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Martin Arz · Geldsack

Martin Arz


Max Pfeffers 6. Fall


Martin Arz, geboren 1963 in Würzburg, schrieb als freier Autor für zahlreiche Magazine und arbeitete als PR-Berater, bevor er sich ganz der Malerei und dem Schreiben widmete. Seine Gemälde waren bereits auf vielen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen. »Geldsack« ist der sechste Kriminalroman mit Max Pfeffer aus der Feder von Martin Arz. Im Januar 2004 erschien »Das geschenkte Mädchen«, der erste Pfeffer-Krimi, es folgten »Reine Nervensache«, »Die Knochennäherin«, »Pechwinkel« und »Westend 17«. Kriminalrat Pfeffer ermittelte außerdem im Frühjahr 2010 in Deutschlands erstem Twitter-Krimi »Der Tote vom Glockenbach«, der über Twitter publiziert wurde. Martin Arz veröffentlichte zudem mehrere Sachbücher über die Stadt, in der er lebt und arbeitet: München.

Pfeffer-Krimis im Hirschkäfer-Verlag:

 Das geschenkte Mädchen Max Pfeffers 1. Fall

 Reine Nervensache Max Pfeffers 2. Fall

 Die Knochennäherin Max Pfeffers 3. Fall (ab Herbst 2015!)

 Pechwinkel Max Pfeffers 4. Fall

 Westend 17 Max Pfeffers 5. Fall

 Geldsack Max Pfeffers 6. Fall

Handlung und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen oder Personen wäre rein zufällig.

1. Auflage, Mai 2015

Cover und grafische Gestaltung von Hirschkäfer Design/Coriander P

© Hirschkäfer Verlag, München 2015

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung in elektronischen Systemen.

E-Book-ISBN 978-3-940839-22-0

eBook-Herstellung und Auslieferung:

HEROLD Auslieferung Service GmbH

www.herold-va.de

Besuchen Sie uns im Internet:

www.hirschkaefer-verlag.de

Mit Liebe gemacht.

»Zum Reichtum führen viele Wege,

und die meisten von ihnen sind schmutzig.«

Marcus Tullius Cicero

»Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen.«

Honoré de Balzac

Inhalt

Kapitel 01

Kapitel 02

Kapitel 03

Kapitel 04

Kapitel 05

Kapitel 06

Kapitel 07

Kapitel 08

Kapitel 09

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

01 Das linke Auge streikte immer noch. Er hielt sich abwechselnd die Augen zu. Rechts war es ganz okay, links hatte er diese Schlieren vor der Pupille, die die Welt wie durch Milchglas betrachtet wirken ließen. Mit einem leisen Seufzer drehte er sich zu dem kleinen Spiegel, der neben dem Spind hing. Ein billiger Kosmetikspiegel mit hellgrünem Plastikrand, vom Hausmeister an einem Nagel befestigt. Er betastete vorsichtig seine linke Schläfe, wo die Beule kaum zu übersehen war. Etwas getrocknetes Blut klebte an seinen Haaren. Er versuchte es, so gut es eben ging, herauszupulen. Wenn nur das Auge nicht noch weiter zuschwellen würde! Er hatte zu kräftig am Schorf gerieben. Ein feines Blutrinnsal schlich sich durch die Haare. Er fluchte, benetzte den Zeigefinger mit Spucke und drückte ihn vorsichtig auf die blutende Stelle.

»Na, gestern wieder mal über den Durst getrunken?« Wie immer laut und polternd betrat der Hausmeister den Raum, in dem die Werkzeuge gelagert wurden. »Junge, Junge. Das ist ein sauberes Veilchen. Schlägerei? Schon wieder?« Er lachte.

»Nein«, murmelte Lorenz Stockmair und drehte sich weg, sodass der neugierige Hausmeister ihn nicht näher unter die Lupe nehmen konnte. »Bin gestern im Dunkeln gegen einen Türstock gerannt. Ganz undramatisch, Schorsch.«

»Du solltest weniger saufen, Lenz!«, dröhnte der Hausmeister, dessen Nachnamen Lenz nicht wusste, weil auf ihren Namensschildern nur die Vornamen standen. Namensschilder mussten sie alle tragen.

Lenz nickte ergeben, um der Situation zu entkommen. »Ich saufe nicht«, murmelte er dennoch ebenso leise wie trotzig.

»Ha?!«, fragte der Hausmeister und zog die Augenbrauen fragend hoch.

»Nix«, sagte Lenz Stockmair laut. »Gar nix.«

»Habs schon gehört«, grunzte Schorsch, der Hausmeister. »Bist du sicher, dass du nicht säufst? Bei deinem Verletzungsaufkommen …« Schorsch öffnete seinen Spind und schälte sich aus der leichten Sommerjacke. Dann zog er sich Schuhe und Hose aus, holte seinen frisch gewaschenen und gestärkten dunkelblauen Overall heraus, auf dessen Rücken in großen weißen Lettern »Maintenance« prangte und stieg hinein.

»Ich muss jetzt anfangen.« Lenz griff sich den Rasentrimmer, strich sich seine grüne, ebenfalls frisch gewaschene und gestärkte Arbeitsschürze zurecht und überprüfte den perfekten Sitz seines Namensschilds. Sie mussten jeden Tag frische Arbeitskleidung anziehen. Das gehörte dazu. Die Sachen legten sie jeden Feierabend in einen weißen Wäschekorb neben dem Eingang, und am nächsten Morgen hingen sie gewaschen und gestärkt in den jeweiligen Spinden. Aber einen vernünftigen Spiegel hatte man ihnen bisher nicht zukommen lassen. »Die Rasenkanten schneiden sich nicht von allein.«

»So früh?«

»Es ist genau sieben. Also darf ich loslegen. Und das Ding ist eh ganz leise.«

»Nicht, dass du dann noch von dem großkopferten Grobzeug eine auf den Deckel kriegst, weil du sie aus dem Champagnerkoma mähst.« Der Hausmeister lachte wieder dröhnend und klopfte Lenz auf die Schulter. Lenz sah die Hand aus den Augenwinkeln kommen und zuckte unwillkürlich zusammen wie ein handscheuer Hund. Er lächelte sein Zucken verlegen weg.

»Champagnerkoma«, wiederholte Lenz grinsend und wog den Rasentrimmer in der rechten Hand. »Der war gut.« Schorsch sagte immer so lustige Sachen und fand immer treffende Beschreibungen für ihre Kundschaft. Die eine aus dem neunten Stock nannte er immer Botoxzombie. Treffender hätte es Lenz nicht ausdrücken können. »Schönen Tag noch, Schorsch.«

Der Hausmeister brummte etwas, während Lenz den Kellerraum verließ und die Treppen zum Hinterausgang hochstapfte. Unterwegs schob er sich erneut eine Ibuprofen in den Mund und zerkaute sie. Er futterte Schmerztabletten wie Smarties. Der bitter-mehlige Geschmack beruhigte ihn. Als er die Tür zum hinteren Garten öffnete, purzelte ihm fast ein Pärchen in die Arme, das sich knutschend an die Tür gelehnt hatte. Der immer grimmig dreinschauende Bursche aus dem siebten Stock hatte offenbar wieder mal eine erfolgreiche Nachtjagd hinter sich.

»Scheiße, Lenz«, knurrte der grimmige Bursche und hielt seine Eroberung fest, die beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. »Kannste nicht aufpassen?«

»Verzeihung, Herr Dollmann«, sagte Lenz Stockmair unterwürfig und blinzelte ins zarte Licht des frühen Morgens.

»Und nenn mich nicht Herr Dollmann!«, rief der junge Mann verärgert. »Mein Alter ist Herr Dollmann, wie oft soll ich dir das noch sagen, Lenz. Ich bin der Timo. Wir müssen doch gegen die da oben«, er machte eine Kopfbewegung gen Himmel, die seine langen, verfilzten Rastalocken in Wallung brachte, »gegen die da zusammenhalten. Ich bin einer von euch, Lenz. Vergiss das nicht.«

 

»Sicher, Herr … Timo. Schönen Tag noch.« Lenz ließ das Paar stehen.

»Und sauf nicht so viel, Lenz«, rief Timo Dollmann ihm hinterher. »Schaust übel aus. Wilde Nacht, hä?« Der Bursche und sein kichernder Aufriss gingen durch die offene Kellertür ins Haus.

»Ich saufe nicht, blöder Kiffer«, knurrte Lenz wütend, während er den Rasentrimmer anwarf und begann, die längeren Grashalme entlang der Buchsbaumhecke zu schneiden. »Ich. Saufe. Nicht. Verdammt noch mal.« Er war so aufgewühlt, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Vorsichtig tupfte er mit einem Papiertaschentuch am lädierten linken Auge herum. Den Trimmer führte er einhändig weiter. Das konnte er quasi blind. Ein Mann im dunklen Anzug kam auf dem Gehweg vorbei und grüßte kurz. Lenz nickte. Irgendjemand von der Security, den er nur vom Sehen kannte. Vorne an der Straße rumpelte eine Straßenbahn vorbei. Sein Trimmer ruckelte. Das Gerät setzte den Bruchteil einer Sekunde aus, so als hätte es etwas zu Hartes getroffen, dann schnurrte es wieder weiter, setzte noch einmal kurz aus und stotterte dann. Lenz schaltete das Gerät aus. Er wischte sich ein letztes Mal die tränenden Augen und bückte sich dann, um zu überprüfen, ob Zweige oder Steinchen in die Maschine gekommen waren. Das konnte vorkommen, durfte es aber eigentlich nicht. Er hatte erst am Vortag die niedrige Hecke akkurat gestutzt und war sich sicher, dass er alle Äste und Zweiglein auch restlos beseitigt hatte. Da war er akkurat. Lenz beugte sich zu der Hecke und tastete den Boden ab. Er bekam zwei kurze, dickliche Aststücke zu fassen, legte sie in seine rechte Handfläche und starrte stirnrunzelnd darauf. Seltsame Farbe, so blass und hell und ungewöhnlich dunkel an der Schnittstelle. Er hob eines der Stückchen mit Daumen und Zeigefinger hoch und führte es nah an sein gesundes Auge. Er hielt es gegen das Licht. Mit einem erstickten Schrei ließ er es fallen, als er erkannte, was er aufgehoben hatte. Er warf auch das zweite Stückchen weit weg und wischte sich angeekelt die Hände an der Schürze ab. Lenz schnappte kurz nach Luft und sah sich panisch um. Irgendwo sang ein Vogel. Dann ging Lenz Stockmair auf alle viere, legte den Kopf fast auf die Wiese und stierte angestrengt durch die Büsche. Dem Mann, der dort lag, fehlten nun Mittel- und Zeigefinger der linken Hand. Er würde sie freilich auch nicht vermissen, denn der deformierte Schädel, aus dem etwas Großes, Transparentes ragte, in dem sich die ersten Sonnenstrahlen brachen, ließ keinen Zweifel daran, dass der Mann nie mehr etwas vermissen würde.

02 Max Pfeffer nippte an dem Cappuccino, den er sich beim Bäcker an der Müllerstraße geholt hatte, und kratzte sich am Bart. Der hatte die Länge, in der er zu jucken begann. Zeit, sich wieder mal zu rasieren. Alles runter bis auf ein paar Millimeter. Niemand vom Team sprach ihn an. Man wusste, dass der Chef in der Frühe gerne maulfaul war und erst einmal genug Koffein getankt haben musste.

Die Rechtsmedizinerin richtete sich auf und zwinkerte Kriminalrat Pfeffer zu. »Servus, Maxl«, rief sie einen Tick zu fröhlich angesichts der Leiche, neben der sie kniete.

»Servus, Pettenkoferin«, antwortete Max Pfeffer und prostete ihr mit dem Kaffeebecher zu. Er stand noch hinter dem Absperrband, um die Spurensicherung nicht zu stören. Er hörte vorne an der Müllerstraße die Straßenbahn.

Dr. Gerda Pettenkofer stemmte sich hoch, was ihr angesichts ihrer wogenden Pfunde nicht leicht fiel, wischte sich über die Knie und kam zu Max Pfeffer herüber. »Hast du mal einen Schluck für mich?« Sie wollte ihm den Pappbecher aus der Hand nehmen.

Pfeffer zog seine Hand zurück. »Nein«, sagte er ruppig. »Du weißt, dass ich das hasse. Ich hol dir gleich deinen eigenen, wenn du willst.«

»Super Laune. Du mich auch.« Die Medizinerin zündete sich eine Zigarette an, war aber nicht ernstlich verstimmt. »Auch eine?« Sie hielt Pfeffer die Zigaretten hin.

»Nein. Tim verlässt mich endgültig, wenn ich schon wieder mit dem Rauchen anfange.«

Gerda Pettenkofer lachte trocken. »Verstehe, Pantoffelheld. Sagt er das nicht jedes Mal? Haben wir dich heute früh am Sportprogramm gehindert, oder was?«

»Nein.« Pfeffer schmunzelte. Er hatte sein tägliches Sportprogramm längst hinter sich gebracht, als der Anruf kam, dass mitten im Gärtnerplatzviertel Arbeit auf ihn warten würde. »Nichts gegen dich, werte Gerda, aber ich mag es einfach nicht, wenn jemand von meinem Glas oder Becher trinkt. Das müssen wir jetzt aber nicht weiter vertiefen, Hase.«

»Geht mir ja eigentlich auch so.« Sie zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls beneide ich dich nicht um den Klienten von heute. Die Kundschaft hier wird sicher not amused darüber sein, dass ihr Palast schon wieder in die Negativschlagzeilen kommt.« Sie deutete zum Hochhaus hinauf, in dessen Glasfassade sich die Morgensonne brach.

Max Pfeffer ließ seinen Blick schweifen. Rechts von ihm erhob sich der gläserne Wohnturm, zu dem der Garten gehörte, in dem sie standen. Geradeaus grenzten dreistöckige Neubauten daran und rechts versperrte ein grün gestrichener, hoher Bauzaun die Sicht zu der angrenzenden Baustelle. Hier wurden weitere Eigentumswohnungen hochgezogen. Hinter Pfeffer stand ein klotizges Bürogebäude, dessen Architekten offensichtlich Legofans gewesen sein mussten.

»Kommt unser Klient denn aus dem Palast?«, fragte er.

»Deine Assistenz ist schon im Anmarsch und kann dir das sicher beantworten.« Die Rechtsmedizinerin wies auf Hauptkommissarin Annabella Hemberger, die sich den beiden näherte. Sie trug einen weißen Ganzkörperoverall, wie alle hinter der Absperrung. In der Hand schwenkte sie einen durchsichtigen Plastikbeutel mit einer Geldbörse.

»Morgen, Chef«, sagte Hauptkommissarin Hemberger fröhlich und strahlte über das ganze Gesicht. Ihr blonder Kurzhaarschnitt leuchtete in der Sonne.

»Ich frage mich allerdings ernsthaft«, sagte Gerda Pettenkofer und musterte die Kriminalbeamtin mit zusammengekniffenen Augen, »ob deine Assistenz nicht ein schwerwiegendes Drogenproblem hat.«

Das fröhliche Lächeln von Annabella Hemberger fror ein, während sie leicht verwirrt zwischen den beiden hin- und hersah.

»Irgendwoher muss ja diese penetrante Fröhlichkeit kommen, Frau Scholz«, seufzte die Medizinerin erklärend.

»Die Hormone«, erklärte Max Pfeffer. »Und die Frau Scholz heißt ja längst Hemberger. Wir waren auf der Hochzeit, Gerdahase. Alzheimer?«

»Oh.« Gerda Pettenkofer begriff und begann ebenfalls zu strahlen. »Wieder schwanger? Na, Mensch, gratuliere, Bella. Glückwunsch!«

»Danke«, antwortete die Hauptkommissarin selig grinsend. »Weiß es erst seit gestern. Wir freuen uns schon ganz narrisch …«

»Mädels, bitte«, unterbrach Pfeffer. »Bleiben wir einen Moment noch beim Thema.«

»Klar, Chef.« Bella Hemberger hielt ihm den Plastikbeutel hin. »Er trug sein Portemonnaie mit sich. Es scheint nichts zu fehlen. Zumindest sind ungefähr dreihundert Euro in bar drin, diverse Kreditkarten und sogar sein Personalausweis. Unser Toter ist ein gewisser Guido Zumboldt, einundvierzig Jahre alt. Wohnte hier im Haus. Dann haben wir hier noch einen Autoschlüssel, sein Smartphone und eine Abholbenachrichtigung vom Zoll.«

»Und wie ist er gestorben?«

»Jemand hat ihm mit Gewalt einen riesengroßen Diamanten in den Kopf gerammt«, sagte Gerda Pettenkofer lakonisch und nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette.

»Einen Diamanten?«, fragte Pfeffer ungläubig.

»Na ja, so was ähnliches. Es ist ein großes geschliffenes Ding, das ihm im Schädel steckt. Richtig in den Hinterkopf hineingedrückt. Könnte ein Kristall sein oder auch einfach Glas. Wenn ich ihn bei mir auf dem Seziertisch habe, hol ich das Ding raus und lass es dir zukommen. So wie er aussieht, ist er noch nicht sehr lange tot. Tatzeit so zwischen fünf Uhr dreißig und sechs Uhr dreißig. Ihm fehlen außerdem zwei Finger der linken Hand.«

»Die hat ihm der Gärtner beim Rasentrimmen abgeschnitten«, ergänzte die Hauptkommissarin. Sie deutete zu dem Kollegen von der Spurensicherung, der eben den Rasentrimmer in eine Plastiktüte packte. »So hat er überhaupt die Leiche gefunden, der Gärtner. Die Hand des Toten hat wohl ein wenig aus der Hecke geragt und der Rasentrimmer … zack … Heißt Lorenz Stockmair. Steht da drüben.« Sie deutete auf den Gärtner, der etwas abseits mit gesenktem Kopf auf einem niedrigen Mäuerchen saß. Neben ihm stand breitbeinig ein bulliger Glatzkopf in schwarzem Anzug und mit Knopf im Ohr, der hektisch an seiner Zigarette zog.

»Morgen, Chef.« Kommissar Erdal Yusufoglu gesellte sich zur Gruppe. »Wird wohl kein allzu schwieriger Fall werden«, sagte er voller Elan.

»Und warum?«, fragte Pfeffer.

Yusufoglu deutete auf den Kellereingang und dann auf die Hausecken. »Kameraüberwacht. Überall Kameras. Kein Wunder bei dem Bau hier, oder? Wir müssen nur die Bilder auswerten. Glück im Unglück.«

»Das Glück ist ein flüchtiges Reh«, sagte Pfeffer.

»Du liest Kalendersprüche, Maxl?«, fragte Gerda Pettenkofer sarkastisch.

»Nein, ich zitiere sie nur.« Alle lachten.

»Okay, Erdal, du kümmerst dich gleich mal um das Sicherheitssystem hier im Haus. Schau, dass du die zuständigen Leute zackig herbekommst. Bella, du hakst mal nach, warum immer noch kein Staatsanwalt hier vor Ort ist, und ich widme mich mal unserem Gärtner.«

»Was ist denn da unten so spannend?«, rief Douglas von Nolting vom Badezimmer aus seiner Frau zu.

»Hmmm, keine Ahnung.« Bibi von Nolting lehnte an der Glasscheibe und verrenkte den Kopf, um besser hinunter in den Garten sehen zu können. »Viel Polizei. Sie scheinen irgendwas im Garten zu suchen.« Sie nippte von ihrem frischen Sellerie-Karotten-Ingwer-Smoothie, den sie sich gemacht hatte. Sie hatte Durst. Trinken war wichtig, hatte ihr ihre Ernährungsberaterin eingebläut. Gerade wenn sie wieder einmal Kreislaufprobleme bekommen sollte. So wie heute Morgen. Bibi betrachtete ihre linke Hand. Wie schön schlank und zart sie war. Sie mochte ihre Hände. Sie schrak mit einem Kiekser zusammen, als ihr Mann sie kurz an der Schulter berührte. Sie hatte ihn nicht kommen hören.

Douglas von Nolting rubbelte sich mit einem Handtuch die Haare trocken. Ein weiteres Handtuch hatte er sich um die Hüfte geschlungen. Sein schwabbeliger Männerbusen wackelte mit jeder Rubbelbewegung. Bibi mochte ihren Mann. Irgendwie. Aber sie mochte seinen Schwabbelkörper nicht. Einer der Gründe, warum zwischen ihnen schon seit Langem nichts mehr lief. Douglas presste kurz sein Gesicht gegen die Scheibe und schaute hinunter.

»Nicht, Schatz«, tadelte Bibi ihren Mann. »Danuta kommt erst morgen zum Fensterputzen!«

»Dann putz du halt mal«, knurrte er. Er nahm seiner Frau das Glas aus der Hand und roch daran. Er schleuderte es quer durch den Raum, es zerschellte an der Kücheninsel. Orange-grünliche Spritzer verteilten sich im Umkreis.

»Nicht!«, rief Bibi. »Der Warhol! Wenn du den jetzt versaut hast!«

»Der Warhol! Scheiß auf den Warhol. Glaubst du, ich merke das nicht«, giftete er seine Frau an. Ihr Unterkiefer bebte. »Fang bloß nicht wieder zu heulen an! Es ist noch nicht mal acht Uhr und Madame knallt sich Wodka in die Gemüsebrühe.«

»Du …« Mehr brachte Bibi von Nolting nicht hervor.

»Iss lieber mal was, du Klappergestell!«, brüllte Douglas von Nolting, machte eine wegwerfende Handbewegung und stapfte wütend davon in sein Ankleidezimmer.

»Ich … ich gehe heute mit Sarah zum Lunch«, kiekste Bibi entschuldigend.

»Lunch! Lunch! Dann iss da auch mal was und sauf nicht nur, blöde Kuh. Und wisch die Sauerei hier weg.«

»Das kann Danuta dann morgen …«

»Ich hab mich wohl verhört?« Douglas von Noltings Kopf tauchte im Türrahmen des Ankleidezimmers auf.

»Nein, schon gut, Schatz. Ich ruf gleich unten beim Housekeeping an.« Sie schlenderte zur Wand hinüber. Der Warhol, eines seiner Mao-Porträts im Format 205 x 155 cm, und sie hatte das mehrfach genau nachgemessen, war unversehrt. Bibi liebte das Bild. Sie hatte es von ihrem Vater 1973 geschenkt bekommen. Zur Geburt. Ihr Vater hatte es persönlich in New York bei Andy Warhol gekauft. Davon gab es sogar Fotos. Und dann sah sie genauer hin: Tatsächlich! Einige kleine grüne Spritzer liefen über die Leinwand. Hektisch versuchte sie, sie mit dem Ärmel ihres Morgenmantels wegzuwischen.

»Verdammt! Schatz! Du hast den Warhol versaut!« Sie begann, wie ein kleines Kind zu weinen.

 

»Heul nicht.« Douglas kam zu ihr und begutachtete den Schaden. »Lass die Finger davon. Das bringe ich heute noch zum Restaurator. Ist bald wieder wie neu.« Er stapfte davon. »Und Pfoten weg!«

»Es muss aber am Mittwoch wieder da sein! Da kommen die Leute von der Elle Decoration für die Fotoreportage! Da muss alles perfekt aussehen. Ich möchte mich nicht blamieren.« Bibi schniefte noch ein paar Mal, dann bummelte sie zurück zum Fenster, lehnte sich wieder gegen die Scheibe und sah gedankenverloren hinaus. Von hier aus konnte man den Gärtnerplatz sehen und das schöne Theater, das leider wegen Renovierungsarbeiten eingerüstet war. Sie genoss die Sonnenstrahlen. Dass unten im Garten die Polizei arbeitete und die Frühstückssauerei, hatte Bibi von Nolting inzwischen völlig ausgeblendet. Sie würde hier stehen und warten, bis ihr Yogalehrer kam.

Eine Etage darunter öffnete Arno Ewers das Fenster und lehnte sich so weit wie möglich hinaus, um zu schauen, was unten im Garten vor sich ging. Chouchou und Froufrou umwieselten blöde hechelnd seine Füße. Er mochte die kleinen Möpse, aber warum ihnen Cliewe diese peinlichen Namen verpasst hatte, würde Arno nie verstehen. Cliewe konnte manchmal so peinlich klischeehaft sein. Arno schlürfte von seinem Kaffee und überlegte, ob er Cliewe wecken sollte. Wobei mit dem vor halb elf nie etwas anzufangen war. Er beschloss nachzuschauen, ob Cliewe nicht vielleicht schon zufällig wach war. Er stellte den Kaffeebecher vorsichtig auf den Filzuntersetzer auf dem Esstisch, nahm die kleinen Hunde hoch und schlich auf Zehenspitzen in dessen Schlafzimmer, das komplett abgedunkelt war. Im Licht, das durch die Tür fiel, erkannte Arno Ewers, dass Cliewe noch seine Schlafmaske trug und tief und fest schlief, zumindest atmete er gleichmäßig und ruhig. Die Hunde auf seinen Armen wurden unruhig und fiepten. »Schsch«, machte Arno leise. »Mama schläft noch, ihr kleinen Racker. Kommt, wir schauen weiter, was da unten passiert«, flüsterte Arno Ewers leise, während er die Tür zuzog und zurück auf seinen Aussichtsposten ging.

Ganz oben auf der Dachterrasse hatte Iwan inzwischen genug gesehen. Er beugte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Vorne, am anderen Ende der langen Terrasse, spielte der kleine Ramses mit Steinchen und kleinen Autos Steinlawine. Gelegentlich warf er auch einen Kiesel und schließlich ein rotes Auto über die Brüstung. »He, Ramses«, zischte Iwan. »Ist gut! Das macht man nicht.« Ramses schaute gelangweilt auf und spielte dann weiter. Iwan rauchte die Zigarette hektisch innerhalb kürzester Zeit bis zum Filter herunter, drückte sie sorgsam im Aschenbecher aus, zupfte zwei kleine Fussel vom Jackett und strich seinen Anzug zurecht. Dann nahm er zwei Minzdrops, denn der Chef hasste es, wenn jemand frisch nach Zigaretten roch. Er sah auf die Uhr. Zu früh. Aber unter diesen Umständen war eine Ausnahme nötig. »Wird Zeit, dass der Chef erfährt, was da los ist«, murmelte er und trat durch die Schiebetür in die Wohnung.