Green New Deal als Zukunftspakt

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Green New Deal als Zukunftspakt
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JOHANNA BUSSEMER, KATJA KIPPING

GREEN NEW DEAL ALS ZUKUNFTSPAKT

Die Karten neu mischen


Kleine Edition 37

Diese Publikation wurde unterstützt durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland.


INHALT

Anstelle eines Vorworts: Die Karten neu mischen

1. Ein Deal für gemeinsame Handlungsfähigkeit

2. Corona und Klima: Was hat das miteinander zu tun?

3. Mut zum Konflikt: Der historische New Deal

4. Die Katastrophe abwenden

5. Green New Deal als Zukunftspakt: Konkreter Plan für eine Utopie

6. Eine neue Zeit und Zeit für Neues

7. Am Ende des Tages eine Frage der Umsetzung

Statt eines Schlussworts eine Not-to-do-Liste

Dank

Literatur

Vers l’avenir – für unsere Kinder N. und J.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Heartland-Leute den Klimawandel eilfertig als linksgerichtetes Komplott hinstellen, während die meisten Linken noch nicht einmal begriffen haben, dass ihnen die Klimawissenschaftler das stärkste Argument gegen den Kapitalismus an die Hand geben seit den „dunklen teuflischen Mühlen“ in William Blakes berühmtem Gedicht (natürlich nahm mit diesen Fabriken der Klimawandel seinen Anfang).

Naomi Klein1

1Naomi Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, Hamburg: Hoffmann und Campe 2019, S. 115.

ANSTELLE EINES VORWORTS: DIE KARTEN NEU MISCHEN

Halt mal kurz – unsere Kinder N. und J. lieben dieses Spiel, das die tiefsinnigen Späße aus den Känguru-Chroniken vom Marc-Uwe Kling in Spielkarten übersetzt. Im Grunde funktioniert das Spiel wie das altbekannte Mau-Mau, nur etwas witziger und abwechslungsreicher. Die Karten können nach bestimmten Regeln gezogen und abgeworfen werden. Wer die Karte „Ach – mein, dein“ zieht, kann mit einer Spieler:in seiner Wahl einfach das Blatt tauschen. In diesem Kartenspiel gibt es auch die Kapitalismuskarte. Wenn die erscheint, muss die Spieler:in mit den meisten Karten zwei zusätzliche Karten ziehen. Schließlich gilt im Kapitalismus, wer schon viel hat, der bekommt noch mehr obendrauf. So spielerisch kann Kapitalismuskritik sein. Dieser Mechanismus liegt nicht am bösen Willen einzelner Personen. Vielmehr ist er so fest in die Verhältnisse eingeschrieben, dass er vielen als selbstverständlich erscheint.

Man könnte diesen Umstand auch mit unzähligen Untersuchungen zur Reichtumsverteilung und aus der Elitenforschung,1 in Statistiken und Zahlen belegen, [9] das Känguru bringt ihn auf eine einfache Spielkarte: Wer die meisten Karten hat, bekommt noch mehr Karten dazu. Doch der Clou ist: Bei diesem Spiel gewinnt – anders als im Kapitalismus – nicht, wer die meisten Karten hat, sondern wer zuerst alle Karten abwerfen konnte. Das muss man dem Känguru erst mal nachmachen. Schon für Neunjährige verständlich das Dilemma unserer Wirtschaftsweise auf den Punkt bringen und dann spielerisch die Regeln umschreiben. Wie schön wäre es, wenn das auch im wirklichen Leben ginge: die Selbstverständlichkeiten, die ungerecht sind und uns schaden, erkennen und die Mechanismen, die sie erzeugen, ändern. Nicht nur die Karten neu verteilen, sondern dabei auch die Spielregeln umschreiben – geht das wirklich nur bei einem Kartenspiel? Sollte das in einer Demokratie und angesichts von Krisen, die unsere Gegenwart erschüttern und unsere Zukunft gefährden, nicht auch in der Realität möglich sein? Im Englischen gibt es für den Vorgang, die Karten neu zu mischen, einen bemerkenswerten Ausdruck, der sich tief ins politische Vokabular eingeschrieben hat: New Deal.2

1„Zwei Drittel der befragten Hochvermögenden geben an, dass Schenkungen und Erbschaften für sie relevant waren, um vermögend zu werden[.]“ – und eben nicht die eigene Leistung. Lebenslagen in Deutschland – Fünfter Armut- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2017, S. 131; Vgl. Michael Hartmann, Der Mythos von den Leistungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, Frankfurt a.M.: Campus 2002.

2Katja Kipping, „Das Roosevelt-Moment“, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-roosevelt-moment-in-der-corona-krise [Letzter Zugriff: 23.5.2021].

[10] 1. EIN DEAL FÜR GEMEINSAME HANDLUNGSFÄHIGKEIT

Das englische Wort „Deal“ hat für den vorliegenden Text gleich drei zentrale Bedeutungen. Denn es steht sowohl für „die Karten neu mischen“ als auch für einen Handel und kann zudem für das deutsche Wort „Abkommen“, ja „Pakt“ stehen. Bei den Debatten um den Green New Deal geht es also nicht um einen „Deal“ im Sinne eines Drogengeschäfts oder eine Vereinbarung im Hinterzimmer, sondern um die angemessene Reaktion auf die Krisen unserer Zeit.

Der historische New Deal unter Franklin D. Roosevelt sowie die aktuellen Green-New-Deal-Debatten liefern in der Summe eine entscheidende Orientierung für ebenjene notwendige Reaktion auf die Krisen unserer Zeit. Es handelt sich um eine Orientierung, die zu einem Plan verdichtet werden kann. Denn der Green New Deal eröffnet eine Veränderungsperspektive, die in der Welt, in der wir leben, bereits funktioniert und zugleich darüber hinausweist. Dieser Plan bietet zudem ein Dach, unter dem sich schon jetzt verschiedene Akteur:innen sammeln. Insofern birgt er das Potenzial für gemeinsame Handlungsfähigkeit über Grenzen hinweg – territoriale, politische und soziokulturelle. Letztlich geht es um die Frage, wie ausgehend von den Debatten um den Green New Deal ein Zukunftspakt geschlossen werden kann, der dem Ziel verpflichtet ist, die sozialen wie die ökologischen Krisen [11] nachhaltig zu entschärfen, und der zudem die richtigen Konsequenzen aus dem Coronaschock zieht.

In diesen Essay sind die Ideen und Erkenntnisse verschiedener Diskussionen und Gespräche eingeflossen, die wir im Laufe der letzten Jahre zusammen mit vielen anderen geführt, organisiert und erlebt haben. Insbesondere unsere politischen Reisen nach England und die dortigen Treffen mit Akteur:innen aus dem linken Flügel der Labourpartei und rund um die Organisationen Momentum und The World Transformed haben dazu geführt, dass uns das Nachdenken über den Green New Deal nicht mehr losgelassen hat. Dabei inspirierte uns, dass fortschrittliche Akteur:innen, Organisationen und Parteien weltweit debattieren, ob und wie unter dem Dach des Green New Deal ein gemeinsamer Handlungskatalog entstehen kann; ein Katalog, der gleichermaßen im Rahmen von Nationalstaaten wie überregional, international und multilateral Anwendung finden kann. Diese Debatten laufen auch vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche. Die Hegemonie des Neoliberalismus schwindet, aber noch ist sie nicht so nachhaltig geschwächt, dass sie nicht wiederhergestellt werden könnte, und sei es als Zombie-Version, z.B. durch eine neue strategische Verbindung von Neoliberalismus und autoritärem Rechtspopulismus, deren Entstehung vielerorts bereits zu beobachten ist.1 Erhebende Entwicklungen, wie die großen, globalen Klimaproteste [12] und eine an Kraft gewinnende neue feministische Bewegung stehen dem Erstarken rechter und autoritärer Kräfte auf der ganzen Welt gegenüber. Angesichts all der ermutigenden Potenziale einerseits und der bedrohlichen Szenarien anderseits wird immer klarer: Wenn die fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte diese offene Situation für sich entscheiden wollen und die Krisen nachhaltig entschärft werden sollen, braucht es mehr als ein Herumdoktern an den Symptomen, es braucht mehr als einen Buben im Kartenblatt oder das Hoffen auf ein Ass. Vielmehr müssen die Karten neu gemischt und Regeln umgeschrieben werden.

Das ist nicht das erste Buch zum Green New Deal, und es wird hoffentlich nicht das letzte bleiben. Denn dieser Text ersetzt nicht die detaillierten Analysen über den historischen New Deal in den USA, auch wenn einiges besonders Bemerkenswertes hier angeführt wird. Diese Seiten ersetzen auch nicht die vielen innovativen wissenschaftlichen und politischen Konzepte, von denen in der Folge einige in Anschlag gebracht werden. Und schon gar nicht ersetzt dieser Text die unzähligen Kämpfe und Auseinandersetzungen, die die Grundlage bilden für die Weichenstellungen in eine gerechte und lebenswerte Zukunft. Vielmehr soll er Neugierde wecken auf die Pfade, die wir zusammen einschlagen können, und Lust machen auf das, was bevorsteht. Wie könnten aber die Pfade und Wege, die wir gemeinsam einschlagen wollen, erkundet werden? Die Grande Dame des linken Feminismus Frigga Haug liefert eine Antwort: Der Weg wird beim Gehen erkundet.2 [13] Da der Green New Deal als Zukunftspakt noch nicht durchgesetzt wurde, können wir nicht einfach jemandem auf einem bereits planierten Weg hinterherlaufen, sondern müssen ihn beim gemeinsamen Handeln finden. Für die Umsetzung dessen, was notwendig, und dessen, was wünschenswert ist, gibt es keine fertige Wegbeschreibung. Aber immerhin gibt es einen Orientierungspunkt: Denn legt man die Vielzahl von Konzepten zum Green New Deal übereinander, dann erscheinen zwar Leerstellen und einige Widersprüchlichkeiten, aber alles in allem ergeben sie das Bild eines Projekts der Gesellschaftsveränderung, das das Potenzial hat, für fortschrittliche Bewegungen, für sozial und ökologisch engagierte Köpfe in der Politik und der Gesellschaft sowie letztlich für uns alle gemeinsam zu einem Kompass zu werden. Und wie bereits angedeutet, kommt dieser Kompass nicht einfach aus dem Nichts. Er hat eine Geschichte, aus der sich viel lernen lässt.

 

Was bisher geschah – im Zeitraffer

Vor rund 90 Jahren, in den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts, startete unter dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt in den USA in Reaktion auf Rezession und die bis dahin größte Wirtschaftskrise der kapitalistischen Geschichte der New Deal. Anfangs ging es vor [14] allem um die Regulierung der Finanzmärkte sowie um massive Investitionen. Später aber auch um Rechte für Beschäftigte und um gute Arbeit, kurz um die Anfänge eines Sozialstaates.

Gut 90 Jahre später zeichnen sich deutlich die Umrisse einer neuen, globalen Krise ab: der hereinbrechende Klimakollaps. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weisen seit langem auf die Gefahren der weitgehend menschengemachten globalen Erwärmung hin, politische und zivilgesellschaftliche Bewegungen versammelten sich spätestens seit den 1980er Jahren hinter dem Ziel des Umweltschutzes, mit Beginn des 20. Jahrhunderts erklingen verstärkt die Rufe nach Klimagerechtigkeit. Vor rund 15 Jahren kommen in Deutschland schließlich die ersten Debatten um einen Green New Deal auf. Damit war das Thema auch auf die Ebene eines möglichen Regierungsprogramms gelangt, wenn auch nicht bei den zu dieser Zeit tatsächlich Regierenden. Die dabei verhandelten Konzepte knüpften zwar sprachlich an den historischen New Deal unter Roosevelt an, ließen jedoch anfangs noch die Bereitschaft zum Konflikt mit der Kapitalseite missen, die das historische Vorbild ausgezeichnet hatte. Vielmehr waren diese ersten Debatten hierzulande stark durch das Bestreben geprägt, Klimaschutz und Kapitalismus zu versöhnen.

Nicht wenige, auch die Redaktion des Magazins prager frühling,3 kritisierten damals den Green New Deal [15] als Versuch, allen einzureden, ein grüner Kapitalismus sei möglich. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise und nachhaltiger Klimaschutz miteinander im Konflikt stehen. Das ist auch den weltweiten Bewegungen für Klimagerechtigkeit zu verdanken. Niemand bringt es so gut auf den Punkt wie Naomi Klein mit ihrem Buchtitel Die Entscheidung: Klima versus Kapitalismus.4 Im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts häuften sich dann Green-New-Deal-Ansätze, in denen soziales und ökologisches Umsteuern zusammengedacht und konzipiert wurden: von den linken Demokrat:innen Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders in den USA über das Programm der britischen Labour-Partei und Konzepten der Partei Die Linke in Deutschland.5 Es handelt sich allerdings wahrlich nicht nur um eine Debatte der westlichen Welt – im Gegenteil. Wichtige Stimmen stammen aus dem globalen Süden, nicht zuletzt wohl deshalb, weil hier sowohl die sozialen als auch die klimatischen Folgen des Klimawandels schon jetzt in einem Ausmaß zu spüren sind, das bei uns noch fast unvorstellbar ist. Auch die Climate Justice Charta aus Südafrika, die in einem breiten gesellschaftlichen Prozess über Jahre erarbeitet wurde, und der Pacto Ecosocial [16] del Sur für die lateinamerikanischen Länder und die Karibik aus dem Jahre 2020 zeugen davon.

Und dann schlug zu Beginn der Zwanzigerjahre dieses Jahrhunderts die Coronapandemie ein. Sie krempelte Gewissheiten um, stellte vieles auf den Kopf und noch mehr infrage. Wir müssen uns damit beschäftigen, welche Schlussfolgerungen aus dieser Krise zu ziehen sind.

Nach über einem Jahr Coronakrise, also im Frühling 2021, drängt sich die Frage auf, ob diese Krise unsere Sicht auf den Green New Deal ändert, ob sie etwa die Dringlichkeit seiner Umsetzung relativiert. Doch im Gegenteil scheint jetzt mehr denn je ein übergeordnetes Projekt des gesellschaftlichen Umbaus notwendig. Allerdings ist nun zu der Notwendigkeit, die ökologischen und die sozialen Krisen zu entschärfen, eine weitere Aufgabe hinzugekommen.

Dabei lässt sich die Pandemie auch als Symptom für die allgemeine Krisenanfälligkeit der Weltgesellschaft insgesamt verstehen. Die Coronakrise hat den Menschen noch einmal ihre Verletzlichkeit vor Augen geführt. Das ist eine Erfahrung, die viele gerne verdrängen, weil sie daran erinnert, dass grundlegend umgesteuert werden muss, wenn die Welt krisenfester werden soll. Der Text knüpft hierfür an das ermutigende historische Beispiel des New Deal mit seiner Bereitschaft zum Konflikt an. Die substanziellen Überlegungen der jüngsten, progressiven Green-New-Deal-Konzepte, die sowohl national angelegt sind wie auch global zur Umsetzung drängen, sind in ihn eingeflossen. Anschluss erlaubt auch die wissenschaftliche [17] Expertise zur Agrarwende, Energiewende, Verkehrswende, Bauwende und zu Umbauprogrammen in der Wirtschaft. Doch wer heute über Umsteuern und Weichenstellungen schreibt, muss zugleich die Erfahrungen des Coronaschocks einbeziehen. Dies geschieht im Folgenden exemplarisch im Bereich der Kunst- und Kulturpolitik, der sozialen Garantien sowie bei Fragen der Geschlechterverhältnisse und der Zeitpolitik. Anhand dieser Kontexte wird deutlich: Die Pandemie wirft die bisherigen Überlegungen im Rahmen der Green-New-Deal-Debatten nicht über den Haufen, vielmehr hat sie weitere Dimensionen sichtbar gemacht. Es gab einen Weckruf.

1Vgl. Kolja Möller: „Das ‚Volk‘ der neuen Rechten. Zwischen autoritärem Liberalismus und neofaschistischer Dynamisierung“, Zeitschrift für Menschenrechte 2/2020, S. 68–91.

2Frigga Haug, Der im Gehen erkundete Weg. Marxismus-Feminismus, Hamburg: Argument/inKrit 2018.

3„Ökologische Politik – will sie nicht offen autoritär sein – muss letztlich auch eine soziale Politik sein, weil sie ohne Akzeptanz der vielen zum Scheitern verurteilt ist.“ „Aus Thesen der Redaktion: lieber red als new“, prager frühling, Februar 2010, S. 38–39, hier S. 38.

4Naomi Klein, Die Entscheidung: Kapitalismus versus Klima, Frankfurt a.M.: Fischer 2016.

5Bernd Riexinger, System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal, Hamburg: VSA 2020; Katja Kipping, Bernd Riexinger, „Für einen sozialen Aufbruch und mutigen Klimaschutz“, https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/fuer-einen-sozialen-aufbruch-und-mutigen-klimaschutz/ [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

[18] 2. CORONA UND KLIMA: WAS HAT DAS MITEINANDER ZU TUN?
Wake-up call

„Ich sage meinen Aktionären immer: Corona is a wakeup call, also ein Weckruf. Sehen Sie, wie schnell die Regierung im Lockdown in der Lage war, Freiheitsrechte einzuschränken. Glauben Sie ja nicht, dass sie nicht auch ans Eigentumsrecht rangehen würden, wenn es ernst wird mit dem Klimaschutz. Schon deshalb müssen wir jetzt von uns aus auf klimagerechtes Bauen hinwirken.“1 Diese Worte von einem Vertreter eines großen Immobilienkonzerns fielen bei einer digitalen Diskussionsrunde Anfang 2021 an der London School of Economics zum Thema Nachhaltigkeit. Natürlich ging es ihm darum zu verdeutlichen, wie sehr sein Unternehmen auf ökologische Belange achtet. Doch diese Worte lassen auch aus einem anderen Grund aufhorchen. Sie erinnern an die Polemik von Jan Fleischhauer in Reaktion auf den Aufruf #ZeroCovid. Dieser Aufruf aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft schlägt eine europaweite Strategie im Kampf gegen Corona vor. Anstatt die Infektionszahlen nur etwas einzudämmen, sollen sie Richtung null gedrückt werden. [19] Man tritt Fleischhauer nicht zu nahe, wenn man ihn als ausdrücklich Nichtlinken und Anhänger des Marktliberalismus bezeichnet. Aus dieser Position heraus kritisierte er an #ZeroCovid, dass es sich hier um den „Beginn im Kampf um eine neue Wirtschaftsordnung handelt“.2 Dabei findet es Fleischhauer besonders erschreckend, dass „die neue postpandemische Gesellschaft […] eine Gesellschaft sein wird, in der die Profitlogik ausgehebelt ist“.3 Während die gesellschaftliche Linke noch miteinander stritt, wie sie es mit dem Lockdown hält, hatte die andere Seite den Knackpunkt der Sache also längst ausgemacht. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Fleischhauer und Co. das als Gefahr markieren, was als Chance gesehen werden könnte.

Um den Kollaps von Krankenhäusern und Krematorien zu vermeiden, griff die Regierung während der Coronakrise in alltägliche Abläufe entschieden ein, sogar teilweise in die unternehmerische Freiheit. Nicht jeden dieser Eingriffe heißen wir gut. Besonders die Schlagseite der Infektionsschutzmaßnahmen ist kritikwürdig. Die Hauptlast der Kontaktbeschränkungen wurde den Privathaushalten, dem Einzelhandel, der Kultur und der Gastronomie auferlegt, während die Vorschriften in der restlichen Arbeitswelt, z.B. in den großen Versandzentren von Amazon oder den riesigen Schlachthäusern, die sich schnell als Ansteckungsherde [20] erwiesen, weiterhin mehr oder weniger unverbindlich blieben.

Es zeigte sich aber dennoch deutlich, wie schnell tiefe Eingriffe möglich sind und Milliardenbeträge aktiviert werden können, wenn der politische Wille vorhanden ist. Kann diese kollektive Erfahrung als Ankerpunkt, ja als Ansatzpunkt für das dringend notwendige sozialökologische Umsteuern fungieren? Garantien dafür gibt es keine, bis auf die eine: Wenn wir es nicht versuchen, werden wir definitiv scheitern. Aber wollen wir es den Gegner:innen des sozial-ökologischen Umbaus wirklich so einfach machen? Vor allem angesichts der Komplizenschaft, die sich abzeichnet, wenn man einen Blick auf die organisierte Klimaleugnerszene wirft – und zwar hierzulande wie jenseits des Atlantiks. Besonders gut illustriert das die Geschichte des Heartland Institut.

Komplizenschaft von Corona- und Klimaleugnern im Heartland Institut

„Ein Angriff auf den Kapitalismus der amerikanischen Mittelschicht“, „ein Komplott, um die Amerikaner ihrer Freiheit zu berauben“, „durch nichts gerechtfertigt“, „keine freie Gesellschaft [würde sich] das antun“, „ein Trojanisches Pferd, erdacht, um den Kapitalismus abzuschaffen“, und schließlich die ganz große Nummer: „ein Deckmantel für den Nationalsozialismus“.4 [21] So wird auf den Konferenzen des eng mit der libertärrechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung verwobenen Heartland Institut in den USA über den Klimaschutz gesprochen. Eigenen Angaben zufolge fühlt sich die Heartland-Truppe marktliberalen Lösungen verpflichtet. Die Liste ihrer Geldgeber liest sich wie das Who’s who des Rechtspopulismus und Marktradikalismus: Philip Morris, die R. J. Reynolds Tobacco Company, die Koch Family Foundation, die Mercer Family Foundation und ExxonMobil. In ihrem Buch zum Green New Deal schildert Naomi Klein die Argumentationsmuster, die dieser pseudowissenschaftliche Think-Tank verbreitet. Anfangs handelte es sich um eine kleine Lobbygruppe u.a. für Tabak. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Passivrauchen krebserregend ist, war wichtig für die Gesundheit und das Leben von Millionen, aber schlecht für die Milliardenprofite der Tabakindustrie. Also versuchte man Zweifel an der Faktenlage zu säen. Dass diese Lobbygruppe sich selbst als Institut bezeichnet, ist eine Beleidigung für alle wissenschaftlichen Institute. Nichtsdestotrotz ist das Heartland Institut inzwischen zu einer einflussreichen Kraft in der Klimawandelleugnerszene aufgestiegen und hat mit gezielten Falschinformationen teilweise erfolgreich die Stimmung zum Klimaschutz in den USA negativ beeinflusst.

 

Dem Einfluss und massiven Mitteleinsatz von Lobbygruppen wie dieser ist es u.a. geschuldet, dass sich die Republikanische Partei inzwischen komplett vom Thema Klimawandel abgewandt hat. Nun war diese Partei noch nie Vorreiterin der Klimagerechtigkeit, [22] aber immerhin gab es eine Zeit in den USA, wo zumindest rhetorisch der Klimaschutz auch von einigen Republikaner:innen vertreten wurde und man die Hoffnung hegen konnte, dass ein direktes Leugnen des menschengemachten Klimawandels bald der Vergangenheit angehören dürfte. Diese Zeit ist vorbei. Der Clou ist, seit kurzem hat sich das Heartland Institut einem weiteren Ziel verpflichtet: der Untergrabung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Covid-19. Wer also schon eine Weile den Verdacht hatte, dass es eine große Schnittmenge zwischen Coronaleugnern und Klimaleugnern5 gibt, lag damit richtig. Bei der Coronaleugnung wie bei der Klimawandelleugnung geht es letztlich um die Ablehnung der Wirklichkeit, weil einem die möglichen Konsequenzen nicht passen. Die Leugnung des Klimawandels ist dann die vielleicht zugespitzte Form der Verdrängung der Folgen der Externalisierungsgesellschaft, d.h. dem Leben auf Kosten anderer.6 Die Klimaleugnung hat für ihre Anhänger zumindest kurzfristig einen entscheidenden Vorteil: Wenn es den Klimawandel nicht gäbe, müsste man auch nichts infrage stellen. Anzuerkennen, dass die vorherrschende Art der Produktion und [23] Konsumtion die Zukunft des Planeten oder zumindest des Lebens darauf, wie wir es kennen, gefährdet, ist hingegen folgenreich und müsste zu einem entschiedenen Kampf um eine grundlegende Veränderung führen. Das ist eine Konsequenz, die viele in ihrem Alltag schlichtweg nicht ziehen können oder ziehen wollen, was individuell durchaus verständlich sein kann, zumal wenn man schon so nur mit großen Anstrengungen über die Runden kommt. Es versperrt aber den Blick darauf, dass eine solidarischere Organisation des Zusammenlebens nicht nur notwendig ist, um die Krisen zu überwinden – sie hat sogar das Potenzial für die große Mehrheit zu einer lebenswerteren Zukunft zu führen. Der Durchsetzung einer solchen Erkenntnis stellen sich jedoch Lobbygruppen wie das Heartland Institut und die politischen Bewegungen und Parteien, die ihnen folgen, vehement entgegen. So verheerend und rückschrittlich dieser Ansatz ist, in einem tätigt diese Lobbygruppe eine bemerkenswert klare Analyse. Der britische Heartland-Stammgast James Delingpole bringt sie wie folgt auf den Punkt: „Die moderne Umweltschutzbewegung befördert erfolgreich Anliegen, die der Linken viel bedeuten: Umverteilung von Wohlstand, höhere Steuern, mehr Regierungseingriffe, Regulierung.“7

Die in solchen Kreisen verbreitete Unterstellung, die Linken hätte den Klimawandel erfunden, ist so absurd, dass sie hier keiner Widerlegung bedarf. Sie [24] lässt jeden wissenschaftlichen Standard vermissen. Sie ist genauso absurd wie die in der Coronaleugnerszene verbreitete Verschwörungstheorie, Bill Gates hätte Corona erfunden, um allen beim Impfen einen Chip einspritzen zu können. Doch in der Tat erfordert eine erfolgreiche Strategie zur schnellen Senkung der Infektionszahlen, wie sie beispielsweise bei #Zero-Covid entworfen wurde oder mit einem solidarischen Lockdown8 eingefordert wurde, das Anerkennen der Bedrohungslage und die Bereitschaft, auch gegenüber den Konzernen verbindliche Vorschriften zum Infektionsschutz durchzusetzen. Ebenso erfordert konsequenter Klimaschutz Regulierung, Umverteilung und Begrenzung von Reichtum. Denn je reicher ein Haushalt, desto größer ist im Durchschnitt sein ökologischer Fußabdruck. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht bringt das erneut auf den Punkt: Der Energieverbrauch der reichsten zehn Prozent ist fast drei Mal so groß wie der Energieverbrauch der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung.9 Man wünschte sich, die gesellschaftliche Linke und die Umweltbewegung in all ihrer Breite würden den – wenn auch nicht spannungsfreien – Zusammenhang von Umverteilung und Klimaschutz stärker realisieren. Immer noch verschwenden [25] zu viele Linke und Ökolog:innen unnötig Zeit und Energie damit, einen Widerspruch zwischen Klimaschutz und sozialen Fragen stark zu machen und dann je nach eigener Priorität gegeneinander in Stellung zu bringen. Glücklicherweise schrumpft die Zahl derer, die das tun. Immer mehr setzen auf eine gemeinsame sozialökologische Agenda. Davon zeugen beispielsweise die gemeinsame Kritik des Paritätischen Sozialverbandes und des BUND Umweltverbandes am Konjunkturpaket der Bundesregierung oder die Annäherung zwischen der Gewerkschaft ver.di und Fridays for Future beim Streik um bessere Löhne für Busfahrer:innen10 sowie die von Sozialverbänden und Umweltinitiativen gegründete Sozialplattform Klimaschutz „Sozial-ökologische Wende für alle“.11 Um es noch einmal zusammenzufassen: Nicht nur Klima- und Coronaleugner weisen Gemeinsamkeiten auf, auch beim Kampf gegen die Coronapandemie und gegen den Klimawandel ist dies der Fall. Wer die globale Erwärmung aufhalten will und die Infektionszahlen gegen null drücken möchte, braucht den Mut zur Regulation und die Bereitschaft, steuernd in die Wirtschaft einzugreifen. Wenn der Kampf gegen die globale Erwärmung und gegen das Virus dem Markt überlassen wird, wird er scheitern. Dann wird er zu einem Warten auf Godot, und der kam – zumindest in [26] dem Theaterstück von Samuel Beckett12 – bekanntlich nie. Doch je länger das Notwendige verschleppt oder durch die Arbeit von Lobbygruppen hinausgezögert wird, umso härter und abrupter wird das Umsteuern ausfallen müssen. Es ist jetzt schon höchste Zeit zu handeln.