Der Grenzmeister

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Der Grenzmeister
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KARL MAY

DER GRENZMEISTER



ERZGEBIRGISCHE

DORFGESCHICHTE



Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 43

„AUS DUNKLEM TANN“



© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1331-0



KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL






Inhalt





Der Grenzmeister







Der Grenzmeister



Es war gegen Abend. Ein Wanderer, das volle Ränzchen auf dem Rücken und den Knotenstock in der Hand, schritt jugendlich-elastischen Schritts die Bergstraße dahin, die in zahlreichen Windungen den Rücken der Höhe zu erreichen suchte. Als ein schmaler Waldpfad in die Landstraße mündete, blieb er nachdenkend stehen.



„Das muss der Steg sein, der grad auf die Forstschenk führt. Ich werde ihn gehen, denn dann schneid ich eine gute Viertelstund von der Wanderung ab.“



Er sprang über den Straßengraben und betrat den Wald, der hier frei vom Unterholz war, sodass man dem Weg, der in gerader Richtung emporstieg, gut zu folgen vermochte. So einsam es hier auf und zwischen den Bergen zu sein pflegte, nach einiger Zeit vernahm er entgegenkommende Schritte. Der biedere, treuherzige Gebirgsbewohner schreitet selbst an dem Fremden nicht gern schweigsam vorüber; er muss wenigstens einen teilnehmenden Gruß mit ihm wechseln. Der Kommende war ein alter Mann, der den steilen Abhang nur mühsam hinabzusteigen vermochte.



„Grüß Gott, Alter!“



„Grüß Gott! Wohin junger Mann?“



„Nach Gründorf hinauf.“



„Da hast noch anderthalb Stund’ zu gehen. Mach schnell, eh’ der Abend kommt, damit dir nix passiert!“



„Nix passiert? Ist denn Gefahr dabei?“



„Kann sein! Bist wohl fremd in der Gegend?“



„Ich war mehrere Jahr net hier.“



„So weißt auch nix von dem Grenzmeister?“



„Nein. Was ist mit ihm? Vor zwanzig Jahren hat er mal sein Wesen hier gehabt.“



„Und jetzt nun wieder. Die Schmuggler und Wildfänger sind ihm untertan; niemand weiß, wer er eigentlich ist; aber er macht seine Sach so schlimm und verwegen, dass der König sogar Militär hergeschickt hat, um ihn zu fangen. Beim Ulmenbauer in Gründorf liegt der Offizier.“



„Habt Dank für die Warnung! Geht dieser Steig zur Forstschenk hinauf?“



„Ja. Wirst dort Gesellschaft finden. Der Offizier sitzt da, um von dem Umgang auszuruhen, und bei ihm der blinde Torbauer aus Gründorf. Er ist in der Stadt gewesen. Kannst vielleicht noch Platz finden auf seinem Rollwägele. Gut Nacht!“



„Gut Nacht!“



Der Jüngling stieg von neuem bergauf. Nachdem er mit dem Pfad mehrere Straßenkrümmungen durchschritten hatte, stand er auf der Höhe und sah die Forstschenke vor sich liegen. Er nahte ihr von der Waldseite und trat durch die Hintertür ein, um sich von der anwesenden Wirtin ein Glas Bier geben zu lassen.



Er nahm in der Nähe des offen stehenden Fensters Platz und bemerkte einen draußen haltenden Korbwagen, an dem der teilnahmslos vor sich hinblickende Knecht lehnte. An dem vor der Tür in die Erde eingemauerten Tisch saßen die beiden, von denen der Alte gesprochen hatte. Der Leutnant war einer jener Schüler des Mars, die ihre wohlgepflegte Erscheinung für ebenso unwiderstehlich halten wie die Klinge ihres Degens; das war ihm auf den ersten Blick anzusehen. Von seinem stutzerhaften Äußeren stach die hohe, sehr einfach gekleidete Gestalt des Torbauern, aus dessen Gesicht zwei ausdruckslose Augen starrten, gewaltig ab. Sie hatten das Erscheinen des jungen Mannes nicht bemerkt und fuhren in ihrer laut gepflogenen Unterhaltung ungezwungen fort.



„Ja“, meinte der bei ihnen stehende Wirt, „Eure Red“ in allen Ehren, aber es können noch dreimal so viel Soldaten kommen, wie Ihr habt, dem Grenzmeister kommt Ihr doch net bei. Ihm ist die ganze Gegend hier untertan, davon hat er doch auch den Namen; seine eigenen Leute wissen net, wer er ist, aber gehorsam sind sie ihm auf jedes Wort und jeden Wink, denn es soll gar schrecklich sein, mit ihm Feind zu werden. Drum steht er auch sonst überall gewaltig in Respekt, sodass auch der beste Untertan net wagt, etwas gegen ihn zu tun. Wer’s dennoch unternimmt, der ist verloren. Ihr habt ja selber die Leichen gefunden von denen, die ihm in den Weg gekommen sind. Es ist gerade wie vor zwanzig Jahren. Wer ihn in Gefahr bringt, der muss sterben oder wird geblendet. Der Schubert hier kann auch ein Wörtle davon reden!“



„Wieso?“, fragte der Offizier.



„Weil gerade auch ihm der Grenzmeister das Augenlicht genommen hat.“



„Euch, Torbauer? Ist das wahr?“



„Leider!“, antwortete dieser, während halb Trauer und halb Grimm aus seiner Miene sprachen.



„Erzählt, erzählt! Das muss ich hören!“



„Ich muss Euch sagen, dass ich auch Soldat gewesen bin. Ich war Korporal und wurde nachher hier bei der Grenz in Gründorf angestellt. Der damalige Torbauer hatte das einzige Kind, die Anna, das schönste und liebste Madel weit und breit, und es dauerte net lang, war ich mit ihr eins.“



„Und du hast sie auch bekommen“, fiel der Wirt ein, „obgleich der Ulmenbauer sie dir wegschnappen wollt und ihr nachgegangen ist auf Schritt und Tritt. Er war kurz vorher aus dem Zuchthaus entlassen und wär vielleicht noch heut nix wert, wenn er die Ulmenbäuerin net bekommen hätte. Sie war Witwe, hatte nur das einzige Kind, den Heiner, und bracht ihm das Anwesen mit, das er so viel vergrößert und verschönert hat.“



„Wie! Der Ulmenbauer, bei dem ich wohne, hat im Zuchthaus gesessen?“, fragte der Offizier überrascht.



„Ja“, antwortete der Wirt mit zweideutigem Lächeln, „aber er wird’s Euch nicht gesagt haben. Er war auch an der Grenze angestellt; aber es kam heraus, dass er’s im Stillen mit den Paschern hielt und viel Geld von ihnen bezog. Das hat ihn auf mehrere Jahre hinter Schloss und Riegel gebracht. Schad um die Ulmenbäuerin, die mit ihm ein grausam schlimmes Los gezogen hat, und um den Heiner, der so gut und brav ist wie nur irgendeiner und nur den Sklav’ und Leibeignen gemacht hat, bis er zum Militär gezogen wurd.“



„Des ist er froh gewesen und hat sich auch net ein einzig Mal auf Urlaub blicken lassen. Er muss nun bald los sein“, sagte der Torbauer.



„Morgen kommt er, wie mir der Ulmenbauer berichtete“, meinte der Offizier. „Aber, fahrt jetzt fort, Schubert!“



„Also“, erzählte dieser weiter, „die Anna war reich, deshalb wollt’ ich’s gern vorwärts bringen und gab mir alle Müh, meine Pflicht und noch mehr zu tun. Der Grenzmeister hatte gar angefangen, das Gebirg unsicher zu machen, und ich lag Tag und Nacht im Wald, um ihm das Handwerk zu legen. Das hat er auch gewusst, denn es ist mir gar manche Drohung von ihm zugegangen, aber es ist mir net eingefalln, darauf zu hören. Da geh’ ich mal am Abend beim alten Schacht vorüber, den sie vor Zeiten zugeschüttet haben, und ich seh’ darüber eine Helligkeit, als ob ein Feuer drunten angemacht sei. Leis schleich’ ich mich hinzu, kriech’ die Böschung hinauf und leg’ mich auf den Schutt, um in den Zusammenbruch hinabzuschauen. Drunten sitzen acht Männer um das Feuer; die Büchsen liegen bei ihnen und die Pakete auch, die Schmuggelgut enthalten haben. Ich will gern hören, was sie sprechen, und ich schieb

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