Die Bibel in der Weltliteratur

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Die Bibel in der Weltliteratur
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Karin Schöpflin

Die Bibel in der Weltliteratur

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

Mohr Siebeck · Tübingen

Inhaltsverzeichnis

  Vorwort

  Abkürzungen für die Bücher der Bibel

 Einführung1. Die Bibel als „Kulturgut“2. Bedeutungen der Bibel für die Literatur am Beispiel von Goethes Faust. Der Tragödie erster Teil2.1. Bearbeitung biblischen Materials: Der Prolog im Himmel2.2. Einzelne biblische Bezüge und Anspielungen3. Zu diesem Band

 A: Das Alte TestamentEinleitung1. Die Genesis (1. Mose): Anfänge1.1. Die biblische Urgeschichte (Gen 1–11)1.2. Erzvätergeschichten und Josefsnovelle (Gen 12–50)2. Exodus bis Deuteronomium (2.–5. Mose): Moseerzählungen3. Die Geschichte Israels: Von Josua bis Ester3.1. Von der Landnahme zum Babylonischen Exil3.2. Israel unter persischer und hellenistischer Herrschaft4. Psalmen und Lehrbücher4.1. Psalmen4.2. Lehrbücher5. Schriftpropheten5.1. Prophetische Gestalten5.2. Prophetische Botschaften

  B: Das Neue Testament Einleitung 1. Die Evangelien – Leben, Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi 2. Apostelgeschichte und Briefe – das Entstehen christlicher Kirche und Lehre 3. Apokalypse – Vision der Endzeit

  Auswahlbibliographie

  Register

  Fuß- /Endnoten

  Über Karin Schöpflin

  Copyright/ Impressum

  Hinweise zur Zitierfähigkeit und Register-Benutzung

[Zum Inhalt]

Vorwort

Die Entstehungsgeschichte dieses Bandes reicht weit zurück in meine eigenen Studientage: Dass biblische Bezüge bei der Lektüre literarischer Werke viel zu wenig bedacht wurden, empfand ich seinerzeit als Mangel bei meinen literaturwissenschaftlichen Studien. Dies Phänomen besteht nach wie vor, vermutlich noch verschärft, da die Vertrautheit mit der Bibel noch weniger selbstverständlich ist als in früheren Generationen. Durch meine theologischen Studien gewann der Plan zu einem Buch, das Literaturwissenschaftlern einschlägiges Wissen vermitteln helfen sollte, weiter an Profil: Aus theologischer Perspektive liegt der Akzent auf einer Rezeptionsgeschichte der Bibel.

Während meiner Tätigkeit in der akademischen Lehre habe ich die interdisziplinäre Verbindung zwischen Bibel und Literatur in unterschiedlichen Veranstaltungen erprobt. Die Gestalt dieses Bandes basiert auf einer Vorlesung, die ich in den vergangenen Jahren mehrmals in unterschiedlicher Form in Göttingen als interdisziplinäre Veranstaltung sowohl für Philologen als auch für Theologen sowie für interessierte Hörer aller Fakultäten gehalten habe – die Studierenden der Bachelorstudiengänge erwerben darin „Schlüsselqualifikationen“. Aus den in den Vorlesungen vorgestelllten literarischen Werken musste für dieses Buch eine Auswahl getroffen werden; behandelt werden daher fast ausschließlich „Klassiker“, die vor der Wende zum 20. Jahrhundert erschienen.

Mein Dank gilt dem Verlag Mohr Siebeck für die Aufnahme dieses Buches in die Reihe der UTB-Bände. Besonders herzlich danke ich Herrn Dr. Henning Ziebritzki, der sich für dieses Projekt begeistern ließ und seinen Entstehungsprozess mit großem Interesse und mancher wertvollen Anregung begleitete.

Ein weiterer Dank gilt den Mitarbeiterinnen des Verlages Mohr Siebeck, Frau Katharina Stichling und Frau Jana Trispel, die das Manuskript sehr umsichtig und hilfreich betreuten und für den Druck vorbereiteten.

Hamburg, im Februar 2011

Karin Schöpflin

[Zum Inhalt]

Abkürzungen für die Bücher der Bibel

Altes Testament


Dan Daniel
Dtn Deuteronomium (5. Mose)
Esr Esra
Est Ester
Ex Exodus (2. Mose)
Ez Ezechiel/Hesekiel
Gen Genesis (1. Mose)
Hi Hiob
Hld Hoheslied
Hos Hosea
Jdt Judit
Jer Jeremia
Jes Jesaja
Jos Josua
Lev Levitikus (3. Mose)
Mal Maleachi
Mi Micha
Nah Nahum
Neh Nehemia
Num Numeri (4. Mose)
Pred Prediger Salomo
Ps Psalmen
Ri Richter
Sach Sacharja
Sir Jesus Sirach
Spr Sprüche
Tob Tobit
1/2 Chr 1./2. Chronikbuch
1/2 Kön 1./2. Königebuch
1/2 Sam 1./2. Samuelbuch
2 Makk 2. Makkabäerbuch

Neues Testament

 

Apg Apostelgeschichte
Hebr Hebräerbrief
Joh Johannes
Lk Lukas
Mt Matthäus
Mk Markus
Off Offenbarung des Johannes
Röm Römerbrief
1Kor 1. Korintherbrief

[Zum Inhalt]

|1|Einführung
|3|1. Die Bibel als „Kulturgut“

BibelDer Begriff „Bibel“ leitet sich ab vom Griechischen ta biblia „Bücher“. Diese Pluralform ist zutreffend, weil die Bibel streng genommen nicht ein einzelnes Buch ist, sondern eine ganze Sammlung von einzelnen Schriften. Diese Sammlung ist zudem zweiteilig: Aus christlicher Perspektive wird der umfangreichere erste Teil als „Altes Testament“ bezeichnet, der zweite als „Neues Testament“[1]. Zusammen bilden sie die verbindliche Glaubensurkunde, den Kanon, der christlichen Kirche. Die „Heilige Schrift“ war und ist Grundlage kirchlicher Lehre und Praxis und christlicher Lebensführung. Da der europäische Raum Jahrhunderte lang unangefochten vom Christentum geprägt wurde, stellt die Bibel damit unbestritten ein bedeutsames Kulturgut des Abendlandes dar.

ÜbersetzungenDie Bibel der frühen Christen war Griechisch: sie lasen das Alte Testament in der „klassischen“ griechischen Übersetzung, der „Septuaginta“; die neutestamentlichen Schriften waren von vornherein auf Griechisch verfasst worden. Um 400 n.Chr. übersetzte Hieronymus die christliche Bibel ins Lateinische. Diese Übersetzung wurde nur noch geringfügig überarbeitet und als „Vulgata“ zum maßgeblichen Bibeltext im christlichen Abendland. Vom Zeitalter der Reformation an wurde die Bibel verstärkt[2] in die modernen Volkssprachen übersetzt[3] und dadurch allmählich breiteren Bevölkerungsschichten als Lektüre zugänglich. Diese Bibelübersetzungen beeinflussten zudem die Volkssprachen – im Deutschen die Lutherbibel, die 1534 komplett vorlag.

|4|RezeptionenVon Anfang an wurden Bibeltexte einerseits in kirchlicher Verkündigung und Lehre ausgelegt, andererseits waren sie frühzeitig in vielfältiger Weise Quelle künstlerischer Inspiration. Ihr hoher Stellenwert für Malerei – angefangen mit Illustrationen in kostbaren Bibelhandschriften – und bildende Kunst ist offensichtlich. Doch ist biblisches Gut für Dichtung und Literatur nicht minder bedeutsam. Die Texte von Hymnen und Chorälen beispielsweise schöpften aus der Bibel ebenso wie frühe Dramatisierungen biblischer Stoffe (z.B. Passionsspiele). Diese Werke waren noch an kirchlichen Gebrauch gebunden. Doch lösten sich dichterische Verarbeitungen biblischen Materials zunehmend vom Raum der Kirche. Die biblischen Schriften in ihrer Vielfalt boten und bieten sich für unterschiedliche schriftstellerische Verwendungen an: Nach- und Neuerzählungen biblischer Geschichten in epischen Formen, Bühnenbearbeitungen und Dramatisierungen, lyrische Gedichte – Adaptationen unterschiedlichster Art lassen die biblische Vorlage häufig genau erkennen. Sie bieten den Reiz, in Erfahrung zu bringen, wie deren Verfasser ihre biblische Quelle ausgelegt und wo sie neue, eigene Akzente gesetzt haben. Daneben stehen jedoch auch Werke, die biblische Handlungs- oder Personenkonstellationen, Bilder oder Sprachformen aufnehmen und aktualisierend verarbeiten. Hinzu treten Zitate einzelner Bibelworte, die nicht immer als solche gekennzeichnet sein müssen, oder Anspielungen, die nur einer Leserschaft erkennbar werden, die sich in der Bibel auskennt. Selbst wenn Bibelkenntnisse zum Verstehen solcher Literatur nicht unabdingbar sind, wird das Verständnis zweifellos vertieft und Feinheiten werden sichtbar, die dem Werk eine zusätzliche Dimension verleihen. Damit ein Lesepublikum biblische Bezüge erkennt, bedarf es eines in seinem Wortlaut markanten und bekannten Bibeltextes, also einer Übersetzung, die hohe Akzeptanz in einer Sprachgemeinschaft besitzt und Allgemeingut geworden ist. Für den deutschen Sprachraum dürfte dies immer noch die Übersetzung Martin Luthers, selbst in ihrer indessen mehrfach revidierten Form für sich beanspruchen können.

Wissenschaftliche BibelkritikNicht zuletzt ist die Bibel auch Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung und Auslegung. Auch dies gilt von frühester Zeit an; man denke nur an philologische Arbeiten und Kommentierungen der Kirchenväter. Von der Alten Kirche an bis in das Zeitalter der Vernunft verstand man die Bibel generell als Gottes Wort, als göttliche Offenbarung; die menschlichen Verfasser galten |5|als göttlich inspiriert, während sie Gottes Wort in menschliche Sprache kleideten und zugänglich machten. Unter dieser Maßgabe las man die Bibel – aus moderner Perspektive gesprochen – unkritisch. Es bildeten sich noch in biblischer Zeit Traditionen, die einzelne Bücher aus der Bibel bekannten Persönlichkeiten zuschrieben; z.B. galt Mose als Autor der Torah, David als Dichter des Psalters oder der Lieblingsjünger Jesu als der Evangelist Johannes. Hinzu trat die Neigung, offensichtlich vorhandene Widersprüche – beispielsweise beim Vergleich von Inhalt und Gottesbezeichnungen der beiden Schöpfungserzählungen in Genesis 1 und 2 – zu harmonisieren. Abgesehen von einigen wenigen älteren Ausnahmen[4] entwickelte sich eine kritische Wahrnehmung biblischen Schrifttums in der Aufklärung. Nun las man die Bibel wie andere antike Literaturwerke als rein menschliches Produkt, entdeckte in den vorfindlichen Widersprüchen Spuren einer komplexen Entstehungsgeschichte der Texte, die nicht aus einer Feder stammen, sondern teils in Jahrhunderte langen Prozessen allmählich die heutige Gestalt erreichten. Kritische Bibelwissenschaft ist seit dem späten 18. Jahrhundert darauf bedacht, die Schriften des Alten wie des Neuen Testamentes historisch zu verstehen, also ihre theologischen Aussagen in ihren sich wandelnden Entstehungskontexten zu begreifen und ihr allmähliches Werden ausgehend von möglichen mündlichen Vorstufen über frühe schriftliche Fassungen und deren redaktionelle Bearbeitungen bis zur Endgestalt nachzuzeichnen. Diese historisch-kritischen Zugänge waren und sind nicht unumstritten. In diesem Band kann die wissenschaftliche Analyse der Bibel weitgehend, wenn auch nicht völlig, ausgeblendet werden, denn für die Aufnahme und Verarbeitung biblischen Materials durch Dichter und Schriftsteller spielt sie nur eine relativ geringe Rolle. Bis zur Aufklärung und darüber hinaus haben Dichter die Bibel ganzheitlich, „kanonisch“, gelesen, ohne den vorliegenden Text – seit der Reformation in aller Regel eine in ihrer Muttersprache verfügbare Übersetzung – zu hinterfragen.

Literarische BibelkritikAllerdings erfuhr die Bibel seit jeher literarische Aufnahme nicht nur durch bekennende, praktizierende Christen, sondern auch kritische Lektüre, die kirchlicher Auslegung widersprach. Neben die Bibel traten zudem etwa klassisch-antike Traditionen als zweite Inspirationsquelle, und nicht selten gingen beide eine Synthese ein. Man wird mit biblischen Einflüssen und Bezügen |6|in der Literatur rechnen müssen, auch bei Autoren, die man auf Anhieb nicht unbedingt mit dem Christentum in Verbindung bringen und in deren Werk man biblische Bezüge nicht unbedingt vermuten würde. Goethes Äußerung „Wenn ich in ein Gefängnis geworfen würde und nur ein Buch mitnehmen dürfte, wählte ich die Bibel.“, mag ebenso überraschen wie Brechts Auskunft anlässlich einer Zeitungsumfrage im Jahr 1928, auf die Frage, welches, literarisch gesehen, sein stärkster Eindruck sei: „Sie werden lachen – die Bibel.“[5] Die Bibel ist bis in die Gegenwart hinein Anregung und Folie geblieben, selbst für überzeugte Nicht-Christen und „Atheisten“.

|7|2. Bedeutungen der Bibel für die Literatur am Beispiel von Goethes Faust. Der Tragödie erster Teil

Nach mehrjähriger Beschäftigung mit dem Stoff erschien der erste Teil der Tragödie 1808 im Druck. Sie weist vielfältige biblische Bezüge auf, von denen markante Beispiele herausgegriffen werden.

2.1. Bearbeitung biblischen Materials: Der Prolog im Himmel

Die Himmelsszenen des HiobbuchesNach dem allgemeiner gehaltenen, das dramatische Medium reflektierenden Prolog auf dem Theater führt der Prolog im Himmel in die Tragödie selbst ein. Goethe (1749–1832) greift darin deutlich auf das Buch Hiob zurück, das in den beiden Eingangskapiteln zwei Himmelsszenen (1,6–12; 2,1–6) enthält, deren zweite die erste wiederholt und zugleich weiterführend geringfügig variiert. In diesen biblischen Szenen findet ein himmlischer Thronrat statt: Es versammeln sich die Gottessöhne vor dem HERRN, unter ihnen auch der „Satan“. Gott tritt in einen Dialog mit ihm, erkundigt sich nach seinem Knecht Hiob, den er charakterisiert als „fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.“ Der Satan unterstellt, dass Hiob nur solange gottesfürchtig bleibt, wie er Gottes Segensgaben genießt: seinen Reichtum an Vieh, Dienerschaft und Kindern. Gott gestattet Satan daraufhin, Hiob Besitz und Familie zu nehmen unter der Bedingung, dass er Hiobs Leben nicht antastet.[6]

Erzengel loben die SchöpfungIn seinem Prolog folgt Goethe der Tradition, die die Gottessöhne als Engelwesen interpretiert: Goethe lässt die himmlischen Heerscharen und die drei Erzengel Raphael, Gabriel und Michael auftreten. Letztere kommen in der Bibel vor[7], doch entwickelte sich die Vorstellung von Engelwesen vor allem außerhalb der kanonischen |8|biblischen Schriften. Jeder Erzengel besingt Elemente des Kosmos, den Wechsel von Tag und Nacht, Meer und Land, Sturm und Gewitter (V. 243–266). Gemeinsam beten die drei Gott lobend an (V. 267–270). Die einleitenden Worte der Engel berühren sich sowohl mit der ersten Schöpfungserzählung in Genesis 1 als auch mit hymnischer Psalmensprache.

Dialog zwischen Mephistopheles und GottIm Anschluss daran entspinnt sich ein Dialog zwischen Mephistopheles und Gott, den nicht Gott wie in Hiob 1,7, sondern Mephistopheles eröffnet (V. 271). Mephistopheles entspricht der Satansgestalt, die analog zu den Engeln eine eigene, außerbiblische Entwicklung durchgemacht hat. Anders als die Engel versteht Mephistopheles sich nicht auf erhabene Lobpreisungen, seine Interessen sind weltlicherer Natur:

Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,

Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. (279–282)[8]

Er beklagt die Lebensbedingungen der Menschen und wirft Gott vor, dass er dem Menschen die Vernunft geschenkt hat (283–292), hat also an der Schöpfung grundsätzlich nur etwas auszusetzen (296–298)[9]. Wenn er den Menschen als „kleinen Gott der Welt“ (V. 281) bezeichnet, spielt er damit an auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen und den göttlichen Auftrag an ihn, über die übrigen Geschöpfe zu herrschen (Gen 1,26). Gott spricht Mephistopheles auf Faust, seinen „Knecht“ (V. 299, vgl. Hi 1,8) an, den Mephistopheles daraufhin charakterisiert (V. 300–307), was Gott im Hiob-Prolog selbst tut (Hi 1,8): Mephistopheles beschreibt Faust als einen unbefriedigt Zerrissenen, der nach den Sternen greift und göttliche Erkenntnis erstrebt, andererseits aber den Freuden der irdischen Welt zugetan ist. Gott setzt Hoffnung in Doktor Faust, obwohl er ihm offenkundig nicht so geradlinig dient wie Hiob:

 

|9|Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,

So wird’ ich ihn bald in die Klarheit führen.

Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.[[10]] (308–311)

Die WetteDaraufhin wettet Mephistopheles, dass es ihm gelingen werde, „Ihn meine Straße sacht zu führen!“ (V. 314). Gott gesteht es ihm zu, jedenfalls solange Faust sein irdisches Leben führt (V. 315–316). Der HERR rechnet durchaus mit einem Ausgang zu seinen Gunsten; doch auch Mephistopheles ist zuversichtlich, dass sein Vorhaben gelingt (V. 330–331). Für den Fall eines Erfolges wünscht er sich:

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.

Staub soll er fressen, und mit Lust,

Wie meine Muhme, die berühmte Schlange. (332–334)

Wenn er Faust auf seine Seite gezogen und von Gott abgebracht hat, soll es jenem gehen wie der Schlange, die Gott verfluchte, dass sie Staub fressen sollte (Gen 3,14b), nachdem sie die Frau im Garten Eden zum Ungehorsam gegen Gott beredet hatte. Indem Goethe Mephistopheles hier einen Bezug zur Sündenfallgeschichte der Bibel herstellen lässt, ordnet er diese Gestalt einmal mehr den Gott widrigen Mächten zu und deutet die existentielle Tragweite der Wette an, bei der es darum geht, ob Faust den Sündenfall gewissermaßen wiederholt oder nicht. Mit der anschließenden Gottesrede füllt Goethe eine viel diskutierte Leerstelle aus:

Gottes Verhältnis zum BösenIch habe deinesgleichen nie gehaßt.

Von allen Geistern, die verneinen,

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. (337–343)

Gott lässt das Wirken teuflischer Mächte bewusst zu, um den Menschen herauszufordern und ihn nicht in Trägheit verfallen zu lassen. Damit ist bei Goethe klar, dass die Mächte, die das Böse, das Gott Entgegen-Gesetzte („Geister, die verneinen“), verkörpern, Teil der von Gott gesetzten Weltordnung sind. Gott scheint |10|Mephistopheles sogar mit einer gewissen Wertschätzung zu betrachten, da er ihn „Schalk“ nennt und so Intelligenz, Scharfsinn und Witz[11] seines Gegenspielers hervorhebt. Dem entspricht Mephistopheles’ allein gesprochene, ironische Schlussbemerkung, in der er sich zudem explizit als „Teufel“ bezeichnet:

Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern[[12]],

Und hüte mich, mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen. (352–353)

Goethes Umgestaltung des Hiob-PrologesGoethes Prolog im Himmel hat in älteren Verarbeitungen des Faust-Stoffes keine Entsprechung. Wie die Himmelsszenen im Hiob-Buch, die Goethe als Vorbild gedient haben, bietet der Prolog dem Publikum Einblick in die Hintergründe des Geschehens, das auf der Bühne zu sehen sein wird, und zwar buchstäblich auf höchster Ebene: Eine Wette zwischen Teufel und Gott bildet den Grund dafür, dass Mephistopheles Doktor Faust in Versuchung führt. Gute, göttliche Mächte und böse, teuflische stehen im Wettstreit um Faust, wobei Mephistopheles als göttlicher Widerpart aktiver sein wird. Im Anschluss an gängige Traditionen sind die biblischen Göttersöhne als Engel dargestellt und der Ankläger als Teufelsgestalt. Wer mit Hiob vertraut ist, könnte angesichts des Prologes im Himmel zunächst erwarten, dass Gott analog zur biblischen Vorlage den Sieg davontragen werde. Doch gibt es gerade im Vergleich zu Hiob Indizien, die diese Erwartung relativieren: Während in der Bibel Gott das Gespräch bestimmt, indem er es eröffnet und Hiob überaus positiv charakterisiert, ist bei Goethe Mephistopheles der eindeutig führende Dialogpartner: Er beginnt die Unterredung, ist weitaus beredter als Gott, übernimmt die Schilderung von Fausts Charakter und hat auch das letzte Wort. Überdies deutet die Beschreibung Fausts auf einen zwiespältigen Charakter, der durchaus anfällig für Versuchungen erscheint. Die Anspielungen auf die Sündenfallgeschichte (Gen 3), die Goethe in den nach dem Hiob-Buch gestalteten Dialog eingeflochten hat, tun ein Übriges, um das folgende Geschehen vorwegnehmend zu beleuchten. Durch die vorgeschalteten biblischen Bezüge gibt Goethe dem Faust-Drama somit eine theologische Tiefendimension, die sich nur voll erschließt, wenn man mit Hiob und Gen 3 vertraut ist.