Zinsen sind verlorenes Geld

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Zinsen sind verlorenes Geld

Warum es notwendig ist, den Kapitalismus zu überwinden

von Otfried Müller

Copyright: © Dr. Otfried Müller

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-1627-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Zur Einführung

Kapitel 2 Einiges zum Grundverständnis über den störungsfreien Wirtschaftsablauf

Kapitel 3 Inflation, Deflation und Konjunkturzyklus

Kapitel 4 Die wichtigsten volkswirtschaftlichen Theorien im Überblick

Kapitel 5 Der Preismechanismus und der Lohnmechanismus

Kapitel 6 Das Geldwesen

Kapitel 7 Kredit und Zinsen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht

Kapitel 8 Das exponentielle Wachstum - ein Wachstum ganz besonderer Art

Kapitel 9 Die schöne Illusion vom ständigen, unbeschränkten Wirtschaftswachstum

Kapitel 10 Die geldabsaugende Wirkung der Zinsen

Kapitel 11 Die zerstörerische Wirkung der Zinsen auf die Wirtschaft

Kapitel 12 Zinsverluste der Wirtschaft als Ursache einer Staatsverschuldung und eines Staatsbankrottes

Kapitel 13 Die zinsbedingte Umverteilung von unten nach oben

Kapitel 14 Kredite ohne Zinsen - ja geht denn das?

Kapitel 15 Die Umlaufsicherung des Geldes

Kapitel 16 Zusammenfassung und Ausblick

Vorwort

Als Kind sah ich im Treppenhaus eines öffentlichen Gebäudes eine Grafik, wie ein Mensch mit offenem Mund seine Hand hinters Ohr hält, um besser hören zu können. Darunter standen die Worte: „Wer Ohren hat zu hören, der höre. (Matth. 11, 15)“

Es war weniger der Text, der mich anfänglich so sehr beeindruckte, sondern es war die eindringliche Grafik. Sie brannte sich mir ins Gedächtnis ein und erinnerte mich stets an diesen für mich damals belanglosen Text. Womit sollte ich denn sonst hören, wenn nicht mit den Ohren? Es mussten erst einige Jahre vergehen, bevor sich mir der tiefere Sinn dieser Worte erschloss, und zwar in Verbindung mit Kants Aufruf „Sapere aude!“

Immanuel Kant, der große Philosoph der Aufklärung, rief vor zweieinhalb Jahrhunderten die Menschen auf, selber zu denken und sich nicht kritiklos von der Meinung anderer abhängig zu machen. Er forderte den mündigen Menschen, der sich selber seine eigene Meinung über die Welt bildet.

Sapere aude! Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Greife die Informationen auf, die dich erreichen, und blende sie nicht aus, nur weil sie nicht in dein Weltbild passen. Und denke vor allem darüber nach. Nicht das Nachplappern vorgesagter Glaubenssätze bringt dich weiter, sondern das eigene Nachdenken über die Dinge, die du hörst, siehst oder liest.

Diese beiden Weckrufe wirkten in mir nach, als ich im Internet auf die Veröffentlichungen von Bernd Senf stieß (www.berndsenf.de). Vorher passte meine Ansicht über die Wirtschaft noch gut in die Welt. Sie war fest gefügt, denn die Ausführungen von Gregory Mankiw und Mark Taylor gaben mir Gewissheit. Ich hatte gelernt: Die Marktwirtschaft ist der staatlichen Planungswirtschaft haushoch überlegen, Angebot und Nachfrage regeln den Preis, und der Motor wirtschaftlichen Handelns ist der Gewinn. Man kann nur das Geld ausgeben, das man hat. Ach ja, nicht zu vergessen: Schulden müssen bezahlt werden und kosten Zinsen. Zinsen sind wichtig, denn sie lassen das Geld dorthin wandern, wo es am effektivsten wirken kann.

Bernd Senf lenkte meine Aufmerksamkeit auf Fragen, die ich bisher mit volkswirtschaftlichen Glaubenssätzen erklärt hatte. Seine Ausführungen öffneten mir die Augen dafür, dass sich hinter manchen Glaubenssätzen der Volkswirtschaftslehre massive wirtschaftliche und soziale Widersprüche verbargen. Auf einmal waren so manche wirtschaftliche Selbstverständlichkeiten für mich überhaupt keine mehr.

Ich bin Bernd Senf unendlich dankbar dafür und möchte in diesem Zusammenhang auf seine Bücher „Der Nebel um das Geld“, „Der Tanz um den Gewinn“ und „Die blinden Flecken der Ökonomie“ als weiterführende und gut verständliche Lektüre hinweisen.

Der Autor

1 Zur Einführung

Unser ganzes Leben ist geprägt von wirtschaftlichen Verhältnissen, wirtschaftlichen Entscheidungen und ihren Auswirkungen. Um sich in einer solchen Welt gut zurechtzufinden, ist es notwendig, die Zusammenhänge, wie die Wirtschaft funktioniert, zu verstehen. Die Regeln, nach denen wirtschaftliche Abläufe gestaltet werden, sind keineswegs vom Himmel gefallen, sondern sie sind in erheblichem Umfang von Menschen gemacht, und zwar wurden sie vorwiegend nach den Wünschen der Besitzenden gemacht.

Dieses Buch möchte einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Menschen die großen Zusammenhänge im Wirtschaftsgeschehen und die Wirkungsweisen unseres Geldsystems verstehen. Dabei verwendet es einfache Begriffe und versucht, die Zusammenhänge möglichst überschaubar darzustellen. Es wird in diesem Buch herausgearbeitet, dass wirtschaftliche Fragen uns nicht nur angehen, sondern dass wir vom wirtschaftlichen Gang der Dinge persönlich betroffen sind. Es ist, wie wenn bei allem, was wir wirtschaftlich tun, immer jemand dabei wäre, der ständig die Hand aufhält. Es lohnt sich auf alle Fälle, unser neoliberales Wirtschaftssystem gut zu verstehen, denn unser Wirtschaftssystem hat einige unschöne Nebenwirkungen. Das, was wir in der Schule über die Wirtschaft gelernt haben oder was wir über das Fernsehen darüber erfahren, ist nur ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit.

In der Wirtschaft geht es um Arbeit, Güter und vor allem um Geld. Dabei ist die Volkswirtschaftslehre objektiv und subjektiv zugleich. Einerseits ist sie objektiv, denn sie beschreibt und erklärt allgemein anerkannte Gesetzmäßigkeiten bei wirtschaftlichen Vorgängen; andererseits ist sie subjektiv, denn in der Wirtschaft geht es nicht nur um Theorien, sondern um handfeste, wirtschaftliche Interessen. Und wie es nun mal im Leben ist, lassen sich auch wirtschaftliche Dinge je nach der Interessenlage von unterschiedlicher Seite aus betrachten. Man sollte deshalb niemals vergessen: Die Wirtschaftslehre ist die Lehre vom Geldverdienen.

Manche volkswirtschaftlichen Feststellungen sind sofort einsichtig, andere weniger, und es gibt sogar einige, bei denen sich mancher fragt (oder fragen sollte), ob sie denn in dieser Form mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Beispielsweise wird in der Haushaltstheorie unterstellt, dass ein Mensch als Konsument ein umfassend informierter und ausschließlich rational handelnder Marktteilnehmer ist. Er sei bestens informiert und entscheide sich in seinem Kaufverhalten stets sinnvoll und logisch nach den jeweiligen Gegebenheiten, er strebe dabei nur nach seinem höchsten materiellen Nutzen. Die alltäglichen Erfahrungen mit dem Kaufverhalten von Menschen lassen jedoch erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptung aufkommen.

Wenn eine Aussage wie die vom allzeit rational handelnden Marktteilnehmer als Einzelaussage getroffen wird, dann ist das nicht weiter zu beanstanden. Wenn aber solch eine zweifelhafte Aussage zum Ausgangspunkt für weitere Folgerungen genommen wird, dann sind alle darauf gegründeten Folgerungen mit demselben Zweifel behaftet. Dann nützt es auch wenig, wenn die darauf gegründeten Folgerungen mit viel Mathematik unterlegt sind. Dadurch ist die darauf entwickelte Theorie zwar in sich in weiten Teilen widerspruchsfrei, und die Theorie gibt sich dadurch den Anschein, als beschreibe sie die Abläufe und Wirkungsweisen in einer Volkswirtschaft richtig und umfassend. Es ist aber die Frage, ob eine Theorie den Anspruch erheben darf, als richtig zu gelten, solange nicht die Richtigkeit der Grundannahme gesichert ist.

Aus einem ähnlichen, naheliegenden Grund ist natürlich auch die Frage erlaubt, ob der Titel dieses Buches richtig ist. Sind Zinsen wirklich verlorenes Geld? Immerhin verleitet der Titel dieses Buches spontan zum Widerspruch. Jeder, der für sein Geld auf der Sparkasse Zinsen gutgeschrieben bekommt, betrachtet diese (Haben-)Zinsen als einen Gewinn und keineswegs als Verlust. Wer dagegen einen Kredit bei der Bank aufgenommen hat und dafür (Soll-)Zinsen bezahlen muss, empfindet die (Soll-)Zinsen eher als Verlust. Wie bei den meisten Dingen im Leben haben also auch die Zinsen ihre zwei Seiten. Was der eine bezahlen muss, streicht der andere ein.

Es kommt deshalb darauf an, von welcher Seite man die Sache betrachtet, von der Seite des Kreditnehmers oder von der Seite des Kreditgebers: Das Buch schlägt sich auf die Seite des Kreditnehmers. Die Mehrheit der Menschen auf dieser Welt sind eher Zinsen-Bezahler, und nur ein kleiner Teil der Menschheit tritt als Zinsen-Empfänger auf. Aber allein die Frage nach der Mehrheit oder Minderheit der Menschen wird der Bedeutung, die die Zinsen weltweit spielen, nicht gerecht. Wie wir im Verlauf des Buches noch sehen werden, haben die Zinsen eine unheilvolle Wirkung auf das Wirtschafts- und Finanzgeschehen in der Welt, und die Nachteile, die die Zinsen hervorbringen, sind so gewaltig und betreffen einen so großen Anteil der Menschheit, dass man mit Recht sagen kann: Zinsen sind in der Tat verlorenes Geld.

2 Einiges zum Grundverständnis über den störungsfreien Wirtschaftsablauf

Um die Ursachen und Wirkungen von Ereignissen im Wirtschaftsleben besser verstehen zu können, sollten einige grundlegende Begriffe und Zusammenhänge bekannt sein. Einer der zentralen Begriffe ist das Geld. „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles! Ach, wir Armen!“ sagt Gretchen in Goethes Faust, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Woran liegt es denn, dass das Geld eine so wichtige Rolle im Wirtschaftsleben spielt?

 

Die Erfindung des Geldes und die Entwicklung des Geldwesens hängen eng mit der Entwicklung der Wirtschaft vom Tauschhandel zur modernen Wirtschaftsform zusammen. Die älteste Wirtschaftsform ist die Lebensweise der Steinzeitmenschen, bei denen jeder die Gegenstände seines täglichen Bedarfs selber herstellte. Wer besonders kräftig und schnell war, tat sich bei der Jagd hervor, und vielleicht zeichnete sich ein Hordenmitglied durch seine besondere Fingerfertigkeit beim Schnitzen oder beim Herstellen von Werkzeugen aus. Wenn wir uns vorstellen, dass der Fingerfertige nicht mit auf die Jagd ging, sondern sich stattdessen der Herstellung von Werkzeugen widmete, dann ist dies bereits ein Fall von Spezialisierung und Arbeitsteilung.

Die Menschen spezialisierten sich in ihren Tätigkeiten immer mehr, und aus dieser Spezialisierung entstanden die verschiedenen Berufe. Wenn nun jemand einen Stuhl hergestellt oder ein Tuch gewebt hatte, bestand die Möglichkeit, diese Gegenstände gegen Hühner oder Gemüse einzutauschen. Diese Form des Wirtschaftens ist als Tauschhandel bekannt. Der Warentausch wurde als Folge der Spezialisierung notwendig.

Der Tauschhandel hat aber seine Tücken. Ein Bauer, der sein Pferd beschlagen lassen will, könnte den Schmied mit einem Sack Getreide oder etwas Gleichwertigem entlohnen. Aber was macht ein Schmied mit täglich zehn Säcken Getreide, wenn er doch eher ein Paar Schuhe oder Kohlen für sein Schmiedefeuer benötigt? Aus einem angestrebten Tauschhandel kann nur dann etwas werden, wenn der Anbieter eine Ware oder Dienstleistung anbietet, die der Nachfrager braucht, und wenn der Nachfrager den Anbieter mit einem Gegenstand entlohnt, mit dem der Anbieter etwas anfangen kann. Mit der Erfindung des Geldes hatte man einen universellen Tauschgegenstand. Der Bauer gibt dem Schmied eine bestimmte Menge Geld, und ebenso kann sich der Schmied beim Schuhmacher das gewünschte Paar Schuhe für Geld anfertigen lassen.

Wenn also eine Ware nicht gegen eine andere Ware getauscht, sondern mit Geld bezahlt wird, dann erleichtert das nicht nur den allgemeinen Handel, sondern das Geld begründet damit auch seine zentrale Stellung für das gesamte Wirtschaftsgeschehen. „Ohne Moos nichts los“ lautet der lockere Spruch über das Geld.

In einer etwas groben Form lässt sich nämlich die Kausalkette für die Verbraucher ableiten: Ohne Geld kein Handel, ohne Handel kein Konsum, ohne Konsum keine befriedigende Lebensführung. Aber auch die Unternehmen wären betroffen: Ohne Geld kein Handel, ohne Handel kein Gewinn, ohne Gewinn keine Investitionen, ohne Investitionen keine Produktion, ohne Produktion kein Warenangebot. Der Kreis schließt sich mit der Kausalkette: Ohne Geld auf der Unternehmensseite keine Produktion, ohne Produktion keine Beschäftigung, ohne Beschäftigung keine Löhne, ohne Löhne kein Geld auf der Arbeitnehmerseite, ohne Geld auf der Arbeitnehmerseite kein Handel, ohne Handel kein Gewinn der Unternehmen.

In der heutigen arbeitsteiligen Wirtschaft hängt also alles vom Geld ab. Aus dieser Einsicht erklärt sich auch: Geldmangel dämpft die Wirtschaftstätigkeit, und ausreichend vorhandenes Geld regt die Wirtschaftstätigkeit an.

Um eine florierende Wirtschaft zu betreiben, muss nicht alles Geld aus Münzen oder Banknoten bestehen. Der überwiegende Teil unserer Wirtschaftstätigkeit wird bargeldlos abgewickelt. Dabei werden lediglich entsprechende Buchungen auf den betroffenen Bankkonten vorgenommen. Sofern man einen Kredit bekommt, braucht man noch nicht einmal ein ausreichendes Guthaben auf seinem Bankkonto zu haben.

Wenn sich jemand etwas auf Kredit kauft, dann ist die Gewährung des Kredites gleichzusetzen mit einer Geldschöpfung. Bei dieser Art von Geldschöpfung werden freilich keine Münzen oder Banknoten erzeugt, sondern es wird nur theoretisches Geld erschaffen. Gegenüber dem Kreditnehmer, also dem Käufer, entsteht auf diese Weise eine juristische Forderung, das Geld später zu bezahlen. Dennoch ist der Kredit ebenso wirksam wie Bargeld, denn man kann über einen Kredit genauso eine Ware oder eine Dienstleistung erwerben wie mit Bargeld. Die spätere Tilgung des Kredites entspricht dann der Vernichtung des durch den Kredit geschöpften Geldes.

Mit der Einführung des Geldes wurden die vielfältigen Hemmnisse, wie sie der Tauschhandel mit sich bringt, aus dem Wege geräumt, und daher blühte die Wirtschaft erst mit der Einführung des Geldes richtig auf. Kaufen und verkaufen mit Geld war wesentlich leichter, als Waren gegen Waren zu tauschen. Die Arbeitsteilung wurde mit der Zeit immer umfangreicher. War es im Mittelalter noch üblich, dass ein Tischler einen Tisch von der Idee bis zum fertigen Produkt allein herstellte, so wurden die komplexen Produktionsabläufe in den Manufakturen bereits in Teilschritte zerlegt und von verschiedenen Personen ausgeführt. Einen weiteren Schritt bei der Arbeitsteilung erfuhr die Warenherstellung mit der Einführung des Fließbandes, wo ein einzelner Arbeiter nur noch wenige Handgriffe ausführt. Die arbeitsteilige Produktionsweise erlaubt es, beispielsweise einen Stuhl wesentlich billiger und damit konkurrenzfähiger herzustellen, als es ein einzelner Tischler tun könnte. Deshalb hat die industrielle Fließbandproduktion die klassische Handwerksarbeit weitestgehend verdrängt.

In der modernen, arbeitsteiligen Wirtschaft wandert das Geld von einem Marktteilnehmer zum andern. Die wichtigsten Marktteilnehmer sind die Wirtschaftsunternehmen und die Haushalte. Die Wirtschaftsunternehmen stellen Waren und Dienstleistungen her, und die Haushalte verbrauchen sie. Daneben umfasst die moderne Wirtschaft noch den Handel, die Banken und den Staat. Zwischen diesen Marktteilnehmern fließt nun das Geld, kreuz und quer oder im Kreis, je nach Betrachtungsweise. Wer mag, kann sich den Geldfluss innerhalb einer Volkswirtschaft wie den Blutfluss im menschlichen Körper vorstellen.

Grob gesehen, unterteilt man die hergestellten Waren in Konsumgüter und Investitionsgüter. Unter Konsumgütern versteht man die Dinge des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Möbel, Nahrungsmittel oder Unterhaltungselektronik. Investitionsgüter sind beispielsweise Maschinen oder eine neue Fabrikhalle. Damit wird deutlich, dass nicht nur die Haushalte Waren und Dienstleistungen nachfragen, sondern auch die Wirtschaftsunternehmen. Der Handel bringt die Waren von den Unternehmen zu den Konsumenten. Er stellt selber keine Waren her, er fragt die Konsumwaren bei der produzierenden Wirtschaft nach und bietet sie den Haushalten an. Gleichzeitig tritt der Handel gegenüber der produzierenden Wirtschaft als Nachfrager nach Geschäftshäusern, Büroeinrichtungen, Fahrzeugen und anderem auf.

Eine Sonderstellung in wirtschaftlicher Hinsicht nimmt der Staat ein. Er ist gleichzeitig Produzent, Dienstleister und Konsument. Als Produzent ist er oft an großen und kleinen Aktiengesellschaften beteiligt. So hält beispielsweise das Land Niedersachsen Aktien des VW-Werkes, oder die Stadt Frankfurt und das Land Hessen halten Aktien des Flughafenbetreibers Fraport. Vorwiegend auf kommunaler Ebene betreibt der Staat Wasserwerke und andere Versorgungsunternehmen, teils als alleiniger Besitzer, teils als Anteilseigner zusammen mit anderen Aktienbesitzern. Vor allem aber ist der Staat Anbieter einer großen Palette an Dienstleistungen. Seine Dienstleistungen erstrecken sich von der Gewährleistung der Sicherheit (Militär und Polizei) über das Rechtssystem (Gerichte und Staatsanwaltschaften), die öffentliche Verwaltung (Regierungen, Stadtverwaltungen, Finanzämter), Bildung (Schulen und Universitäten) und Gesundheit (Krankenhäuser) bis zum Bau und dem Unterhalt von Schienen, Straßen, Autobahnen, Häfen und Wasserwegen. Gleichzeitig unterhält der Staat die kommunalen und staatlichen Parlamente.

In dieser Eigenschaft ist der Staat Arbeitgeber für eine Vielzahl von Menschen. Das Geld für die Löhne und Gehälter für seine Bediensteten nimmt sich der Staat über die Steuern. Wenn der Staat ein Krankenhaus baut, dann tritt er gegenüber der Bauwirtschaft und gegenüber den Ausstattern als Nachfrager auf, und wenn das Krankenhaus in Betrieb genommen ist, dann tritt der Staat gegenüber der Bevölkerung als Anbieter einer Dienstleistung auf.

Das Sozialprodukt einer Volkswirtschaft ist die Summe aller in einem Jahr hergestellten Waren und Dienstleistungen. Das Sozialprodukt wird über die in der Volkswirtschaft wirksame Kaufkraft gekauft und konsumiert. Die Kaufkraft der Nachfrager hängt von der Menge des umlaufenden Geldes ab. (Streng genommen auch noch von der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.) Dabei ist es zunächst einmal unerheblich, ob viel oder wenig Geld umläuft. Wenn die Menge des Sozialproduktes und die umlaufende Geldmenge gleich bleiben, dann stellt sich ein bestimmtes Preisniveau ein. Dadurch wird der umlaufenden Geldmenge jene Kaufkraft zuteil, mit der die Güter des gesamten Sozialproduktes nachgefragt werden. Ist viel Geld im Umlauf und das Angebot an Waren und Dienstleistungen gering, dann stellt sich ein hohes Preisniveau ein. Ist dagegen das Sozialprodukt umfangreich und/oder die umlaufende Geldmenge gering, dann fällt das Preisniveau niedrig aus. Das Geld, mit dem die Konsumgüter des Sozialprodukts gekauft werden, beziehen die Menschen über Löhne und Gehälter oder Renten, und die Unternehmen, die Investitionsgüter kaufen, nehmen das Geld dafür aus ihrem Betriebsgewinn.

Der Antrieb dafür, dass die Wirtschaft überhaupt etwas produziert, ist die Erwartung eines Unternehmens, dass es durch den Verkauf seiner Produkte einen Gewinn erzielt. Ein Unternehmen ist bemüht, seine Produkte einerseits mit einem möglichst hohen Preis anzubieten, damit sein Gewinn möglichst hoch ausfällt. Hohe Preise kann ein Unternehmen aber nur in dem Maße durchsetzen, wie die Käufer bereit sind, diese Preise auch zu bezahlen. Der Preiskampf zwischen den einzelnen Unternehmen bringt es mit sich, dass ein Unternehmen auch die Preisgestaltung der Konkurrenz berücksichtigen muss. Es darf die Preise seiner Produkte nicht all zu hoch ansetzen, damit der Kunde nicht das Produkt der Konkurrenz kauft, denn in einer Marktwirtschaft entscheidet vor allem der Preis, ob ein Produkt gekauft wird und von welchem Hersteller es gekauft wird. Um dennoch möglichst hohe Gewinne zu erzielen, suchen die Unternehmen nach Mitteln und Wegen, die Produktionskosten zu senken, denn fallende Kosten lassen die Gewinne steigen. Das Zauberwort dazu heißt Produktivität. Die Produktivität ist das Verhältnis zwischen der produzierten Warenmenge und der dazu benötigten Zeit, es geht dabei um das Verhältnis zwischen Wirkung und Aufwand.

Bei Produktivitätssteigerungen handelt es sich ganz allgemein um verbesserte Produktionsverfahren. Das kann beispielsweise dadurch geschehen, dass der gesamte Produktionsablauf besser organisiert wird, dass die eingesetzten Maschinen schneller oder rationeller arbeiten, dass der Verbrauch an Material und Energie geringer ausfällt und damit die Kosten für Material und Energie gesenkt werden, dass die Lohnkosten geringer ausfallen, oder einfach dadurch, dass die Fließbänder schneller laufen, so dass in derselben Zeit mehr produziert wird als vorher. Auf der Suche nach günstigeren Produktionsmethoden bemüht sich ein Unternehmen um billigere, moderne Produktionsverfahren und setzt dabei auf neue Erfindungen und Innovationen. Auf diese Weise wird der technische Fortschritt gefördert, und die Produkte erhalten dadurch oft eine höhere Qualität. Beispielsweise weist ein modernes Auto aus der heutigen Produktion einen höheren technischen Standard auf als ein Auto aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Über die Produktivitätssteigerung kann ein Unternehmen seine Stückkosten senken und auf diese Weise seine Produkte bei gleicher oder höherer Qualität zu einem geringeren Preis auf dem Markt anbieten, ohne auf einen ausreichenden Gewinn verzichten zu müssen. Wenn der geringere Preis eines Produktes zudem noch unter dem Preis der Konkurrenz liegt, dann verspricht das dem Unternehmen einen höheren Absatz und dadurch oft auch einen größeren Gewinn. Wenn die Konkurrenz hingegen auf dem alten Stand verharrt, dann gewinnt das Unternehmen auf diese Weise einen höheren Marktanteil. Oft weist nicht nur ein einzelnes Unternehmen eine Produktionssteigerung auf, sondern auch die Konkurrenzunternehmen, und das nicht nur in einem einzelnen Wirtschaftssektor, sondern auch in den übrigen, dann bedeutet dies gesamtwirtschaftlich ein allgemeines Wirtschaftswachstum. Damit steigt insgesamt das Sozialprodukt, und dies hebt den Wohlstand der Bevölkerung.

Die Steigerung der Produktivität trägt also zur Ausweitung des Sozialproduktes bei und gilt daher gesamtwirtschaftlich als ein Vorteil. Betriebswirtschaftlich dagegen hat die allgemeine Produktivitätssteigerung den Nachteil, dass sich dadurch der Wettbewerb unter den Wirtschaftsunternehmen verschärft, denn die Konkurrenz schläft nicht. Ein Unternehmen, das keine oder nur eine kleine Produktivitätssteigerung aufweist und deshalb ungünstiger produziert als die Konkurrenz, kann seine Waren nur noch mit Mühe verkaufen und erleidet Nachteile im Wettbewerb um die Kunden. Bei zu hohen Produktionskosten fällt sein Gewinn zu gering aus, oder bei vergleichsweise zu hohen Preisen bricht der Absatz seiner Produkte ein. Im Extremfall kann sich daher ein Unternehmen mit unzureichender Produktivität am Markt nicht mehr halten und muss Konkurs anmelden. Es verschwindet vom Markt, und nur die produktiven Unternehmen überleben. Auf diese Weise hebt sich allgemein die Produktivität der gesamten Wirtschaft, und die Warenpreise sinken auf breiter Front. Den Vorteil hat der Kunde, weil er dann aus einem umfangreicheren und billigeren Angebot auswählen kann.

 

Die Produktion von Waren kostet zunächst nur Geld, beispielsweise für Material, Maschinen, Energie, Löhne oder Kredite. Die Kosten für Maschinen und Anlagen fallen zwar nicht regelmäßig an, aber Maschinen halten nicht ewig. Irgendwann werden sie unbrauchbar, dann müssen sie durch neue ersetzt werden. Dazu bildet das Unternehmen Rücklagen und legt die Anschaffungskosten auf die Dauer der Benutzung um. Angenommen, eine Maschine kostet bei ihrer Neuanschaffung 10.000 Euro und muss nach zehn Jahren ersetzt werden, dann verbucht das Unternehmen jährlich einen Verlust am Maschinenpark von 1.000 Euro. Um den Bestand der Maschinen zu erhalten, muss das Unternehmen also jährlich 1.000 Euro zurücklegen, damit es in zehn Jahren eine neue Maschine für 10.000 Euro kaufen kann. Diese jährliche Abschreibung von 1.000 Euro zählt zu den laufenden Kosten für Maschinen.

Für die Versorgung der Wirtschaft mit Geld sind die Geschäftsbanken verantwortlich. Sie erhalten das Geld als Kredite von der Zentralbank des Staates. Aus diesem Grunde hat jede Volkswirtschaft eine Zentralbank, auch Notenbank genannt. Die Zentralbank ist verantwortlich für die „richtige“ Menge an umlaufendem Geld. (Im Euroraum gibt es jedoch nur eine Zentralbank für eine Vielzahl unterschiedlich produktiver Volkswirtschaften. Das ist die Hauptursache für die aktuelle Eurokrise.)

Für die Wirtschaft ist der Zugang zu Geld dringend notwendig. Je nach der Größe und rechtlichen Beschaffenheit eines Unternehmens kann es frisches Geld aus unterschiedlichen Quellen bekommen. Normalerweise nimmt ein Unternehmen bei Geldbedarf einen Kredit bei einer Geschäftsbank auf, sehr große Unternehmen können aber auch Anleihen auflegen, und Aktiengesellschaften können Aktien ausgeben. Bei Aktien geht das durch den Verkauf der Aktien eingenommene Geld in den Besitz des Unternehmens über, und dafür erhält der Käufer der Aktien einen ideellen Besitzanteil am Unternehmen und wird auch am Gewinn des Unternehmens beteiligt. Kleinere Unternehmen sind auf die Kredite der Geschäftsbanken angewiesen.

Die Zinsen, die das Unternehmen für einen Kredit bezahlen muss, erhöhen die Produktionskosten und mindern den Gewinn. Daher überlegt jedes Unternehmen sorgfältig, ob es sinnvoll ist, sich die benötigten Geldmittel als Kredit zu besorgen und dafür auch Zinsen zu bezahlen oder nicht. Ein Unternehmen wird nur dann einen Kredit aufnehmen, wenn es die für später erwarteten Einnahmen für so groß einschätzt, dass davon nicht nur die Zinsen abgedeckt werden, sondern auch noch ein Gewinn übrig bleibt. Die Kreditzinsen werden in die Verkaufspreise der mit dem Kredit hergestellten Waren eingerechnet.

Aber nicht nur produzierende Unternehmen brauchen Kredite, auch der Handel. Beispielsweise braucht ein Bekleidungsfachgeschäft, das seine neue Sommerkollektion einkaufen will und dafür den Bekleidungsgroßhändler bezahlen muss, ebenfalls einen Kredit. Ebenso auch ein Rechtsanwalt, der eine eigene Kanzlei gründen und dazu Geschäftsräume anmieten oder kaufen und ausstatten will. Und welche von den vielen Familien, die sich ein Eigenheim kaufen oder bauen wollen, könnte dies ohne einen Kredit tun?

Man muss unterscheiden zwischen den Marktgesetzen und einer Wirtschaftsordnung. Ein Marktgesetz ist eine verallgemeinerte Beschreibung von wirtschaftlichen Erfahrungen und Wirkungszusammenhängen. Beispielsweise hat sich durch vielfältige Beobachtung die Erkenntnis herausgebildet, welche Auswirkungen ein Preis auf das mengenmäßige Angebot einer Ware und die Nachfrage danach ausübt, oder umgekehrt, wie Angebot und Nachfrage zu einem marktüblichen Preis einer Ware führen.

Die Marktgesetze sind im Wesentlichen statistische Aussagen und beschreiben, wie sich eine große Anzahl von Menschen unter gegebenen Umständen erfahrungsgemäß verhält. Was der Einzelne tut, spielt dabei kaum eine Rolle, weil es bei statistischen Aussagen vor allem auf den Mittelwert der in Frage stehenden Erscheinung ankommt. So führt an der Wechselwirkung zwischen Preis, Angebot und Nachfrage einer Ware kein Weg vorbei, und es wäre hoffnungslos, an diesem erfahrungsgemäßen Zusammenhang etwas verändern zu wollen. Selbst dann, wenn eine Regierung den Preis einer Ware mit staatlicher Macht zu verändern versucht, wird sich neben dem staatlich kontrollierten Markt ein Schwarzmarkt mit eigenem Schwarzmarktpreis entwickeln, bei dem das Gesetz über Preis, Angebot und Nachfrage seine Verwirklichung erfährt. An solchen Marktgesetzen kann man so gut wie nichts verändern.

Anders als die Marktgesetze ist eine Wirtschaftsordnung ein rechtliches System, in dem festgelegt ist, wer was tun darf und was nicht, ob Verträge eingehalten werden müssen und wer im Bedarfsfall die Einhaltung eines Vertrages erzwingt, oder welche Dinge als Privateigentum gelten dürfen, usw. Die Sachlage, wem eine Fabrik gehört, hat Auswirkungen auf die Frage, wer wem Befehle erteilen darf, was mit dem erwirtschafteten Gewinn geschieht und wer darüber verfügen darf. Die Wirtschaftsordnung regelt also die Fragen, in welchem rechtlichen Rahmen wirtschaftliches Handeln erfolgen soll und darf. Solche Fragen der Wirtschaftsordnung werden von Menschen, zumeist vom Staat festgelegt und lassen sich deshalb auch von Menschen verändern.

Unsere kapitalistische Wirtschaftsordnung fußt auf zwei rechtlichen Säulen: auf der Vertragsfreiheit und dem Eigentumsrecht. Beides wird durch die bestehende Rechtsordnung gewährleistet. Die Vertragsfreiheit ermöglicht es dem Einzelnen, selber zu entscheiden, ob er wirtschaftlich aktiv werden will oder nicht, ob er etwas herstellen will und was. Der Unternehmer (bzw. das Unternehmen) entscheidet über die Herstellungsweise der Güter, wen er als Arbeitskraft einstellen will oder nicht, und wem, wann und zu welchem Preis er seine erzeugten Güter verkaufen will. Und vor allem gehört ihm allein der Gewinn. Theoretisch könnte in diesem Wirtschaftssystem jeder zum Unternehmer werden, und das suggeriert uns ja auch der Mythos vom amerikanischen System, bei dem es jedermann vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann. Allerdings muss man hier sorgfältig zwischen Theorie und Praxis unterscheiden.