Wildnis Nordkanada - Paradies und Hölle

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Wildnis Nordkanada - Paradies und Hölle
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Ralf Dobrovolny

WILDNIS

NORDKANADA

- Paradies und Hölle -

Ein fast unglaublicher Tatsachenbericht

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die

Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über www.dnb.de

abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de


Ralf Dobrovolny

Jahrgang 1965, hat sich nach Beendigung der Industriekaufmannslehre, einen Kindheitstraum erfüllt: Dreiundzwanzigjährig, zog der Autor zum ersten Mal in die Wildnis im hohen Nordwesten Amerikas, wohin er seither Jahr für Jahr wiederkehrte.

„Dieses raue, faszinierende Land ist mir zur zweiten Heimat geworden“, wie er selbst sagt.

Widmung


Matty Kolkka

Dieses Buch ist meinem Lebensretter Matty gewidmet.

Der finnische Fotoreporter

kam zufällig mit seinem Kanu des Weges

und rettete mich knapp vor dem Hungertod.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Anmerkungen zum Inhalt

Karte Kanada /Northwestterritories

Der Busch

Vorwort zum Tagebuch

Das Tagebuch

Heimat ade

Quer durch Kanada

Startloch Yellowknife

Erste Buscherfahrungen

Dusel am Rocky Lake

Überraschungen am Fishing Lake

O Anglerherz

Eis im Sommer

Mörderischer Weg

Trennung

Harte Prüfungen

Das Unheil beginnt

Qualvolle Tage

Der Tod lässt grüßen

Chancenlos

Die Rettung

Nachwort

Outdoor-Tipps

Nützliche Adressen

Bibliographie

Anmerkungen über den Inhalt

Der Verfasser verfügt über keinerlei schriftstellerische Erfahrung. Nicht Anspruch auf Professionalität war entscheidend, desto mehr die Authentizität seines Tagebuches, das er während vieler ereignisreicher Wochen in der Fremde führte und hier wiedergegeben wird.

Dieser Erlebnisbericht distanziert sich von jeglicher publizistischer Geldmacherei sogenannter „Möchtegernabenteurer“, die Nationalparks durchstreifen und täglich eine gesicherte Unterkunft aufsuchen. Sie kommen wohl meist mit wunderschönen Natur- und Tierbildern, sowie manch aufgebauschtem „Märchen“ nach Hause, um ahnungslose Leute zu begeistern. Doch vom echten „Outdoor-Man“ sind sie meilenweit entfernt. Sie kennen nicht das wahre Leben in der Wildnis; weder die Härte, noch die verborgene Schönheit und die damit verbundenen Freuden; weder Paradies, noch Hölle!

Wer also auf einen „Abenteuerroman“, wie z.B. dramatischen Auseinandersetzungen mit wilden Tieren hofft, wird hier leider enttäuscht werden, obwohl Bär und Elch auch eine Rolle spielen. Die weite, menschenleere Wildnis birgt ganz andere Gefahren. Größere! Eine der größten tragen wir in uns selbst: Oft wird Vernunft und Psyche zum entscheidenden Faktor. Das Leben im Busch besteht nicht aus fortwährend aufregender Spannung, aus Trapperidylle, sondern, so unwillkommen es manchmal auch sein mag, aus täglicher Arbeit, oftmals harter Knochenarbeit. Vor allem dann, wenn man einen Weg mit festem Ziel gewählt hat.


Karte Kanada


Karte Northwestterritories (NWT)

Der Busch

Um etwas besser zu verstehen, in welcher kanadischen Region der Hauptteil dieses Buches handelt, sollen einige Worte zu Geografie, Flora, Fauna und Menschen gewidmet werden.

Wenn auch der Kanadier das Wort Busch ganz allgemein für alle weiten Waldlandschaften gebraucht, so bedeutet es dem Menschen im hohen Norden des Landes etwas völlig anderes. Er meint nicht die tiefen schwarzen Wälder des Kontinents insgesamt, er denkt im engeren Sinne an die raue Taiga seiner subarktischen Heimat in den sog. Northwestterritories (NWT), die selbst für eine Überzahl der kanadischen Bevölkerung immer noch einem Buch mit sieben Siegeln gleicht. Der Busch ist, westlich abgrenzend, das Land des indianischen Kutchin-Stammes, entlang der hier noch etwas dichter bewaldeten Ausläufer der Mackenziekette und Franklin Mountains. Im Norden, die zur Beaufortsee hin baumlose Ecke, siedeln die Inuit (Eskimo). Der südlich anschließende, allmählich dichter werdende Busch und die Gegend am Great Bear Lake, ist die Heimat der Dogrib-Indianer. Die Vegetation nimmt Richtung Süd um den Great Slave Lake weiter zu. In dieser Region ist der Slavey-Stamm zu Hause. Von hier verläuft die Taiga in einem stetig schmaler werdenden Band nach dem Atlantik hin bis zur Hudson Bay, der Heimat der Chipewyan.

Der Bewuchs der hügeligen Landschaft nimmt gegen Ost ab und geht, das Terrain immer flacher werdend, mit äußerst kargem wie verkrüppeltem Baumbestand in die endlose Ebene der noch raueren Tundra über. Dieses weite Flachland, bis zur Hudson Bay reichend, weist vorwiegend Niedrigwuchs auf und wird deshalb Barren Grounds genannt. Wer jedoch das Glück hatte, im Sommer das prachtvolle Blütenmeer der Tundra zu bestaunen, wird besonders von diesem Land fasziniert sein. Die Baumgrenze verläuft, im Norden etwa 250 km östlich des Mackenzie-Deltas beginnend, in bogenförmig diagonaler Süd/Ost-Richtung und tangiert die genannten Seen.

Der oben abgegrenzte Busch überzieht annähernd eine Fläche von Frankreich und Deutschland zusammen.

Neben den beiden bereits erwähnten riesigen Seen, jeder mehr als 50 mal so groß wie der Genfer See und teilweise über 600 Meter tief, ist diese wildschöne Erdregion überzogen mit einem dichten Netz romantischer, stiller Gewässer, die nicht selten in wilder Bahn zwischen herrlich bewachsen sanfter Ufer, abwechselnd mit felsigen Schluchten, ihren Weg zueinander suchen. Der sprichwörtliche Fischreichtum Kanadas trifft für diese glasklaren Wasser, die allesamt dem Eismeer zuströmen, in ganz besonderem Maße zu. Wenn auch der Lachs, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hier nicht vorkommt, so wimmelt es gerade von Äschen, Hechten und Weißfischen. Starke Seeforellen bis zu 50 Pfund sind keine ungewöhnliche Seltenheit. Auch der Saibling findet seine Einstände und so mancher prachtvolle Zander geht an die Angel.

Obwohl das Land nicht besonders reich mit Niederschlägen und fruchtbarer Erde gesegnet ist, sorgt doch im Boden der Permafrost bis weit an die Oberfläche für ein ausreichendes Feuchtigkeitsreservoir und lässt mannigfaltige Vegetation zu. Der Bewuchs wird vorherrschend von Birken und Fichten bestimmt, daneben auch Erlen und Weiden. In den dichter bewaldeten West- und Südausläufern des Busches finden sich zudem Tannen und Zedern. Das Holz der letzteren war für die Indianer wertvoll zum Bau des Gerippes der Kanus, die mit Birkenrinde verkleidet und durch Harz abgedichtet wurden.

 

Nicht zuletzt gibt es aber auch reichen Niedrigwuchs mit verschiedenartigsten, oft früchtetragenden Sträuchern. Der Wanderer trifft immer wieder auf ausgedehnte Teppiche von genießbaren Blau- und Schwarzbeeren. Sogar Stachel-, Johannis- und Himbeeren finden sich, doch bei kleinrunden, roten Beeren ist Vorsicht geboten. Selbst Pilze sind nicht selten. Besonders auffallend ist das allgegenwärtige leuchtende Grün von Moosen und die den grauen Granit überziehenden bunten Flechten von pechschwarz, hellgrün, rötlich bis goldgelb, je nach Jahreszeit.

In einem zauberhaften Farbkleid zeigt sich der Busch während des sogenannten Indianersommers, bevor der extrem lange, klirrend kalte Winter mit seinen peitschenden, arktischen Stürmen Einzug hält. So mancher tosende Blizzard grüßt dann über die Tundra herein.

Sind auch die Winter bitter kalt, jegliches Gewässer erstarrt zu meterdickem Eis, so sind die Sommer doch oftmals sehr warm. Sogar Temperaturen bis 30 Grad Celsius werden hin und wieder gemessen. Mancher „Outdoor“ erzählt, er hätte an flacher, geschützter Stelle ein genüssliches Bad nehmen können.

Häufig bemerkst du grasgrün wuchernde Wasserpflanzen, insbesondere an sumpfigen Plätzen. Dort hält vorzugsweise der Elch Einstand, um an diesem äußerst eiweißreichen Grün sein Labsal zu nehmen.

Und lenkt der Kanute seinen schnittig wendigen Untersatz in eine isolierte Bucht, dann kann er im Buschsommer sogar von der malerischen Blütenpracht eines Seerosenfeldes überrascht werden.

Vom Beerenreichtum war bereits die Rede. Von solch reich gedecktem Tisch angelockt, findet sich freilich gerne Meister Petz ein. Im Umfeld solcher Plätze ist der Waldläufer bestens gewarnt. Da taucht urplötzlich das silbrig-grau glänzende Fell des Grizzly auf. Dies gilt vor allem für die Gegend am Great Bear Lake. Der etwas kleinere, schwarze Ursus-Verwandte zieht eher die Gefilde Richtung Sklavensee vor.

Doch allgegenwärtig späht der scheue Wolf nach Beute und verrät seine Anwesenheit durch das unverwechselbare, weithin hörbare Heulen.

Auch der für den Europäer kaum mehr als dem Namen nach bekannte Wolverine (Vielfraß) hat seinen Lebensraum in der subarktischen Zone. Er ist dem hier ebenfalls heimischen Dachs sehr ähnlich, allerdings bedeutend größer als dieser. Er hat ein wunderbar gezeichnet langhaariges Fell, wovon der Buschbewohner gerne wärmende Kleidung herstellt. Wie der Name schon sagt, der Wolverine frisst alles, was ihm zwischen die Klauen, besser ausgedrückt, zwischen sein stark ausgeprägtes, messerscharfes Gebiss kommt. Er ist nicht etwa scheu wie der Bär, sondern von aggressivem Verhalten und fällt nicht nur Kleintiere an. Man hat auch schon von Angriffen auf Menschen gehört.

Zum Busch-Großwild zählt freilich das Karibu. Während des kurzen Sommers (Anfang Juli bis August) hält es sich in der nördlichen Region auf, zieht nur für die kältere Zeit gen Süd. Das Röhren des ähnlichen Wapiti (amerikanischer Hirsch) bekommt man so hoch im Norden nicht zu hören. Dass sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen, dürfte kein Rätsel sein. Es ist natürlich der Rotfuchs gemeint. Allerdings treibt in Küstennähe vermehrt der braunbehaarte arktische Fuchs sein Jagdwesen. Es muss eine Augenweide sein, wenn er im Winter das weiße bis eisblaue Fell trägt.

Neben dem Otter hat vor allem der Biber große Bedeutung, dessen Population gottlob wieder zunimmt. Ebenfalls keine Seltenheit stellen die niedlichen Eichhörnchen, Erdhörnchen und Murmeltiere dar, willkommene Beute aller Raubtiere. Vom ungemein vielfältigen, gefiederten Wild ausführlich zu reden, würde eine Aufzählung ohne Ende gleichen. So sollen nur einige genannt werden:

Verschiedene Arten von Ammer und Falke, der Habicht und Weißkopfseeadler; nicht zu vergessen der im Sommer bunte, im Winter schneeweiße Ptarmigan (Wildhuhnart). Hinzu kommen die vielen Arten an Wasservögeln, von denen hier nur die Möve, die unterschiedlichsten prächtigen Taucher und vor allem die Kanadagans genannt seien.

Wären noch die Raubkatzen zu erwähnen. Dass sich der herrliche braungefleckte Luchs in Kanadas Norden heimisch fühlt, dürfte selbstverständlich sein. Den Puma hingegen hält nichts in dieser Zone. Dieser Jäger bevorzugt das Rotwild in den Bergwäldern als Speise.

Dennoch wird der Buschgänger enttäuscht sein, wenn er, ob der ungemeinen Tiervielfalt, manchmal tagelang so gut wie kein Wild beobachten kann. Dies liegt daran, dass die Tiere, entsprechend dem Nahrungsangebot, das Revier wechseln. Da die Arten stets voneinander abhängig sind, erscheinen dann ganze Landstriche wie leergefegt.

Letztendlich nicht zu vergessen allgegenwärtige Lebewesen: die Mücken, ein sehr wichtiges Glied der Nahrungskette. Weil in diesen Breiten derart massenhaft vertreten, nennt man sie sprichwörtlich „Pest des Nordens.“ Jeder Outdoor weiß ein Lied davon zu singen. Die Moskitoplage tritt vornehmlich im Frühling auf, etwas abgeschwächt im Sommer. Die großen Horseflies (Bremsen) sind auch nicht zu verachten. Besonders in der wärmsten Jahreszeit aber greifen die winzigen Blackflies an. Sie finden jede undichte Stelle der Kleidung und suchen den Weg bis zur nackten Haut, wo deren Bisse dunkel gefärbte, entsetzlich juckende Schwellungen verursachen.

Ein paar Worte zur Geschichte.

Zunächst waren es die abenteuerlichen Expeditionen eines Samuel Hearne, ehemaliger Marineoffizier der englischen Krone, der schon 1771-73 das Landesinnere der Tundra vom Südosten her bis Coppermine am Eismeer durchforschte. Dieser legendäre, knochenharte Abenteurer war in Begleitung des berühmten Chipewyan-Häuptlings Mattanobee, sowie vieler seiner Stammesbrüder.

Später (um 1820) führte das Oberhaupt der Yellowknifes, Akaitscho, den namhaften Polarforscher Sir John Franklin vom Großen Sklavensee aus, den Heimatfluss (Yellowknife River) des Stammes hinauf. Ihr Weg ging weiter über die Gegend um den Winterlake, wo viele seiner Begleiter den Tod fanden. Dann am Ostufer des Großen Bärensee entlang und weiter durch die nördliche Taiga bis zum Coronation Gulf. John Franklin dürfte der erste Weiße gewesen sein, der seinen Fuß in den inneren Busch setzte.

Den größten Einfluss auf die Erforschung und Besiedlung des subarktischen Festlandes im kanadischen Nordwesten brachten jedoch die Unternehmungen des Schotten Mackenzie. Im Juli 1789 befuhr er mit Unterstützung von Indianern und französischen Voyageurs auf Kanus vom Lake Athabasca den Slave River entlang Richtung Norden, überquerte den Großen Sklavensee und trieb seine Expedition den mächtigsten Fluss Kanadas, der heute würdigerweise seinen Namen trägt, hinab bis zum Polarmeer. Während 44 Tagen äußerster Strapazen, legte Mackenzie dabei die unglaubliche Strecke von nahezu 3.000 km zurück und erreichte das riesige Delta an der Einmündung in die Beaufort See. Er selbst nannte seinen Wasserweg „Fluss der Enttäuschung“, weil dieser nicht, wie er hoffte, als Ost-West-Verbindung in den Pazifik mündete. Seiner Route entlang, allerdings nur bis Norman Wells, führt heute immer noch das einzige Straßennetz der Northwestterritories. Alle Punkte fernab dieser Strecke können für den Normalreisenden ausschließlich per Flug erreicht werden.

Es waren Pelzhändler und deren verwegene Voyageure, die in den beiden letzten Jahrhunderten auf ihren Kanus den Mackenzie River, sowie seine vielen Seitenarme befuhren und so nach und nach den Norden, entlang des großen Flusses, für sich eroberten.

Doch auch das Goldfieber brachte immer wieder unzählige Weiße in das Land. Wer kennt nicht die abenteuerliche, für Abertausende mit fatalen Folgen endende Geschichte um den Klondike im benachbarten Land,dem Yukon.

Es bewohnen immer noch Reste von Indianerstämmen den inneren Busch. An beutereichen Gewässern jagen sie und stellen Fallen, retten zum Teil die Kultur ihrer Vorväter in unsere Zeit herüber. So in Fort Franklin, der einzigen Siedlung am Bärensee, nördlich davon in Colville Lake, zum Sklavensee hin in Snare Lakes, Rae Lakes und Indian Village, um die wichtigsten Orte zu nennen. Sie liegen teils hunderte Meilen voneinander entfernt. Keine Straße führt hin, kein Weg. Dort findest du aber vor den Hütten noch die Rudel der blauäugigen Schlittenhunde, wie sie sehnsüchtig auf ihre winterlichen Jagdausflüge warten.

Doch die meisten Ureinwohner sind der Zivilisation des weißen Mannes gefolgt. Sie leben mit letzteren zusammen, oft in überwiegender Mehrheit, hauptsächlich in den Dörfern entlang des hier alles bestimmenden Mackenzie Rivers. Kaum anderswo in Kanada trifft der Fremde noch auf so viele rassenreine Indianer, wie in Fort Smith, Hay River, Fort Providence, Fort Simpson und Fort Norman. Flussabwärts schließen sich Norman Wells, Fort Good Hope, sowie Arctic Red River an. Die meisten dieser Orte entstanden während der Pionierzeit von Anfang bis Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Sie zählen auch heute, von Fort Smith abgesehen, nicht mehr als wenige hundert Einwohner.

Die erste nördliche Handelsniederlassung, gleichzeitig ältestes Dorf (1786) der Northwestterritories, ist das an der Einmündung des Slave River in den gleichnamigen See gelegene Fort Resolution. Jüngste Besiedlung ist die erst 1954 für die Inuit entstandene Retortenstadt Inuvik, nahe dem Polarmeer. Sie zählt knapp 4.000 Seelen. Weitaus größte Ansiedlung (20.000 Einwohner) ist freilich Yellowknife am Nordufer des Slave Lake, Verwaltungshauptstadt der Territories. Letztere wurden 1999 neu geteilt und es entstand die autonome Verwaltungseinheit namens „Nunavut“ mit 41.000 Ew., welche direkt der kanadischen Bundesregierung unterstellt ist. Yellowknife wurde erst vor etwa 60 Jahren besiedelt und gewann relativ spät an Bedeutung. Zuvor hatten allerdings bereits Goldschürfer ihre Camps in näherer und weiterer Umgebung.

Berücksichtigt man, dass die weitaus überwiegende Mehrheit in den größeren Ansiedlungen lebt, werden die unermesslich menschenleeren Weiten fühlbar. Man muss sich vergleichend vorstellen, auf einem Drittel der Fläche von Europa leben gerade so viele Menschen, dass man lediglich ein mittelgroßes Fußballstadion füllen könnte. Northwestterritories ist aber auch dasjenige kanadische Gebiet, wo sich die Urvölker noch halbwegs gut behaupten konnten. So teilt sich hier die Gesamtbevölkerung auf knapp 40% Inuit (Eskimo), etwa 20% Dené (Indianer), der Rest sind Eurokanadier.

Zusammenfassend möchte bemerkt werden:

Wer auch je dieses Land der tausenden namenlosen Seen durchquert hat – nur außergewöhnlich zähe und harte Männer konnten derartige Leistungen vollbringen. Insbesondere war der einzelne Buschgänger gefordert – in dieser faszinierenden Wildnis, einer Mischung von schwierigstem Gelände, schier undurchdringlichen Wäldern, romantischer Gewässer, gefährlicher Schluchten und Wasserfällen.

Trotz einer vielfältigen Tierwelt, in einer Region extrem schwankender Witterungsverhältnisse, fällt der Wanderer nicht selten hungrig und erschöpft in den Schlaf. – Und nicht Wenige mussten mit dem Leben bezahlen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Dennoch zieht es immer wieder vereinzelte Abenteurer hinaus in das Herz von Kanadas Nordwesten, in den rauen Busch, in diese unendliche, menschenleere Weite. Er fühlt sich auf den Spuren der Indianer und Eskimos, in einem Land von überraschenden, unvergesslichen Schönheiten, jedoch auch voller lauernder Gefahren.

Ein Land zugleich wie Paradies und Hölle!


Vorwort zum Tagebuch

1987 - Ein total verregneter Herbsttag.

Wir hocken im Boot beim Angeln auf dem Altrhein bei Speyer. Zwei blutjunge Burschen, erfüllt von Tatendrang und Träumen. Und so reden wir wieder mal, wie so oft, über unser lange gehegtes Vorhaben. Schwärmerisch beflügelt man gegenseitig die Phantasie. Nach wohlüberlegtem Ausloten der Möglichkeiten, stand fest:

„Übernächsten Sommer muss es endlich möglich sein. Dann packen wir die Sache an.“ – In den hohen Norden Amerikas. In die Wildnis. Für längere Zeit!

Schon 3 Jahre zuvor planten wir den großen Trip, der damals durch Thomas’ Einberufung zum Militär vereitelt wurde. Ja, bereits seit frühester Jugend (etwa mit zwölf) träumten beide von kühnsten Unternehmungen. Vom Wandern, Campen, Angeln und Jagen in großen Wäldern, an fischreichen Wassern, fern jeglicher Zivilisation. Nun, seit unserem „Bootsbeschluss“ wurden die Pläne zunehmend konkreter. Die Chancen wuchsen. Allerdings war noch nicht ganz klar, wohin genau die Reise gehen sollte. Thomas sprach mehr von Kanada, ich tendierte zu Alaska.

 

Wir holten Informationen ein: Bücher, Filme, Vorträge, studierte Landkarten. …Und unterhielten uns immer öfter über Vorstellungen vom Leben in der Wildnis, über reichen Fischfang, auch über manche Risiken.

Risiko? Was hatten wir denn schon zu verlieren?

Da war doch auch noch eine andere, ganz maßgebliche Motivation für unser Unternehmen. Gesellschaftsheuchelei, Alltagstrott, Kommerzgier, Zivilisationsfrust schlechthin, all dies widerte uns an. Ja, ja „die Jugend heutzutage ist unzufrieden“, sagt man, „dabei weiß sie nicht, wie gut sie´s hat.“ Gerade dieses Klischee-Gequatsche stieß uns ab.

„Verdammt“, meinten Thomas und ich, „das Leben muss doch noch mehr zu bieten haben“! ...und so verdichtete sich der Plan für die Reise über den großen Teich immer mehr, wobei nicht ausgeschlossen war, für immer die Zelte in der Heimat abzubrechen.

Im Sommer 1988 setzten wir uns erneut, intensiv vorbereitet, in Thomas´ Bude bei einem Bierchen zusammen, um weiter „Nägel mit Köpfen“ zu machen. Über am Boden ausgebreiteter Landkarten gebeugt, entschieden wir für den Norden Kanadas. Genauer gesagt, das nähere Mackenzie-Gebiet stand zur Debatte. Und … „nächstes Frühjahr muss es losgehn!“

Befassten uns beinahe täglich mit dem Plan. Leider musste festgestellt werden, dass der Mackenzie River und seine direkt angrenzenden Gebiete bereits ein beliebtes Ziel für Outdoor-Leute ist. Damit war dieser Bereich passé.

Durch die umfangreichen Nachforschungen haben wir jedoch viel über den Norden Kanadas erfahren und bemerkt, dass das Gebiet zwischen dem Großen Sklaven See und Großen Bären See noch echtes Niemandsland sei, abgesehen von wenigen kleinen Indianersiedlungen. Eine Region von etwa einer Größe der Bundesrepublik. Der neue Entschluss stand fest. Wir wählten Yellowknife, am Nordufer des Sklaven See, größte Ansiedlung der Northwestterritories, als Ausgangspunkt für das Unternehmen Busch. Ja, als wildes, raues, nur schwer zugängliches Buschland wird es beschrieben und die Landkarte macht den Eindruck, als gäbe es nahezu so viel „Blau“ wie „Grün.“

Also, von Yellowknife aus Richtung Norden, zunächst den Yellowknife River aufwärts, wollen wir uns orientieren.

Es würde sicherlich kein Spaziergang werden, das war klar. Doch was haben wir, Thomas und ich, nicht schon gemeinsam gemacht, bewältigt? Wir, ein festgeschmiedetes, hartgesottenes Team, mit vielerlei Erfahrung! Noch minderjährig trampten wir ins Ausland. Den Sommer darauf war eine Boot-Tour durchs Jagst- und Neckartal angesagt. Die nächsten Ferien kam ein Paddeltrip auf der Altmühl an die Reihe. Ein Jahr später durchstreiften wir wenig bekannte griechische Inseln, stets weit abseits von jeglichem Tourismus. Im Frühjahr danach wurde man bei einer äußerst strapaziösen Wildwasser-Kanutour in den französischen Alpen, in vielen waghalsigen Aufgaben geprüft.

Aufenthalte in Norwegen und Irland nährten darüber hinaus mein ständiges Fernweh. Was man auch jemals zusammen unternahm, möglichst einfaches, einsames Leben wurde angestrebt. Rucksack, Zelt und Lagerfeuer als stetige Begleiter. Und so schmolzen wir über Jahre zu festen Freunden zusammen. Verstanden uns nahezu blindlings. Viele schwierige Situationen wurden durch jahrelanges Zusammenspiel wortlos gemeistert. Kurz, konnten uns stets aufeinander verlassen. Wahrscheinlich ist der Quell des ungebändigten Abenteuerblutes noch viel früher zu suchen. Schon Kindesbeine trugen uns über manch ausgedehnte Wanderung. Zelten, Holzsammeln, Feuermachen, Angeln lernte man sozusagen vor dem 1 x 1. Das ständige Atmen der Schönheit freier Natur prägte Denken und Sinne.

Nun, jeder weitere Vorbereitungsschritt spornte zusätzlich an, den Plan in die Tat umzusetzen. Allerdings, da gab es nicht ausschließlich von Begeisterung getragene Abwicklungen zu tätigen; nämlich Auflösung von Wohnung, Arbeit, diversen Verträgen und ähnlichem.

So verstrichen Monat um Monat. Der Winter nahte dem Ende. Das Wichtigste war über die Bühne. Ein Flugtermin musste gewählt werden. Dann hieß es langsam, - Abschied nehmen, der bei weitem schwierigste Schritt. Abschied nehmen von Angehörigen und Freunden. „Wen wird man wiedersehen?“ … und niemand wusste von dem geheimen Plan, vielleicht für mehrere Jahre fortzubleiben!

Gleich wie, man muss hinaus, die Fremde ruft, das Abenteuer lockt wie ein Magnet.

Wir wollten freie Menschen sein, gleich dem Vogel in den Lüften; „Eins sein mit der Natur ..… und Eins werden mit sich selbst.“

Wenn Kinderträume nicht erlöschen, wird mancher Traum zur Wirklichkeit!