Otto mit dem Pfeil im Kopf

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Otto mit dem Pfeil im Kopf
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Horst Bosetzky

Otto mit dem Pfeil im Kopf

Phantastische Geschichten um die Entstehung von Berlin und Brandenburg

Jaron Verlag

1. Auflage 2015

© 2015 Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin, unter Verwendung einer historischen Abbildung der Universitätsbibliothek Heidelberg

(Markgraf Otto IV. von Brandenburg, Manessische Handschrift, um 1300)

Satz und Layout: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN 978-3-95552-214-8

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zu diesem Buch

Anno 1157

Die Eroberung der Brandenburg

Anno 1190

Mord im Kloster Lehnin

Anno 1245

Kampf um den Teltow

Anno 1280

Otto mit dem Pfeil im Kopf

Anno 1325

Als die Berliner den Propst erschlugen

Anno 1348

Der falsche Waldemar

Anno 1415

Triumph der Hohenzollern

Anno 1448

Der Berliner Unwille

Zu diesem Buch

Die fabelhaften – teilweise auch weiblichen – Helden unserer Mittelalter-Novellen sind klassische Abenteurer: stark, intelligent, einfallsreich, witzig und schön. Sie kommen aus allen Ständen und Schichten Europas und erfreuen uns in den unterschiedlichsten Rollen, sind sich aber von ihrem grundsätzlichen Fühlen und Denken her immer sehr ähnlich: edel, hilfreich und gut, aber auch listig, humorvoll und mit einer gehörigen Chuzpe ausgestattet. Sie betreten immer dann die Szene, wenn in unseren Breiten ein besonderes historisches Ereignis stattfindet.

Jeder Novelle liegt eine wichtige geschichtliche Begebenheit zugrunde, womit die vergnügten und kurzweiligen Erzählungen um unsere fabelhaften Figuren zu einer lehrreichen und packenden Geschichtsstunde werden. So manches historische Detail, das bis heute unerforscht ist, wird erst durch sie anschaulich. In der Regel entschärfen und lösen die Helden Konflikte, fördern das Gute, bekämpfen das Böse und greifen mit ihren Taten entscheidend in die geschichtsträchtigen Geschehnisse ein. Mit ihnen an der Hand werden die Ursprünge der Mark Brandenburg und der Stadt Berlin auf höchst vergnügliche Weise wieder lebendig. Die Fakten stimmen, und alle Großen der Welt, mit denen sich unsere Protagonisten auseinandersetzen, haben wirklich gelebt, das übrige Personal aber ist frei erfunden.

Zur besseren Orientierung gibt es am Anfang einer jeden Geschichte einen kurzen historischen Überblick und am Schluss eine »Besetzungsliste«.

Die hier versammelten acht Mittelalter-Novellen erschienen zum größeren Teil bereits in Einzelbänden. Das Interesse unserer geschätzten Leserschaft ermunterte uns, sie in bearbeiteter Form neu herauszubringen und durch zwei noch unveröffentlichte Geschichten zu ergänzen.

Horst Bosetzky, im Sommer 2015

Anno 1157
Die Eroberung der Brandenburg

Im Jahre 1157 wird Ritter Ulric von Huysburg in die Nordmark geschickt, das Land zwischen Elbe und Oder, das die Germanen in den Zeiten der Völkerwanderung verlassen haben und in dem sich verschiedene Stämme der Slawen angesiedelt haben: an der Havel die Heveller und an der Spree die Sprewanen. Es gibt nur wenige Burgen und Dörfer, alles ist noch die berühmte unberührte Wildnis. Markgraf der Nordmark ist zwar formell Albrecht der Bär, ein Fürst aus dem Hause Askanien, aber viele wollen ihm die Herrschaft streitig machen, vor allem der Sprewanenfürst Jaxa von Cöpenick, ein Vasall der polnischen Piasten.

Eine Entscheidungsschlacht steht an, für Ulric von Huysburg gibt es viel zu tun, und die Liebe kommt ihm auch noch dazwischen.

Eins

Ulric von Huysburg kam aus dem Harzvorland, wo er auf der Burg Falkenstein einige Tage bei einem Freund zu Gast gewesen war. An einem schönen Frühlingsmorgen ritt er mit seinen beiden Knappen Cuntz und Bogdan-Otto an der Nuthe entlang, meist auf schmalen Pfaden am westlichen Ufer, manchmal auch im seichten Wasser des Flüsschens. Ihr Ziel war Spandow, wo die Askanier dabei waren, auf dem Gelände älterer slawischer Wälle eine feste Burg anzulegen und damit ein Gegengewicht zu Cöpenick zu schaffen, wo der Sprewanenfürst Jaxa residierte. Die Sonne wärmte alle mit ihren schon kraftvollen Strahlen, doch es spross noch kein Grün an den Zweigen, und der Boden war aufgeweicht vom gerade weggetauten Schnee.

Cuntz, der eine Weile in Italien gelebt hatte, fluchte vor sich hin: »Ach, Varus, warum hat die kultivierte Welt aus deiner Niederlage nichts gelernt und sich damals nicht geschworen, ein für alle Mal auf dieses Dreckland aus Morast und Urwald zu verzichten!«

Bogdan-Otto protestierte: »Ich sage dich, die Weiterrrkeit von die Askanierrr tut lügen zwischen die Fluxe Elbe und Odra!« Er war ein Heveller, ein Slawe also, der zum Christentum übergetreten war, und glaubte, der Segen für sein Land komme ausschließlich von Papst und Kaiser. Mit der deutschen Sprache hatte er noch immer seine Schwierigkeiten.

Ulric stimmte ihm zu, denn seinem Geschichtsbild zufolge hatten nur jene Königreiche und Herzogtümer, die auf Expansion angelegt waren, eine Chance, auf Dauer zu bestehen. Andere Länder erobern, andere Völker für sich arbeiten lassen – das war das gängige Rezept. Und die Askanier, die Welfen und die Wettiner hatten das begriffen.

Seine Knappen wollten dieses Thema nicht vertiefen, sie redeten lieber von den schönen Frauen, die es auf den Burgen gab, und Cuntz, der ein begabter Minnesänger war, ließ sich animieren, ein paar Verse zu singen:

Ich wirbe umbe allez, daz ein man

ze wereltlichen fröiden iemer haben sol:

daz ist ein wîp, der ich enkan

nâch ir vil grôzem werdekeit gesprechen wol.

Bogdan-Otto winkte ab. »Immerrr, wenn ich eine Frau belegen will, schlägt sie mirrr ab. Eine Hevellerrr wille ich nücht, trrrompetet die Weiber. Von wegen Frrröiden!«

Cuntz riet ihm, es einmal in den großen Städten zu versuchen, wo man sich die körperliche Liebe kaufen konnte, und schwärmte von den Flötenmädchen, die es im alten Griechenland gegeben hatte. »Das waren die aulétides, von aulos, die Flöte. Sie unterhielten die Männer zuerst mit ihrem Flötenspiel, bevor sie mit deren Flöte spielten.«

Er wollte das gerade sich und Bogdan-Otto weiter ausmalen, als von jenseits der Nuthe ein Pfeil herangeflogen kam, seinen Rücken durchbohrte und ihm im Herzen steckenblieb. Er schrie auf, stürzte vom Pferd und verstarb noch im selben Augenblick.

Ulric von Huysburg, der seinen Knappen vorangeritten war, fuhr herum, begriff, was geschehen war, und hatte nur noch einen Gedanken: den feigen Todesschützen zu fassen und seiner gerechten Strafe zuzuführen. »Los, Bogdan-Otto, mir nach!«

Damit gab er seinem Pferd die Sporen, sprengte in die flachen Wasser der Nuthe und jagte zum anderen Ufer hinüber. Was anfangs wie ein Kinderspiel erschien, wurde schnell zu einem schwer lösbaren Problem, denn bald verfingen sich die Hufe ihrer Tiere im dick verfilzten Unterholz, und sie mussten absitzen, um sich mit ihren Schwertern einen Weg zu bahnen. Der Schütze, der mit Sicherheit zu Fuß gekommen war, hatte es da wesentlich leichter. Ulric glaubte aber, dass er sich noch immer in der Nähe versteckt hielt, um seine nächsten Pfeile abzuschießen. Gute Zielscheiben boten sie ja.

»Vorsicht!«, rief Ulric von Huysburg. »Nicht auf die Lichtung!«

Bogdan-Otto zügelte sein Pferd. »Eherrr wir wünschen zu finden eine Haarrrnadel im Haufen Mist wie den Pfeilscheißerrr hierrr in die Dickicht.«

»Eine Stecknadel im Heuhaufen«, korrigierte ihn Ulric, der wusste, dass eine Integration der Slawen ins Heilige Römische Reich nur gelingen konnte, wenn sie die deutsche Sprache perfekt beherrschten. »Aber du hast recht, es ist vergebene Liebesmüh. Doch …« Er stockte und sah nach links und rechts. »Dies hier scheint eine Art Straße zu sein.«

»Eherrr was, wo sich Wild verrrwechselt«, befand Bogdan-Otto.

»Wo ist da der Unterschied?«, brummte Ulric von Huysburg. »Östlich der Elbe gibt es keine Straßen. Euer Pech, dass es die Römer nicht bis hierher geschafft haben.«

 

»Ritterrrn wir auf dieses Pfad hoch nach Spandow?«, wollte Bogdan-Otto wissen.

»Nein«, entschied Ulric, »wir müssen Cuntz ordentlich begraben.«

Der Slawe hob den Kopf, um besser hören zu können. »Was hat sich da verwieherrrt vor uns? Eine Pfärrrde?«

»Das wird der Gaul sein, auf dem Cuntz geritten ist.«

»Nein, hierrr auf unsrrrige Seite von die Flux.«

»Dann los, lass uns nachsehen, wer da unterwegs ist.« Ulric lenkte seinen Rappen in die angegebene Richtung. »Aber aufgepasst, vielleicht haben wir es mit einem ganzen Trupp von Sprewanen zu tun.«

Nach knapp drei Minuten trafen sie auf eine Kolonne, bestehend aus einem Frachtwagen und drei Packtieren. Ein paar Männer sprangen sofort ins Gebüsch, als sie den askanischen Ritter mit seinem Knappen hinter sich bemerkten, nur der Händler selbst, der auf dem Kutschbock des Frachtwagens saß, entschloss sich standzuhalten. Wahrscheinlich hätte er sich bei seinem Alter auch den Knöchel gebrochen, wäre er auf die Erde gesprungen.

»Bande Mörderrr ihrrriges!«, schrie Bogdan-Otto den Fliehenden hinterher.

Ulric von Huysburg hielt auf Höhe des Händlers und fragte ihn nach seinem Namen und woher er käme.

»Nebojša aus Jutribuc.«

»Aha, Jüterbog.« Ulric erinnerte sich daran, dass der Magdeburger Erzbischof Wichmann gerade ansetzte, die Stadt zu erobern, um von dort aus die Kreise der Askanier nachhaltig zu stören. Von Jüterbog aus konnte man den Fernhandel kontrollieren und hatte damit viele Trümpfe in der Hand. »Und wohin willst du?«

»Nach Poztupimi, Herr.«

»Potsdam, hm. Und auf dem Wege dorthin schwärmen deine Leute aus und schießen mit ihren Pfeilen auf askanische Ritter!«

»Nein, Herr«, beteuerte Nebojša, »wir sind friedliche Leute.«

»Und was sehe ich da an dem Lastpferd hängen? Einen Bogen! Wahrscheinlich ist es der, von dessen Sehne der Pfeil geschnellt ist, der meinen Knappen getötet hat.«

»Ich weiß von nichts«, versicherte der Händler.

»Lüge nicht so frech!« Ulric zog sein Schwert und drückte dessen Spitze so fest auf den Adamsapfel des Slawen, dass es blutete. »Wer war es? Hast du den Auftrag dazu gegeben?«

»Nein, Herr!«

Ulric mochte den Slawen, ohne sagen zu können, warum. Auch war er keiner, der jemanden ohne Gerichtsverhandlung und Schuldanerkenntnis dem Henker übergeben hätte. Hier allerdings war weit und breit kein Richter.

»Mach kurrrzes Prrrotest mit dieses Mann!«, drängte Bogdan-Otto.

»Sonst trrrifft dich nächste Feile von seine Knächte.«

»Nein«, entschied Ulric. »Ich, Ulric von Huysburg, schenke dir das Leben, Nebojša, was auch immer hier geschehen ist! Ziehe dahin und siehe zu, dass die Deinen ehrliche Menschen werden!« Damit riss er sein Pferd herum und ritt zurück in Richtung Nuthe.

Bogdan-Otto folgte ihm schimpfend. »Wie sagen du immerrr? Jede gütige Handlung gäht sich nach hinten los.«

Ulric stöhnte auf. »Jede gute Tat rächt sich einmal! Das ist aber totaler Unsinn, denn im Lukas-Evangelium steht geschrieben: Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, also tut ihnen auch. Tue ich Gutes, wird auch mir Gutes getan

»Wenn ich das ins Ohrrr nehme, hätte ich lieberrrs bleiben sollen eine Heide«, murmelte Bogdan-Otto.

Nach einigem Hin und Her fanden sie ihre eigene Fährte wieder und auf ihr zur Nuthe zurück. Jetzt galt es, Cuntz auf angemessene Art und Weise zu begraben. Ulric hieß den Knappen Bogdan-Otto, sein Schwert zu nehmen und es als Spaten zu benutzen.

»Das entehrrrt meine Schwerrrt«, reimte Bogdan-Otto.

Ulric lachte. »Dann nimm meines!«

So versuchte es also der Knappe mit dem Schwert seines Herrn, während Ulric selbst seine Lanze benutzte, um eine Grube auszuheben, die tief genug war, um Cuntz’ Leichnam davor zu bewahren, von Bären, Wölfen und Luchsen gefressen zu werden. Sie schufteten im Schweiße ihres Angesichts, immer in Gefahr, vom nächsten Pfeil erwischt zu werden. Aber Ulric hatte ihre beiden Pferde so angebunden, dass sie einen lebenden Wall zwischen dem Grab und der Nuthe bildeten. Nachdem sie ihre Hände als Schaufeln eingesetzt hatten, war es endlich so weit, dass sie den armen Cuntz in die Grube hinablassen konnten.

Sie sahen auf den Toten hinab und falteten die Hände.

Ulric von Huysburg sprach die letzten Worte: »Dein Leben war kurz, und du wärst ein gefeierter Sänger geworden, aber wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden. So steht es bei Markus. Und du, lieber Cuntz, bist gestorben, weil du die Worte des Herrn ins Land zwischen Elbe und Oder tragen wolltest. Der Herr segne und behüte dich, Friede deiner Asche!«

Während nun Bogdan-Otto die aufgeworfene Erde in die Grube schob und einen Grabhügel aufhäufte, zimmerte Ulric mit Hilfe seines Schwertes und seines Dolches ein Kreuz und schnitzte den Namen Cuntz und die beiden Jahreszahlen ins weiche Holz: * 1134 † 1157.

Als das erledigt war, setzten sie schweigend und in gedrückter Stimmung ihren Ritt nach Spandow fort.

Im Refektorium des Benediktinerklosters zu Ballenstedt saß im Frühjahr 1157 Albrecht der Bär mit seinen Söhnen und Töchtern beisammen, um Rat zu halten.

»Wir sind umgeben von Feinden«, klagte er. »In Magdeburg hat der Erzbischof großen Hunger auf neue Ländereien, in Braunschweig ist es Heinrich der Löwe, in Meißen der Markgraf, in Thüringen der Landgraf, in Polen sind es die Piasten und in Böhmen die Přemysliden …«

»Was höre ich da?«, rief Gertrud, die seit 1153 mit einem Přemysliden verheiratet war. »Mein Mann wird die Kreise seines Schwiegervaters ganz sicher nicht stören. Und außerdem will er im nächsten Jahr mit dem Barbarossa nach Italien ziehen.«

»Ja, auf deine Töchter kannst du bauen!«, stimmte Hedwig ihr bei. Sie hatte mit fünfzehn Jahren Otto den Reichen aus dem Geschlecht der Wettiner zum Manne genommen. »Wenn Otto Markgraf wird, und das ist in Kürze der Fall, dann werde ich ihn schon davon abzuhalten wissen, einem Askanier in die Quere zu kommen.«

Albrechts Sohn Otto mischte sich ein: »Schön wär’s! Die Wettiner drängen zur Ostsee, und daran kann sie auch keine Hedwig von Ballenstedt hindern. Unser Vater möge noch lange leben, aber eines Tages werde ich seine Lasten zu tragen haben, und da weiß ich schon, was auf mich zukommen wird.«

Sein Bruder Siegfried, der vor zehn Jahren ins Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg eingetreten war und seine Zukunft als Geistlicher sah, ging beschwichtigend dazwischen. »Alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr es glaubet, werdet ihr’s empfangen.«

»Na fein«, murmelte Albrecht, »dann bete ich nachher, dass sich meine Nordmark in den nächsten Jahren von ihrer Größe her mindestens verdoppelt, wenn nicht gar verdreifacht.«

»Wie schön, dass sie uns wenigstens noch die magerste Sau im kaiserlichen Stall gegönnt haben«, sagte Otto.

Bernhard war noch zu jung, als dass er sich zu Wort gemeldet hätte, und Dietrich wie Adalbert hatten sich längst damit abgefunden, über die Region hinaus keine Bedeutung zu haben. Sie sollten Graf von Werben beziehungsweise von Ballenstedt werden.

Im Weiteren drehte sich das Gespräch um Familiäres, vor allem darum, wann die beiden Töchter wohl ihr erstes Kind zur Welt bringen würden. Alle hätten darauf schwören können, dass es im Jahre 1158 sein würde.

»Auf alle Fälle sollte sich vor dem nächsten Kreuzzug Nachwuchs einstellen«, lästerte Siegfried. »Denn wenn eure Männer da mit nach Süden ziehen, dann …«

»Morgen brechen wir nach Spandow auf«, verkündete Albrecht. Es sei an der Zeit, sich mehr um den östlichsten Außenposten der Askanier zu kümmern.

Im 4. Jahrtausend v. Chr. hatten sich im Gebiet um Spree und Havel Kulturen mit Ackerbau und Viehzucht herausgebildet, seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. siedelten sich verstärkt Germanen an, nach alten Quellen waren es die Semnonen, die zu den Sueben gehörten, und die Burgunden. Im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. verließen sie – bis auf einige Restgruppen – das Land der späteren Mark Brandenburg und wanderten Richtung Oberrhein und Schwaben. Ab dem 6. Jahrhundert strömten dann Slawenstämme in die Gegend um die Lausitz und um das Jahr 720 auch in den Berliner Raum. Sie übernahmen die alten germanischen Standorte, siedelten sich aber auch in noch unbewohnten Landstrichen an. Etwa seit dem 7. Jahrhundert wurde das Havelland von den slawischen Hevellern besiedelt. Einer ihrer wichtigsten Orte war Spandow, wo sie am Zusammenfluss von Havel und Spree einen Burgwall errichteten. Aus dieser Anlage war bis Ende des 10. Jahrhunderts eine befestigte Burganlage entstanden, die nun zu einem wichtigen Stützpunkt der Askanier ausgebaut werden sollte.

Ulric von Huysburg und Bogdan-Otto hatten sich mühsam ihren Weg durch Sumpf und Heide gebahnt und hofften, noch im Laufe des Nachmittags in Spandow anzukommen.

»Wenn sie wenigstens schon einen Kirchturm hätten, an dem man sich orientieren könnte«, klagte Ulric von Huysburg.

»Na szczęście, na dłuższą metę tylko w stanie«, sagte Bogdan-Otto. Ulric musste nur kurz überlegen, dann hatte er es übersetzt: »Glück hat auf Dauer nur der Tüchtige.«

Und Glück hatten sie in der Tat, denn als sie am Spreeufer angekommen waren, fanden sie ein Floß aus Kiefernstämmen, das tragfähig genug war, sie und ihre beiden Pferde zum Zeltlager der Askanier zu bringen. Das Wappen des Grafen von Ballenstedt grüßte herüber.

Als sie auf der Burgwallinsel an Land gegangen waren und ihre Pferde am Zügel führten, kam ihnen ein Mann entgegen, der Ulric auf den ersten Blick herzlich unsympathisch war. Alle Ritter, die nichts weiter waren als ein aufgeblasenes Etwas, die hasste er.

»Was wollt Ihr hier?«, herrschte der Mann Ulric von Huysburg an.

»Den Markgrafen sprechen.«

»Und wer seid Ihr?«

»Ulric von Huysburg. Vom Himmel geschickt, die Nordmark sichern zu helfen. Und mit wem habe ich die Ehre?«

»Du kennst mich nicht?«

Diese Arroganz reizte Ulric nun doch. »Nein. Etwa Gottfried von Bouillon?« Das war eine Beleidigung, denn der große Heerführer des Ersten Kreuzzugs war schon im Jahre 1100 in Jerusalem verstorben.

Der askanische Verwalter Spandows riss seinen Dolch aus dem Gürtel. »Du wagst es?«

»Ja.« Im Nu hatte Ulric mit einem Tritt seines rechten Fußes dem anderen die Waffe aus der Hand geschlagen und sie wieder aufgefangen, nachdem sie in hohem Bogen durch die Luft gesegelt war. »Wenn ich dir nicht deinen fetten Bauch aufschlitzen soll, dann nenne mir doch bitte deinen Namen, damit ich dich höflich anreden kann.«

»Wiprecht von Wandsleben«, presste der andere hervor.

Ulric dachte an Wanze, unterdrückte aber eine entsprechende Äußerung, um Wiprecht nicht weiter gegen sich aufzubringen. Schließlich waren sie Waffenbrüder und sollten alle Kraft einsetzen, ihr gemeinsames Ziel zu erreichen: In den Staub mit allen Feinden Albrechts!

Wiprecht wies ihnen ein kleines Zelt zu, und sie versuchten, es sich so bequem wie möglich zu machen.

Kaum hatten sie sich auf ihren notdürftig zusammengezimmerten Feldbetten ausgestreckt, erhob sich draußen im Lager ein solcher Lärm, dass sie sofort wieder hochfuhren.

»Wirrrd sicher sein diese Jaxa!«, rief Bogdan-Otto. »Errr attackierrrt uns an.«

Ulric von Huysburg steckte seinen Kopf aus dem Zelt. »Nein, Albrecht kommt mit seinem Tross.«

Der Knappe lachte. »Und … hat seine Beerrren dabei?«

»Nein, weder Erd- noch Himbären, sondern nur Speisenträger, Kämmerer, Mundschenk, Marschall und Koch.« Auch Ulric wusste nicht, warum man Albrecht den Beinamen Bär gegeben hatte. In seinem Wappen gab es keinen Bären, und bärenstark schien er auch nicht gerade zu sein. Vielleicht hatte man ein Gegenstück zu Heinrich dem Löwen gebraucht. Und besser noch Albrecht der Bär als Karl der Dicke oder gar Arnulf der Böse, wie zwei andere Herrscher hießen.

Ulric wartete ab, bis sich die Aufregung nach Albrechts Erscheinen etwas gelegt hatte, dann trat er aus dem Zelt, um sich dem Markgrafen der Nordmark vorzustellen.

»Ulric von Huysburg. Der Himmel schickt mich, Euch zu dienen«, begann er und berichtete dann kurz von seinem Leben und seinen Taten.

»Sei mir willkommen unter meinem Banner!«, rief Albrecht und hieß ihn, Platz zu nehmen an der Tafel, die gerade ins Zelt getragen wurde. Während man mit Freuden aß und trank, wurde reihum von dem erzählt, was man in den letzten Jahren erlebt hatte. So lernte Ulric von Huysburg sie alle kennen: Hancz von Crüchern, Eberlin von Mölz, Ottin von Strenznau und viele mehr.

 

Als sie mit ihren Berichten am Ende waren, ging der Blick des Markgrafen zu Ulric hinüber. »Nun, Ulric von Huysburg, was hast du an Berichtenswertem erlebt?«

Ulric erzählte aus den Jahren, als er in den Diensten von Roger II. gestanden hatte, einem Normannen, der sich Weihnachten 1130 in Palermo zum König von Sizilien erhoben hatte. »1146 war ich dabei, wie Roger Tunis eroberte und damit die Herrschaft über das zentrale Mittelmeer errang. Es gab wunderbare Leute an seinem Hof, so den arabischen Kartographen Al-Idrisi, der für ihn eine silberne Weltkarte erschuf. Das Schönste aber war sein großer Harem …«

Diese Mitteilung wurde mit großem Jubel begrüßt und von vielen neiderfüllten Kommentaren begleitet.

Nachdem alle etwas zur Unterhaltung der Runde beigetragen hatten, kam Albrecht auf den Grund seines Besuchs in Spandow zu sprechen. »Dass das Haus Askanien ringsum nicht gerade von Freunden umgeben ist, dürfte euch allen bekannt sein«, begann er. »Über die Rolle von Kaiser Friedrich I. rätseln wir noch. Als Markgraf der Nordmark hat mich Barbarossa noch nicht in Frage gestellt, aber wer weiß …«

»Könnt Ihr nicht Erzbischof Wichmann von Magdeburg für uns gewinnen?«, fragte einer der Ritter.

»Ich werde es versuchen, er hängt aber eng mit Barbarossa zusammen.« Albrecht stieß einen tiefen Seufzer aus. »Sorgen bereiten mir auch die Piasten. Ob sie nicht diesen Jaxa von Cöpenick in Marsch setzen, die Brandenburg zurückzuerobern? Ich habe keinerlei Kunde von ihren Absichten.«

Ulric hob den Arm. »Ich beherrsche die slawischen Sprachen und erkläre hiermit meine Bereitschaft, mich, getarnt als Obotrit, in die Burg Cöpenick zu begeben, um etwas von Jaxas Plänen zu erfahren.«

»Sich als Kundschafter in Jaxas Lager zu schleichen hat bis jetzt jeden das Leben gekostet!«, rief Wiprecht von Wandsleben. Ihm war unschwer anzusehen, dass er sich dieses Schicksal auch für Ulric von Huysburg erhoffte.

Ulric lachte. »Ich fürchte mich nicht.«

»So etwas höre ich gerne«, erklärte Albrecht der Bär. »Und wenn du für mich nach Cöpenick reitest, wäre ich dir ewig zu großem Dank verpflichtet.«