Das Geldmännle

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Das Geldmännle
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KARL MAY

DAS GELDMÄNNLE



ERZGEBIRGISCHE

DORFGESCHICHTE



Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 44

„DER WALDSCHWARZE“



© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1341-9



KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL




Inhalt





DAS GELDMÄNNLE






      Das Modell






Falschmünzer







Hoher Einsatz







Der geheime Saal







Der Sturz







Verwirrung







Spuk







Die Quittung







Das Doppelgrab







Das Messer








DAS GELDMÄNNLE

Das Modell



Es war ein ganz, ganz kleines Bergle. An dem lag ein ganz, ganz kleines Gärtle und obendrauf stand ein ganz, ganz kleines Häusle. Aber das Kleinsein schadet nichts, denn vor dem Herrgott sind die Allerkleinsten oft die Allergrößten. Das Bergle, das Gärtle und das Häusle hießen das Damenbergle, das Damengärtle und das Damenhäusle, aber nicht etwa, weil Damen darin wohnten, sondern aus einem ganz anderen Grund, den wir schon noch erfahren werden.



Wie das Bergle entstanden war, das wussten alle Leute. Der Herr Pfarrer hatte es erzählt. Nämlich, als die Erde noch keine Berge hatte, da lebten tief in ihrem Innern, wo das ewige Feuer brennt, zwei Götter, die Pluto und Vulkan hießen. Wenn es ihnen einmal zu warm wurde, was bei der großen Hitze sehr häufig vorkam, so stiegen sie empor, um sich abzukühlen und frische Luft zu atmen. Das taten sie auch einmal an einem schönen, wolkenlosen Julitag. Sie saßen am niedrigen Strand des Weltmeeres und betrachteten die vorweltlichen Rieseneidechsen, die sich im Schlamm sonnten und dabei vor Vergnügen die Mäuler aufsperrten und die Augen verdrehten. Das ärgerte den Vulkan.



„Dumme Geschöpfe!“, sagte er. „Die haben noch keine Ahnung von Reaumur, Fahrenheit und Celsius! Sich in dieser Hitze wohlzufühlen! Das ist hier ja schlimmer als unten bei uns! Diese Sonnenglut! Kein Mensch bringt mich im Juli und August wieder in dieses Nordseebad! Die reinen Hundstage! Wollen wir vielleicht versuchen, ob es am Äquator kühler ist, Bruderherz?“



Pluto zog sein Taschentuch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und antwortete:



„Äquator? Nein! In dieser Hitze gehe ich keinen Schritt. Ich bleibe einfach bis zum Dezember sitzen. Da wird es kühl. Ich lobe mir den Schnee!“



Da horchte Vulkan auf.



„Schnee!“, rief er aus. „Höre, auf den äußeren Planeten soll es sogar im Sommer schneien, nämlich oben auf den Bergen. Ich habe kürzlich zwei Halbgötter bei mir als Taglöhner angestellt, für monatlich zwölf Taler fünfundzwanzig Silbergroschen, ohne Kaffee und Weihnachtsgeschenk. Der eine stammt vom Uranus und der andere vom Neptun. Ich selbst habe in den Dienstbüchern nachgeschlagen. Die erzählten mir, dass es da oben Berge gibt, auf denen sogar im Hochsommer das Eis nicht alle wird.“



„Wirklich?“, fragte Pluto etwas ungläubig.



„Wirklich!“, bestätigte Vulkan. „Diese Arbeiter flunkern nicht, denn sie sind nicht auf der Erde geboren.“



„Aber da könnten wir uns doch sofort die allerschönste Kälte verschaffen!“



„Wieso?“



„Wenn wir Berge machten! Weißt du, entweder einzelne oder gleich so ein ganzes plutonisches oder vulkanisches Gebläse und Geschiebe, was man Gebirge nennt. Ich glaube, wenn wir es sechs- bis achttausend Meter hoch machen, so erreichen wir eine Abkühlung, um die man uns sogar auf dem Neptun und Uranus beneiden würde. Und bei neuntausend Meter bringen wir es ganz gewiss auf ein zwanzig Leipziger Ellen tiefes Gletschereis. Was meinst du dazu?“



„Hm!“, brummte Vulkan. „Der Gedanke ist gar nicht übel. Wir haben ja alles, was dazu gehört: Granit, Gneis, Porphyr und wie die Steine alle heißen. Nur den Sand hat uns das Meer weggeschwemmt. Zum Spaß können wir ein bisschen Steinkohle mit dazutun oder Erz, wenn es nicht gar zu teuer wird!“



„Zu teuer? Mir kommt es auf einige Zentner Silber oder Kupfer nicht an, wenn es mir nur gelingt, mich abzukühlen. Wollen wir eine Probe machen, Kollege?“



„Ganz recht, eine Probe! Bei solchen Dingen ist es nicht geraten, gleich hoch hinauszugehn, weil es dann Jahrhunderttausende dauert, ehe man das Zeug wieder zurückgespült bekommt. Ich schlage vor, wir machen zunächst ein Modell.“



„Gut, ein Modell. Wie groß?“



„Nun, sagen wir tausend Quadratfuß im Geviert, bei einer Höhe von höchstens vierzig Brabanter Ellen.“



„Einverstanden! Wann fangen wir an? Morgen oder übermorgen?“



„Warum nicht gleich? ,Morgen, morgen, nur nicht heute‘, sagen alle faulen Leute. Ich aber pflege so etwas nicht aufzuschieben. Also komm! Machen wir uns ans Werk!“



Sie nahmen sich bei den Händen und fuhren in das Erdinnere hinab, wo sie sich den Oberarchitekten, den Hochbaumeister und den Materialienverwalter kommen ließen, um ihnen ihren Plan mitzuteilen und sich die vorhandenen Vorräte zeigen zu lassen. Diese sind rund um das ewige Feuer aufgestapelt, in das die Stoffe geworfen werden, um sich in der Weißglühhitze in Gase zu verwandeln. Diese werden emporgeblasen und auf dem Weg nach oben in der Weise zurückverwandelt, dass sie mit der emporgehobenen Erdrinde die beabsichtigte Form und Masse bilden.



Als Pluto und Vulkan sich mit dem Architekten und dem Baumeister über die Gestalt und Größe des Modells verständigt hatten, musste der Verwalter die Vorratsräume aufschließen. Die Mischung stand ganz im Belieben der beiden hohen Götter. Sie nahmen Gneis, Granit, Glimmerschiefer, Tonschiefer, Porphyr, Basalt und verschiedene Quarzite.



„Tu auch ein bisschen Serpentin hinein“, bat Vulkan. „Der ist gut zu Gräberplatten für unberühmte Menschen. Wer ihn findet, der findet ihn!“



„Sehr gern!“, antwortete Pluto. „Hast du noch einen Wunsch?“



„Nur, wenn du bei guter Laune bist!“



„Beim Modellieren allemal. Das kostet wenig und macht doch viel Vergnügen.“



„Bon! Da drüben liegen die Erze. Ich sehe Zinn, Nickel, Kobalt, Zink, Wismut, Kupfer und Blei. Wie wäre es, wenn wir eine Probe von jedem mit hinunterschaufeln ließen?“



„Einverstanden! Ich will sogar auch Silber dazugeben und eine Prise Gold. Weißt du, Vulkan, wenn wir es bis zu den Gletschern bringen können, ist mir bei der heutigen Hitze wirklich nichts zu teuer.“



Die Halbgötter machten die Form des Modells. Die Viertelgötter füllten sie mit Erz und Stein. Das ging so schnell, dass man in zehn Minuten fertig war. Dann kamen die Achtel- und Sechzehntelgötter, um den Probeberg in das ewige Feuer zu werfen. Er wurde sofort von der Glut gepackt und aufgelöst. Ein zischender Blitz fuhr nach oben, dann war das Werk geschehn.



„Jetzt komm“, sagte Pluto. „Wir wollen sehn, ob es uns gelungen ist, die Erdrinde zu durchbrechen.“



Sie fuhren wieder nach oben. Die Erde ist groß und das Modell war klein. Menschen hätten es gewiss niemals gefunden. Götteraugen aber sind bekanntlich scharf. Und weil die Erde damals noch nicht die winzigste Erhöhung hatte, sahen Pluto und Vulkan das zurückverwandelte Modell sehr bald genau auf dem dreizehnten Grad östlich von Greenwich liegen, und zwar fünfzig Grad und zwanzig Minuten nördlicher Breite. Das war leicht zu bestimmen, weil damals die Längen- und Breitengrade noch nicht verwischt und mit sehr deutlichen Nummern versehen waren.



Welch eine Freude, als die beiden Götter nach einer sehr eingehenden Untersuchung erkannten, dass der kleine Probeberg ihren Erwartungen völlig entsprach. Vulkan lachte vergnügt und sagte:



„Du, Pluto, die Sache kann sich machen! Wir multiplizieren das Modell sovielmal, wie nötig ist, um achttausend Meter Höhe herauszubekommen. Die Rechnung ist sehr leicht. Meinst du nicht auch?“



„Allerdings“, nickte der Gefragte. „Aber der Wassergott wird sich beleidigt fühlen.“



„Warum?“



„Wenn wir die Erde heben, drängen wir doch sein Wasser zurück. Er wird über diesen Gebietsverlust gewaltig wettern.“



„Das glaube ich nicht. Lass mich die Sache machen! Ich fange das ganz schlau an. Er will doch auch einmal aufs Trockene. Wenn wir ihm erlauben, in den Wolken zu uns zu kommen und auf unseren Bergen Bäche und Flüsse anzulegen, so ist das ein Geschäft, wie er es gar nicht besser machen kann. Ich werde mit ihm sprechen. Du kannst inzwischen wieder niederfahren und an die Arbeit gehen. Ich sage ihm gar nicht, dass wir sein Wasser zu den Gletschern brauchen. Du weißt es ja, man muss mit anderen Göttern stets so vorsichtig wie möglich sein, zumal wenn man selbst einer ist! Wenn du alle deine Untergötter scharf zusammennimmst und ich die meinen dazufüge, können wir schon morgen einen Berg bis über die Wolken heben, der allen Ansprüchen genügt, die wir zu machen haben.“



„Und das Modell?“



„Das hat seinen Zweck erfüllt. Wir lassen es hier liegen.“



„Ja, als Merkstein oder als Standpunkt, von dem aus wir morgen zusehen, wie der beabsichtigte Berg sich vor unseren Augen erheben wird.“

 



„An welcher Stelle?“



„Von hier aus grad im Süden, wenn du nichts dagegen hast. Er wird an seinem Fuß eine Breite von zwei geografischen Meilen haben. Es wird sogar für uns Götter ein großartiges Schauspiel werden, wenn er sich majestätisch aus der Erde erhebt und immer höher wächst, bis er den Himmel zu erreichen scheint. Beliebt es dir vielleicht, die Stunde anzugeben, in der dies geschehen soll?“



„Ich bitte, Punkt zwölf Uhr zu Mittag. Du steigst jetzt in die Tiefe und ich gehe zum Wassergott. Sobald ich mit ihm gesprochen habe, komme ich dir nach.“



Sie trennten sich, um dann den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht hindurch an den Vorbereitungen zu dem beabsichtigten plutonisch-vulkanischen Werk zu arbeiten. Das geschah nicht, ohne dass die irdische Schöpfung etwas davon merkte. Ein dumpfes Rollen ging zuweilen durch die Erde. Die See schlug kürzere Wellen als gewöhnlich. Die Winde wussten nicht genau, wohin. Das Licht hatte einen fahlgelben Schein. Die Wolken zogen sich ängstlich zusammen. Das Getier verkroch sich, als ob es fühle, dass etwas Ungewöhnliches im Anzug sei. Die Sonne schien in ihrem Lauf zu zögern. Sie wäre am liebsten wieder umgekehrt; aber da sie sich durch Vertrag verbindlich gemacht hatte, sich an jedem Mittag genau Punkt zwölf Uhr am Scheitelpunkt einzustellen, so lief sie heute von elf Uhr an etwas schneller, um das Versäumte nachzuholen. So kam es, dass sie schon dreiviertel zwölf den Scheitelpunkt erreichte und eine ganze Viertelstunde warten musste, bis Pluto und Vulkan bei dem Modell erschienen, um den erwarteten, großartigen Anblick zu genießen.



Es war in der ganzen Natur eine tiefe Stille eingetreten, jene bekannte Stille, die großen, noch unbekannten Ereignissen vorauszugehen pflegt. Dann aber rollte und grollte es in der Tiefe, erst leise, dann lauter und immer lauter. Zuweilen krachte oder knatterte es, worauf es klang wie ein gewaltiger Kanonenschuss.



„Es beginnt“, sagte Pluto. „Pass auf! Da, grad im Süden muss er aufsteigen.“



Sie wandten ihre Aufmerksamkeit dieser Richtung zu und sahen also nicht, dass sich im Norden von ihnen eine ganz geringe Erhebung zu bilden begann. Aber als Vulkan sich doch einmal umschaute, bemerkte er diese kleine Bodenveränderung.



„Was ist denn das?“, fragte er. „Da unten scheint die Erde Blasen zu bekommen!“



Da drehte sich auch Pluto um, schaute hin und rief erschrocken aus:



„Was sehen meine Augen? Das sind ja die Rochlitzer Berge, nur hundertsiebzig Meter über dem Meer! Und ganz, ganz da draußen, das ist der Kreuzberg bei Berlin! Wo sind denn meine schönen Gase hingeflogen?!“



„Was bewegt sich denn dort im Westnordwesten?“



„Das sind ein paar Bodenwellen, die zwischen Altenburg und Reichenbach liegen.“



„Und da drüben rechter Hand?“



„Das ist die Freiberger Gegend. Da sind die Erze hingeflogen, denn es wackelt alles. Ich kenne das!“



„Da scheint die Sache also schief gehen zu wollen?“



„Wahrscheinlich. Sie geht in die Breite, anstatt in die Höhe!“



„Schade, jammerschade! Wie steht es da mit unsern kühlen Gletschern?“



„Warten wir es ab! Horch! Da hinter uns! Drehe dich um, schnell, schnell!“



Sie wandten sich wieder nach Süden, wo sich die Erdoberfläche höchst unregelmäßig hob und senkte.



Sie wurde aber sofort ruhig, wenn sich irgendwo ein fester Berg gebildet hatte. Götter wissen bekanntlich alles; darum konnten Pluto und Vulkan sofort die Namen dieser neu erstandenen Erhöhungen sagen.



„Dort kommt der Pöhlberg bei Annaberg“, sagte Pluto. „Nicht weit davon der Scheibenberg. Ah, schau: Da drüben arbeitet sich der Spitzberg empor!“



„Der Auersberg, der Rammersberg, der Schneckenstein“, fügte Vulkan hinzu. „Und dort, dort, dort! Jetzt geht es los! Jetzt kommen unsere Gletscher! Das wächst ja riesenhoch!“



„Glaube es nicht!“, warnte Pluto. „Das ist der Fichtelberg und der Keilberg. Die werden nur ganz wenig über zwölfhundert Meter hoch! Wir haben die Gase nicht zusammengehalten. Das war ein unverzeihlicher Fehler. Sie haben in die Breite gewirkt, anstatt nur in die Höhe. Statt einen einzigen, himmelhohen Berg zu bekommen, haben wir es nur zu einem niedrigen, aber langen Gebirge gebracht, das von Hof bis Bodenbach reicht und höchstens von späteren Geschöpfen bewohnt werden kann, die wir wahrscheinlich Menschen nennen werden, für Götter aber, wie wir sind, vollständig unbe... Halt!“, unterbrach er sich. „Pass auf! Nimm dich in Acht, Vulkan! Merkst du etwas unter den Füßen? Komm schnell herauf auf das Modell und halte dich fest!“



Sie sprangen auf den kleinen Probeberg und klammerten sich an seinen Felszacken fest, denn der Boden begann unter ihnen zu wanken. Dann war es, als ob sie auf einem riesigen Tier säßen, das sich schüttelte. Es erhob sich aus dem Schlaf. Es stand auf und wurde höher, hundert Fuß, fünfhundert Fuß, tausend Fuß. Dann blieb es, wie es war; aber es bückte sich nach vorn. Dadurch verlor das Modell den festen Halt. Es kam ins Rutschen, erst leise, langsam, dann schnell und immer schneller, bis es sausend in die Tiefe schoss, quer über das neu entstandene Tal hinüber, und dann so plötzlich liegen blieb, dass die beiden Götter weit fortgeschleudert wurden. Glücklicherweise sind Gottheiten auch körperlich unsterblich, aber etwas bange war es ihnen doch geworden. Sie standen auf und sahen erst sich und dann die umliegende Gegend an.



„So etwas hab ich noch nicht erlebt!“, gestand Pluto. „Es ist ein wahres Glück, dass es niemand gesehen hat! Wie befindest du dich?“



„Verhältnismäßig wohl“, antwortete Vulkan. „Nur da im Rücken hat es mich gepackt. Wahrscheinlich ein Hexenschuss oder so etwas Ähnliches. Du hast Recht, es trifft sich gut, dass wir allein gewesen sind. Hätte man uns bei diesem Rutsch gesehen, so müssten wir uns schämen wie alte, abgedankte Heidengötter! Es ist mir überhaupt, als ob unsere Ehre heute einen Stoß erhalten hätte. Diese misslungene Gletscherherstellung bringt uns keine gute Zensur, höchstens die Vier-b! Wir können das unmöglich auf uns sitzen lassen!“



„Allerdings! Wir schieben es auf den Oberingenieur und auf den Hochbaumeister. Die werden freilich sagen, dass die Dämpfe und Gase unsere Sache seien, aber wozu hat man Untergebene, wenn man das Unangenehme nicht auf sie abladen kann. Und wenn ein Laie kommt, der von der Geologie und Geodynamik nichts versteht, so sagen wir einfach, dass wir hier einen höchst gelungenen Versuch gemacht haben, zwischen Sachsen und Böhmen eine Grenze zu errichten, und in nächster Woche daran gehen werden, weiter im Süden hohe Gletschergebirge aufzubauen.“



„Du willst also doch noch Gletscher haben?“



„Natürlich. Hier aber ist das nun nicht mehr möglich, weil uns die Gase den ganzen Untergrund zerklüftet und verdorben haben. Wir müssen uns also nach Süden wenden. Und zwar haben wir das gleich im Großen zu betreiben, damit die heutige Schlappe vergessen wird. Ich nehme da ein Gebiet in Aussicht, das von der Wien-Triester Eisenbahn bis an die spanische Grenze geht und die gehörige Breite besitzt, schwere Alpenstöcke tragen zu können. Das eröffnet für spätere Jahrtausende einen fesselnden Anblick auf Sennerinnen, Wildschützen, Bergfexe, Schweizerkäse und Eierschmarren, ein Gedanke, der mir schon am heutigen Tag höchst angenehm ist, wenn ich bedenke, in welch einer unbelebten, leeren Umgebung wir uns in diesem Augenblick befinden.“



„Nach Nektar und Ambrosia sieht es freilich hier nicht aus. Und auch, wenn ich die Augen zumache und in die Zukunft schau, geht es hier so ziemlich ärmlich her. Ich seh da meist arme Weber, Strumpfwirker und Spitzenklöpplerinnen. Sollte mich freuen, wenn so ein armer Wurm recht billig in den Besitz unseres Modells käme und in seinem Innern nachsuchte. Wie viel Silber hast du wohl hineingetan?“



„Es ist reichlich ausgefallen; du weißt ja, dass ich bei guter Laune war. Die Schaufel hat so ungefähr zwischen fünfzehn und zwanzig Pfund gefasst, und da das ,Pfund fein‘ dreißig sächsische Taler wert ist, ergibt das einen Betrag von fünf- bis sechshundert Talern. Du weißt, dass ich dir in Beziehung auf das ,In-die-Zukunft-Schauen‘ über bin. Ich mache auch die Augen zu, und was seh ich da? Einen gewissen Berthold Schwarz, der das erfindet, was wir Götter nicht erfunden haben, nämlich das Pulver. Mit diesem wird man unser Modell auseinandersprengen und das Silber finden. Ich vermute, dass es eine Stufe sein wird, denn ich versteh mich auf die Metallurgie.“



„Kannst du sehen, wer der glückliche Finder sein wird?“



„Nicht deutlich. Es ist zwar auch ein bisschen Gold dabei, aber höchstens für zwei Doppellouisdor. Das findet man wohl kaum. Jetzt aber frag ich dich, ob wir hier noch etwas zu schaffen haben?“



„Ich wüsste nichts.“



„So lass uns gehn!“



Als sie den Platz verlassen wollten, sah Pluto, dass Vulkan hinkte.



„Hast du Schmerzen?“, fragte er.



„Na, und ob!“, antwortete der Gefragte, indem er die Zähne zusammenbiss. „Dieser Hexenschuss geht mir bis in die Zehen. Der Anprall an die Felsenwand ist doch zu stark gewesen. Untersuche doch einmal, ob es heilbar ist!“



Pluto erfüllte diesen Wunsch und sagte dann im Ton des Bedauerns:



„Es ist irgendwo eine Flechse gesprungen. Du wirst also das Hinken behalten, und zwar für immer.“



Da sah ihn Vulkan erschrocken an.



„Wirklich?“, fragte er. „Das ist schlimm, sehr schlimm! Wir Götter sind leider öffentliche Persönlichkeiten, über die jeder Narr sprechen oder schreiben zu müssen glaubt. Man wird fragen, warum ich hinke. Wenn man dabei auf unseren heutigen Misserfolg und gar auf den unfreiwilligen Bergrutsch kommt, ist es mit unserem guten Ruf zu Ende. Ja, wenn die Mythologie nicht wäre, besonders die griechische und römische! Man weiß ja ganz genau, dass einst jeder Quartaner seinen ,Mythologischen Leitfaden‘ in der Tasche haben wird, und infolgedessen ist es einem immer zu Mut, als ob man einige Dutzend Steckbriefe hinter sich her hätte. Es wäre geradezu fürchterlich, wenn in diesem Leitfaden erzählt würde, dass Vulkan hinkt, weil er die unterirdischen Gase nicht zusammengehalten hat!“



„Dem ließ sich wohl abhelfen, lieber Bruder, wir geben einfach einen anderen Grund an. Mir fällt da der Zwist ein, den es im vorigen Herbst zwischen Jupiter und Juno gab. Du kamst dazu und hieltest es für deine Ritterpflicht, die hohe Göttin gegen ihren Gemahl in Schutz zu nehmen. Der aber nahm das übel und warf dich auf die Erde herunter. Du kannst es gar nicht verhindern, dass diese Angelegenheit mit in die mythologischen Schulbücher kommt. Darum würde ich an deiner Stelle das Hinken als eine Folge dieses hohen Sturzes bezeichnen.“



„Hm! Nicht übel! Es ist allerdings besser, man hinkt infolge einer höflichen Umgangsform. Schauderhaft wäre es, wenn es hieße, man sei lahm geworden, weil das Modell mit einem durchgegangen ist. Es muss unbedingt verschwiegen werden, dass ich mir hier im Königreich Sachsen, zwischen Jöhstadt und Ehrenfriedersdorf, einen Hexenschuss oder einen Flechsenriss zugezogen habe, weil ich mit meinen unterirdischen Gasen nicht umzugehen weiß. Ich nehme also deinen Vorschlag an und bitte dich, so viel wie möglich für die Überlieferung zu sorgen, dass ich mir infolge jenes Sturzes auf die Erde diesen kleinen Schönheitsfehler zugezogen habe. Nun lass uns gehn! Erlaube mir, dass ich mich auf dich stütze! Komm! Ich hab genug. Hier lass ich mich gewiss nicht wieder sehen!“



Sie entfernten sich und sind dann niemals wiedergekommen. Wie man weiß, ist den beiden Göttern die beabsichtigte Täuschung sehr gut gelungen. Noch heute glaubt jedermann, dass Vulkan wegen Jupiters Gewalttat hinkt. Aber jede Wahrheit muss endlich einmal an den Tag kommen und auch diese ist durch den Mund des Pfarrers schließlich doch zu ihrem Recht gekommen und es steht zu erwarten, dass alle Leitfäden der Mythologie hiernach geändert werden. Man kann das mit der festesten Überzeugung tun, denn das ‚Bergle‘ ist als glänzender Beweis noch heute vorhanden, wenn auch in etwas veränderter Gestalt.




*




Nun wissen wir also, wie es entstanden ist, das ganz, ganz kleine Bergle. Wie es sein heutiges Aussehen bekommen hat, das werden wir auch noch erfahren. Es genügt für jetzt, zu wissen, dass es eigentlich ein kleines Inselchen ist. Denn als der Bach, der durch das Dorf läuft, zum ersten Mal von den benachbarten Bergen herunterkam und das Bergle drüben liegen sah, da gefiel ihm dieses so sehr, dass er gleich schnell hinüberlief und einmal rund um das ganze Bergle floss, um es von allen Seiten genau zu betrachten. Und das ist so geblieben. Jedes Wässerchen, das den Lauf des Baches findet, will unbedingt einmal die Runde um das Bergle machen, weil es einst Modell gewesen ist. Das Wasser bildet also einen vollendeten Ring, der das Bergle einschließt und sich tief in den Boden eingegraben hat, dass er viel, viel tiefer ist, als der Bach selbst. Wenn zwei oder gar drei Männer übereinander in dem Wasser ständen, so schaute der oberste wohl noch ni