Testament eines Freimaurers

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Testament eines Freimaurers
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Dieter Hönig





Testament  eines Freimaurers





Das große Geheimnis aus der Innensicht










Dieter Hönig



Testament eines Freimaurers



Das große Geheimnis aus der Innensicht



1. Auflage 2019



ISBN: 978-3-903229-14-3



Verlag: delta X, Wien |

www.deltax.at








Satz, Korrektorat & Umschlaggestaltung: Ing. Angelika Steck



Lektorat: Dr. Norbert Regitnig-Tillian



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Alle Rechte vorbehalten.



Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Das gilt insbesondere für die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, Übersetzungen sowie die Vervielfältigung auf elektronischen Datenträgern.







Vorwort  des Großmeisters der Großloge von Österreich







Doch rufen von drüben







die Stimmen der Geister,







die Stimmen der Meister:







Versäumt nicht zu üben







die Kräfte des Guten.







Wir heißen euch hoffen.





Das ist der letzte Vers aus Johann Wolfgang von Goethes Gedicht „Symbolon“. Es wurde den Freimaurern gewidmet und soll ihnen helfen, ihren Weg durch das Labyrinth ihres Lebens zu finden.



So dient es auch dem freien Journalisten und ehemaligen Opernsänger Dieter Hönig zur Richtschnur, der seit nunmehr zwanzig Jahren Mitglied des Freimaurerbundes ist und in dieser Zeit – etwa vom „Vorbereitenden Meister“ bis zum „Deputierten Meister“ – die verschiedensten Logenämter innehatte. Die Erfahrungen im Lauf dieser Zeit hat er in diesem Buch mit dem Titel „Testament eines Freimaurers“ festgehalten. Darin schildert er auf humorvolle Weise, aber durchaus ernsthaft und mit viel Tiefgang, wie es einem Freimaurer gelingen kann, sein Leben „tätig seinem wahrhaften Ziel entgegenzuführen“. Was an glücklichen und schmerzlichen Dingen auf ihn zukommt und wie er als Freimaurer damit umzugehen gelernt hat, beschreibt Dieter Hönig mit bewegenden, autobiographischen Reflexionen und auch im Zusammenhang mit der rituellen Arbeit der Freimaurer und ihrer Symbole. Das Buch versucht, die Arbeit der Freimaurer so darzustellen, dass sie auch Menschen, die nichts davon wissen sowie Suchenden einen Einblick in diese Welt vermittelt. Die Person des Autors dient dabei als Guide, an dem die Wirkung der freimaurerischen Arbeit sichtbar wird. Er hat sich in seiner Erzählung bemüht, sowohl auf Basis geschichtlicher Überlieferung als auch durch seine höchst persönlichen Erlebnisse, dem wahren Wesen dieses geheimnisumwitterten Bundes auf den Grund zu gehen. Seine Werkzeuge sind dabei kritischer Humor und Selbstkritik. Es ist dies eine Herangehensweise an das Thema Freimaurerei, wie man sie in dieser Tiefe nur selten vorfindet.





Georg Semler







Großmeister der Großloge von Österreich








Inhaltsverzeichnis







Cover







Titel







Impressum









Vorwort des Großmeisters der Großloge von Österreich











Prolog











Vom Beislphilosoph zum Suchenden











Die Verwirrung des Suchenden











Die Einweihung











Auch Freimaurer sind Menschen











Die Steine der anderen











Ein Gespräch unter Eingeweihten











Eine kleine, feine Buchhandlung











Das Baustück











Esoterik, oder was?











Milchbrüder











Die Lohnerhöhung











Gesellen- und Wanderjahre











Freimaurer und Frauen











Ewiger Osten – ewig für wen?











Die Bedeutung der Rose











Die Freimaurerei war immer schon











Die Bruderhand











Eine Selbstbegegnung











Das vierte kleine Licht











Anhang











Danksagung | Über den Autor











Prolog







Ich kenn ein drollicht Volk (Freimaurer),







mit mir kennt es die Welt,







Das schon seit manchen Jahren







Die Neugier auf der Folter hält,







Und dennoch kann sie nichts erfahren.







Hör auf, leicht gläubʼge Schar,







sie forschend zu umschlingen!







Hör auf, mit Ernst in sie zu dringen!







Wer kein Geheimnis hat,







kann leicht den Mund verschließen.







Das Gift der Plauderei ist,







nichts zu plaudern wissen,







Und wissen sie auch was,







so kann mein Märchen lehren







Und man zuletzt wohl spricht:







war das der Mühe wert,







Dass ihr es mir gesagt und ichʼs von euch begehrt?





Die Verse stammen aus einem ironischen Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing. Es handelt von einem armen Bauernjungen, der von seinem Beichtvater ins Verhör genommen wird, um seinem Geheimnis auf die Schliche zu kommen. Nach langem Drängen und Drohen des Pfarrers gibt Hans sein Geheimnis preis: ein Vogelnest!





Geh Narr, ein Vogelnest war nicht der Mühe wert,







Dass du es mir gesagt und ichʼs von dir begehrt.





Es gibt Menschen, die einzig in Heimlichkeiten das Wesen der Freimaurerei erblicken. Dies kommt offenbar daher, dass sie vom eigentlichen Wesen der Königlichen Kunst nur wenig Ahnung haben. Die Moral: Man sollte sich mit Heimlichkeiten nicht allzu wichtig machen, nicht noch mehr in sie hineingeheimnissen. Von Heimlichkeiten soll hier daher auch nur am Rande die Rede sein. Hat die Freimaurerei ein wirkliches, ernsthaftes, großes Geheimnis? Das ist, worüber ich schreiben möchte.



Liebe Leserinnen, liebe Leser,



Sie interessieren sich für die Freimaurerei? Wahrscheinlich haben Sie schon einiges darüber gelesen. Die einschlägigen Buchläden sind voll davon. Gewiss haben Sie auch von jenem vielzitierten Geheimnis der Freimaurerei gehört. Ein Geheimnis, das nicht mitteilbar ist, wie Freimaurer gebetsmühlenartig immer wieder betonen. Mir ist es einst ähnlich ergangen. Vom übermäßigen Konsum qualitativ unterschiedlichster Freimaurerliteratur verwirrt und betäubt, gelangte ich letztendlich zur resignierenden Frage, welchem der zahlreichen, in ihrer Auffassung über Wesen und Sinn der Maurerei oft nicht konträrer sein könnenden Autoren ich denn überhaupt trauen könnte, da mir das eigene Maß noch fehlte. Antworten auf Fragen der Freimaurerei bekam ich vom Leben selbst, in jenen seltenen Augenblicken, da es sich auf geheimnisvolle Weise zu offenbaren schien.

 







Vom Beislphilosoph zum Suchenden





Lassen Sie mich an jenem Ort beginnen, wo alles für mich seinen Anfang nahm. Ein Lokal, das ich mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder aufsuchte, das mir so zur zweiten Wohnung wurde, und wo mein maurerischer Weg, seltsam genug, erstmals konkrete Formen annahm: ein italienisches Beisl in Wien.



Es ist nun mal so, dass eine gewisse Spezies von Männern, der auch ich angehörte, ihr Stammlokal hat. Man trifft hier Freunde und Gleichgesinnte und betreibt, je nach Stimmung mehr oder weniger tiefsinnige Konversation. Man betritt das Lokal, bestellt ein Gläschen, positioniert sich mit Blick zur Tür und, wie von unsichtbarer Hand herbeigeführt, stellen sich nach und nach die herbeigesehnten Kumpane ein: ein Notar, ein Regierungsrat, ein Architekt, ein Manager, ein Maler, ein Immobilien-Heini – und mit der Zeit werden es mehr und mehr dieser netten Leute. Zufall oder Schicksalsfügung? Mein Stammbeisl war ein von zahlreichen Freimaurern frequentiertes Lokal.



An den Freimaurern war ich seit geraumer Zeit zumindest interessiert. Auch deshalb, weil ich einige Herren, die in jenem Beisl regelmäßig verkehrten, zu meinen Freunden zählen durfte. Klar, dass sie sich beim Thema Freimaurerei mir gegenüber bedeckt hielten, was aber nicht verhinderte, dass ich von Zeit zu Zeit einige ihrer Gespräche am Rande mitbekam. Allein mein Wissen über diesen geheimnisumwitterten Bund reichte nur wenig über dessen Existenz hinaus. Also versuchte ich es mit Lesen. Aber auch das sollte mir keine bedeutenden Aufschlüsse bringen. Was Freimaurer bezwecken und wer sie wirklich sind, blieb für mich ein Rätsel.



Man hört zuweilen, Freimaurer strebten die Weltherrschaft an, waren die geheimen Dunkelmänner hinter Verschwörungen und Revolutionen, stellten gar einen Staat im Staate dar. Wie überall anders, dachte ich, ist der Mensch auch in diesem Fall geneigt, Horrormeldungen sein Interesse zu widmen und diesen Glauben zu schenken. Es scheint wohl in der Natur des Menschen zu liegen, dass er einer Vereinigung, die sich in ein Geheimnis hüllt, an dem sie die Öffentlichkeit nicht teilhaben lässt, mit Misstrauen begegnet. »Denn wer Gutes tut, braucht das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen«, lautet die allgemein verbreitete Volksmeinung, die auch für mich damals einer gewissen Logik nicht entbehrte. Die Gerüchte hatten der Freimaurerei zwar eine gewisse Aura verliehen, aber auch zur Folge, dass Freimaurer sich zu allen Zeiten den absurdesten Vorwürfen ausgesetzt sahen. Dass sie mit solch zweifelhaftem Ruf behaftet, über Jahrhunderte hinaus existieren konnten, schien für mich eines ihrer wirklichen Geheimnisse zu sein.



Es ergab sich, dass ich in jenem Beisl die Bekanntschaft einer Persönlichkeit machte. In ihr lernte ich einen geselligen, aber auch geistreichen und amüsanten Mann kennen, den ich in späterer Folge zum Freund gewinnen konnte. Er war einer jener Menschen, zu denen man auf Anhieb Zugang findet, Ende fünfzig, mit enormem Selbstbewusstsein und seltener Eloquenz. Obwohl ein viel beschäftigter Mann, sprach er niemals über Stress. Dennoch konnte ich an seiner Körpersprache manchmal deutliche Burnout-Symptome beobachten. Meistens dann, wenn er sich nicht beobachtet fühlte. Er hatte ein seltsames Schulterzucken, gepaart mit hektischem Kopfschütteln. Fast so, als wollte er seine Sorgen und Probleme mit einem Ruck von sich werfen.



Von Beruf Architekt, schien es ihm große Freude zu bereiten, mit anderen über seine Tätigkeit zu sprechen, bis in Details, die mich, den in diesen Dingen doch Ahnungslosen, überfordern mussten. Trotzdem war es für mich ein Vergnügen ihm zuzuhören. Ich kam auch selten in die Verlegenheit, ihm gegenüber Interesse nur zu heucheln. Dies merkte er und es schien ihm zu gefallen, hatte er in mir doch einen aufmerksamen Zuhörer gefunden. Zuhören können, war eine Tugend, die mein neuer Freund an anderen besonders schätzte. Hörte er sich etwa gern selber reden?



Dass wir beide völlig unterschiedlichen Berufen nachgingen, er als Architekt, ich als Sänger, tat unserer beginnenden Freundschaft keinen Abbruch. Auch nicht, dass mein Freund immer wieder ungefragt vorgab, zur Musik keinerlei Beziehung zu haben. Er empfinde sie als störendes Geräusch, wie er mir versicherte. Um jedwede Berührung mit Musik zu vermeiden, ging er so weit, sein Autoradio entfernen zu lassen. Schrammelmusik beim Heurigen kam in seinen Ohren einer groben Beleidigung gleich, Bar-Musik ebenso.



Auch ich war kein Kind falscher Bescheidenheit. Von Zeit zu Zeit der „Architekturvorträge“ meines Freundes etwas müde, begann ich einfach das Thema zu wechseln und beglückte meinen Freund meinerseits mit Schwänken und Schnurren aus meiner Sängerlaufbahn.



So hatte ich früher die Ehre, jährlich bei den Salzburger Osterfestspielen mitzuwirken. Einmal gab man Richard Wagners Lohengrin, am Dirigentenpult stand Herbert von Karajan, und ein weltberühmter Heldentenor sang den Lohengrin. Besser gesagt, er sollte ihn singen. Doch der Tenor war hörbar in einer ernsten Stimmkrise und bei einer der letzten Orchesterprobe verzweifelt bemüht, einen lauten Ton hervorzubringen. Vergeblich, mehr als ein heiseres Krächzen war seiner Kehle nicht zu entlocken. Auch das flehentliche Bitten des Maestros zeigte wenig Wirkung. Der Tenor blieb stimmlos, die Stimmung im Festspielhaus war gleich null. Auf das allerletzte verzweifelte Ersuchen des Maestros: »Bitte, wenigstens einen lauten Ton«, entgegnete zornig und entnervt der Tenor: »Maestro, es gibt mindestens vierzig Dirigenten auf der Welt, die den „Lohengrin“ dirigieren können, aber gerade einmal vier Sänger, die ihn singen können!« Der Maestro schlagfertig und ungerührt: »Ich bin einer der vierzig!«



Meinen Freund amüsierten solche Anekdoten aus meinem Sängerleben, es schien, als könnte er sich daran nicht satt hören. Nun, ich sollte ihn bei Gelegenheit mit weiteren Anekdoten beglücken.



Ich empfand ein neues Gefühl der Verbundenheit ihm gegenüber. Etwas, das mir in dieser Form bisher fremd war. Wir trafen uns, wie in Stammbeisln üblich, zumeist zufällig, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Mit der Zeit und mit der Menge der konsumierten Gläser Wein bekamen unsere Gespräche oftmals Tiefgang, dabei kam mir jegliches Zeitgefühl abhanden. Wir sprachen über allgemein menschliche Themen und gerieten oft in geradezu philosophische Höhen. Auch wenn man es nur ungern eingesteht, bringt der Wein bei manchen erstaunliche Dinge zutage und kann ihren Geist geradezu beflügeln. Zumindest bei uns beiden war das anfangs der Fall.



Diese ungezwungenen, nicht krampfhaft herbeigeführten Gespräche erreichten vielleicht gerade durch ihre Beliebigkeit einen besonderen Tiefgang. Freilich waren die Treffen mit meinem Freund, die sich oft bis in die Nacht hinein zogen, meiner Ehe nicht gerade förderlich, da das Essen am häuslichen Herd verbrutzelte. Ich zog in solchen Stunden den geistigen Austausch jedoch entschieden dem leiblichen Wohl vor, und nichts in aller Welt sollte mich davon abbringen, auch nicht meine Ehefrau. Eine Einstellung, die mir später allerdings die Frau abhanden kommen ließ.



Männergespräche in dieser Ausgedehntheit und Intensität sind ungewöhnlich und lassen zumindest auf einen ausgeprägten Hang zum intensiven Dialog schließen. Der Leser wird, wie damals auch ich, bereits erraten haben, dass es sich bei meinem Freund um einen Freimaurer handelt. Mein lustiger, trinkfreudiger neuer Freund war in der Tat ein Eingeweihter. Die Neigung zu fröhlicher Geselligkeit, verbunden mit einer etwas lockeren Auslegung der ehelichen Verpflichtungen, soll jedoch nicht zur irrigen Ansicht führen, dass Freimaurerei und Familienleben nicht miteinander vereinbar sind. Viele Freimaurer sind vorbildliche Familienmenschen. Auch wollen diese Treffen mit meinem Freund nichts über die Trinkfreudigkeit von Freimaurern im Allgemeinen sagen.



Im Laufe von Wochen und Monaten intensivierte sich unsere Beziehung in geistiger Hinsicht auf erstaunliche Weise. Nach etwa einem halben Jahr intensiven geistigen Austauschs kam zu schon vorgerückter Stunde fast beiläufig die Frage meines Freundes: »Hast du dir schon einmal Gedanken über mein Weltbild gemacht?« »Könnte es etwa sein, dass du Freimaurer bist«, heuchelte ich gespieltes Unwissen. »Und – willst du Freimaurer werden? Willst du zu uns kommen?«



Selbstverständlich wollte ich. Hatte ich denn nicht schon lange auf die Frage gewartet? Hatte ich diese im Herzen nicht schon längst ungeduldig herbeigesehnt? Ich ließ es meinen Freund jedoch nicht merken und tat erstaunt. Fast beiläufig sagte ich, dass ich zuvor noch Genaueres über diesen geheimnisumwitterten Bund wissen müsse, ehe ich mich endgültig entscheiden könne: »Was tun Freimaurer? Was sind ihre Ziele? Was ist ihre Philosophie?« Mein Freund wies auf das Bild eines namhaften, uns beiden bekannten Künstlers an der Wand: »Nimm das Bild unseres Freundes! Wie wäre es, wenn du es das erste Mal in deinem Leben zu Gesicht bekämest und ihn, den Maler, fragen würdest, was er sich dabei gedacht hat? Was müsste er dir darauf wohl antworten?«



Wir streiften also bereits das berühmte maurerische Geheimnis im Gespräch: mit Worten nicht mitteilbar, aber erlebbar. Es scheint eine Spezialität von Freimaurern zu sein, sich gerne in Allegorien und Bildern auszudrücken. Auch haben viele von ihnen gemeinsam, sich gerne fragen zu lassen, die Antwort jedoch stets schuldig zu bleiben. Eine beinahe sadistische Neigung, Verwirrung beim Fragenden zu stiften, was mir in der folgenden Zeit noch unzählige Male passieren sollte. Die Zeit verging, die Verwirrung, aber auch meine Erwartungen wuchsen, mein Freund wurde schließlich zu meinem Bürgen, und ich vom bloß Interessierten zum Suchenden.



Es war Aufgabe meines Bürgen, mich in intensiven Gesprächen behutsam an Sinn und Zweck der Maurerei heranzuführen, mir nur so viel mitzuteilen, wie er aus seiner Sicht verantworten und mir, dem weitgehend Ahnungslosen, zumuten konnte. Vorbereitungsgespräche sind noch lange keine Einweihung. Hier die Grenzen genau abzustecken, bedarf einiger Erfahrung und verlangt ein großes Maß an Einfühlungsvermögen. Ich war zur Überzeugung gelangt, mein Bürge mache sich diese Aufgabe nicht leicht. Würde er bei seiner Aufklärung zu weit gehen, mich etwas wissen lassen, was mein Auffassungsvermögen übersteigt, so würde er damit nur heillose Verwirrung stiften. Würde er mir zu wenig zumuten, mich unterfordern, wäre der Zweck dieser Gespräche gleich null. Was wusste ich denn schon vom Wesen der Maurerei, außer einigen angelesenen Allgemeinplätzen? Und ich wollte hier Abhilfe schaffen: Durch das Lesen von noch mehr Literatur glaubte ich naiverweise das Manko ausgleichen zu können, nicht ahnend, dass das zu noch mehr Verwirrung führen musste, bei mir selbst, aber auch bei meinem Bürgen. Diesem konnte nicht verborgen bleiben, dass bei unseren Gesprächen von mir nun immer öfter angelesenes Wissen aus der Freimaurerliteratur eingebracht wurde. Beruhten unsere Diskussionen in der Vergangenheit auf freien, spontanen Gedanken, so strotzten diese nun meinerseits geradezu von angelesenen Phrasen. Ein Umstand, der nicht zur Harmonie beitrug und meinen Bürgen, der auch kein Freund allzu vielen Lesens war, sichtlich irritierte. Seine Lieblingslektüre waren laut eigener Aussage Kochbücher. Es musste für ihn langsam, aber sicher der Eindruck entstehen: Hier hört mir jemand nicht zu, da er glaubt, bereits alles selbst erkannt zu haben.



Ein Eindruck, der sich im Laufe der Jahre verstärken und in der Folge zu ernsten Spannungen führen sollte, ja unsere Freundschaft manchmal auf eine harte Probe stellte. Mein Freund, der viel beschäftigte, gestresste Architekt war im Grunde seines Wesens nicht mit Engelsgeduld gesegnet. Sein Temperament ging des Öfteren gar heftigst mit ihm durch.



Nach und nach lernte ich immer mehr Freimaurer kennen, auch wenn sie sich mir gegenüber nicht als solche zu erkennen gaben. Meine Beobachtung sagte mir jedoch, dass dunkel gekleidete Männer, die einmal wöchentlich zur selben Uhrzeit ins Beisl strömen, aller Wahrscheinlichkeit nach ein und demselben Club angehören. Offensichtlich kamen sie also von der „Arbeit“, wie sie es selbst ausdrückten. Eine Bezeichnung, die mir zunächst etwas übertrieben erschien. Es ergaben sich durchwegs anregende Gespräche, in denen das Wort Freimaurerei jedoch mit keiner Silbe erwähnt wurde. Ungewöhnlich daran war stets die schon beschriebene Art von Harmonie, jenes offene aufeinander zugehen, das ich in dieser Form noch nicht erlebt hatte. Sollte diese Herzlichkeit im Umgang miteinander das Merkmal der maurerischen Gesinnung, der Brüderlichkeit sein, wäre es ein Grund mehr, so einer Vereinigung beizutreten: Nette Menschen waren sie alle!

 



„Alte“ Bekannte erschienen mir plötzlich in einem anderen Licht, nämlich im Lichte der Freimaurerei. Wie etwa jener Notar – von ihm hatte ich all die Jahre unserer Bekanntschaft nicht die geringste Ahnung, dass er Freimaurer sein könnte. Uns verband die Begeisterung für die Oper. Sein ganz spezielles Interesse galt Richard Wagner. Einer jener seltenen Wagnerianer, dessen Opernkenntnisse mich zuweilen geradezu verblüfften. In der Blütezeit unseres Stammbeisls konnte man hier nämlich zu unserer beiden Freude vor allem Opernmusik hören.



In ihm hatte ich außerdem einen ausnehmend amüsanten Gesprächspartner zur Seite. Er war mit ein Grund, dass es mich immer wieder in das Beisl zog. Hatte er doch, was bei Juristen gewiss keine Selbstverständlichkeit ist, eine komödiantische Ader. Allein seine Lokalauftritte, und es waren Auftritte, bleiben mir unvergesslich: Mit großer, theatralischer Geste wurde jäh die Lokaltür aufgerissen und mein Freund erschien, Rock oder Mantel etwas hochgezogen, so als wolle er sein Antlitz verdecken, mit den bedeutungsvoll gesprochenen Worten: »Ich begrüße die Promillenz!«



Er hatte keinen unbeträchtlichen Anteil daran, dass ich bei den Freimaurern landete – in stiller, brüderlicher Übereinstimmung mit meinem Bürgen, der ebenfalls über eine theatralische Neigung verfügte. Betrat mein Bürge das Lokal in der Vorfreude vertraute Gesichter zu sehen, so rief er stets die Worte: »Ihr versteht zu leben!«



Jener Notar war, wie ich später erkennen sollte, nicht nur ein Maurer mit viel Witz, sondern vielmehr noch mit Herz und Verstand. Aber auch er hatte von Zeit zu Zeit Phasen, wo ihn sein Humor zu verlassen schien – zumeist dann, wenn er sich an seine jährliche Schlankheitskur machte, die er mit eiserner Disziplin durchzog. War die Zeit der Selbstkasteiung vorbei, erwachten in ihm die alten Lebensgeister, und er ging hurtig ans Werk, seine während der Kur versäumten kulinarischen Freuden mit doppelter Intensität nachzuholen. Ich hatte dann stets den Eindruck, als hätte mein Freund jetzt nur mehr eines im Sinn: Nämlich die so mühsam abgerungenen Kilos in Rekordzeit wieder „aufzuarbeiten“, regelmäßig einmal pro Jahr.



Er verfolgte die Zeit meines Aufnahmeverfahrens in den Bund mit persönlicher Anteilnahme und großem Interesse. Immer wieder gab er mir zu verstehen, dass mein Beitritt zum Bund für ihn ein echtes Bedürfnis bedeute. Er war es auch, der mir in meiner maurerischen Anfangszeit immer wieder Mut zusprach, wenn mich dieser zu verlassen drohte. Selbstverständlich gab es auch in unserer Freundschaft Höhen und Tiefen. Tiefen zumeist dann, wenn ihn meine von manchen oft kolportierte, „Besserwisserei“ nervte. Sein brüderlicher Rat war dann stets: »Nimm dich zurück, mein Freund!«



Als ich zur Zeit meines Aufnahmeverfahrens bei den Freimaurern von den vagen Andeutungen, den unzähligen Sinnbildern und manchmal auch mir unverständlichen Allegorien über Sinn und Zweck des Bundes müde wurde, wandte ich mich vertrauensvoll an meinen Freund. Da ich in ihm einen offenen, geraden Menschen kannte und schätzte, dem Gegenteil eines Geheimniskrämers, erhoffte ich mir von ihm genauere Aufschlüsse über das Wesen des Bundes.



»Du wirkst so abwesend, was ficht dich an«, meinte der Notar bei einer zufälligen Begegnung im Beisl. Ich, der seine Freude nicht verbergen konnte: »Es ist schön dich zu sehen. Wenn du erlaubst, so möchte ich dir heute eine Frage stellen, die ich dir schon längst stellen wollte. Ich hoffe jedoch sehr, dass du mir nicht ebenso ausweichst wie die anderen und mir gerade heraus antwortest!« »Ja, aber erst nachdem die Frage gestellt ist.«



Ich tat meinem Freund meine Bedenken kund. »Du weißt doch, dass ich in allernächster Zeit den Anruf eines Herrn eures Bundes erwarte, der mit mir ein Informationsgespräch führen will. Ich muss jedoch gestehen, dass mir in Wahrheit immer noch nicht ganz klar ist, was genau Freimaurerei ist. Alles, was ich bisher von euch darüber erfahren konnte, waren Andeutungen, Bilder, Allegorien, jedoch nichts Konkretes, nichts Handfestes. Auch das Lesen hat mich hier nicht entscheidend weitergebracht, so fürchte ich, könnte bereits dieses Erstgespräch in einem Desaster für mich enden. Verstehst du meine Bedenken?«



Er versuchte meine Bedenken zu zerstreuen. »Ich kann dich verstehen. Glaubst du aber, dass gerade du es sein solltest, der bei diesem Erstgespräch seinen Gesprächspartner darüber belehrt, was Freimaurerei ist? Glaubst du wirklich, dass er das