Der Samiel - Frühfassung

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Der Samiel - Frühfassung
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

KARL MAY
DER SAMIEL

(FRÜHFASSUNG)

ERZGEBIRGISCHE

DORFGESCHICHTE

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 43

„AUS DUNKLEM TANN“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1337-2

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

DER SAMIEL

Der „Samiel“.

DER SAMIEL

Diese Erzählung Karl Mays ist eine Vorstufe zur späteren Fassung, die der Dichter in seinen Roman Der Weg zum Glück einschaltete (Teil 2 von Band 68 GW, Der Wurzelsepp). Die Wiedergabe der Urform erfolgte in der Druckausgabe von Aus dunklem Tann als Faksimile der einzig bekannten Veröffentlichung, die in Das Buch für Alle – Illustrierte Zeitung zur Belehrung und Unterhaltung. Chronik der Gegenwart, 13. Jahrgang 1878, Heft 8, im Verlag von Hermann Schönlein, Stuttgart, herausgegeben wurde. Für die hiesige E-Book-Ausgabe wurde der Text – unter Beibehaltung der alten Rechtschreibung und aller orthografischen Eigenheiten des Erstdrucks – neu erfasst.

Sicherlich ist das Erscheinungsjahr 1878 nicht auch die Zeit der Entstehung. Die im selben Jahr anderswo veröffentlichten Erzgebirgischen Dorfgeschichten, zum Beispiel Der Teufelsbauer oder Der Herrgottsengel, ferner auch Reiseerzählungen, tragen Merkmale einer schriftstellerischen Fertigkeit, die hier noch fehlt.

Doch gerade darum ist der Samiel ein interessantes poetisches und psychologisches Dokument, das Einblick gibt in Mays Entwicklung. Die Art des Vortrags, das unbekümmerte Draufloserzählen, das warmherzige Gefühl, die schriftstellerische Unverdorbenheit, die manchmal rührende Naivität gegenüber dem Leben und der Umwelt, der unbestechlich klare Beobachterblick, die unverbrauchte Leidenschaft und der knappe, präzise Dialog, der ohne Umschweife das Wesentliche sagt: Das alles sind Merkmale eines in seiner Art genialen Naturtalents.

Der unveränderte Neudruck ermöglicht es, diese Erzählung innerhalb ihrer Zeit zu betrachten. Geschmack und Stil der Epoche äußern sich genauso wie die Schreibart vor der Rechtschreibungsreform, die in Karl Mays Heimat Sachsen 1899 verbindlich wurde. Insbesondere aber zeigt der Text Empfindungen und Hemmungen, Beziehungen zu Landschaft und Leben – er vermittelt einen Einblick in eine vergangene Zeit. Dies ist der Vorzug einer solchen Wiedergabe. Und nicht ohne Bewegung liest man diese Urform der Geschichte vom Samiel, dem geheimnisvollen Wilderer.

Der Herausgeber

Der „Samiel“.

Eine Erzählung aus dem Erzgebirge

von

Karl May.

1.

Der Blößenförster befand sich in einer fürchterlichen Aufregung. Gestern Abend mit der Büchse ausgegangen, war er erst jetzt am Spätnachmittage ohne dieselbe nach Hause gekommen, hatte das bereitstehende Mahl nicht angerührt und ging mit raschen, energischen Schritten, zornig gestikulierend und in kräftigen Ausdrücken seinem Grimme Luft machend, im Zimmer auf und ab.

„Nein, so etwas ist wahrhaftig unerhört, ist noch nimmer dagewesen, ist eigentlich reinweg unmöglich! Hier ist ja kein Mensch, kein Wild und keine Fliege mehr sicher; Alles putzt er weg, der verwünschte Wilderer, der ‚Samiel‘, wie sie ihn überall nennen, und ich kann mir die Füße ablaufen, mich Tag und Nacht auf die Lauer legen, – ich erwische ihn doch nicht, ja, ich bekomme ihn gar nicht einmal zu sehen!“

Die beiden Frauen, welche in der Fensternische saßen, beobachteten ein sorgfältiges Schweigen; sie wußten, daß jeder Versuch, ihn zu beruhigen, seinen Ärger nur steigern werde.

„Und was das Schlimmste ist,“ fuhr der Zornige fort, „ganz allein mein Revier wird von ihm heimgesucht; die Nachbarn verschont er ganz und gar, sie stehen an der Grenze, stecken die Hände in die Hosen und lachen mich aus über die Vorwürfe, welche ich fast Tag für Tag zu hören bekomme. Erst gestern war der Oberförster hier und meinte endlich, wenn das nicht anders werde, so müsse ein Mann her, der sich besser auf die Forstpolizei verstehe als ich. Ist das nicht gleich zum Närrischwerden? Schießt mir dieser Kerl noch so einen der seltenen Zwölfender weg, wie heute Nacht, so fahre ich aus der Haut!“

Er zog das blauleinene Sacktuch aus der Tasche und wischte sich die glühende Stirne.

„Da höre ich heut Nacht, während ich draußen umherspürte, einen Schuß; ich stürme so schnell durch die Büsche, daß mir die Äste das Gesicht wund schlagen, und sehe auf der freien Stelle am Waldwasser den schönsten Zwölfer liegen. Der Mond scheint hell vom Himmel, damit ich ja alles deutlich sehen und mich gehörig ärgern soll, aber den, der geschossen hat, den erblicke ich nicht. Plötzlich erhalte ich einen Schlag über den Kopf, daß mir die Sinne vergehen, und als ich wieder aufwache, bin ich an den Baum gebunden, der Zwölfer liegt noch an seinem Platze, aber meine Büchse ist fort. So eine Schande! Ich hätte mich selbst ohrfeigen können, wenn die Hände dazu frei gewesen wären. Rufen durfte ich nicht, sonst war ich ja blamiert für alle Zeit und Ewigkeit, und so blieb ich den ganzen Tag am Baume, bis es mir vorhin endlich gelang, mich loszureißen. Und als ich nachher in die Tasche greife, steckt ein Zettel darin mit der Quittung für die Büchse und der Bemerkung, daß mein Nachfolger sie zum Angebinde erhalten solle, sobald ich von der Stelle gejagt worden sei. Das muß man erleben, ohne vor Wuth gleich zu zerplatzen! Ich habe stets meine Pflicht gethan, jetzt thue ich fast noch mehr, fast über die Gebühr, und doch muß ich von der Stelle, wenn ich den Samiel nicht erwische, der mir den Wildstand freventlich zu Grunde richtet und wie ein Geist niemals zu treffen und zu greifen ist!“

Er riß ein altes, sichtlich wenig in Gebrauch gewesenes Gewehr von der Wand und stieß es mit dem Kolben auf den Boden, daß die Diele krachte.

„Meine Büchse ist fort; nun nehme ich diese hier. Sie stammt vom vorigen Förster, dem Vater der Wiesenbäuerin, der auch aus dem Dienst gemußt hat, aber wegen Unterschlagung und derartiger Dinge. Die Bäuerin hat gar oft daraus geschossen, als sie noch ledig war, und sie aus Impertinenz hier hängen lassen‚ ‚damit ich möchte’ das Schießen lernen‘, wie sie sagte. Jetzt werde ich laden, und die Kugel, die ich hineinthue, die trifft entweder den ‚Samiel‘ oder ich jage sie mir selbst durch den Kopf. Dann ist die Schande zu Ende und der Aerger auch!“

Er warf das Gewehr über die Schulter und schickte sich an, wieder fortzugehen.

„Du willst doch nicht etwas schon wieder in den Wald hinaus!“ suchte ihn die ältere der Frauen mit sanfter Mahnung zurückzuhalten. „Du bist ja soeben erst herein!“

„Freilich will ich wieder gehen! Es läßt mir weder Ruhe noch Rast, bis ich ihn fest habe und in das Gefängniß liefern kann. Habe ich nur erst das kleinste Zeichen, nur die geringste Spur von ihm, so wird er mein, und wenn er zehnmal kugelfest ist und tausendmal blauschießt, wie die Leute erzählen! Aber das ist es ja: man bekommt ihn nimmer vor das Auge und auch nichts von ihm jemals in die Hände. Alleweile nun gehe ich; lebt wohl!“

„Aber so iß doch erst, oder thu’ Dir wenigstens was in die Tasche. Du hast seit gestern nichts genossen; wer soll das aushalten bei den Strapazen im tiefen Forst!“

„Nein, laßt mich gehn! Ich werde weder essen noch trinken, bis ich ihn habe, das will ich gleich hoch und theuer verschwören und geloben. Ob mich der Hunger umbringt oder die Angst und Bangigkeit um meine Stelle, das kommt am Ende doch nur auf Eins heraus!“

Er ging. Mutter und Tochter blickten ihm besorgt nach, bis er über die Blöße, auf welcher das Forsthaus lag, gegangen und sodann im Schatten der Bäume verschwunden war.

Ihr jetzt so unruhiges und schwer gewordenes Leben war früher ein durchaus glückliches gewesen und die Bewohner der Försterei lebten still und mit aller Welt in Frieden. Nur die Wiesenbäurin hatte es nie verschmerzen können, daß ihr Vater einst gezwungen gewesen war, dem jetzigen Förster Raum zu geben und aus diesem Grunde jede Gelegenheit ergriffen, dem Letzteren ihre feindselige Gesinnung an den Tag zu legen. Aber außer diesem einen Falle besaßen die braven Bewohner des Blößenhauses trotz der schwierigen Lage, in welche ein gewissenhafter Forstbeamter sich den von ihrer Armuth auf die Holzlese angewiesenen Bewohnern des Gebirges gegenüber so oft versetzt sieht, das allgemeine Wohlwollen der ganzen Umwohnerschaft. Auch in ihrem häuslichen Kreise hatten stets Liebe und Eintracht gewaltet, wenn auch der verstohlene Wunsch eines jugendlichen Herzens es zuweilen wagte, sich leise gegen den Willen des strengen Vaters aufzulehnen. Aber das hatte seit länger als nun Jahresfrist eine Aenderung erlitten.

Pauline wußte noch ganz genau den Tag, welcher der letzte frohe und glückliche gewesen war. Der Hermann war wieder einmal im Dorfe gewesen; es hatte grad „Jungferntanz“ gegeben, wobei nicht die Bursche und Männer, sondern die Mädchen und Frauen zum Tanz aufforderten. Mit Keiner hatte er getanzt, Allen hatte er es abgeschlagen, sogar der Wiesenbäuerin, der reichen, schönen Wittfrau, die, wie man wohl wußte, früher einmal ein Liebesverhältniß mit dem schmucken Buschen gehabt hatte, und darum wagte sie es auch nicht, ihn aufzufordern. Da war er plötzlich hin zu Pauline gekommen und hatte mit so tiefem, freundlichem Auge gefragt:

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?