Ludwig Fulda
Aladdin und die Wunderlampe - Tausend und einer Nacht nacherzählt von Ludwig Fulda
Aladdin ist der Sohn eines armen Schneiders.
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Impressum neobooks
Kommt, Kinder, faßt mich bei der Hand!
Ich führ' euch in das Morgenland
Und in sein Märchenparadies
Auf einem wohlbekannten Pfade.
Vor langen, langen Jahren wies
Ihn die berühmte Schehersade
Dem argen Sultan Scheherban,
Sodaß der greuliche Tyrann—
Weil ihre Kunst, in bunten Bildern
Ihm eine Zauberwelt zu schildern,
Unwiderstehlich ihn berauschte—
Vergessend Speis' und Trank und Ruh',
Ihr volle tausend Nächte lauschte
Und eine weitre noch dazu.
Von jenen köstlichen Geschichten,
Mit denen sie sein Ohr betört,
Will ich euch eine nun berichten;
Seid also mäuschenstill und hört:
In einer Hauptstadt fern im Osten,
So fern, daß nur mit viel Gefahr
Und ungeheuren Reisekosten
2Man ihr zu nahn imstande war,
Jedoch so reich an Herrlichkeiten,
Daß niemand ihresgleichen sah,
Dort lebte vor geraumen Zeiten
Ein Bürger namens Mustapha
Mit seiner Frau und seinem Sohn.
Sein Brot erwarb er sich als Schneider;
Sein Handwerk aber trug ihm leider
Trotz allem Fleiß nur magren Lohn,
Und knapp war drum bei ihm bemessen
Das Mittag- wie das Abendessen.
Den Sohn—man hieß ihn Aladdin—
Konnt' er nur mangelhaft erziehn;
So ward aus dem ein rechter Flegel,
Der gut tat, nur solang' er schlief,
Der schon frühmorgens in der Regel
Barfüßig auf die Gasse lief,
Sich dort herumtrieb nach Belieben
Mit andern kleinen Tagedieben
Und, bis ihm durch ihr Heer von Sternen
Den Heimweg zeigen ließ die Nacht,
Auf jeden Unfug war bedacht,
Sich aber sträubte, was zu lernen.
Der Vater hieb den Arm sich lahm,
Sah schließlich ein, mit solchem Rangen
Sei nichts Gescheites anzufangen,
Und wurde krank und starb vor Gram.
3Der Bursch, nun fünfzehn Jahr' schon alt,
Groß, schlank, fast männlich von Gestalt,
Statt auf die Hosen sich zu setzen
Für seiner Mutter Unterhalt,
Fuhr fort, auf öffentlichen Plätzen
Herumzulungern ohne Ziel
Und seine Tage zu vergeuden
In rohen Müßiggängerfreuden,
In plumpem Spaß und wildem Spiel.
Einst, als er in gewohnter Art
Sich raufte mit der Gassenjugend,
Merkt' er, daß eifrig nach ihm lugend
Ein fremder Mann mit schwarzem Bart
Und afrikanischen Gewändern
Ihm scheinbar im Vorüberschlendern
Sich näherte. Der Fremde blieb
Dicht vor ihm stehn und sprach: "Vergib,
Mein junger Freund, und laß mich wissen:
Wer ist dein Vater?" Aladdin
Versetzte: "Längst schon hat mir ihn
Des Todes rauhe Hand entrissen.
Im Leben hieß er Mustapha."
Die hellen Tränen rollten da
Dem Fremdling über beide Wangen:
"O Glück, daß ich, mein Sohn, dich treffe,"
Sprach er mit zärtlichem Umfangen;
"Du bist ja mein geliebter Neffe.
Dein Vater war mein Bruderherz;
Ich aber bin ununterbrochen
Schon auf der Reise hundert Wochen,
Um ihn zu sehn. Drum hat der Schmerz
Mich bei der Nachricht übermannt
Von seinem traurigen Geschicke;
Hab' ich doch gleich beim ersten Blicke
Dich an der Ähnlichkeit erkannt!"
Drauf hieß er ihn die Mutter grüßen
Und zog ein Beutelchen heraus
Und gab ihm Geld.
Auf raschen Füßen
Lief Aladdin vergnügt nach Haus,
Um seiner Mutter klipp und klar
Den ganzen Handel zu erzählen.
Die Mutter konnt' ihm nicht verhehlen,
Wie sehr sie drob verwundert war.
Mit rechten Dingen kaum geschah's!
Wo war der Oheim hergekommen,
Da sie doch nie zuvor vernommen
Von einem Bruder Mustaphas?
Doch weil das Gelb gar lustig klang,
Zerbrach sie sich den Kopf nicht lang;
Und abends wollten beide grad
Von ihrem kargen Mahle naschen,
Als jener Mann mit vollen Flaschen
Und Früchten in die Stube trat,
Um selber sich zu Gast zu laden.
Von Rührung überwältigt schier
Blickt' er sich um, als woll' er hier
Von neuem sich in Tränen baden,
Und sagte: "Teure Schwägerin,
Wohl vierzig Jahre flossen hin,
Seit ich dies Heimatland verlassen,
Um in der Fremde Fuß zu fassen
Und dem erträumten Glücke nach
Den halben Erdkreis zu durchstreifen;
Es läßt sich also gut begreifen,
Daß nie mein Bruder von mir sprach.
Nun aber endlich heimgekehrt
Und trostlos, weil an seinem Herd
Ich ihn lebendig nicht mehr finde,
Den sehnsuchtsvoll ich suchte—nun
Will wenigstens ich seinem Kinde,
Was ich vermag, zuliebe tun."
Zu Aladdin gewandt hierbei,
Begann er freundlich ihn zu fragen,
In welchem Handwerk er beschlagen
Und welcher Zunft beflissen sei.
Der Bursche schwieg verlegen still;
Die Mutter aber sprach betrübt:
"Kein Handwerk hat er je geübt,
Weil er durchaus nichts lernen will.
Da hilft kein Warnen und kein Schelten;
Ich glaube wahrlich, daß noch selten
Es einen solchen Faulpelz gab.
Er bringt mich an den Bettelstab,
Und nächstens weis' ich ihm die Türe.
Sein Vater würde sich im Grab
Umdrehn, wenn er davon erführe."
Der Fremdling mahnte drauf den Jungen
In mildem, väterlichem Ton:
"Das ist nicht wohlgetan, mein Sohn;
Doch treibt man etwas nur gezwungen,
Dann wird es einem leicht vergällt.
Berufe gibt es viel auf Erden;
Du mußt nicht grad ein Schneider werden,
Und wenn kein Handwerk dir gefällt,
So will ich gerne mich verpflichten,
Im feinsten städtischen Bazare
Dir einen Laden einzurichten
Mit Linnenzeug, mit Seidenware,
Kostbaren Teppichen und Stoffen,
Sodaß Gewinn und neuer Kauf
Dir Wohlstand bringt. Gesteh' mir offen:
Wie nimmst du diesen Vorschlag auf?"
Der Schlingel, ohne lang' zu schwanken,
Erklärte schmunzelnd sich bereit;
Die Mutter schwamm in Seligkeit,
Hieß ihn sich tausendmal bedanken
Und zweifelte nicht länger dran,
Der unbekannte Biedermann,
Der gleich ein ganzes Warenlager
Dem Sohn zu schenken sich erbot,
Sei niemand anders als ihr Schwager.
Am nächsten Tag ums Morgenrot
Erschien der neue Oheim wieder,
Nahm seinen lieben Neffen mit,
Ging ihm zur Seite Schritt für Schritt
In den Bazaren auf und nieder,
hielt an vor einem Kleiderstand
Und bat ihn, aus dem dichten Schwalle
Sich auszusuchen ein Gewand,
Das ihm besonders gut gefalle.
Freigebig kauft' er ihm dazu
Noch Turban, Gürtel, Strümpfe, Schuh',
Bis von dem Scheitel zu den Zehen
Er einem jungen Prinzen glich.
"Du sollst nun alle Tage mich
Begleiten beim Spazierengehen,"
Sprach sein Beschützer großmutvoll;
"Denn freien Blick und Welterfahrung
Braucht, wer ein Kaufmann werden soll.
Dem Geist wird mühelos die Nahrung
Geboten, deren er bedarf,
Wenn klar das Auge sieht und scharf.
Einsaugen wirst auf unsern Gängen
Die Bildung du wie Luft und Licht
Und läufst bei solchem Unterricht
Niemals Gefahr, dich anzustrengen."
Gesagt, getan. Sie gingen beide
Von jetzt ab täglich durch die Stadt,
Und Aladdin, im neuen Kleide
Stolz wie ein Pfau, ward nimmer satt,
Sich wißbegierig anzusehn,
Was ihm sein guter Oheim zeigte.
Sie wandelten durch weitverzweigte
Gewölbe, Hallen und Moscheen,
Betrachteten die schönsten Läden,
Der Straßen emsiges Gewühl,
Die Brunnen, draus erquickend kühl
Das Wasser schoß in Silberfäden,
Von hohen Palmen überschattet,
Und drangen durch ein Gittertor,
Wo freier Zutritt war gestattet,
zum Prachtpalast des Sultans vor.
Auch pilgerten sie manchen Tag,
Die Glieder doppelt rüstig regend,
Hinaus in die begrünte Gegend,
Bis fern die Stadt im Rücken lag
Und zu den Gärten sie gelangten,
Drin unter üppigem Gerank
Die wundersamsten Blumen prangten,
Umspült von Teichen spiegelblank.
Aladdin im Zaubergarten
Nachdem auf solchen Wanderungen
Manch reizend Fleckchen sich dem Jungen
Erschlossen, führte sein Begleiter
Auf nie zuvor betretnem Pfad
Ihn eines Morgens weit und weiter,
Aufwärts und abwärts, krumm und grad.
Bald war kein menschlich Wesen rings
Und auch kein Haus mehr zu entdecken;
Doch unaufhaltsam weiter ging's.
Schon türmte hinter öden Strecken
Sich des Gebirges steile Mauer;
Das Tal, von Felsen eingezwängt,
Ward allgemach zur Schlucht verengt,
Und endlich, von des Marsches Dauer
Erschöpft, hätt' Aladdin sich gerne
Zur Rückkehr wieder umgewandt;
Sein Oheim aber sprach: "Halt' stand!
Ist unser Ziel doch nicht mehr ferne.
Noch ein paar Schritte durch das Tal—
Was ich sodann dir zeigen werde,
Das wirst auf der gesamten Erde
Du nicht erspähn zum zweitenmal."
So setzten ihren Weg sie fort
Und kamen bis zu einem Ort,
Den riesenhafte Felsenwälle
Allseitig schienen zu verrammeln.
Der Oheim rief: "Wir sind zur Stelle!"
Er hieß ihn trocknes Reisig sammeln,
Schlug Feuer, das bald lustig sprühte,
Warf Räucherwerk aus einer Düte
Hinein und murmelte dann leise,
Sobald sich Qualm und Schwefelduft
Verbreiteten in dichtem Kreise,
Seltsame Formeln in die Luft.
Da gab's ein Krachen und ein Beben,
Als stürzten Erd' und Himmel ein;
zutage trat ein Quaderstein
Und in der Mitte dran, zum Heben,
Ein Ring aus Eisen. Aladdin,
Von Angst geschüttelt, wollte fliehn;
Der Oheim aber hieb sogleich
Ihm einen solchen Backenstreich,
Daß ihm der Kopf geriet ins Wackeln,
Und sprach: "Mein Sohn, ich bin dir jetzt
Als zweiter Vater vorgesetzt;
Kein Sträuben duld' ich und kein Fackeln.
Gehorch' mir, und du wirst erproben,
Wie sehr dir's frommt. An diesem Platz
Liegt ein für dich bestimmter Schatz,
Der, wenn du glücklich ihn gehoben,
Dich reicher macht als alle Reichen
Der ganzen Welt. Den Quaderstein
Darf niemand außer dir allein
Berühren; dir nur wird er weichen."
Aladdins Oheim murmelt eine Zauberformel
Und richtig, als nach bangem Säumen
Der Bursch am Eisenringe zog,
Konnt' er den Stein beiseite räumen,
Obwohl er hundert Zentner wog,
Und er gewahrte drunter Stufen
Nebst einer Tür. "In diesen Schacht
zu steigen bist nur du berufen,"
Begann der Oheim; "drum gib acht
Auf alles, was ich nun dafür
Zu deinem Schutz dir anempfehle.
Geöffnet findest du die Tür;
Sie führt in drei gewölbte Säle.
In jedem stehn vier große Becken
Voll Gold und Silber; doch laß ab,
Die Hand nach ihnen auszustrecken.
Schürz' auch dein Kleid und gürt' es knapp;
Denn streift es irgendwo die Wände,
So mußt du deinen Tod erwarten.
An jenes dritten Saales Ende
Wird auftun sich vor dir ein Garten,
Bepflanzt mit Bäumen mannigfalt,
Ein jeder voll mit Frucht behangen.
Geh' nur gradaus, dann wirst du bald
Zu einer Treppe hingelangen;
Ersteige sie getrost: sie mündet
Auf eine stattliche Terrasse;
In einer Nische angezündet
Steht eine Lampe dort. Die fasse,
Verlösch' sie, gieß' die Flüssigkeit
Mitsamt dem Docht heraus, verhülle
Sie sorgsam unter deinem Kleid
Und bring' sie mir. Wenn dich die Fülle
Des Gartens etwa lockt, so pflück'
Auf deinem Weg hierher zurück
Dir von den Früchten nach Belieben.
Und nun, zu deinem eignen Glück
Befolg', was ich dir vorgeschrieben."
Er steckte noch für jeden Fall
Ihm einen Ring an seinen Finger;
Der werde sich als Hilfebringer
Bewähren stets und überall.
So stieg denn Aladdin hinunter;
Die Säle fand er laut Bericht,
Berührte deren Wände nicht,
Kam in den Garten, eilte munter
Hinan die Treppen zur Terrasse,
14Sah Nisch' und Lampe dort, verfuhr
Streng nach Geheiß, damit er nur
Vom Auftrag keinen Punkt verpasse,
Und kehrte, nun er unterm Kleide
Die Lampe sicher hielt verwahrt,
Zum Garten um. O Augenweide!
Denn Früchte von verschiedner Art
Trug leuchtend jeder Baum zur Schau,
Teils hell, teils dunkel, weiß und blau,
Rot, gelblich, violett und grün,
Und allesamt in buntem Scheine
Durchsichtig wie von innrem Glühn.
Es waren lauter Edelsteine.
Da flammten, funkelten und brannten
Türkise, Perlen, Diamanten,
Smaragd, Rubin, Saphir, Topas
Von gänzlich beispiellosem Werte.
Doch Aladdin, der unbelehrte,
Hielt sie für nur gefärbtes Glas.
Er hätte lieber von den Zweigen
Sich süße Trauben oder Feigen
Gepflückt; als Spielzeug aber war
Der bunte Tand ganz annehmbar.
Drum nahm er sich von jeder Sorte,
So viel er in die Taschen zwang,
Schritt die drei Säle sacht entlang
Und kam zurück zur Eingangspforte.
Den Oheim, der mit allen Zeichen
Der Ungeduld hier Wache stand,
Bat er, zur Hilf' ihm seine Hand
Beim Ausstieg aus dem Schacht zu reichen.
Der aber rief in einem groben
Befehlerton: "Die Lampe her!"
"Du sollst sie haben nach Begehr,"
Sprach Aladdin, "sobald ich oben."
Der Oheim schrie mit steter Steigrung:
"Die Lampe!" Doch voll Eigensinn
Blieb Aladdin bei seiner Weigrung:
"Wart', bitte, bis ich oben bin."
Des Oheims Wut ward ungeheuer;
Schnell goß er Räucherwerk ins Feuer,
Indem er eine Formel schnaubte.
Der Quader klappte drauf im Nu
Dem Aladdin grad überm Haupte
Wie eines Kastens Deckel zu.—
Wer wird aus diesem Oheim klug?
Ein Bruder Mustaphas? Behüte!
Verwandtschaft, Rührung, Herzensgüte
War samt und sonders Lug und Trug.
Ein Zaubrer war's, nicht hier geboren,
Nein, fern in Afrika daheim,
Und hatte diesen Vogelleim
Aus gutem Grund sich auserkoren.
Nachdem er nämlich festgestellt
Durch Hexerei, daß in der Welt
Es eine Wunderlampe gebe,
Die zu der höchsten Macht erhebe,
Ja, Geister fähig sei zu binden,
Hatt' er in einem Zauberbuch
Nach manch vergeblichem Versuch
Den Ort entdeckt, wo sie zu finden,
Und so, von Habgier angefacht,
Flugs auf die Reise sich gemacht.
Doch weil ihm ein Gesetz verwehrte,
Selbst in das Schatzgewölb' zu dringen,
Deswegen war vor allen Dingen
Er einem Werkzeug auf der Fährte,
Das ihm dazu geeignet schien.
Sein Auge fiel auf Aladdin
Als einen unerfahrnen Knaben;
Wenn ihm die Lampe der geschafft,
Dann durch der Zauberformel Kraft
Wollt' er lebendig ihn begraben,
Damit er nichts davon verriete.
Und nun? Gescheitert war der Plan,
Die jahrelange Müh' vertan!
Statt des Gewinnes eine Niete!
Vorzeitig hatte ja sein Zorn
Auf immerdar den Wunderborn
Mitsamt der Lampe zugeriegelt,
Und alle seine Kunst und List
Hätt' ihn kein zweites Mal entsiegelt.
So, mit sich selbst in argem Zwist,
Von Grimm gefoltert und von Scham,
Vermied er's, länger zu verweilen,
Und reiste wieder tausend Meilen
Dahin zurück, woher er kam.