Auf nach Berlin!

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Friedrich Rentschler

Auf nach Berlin!

1.200 Kilometer im Ruderboot


Geschrieben für alle, die gerne rudern, und für solche, die gerne Geschichten lesen.

INHALT

Entschluss

Was brauche ich?

Wie trainiere ich?

Start

18.07.2010 Stuttgart – Hessigheim

19.07.2010 Hessigheim – Gundelsheim

20.07.2010 Gundelsheim – Eberbach

21.07.2010 Eberbach – Edingen

22.07.2010 Pause in Edingen

23.07.2010 Edingen – Nordheim

24.07.2010 Nordheim – Eltville

25.07.2010 Eltville – Koblenz

26.07.2010 Koblenz – Bonn

27.07.2010 Bonn – Benrath

28.07.2010 Benrath – Duisburg

29.07.2010 Zwangspause in Duisburg

30.07.2010 Fahrt Duisburg – Stuttgart – Duisburg

31.07.2010 Fahrt Duisburg – Berkenbrück

01.08.2010 Fahrt Berkenbrück – Duisburg

02.08.2010 Duisburg – Oberhausen

03.08.2010 Oberhausen – Datteln

04.08.2010 Datteln – Münster

05.08.2010 Münster – Ufflen

06.08.2010 Ufflen – Bad Essen

07.08.2010 Bad Essen – Rusbend

08.08.2010 Rusbend – Hannover

09.08.2010 Hannover – Braunschweig

10.08.2010 Braunschweig – Calvörde

11.08.2010 Calvörde – Hohenwarthe

12.08.2010 Hohenwarthe – Genthin

13.08.2010 Genthin – Deetz/Havel

14.08.2010 Deetz/Havel – Britz/Teltowkanal

15.08.2010 Britz/Teltowkanal – Braunsdorf

16.08.2010 Braunsdorf – Berkenbrück

Bildteil

Fahrtverlauf Stuttgart – Berkenbrück

Entschluss

Es war im Sommer 2009. Ich war mit meinem Stuttgart-Cannstatter-Ruderclub zum ersten Mal rudern auf dem Bodensee. Wir saßen gemütlich beim Abendessen. Das Lokal war gut, das Essen reichlich. Es schmeckte wunderbar nach dem stundenlagen Rudern auf dem See.

Auf einmal war mir, als würden sich mein Stuhl und der Tisch anheben und dann wieder senken, heben, senken, heben, senken, immer wieder. Ich fragte Sabine, eine fast blinde, aber erfahrene Ruderin, was das denn sein könnte. Sie lachte und sagte: »Das passiert jedem, der zum ersten Mal auf einem See rudert.« Nach kurzer Zeit hörte es dann tatsächlich auf.

Beim Essen und Trinken entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch über Rudererfahrungen, bekannte Ruderer im Verein, Wanderruderfahrten, Missgeschicke bei Ausfahrten und lustige Begebenheiten.

Ich sagte in die Runde: »Ich überlege, nach Berlin zu rudern.«

Erstauntes Fragen: »Wie kommst du denn da drauf?«

»Ich habe mir die Frage gestellt, wie man auf dem Wasser von Stuttgart nach Berlin kommt. Und da meine Freundin in Brandenburg lebt, könnte ich mir auch vorstellen, sie dort mit dem Boot zu besuchen.«

»Du spinnst, so eine verrückte Idee!«, sagte ein Wettkampfruderer.

»Eigentlich wäre es interessanter von Berlin nach Stuttgart zu rudern«, überlegte eine Frau, die gerne Wanderfahrten macht.

»Mach es!«, sagte eine junge Frau und lachte mich an.

»Da musst du den Rhein runter, das würde ich nie tun, das wäre mir zu gefährlich«, sagte ein erfahrener älterer Ruderer.

Nun konnte ich mir noch einmal überlegen, was ich für mich längst beschlossen hatte: Wollte ich wirklich diese Tour machen? – Ja, ich wollte!

Was brauche ich?

Ich brauche ein geeignetes Boot. Und da es mich störte, dass ich auf dieser langen Strecke wie üblich beim Rudern rückwärts-vorwärts-fahren müsste, fragte ich mich, ob es nicht die Möglichkeit gab, vorwärts schauend zu rudern. Ich fand heraus, dass im Seemuseum in Kreuzlingen ein Boot mit Vorwärtsrudertechnik stand, entwickelt von einem Schweizer Bootsbauer. Das schaute ich mir an. Ich habe auch versucht, Kontakt mit dem Hersteller zu bekommen. Das hat aber nicht geklappt. Bedenklich schwer war die Mechanik, die fünfzehn Kilogramm wog. Und dann konnte ich mir auch nicht vorstellen, wie diese in ein anderes Ruderboot eingebaut werden könnte.

Da ich grundsätzlich ein eigenes Ruderboot haben wollte, schaute ich mir schon im Januar 2009 in Berlin am Müggelsee ein leichtes Freizeitruderboot an. Das hatte aber keinen Stauraum und sah auch nicht wellentauglich aus.

Im Internet suchte ich nach weiteren Herstellern und stieß dabei auf einen Bootshändler in Königswinter bei Bonn. Der bot ein norwegisches Ruderboot der Marke Hasle an, das speziell für Wanderfahrten entwickelt wurde. Es hat Stauraum und ist wellentauglich, allerdings wiegt es neununddreißig Kilogramm. Mit dem Inhaber, Herrn Behr, machte ich einen Termin aus und besah mir dieses Boot im März 2009.

Herr Behr konnte mir alle Fragen so beantworten, dass ich sicher war, mit diesem Boot kann ich die Tour machen. Er beantwortete mir auch meine Fragen zum Rudern auf dem Rhein. Seine Kernaussage war: »Regeln beachten, auf Schiffsverkehr achten und losfahren.«

Bei der Bootswerft Empacher in Eberbach bei Heidelberg nahm ich ebenfalls im März 2009 an einer Werksführung teil, um mehr über den Bootsbau und die Eigenschaften eines Bootes zu erfahren.

Ende März bestellte ich das Hasle-Boot samt Rollsitz und Ruder mit Holzgriffen. Nach Aussage von Herrn Behr greifen diese die Hände weniger an und deshalb gibt es auch weniger Schwielen.

Den Anhänger zum Transport des Bootes bestellte ich bei Firma Schick in Stuttgart. Es ist ein Harbeck-Anhänger, bis zu einer Geschwindigkeit von hundert Stundenkilometer fahrbar.

Mehrere Wochen bearbeitete ich meine Streckenplanung. Erst suchte ich geeignete Karten. Für die Strecken, für die es keine Karten gab, suchte ich Reisebücher für Wasserfahrten in motorgetriebenen Booten. Zusätzlich kaufte ich Fahrtenbücher für Radtouren an den Kanälen, auf denen ich fahren würde. Natürlich auch den Deutschen Wanderruderführer. Zusätzlich noch einen Kanuführer für Deutschland. So ausgerüstet ging ich an die Streckenplanung. Als ich meinem Bruder Gottfried die Fahrstrecke zeigte, meinte er, so was würde er auch gerne mal machen. Allerdings nur mit dem Fahrrad, nicht im Boot.

Das Hasle-Boot holte ich mit dem Harbeck-Anhänger Anfang August 2009 bei Behr in Königswinter ab. Erst jetzt bekam ich die Möglichkeit, Boot und Hänger in einer Scheune in Kochertürn bei Neuenstadt unterzustellen. Aus Platzmangel war eine Unterbringung im Ruderclub erst ab Juli 2010 möglich.

Ich gab meinem Boot den Namen Schwalbe und bestellte ein Schild mit Bootsnamen, meinem Namen und Adresse von mir. Das ist Vorschrift für jedes Schiff, wenn es auf Deutschlands Wasserstraßen fährt.

Im September 2009 bin ich mit meiner Schwalbe in Berkenbrück zum ersten Mal gerudert. Ich war sehr nervös, als ich einstieg. Und ich strahlte vor Freude, als ich spürte. wie gut das Boot lief.

Wie trainiere ich?

Herr Behr gab mir folgende Tipps: Zuerst an einem Tag zehn Kilometer rudern, Pause machen und dann noch einmal zehn Kilometer rudern. Wenn es geht, schon ab dem ersten Tag dieses Programm. Zur Steigerung am Tag fünfzehn Kilometer rudern, Pause machen und dann noch einmal fünfzehn Kilometer rudern. Danach täglich so viel Kilometer wie ich mir zumutete. Unsere abwechslungsreiche und von mir geliebte Ruderstrecke zwischen Rosensteinbrücke und Schleuse Hofen einmal rauf- und runtergefahren umfasst zehn Kilometer. Ideal als Maßeinheit zum Trainieren.

 

Herr Behr meinte, dass auf der Tour täglich fünfzig bis sechzig Kilometer möglich sein müssten. Auf dem Rhein bis hundert Kilometer, wenn es gut läuft. Ich wollte ursprünglich mit hundert Kilometern täglich planen.

Die Wanderfahrt von Prag nach Meißen Anfang Juni 2010 war für mich die Generalprobe für meine Tour. Schon auf meiner ersten Wanderfahrt im Mai 2009 nach Poppenweiler über dreißig Kilometer war mir klar geworden, dass Wanderfahrten für mich das Schönste beim Rudern sind. Und das obwohl ich damals kaum noch sitzen konnte, weil der Po so entsetzlich weh tat.

Im Ruderclub versuchte ich wenigstens zweimal die Woche mit meinen Ruderkollegen zu rudern. Mit dem eigenen Boot wollte ich wenigstens einmal die Woche rudern. Es blieb bei zweimal rudern außerhalb des Ruderclubs. Einmal ruderte ich auf dem Kocher bei Neuenstadt vier Stunden und zwanzig Kilometer. Als ich an Land ging, blieb ich im Schlamm stecken und verlor dabei meine Uhr. Das zweite Mal ruderte ich im Schleusenbereich Lauffen zwanzig Kilometer.

Als ich im Juli 2010 das Boot beim Ruderclub unterstellen konnte, ruderte ich jede Woche viermal mit meiner Schwalbe.

Insgesamt hatte ich vor dem Start zu meiner Rudertour gerade mal 405 Kilometer im Ruderclub gerudert und 140 Kilometer mit meinem eigenen Boot.

Zu Hause trainierte ich täglich auf meinem Pacific Rower Rudergerät und machte Gymnastik mit speziellen Übungen für das Rudern. Außerdem verbrachte ich im Ruderclub wöchentlich dreißig Minuten auf dem Ergometer.

Um Kraft und Ausdauer weiter zu steigern, schwamm ich im Winter zweimal die Woche bis zu einer Stunde ohne Pause. Anfangs war ich nach zwanzig Minuten platt.

Start

Der Start war für den 18.07.2010 geplant. Am 15.07.2010 wurde vor dem Bootshaus gegrillt. Gesprächsthema war meine Rudertour. Von Elmshorn waren Ruderer da, die ebenfalls am 18.07.2010 Richtung Mannheim rudern wollten.

Mit Heidi vereinbarte ich, dass sie jeden Tag eine SMS bekommt, in der ich mitteile, wo ich bin, wie weit ich gefahren bin usw. Dieses »Rudertagebuch« soll dann im Clubreport veröffentlicht werden.

Am 17.07.2010 habe ich das Boot beladen. Es hat in Bug und Heck verschließbare Luken, in die ich Zelt, Schlafsack, Rettungsweste, Kleidung, Kulturbeutel und Essensvorräte verstaute. Dabei wurde möglichst alles Kleinere in Seesäcke gestopft. Es konnte ja Wasser überkommen oder bei Regen alles nass werden. Getränke, Bootshaken, Becher zum Wasserschöpfen und Bootswagen wurden in den Fußraum des Bootes gelegt.

Heute ist der 18.07.2010. Gottfried holt mich in Botnang ab. Er ist allein. Ich bin etwas enttäuscht, da ich fest damit rechnete, dass seine Frau und Tochter mitkommen. Wir fahren über die Pragkreuzung zum Ruderclub nach Bad Cannstatt.

Um 10 Uhr will ich starten. Zuerst wird ein gesteuerter Vierer ins Wasser gesetzt, dann Peter im Einer, dann ich und zuletzt der Achter. Alle drei Boote wollen mich bis zur Schleuse Hofen begleiten. Ich warte im Wasser und bin sehr angespannt.

Ich denke an meine Freundin in Berkenbrück. Und ich weiß, Michaela fiebert mit, dass alles gut klappt. Sie machte mir wiederholt Vorschläge, wie ich die Reise besser und auch leichter gestalten könnte. Zuletzt meinte sie, ich könne ja den ersten Tag durchhalten und dann überlegen, was ich mache. Für sie ist eine Bootsfahrt, schon allein wegen dem kleinen Rollsitz, unvorstellbar.

Jetzt rücke ich meinen Spiegel am Käppi zurecht. Damit kann ich die Fahrzeuge, die vor mir fahren, rechtzeitig sehen. Nervös greife ich nach meinen Skulls. Aber nicht richtig. Mit der Folge, dass sich die Schwalbe nach nicht mal fünfzig Meter mit dem linken Ruder fast in einem eisernen Begrenzungspfosten verfängt.

Na, das geht ja gut los. Ich steige ins Boot und greife nicht richtig nach den Skulls. Ja, ja liebe Ruderkameraden, ich höre euch deutlich grummeln: »Ob das gut geht?« – »Allein den Rhein runter.« – »Allein in die Schleusen.«

Obwohl, als ich mir vorstelle, in wenigen Minuten unter der Aubrücke durchzufahren und dann in vier Wochen in Berlin sein zu wollen, geht mein Puls ganz schön hoch.

Jetzt schaue ich auf die drei Boote, die mich begleiten und konzentriere mich darauf, die so oft in den letzten Wochen gefahrene Hausstrecke bis Hofen in mich aufzunehmen. Unter der Aubrücke durch, rechts danach die Auwiese, links voraus das Restaurant direkt am Wasser, bei dem wir ab und zu etwas tranken oder aßen, rechts den Durchlass zum Max-Eyth-See, über mir der Max-Eyth-Steeg – eine Fußgängerbrücke –, danach die Einfahrt in die Schleuse, rechts Wassersport Center mit Anlage für Sportboote und Ausstiegstelle für den Stuttgarter Kajak-Club.

An der Schleuse Hofen werde ich herzlich verabschiedet mit einem dreifachen »Hipp, Hipp, Hurra« und allen guten Wünschen für meine Tour. Das ist schön!

Wiebke, Thomas und Axel begleiten mich beim Umtragen an der Bootsschleppe in Hofen. Schleusen geht nicht, weil gerade entgegengesetzt zwei oder drei Sportboote in der Schleuse sind. Axel tritt in Socken auf Glassplitter. Trotzdem geht er weiter mit auf dem Weg zur anderen Seite und hilft beim Einsetzen in das Unterwasser. Ich bedanke mich und bin dann allein auf der Strecke.

18.07.2010 Stuttgart – Hessigheim

36 km / 8 Std.

6 Schleusen: Hofen, Aldingen, Poppenweiler, Marbach, Pleidelsheim, Hessigheim

Stuttgart – S-Hofen (Schleuse) – S-Mühlhausen Aldingen (Schleuse) – Zufluss Rems – Neckargröningen Hochberg – Poppenweiler (Schleuse) – Ludwigsburg Marbach (Schleuse) – Zufluss Murr – Autobahn A81 Mundelsheim – Hessigheim

Umtragen sagt man im Rudersport, wenn ein Boot um die Schleusenkammer herum auf die andere Seite gebracht wird. Das kann auf drei Arten erfolgen:

Erstens: Man trägt das Boot tatsächlich mit den Händen auf die andere Seite. Zweitens: Man benutzt dazu einen eigenen Bootswagen. Drittens: Es gibt an der Schleuse eine Bootsschleppe. Das ist eine Anlegestelle mit Wagen für kleinere Boote an den Staustufen.

Die Bootsschleppe ist gleichzeitig die Ausstiegsstelle für Boote, wenn man nicht mitschleusen will. Der Wagen wird oft auch Rollwagen genannt. Seine Räder stehen auf Schienen im Wasser, so dass das Boot auf das Gestell gezogen und befestigt werden kann. Er ist aus Eisen und damit entsprechend schwer und unhandlich. Dann muss dieser Wagen mit einer Kette oder einem dicken Seil gezogen werden. Je nachdem wie schwer das Boot und wie weit der Rollweg ist, braucht der Ruderer dazu ganz schön Kraft. Vor allem, wenn er alleine ist.

In Aldingen benutze ich zum ersten Mal den Rollwagen alleine.

Von einem Ehepaar aus dem Ruderclub werde ich nach der Schleuse Aldingen fotografiert. Das ist für mich der letzte Gruß meines Ruderclubs, und ich freue mich sehr, dass ich jetzt unterwegs bin.

Nach dem Zufluss der Rems bin ich versucht, rechts hinter die kleine Insel zu fahren und beim WSV Schifferclub Neckarrems Rast zu machen. Hier bin ich letztes Jahr am 1. Mai kaum noch aus dem Boot rausgekommen. Wir ruderten da bis zur Poppenweiler Schleuse und dann hierher. Das war für mich das erste Mal, zwanzig Kilometer am Stück zu rudern. Mein Po tat entsetzlich weh und die Beine zitterten, als ich aus dem Boot stieg.

Aber bei dieser Ausfahrt entstand meine Liebe zum Wanderrudern. Mir gefällt dabei die Mischung von Jung und Alt, von Rennruderern und Freizeitruderern, die es möglich macht, unterschiedliche Menschen näher kennen zu lernen.

Kurz danach rauscht die Weiße Flotte mit Vollgas vorbei. Durch die sich bildenden Wellen werde ich fast an Land gespült.

Und schon ist es Mittag. Ich mache an der Poppenweiler Schleuse Pause. Ein mit mir herangefahrenes motorisiertes Schlauchboot benutzt den Rollwagen, solange ich mein Brot esse und kräftig trinke. Es ist sehr warm.

Bei Ludwigsburg sehe ich mich, wie ich als Junge während eines Besuches im Schloss bei den Wasserspielen im Garten weghüpfte, um nicht nass zu werden. Das Residenzschloss Ludwigsburg ist eines der größten Barockschlösser Deutschlands.

In Marbach denke ich an Schillers Geburtshaus, das jetzt als Museum eingerichtet ist. Der Rollwagen hat hier an Stelle des Seiles eine Kette zum Ziehen. Meine Hände schmerzen sehr, als ich das Boot auf die andere Seite der Schleuse ziehe.

Vor der Autobahnbrücke der A81 Stuttgart-Heilbronn, bei Wasser-Km 152,2, werde ich zum ersten Mal mit Spundwänden konfrontiert. Wieder rauscht ein Schiff der Weißen Flotte in einer leichten Kurve ohne abzubremsen vorbei und bringt das Wasser zum Schwappen. Wie in der Badewanne schaukele ich fast zwei Kilometer, bis sich die Oberfläche wieder beruhigt. Du kannst nicht richtig ziehen bei diesem hin und her schwappenden Wasser. Und du kommst auch nicht richtig vorwärts.

Einige Kilometer später, kurz vor der Schleuse Pleidelsheim werde ich plötzlich vom Ufer aus angesprochen: »Hallo!«

Ich drehe mich auf die Seite zum Ufer und sehe da mein Patenkind Judith grinsend mit Mann und wenige Wochen altem Baby im Kinderwagen stehen. Martin mit der laufenden Kamera im Anschlag.

»Da seid ihr!«, rufe ich und freue mich riesig.

Martin ruft: »Tag, Fritz!«

»Was macht ihr hier?«, frage ich, denn sie wollten mir an der Neckarbrücke zuwinken.

»Wir waren erst um Viertel nach eins an der Neckarbrücke.«

»Da war ich schon weg.«

»Das dachten wir uns. Dann sind wir nach Marbach gefahren. Aber da bist du auch schon durch gewesen.«

»War wohl so.«

»Deshalb sind wir weiter nach Ingersheim gefahren.«

»Ich habe in Poppenweiler Mittagspause gemacht.«

»Warst du am Bootsanlegesteg?«

»Nein, vor der Schleuse.«

»Wir warteten nach der Schleuse Poppenweiler«, sagt Judith.

»Und da hätten wir dann wohl bleiben sollen«, sagt Martin. »Wie geht’s dir?«

»Mir geht’s gut.«

»Ist das Wetter optimal?«

»Ist gut. Es lief auch gut. Ich habe jetzt achtundzwanzig Kilometer hinter mir.«

»Cool!«, ruft Judith begeistert.

»Gerade ist ein Schiff vorbeigefahren. Da dachten wir auch an dich und überlegten, ob wir dich wohl noch treffen«, erzählt Martin.

»Der hat vielleicht Wellen gemacht. Zwei Kilometer lang und in der Kurve richtig hoch. Der ist richtig unverschämt gefahren. – Schön, dass ihr doch noch gekommen seid!«

»Na eben«, sagt Martin. »Gut schaust du aus. Konntest du alles verstauen?«

»Ja«, sage ich lachend. »Das Boot hat große Luken zum Beladen.«

»Ist dein Tagesziel noch weit?«

»Nein, Schreyerhof.«

Lachend meint Judith: »Da waren wir heute auch schon. Wir haben alles abgefahren und geschaut, wo du bist.«

»Kennst du den Schreyerhof?«, fragt Martin.

»Nee, war noch nicht da.«

»Da musst du noch eine ganz schöne Strecke den Berg hochmarschieren.«

Judith strahlt mich an: »Du bist echt der Hammer!«

Martin: »Und das Boot steht schön im Gleichgewicht. Passt alles.«

»Stimmt. Das Boot läuft gut und mir geht es gut.«

»Ich hatte keine Hoffnung mehr, dass wir dich sehen. Aber Martin wollte unbedingt hier noch warten«, erzählt Judith.

»Und damit hatte ich doch Recht, wie du siehst. Wie lange brauchst du zum Schreyerhof?«

»Eine Stunde schätze ich.«

»Fritz und seine Schwalbe!«, ruft Martin lachend.

»Ja, meine Schwalbe«, erwidere ich fröhlich.

»Das war dein Starttag. Ziel ist wann und wo anzukommen?«

»Ziel ist in Berlin anzukommen. Wenn’s geht in drei Wochen oder auch vier Wochen. Muss aber nicht sein.«

»Okay. Der Weg ist die Reise. Tschau, tschau!«

Judith ruft: »Gute Fahrt und Gott befohlen!«

Martin filmt weiter, bis ich bei Pleidelsheim an der Bootsschleppe den Wagen hole.

Bei Hessigheim lege ich das Boot zur Nacht im Schleusenbereich an der Bootsschleppe auf Land, packe einen Sack mit Wertsachen und Papieren und einen mit Klamotten und Kulturbeutel. Dann marschiere ich zu Fuß fast zwei Kilometer zum Landgasthaus Schreyerhof in Hessigheim hoch. Im Hotelzimmer schaue ich meine aufgescheuerten Füße bedenklich an. Beim Rausziehen des Rollwagens muss ich jeweils ins Wasser rein und danach mit aller Kraft den Wagen samt Boot erst auf glitschigem Grund im Wasser und dann über Land ziehen. Ebenso muss ich mich auf der anderen Seite mit aller Kraft dagegenstemmen, damit mir der Wagen beim Reinlassen ins Wasser nicht abtaucht. Beides führt dazu, dass die Nähte der Wasserschuhe sich in die aufgeweichte Haut einkerben, bis die Füße bluten.

 

Wieso eigentlich sind diese Rollwagen heute noch aus Eisen? Ungeheuer schwer, als ob sie Tonnen tragen müssten statt nur ein Boot. Du musst ins Wasser, um das Boot auf dem Wagen zu fixieren bzw. um es wieder vom Wagen runter zu bekommen. Da muss es doch heute technisch andere Möglichkeiten geben. Denkt denn an uns Ruderer keiner? Oder kümmern wir uns selbst nicht genug um solche Dinge?

Ich esse gut und kräftig zu Abend und mache Bilder von der Umgebung. Dann notiere ich, was mir heute wichtig ist, und simse zum ersten Mal, wie ausgemacht, mit Heidi für den Ruderverein und mit meiner Assistentin für die Firma. Ich gebe an, wo ich gerade bin, wie es am Tag lief, wie lange ich unterwegs war und wie viel Kilometer ich gerudert bin. Dann rufe ich Michaela an und erzähle ihr, wie der Tag gelaufen ist.

Danach lege ich mich sehr zufrieden hin und versuche zu schlafen.

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