Zielgruppe zugeschnittenen Art und Weise dar. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen Übersichten über das „Wichtigste“ für die Abschlussprüfung, ergänzt um Erläuterungen und Fallbeispiele sowie um (häufig „nicht prüfungsrelevante“) „Vertiefungen“.

Dieses Buch vermittelt die Grundlagen für das Verständnis der im Studium zumeist folgenden Lehrveranstaltungen etwa zum Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, Strafrecht, Recht der Existenzsicherungsleistungen sowie zum übrigen Sozialrecht.

Mit dem Ziel, den Text gut lesbar zu gestalten, sind in geeigneter Weise weibliche und/oder männliche Formen der Geschlechteranrede gewählt worden.

Erfreulicherweise ist nach Erscheinen der Erstauflage 2010 und von drei Folgeauflagen bereits eine 5. Auflage dieses Buches erforderlich geworden. Dafür wurde das Werk umfassend aktualisiert.

Hingewiesen wird auch auf die weiterführenden Publikationen des Autors: „Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit“, „Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit“, „Grundkurs Bildungsrecht für Pädagogik und Soziale Arbeit“, sowie „Grundkurs Berufsrecht für die soziale Arbeit“, die ebenfalls im Ernst Reinhardt Verlag erschienen sind.

Wiesbaden, Herbst 2019 Reinhard Joachim Wabnitz

1Soziale Arbeit und Recht

1.1Recht als Rahmenbedingung Sozialer Arbeit

1.1.1Soziale Wirklichkeit und Recht

Was hat Recht mit der sozialen Wirklichkeit und mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben? Vielleicht wird dies deutlich, wenn man einen kurzen Blick in eine x-beliebige Tageszeitung und auf die dort besonders ins Auge springenden Schlagzeilen wirft. Dies könnten z. B. die Folgenden sein, bei denen sofort deutlich wird, dass Politik, Wirtschaft, lokale Nachrichten, ja sogar Sport und Feuilleton sehr häufig zumindest auch eine rechtliche Dimension haben:

•„Neue Gesetze zum Klimaschutz“

•Bundestag beschließt Kindergelderhöhung.“

•Wirtschaft fordert verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen im Umweltschutz.“

•Keine Tarifeinigung in Sicht. Droht jetzt ein neuer Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn?“

•Kein neues Einkaufzentrum auf der grünen Wiese“

•Doping im Radsport und kein Ende.“

Wie man unschwer erkennt, gibt es in all diesen Fällen vielfältige rechtliche Regelungen zu beachten: des Gesundheits-, des Wirtschafts-, des Familien-, des Arbeits-, des Umwelt- und sogar des Sportrechts! Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass ganz offensichtlich große Bereiche von Politik, Wirtschaft, Umwelt, Freizeit und Sport in einem Maße von rechtlichen Regelungen durchdrungen sind, wie man sich dies als „Normalbürger“ mitunter gar nicht vorstellt.

1.1.2Soziale Arbeit und Recht

Und wie sieht dies in der Sozialen Arbeit aus? Dazu zwei praktische Beispiele.

Beispiel 1:

Frau Anna A. ist 34 Jahre alt und hat zwei Kinder im Alter von fünf und acht Jahren. Frau A. ist von ihrem Ehemann verlassen worden. Von Beruf ist sie Sekretärin, hat jedoch seit der Geburt des ersten Kindes nicht mehr gearbeitet. Sie hat zudem ein chronisches Rückenleiden und wäre kaum dazu in der Lage, in ihren alten Beruf zurückzukehren, in dem sich mit dem Einsatz moderner Informations- und Computertechnologien zudem sehr viel verändert hat. Frau A. erhält von ihrem Ehemann keine finanzielle Unterstützung mehr und ist auch sonst mittellos. Sie befindet sich zudem in einer psychischen Krisensituation und wendet sich in ihrer Verzweiflung an Sie als der zuständigen Sozialarbeiterin bzw. dem zuständigen Sozialarbeiter im Amt X der Stadt Y.

Sofort haben Sie sicherlich eine Menge Ideen, wie Frau A. in persönlicher Hinsicht geholfen werden könnte, insbesondere durch Sozialberatung und durch Vermittlung psychotherapeutischer und gesundheitlicher Hilfen. Aber würde dies ausreichen? Nein, denn in diesem Fall und vielfach auch sonst in der Sozialen Arbeit erfordert professionelle Hilfe nicht nur Sozialberatung, sondern auch Rechtsberatung, ggf. auch Rechtsvertretung.

Deshalb müssen Sie sich als Sozialarbeiter/in, wenn Sie hier wirksam helfen wollen, auch im Familienrecht auskennen, insbesondere im Unterhaltsrecht des BGB. Notwendig wäre hier auch die Kenntnis des Unterhaltsvorschussgesetzes. Mit Blick auf Berufsberatung und Umschulung durch die Agentur für Arbeit ist die Kenntnis der Regelungen des SGB III (Arbeitsförderung) erforderlich, ergänzend möglicherweise auch der Hilfen nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und dem SGB II und SGB XII (Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie Sozialhilfe). Im SGB V ist geregelt, welche gesundheitlichen Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung hier in Betracht zu ziehen sind. Damit wird deutlich, dass Sie als Sozialarbeiterin oder als Sozialarbeiter auch die einschlägigen rechtlichen Ressourcen kennen und ausschöpfen müssen, wenn Sie Frau A. wirkungsvoll helfen wollen.

Beispiel 2:

Der drogenabhängige Karl D. kommt in die Drogenberatungsstelle des Evangelischen Dekanats in der Stadt X. D. offenbart Ihnen als dem/der dort tätigen Sozialarbeiter/in Privatgeheimnisse und im weiteren Verlauf des Gespräches sogar die Begehung einer Straftat. Wie verhalten Sie sich nun gegenüber Ihren Kollegen/innen und Vorgesetzten? Wie gegenüber der Polizei? Dürfen oder gar müssen Sie schweigen? Wie sieht es mit dem Datenschutz und ggf. Ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung aus, falls es zu einem Prozess kommt? Auch hier ist offensichtlich, dass die Kenntnis des einschlägigen Berufsrechts gleichsam die Grundlage Ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiter/in darstellt. Auch hier gehört die Kenntnis des Rechts zum Handwerkszeug für eine(n) Sozialarbeiter/in schlechthin.

1.1.3Studium der Sozialen Arbeit und Recht

Mit diesen beiden Beispielen ist auch deutlich geworden, wie intensiv in der Sozialen Arbeit die Probleme ihrer Klientinnen und Klienten mit den einschlägigen Rechtsvorschriften „verwoben“ sind. Deshalb gehört es unverzichtbar zum Kanon der Lehrveranstaltungen an den Fachbereichen für Soziale Arbeit, dass dort zumindest Grundkenntnisse im Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, im Sozialhilferecht, im Recht der Existenzsicherungsleistungen, ggf. im Strafrecht, Ausländer-/Aufenthaltsrecht, Arbeitsrecht und im Berufsrecht vorgesehen sind (aus kritischer Sicht vgl. auch Hinrichs/Öndül 2016).

Um in diese sehr speziellen Rechtsgebiete mit Aussicht auf Erfolg „einsteigen“ zu können, ist es erforderlich, zunächst allgemeine Basiskenntnisse über die Strukturen von Rechtsnormen, über Rechtsquellen, über die Rechtsanwendung sowie über die wichtigsten Grundbegriffe des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts zu erwerben. Dazu dienen die üblicherweise angebotenen Lehrveranstaltungen „Einführung in die rechtlichen Grundlagen der Sozialen Arbeit“ und das vorliegende Buch will eine Hilfe für den Einstieg geben.

„Künftige Sozialarbeiter/innen/ bzw. Sozialpädagogen/innen haben nicht der Rechtsfächer wegen ihr Studium der Sozialen Arbeit begonnen. Würde man sie fragen, mit welchen herkömmlichen Disziplinen sie am ehesten ihr Studium in Verbindung bringen, würden sie vermutlich antworten: mit „Psychologie“, „Pädagogik“, „Methoden der Sozialen Arbeit“, aber wohl eher ausnahmsweise mit „Recht“, das zudem vielfach als formal, unverständlich und scheinbar gegenwartsfern empfunden wird“ (Gastiger 2010, 2).

Recht ist zudem vielfach „gefürchtet“, weil man dort zumeist viel lernen und Klausuren schreiben muss. In der Tat ist es richtig, dass man für die Rechtsfächer Einiges an Zeit aufwenden muss. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass spätestens dann, wenn Studierende sich im praktischen Studiensemester/Berufspraktikum befinden, und allerspätestens dann, wenn sie später als Sozialarbeiter/in in der beruflichen Praxis stehen, klar geworden ist, wie wichtig, gesellschaftsrelevant und dynamisch Recht ist – und wie spannend Recht sein kann.

1.2Recht, Rechtswissenschaft und „die Juristen“

1.2.1Sollensordnungen und Recht

Recht stellt eine bestimmte „Sollensordnung“ mit Geboten und Verboten sowie mit „Spielregeln“ für das menschliche Zusammenleben dar. Daneben gibt es aber auch Regeln, die nicht rechtlicher Natur sind, sondern ethischer oder moralischer Art.

Übersicht 1

Die Stellung des Rechts im Rahmen der Sollensordnungen


Ethik und Moral sind Sollensordnungen für das Zusammenleben von Menschen aufgrund von philosophischen oder theologischen Grundpositionen. Nach den zehn Geboten soll man u. a. nicht stehlen und nicht töten, soll man seine Eltern achten, nicht lügen und den Feiertag heiligen. Daneben gibt es Sollensordnungen, die gebieten, an bestimmten Orten eine bestimmte Kleidung zu tragen, in bestimmter Weise seine Mitmenschen zu begrüßen, bis hin zu Tischordnungen oder sonstigen Umgangsformen im Alltag.

Nur ein Teil dieser Gebote und Verbote ist auch rechtlich geregelt. Dies gilt für einen Teil der biblischen Gebote (Verbote zu töten, zu stehlen), aber nicht für alle (z. B. nicht: Seine Eltern zu ehren). Teil der Rechtsordnung sind also nur diejenigen Normen und Gebote, die (in einer formal ordnungsgemäß zustande gekommenen) Rechtsnorm niedergelegt sind. Man kann deshalb die Rechtsordnung auch als das „ethische Minimum“ einer Gesellschaft bezeichnen. Im Folgenden werden wir uns im Wesentlichen nur noch mit Rechtsnormen befassen, und zwar mit solchen, die „der Staat“ gesetzt hat. (Daneben gibt es auch Rechtsnormen der Kirchen und Religionsgemeinschaften, etwa der evangelischen und katholischen Kirche, auf die im Folgenden ebenfalls nicht eingegangen wird.)

1.2.2Wissenschaften und Recht

Die Wissenschaft, die sich systematisch mit der Entstehung, Formulierung, Interpretation und Fortentwicklung von Rechtsnormen befasst, ist die Rechtswissenschaft. Die Rechtswissenschaft ist einerseits „exegetische“ Geisteswissenschaft, indem sie sich ähnlich wie die Theologie mit der Schaffung und Interpretation von (Gesetzes-, Verordnungs- oder Vertrags-)Texten befasst. Die Rechtswissenschaft ist wegen ihrer engen Bezüge etwa zur Soziologie, Politologie oder den Wirtschaftswissenschaften aber auch als Sozialwissenschaft zu verstehen. In Randbereichen (der Kriminalwissenschaften) hat sie auch Bezüge zu den Naturwissenschaften (etwa bei der Auswertung von Spuren oder der Untersuchung von Körperteilen mit den Methoden der Kriminaltechnik). Obwohl hier manches umstritten ist, kann man sich m. E. bezüglich des Verhältnisses von Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften auf diese Gliederung der Wissenschaften verständigen (siehe Übersicht 2).

Übersicht 2

Beispielhafte Gliederung der Wissenschaften

1.Geisteswissenschaften

1.1Geschichte

1.2Philosophie

1.3Theologie

1.4Literaturwissenschaft

1.5Sozialwissenschaft

1.5.1Politikwissenschaft

1.5.2Soziologie

1.5.3Psychologie

1.5.4Wirtschaftswissenschaften

1.5.5Sozialarbeitswissenschaft

1.5.6Rechtswissenschaft

2.Naturwissenschaften

2.1Mathematik

2.2„reine“ Naturwissenschaften: Physik, Chemie, Biologie

2.3„angewandte“ Naturwissenschaften, z. B. Ingenieurwissenschaften

2.4Kriminalwissenschaft

1.2.3Juristen und Recht

Anekdotische Vertiefung: Recht und Rechtswissenschaft werden maßgeblich geprägt durch „die Juristen“. Wie viele andere Berufsgruppen auch sehen sich Juristen vielfältigen Zuschreibungen, Zuspitzungen und Vorurteilen ausgesetzt: „Juristen sind elitär und arrogant“, zudem „weltfremd und allein auf das Recht fixiert“, wie folgende bekannte kleine Geschichte illustrieren mag.

An einem schönen Frühlingstag, an dem die Sonne scheint, die Blumen blühen und die Vögel zwitschern, stehen nebeneinander in einer großen Parkanlage: ein Maler, ein Schriftsteller, ein Komponist – und ein Jurist. Der Maler sagt: „Wie schön! Ich male ein Bild mit vielen bunten Blumen.“ Und der Schriftsteller sagt: „Ich schreibe ein Gedicht, am besten ein Liebesgedicht mit vielen Strophen.“ Und der Komponist sagt: „Ich schreibe dazu eine wunderbare Melodie.“ Und alle drei vertiefen sich in ihre Phantasien und denken daran, vielleicht miteinander ein „Gesamtkunstwerk“ zu schaffen. Nur einer der vier steht unbeteiligt am Rande daneben und zeigt nur auf das Schild am Rande der Wiese, auf dem „Betreten verboten“ steht.

Solche Karikaturen gibt es natürlich auch für andere Berufsgruppen. Kennen Sie schon die folgende Geschichte? Ein Sozialarbeiter geht durch die Stadt und wird von einem ortsfremden Passanten angesprochen. Dieser fragt: „Wo bitte geht es zum Bahnhof?“ Darauf antwortet der Sozialarbeiter: „Das weiß ich nicht. Aber ich finde es ganz toll, dass Sie mit mir darüber reden wollen!“

Wenden wir uns noch einmal „den Juristen“ zu. Besonders wichtig erscheint – und dies gilt dann auch für Sozialarbeiter/innen als künftige „Rechtsanwender/innen“, dass man Recht nicht als Selbstzweck versteht, sondern als Bestandteil sozialer und gesellschaftlicher Prozesse und Veränderungen begreift. Recht ist nicht von der sozialen Wirklichkeit zu trennen, sondern ist vielmehr Bestandteil derselben. Für die Soziale Arbeit bedeutet dies: Rechtswissen und soziales Handlungswissen immer in Wechselwirkung voneinander zu verstehen und im Interesse der Klientinnen und Klienten erfolgreich zu kombinieren!

1.3Ziele und Funktionen von Recht

Recht verfolgt sehr unterschiedliche Ziele und hat verschiedene Funktionen. Die Übersicht 3 vermittelt einen Überblick über wesentliche Ziele und Funktionen von Recht, ohne dass damit eine prioritäre Reihenfolge verbunden wäre und ohne dass alle Ziele gleichzeitig erreicht werden könnten, weil diese mitunter in einem Spannungsverhältnis oder gar in Widerspruch zueinander stehen. Eine wesentliche Aufgabe von Recht besteht deshalb auch darin, einen Ausgleich zwischen ggf. nicht in Einklang zu bringenden Zielen und Funktionen von Recht zu schaffen!

Übersicht 3

Ziele und Funktionen von Recht

1.Interessenausgleich

2.Freiheitssicherung

3.Gewährleistung von Gleichheit

4.Gewährleistung von Gerechtigkeit

5.Gewährleistung von Rechtssicherheit

6.Friedenssicherung

7.Steuerung gesellschaftlicher Prozesse

8.Erziehung

9.Abschreckung

10.Strafe

Vertiefung (1.3.1 bis 1.3.10):

1.3.1Interessenausgleich

Eine ganz wesentliche Funktion von Recht ist der Ausgleich von unterschiedlichen, oft widerstreitenden Interessen verschiedener Menschen, gesellschaftlicher Gruppen, Institutionen etc. Beispiele für solche Interessengegensätze, die das Recht auszugleichen versucht, gibt es in großer Zahl.

Beispiel:

Mieter und Vermieter sind zwar Vertragsparteien, wenn sie einen Mietvertrag abgeschlossen haben; trotzdem können Ihre Interessen widerstreitend sein, z. B. mit Blick auf die Dauer des Mietverhältnisses, die Miethöhe, die Möglichkeit einer Kündigung etc. Mit Hilfe der §§ 535 ff. BGB wird deshalb versucht, einen Interessenausgleich zu erreichen, und werden Regelungen für Konfliktfälle getroffen.

Interessengegensätze bestehen typischerweise auch zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, z. B. mit Blick auf Gehaltsstrukturen, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigung von Arbeitsverhältnissen etc. Die hier bestehenden Interessenunterschiede werden zumeist dadurch ausgeglichen, dass sich beide Seiten auf Tarifverträge verständigen, für die das Tarifvertragsgesetz wiederum einen breiten, aber verbindlichen Rahmen darstellt.

Erhebliche Interessengegensätze etwa zwischen Fragen von Ökonomie und Ökologie stellen sich bei jedem industriellen Großprojekt, wo Interessenunterschiede zwischen ansiedlungswilligen Unternehmen und den in der Region lebenden Bürgerinnen und Bürgern bestehen können, wenn es z. B. um die Ansiedlung eines neuen Einkaufszentrums, um die Ausweisung eines Industriegebietes oder um den Ausbau eines Flughafens geht. Das Recht versucht deshalb, mit differenzierten Regelungen zu einem Interessenausgleich beizutragen, z. B. in Gesetzen im Bereich von Raumordnung, Landesplanung, Flächennutzungs- und Bauleitplanung, im Straßenrecht, im Immissionsschutzrecht, Wasserrecht, Luftverkehrsrecht etc.

1.3.2Freiheitssicherung

Das Ziel „Freiheitssicherung“ entspricht einem der drei großen Ziele der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und zugleich aller modernen Verfassungen. Gewährleistung und Sicherung von Freiheit als eines der zentralen Ziele der Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert und eines der Ziele der bürgerlichen Revolutionen im 19. Jahrhundert bedeutete in klassischer Form zunächst „Freiheit vor dem Staat“, Freiheit vor staatlicher Bevormundung und Gängelung; und dementsprechend finden sich in den meisten modernen Verfassungen Normierungen von Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger. Auch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) beinhaltet zahlreiche Freiheitsrechte als Grundrechte. Art. 2 GG beinhaltet mehrere allgemeine Freiheitsrechte, Art. 4 GG die Glaubens- und Gewissens-Freiheit, Art. 5 GG u. a. die Meinungs-, Informations-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit, Art. 8 GG die Versammlungsfreiheit, Art. 9 GG die Vereinigungsfreiheit, Art. 10 GG Freiheiten mit Blick auf den Brief-, Post- und Telekommunikationsverkehr. Art. 11 GG beinhaltet ein Grundrecht auf Freizügigkeit, Art. 12 GG auf Berufs- und Berufsausübungsfreiheit, Art. 13 GG auf Freiheit vor Eingriffen in die Wohnung, Art. 14 GG gewährleistet Eigentum und Erbrecht.