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Durchs wilde Kurdistan

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Durchs wilde Kurdistan
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Karl May

DURCHS WILDE KURDISTAN

Erstes Kapitel: Der Opfertod des Heiligen

Wir kehrten von dem Besuche des Häuptlings der Badinankurden zurück. Als wir auf der letzten Höhe ankamen und das Tal der Teufelsanbeter überblicken konnten, bemerkten wir ganz in der Nähe des Hauses, welches dem Bey gehörte, einen ungeheuren Haufen von Reisholz, der von einer Anzahl von Dschesidi immer noch vergrößert wurde. Pir Kamek stand dabei und warf von Zeit zu Zeit ein Stück Erdharz hinein.



»Das ist sein Opferhaufen,« meinte Ali Bey.



»Was wird er opfern?«



»Ich weiß es nicht.«



»Vielleicht ein Tier?«



»Nur bei den Heiden werden Tiere verbrannt.«



»Dann vielleicht Früchte?«



»Die Dschesidi verbrennen weder Tiere noch Früchte. Der Pir hat mir nicht gesagt, was er verbrennen wird, aber er ist ein großer Heiliger, und was er tut, wird keine Sünde sein.«



Noch immer ertönten von der gegenüberliegenden Höhe die Salven der ankommenden Pilger, und noch immer wurde denselben im Tale geantwortet; und doch bemerkte ich, als wir unten ankamen, daß dieses Tal kaum noch mehr Menschen zu fassen vermöge. Wir übergaben unsere Tiere und gingen nach dem Grabmale. An dem Wege, welcher zu demselben führte, lag ein Springbrunnen, der von Platten eingefaßt war. Auf einer derselben saß Mir Scheik Khan und sprach mit einer Anzahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Entfernung vor ihm standen.



»Dieser Brunnen ist heilig, und nur der Mir, ich und die Priester dürfen auf diesen Steinen sitzen. Zürne also nicht, wenn du stehen mußt!« sagte Ali zu mir.



»Eure Gebräuche werde ich achten.«



Als wir uns nahten, gab der Khan den Umstehenden ein Zeichen, worauf sie Platz machten, so daß wir zu ihm kommen konnten. Er erhob sich, kam uns einige Schritte entgegen und reichte uns die Hände.



»Willkommen bei eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu meiner Rechten und Linken!«



Er deutete dem Bey zur Linken, sodaß mir die rechte Seite übrig blieb. Ich setzte mich auf die geheiligten Steine, ohne daß ich bei einem der Anwesenden den geringsten Verdruß darüber bemerkt hätte. Wie sehr stach ein solches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei den Mohammedanern zu beobachten hat.



»Hast du mit dem Häuptling gesprochen?« fragte der Khan.



»Ja. Es ist alles in der besten Ordnung. Hast du den Pilgern bereits eine Mitteilung gemacht?«



»Nein.«



»So wird es Zeit sein, daß die Leute sich versammeln. Gib den Befehl dazu!«



»Ich bin der Regent des Glaubens, und alles andere ist deine Sache. Ich werde dir den Ruhm, die Gläubigen beschützt und die Feinde besiegt zu haben, niemals verkürzen.«



Auch dies war eine Bescheidenheit, welche bei den mohammedanischen Imams niemals zu finden ist. Ali Bey erhob sich und schritt von dannen. Während ich mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung unter den Pilgern, welche mit jeder Minute größer wurde. Die Frauen blieben an ihren Plätzen stehen, die Kinder ebenso; die Männer aber stellten sich am Bache entlang auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige und Ortschaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, der ihnen die Absichten des Mutessarif von Mossul bekannt machte. Dabei herrschte eine Ruhe, eine Ordnung, wie bei der Parade einer europäischen Truppe, ganz verschieden von dem lärmenden Durcheinander, welches man sonst bei orientalischen Kriegern zu sehen und zu hören gewohnt ist. Nach einiger Zeit, in welcher die Anführer den Ihrigen die Mitteilung und die Befehle des Bey überbracht hatten, ging die Versammlung ohne Unordnung wieder auseinander, und ein jeder begab sich an den Platz, den er vorher inne gehabt hatte.



Ali Bey kam zu uns zurück.



»Was hast du befohlen?« fragte der Khan.



Der Gefragte streckte den Arm aus und deutete auf einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad emporstiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.



»Siehe, das sind Krieger aus Aïram, Hadschi Dsho und Schura Khan, welche diese Gegend sehr gut kennen. Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri hin habe ich Wachen stehen, so daß es ganz unmöglich ist, uns zu überraschen. Bis es Nacht wird, ist noch drei Stunden Zeit, und das genügt, um alles Ueberflüssige nach dem Tale Idiz zu bringen. Die Männer werden aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen.«



»Werden sie bei dem Beginne der heiligen Handlungen zurückgekehrt sein?«



»Ja; das ist sicher.«



»So mögen sie gehen!«



Nach einiger Zeit schritt ein sehr, sehr langer Zug von Männern, welche Tiere mit sich führten oder verschiedene Habseligkeiten trugen, an uns vorüber, wo sie, immer einer nach dem andern, hinter dem Grabmale verschwanden. Dann kamen sie über demselben auf einem Felsenpfade wieder zum Vorschein, und man konnte von unserem Sitz aus ihren Weg verfolgen, bis derselbe oben in den hohen dichten Wald verlief.



Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl einzunehmen. Nach demselben trat der Baschi-Bozuk zu mir.



»Herr, ich muß dir etwas sagen!«



»Was?«



»Uns droht eine große Gefahr!«



»Ah! Welche?«



»Ich weiß es nicht; aber diese Teufelsmänner haben mich seit einer halben Stunde mit Augen angesehen, welche ganz fürchterlich sind. Es sieht grad so aus, als ob sie mich töten wollten!«



Da der Buluk Emini seine Uniform trug, so konnte ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten Dschesidi sehr leicht erklären; doch war ich vollständig überzeugt, daß ihm nichts geschehen werde.



»Das ist schlimm!« meinte ich. »Wenn sie dich töten, wer wird dann den Schwanz deines Esels bedienen?«



»Herr, sie werden den Esel auch mit erstechen! Hast du nicht gesehen, daß sie die meisten Büffel und Schafe, die vorhanden sind, bereits getötet haben?«



»Dein Esel ist sicher, und du bist es auch. Ihr gehört zusammen, und man wird euch nicht auseinanderreißen.«



»Versprichst du mir dies?«



»Ich verspreche es dir!«



»Aber ich hatte Angst, als du vorhin abwesend warst. Gehst du wieder fort von hier?«



»Ich werde bleiben; aber ich befehle dir, stets hier im Hause zu sein und dich nicht unter die Dschesidi zu mischen, sonst ist es mir unmöglich, dich zu beschützen!«



Er ging, halb und halb getröstet, von dannen, der Held, den der Mutessarif mir zu meinem Schutze mit gegeben hatte. Aber es kam auch noch von einer andern Seite eine Warnung: Halef suchte mich auf.



»Sihdi, weißt du, daß es Krieg geben wird?«



»Krieg? Zwischen wem?«



»Zwischen den Osmanly und den Teufelsleuten.«



»Wer sagte es?«



»Niemand.«



»Niemand? Du hast doch wohl gehört, was wir heute früh in Baadri bereits davon gesprochen haben?«



»Nichts habe ich gehört, denn ihr spracht türkisch, und diese Leute sprechen die Sprache so aus, daß ich sie nicht verstehen kann. Aber ich sah, daß es eine große Versammlung gab und daß nach derselben alle Männer die Waffen untersuchten. Nachher haben sie ihre Tiere und Güter fort geschafft, und als ich zu Scheik Mohammed Emin hinauf auf die Plattform kam, war er beschäftigt, die alte Ladung aus seinen Pistolen zu nehmen, um sie gegen eine neue zu vertauschen. Sind dies nicht genug Zeichen, daß man eine Gefahr erwartet?«



»Du hast recht, Halef. Morgen früh beim Anbruch des Tages werden die Türken von Baadri und auch von Kaloni her über die Dschesidi herfallen.«



»Und das wissen die Dschesidi?«



»Ja.«



»Wie hoch zählen die Türken?«



»Fünfzehnhundert Mann.«



»Es werden viele von ihnen fallen, da ihr Plan verraten ist. Wem wirst du helfen, Sihdi, den Türken oder den Dschesidi?«



»Ich werde gar nicht kämpfen.«



»Nicht?« erwiderte er getäuscht. »Darf ich nicht?«



»Wem willst du helfen?«



»Den Dschesidi.«



»Ihnen, Halef? Ihnen, von denen du glaubtest, daß sie dich um das Paradies bringen würden?«



»O Sihdi, ich kannte sie nicht; jetzt aber liebe ich sie.«



»Aber es sind Ungläubige!«



»Hast du selbst nicht stets jenen geholfen, die gut waren, ohne zu fragen, ob sie an Allah oder an einen andern Gott glauben?«



Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen wollen, und jetzt sah ich zu meiner großen Freude, daß er sein Herz für ein ganz und gar christliches Gefühl geöffnet hatte. Ich antwortete ihm:



»Du wirst bei mir bleiben!«



»Während die andern kämpfen und tapfer sind?«



»Es wird sich für uns vielleicht Gelegenheit finden, noch tapferer und mutiger zu sein, als sie.«



»So bleibe ich bei dir. Der Buluk Emini auch?«



»Auch er.«



Ich stieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Mohammed Emin.



»Hamdullillah, Preis sei Gott, daß du kommst!« sagte er. »Ich habe mich nach dir gesehnt wie das Gras nach dem Tau der Nacht.«



»Du bist stets hier oben geblieben?«



»Stets. Es soll mich niemand erkennen, weil ich sonst verraten werden möchte. Was hast du neues erfahren?«



Ich teilte ihm alles mit. Als ich geendet hatte, deutete er auf seine Waffen, welche vor ihm lagen.



»Wir werden sie empfangen!«



»Du wirst dieser Waffen nicht bedürfen.«



»Nicht? Soll ich mich und unsere Freunde nicht verteidigen?«



»Sie sind stark genug. Willst du vielleicht in die Hände der Türken, denen du kaum entgangen bist, fallen, oder soll dich eine Kugel, ein Messerstich treffen, damit dein Sohn noch länger in der Gefangenschaft von Amadijah schmachtet?«



»Emir, du sprichst wie ein kluger, aber nicht wie ein tapferer Mann!«



»Scheik, du weißt, daß ich mich vor keinem Feinde fürchte; es ist nicht die Angst, welche aus mir spricht. Ali Bey hat von uns verlangt, daß wir uns vor dem Kampfe hüten sollen. Er hegt übrigens die Ueberzeugung, daß es gar nicht zum Kampfe kommen werde, und ich bin ganz derselben Meinung wie er.«



»Du denkst, die Türken ergeben sich ohne Widerstand?«

 



»Wenn sie es nicht tun, so werden sie zusammen geschossen.«



»Die Offiziere der Türken taugen nichts, aber die Soldaten sind tapfer. Sie werden die Höhen stürmen und sich befreien.«



»Fünfzehnhundert gegen vielleicht sechstausend Mann?«



»Wenn es gelingt, sie zu umzingeln!«



»Es wird gelingen.«



»So müssen wir also mit den Frauen nach dem Tale Idiz gehen?«



»Du ja.«



»Und du?«



»Ich werde hier zurückbleiben.«



»Allah kerihm! Wozu? Das würde dein Tod sein!«



»Das glaube ich nicht. Ich bin im Giölgeda padischahnün, besitze die Empfehlungen des Mutessarif und habe einen Buluk Emini bei mir, dessen Anwesenheit schon genügend wäre, mich zu schützen.«



»Aber was willst du hier tun?«



»Unheil vermeiden, wenn es möglich ist.«



»Weiß Ali Bey davon?«



»Nein.«



»Oder der Mir Scheik Khan?«



»Auch nicht. Sie erfahren es noch immer zur rechten Zeit.«



Ich hatte wirklich große Mühe, den Scheik zur Billigung meines Vorhabens zu überreden. Endlich aber gelang es mir.



»Allah il Allah! Die Wege des Menschen sind im Buche vorgeschrieben,« meinte er; »ich will dich nicht bewegen, von diesem Vorhaben abzulassen, aber ich werde hier bei dir bleiben!«



»Du? Das geht nicht!«



»Warum?«



»Sie dürfen dich nicht finden.«



»Dich auch nicht.«



»Ich habe dir bereits auseinandergesetzt, daß ich keine Gefahr laufe; dich aber, wenn du erkannt wirst, erwartet ein anderes Los.«



»Das Ende des Menschen steht im Buche verzeichnet. Soll ich sterben, so muß ich sterben, und dann ist es gleich, ob es hier geschieht oder dort in Amadijah.«



»Du willst in dein Unglück rennen, aber du vergissest, daß du auch mich darein verwickelst.«



Dies schien mir der einzige Weg, seiner Hartnäckigkeit beizukommen.



»Dich? Wieso?« fragte er.



»Bin ich allein hier, so schützen mich meine Firmans; finden sie aber dich bei mir, den Feind des Mutessarif, den entflohenen Gefangenen, so habe ich diesen Schutz verloren und verwirkt. Dann sind auch wir verloren, du und ich, alle beide!«



Er blickte nachdenklich vor sich nieder. Ich sah, was sich in ihm gegen den Rückzug nach dem Tale Idiz sträubte, aber ich ließ ihm Zeit, einen Entschluß zu fassen. Endlich sagte er mit halber, unsicherer Stimme:



»Emir, hältst du mich für einen Feigling?«



»Nein. Ich weiß ja, daß du tapfer und furchtlos bist.«



»Was wird Ali Bey denken?«



»Er denkt ganz so wie ich, ebenso Mir Scheik Khan.«



»Und die andern Dschesidi?«



»Sie kennen deinen Ruhm und wissen, daß du vor keinem Feinde fliehest. Darauf kannst du dich verlassen!«



»Und wenn man an meinem Mute zweifeln sollte, wirst du mich verteidigen? Wirst du öffentlich sagen, daß ich mit den Frauen nach Idiz gegangen bin, nur um dir zu gehorchen?«



»Ich werde es überall und öffentlich sagen.«



»Nun wohl, so werde ich tun, was du mir vorgeschlagen hast!«



Er schob resigniert die Flinte von sich fort und wendete sein Angesicht wieder dem Tale zu, das sich bereits in den Schatten des Abends zu hüllen begann.



Gerade jetzt kamen die Männer zurück, welche vorher nach Idiz gegangen waren. Sie bildeten einen Zug einzelner Personen, der sich im Tale vor uns auflöste.



Da erscholl vom Grabe des Heiligen her eine Salve, und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den Worten:



»Es beginnt die große Feier am Grabe. Es ist noch nie ein Fremder dabei zugegen gewesen, aber der Mir Scheik Khan hat mir im Namen aller Priester die Genehmigung erteilt, euch einzuladen.«



Das war nun allerdings eine sehr hohe Ehre für uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte sie ab:



»Ich danke dir, Herr; aber es ist dem Moslem verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zugegen zu sein.«



Er war ein Moslem; aber er hätte diese Abweisung doch in andre Worte kleiden können. Er blieb zurück, und ich folgte dem Bey.



Als wir aus dem Hause traten, bot sich uns ein seltsamer, unbeschreiblich schöner Anblick dar. So weit das Tal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen, am Wasser unten und auf jedem Felsen in der Höhe, um die Häuser herum und auf den Plattformen derselben. Das regste Leben aber herrschte am Grabmale des Heiligen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den innern Hof. An diesem Lichte zündeten die Scheiks und Kawals ihre Lampen an; von diesen liehen wieder die Fakirs ihre Flammen, und nun traten sie alle heraus in das Freie, und Tausende strömten herbei, um sich an den heiligen Feuern zu reinigen.



Wer den Lichtern der Priester nahe zu kommen vermochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derselben und bestrich dann mit dieser Hand die Stirn und die Gegend des Herzens. Männer strichen dann zum zweitenmal durch die Flamme, um den Segen derselben ihren Frauen zu bringen. Mütter taten ganz dasselbe für ihre Kinder, welche nicht die Kraft besaßen, durch die dichte Menge zu dringen. Und dabei herrschte ein Jubel, eine Freude, die gar nichts Anstößiges hatte.



Auch das Heiligtum wurde illuminiert. In jede der zahlreichen Mauernischen kam eine Lampe zu stehen, und über die Höfe hinweg zogen sich lange Girlanden von Lampen und Flammen. Jeder Zweig der dort befindlichen Bäume schien der Arm eines riesigen Leuchters zu sein, und Hunderte von Lichtern liefen an den beiden Türmen bis zu den Spitzen derselben empor, zwei riesige Girandolen bildend, deren Anblick ein zauberischer war.



Die Priester hatten jetzt, zwei Reihen bildend, im inneren Hofe Platz genommen. Auf der einen Seite saßen die Scheiks in ihren weißen Anzügen und ihnen gegenüber die Kawals. Diese letzteren hatten Instrumente in der Hand, abwechselnd je einer eine Flöte und der andere ein Tamburin. Ich saß mit Ali Bey unter der Rebenlaube. Wo Mir Scheik Khan war, konnte ich nicht bemerken.



Da ertönte aus dem Innern des Grabes ein Ruf, und die Kawals erhoben ihre Instrumente. Die Flöten begannen eine langsame, klagende Melodie zu spielen, wozu ein leiser Schlag auf das Tamburin den Takt angab. Dann folgte plötzlich ein lang ausgehaltener viertöniger Akkord; ich glaube, es war ein Terzquartsextakkord, zu welchem auf den Tamburins mit den Fingerspitzen getrillert wurde, erst pianissimo, dann piano, stärker, immer stärker bis zum Fortissimo, und dann fielen die Flöten in ein zweistimmiges Tonstück ein, für welches keiner unserer musikalischen Namen paßt, dessen Wirkung aber doch eine sehr angenehme und befriedigende war.



Am Schlusse dieses Stückes trat Mir Scheik Khan aus dem Innern des Gebäudes heraus. Zwei Scheiks begleiteten ihn. Der eine trug ein hölzernes Gestell vor ihm her, das einem Notenpulte glich; dieses wurde in die Mitte des Hofes gesetzt. Der andere trug ein kleines Gefäß mit Wasser und ein anderes, offenes, rundes, worin sich eine brennende Flüssigkeit befand. Diese beiden Gefäße wurden auf das Pult gestellt, zu dem Mir Scheik Khan trat.



Er gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die Musik von neuem begann. Sie spielte eine Einleitung, nach welcher die Priester mit einer einstimmigen Hymne einfielen. Leider konnte ich mir ihren Inhalt nicht notieren, da dies aufgefallen wäre, und der eigentliche Wortlaut ist meinem Gedächtnisse entschwunden. Sie war in arabischer Sprache verfaßt und forderte zur Reinheit, zum Glauben und zur Wachsamkeit auf.



Nach derselben hielt Mir Scheik Khan eine kurze Ansprache an die Priester. Er schilderte in kurzen Worten die Notwendigkeit, seinen Wandel von jeder Sünde rein zu halten, Gutes zu tun an allen Menschen, seinem Glauben stets treu zu bleiben und ihn gegen alle Feinde zu verteidigen.



Dann trat er zurück und setzte sich zu uns unter den Weinstock. Jetzt brachte einer der Priester einen lebenden Hahn herbei, der mittels einer Schnur an das Pult befestigt wurde; zur Linken von ihm wurde das Wasser und zur Rechten das Feuer gestellt.



Die Musik begann wieder. Der Hahn hockte in sich gekehrt am Boden; die leisen Klänge der Flöten schien er gar nicht zu beachten. Da wurden die Töne stärker, und er lauschte. Den Kopf aus dem Gefieder ziehend, blickte er sich mit hellen, klugen Augen im Kreise um und bemerkte dabei das Wasser. Schnell fuhr er mit dem Schnabel in das Gefäß, um zu trinken. Dieses freudige Ereignis wurde durch ein helles, jubelndes Zusammenschlagen der Tamburins verkündet. Dies schien das musikalische Interesse des Tieres zu erregen. Der Hahn krümmte den Hals und horchte aufmerksam. Dabei bemerkte er, daß er sich in einer gefahrvollen Nähe der Flamme befand. Er wollte sich zurückziehen, konnte aber nicht, da er festgehalten wurde. Darüber ergrimmt, richtete er sich auf und stieß ein lautes »Kik-ri-kih!« hervor, in welches die Flöten und Tamburins einfielen. Dies schien in ihm die Ansicht zu erwecken, daß man es auf einen musikalischen Wettstreit abgesehen habe. Er wandte sich mutig gegen die Musikanten, schlug die Flügel und schrie abermals. Er erhielt dieselbe Antwort, und so entwickelte sich ein Tongefecht, welches den Vogel schließlich so erzürnte, daß er unter einem wütenden Gallicinium sich losriß und in das Innere des Grabes floh.



Die Musik begleitete diese Heldentat mit dem allerstärksten Fortissimo; die Stimmen der Priester fielen jubelnd ein, und nun folgte ein Finale, welches allerdings ganz geeignet war, sowohl die Musikanten als auch die Sänger zu ermüden. Am Schluß des Stückes küßten die Kawals ihre Instrumente.



Sollte dieses laute, stürmische Finale auf irgend eine Weise einmal Gelegenheit gegeben haben, die Dschesiden mit den unlautern Cheragh Sonderan, oder wie es in kurdischer Sprache lautet, Tscherah sonderahn

1


  Lichtauslöscher.



 zu verwechseln? Das religiöse Gefühl eines Christen sträubt sich allerdings gegen die Vorführung dieses Vogels, aber etwas Immoralisches habe ich dabei nicht beobachten können.



Jetzt sollte der Verkauf der Kugeln erfolgen, von denen ich bereits gesprochen habe. Vorher aber traten die Priester herbei und machten Ali Bey und mir ein Geschenk davon. Er erhielt sieben und ich sieben. Sie waren vollständig rund und mit einem arabischen Worte versehen, das man mit einem spitzigen Instrumente eingegraben hatte. Von meinen sieben Kugeln zeigten vier das Wort »El Schems«, die Sonne.



Der Verkauf fand im äußeren Hofe statt, während im Innern des ummauerten Raumes die Instrumente und der Gesang noch ertönten. Ich verließ das Heiligtum. Ich dachte, daß das Tal von der Höhe aus einen wundervollen Anblick bieten müsse, und ging, um mir Halef zur Begleitung zu holen. Ich fand ihn auf der Plattform des Hauses bei dem Buluk Emini sitzen. Sie schienen sich in einem sehr animierten Gespräch zu befinden, denn ich hörte ihn sagen:



»Was? Ein Russe wäre es gewesen?«



»Ja, ein Russikow, dem Allah den Kopf abschneiden möge; denn wenn er nicht gewesen wäre, so hätte ich meine Nase noch! Ich haute wie wütend um mich; dieser Kerl aber holte nach meinem Kopfe aus; ich wollte ausweichen und trat zurück. Der Hieb, welcher den Kopf treffen sollte, traf bloß die – — —«



»Hadschi Halef!« rief ich.



Es machte mir wirklich Spaß, die berühmte Geschichte von der Nase auch einmal unterbrechen zu können. Die beiden sprangen auf und traten auf mich zu.



»Du sollst mich begleiten, Halef; komm!«



»Wohin, Sihdi?«



»Dort hinauf zur Höhe, um zu sehen, wie sich die Illumination des Tales ausnimmt.«



»O Emir, laß mich mit dir gehen!« bat Ifra.



»Ich habe nichts dagegen. Vorwärts!«



Wir stiegen die nach Baadri zu gelegene Höhe hin an. Ueberall trafen wir Männer, Frauen und Kinder mit Fackeln und Lichtern, und von allen wurden wir mit einer wirklich kindlichen Freude begrüßt und angeredet. Als wir die Höhe erreichten, bot sich uns ein geradezu unbeschreiblicher Anblick dar. Mehrere der Dschesidi waren uns gefolgt, um uns zu leuchten: ich aber bat sie, zurückzugehen oder ihre Fackeln zu verlöschen. Wer den Genuß vollständig haben wollte, mußte sich selbst im Dunkeln befinden.



Da unten im Tale flutete Flamme an Flamme. Tausend leuchtende Punkte kreuzten, hüpften und schlüpften, tanzten, schossen und flogen durcheinander, klein, ganz klein tief unten, je näher aber zu uns, desto größer werdend. Das Heiligtum wallte förmlich von Glanz und Licht, und die beiden Türme leckten empor in das Dunkel der Nacht wie flammende Hymnen. Dazu ertönte von unten herauf zu uns das dumpfe Wogen und Brausen der Stimmen, oft unterbrochen von einem lauten, nahen Jubelrufe. Ich hätte stundenlang hier stehen und mich an diesem Anblicke weiden und ergötzen können.

 



»Was ist das für ein Stern?« ertönte da neben mir eine Frage in kurdischer Sprache.



Einer der Dschesidi hatte sie ausgesprochen.



»Wo?« fragte ein anderer.



»Siehe die Rea kadisahn

2


  Milchstraße.



 da rechts!«



»Ich sehe sie.«



»Unter ihr flammte ein heller Stern auf. Jetzt wieder! Siehst du ihn?«



»Ich sah ihn. Es ist der Kjale be scheri

3


  Wörtlich: der Alte ohne Kopf (große Bär.).





Die vier Sterne, welche in unserm Sternbilde den Rücken des Bären bilden, heißen nämlich bei den Kurden »der Alte«. Sie meinen, daß sein Kopf hinter einer benachbarten Sternengruppe versteckt sei. Die drei Sterne, welche bei uns den Schwanz des großen Bären bilden (oder die Deichsel des »Wagens«, wie dieses Sternbild auch genannt wird), heißen bei ihnen die »zwei Brüder und die blinde Mutter des Alten«.



»Der Kjale be scheri? Der hat doch vier Sterne!« meinte der erste Frager. »Es wird Kumikji schiwan

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  Venus.



 sein.«



»Der steht höher. Jetzt leuchtet es wieder. Ah, wir sind irr; es ist ja im Süden! Es wird Meschin

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  Waage.



 sein.«



»Meschin hat auch mehrere Sterne. Was meinst du, Herr, daß es ist?«



Diese Frage war an mich gerichtet. Mir schien das Phänomen auffällig.



Die Fackeln und Lichter unter uns warfen einen Schein in die Höhe, der es uns unmöglich machte, die Sterne genau zu erkennen. Der Glanz aber, welcher von Zeit zu Zeit da drüben aufblitzte, um sofort wieder zu verschwinden, war intensiv. Er glich einem Irrlichte, das plötzlich aufleuchtete und augenblicklich wieder verlöschte. Ich beobachtete noch eine Weile und wandte mich dann zu Halef:



»Hadschi Halef, eile sofort hinab zu Ali Bey und sage ihm, daß er sehr schnell zu mir heraufkommen möge! Es handle sich um etwas Wichtiges.«



Der Diener verschwand mit schnellen Schritten, und ich trat noch eine Strecke weiter vor, teils, um den vermeintlichen Stern besser beobachten zu können, teils auch, um allen weiteren Fragen zu entgehen.



Glücklicherweise hatte Ali Bey gehört, daß ich heraufgegangen sei, und den Entschluß gefaßt, mir zu folgen. Halef traf ihn eine nur kleine Strecke unter uns und brachte ihn zu mir.



»Was willst du mir zeigen, Emir?«



Ich streckte den Arm aus.



»Blicke fest dorthin! Du wirst einen Stern aufblitzen sehen. Jetzt!«



»Ich sehe ihn.«



»Er ist wieder fort. Kennst du ihn?«



»Nein. Er liegt sehr tief und gehört zu keinem Bilde.«



Ich trat an einen Busch und schnitt einige Ruten ab. Die eine davon steckte ich in die Erde und stellte mich dann einige Schritte vorwärts von ihm auf.



»Kniee genau hinter dieser Rute nieder. Ich werde in der Richtung in welcher der Stern wieder blitzt, eine zweite aufstecken. – Sahst du ihn jetzt?«



»Ja. Ganz deutlich.«



»Wohin soll die Rute? Hierher?«



»Einen Fußbreit weiter nach rechts.«



»Hierher?«



»Ja; das ist genau.«



»So! Nun beobachte weiter!«



»Jetzt sah ich ihn wieder!« meinte er nach einer kleinen Weile.



»Wo? Ich werde eine dritte Rute stecken.«



»Der Stern war nicht am alten Platze. Er war viel weiter links.«



»Wie weit? Sage es!«



»Zwei Fuß von der vorigen Rute.«



»Hier?«



»Ja.«



Ich steckte die dritte Rute ein, und Ali Bey beobachtete weiter.



»Jetzt sah ich ihn wieder,« meinte er bald.



»Wo?«



»Nicht mehr links, sondern rechts.«



»Gut! Das war es, was ich dir zeigen wollte. Jetzt magst du dich wieder erheben.«



Die andern hatten meinem sonderbaren Gebaren mit Verwunderung zugesehen, und auch Ali Bey konnte den Grund desselben nicht einsehen.



»Warum lässest du mich dieses Sternes wegen rufen?«



»Weil es kein Stern ist!«



»Was sonst? Ein Licht?«



»Nun, wenn es nur ein Licht wäre, würde es schon merkwürdig sein; aber es ist eine ganze Reihe von Lichtern.«



»Woraus vermutest du dies?«



»Ein Stern kann es nicht sein, weil es tiefer steht, als die Spitze des Berges, der dahinter liegt. Und daß es mehrere Lichter sind, hast du ja aus dem Experimente gesehen, das wir vorgenommen haben. Da drüben gehen oder reiten viele Leute mit Fackeln oder Laternen, von denen zuweilen die eine oder die andere herüberblitzt.«



Der Bey stieß einen Ausruf der Verwunderung aus.



»Du hast recht, Emir!«



»Wer mag es sein?«



»Pilger sind es nicht, denn diese würden auf dem Wege von Baadri nach Scheik Adi kommen.«



»So denke an die Türken!«



»Herr! Wäre es möglich?«



»Das weiß ich nicht, denn diese Gegend ist mir unbekannt. Beschreibe sie mir, Bey!«



»Hier grad aus geht der Weg nach Baadri, und hier weiter links der nach Aïn Sifni. Teile diesen Weg in drei Teile; gehe das erste Drittel, so hast du diese Lichter dann dir zur Linken nach dem Wasser zu, welches von Scheik Adi kommt.«



»Kann man am Wasser entlang reiten?«



»Ja.«



»Und auf diese Weise nach Scheik Adi kommen?«



»Ja.«



»So ist ein großer, ein sehr großer Fehler vorgekommen!«



»Welcher?«



»Du hast Vorposten gestellt nach Baadri und Kaloni hin, aber nicht nach Aïn Sifni zu.«



»Dorther werden die Türken nicht kommen. Die Leute von Aïn Sifni würden es uns verraten.«



»Aber wenn die Türken nicht nach Aïn Sifni gehen, sondern bei Dscheraijah den Khausser überschreiten und dann zwischen Aïn Sifni und hier das Tal zu erreichen suchen? Mir scheint, sie würden dann dieselbe Richtung nehmen, in der sich dort jene Lichter bewegen. Siehe, sie sind bereits wieder nach links vorgerückt!«



»Emir, deine Vermutung ist vielleicht die richtige. Ich werde sofort mehrere Wachen vorschicken!«



»Und ich werde mir einmal diese Sterne näher betrachten. Hast du einen Mann, der diese Gegend genau kennt?«



»Niemand kennt sie besser als Selek.«



»Er ist ein guter Reiter; er soll mich führen!«



Wir stiegen so schnell wie möglich hinab. Der letztere Teil der Unterredung war von uns leise geführt worden, so daß niemand, und besonders auch der Baschi-Bozuk nicht, etwas davon vernommen hatte. Selek war bald gefunden; er erhielt ein Pferd und nahm seine Waffen zu sich. Auch Halef mußte mit. Ich konnte mich auf ihn mehr als auf jeden Andern verlassen. Zwanzig Minuten später, nachdem ich den Stern zuerst gesehen hatte, jagten wir auf dem Wege nach Aïn Sifni dahin. Auf der nächsten Höhe blieben wir halten. Ich musterte das Halbdunkel vor uns und sah endlich das Aufleuchten wieder. Ich machte Selek auf dasselbe aufmerksam.



»Emir, das ist kein Stern, das sind auch keine Fackeln, denn diese würden einen umfangreicheren Schein verbreiten. Das sind Laternen.«



»Ich muß hart an sie heran. Kennst du die Gegend genau?«



»Ich werde dich führen; ich kenne jeden Stein und jeden Strauch. Halte dich nur hart hinter mir, und nimm dein Pferd stets hoch!«



Er wandte sich von dem Wasser nach rechts, und nun ging es über Stock und Stein im Trabe vorwärts. Es war ein sehr böser Ritt, aber bereits nach einer reichlichen Viertelstunde konnten wir genau mehrere Lichter unterscheiden. Und nach einer zweiten Viertelstunde, während welcher uns dieselben hinter einem vor uns liegenden Bergrücken verschwunden waren, langten wir au