Das qualitative Interview

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Das qualitative Interview
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[1]utb 2418

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[3]Ulrike Froschauer / Manfred Lueger

[4]Ulrike Froschauer ist ao. Professorin am Institut für Soziologie der Universität Wien.

Manfred Lueger ist ao. Professor am Institut für Soziologie und Empirische Sozialforschung der Wirtschaftsuniversität Wien.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://d-nb.de abrufbar.

2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2020

© 2006 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

facultas, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Atelier Reichert, Stuttgart

Umschlagabbildungen: commons.wikimedia.org

Innengestaltung und Satz: grafzyx.com, Wien

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany

eISBN 978-3-8463-5280-9

ISBN 978-3-8252-5280-9

ISBN 978-3-8385-5280-4 (Online-Leserecht)

[5]

Inhalt

Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage

1Einführung

2Grundlagen qualitativer Forschungsgespräche

2.1Das Forschungsdesign als Gesprächsrahmen

2.2Allgemeine Formen der Gesprächsführung

2.3Das in Forschungsgesprächen generierte Wissen

2.4Beispiel einer Systemanalyse mittels qualitativer Interviews

3Praktische Hinweise zur Gesprächsdurchführung

3.1Varianten der Gesprächsführung

3.1.1Entscheidungskriterien zur Gesprächsführung

3.1.2Verfahren der Gesprächsführung

3.1.3Zusammenfassende Hinweise

3.2Teilnehmer*innen an Forschungsgesprächen

3.3Der allgemeine Rahmen zur Durchführung offener Gespräche

3.4Die Bedeutung und Organisierung der Gesprächsphasen

3.5Unterschiedliche Formen von Fragen

4Grundlagen der Gesprächsinterpretation

4.1Allgemeine Analysemöglichkeiten

4.2Der Interpretationsprozess

4.3Basisannahmen der Gesprächsanalyse

4.4Formale Anforderungen an die Interpretation

5Praktische Hinweise zur Textinterpretation

5.1Feinstrukturanalyse

5.1.1Voraussetzungen und allgemeine Vorgangsweise

5.1.2Interpretation der Sinneinheiten

5.1.3Zusammenfassende Interpretation

5.1.4Beispiel für eine Feinstrukturanalyse

5.2Systemanalyse

5.2.1Analyse des Gesprächsflusses

5.2.2Allgemeine Vorgangsweise bei der Systemanalyse

5.2.3Interpretation der thematischen Einheiten

5.2.4Schrittweise zusammenfassende Analyse

5.2.5Beispiel für eine Systemanalyse

[6]5.3Codestrukturanalyse

5.3.1Allgemeine Vorgangsweise

5.3.2Beispiel für eine Codestrukturanalyse

5.4Themenanalyse

5.4.1Voraussetzungen und allgemeine Vorgangsweise

5.4.2Beispiel für eine Themenanalyse

5.5Zusammenfassende Analyse des manifesten Inhalts

6Qualitätssicherung und Ergebnisaufbereitung

6.1Strategien zur Qualitätssicherung

6.2Aufbereitung der Ergebnisse

7Der methodologische Kontext der Analyse sozialer Systeme

7.1Analyse sozialer Systeme im Rahmen qualitativer Sozialforschung

7.1.1Erkenntnistheoretische Rahmenbedingungen

7.1.2Maximen qualitativer Sozialforschung

7.2Komponenten einer qualitativen Analyse sozialer Systeme

7.2.1Kommunikation

7.2.2Sinn

7.2.3Strukturierung

7.3Anforderungen an qualitative Forschungsgespräche

8Anhang

8.1Anforderungen an den Forschungsprozess

8.2Die Untersuchungsplanung

8.3Entscheidungskriterien zur Gesprächsführung

8.4Die Gesprächsführung allgemein

8.5Zusatzprotokoll

8.6Richtlinien für die Gesprächstranskription

 

8.7Kurzfassung Feinstrukturanalyse

8.8Kurzfassung Systemanalyse

8.9Kurzfassung Codestrukturanalyse

8.10Kurzfassung Themenanalyse

8.11Qualitätssicherungsstrategien

9Literatur

10Sachregister

[7]

Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage

Qualitative Sozialforschung hatte schon vor 30 Jahren einen enormen Aufschwung zu verzeichnen. Seither hat sich viel getan und es ist eine überbordende Fülle an Literatur zu verschiedensten Forschungsansätzen und Methoden inklusive einer großen Menge an Einführungs- und Handbüchern erschienen (vgl. z. B. Flick/Kardorff/Steinke 2000; Gubrium et al. 2012; Reichertz 2016; Akremi et al. 2018; Bohnsack/Geimer/Meuser 2018; Denzin/Lincoln 2018). Trotz dieser enormen Verbreitung bestehen immer noch viele Missverständnisse darüber, was qualitative und insbesondere interpretative Sozialforschung ausmacht, und auch bei der Durchführung der Interviews zeigen sich vielfach Schwierigkeiten bei der Auswahl eines in Hinblick auf ein bestimmtes Erkenntnisinteresse angemessenes Vorgehen sowie bei der Interpretation des Materials:

•Manche sehen qualitative Interviews noch immer als exploratives Vorgehen für nachfolgende quantitative Überprüfungen an, was die spezifischen Stärken solcher Gespräche, nämlich die Erkundung von Handlungs- und Systemlogiken in sozialen Systemen, die Gründe für die Entwicklung spezifischer Handlungsweisen in einem sozialen Feld und die spezifischen Dynamiken der Strukturierung komplexer Sozialsysteme, aus dem Blickfeld verschwinden lässt. Aus diesem Grund ist es nach wie vor wichtig, die Eigenständigkeit und Charakteristik einer qualitativ orientierten Durchführung und Analyse von Gesprächen im Rahmen angemessener Forschungsstrategien aufzuzeigen.

•Vielfach wird qualitative Forschung mit der Erkundung subjektiver Meinungen von Menschen gleichgesetzt. Qualitative Analyseverfahren beruhen zwar auf der Kreativität der Interpret*innen und stellen die Subjektivität der Akteur*innen in Rechnung, jedoch ist Subjektivität ein Forschungsgegenstand qualitativer Analyse (unter anderen), aber kein Merkmal der Analyse. Insbesondere interpretative Forschung befasst sich mit den Bedingungen der Möglichkeit von Beobachtungen und Handlungen in sozialen Situationen sowie mit der Struktur und Entwicklungsdynamik sozialer Felder. Das hat wenig mit Subjektivität zu tun, aber viel mit den Kontextbedingungen, komplexen Interaktionen zur Formung kollektiven Wissens sowie objektiv-latenten Sinnstrukturen, welche die Ereignisse und Prozesse besser verstehbar machen. Es ist daher wichtig, Verfahrensprinzipien der Gesprächsführung und qualitätssichernde Maßnahmen zu thematisieren.

•Für die Gesprächsführung ist es noch immer nicht Forschungsstandard, die Vorgangsweise auf den Gegenstandsbereich und das Erkenntnisinteresse abzustimmen, sondern meist wird ein Verfahren und eine Interpretationsstrategie herausgegriffen, das bzw. die man sich irgendwann angeeignet hat, und für alle Zwecke verwendet. Aber Gesprächsstrategien haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, welche die wissenschaftliche Arbeit befördern oder beeinträch-[8]tigen können. Insofern ist die Entscheidung und die Ausarbeitung einer Gesprächsstrategie noch immer ein vernachlässigter Teil der methodischen Vorgangsweise, die daher eine genauere Betrachtung verdient.

•Meist wird auch der Aufwand, den die Arbeit mit qualitativen Interviews mit sich bringt, massiv unterschätzt. Dahinter steckt nicht selten die irrige Annahme, es genüge für qualitative Analysen, mit Menschen zu sprechen und deren Aussagen zusammenzufassen. Dies trägt vielleicht zum Alltagsverständnis bei, lässt jedoch das analytische Potenzial qualitativer Analyseverfahren brachliegen. Meist sind es nicht die vordergründigen Aussagen, die ein Verständnis von sozialen Systemen ermöglichen, sondern die sorgfältige Analyse von Struktur und Entstehungsbedingungen von Gesprächsaussagen. Und dafür benötigt es ausgefeilte Strategien der Erhebung und der Analyse.

Die neueren Entwicklungen sowie die Erfahrungen bei der Anwendung von Interviews in der Forschung machen daher eine Neubearbeitung dieses Buches erforderlich. Dabei soll jedoch die ursprüngliche Zielsetzung nicht aus den Augen verloren werden, nämlich in einer knappen Form eine methodische Einführung zu bieten, die sich an den zentralen Leitlinien einer qualitativen Sozialforschung orientiert und die praktische Umsetzung nicht vernachlässigt.

Die vorliegende Bearbeitung weist daher eine Reihe von Erweiterungen auf, die insbesondere die praktische Umsetzung erleichtern sollen. Das sind vor allem:

•Zwei neue Abschnitte, die sich mit der Entscheidungsfindung über die geeignete Gesprächsstrategie für ein Forschungsvorhaben sowie mit den Grundprinzipien verschiedener Arten der Interviewführung befassen. Dies sollte es erleichtern, selbst im Forschungsprozess eine angemessene Strategie zu entwickeln, wofür auch die weiteren Ausführungen zu den Gesprächsphasen Hilfe anbieten. Daher ist in diesem Abschnitt verstärkt ergänzende Literatur zu den verschiedenen Interviewverfahren angeführt.

•Da die Interpretation von Texten eine Art Kunstlehre darstellt, ist es schwierig, die konkrete Durchführung aus einer Beschreibung abzuleiten. Während die 1. Auflage des Buches nur ein Beispiel für die Feinstrukturanalyse enthielt, werden nunmehr drei weitere Verfahren (Systemanalyse, Codestrukturanalyse, Themenanalyse) anhand von praktischen Beispielen erläutert, um die Interpretationsschritte leichter nachvollziehbar zu machen.

•Darüber hinaus wurde die Codestrukturanalyse in Anlehnung an die Grounded Theory weiterentwickelt, sie ergänzt den Spielraum der vorgestellten Interpretationsverfahren um eines, das sich stärker auf die im Text nachvollziehbaren Strukturen konzentriert.

•Die zusammenfassende Analyse wird als Ergänzung nur kurz angeführt, weil sie in genuin qualitativen Forschungsstrategien eine randständige Rolle einnimmt und zudem die Interpretation bestenfalls eine marginale Rolle spielt. Dennoch ist eine solche Vorgangsweise für manche Zwecke sinnvoll und bereitet auch den Übergang zur quantitativen Analyse vor.

[9]Die Basis unserer Überlegungen zu dieser Arbeit bilden sowohl methodische und methodologische Arbeiten zu diesem Bereich als auch empirische Erfahrungen speziell mit Organisationsanalysen. Kritische Diskussionen im Rahmen von empirischen Studien sowie Seminarerfahrungen inner- und außerhalb der Universität waren für uns überaus hilfreich bei der Entwicklung der praktischen Richtlinien zur Erhebungs- und Interpretationstechnik. Zu erleben, wie Forscher*innen aus verschiedensten Disziplinen und Berufen mit heterogenen Interessenlagen (Vertreter*innen der Sozial- und Naturwissenschaften, der Betriebswirtschaft, Management, Beratung etc.) mit den hier vorgestellten Techniken umgehen, bestärkte uns im Bestreben, diese Analyseverfahren für unterschiedlichste Interessent*innen fruchtbar zu machen. Die dabei aufgetretenen Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung sensibilisierten uns auch für die Schwachstellen eines solchen Buches. Daher hoffen wir, mit der Überarbeitung den Zugang noch besser nachvollziehbar zu machen. Eines bleibt aber nach wie vor wichtig: Die Durchführung und Interpretation von Gesprächen ist kein Standardverfahren, sondern bedarf der Anpassung an die konkreten Forschungsgegenstände und Erkenntnisinteressen – und es braucht Erfahrung, die man sich nur im Zuge der eigenen Umsetzung der Verfahren aneignen kann.

Dass nun diese völlig überarbeitete Auflage vorliegt, verdanken wir Mag.a Sabine Kruse, die uns sehr ermutigt hat, das doch sehr zeitintensive ,Überarbeitungsprojekt‘ durchzuführen. Ebenfalls bedanken möchten wir uns an dieser Stelle bei Mag.a Verena Hauser und bei Mag.a Sandra Illibauer-Aichinger für ihre überaus hilfreichen Anregungen zur Überarbeitung und für das sorgfältige Lektorat.


Ulrike Froschauer, Manfred Lueger Wien, im September 2019

[11]

1Einführung

„Berücksichtigen Sie die Beschaffenheit der empirischen Welt und bilden Sie eine methodologische Position aus, um diese Berücksichtigung zu reflektieren.“

(Blumer 1981: 143f.)

Dieser Satz, mit dem Blumer einen Artikel über den methodologischen Standort des Symbolischen Interaktionismus zusammenfasst, kann als zentrale Richtlinie für die vorliegende Arbeit gelten. Vorgefertigte Theorien und Methoden sind demzufolge unzureichende Mittel, um die soziale Welt angemessen verstehen zu lernen. Hingegen lautet die zentrale Forderung, dass sich empirische Untersuchungen an die Eigenschaften ihres Untersuchungsgegenstandes anpassen müssen. Dies erfordert Dreierlei: erstens ein Grundverständnis über den möglichen Aufbau des fokussierten sozialen Systems, um überhaupt in die empirische Analyse einsteigen zu können (forschungspragmatische methodologische Ausgangsposition). Zweitens ein methodisches Instrumentarium, das diesem Grundverständnis gemäß in hohem Maße offen gegenüber den Besonderheiten des Untersuchungsgegenstandes ist (flexibles Verfahrensrepertoire). Drittens müssen anhand der Reflexion der Berücksichtigung der Beschaffenheit der empirischen Welt sowohl das Grundverständnis als auch die angewandten Verfahren modifizierbar sein (reflexive Forschungsstrategie). In diesem Sinn dienen die im Untersuchungsprozess sukzessive gewonnenen Ergebnisse der laufenden Neubestimmung und Modifikation der Anforderungen an die Erhebungs- und Interpretationsverfahren. Umgekehrt wiederum eröffnet diese laufende Justierung der gewählten Forschungsverfahren die Chance, neue Erkenntnisse zu gewinnen.

In den folgenden Ausführungen versuchen wir, die theoretischen Anforderungen und Grundprinzipien in handhabbare Hilfen für konkrete Vorgangsweisen umzuwandeln und so etwas wie Richtlinien zur Durchführung und Interpretation von qualitativen Interviews zu erstellen. Dennoch bleiben sie nur Hinweise, die ständig zu reflektieren sind und im jeweiligen Fall adaptiert oder auch verworfen werden müssen.

Unserer Erfahrung nach besteht bei Forscher*innen, die sich erstmals in die qualitativ orientierte Empirie vorwagen, häufig Unsicherheit über die Wissenschaftlichkeit des eigenen Vorgehens und Unsicherheit darüber, was überhaupt bei der Durchführung qualitativ orientierter empirischer Studien alles zu beachten ist. Die unterschiedlichen methodologischen Positionen, die Vielfalt an Techniken der Interviewdurchführung und der Variantenreichtum an Interpretationsverfahren verwirren noch zusätzlich. Erschwerend kommt dazu, dass viele dieser Angebote in spezifischen Forschungskontexten erarbeitet wurden und daher nur bedingt auf andere Thematiken übertragbar sind. Dieses Buch versucht hier eine Orientierung [12]anzubieten, indem es jeweils auf die Basisüberlegungen hinweist, die eine spezifische Forschungsstrategie oder ein Forschungsverfahren begründen, und diese dann in ihrer praktischen Umsetzbarkeit beschreibt. Forscher*innen obliegt in diesem Sinn nicht die mechanische Umsetzung methodischer Vorgaben, sondern sie entwickeln auf der Grundlage fundierter Überlegungen eine Forschungsstrategie, die sie im Analyseprozess adaptieren, immer mehr verfeinern und in der sie die verschiedenen angewandten Verfahren mit Blick auf ein möglichst umfassendes Verständnis des Untersuchungsgegenstandes optimieren. Die Zielsetzungen der folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher auf sechs Punkte:

a)Im Zentrum der vorgestellten Überlegungen steht die praktische Umsetzung, ohne ein Standardschema für qualitative Studien anzubieten. Anstelle von Rezepten stehen empfohlene Vorgangsweisen, die weitgehend in Frageform dargestellt sind, um vor Augen zu halten, dass in konkreten Forschungssituationen immer Handlungsspielräume in Form von Entscheidungsalternativen existieren. Leser*innen sollten dadurch in die Lage versetzt werden, sich die Vor- und Nachteile der jeweils gewählten Vorgangsweise bewusst zu machen, wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen und kreative Ideen zu entwickeln. Qualitativ-empirische Forschung ist in diesem Sinne ein kreativer, aber zu begründender und zu reflektierender Entscheidungsprozess.

 

b)Um die Anwendbarkeit zu erleichtern, wird auf eine möglichst komprimierte und nachvollziehbare Darstellung mit kurzen Verweisen auf Schlüsseltexte Wert gelegt. Dieser Zielsetzung ist auch der Anhang gewidmet, in dem sich Kurzfassungen zu wichtigen Fragestellungen oder Richtlinien zu zentralen Thematiken finden. Sie bieten eine Gedächtnisstütze für die konkrete Forschungsarbeit. Aufgrund des Verzichts auf eine ausführliche Diskussion der umfangreichen Literatur sind in das Literaturverzeichnis Werke zur qualitativen Sozialforschung aufgenommen, die im Text nicht explizit zitiert wurden, um den Einstieg in eine etwas breitere Literaturbasis zu erleichtern.

c)Seriös durchgeführte Studien bedürfen einer Begründung der gewählten Vorgangsweise. Daher ziehen sich zentrale methodologische Überlegungen als roter Faden durch die gesamte Arbeit und werden im Kapitel 7 gesondert hervorgehoben. Auch hinsichtlich der Gesprächsführung und der Interpretation finden sich immer wieder Hinweise zur Erleichterung der Entscheidung über die Vorgangsweise.

d)Interpretationsverfahren lassen sich nur bedingt über eine rein formale Darstellung der Vorgangsweise aneignen. Deshalb werden für alle vorgestellten Varianten der Interpretation exemplarische Analysen angeführt. Sie fungieren nicht als zu kopierendes Vorbild für die Interpretation, machen aber die Idee und den Prozess der Auslegung leichter nachvollziehbar.

e)Die Verlässlichkeit von Forschungsergebnissen ist nicht bloß eine Frage der Begründung einer Vorgangsweise, sondern bedarf spezifischer Strategien zur Qualitätssicherung (etwa die Integration von Gesprächsführung und Interpretation). [13]Der Bedeutung dieser Forschungskomponente gemäß ziehen sich entsprechende Hinweise durch das gesamte Buch, wobei Kapitel 6 geeignete Maßnahmen systematisiert und zusammenfasst.

f)Sowohl die theoretischen Ausführungen als auch die Darstellungen zur Durchführung und Interpretation qualitativer Interviews konzentrieren sich auf die Analyse des Kontextes von Gesprächsaussagen. Fokussiert wird dabei die Ausdrucksgestalt von Wirklichkeit und die Erzeugung und Darstellung von Sinn im Rahmen der Strukturierung sozialer Prozesse und Strukturen sozialer Systeme.

Da uns die Darstellung einer allgemeinen Interview- oder Interpretationstechnik wenig sinnvoll erscheint, beschränkt sich der Anwendungsbereich auf die Analyse sozialer Systeme in ihrem jeweiligen Umfeld (wie Organisationen, Familien, Vereine, Gruppen oder kleine Gemeinden). Diese Einschränkung bietet bei der Interpretation eine wesentliche Erleichterung, weil die zu interpretierenden Daten immer auf ein abgrenzbares Gebilde bezogen werden können, welches eine klare Referenzebene der Interpretation bildet. Darüber hinaus repräsentiert die Analyse sozialer Systeme eines der wichtigsten Felder qualitativer Sozialforschung.

Einige Redundanzen im Text wurden in Kauf genommen, um die Verständlichkeit auch dann zu gewährleisten, wenn man sich für die praktische Umsetzung nur einzelnen Kapiteln genauer widmet. Dies betrifft speziell zentrale Aspekte des Forschungsdesigns, der Qualitätssicherung und der Methodologie, die alle Bereiche der Erhebung und Interpretation qualitativer Interviews durchdringen.

Noch etwas bedarf gleich am Beginn der Klärung: Wenngleich in der Literatur meist von Interviews (als eher formalisierten Gesprächssituationen mit klarer Rollenteilung) die Rede ist, besteht in der qualitativen Sozialforschung kein Anlass, ,quasi-natürliche‘ Alltagsgespräche methodisch zu vernachlässigen, zumal diese im Rahmen einer interpretativen Methodologie einen zentralen Stellenwert einnehmen. Wenn wir daher in den folgenden Ausführungen mit Vorliebe den Begriff des ,Forschungsgesprächs‘ wählen, so signalisiert dies die Präferenz für wenig formalisierte Gesprächsformen, in denen die Umsetzung technischer Anforderungen in den Hintergrund tritt und vielmehr die Herstellung eines positiven Gesprächsklimas gefragt ist.

Ähnlich verhält es sich mit dem eher seltsam anmutenden Begriff der (Re-) Konstruktion. Wir möchten damit nicht vergessen lassen, dass man in der qualitativ orientierten Sozialforschung nicht die Realität als Abbild rekonstruiert (siehe dazu Abschnitt 7.1.1), sondern dass Interpretationen immer Konstruktionsleistungen sind, die für sich in Anspruch nehmen, an Phänomene der Realität anzuschließen (‚Pseudorekonstruktion‘ aus wissenschaftlicher Perspektive).