Meine Zeit in Nigeria: »Everything happens for a Reason«

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Meine Zeit in Nigeria: »Everything happens for a Reason«
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I dedicate this book

Meine Zeit in Nigeria: »Everything happens for a reason«

to my daughter Sheila who lives in Nova Scotia, Canada.

The distance has brought us closer together.

Thank you for all your encouragement and constructive feedback. Without it, it would have been more difficult to write this book.

Maritta Hermens

Meine Zeit in Nigeria:

»Everything happens

for a Reason«

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2018

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Introduktion

Moses

Gottverlassene Charity

Maritta und Karen

Moses erzählt

Karens neue Kleider

Vom Wachmann zum Hausboy

Die Bleistiftfabrik

Eine böse Überraschung

Ein unwürdiger Nachfolger

Ende gut, alles gut?

Zweierlei Brüder

Diebesgesindel

Eine schmerzliche Erkenntnis

Zweierlei Kirchen

Gefährlicher Mut

Moses Scheidung ist schwer

Rückkehr nach Südkorea

Danksagung

Über die Autorin

INTRODUKTION

Stellen Sie sich vor, jemand kommt auf einem Event zu Ihnen und sagt:

»Ich habe gehört, dass sie eine Unternehmerin in Kanada waren und jetzt Englischlehrerin in Südkorea sind. Wir suchen Personen mit solchen Erfahrungen für unsere Privatschulen in Nigeria. Haben Sie Interesse?«

Das ist mir in Südkorea passiert.

Ich schaute ihn nur an und lachte. Der macht einen Witz, war mein Gedanke. Warum sollte ich das wollen?

»Ich kenne Sie doch gar nicht, und dann noch Nigeria. Nein, danke! Ich bin nicht daran interessiert. Außerdem habe ich einen guten Job hier, ich suche keine andere Arbeit.«

Er gab mir dennoch seine Karte und sagte nur: »Ich rufe Sie in einer Woche an. Vielleicht haben Sie dann ihre Meinung geändert.«

Woher sollte er meine Telefonnummer haben? Nicht von mir! Ich war weder im koreanischen Telefonbuch noch im Internet zu finden. Damit war für mich die Sache erledigt.

Fast zwei Wochen später rief er mich tatsächlich an. Ich konnte es kaum glauben. Ich fragte ihn woher er meine Nummer habe, aber er ging nicht darauf ein. Er fragte mich, ob ich es mir anders überlegt hätte? Ich sagte: »Nein! Ich habe kein Interesse!« und legte sofort auf.

Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht bekannt, dass ein »Nein« in Nigeria »vielleicht« bedeutet. Er rief also alle paar Wochen an um zu fragen, ob ich sein Angebot annehmen wollte. Ich sagte jedes Mal »NEIN« und er sollte endlich aufhören mich zu kontaktieren.

Nach fast sechs Monaten machte er zum ersten Mal ein Angebot, das mich aufhorchen ließ. Er sagte: »Ich weiß, Sie glauben nicht, dass ich es ernst meine. Aber mit Privatschulen in Nigeria kann man sehr viel Geld verdienen.« Er sagte, dass er die nötigen Regierungskontakte habe und auch Leute, die in solche Projekte investieren würden. Als ich auch darauf wieder antwortete, dass ich nicht ernsthaft interessiert sei, schlug er vor: »Was sagen Sie, wenn ich Ihnen ein Hin- und Rückflugticket nach Abuja gäbe? Wären Sie dann interessiert? Sie könnten sich dort umschauen und selbst sehen, ob das Projekt umsetzbar ist. Nehmen Sie das Flugticket an, benachrichtige ich meine Kontakte in Abuja und die können Ihnen dann alles weitere erklären.«

Ich wusste nicht, wie ich darauf antworten sollte. Er hatte mich total überrumpelt. »Welche Verpflichtungen sind mit dem Flugticket verbunden?« fragte ich. »Keine! Wenn Sie zurückkommen und sagen: Sie wollen das Projekt nicht übernehmen, dann rufe ich nicht wieder an.«

Obwohl es nie mein Traum war, nach Afrika zu fliegen, dachte ich: Ein freier Flug nach Afrika – warum nicht? Vielleicht! Ich erklärte ihm, dass ich Zeit brauche, darüber nachzudenken. Er sollte mich in drei Wochen anrufen. Wen ich NEIN sage, dann möchte ich keinen Anruf mehr von ihm. Er gab sein Einverständnis.

Als ich den Hörer auflegte, war ich mir trotz aller Verlockungen zu hundert Prozent sicher: Da mache ich nicht mit.

In der ersten Woche nach dem Anruf war ich hin- und hergerissen. Ich flog zu der Zeit sowieso dreibis viermal im Jahr in ein anderes Land. Warum nicht nach Afrika? Hotel und Verpflegung würde ich selbst zahlen, wie sonst auch, nur der Flug, der wäre jetzt frei.

Dann kamen mir aber auch die vielen negativen Geschichten über Nigeria in Erinnerung, die schon seit Jahren im Umlauf waren.

Deshalb beschloss ich, mit einigen meiner internationalen Freunde darüber zu sprechen. Wir trafen uns immer einmal im Monat zu einem »Fine Dining« in Itaewon, einem Stadtteil von Seoul. Eine gute Gelegenheit, unsere bisherigen koreanischen Erfahrungen auszutauschen.

Als ich unserer Gruppe von meiner Begegnung mit dem Nigerianer erzählte, hatte jeder seine eigene Meinung darüber.

Janice, meine Freundin aus Australien, sagte: »An deiner Stelle würde ich das Angebot annehmen. Schau dir Abuja an, sprich mit seinen Kontakten und bilde dir dann Deine eigene Meinung.« Janice war 5 Jahre älter als ich. Bis zu ihrem Tod – 2017 – hatte sie 64 Länder besucht und in vielen auch mehrere Jahre gearbeitet.

Sofort konterte eine andere Bekannte aus Indien: »Nigeria ist viel zu gefährlich! Dort kannst du nicht alleine hinfliegen. Eine weiße Frau in deinem Alter? Was ist, wenn dort etwas passiert und du nicht wieder zurückkommen kannst?«

So hatten alle sechs Freunde verschiedene Meinungen dafür oder dagegen.

Als der Abend zu Ende ging, war ich trotzdem nicht viel schlauer. Der Beitrag hatte nur eine hitzige Diskussion in unserer gemeinsamen Runde ausgelöst. Erst als ich mit Uzo, einem Nigerianer, den ich in der Kirchengemeinde kennen gelernt hatte, darüber sprach, kam ich zu einer Entscheidung. Uzo sagte, dass er von dem Mann schon mal gehört hätte. Er arbeite in der nigerianischen Regierung. Immer wieder betonte er, dass Nigeria kein gutes Land für Frauen sei, besonders für Ausländerinnen. Es sei zu gefährlich.

Je mehr er erzählte, umso entschlossener war ich, mir selber eine Meinung über Abuja zu bilden. Nur eine Woche! Was kann da schon passieren?, sagte ich mir selbst. Ich war schon immer ein Rebell gewesen. Wenn es heißt »Nein« – dann mache ich es auf jeden Fall.

Als Uzo bewusst wurde, dass ich das Angebot annehmen würde, wurde er besorgt. »Ich werde meinen Freund Patrick anrufen. Er wohnt auch in Abuja. Vielleicht hat er eine Woche Zeit, dir zu helfen.« Ich verstand nicht, warum ich Hilfe brauchen würde, doch Uzo erklärte mir, dass ich jemanden brauchen würde, der mich vom Flughafen abholen und den ich die Woche an meiner Seite haben sollte, um mir zu helfen, falls ich in Schwierigkeiten geriete. Ich würde ihn natürlich bezahlen. Also nahm ich Kontakt auf mit Patrick und regelte alles Finanzielle im Vorfeld mit ihm.

Einen Monat später flog ich für eine Woche nach Abuja, Nigeria. Mein erster Flug von mehreren, die noch kommen sollten.

Ich war froh, dass Patrick mich vom Flughafen abholte. Der Flughafen war voll mit Einheimischen, die mir überteuertes Zeug verkaufen oder ein teures Taxi aufschwatzen wollten. Wir gingen zu seinem Auto und dort lernte ich auch seine neue Ehefrau kennen. Sie hatten erst vor ein paar Wochen geheiratet. Beide waren mir sehr sympathisch. Patrick fuhr mich zu meinem Hotel und bevor wir uns verabschiedeten, lud mich seine Frau zum Abendessen bei ihnen ein. Ich nahm die Einladung gerne an.

 

Am Abend, nach dem Essen, zeigte Patrick mir eine Liste verschiedener Schulen. Er hatte für die kommenden Tage schon einige Termine vereinbart, um mir den Unterschied zwischen den öffentlichen und den privaten Schulen zu zeigen. Er selbst war Lehrer an einer öffentlichen Schule.

Nachdem Patrick mir in der Woche die Stadt und die verschiedenen Schulen gezeigt hatte, war ich von der Information total überwältigt. Der Unterschied zwischen diesen Schulen war enorm.

Die erste Schule, die ich mit Patrick besuchte, war eine Privatschule, die besser ausgestattet war, als die meisten Schulen, die ich aus Deutschland oder Kanada kannte (Anfang 2000). Im Computerraum standen reihenweise Computer mit Druckern und allem was dazugehörte. Ein Biologielabor mit einer so kompletten Ausstattung, wie ich es noch nie, in dritten Ländern, gesehen hatte. Auch die Schule selbst war sehr gepflegt, inklusive der Gärten, vor und hinter dem Gebäude.


In dieser Schule sind sicherlich nur die Kinder von sehr, sehr reichen Eltern. Ich konnte mir vorstellen, dass ein britisches Internat für die Reichen, in England, so aussehen würde. Nigeria erlangte erst am 1. Oktober 1960 seine Unabhängigkeit von England, daher mein Bezug zu England.



Patrick zeigte mir danach noch weitere Privatschulen, nicht ganz so üppig ausgestattet wie die erste Schule.

Am dritten Tag fuhren wir etwas außerhalb von Abuja zu einer öffentlichen Schule. Ich konnte nicht glauben, was ich vor mir sah. Ein großes Gebäude ohne Fensterscheiben, mit Klassenzimmern so überfüllt mit Kindern, dass manche auf der Fensterbank sitzen mussten. Als wir in die Klassenzimmer gingen, freuten sich die Kinder, dass ich von ihnen Fotos machte.


Obwohl die Schule sehr erbärmlich aussah, trugen alle Kinder Schuluniformen.

Patrick zeigte mir auch die Schule, in der er selbst arbeitete. Sie sah nicht viel besser aus als die anderen öffentlichen Schulen. Er hatte Andeutungen gemacht, dass er gerne in einer Privatschule arbeiten wollte. Vielleicht wenn unser Projekt fertig sei? Daher weht der Wind, dachte ich. Ich erklärte ihm, dass ich mich bis dahin noch nicht entschieden hatte.

Am Nachmittag des zweiten Tages hatte ich einen Termin mit einem Architekt. Er war einer der Kontakte des Mannes, der mich in Korea angesprochen hatte. Der Architekt war ein großer, stämmiger Mann, ein angenehmer Typ. Er zeigte mir seine Pläne, die er für eine Privatschule in Abuja hatte. Daraufhin sagte ich: »Es gibt doch schon viele in Privatschulen in Abuja, warum noch eine mehr?« Er war überrascht, dass ich schon einige Schulen besichtigt hatte.

Ich erklärte ihm, dass ich mich mit seinen Plänen vertraut machen wollte, ehe ich mich entschied. Wir vereinbarten, uns an meinem letzten Tag, vor meinem Rückflug wiederzutreffen.

An einem der Nachmittage, an dem ich keinen Termin hatte, wollte ich die Umgebung unbedingt alleine kennenlernen. Das Hotel lag sehr zentral und war einfach wiederzufinden. Als ich die Nebenstraße entlang, ging hörte ich auf einmal die Stimme eines Mannes durchs Gebüsch. Ich hörte zu und merkte, dass er Unterricht gab. Im Freien auf der Straße! dachte ich. Was macht der hier? Ich ging durch das Gebüsch und erreichte einen freien Platz, auf dem ein grob aufgestelltes Zelt stand. Darin saßen zehn Kinder verschiedenen Alters und hörten einem Mann zu, der vor ihnen stand, mit einem Stock in der Hand. Auf einer Tafel lehrte er verschiedene Fächer. Als er mich sah, zeigte er mit seinem Stock auf einen Stuhl und wies mich an, mich dorthin zu setzen. Die Kinder hörten ihm angespannt zu, ohne irgendwelchen Unsinn zu machen, wie wir es von unseren Kindern gewohnt sind. Ich blieb einige Zeit und verabschiedete mich. Er bat mich, doch wiederzukommen.

Ich ging am nächsten Nachmittag wieder hin und brachte Schreibmaterial für ihn und die Kinder mit. Diesmal wollte er zeigen, was die Kinder schon alles gelernt hatten. Ich war beeindruckt! Die Kinder zeigten, dass sie die Fragen alle beantworten konnten, egal ob es Rechnen, Lesen, Schreiben oder Erdkunde war. Diesmal blieb ich etwas länger und nach seinem Unterricht unterhielten wir uns. Er erzählte mir, dass er früher Lehrer an einer öffentlichen Schule gewesen war, aber durch Krankheit seine Arbeit verloren hatte. Jetzt sei er wieder gesund, aber leider machte seine Arbeit jetzt ein anderer. Er wollte nicht untätig sein und fing daher an, die Kinder von Eltern zu unterrichten, die sich keine Schule leisten konnten. Sie gaben ihm etwas Geld, damit er über die Runden kam.


Mir wurde jetzt bewusst, wie schwierig das Leben in Nigeria sein musste, auch für gebildete Menschen. Ich verabschiedete mich von ihm und versprach, bei meinem nächsten Aufenthalt in Nigeria nochmals vorbeizukommen.

Ich musste die ganze Zeit darüber nachdenken, wie absurd es war, wieder eine Privatschule zu bauen, wenn so viele arme Kinder in dieser Gegend keine Gelegenheit hatten, überhaupt zur Schule zu gehen, nur weil die Eltern zu arm sind.

Am nächsten Morgen rief ich den Kontakt in Korea an und erzählte ihm, was ich von seinem Projekt hielt, und dass ich lieber eine Schule für arme Kinder leiten würde. Erst war Stille. Ich dachte schon die Verbindung sei wieder verlorengegangen. Auf einmal schrie er ins Telefon: »Ich will viel Geld in Nigeria machen! Mit den Armen verdient man kein Geld! Wenn Sie das nicht verstehen, dann suche ich mir jemand anderen!« Ich sagte nur: »Okay, machen Sie das« und legte den Hörer auf.

Danach habe ich nie wieder von ihm gehört.

Der Architekt rief mich kurz nach diesem Anruf an. Er hatte von seinem Kontakt in Korea gehört, dass ich es mir anders überlegt hatte und wollte mit mir sprechen. Ich erzählte ihm, dass ich lieber daran interessiert war, den Armen zu helfen und von dem, was ich gesehen und erlebt hatte. Wir tauschten unsere E-Mails aus und versprachen »in touch«, also in Kontakt zu bleiben. Ein paar Monate später bekam ich eine E-Mail von dem Architekten, dass er mit einigen Leuten gesprochen habe. Sie fänden meine Idee gut und wollten mitmachen.

Ich flog danach noch mehrmals nach Nigeria bis alles soweit war, dass Karen und ich uns in Nigeria niederlassen konnten.

Dies war der Anfang eines außergewöhnlichen und verrückten Abenteuers!

Kapitel 1
MOSES


Wir hatten einen Beschützer in Afrika. Er lebte in Nigeria und hieß Moses. Wie alt er war, wusste Moses nicht genau, denn seine Mutter verließ ihn direkt nach seiner Geburt. Von da an kümmerte sich sein Großvater um ihn. Eines Tages, als er seinen Großvater fragte: »Wie alt bin ich?«, sagte dieser: »Genau weiß ich es auch nicht, aber ich denke, du bist jetzt vielleicht 15 oder 16 Jahre alt.« Seitdem zählte Moses jedes Neujahrsfest ein Jahr mehr zu seinem jetzigen Alter dazu. Er bedauerte es später sehr, dass in seinem Land seine Geburt nicht registriert worden war.

Seit seiner Geburt lebte er zusammen mit seinem Großvater in einem kleinen Dorf im westlichen Teil von Afrika, in einem Land, genannt Nigeria. Sein Großvater war ein sehr geachteter Medizinmann, und viele Menschen in der Umgebung kamen zu ihm, um von ihren Krankheiten geheilt zu werden. Schon als kleines Kind lernte Moses die Namen und Heilkräfte von vielen Kräutern, Gewürzen und Gemüsesorten, die sein Großvater benötigte. Als Moses größer wurde, durfte er oft schon alleine die nötigen Kräuter suchen, die sein Großvater gebrauchte. Er wollte alle seine Heilkenntnisse an Moses weitergeben, so wie sein Vater es mit ihm gemacht hatte. Moses war ein sehr intelligenter, eifriger, fleißiger und wissbegieriger Schüler, fand sein Großvater, obwohl er nie zur Schule gegangen war. Dank seines Großvaters lernte er Zahlen und konnte ein wenig rechnen, damit er sich vor Betrügern schützen konnte. Die Menschen in Nigeria werden nämlich oft um ihr Geld betrogen, wenn andere merken, dass sie nicht lesen und rechnen können. Aber es kam nicht oft vor, dass Moses um sein Geld betrogen wurde, denn er kannte den Naira, das nigerianische Geld, sehr genau. Nur verdiente er in seinem Dorf leider nicht genug davon und wusste, dafür musste er in eine Stadt gehen.


Zur Schule gehen war für Moses keine Wahl gewesen. Sein Dorf war zu klein für eine Schule, und um zur nächsten Schule zu kommen, musste er mindestens einen Tag laufen. Außerdem kostete Schule auch Geld, das sein Großvater nicht hatte. Dazu kamen dann auch noch Bücher, Bleistifte und Papier oder Schreibhefte, die es auch nicht umsonst gab. Diese Sachen waren viel zu teuer für jemanden, der nur wenig Einnahmen hatte. Moses war bewusst, dass er die Gelegenheit zum Lernen nur in der Stadt bekommen konnte. Da er auch sehr gläubig war, betete er jeden Tag und hoffte, dass irgendeine Hilfe von oben ihm helfen würde, in die Stadt zu kommen.

Als er ungefähr 17 Jahre alt war, meinte sein Großvater, er solle heiraten. Es gab ein Mädchen in seinem Dorf, das zeigte ihm, dass er ihr sehr gefiel. Moses respektierte den Wunsch seines Großvaters und ging zu dem Dorfältesten. Er musste die Genehmigung von ihm bekommen, das Mädchen heiraten zu dürfen. Das war das Tribalgesetz (Stammesgesetz) und galt für jedes Dorfmitglied. Das Dorfoberhaupt gab seine Zustimmung, und Moses konnte heiraten. Innerhalb eines Jahres wurde er Vater eines Mädchens. Er nannte sie Queeny, in der Hoffnung, dass sie ein gutes Leben haben würde. Sie sollte mit diesem Namen so königlich behandelt werden wie eine richtige Königin.

Moses nahm seine Pflicht als junger Vater sehr ernst. Nach dem Tod seines Großvaters ein Jahr später, entschied er sich, zuerst alleine in die Stadt zu gehen, um dort Arbeit zu finden. Ihm war klar, dass es nicht einfach werden würde. Seine Frau machte sich große Sorgen und war überzeugt, dass sein aufbrausendes Temperament ihm Schwierigkeiten bereiten würde. Wenn er auf andere Menschen traf, genügte eine kleine Provokation, und schon flogen seine Fäuste. Moses hatte nie gelernt, sein aggressives Temperament unter Kontrolle zu bringen. Als Kind wurde er oft gehänselt wegen seiner Segelohren, seiner angeblichen Hässlichkeit und seiner geringen Körpergröße. Wenn die Wut in ihm hoch kam, wurde sein Gesicht furchterregend. Die Augenbrauen zogen sich zusammen, die Augen blitzten vor Zorn, und seine Lippen pressten sich verbissen aufeinander. Oft sind die Kinder, und später auch so mancher Erwachsene, dann in Furcht vor ihm weggelaufen. Zeigte er aber sein strahlendes Lächeln, war sein ganzes Gesicht wie verzaubert. Dann wurden die Menschen in seiner Nähe davon anzogen, mussten mitlachen und freuten sich, bei ihm zu sein. Er zeigte sich dann von seiner anderen Seite, die freundlich, feinfühlig und amüsant war. Besonders liebten es die Dorfbewohner, wenn er anfing, überzeugende, aber auch fantasievolle Geschichten in seiner Tribalsprache (Stammessprache) und mit seinem muskulösen Körper theatralisch zu erzählen. Moses hatte sehr starke Muskeln bekommen, von der vielen Landarbeit und den Faustkämpfen mit einigen Dorfbewohnern. Das war auch der Grund, weshalb seine Frau Angst um ihn hatte. Moses schreckte vor niemandem zurück, egal, ob der Gegner größer war als er, gefährlicher oder aus der gebildeten Schicht kam. Seine Frau war sich sicher, dass er im Gefängnis landen würde, wie schon einige andere Dorfbewohner vor ihm, die in die Stadt gezogen waren.


Moses war vielleicht 20 Jahre alt, als er den langen Bus- und Fußweg nach Abuja machte, der Hauptstadt von Nigeria, eine Stadt mit über 1 Million Einwohnern. Viele dieser Menschen waren auch auf Arbeitssuche, wie er sehr schnell herausfand. Verzweifelt versuchte er eine Arbeit zu finden, um endlich Geld zu verdienen. Er wollte nicht betteln, wie es viele machten. Dazu war er zu stolz. Da er sehr gut zeichnen konnte, verdiente er sich manchmal mit seinen Bildern ein paar Nairas dazu. Oft malte er die Natur, besonders gerne die Eule und andere Tiere, die er seit seiner Kindheit kannte. Er hatte sehr großes Talent, nur selbst wusste er das nicht. Einmal gab ihm ein Schuljunge einen Bleistift und ein Schreibheft. Moses war im siebten Himmel. Jetzt konnte er auf jeder Seite ein Bild malen und sie in einem Vorzeigeheft zusammenhalten. Er hoffte, dass er dadurch mehr Bilder verkaufen konnte.

 

Außerdem musste Moses sich schnell bemühen, etwas Englisch zu lernen, denn nur wenige Leute verstanden seine Tribalsprache. Er fand sehr schnell heraus, dass die Menschen, die zur Schule gegangen waren, ein Englisch sprechen konnten, das fast jeder verstand. Deshalb lernte er in kürzester Zeit genügend englische Wörter, um sich bei der Arbeitssuche verständigen zu können. Jetzt vermischte er seine Tribalsprache mit englischen Wörtern, wie es auch viele andere Arbeitsuchende taten. Es gab sogar einen besonderen Namen für diese Sprache: »Pidgeon English«, also »Tauben Englisch«.

Nach einigen Wochen in Abuja fand Moses endlich eine feste Arbeit als Wachmann. Er sollte ein zweistöckiges Gebäude, umgeben von einer hohen Steinmauer, bewachen. In dieser Gegend wurden viele solcher Häuser, die man Compound nennt, von Reichen oder Ausländern bewohnt. Die hohe Wand und der Wachmann sollten die Bewohner vor Einbrechern schützen. Für diese Arbeit wurde 10$ im Monat gezahlt. Das war viel mehr Geld, als sein Großvater oder er je verdient hatten. Er nahm den Job sofort an. Wohnung und Essen musste er von den 10$ selbst bezahlen. »Wie kann ich nur Geld sparen, wenn ich es für mich verwende?«, dachte er. Also schlief er in der ein mal einen Meter kleinen Wachstube hinter der hohen Hauswand und in Sprungweite zum Tor. Jetzt musste er nur noch Geld für Essen ausgeben. Er war für den Moment zufrieden. Manchmal bekam er auch etwas Essen von den Bewohnern des Hauses. Jetzt konnte er anfangen, Geld zu sparen, um seine Frau und sein Kind nach Abuja zu holen.

Als Wachmann musste er rund um die Uhr bereit sein, das Tor zu öffnen, wenn ein Auto in den Compound wollte oder wieder hinaus, ganz egal um welche Uhrzeit. Auch musste er regelmäßig am Tage und auch nachts die Mauer ablaufen, falls jemand versuchen sollte einzubrechen. Er wollte den Job nicht verlieren. Es gab zu viele Menschen in der Stadt, die nur auf so eine Chance warteten. Deshalb nahm er seine Aufgaben gewissenhaft wahr.

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