Hasenrein eingemiezelt

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Hasenrein eingemiezelt
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Kathrin Dittmer

Hasenrein eingemiezelt

Kolumnen


© 2018 zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe

www.zuklampen.de

Umschlaggestaltung: André Kleegräfe · Hannover

Satz: Germano Wallmann · Gronau,

nach einer Vorlage von Matthias Wehrhahn · Hannover

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

ISBN 978-3-86674-714-2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.dnb.de› abrufbar.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

1. Haken schlagen

Leichte Beute

Wenn der warme Wind das Fell zaust

Da nich’ für!

Wunschlos glücklich

Hasenrein eingemiezelt

Verlässliche Wörter

Über den Worten

Liebe, Tod & Taxi

In Aalsupp gehört kein Fisch

Winki

Unter Marzipanverdacht

Das Wesentliche

Freiheit ist ein großes Fest

Mein Dämon

2. Verlangen nach Büchern

Haken schlagen

Heute hier, morgen fort

Falls Sie verstehen, was ich meine …

Kirschbaumepistel

Wenn Männer zu viel lieben

Hühnerstall mit Lärchenholz

Geheime Kräfte und Sehnsüchte

»Mein Gott! Da sieht es sauber aus!«

Die dritte Tochter der Buchhalterin

Alte Hasen, junge Dachse

Wie wir wurden, was wir sind

Verlangen nach Büchern

3. Das sprechende Tier

Seltsame Gefährten

An evening of long goodbyes

Tiere in der Stadt

Das sprechende Tier

Zahlende Besucher

April, April!

4. Urbi et Orbi

Lärmender Trupp am Hochsommerabend

Problemzonen

Aschenputtel reloaded

Urbi et Orbi

Baby you can drive my car

Geisteskraft der Republik

Schnittmengengeräusche

Chaos, Wolken und Argument

Wild Thing

Mein innerer Migrant

Erbgut

Das nennt man Profil

Marder im System

Wie die Tiere

Segen sägen

Schwamm drüber!

Alles Gute!

Endlich Stille

1. Haken schlagen

Leichte Beute

Neulich habe ich sie gesehen. Ganz früh in der Dämmerung. Leicht geduckt schnürte sie auf die Ligusterhecke zu, die Amsel fest im Maul. Von mir nahm sie kaum Notiz, nur die leicht zurückgelegten Ohren deuteten Unwillen an.

Wir waren beide auf dem Heimweg, die Katze und ich. Beute hatte ich nicht gemacht, es sei denn eine monatliche Gehaltsüberweisung kann als solche gelten. Und wesentlich müder als die Mieze war ich gewiss. Akkumulative Prozesse können belastend sein, egal, was man anhäuft. Ich schichte Müdigkeit. Die sedimentiert an mir zu einem kalkigen Gebilde, das ich als mein verschwommenes Selbst herumschleppe.

Neulich, in einer Besprechung, saß ein netter junger Mann neben mir. Er war windgezaust und vergnügt, weil man zwei wenig effektive Stunden erwarten durfte. Ich gestand, dass es mir genauso ginge. Früher hatten mich langwierige Besprechungen unruhig gemacht, heute nehme ich alles dankbar hin, wenn es nur eine gewisse Einförmigkeit birgt. Es wirkt – so stellten wir beide fest – nicht nur ein permanentes Kommunikationsgewitter auf uns ein, ein Artilleriefeuer der Zurufe, sondern irrerweise sind wir diesem Beschuss bereits vollständig erlegen. Und müssten doch eigentlich tot sein. Und sind es aber nicht, sondern werden nur schon etwas durchsichtig an den Rändern.

Aus Notwehr stellen sich manche jedoch tot. Aber das ist auch keine Lösung. Damit lässt man sich alles nehmen. Denn die gefährliche Spezies, die unnachgiebigen Knechte der Zeitzerhackung, tritt immer noch fest auf und schwingt gern mal die Peitsche. Es ist »Die Frau, die alles im Griff hat«. Am Früstückstisch, ihr gegenüber, sitzt ihr Gefährte, »Der Mann, der nicht versteht, wo das Problem liegt«. Diese Spezies ist nicht direkt extraterrestrisch, aber immer konsequent auf dem falschen Dampfer, hat die lieben langen 24 Stunden des Tags im Plan, zu allem eine Meinung und hinkt jeder Entwicklung zwei Jahre hinterher. Wir verdanken ihr den Börsengang der Bahn, die Wiedereinführung der Fünzig-Stundenwoche ohne Lohnausgleich, Tablettenmissbrauch, die Tütensuppe und Gehwegplatten zwischen den Miniazaleen auf Omas Grab. Vielleicht auch Atomkraft und Gürtelrose.

Aber die Herrschaft der Zeithacker wird nicht ewig dauern. Die Natur wird überwuchern, was wir ihr entwunden haben und alles entschleunigen. Wir müssen uns einfach nur sehr, sehr langsam bewegen. Viel gähnen und Gedichte lesen. Auswendig lernen. Horchen. Nichts tun. Das wirkt energetisch zurück. Bis Nebel aufsteigt und das Gewitter verklingt. Der frühe Vogel endet im Maul der späten Jägerin. Ungerührt zwitschern die Rotkehlchen.

2012

Wenn der warme Wind das Fell zaust

Immer wenn ich mir eine Weltanschauung zurechtgelegt habe, muss ich sie gleich wieder verwerfen. Gut so.

Denn schön ist es vielmehr, die Sichtweise so oft wie möglich zu wechseln. Vielleicht sogar vorübergehend ein Kaninchen zu sein, vorzugsweise an einem angenehmen Frühlingstag, wenn ein warmer Wind das Fell zaust und alles Raubzeug schon satt ist. Metamorphose nicht als Einbahnstraße, sondern hin und her, wie und wohin man gerade möchte. Ja, natürlich, das lässt sich schlecht mit regelmäßigen Verpflichtungen verbinden. Es ist ja auch bloß eine Phantasie, ein alter Traum von multipler Existenz und vom Mythos der Gestaltwandlung.

 

Von Ferne betrachtet, brauchen wir das nicht, solange wir fühlen können. Wir sind Teil des Ganzen und es reicht, in die Welt hinaus zu blicken. Von sich weg. Das bekannte buddhistische Rätsel löst, wer im Spiegelkabinett sitzt und auf die Frage, was er sieht, antwortet: »Nichts.« Nicht, weil seine Existenz nichtig wäre. Nein, weil er einfach da ist und von sich aus nach außen schaut und es da gerade nichts zu sehen gibt.

Die Anschaffung einer Weltanschauung hingegen ist heikel und lässt sich am besten mit der Anschaffung einer Küchenmaschine vergleichen. Man hat alles zum Thema Häckseln, Raffeln und Rühren parat, aber es ist zu aufwendig, wegen einer Salatgurke oder einem Pfund Quark, die Maschine aus dem Schrank zu nehmen, aufzustellen und dann zu reinigen. Die Küchenmaschine dient hauptsächlich der Vergegenwärtigung von Gewichtigkeit, Lärm und Befähigung in der eigenen Küche. So auch die Weltanschauung. Dabei geht nichts über ein wirklich scharfes und handliches Messer. Und man wusste das, hat aber trotzdem die teure Maschine gekauft, um endlich kompetenter zu sein. Am besten, man lässt sie im Schrank und spricht nicht mehr von ihr.

Nun gibt es Leute, die haben die Weltanschauung nicht im Schrank, sondern benutzen sie täglich. Das ist gefährlich. Weltanschauungen legt man sich nämlich ausschließlich aus Erschöpfung zu, leichterhand und allzu oft als menschliche Reife bezeichnet. (Auch eine Küchenmaschine wird gerne erworben, wenn man schon alles hat!) Eine einzige Weltanschauung ist aber, solange man lebt, hinderlich, es sei denn, man wäre lieber tot. Allen, die gerne davon reden, man solle seinen Platz in der Welt finden, möchte ich an dieser Stelle zurufen: Immer schön wechselhaft! Der einzige Platz, den wir je belegen werden, ist recht klein und unspektakulär und sollte nur eingenommen werden, wenn man wirklich schon tot ist.

2012

Da nich’ für!

In diesen Tagen ist es en vogue, sich von etwas zu distanzieren, in dessen Nähe man sich nie befunden hat. Nun will man ja keinem verwehren, sich zur eigenen Verortung zu äußern. Aber wäre es nicht schlauer – und irgendwie auch weniger geräuschvoll – seinen Standpunkt zu benennen als seine multiplen Nicht-Standpunkte?

Noch schlimmer und wesentlich weniger unterhaltsam finde ich, von anderen zu verlangen, dass sie auf Distanz zu etwas gehen, von dem sie weit entfernt sind. Ha, werden Sie jetzt denken, es ist klar, worauf das hinausläuft. Und Sie haben Recht: Ich bin nicht bereit, mich vom Terrorismus zu distanzieren. Wie sollte ich da auch auf mehr Distanz gehen? Da müsste ich schon die Galaxie wechseln. Wäre ich muslimischen Glaubens, dürfte ich das gar nicht schreiben, nicht wahr? Schrecklich.

Aber wäre ich Muslim und fühlte ich mich genötigt, mich vom Terror zu distanzieren, würde sich garantiert irgendjemand dafür bei mir bedanken. Auch schrecklich. Es ist in diesen Tagen nämlich genauso Mode, sich öffentlich zu bedanken. Auch mir wurde neulich bis zum Abwinken gedankt. Mit ungefähr 24.999 anderen Menschen war ich auf einer Demonstration. Mein Eindruck war, die meisten waren wie ich da, weil sie Meinungsfreiheit wichtig finden. Nun gut, manche trugen Banner gegen Intoleranz. Das ist lieb, bringt aber nicht viel, denn gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen. Lieber öfter mal für ein konkretes politisches Ziel eintreten, das rührt zwar den Bundespräsidenten nicht so, ist aber effektiver. Dennoch verstehe ich, dass man auch mal in der Innenstadt zeigen möchte, dass man sich nicht zu den Bekloppten und Bescheuerten zählt. So folgte auch ich bereitwillig dem Aufruf verschiedenster Gruppierungen. Die Aufrufer hatten wohl nicht mit solchem Andrang gerechnet und so standen wir überwiegend demonstrativ. Das machte ja nichts. Was mich aber doch störte, war, dass sich vom Rednerpodium herab dauernd einer bei uns bedankte. Wie ein Firmen-Jubilar seinen Angestellten dankt. Auch bedankte man sich, für meine demokratische Gesinnung. Die habe ich aber nicht zu Gefallen der Politik, Kirche oder Gewerkschaft. Die habe ich einfach von mir aus. Ich wusste auch gar nicht, dass ich auf deren Feier war. Ich dachte, es wäre eine gemeinsame – ja, Demonstration. Sozusagen Einigkeit für Recht und Freiheit. Einfach so.

Ich hege seitdem einen schlimmen Verdacht: Die Regierenden und Gewerkschaften und andere Organisatoren glauben, dass der Großteil der Bevölkerung zu den Bekloppten und Bescheuerten gehört, und entsprechend überwältigt sind sie, zu sehen, dass die mal was richtig machen.

Einen Vorteil hat das Gefälle in der Gesellschaft aber: Wenn man sich nicht genug wahrgenommen fühlt, kann man sich öffentlich von irgendwas distanzieren und das dankt einem dann wer. Ich könnte mich jetzt und hier zum Beispiel ohne Weiteres von allen Carrerabahnbesitzern, Apfelessern, Zweiraumwohnenden, Sexmaniacs, Zölibatären, Sonnenstudiobetreibern, Überglücklichen, Unglücklichen, Katzenhassern, Hundezüchtern, Weichspülerbenutzern, Eisschwimmern, Süßschnäbeln und Fernsehmoderatoren, Päpsten und Komasäufern distanzieren. Alles so Sachen, die mir fern sind, ich zur Zeit nicht tue, habe, bin, nicht will, nicht kann oder nie tun, wollen, haben oder können werde. Na gut, man nimmt manchmal Gewohnheiten an, die man früher verabscheut hat und kann seine Meinung ändern. Es soll ja sogar Leute geben, die aus Regierungsparteien austreten. Selten, aber es gibt sie.

Auch ich bin manchmal kurz davor, wenn die Handtücher so kratzen, Weichspüler zu kaufen. Ich kann mir sogar sehr entfernt vorstellen, doch noch den Führerschein zu machen, überglücklich zu sein oder Hunde zu züchten, obwohl das irre weit von dem weg ist, was ich derzeit tue. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, Terrorist zu werden. Ich hoffe, es wird mir keiner danken.

2015

Wunschlos glücklich

Zufriedenheit ist ein hohes Gut, aber irgendwie hat sie auch etwas Selbstgefälliges. Vor allem, wenn man von einfältigen Pulswärmerträgerinnen mit Kalendersprüchen zu Bescheidenheit angehalten wird. Ist es denn wirklich eine Perle fernöstlicher Weisheit, dass man ohne Schuhe im Schnee froh sein soll, dass man noch seine Füße hat? Zumal es dann bis zum Abfrieren ja nicht mehr lang hin sein kann.

Nun ist in unseren Breitengraden echter Mangel tatsächlich kein Massenphänomen. Vielmehr kranken wir am Überfluss. Das ist schon irgendwie beschämend und manchmal rufe ich mir selbst am frühen Morgen zu: »Meine Probleme möchte ich haben!«, wenn ich antriebslos hinter einem halben Liter echtem Bohnenkaffee über irgendeines grüble.

Was es aber sehr wohl mitten im Überfluss gibt, ist das Gefühl, irgendwann mal falsch abgebogen zu sein und festzustecken. So gings mir neulich auch. Und als mir auffiel, dass ich im Alltag den Schlangen und Eisenbahnen gleich sogar buchstäblich stets dieselben Wege nehme, nahm ich einfach mal eine andere Abzweigung.

Während ich so durch die Gegend stromerte, kam ich an einer Fleischerei vorbei. Mitten im Schaufenster prangte ein Plakat, das für eine Aufführung von Brahms Requiem warb. Nun entbehrt es nicht der Komik, wenn man mit toten Tieren handelt und im Schaufenster prominent auf den Weg allen Fleisches hinweist, aber ich dachte, man müsse sich vielleicht doch Sorgen machen. Zumindest scheint mir die Ankündigung eines Totenamts zwischen Nackensteak und Mettwürsten recht provokativ. Leidet der Metzger mit der dahingeschlachteten Kreatur oder doch eher um seiner selbst willen? Heißt es nicht bei Brahms auch: »Denn alles Fleisch es ist wie Gras«? Was will der Mann uns damit sagen? Ist er im Herzen Vegetarier oder heißt das Motto »Schwein oder Mais – alles Wurscht!«?

Aber Kurzschlüsse sind gar nicht und Umkehrschlüsse nicht immer erlaubt. Und Glück ist wie Unglück wohl oft Interpretationssache. So wie bei den Zettelchen, die in Glückskeksen oder Losen stecken. Aber der Spruch »Sie brauchen sich über Ihre Zukunft keine Gedanken zu machen.« kann doch sehr wohl als zweideutig gelten! Dennoch hat eine Frau es mir auf einer Party mal sehr übel genommen, als ich ihre Freude über ihr »Los« dämpfte, und mir meine Logik als Übelwollen ausgelegt.

Dabei hatte ich nur darauf hinweisen wollen, dass Wünschen eine hohe Kunst ist, denn die Götter (oder wer immer sich da zuständig fühlt) sind noch selbstbezogener als Pulswärmerträgerinnen. Daher ist es gut, dass nicht all unsere Wünsche in Erfüllung gehen. Als Kind wünschte ich mir nämlich nichts sehnlicher, als dass mir ein Fell wüchse und ich außerdem nie wieder zum Zahnarzt müsse. Und ich wollte unbedingt, dass meine Oma immer bei mir bliebe. Wie ich die beinharten Wunscherfüller kenne, die teilnahmslos über uns grasen, wäre ich demnach einen frühen Tod gestorben und hätte zuvor behaart und zahnlos ein elendes Leben außerhalb der menschlicher Gesellschaft – womöglich allein mit Oma in einer Höhle – gefristet.

Davor hatte ich ja nur warnen wollen, aber die Frau war sehr böse mit mir. Übrigens trug sie selbstgefilzte Pulswärmer und hat mir das letzte Bockwürstchen weggeschnappt. Es gibt eben Konsumphänomene, die sind nur schwer zu knacken.

2014

Hasenrein eingemiezelt

Immer wieder lernt man neue Wörter kennen. Die meisten verraten nur eine gewisse Sprachfaulheit oder absichtliche Unschärfe, wie »runterzeichnen« oder »hochpreisig«. Ganz schrecklich ist natürlich das Kauderwelsch bei unserem täglichen Umgang mit der Technik, das man eigentlich auch »daunloden« und »abdäten« schreiben könnte. Während andere Wörter, die ähnlich zusammengestoppelt sind, den Charme des Rotwelsch haben: »Ich bin ziemlich abgebastelt und wenn wir noch weg wollen, muss ich mich erst aufbrezeln«, sage ich manchmal aus Freude an seltsamen Wörtern ohne eindeutigen Sinn und aus gegebenem Anlass. Auch das Verb »abflattern« gefällt mir. Es hat weder etwas mit Geflügel noch mit einem zügigen Abgang zu tun, sondern meint das Absperren mit rot-weiß gestreiftem, sogenanntem Flatterband. »Kein Thema«, sagt der nette Techniker, »ich flatter Ihnen das ab, dann kann der Ü-Wagen nachher hier parken.« Klasse! Verträumt denke ich an »Zwiebelfische« und »Hurenkinder« aus der Zeit, als es noch »Schweizer Degen« gab. Die ersten hat der auch schon wieder antiquierte Fotosatz uns genommen, die zweiten gibt es heute um so mehr, weil der strenge Blick der Dritten auf Satz und Umbruch fehlt.

Manche sehr brauchbaren Wörter sind einfach nicht mehr geläufig oder aus der Hochsprache verbannt worden, wie zum Beispiel »einmiezeln«. Sich einzumiezeln kann schön sein, dass sich etwas »so einmiezelt« eher nicht. Ein anderes Wort dieser Kategorie ist »hasenrein«. Als ich es zum ersten Mal hörte, musste ich an ein kleines Bilderbuch denken, das ich als Kind besaß: »Familie Osterhase«. Bei denen war es in der Tat sehr adrett zugegangen. Es bezeichnet aber einen Jagdhund, der auf Vögel abgerichtet ist. Immerhin, keine Gefahr für Familie Osterhase, die allerdings unter dringendem Klischeeverdacht steht und selber nicht ganz hasenrein zu sein scheint.

Ich habe es gerne, wenn jemand etwas barocker mit unserer Sprache umgeht und Wörter neu zusammensetzt oder erfindet. Schattenlichtspiele gibt es an Hausfassaden bei Karl-Heinz Ott. Galaxiendotter, Schleierwuseln und herabbelfernde Schneeflocken finden sich bei Thomas Rosenlöcher. Auch wenn heute ein sparsamerer, nüchterner Stil überwiegt – der auch von bestechender Melancholie sein kann – ich lese das andere lieber: mehr Wagnis und eine lebhaftere Sprachmusik.

Neulich musste ich eine Amtsperson überzeugen: »Ich kann Ihre Shareware nicht downloaden, Update geht nicht ohne neue Hardware und die ist nicht drin.« »Das kennen wir«, hieß es, »der Costcut nimmt überall zu.« Wir haben uns gleich verstanden. Da hat sich wohl in unseren Wortschatz einiges nicht ganz hasenrein eingemiezelt.

2006

Verlässliche Wörter

Eisenbahn, Ginster, Milch, Holz, Kohle, Suppe, Marmelade, Pfote – einige Worte, die ich persönlich als sehr verlässlich empfinde. Leider erweisen sie sich bei längerem Betrachten oder Anhören schon als wesentlich unzuverlässiger. »Milch« zum Beispiel, ein geradezu unheimlich bläuliches Schimmern. Nur »Marmelade« hält etwas länger stand, wird dann aber vollends unbegreiflich.

 

Mit einem kurzen Satz hat Alexander Kluge viel zu diesem Phänomen gesagt: »Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner schaut es zurück.« Er bezog es, in seinem Film und Buch »Die Patriotin« von 1979, zeitgemäß auf das Wort »Deutschland«. In politischen und historischen Zusammenhängen ist ohnehin Skepsis geboten, was den Unterschied zwischen einem Wort und seiner Bedeutung angeht. Je weniger Demokratie, desto verschleierter sind die Begriffe. Bei uns haben sich allerhand Euphemismen für eher unangenehme Tatsachen eingebürgert. »Freisetzen« oder »entsorgen«, zum Beispiel, hießen früher noch »entlassen« und »wegwerfen«.

Wie ist das aber in der Literatur? In der Literatur ist es das Schöne, dass den Worten eine Bedeutung gegeben wird. Niemand behauptet, die Wahrheit zu kennen oder zu verkünden. Tut er es doch, dürfen Sie sicher sein, dass es keine Literatur ist!

Die Kunst hat den Vorzug, Wahrheit zu suchen, aber nicht finden zu müssen. Aufgeklärte Forschung – ob nun Natur- oder Geisteswissenschaft – wird sich allerdings mit der gleichen Haltung präsentieren. Der Dozent für Logik und Mathematik und Gelegenheitsautor Charles Lutwidge Dodgson alias Lewis Carroll schickte schon 1865 seine Alice ins Wunderland, um sie einen Blick auf die Realitäten der Macht und der Möglichkeiten werfen zu lassen. Als sie auf Humpty-Dumpty trifft, erklärt dieser ihr genau, wie man Wörter in den Griff bekommt und wie man sie am besten kurz hält, damit sie spuren: durch äußert dürftige und sporadische Bezahlung nämlich. Als Alice entsetzt fragt: »Aber man kann doch Wörter nicht einfach etwas anderes heißen lassen?« entgegnet er selbstgefällig: »Es kommt nur darauf an, wer die Macht hat.« Verben seien allerdings die Widerspenstigsten. Leider kippt er dann von der Mauer, und wie wir wissen, können ihm weder des Königs Pferde, noch des Königs Männer wieder aufhelfen.

Auch Bernd Lichtenberg, der Drehbuchautor von »Good Bye, Lenin«, fragt sich am Schluss seines Buches »Eine von vielen Möglichkeiten, dem Tiger ins Auge zu sehen«, ob einer, der sagt, den Gesang eines Vogels gehört zu haben, nicht vielleicht eine Schiffssirene gehört hat, die er Vogel nennt, »nachts, wenn das Fernweh allen Wörtern ihre scheinbare Verlässlichkeit raubt.«

Gibt es also verlässliche Wörter? Nein.

Außer Eisenbahn, Ginster, Milch, Holz, Kohle, Suppe, Marmelade und Pfote natürlich.

2005

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