Blockadebrecher gegen Napoleon

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Blockadebrecher gegen Napoleon
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C. Verhein

BLOCKADEBRECHER

GEGEN NAPOLEON

Eine historische Erzählung aus der Zeit

während der napoleonischen

Fremdherrschaft auf Rügen

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Carsten Verhein

Der 1938 auf Rügen geborene Autor fand erst als Pensionär mit seinen vorangegangenen Büchern »Von Peyse nach Pulitz« und »Bärenfang« den Weg zum Schreiben. Nach Beendigung des Schulbesuches verwirklichte er seinen Wunschberuf und wurde von der »Pike auf an« Dipl.-Ing. im Straßen- und Hochbau. Nach langjähriger Tätigkeit in der Bauleitung und Bauüberwachung eröffnete er 1989 ein eigenes Ingenieur-Architektenbüro und betrieb dies bis zu seiner Pensionierung 2002. In der Wende-Zeit beteiligte er sich aktiv beim Aufbau neuer demokratischer Parteien auf Rügen. Besonders gern erinnert er sich an eine Begegnung mit Willi Brandt 1989 in Rostock. Heute lebt der Fünfundsiebzigjährige mit seiner Frau in Binz auf Rügen. Auf Reisen durch die Länder Osteuropas lernte der ansonsten heimatverbundene und seiner Geburtsinsel treu gebliebene Autor Menschen kennen, deren Schicksale ihn interessierten und berührten, genau so wie das derer, die durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat verloren hatten, wodurch er manche Anregung für seine Bücher fand. Seinen bisher erschienenen Erzählungen gab der Geschichtsinteressierte stets einen historischen Hintergrund.

Hobby und Vorliebe gelten der großen, wie der kleinen Eisenbahn. In der Musik, der Natur und seiner Imkerei schöpft er Kraft und Entspannung. Sein Traum ist es, noch zu seinen Lebzeiten den ersten Menschen auf einem andern Planeten und die politische Union Europas erleben zu dürfen.

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die bildlichen Darstellungen sind nicht immer unbedingt zeitgleich mit der Handlung in diesem Buch. Dabei handelt es sich um private Fotos bzw. alte Stahlstiche aus privater Sammlung. (Titelbild: Blick auf Stralsund)

Die Erzählung ist frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären daher rein zufällig und unbeabsichtigt.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Über den Autor

Impressum

Vorwort

Blockadebrecher gegen Napoleon

Wegweiser

Hinweis auf bereits erschienene Bücher

Endnoten

Vorwort

Der auf Rügen geborene und noch heute dort lebende Autor erzählt eine auf historischen Ereignissen stützende Geschichte aus der Zeit der napoleonischen Fremdherrschaft.

Obwohl die Insel Rügen zu dieser Zeit nicht zu Preußen, sondern zu Schweden gehörte, lag sie im Interessenfeld des französischen Imperators.

Um Frankreichs damaligen Hauptfeind, das Vereinigte Königreich Großbritannien, zu bekämpfen, unterwarf Napoleon die meisten Länder des europäischen Festlandes. Er glaubte, auf diese Weise den Handel des Inselreiches zu stören, um damit den Lebensnerv der Briten empfindlich zu treffen.

England erwies sich zu der Zeit unter anderem deshalb als Hauptfeind, weil es Frankreichs Kolonialpolitik im Wege stand.

Nach den verlorenen Seeschlachten 1798 bei Abukir1 und 1805 bei Trafalgar2 musste Napoleon erkennen, dass er gegen die Seemacht England auf den Meeren nichts ausrichten konnte.

Auch in der Ostsee gelang es England in der Seeschlacht von Kopenhagen 1801, die dänische Flotte auszuschalten und die Vorherrschaft zu erlangen.

Dabei hatte der englische Admiral Nelson3 endgültig über seinen französischen Konkurrenten Villeneuve4 gesiegt, selbst aber mit dem Leben bezahlt.

1806 schlug Napoleon die Preußen bei Jena und Auerstedt. Bei der Besetzung des Landes hielt er es strategisch für erforderlich, auch das damals schwedische Vorpommern und Rügen zu vereinnahmen.

Napoleon musste schließlich zwei Dinge erkennen, zum einen, dass er England zur See nicht gewachsen war und zweitens, dass er ohne eine starke Flotte nicht auf den Britischen Inseln landen konnte.

Eine dritte Möglichkeit, um England zu bekämpfen, glaubte er gefunden zu haben, indem er allen europäischen Ländern, die in seinem Machtbereich lagen, den Handel mit den Briten untersagte.

Dazu trat noch im November 1806 die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre in Kraft.

Das stellte ihn vor die Aufgabe, außer im Mittelmeer, die Küsten von Gibraltar bis Petersburg, vom Atlantik, Kanal, Nord- und Ostsee zu kontrollieren und wenn nötig gewaltsam jeden Handel mit Großbritannien zu unterbinden.

Diese Aufgabe konnte der französische Imperator mit seinen Soldaten alleine nicht bewältigen, denn die reichten nicht einmal für seine weiteren Feldzüge. So wurden auch Truppen seiner Vasallen hinzugezogen.

Um die Blockade durchzusetzen, schickte er 1807 Soldaten aus dem von seinem Bruder Jerome regierten und neu entstandenen Königreich Westfalen, Hessen und anderen ehemaligen deutschen Kleinstaaten nach Rügen.

1810 unternahmen die Engländer mit einer gewaltigen Flotte von Kriegs-, Handels- und anderen Schiffen einen gewaltsamen Durchbruch, um die Blockade zu beenden.

Es zeigte sich schon bald, dass die Abriegelung immer wieder Schlupflöcher hatte, unter anderem auch auf Rügen, wovon dieses Buch berichten wird.

Die Akteure dieser Erzählung sind nicht nur Blockadebrecher, sondern stören den Nachschub für Napoleons Feldzüge in Osteuropa, beteiligen sich als schwedische Verbündete am Aufstand des Majors Ferdinand von Schill 1809 in Stralsund und zogen schließlich unter Bernadotte am Ende bis in die Völkerschlacht von Leipzig.

Unsere Rekrutierung lag jetzt bereits zwei Monate zurück, als man uns beide, mich Jan de Borg und Vincent Veidt aus einem kleinen Städtchen in Westfalen nahe der holländischen Grenze zu den Chasseurs a Cheval (Jäger zu Pferd) einzog. So nannte man in Frankreich die Kavallerie und in dem von Napoleons Bruder Jerome regierten Königreich Westfalen ging es nun mal französisch zu.

Wir waren beide auf dem elterlichen Bauernhof groß geworden und so war es selbstverständlich, dass wir zur Kavallerie kamen. Der Umgang mit Pferden war uns von klein auf an vertraut.

Ziemlich untätig lebten wir nun schon seit Wochen in einer Kaserne, deren Gebäude früher Mönchen als Kloster diente.

Die Mönche hatte man von heute auf morgen aus dem Kloster verjagt, dabei hatte man unter Napoleon keine Skrupel, genau so, wie man andere Gotteshäuser ohne Bedenken umfunktionierte.

Obwohl wir beide erwachsen, ich gerade achtzehn und Vincent zwei Jahre älter waren, gab es einen tränenreichen Abschied von der Familie, denn alle sorgten sich um unser ungewisses Schicksal bei dieser »Militärmission«.

Hinzu kam, dass wir jetzt als erwachsene Söhne in der bäuerlichen Familie fehlten, um bei der anstehenden Feldarbeit zu helfen.

Ganz besonders traf es Vincent, den älteren von uns beiden. Seine Verlobte Claer wollte und wollte sich nicht in das Schicksal der Trennung fügen und weinte bittere Tränen beim Abschied.

Einzig die Hoffnung auf eine baldige, gesunde Wiederkehr konnte sie schließlich beruhigen und trotzdem war sie zu tiefst unglücklich bei der Verabschiedung.

Schon seit Tagen galten alle Aktivitäten dem Aufbruch gen Osten, dafür waren umfangreiche Vorbereitungen, insbesondere für den Tross zu treffen.

Das genaue Ziel wurde immer noch geheim gehalten, aber es hatte sich herum gesprochen, dass es nicht in einen neuen Feldzug ging, sondern nach Schwedische Vorpommern um dort die im November 1806 von Napoleon verkündete Kontinentalsperre gegen England durchzusetzen und das war für alle ein wenig beruhigend, denn keiner von uns verspürte große Lust für die »Grande Nation« und Napoleons Eroberungszüge sein Leben in einem neuen Krieg aufs Spiel zu setzen.

Endlich, an einem sonnigen Apriltag war es so weit, morgens sechs Uhr war die Stunde des Aufbruchs.

Auf dem Appellplatz nahmen drei Schwadron der Chasseurs a Cheval aus dem hiesigen Regiment Aufstellung, einschließlich des dazu gehörenden Trosses.

 

Nach einer feierlichen Vergatterung durch den Kapitän wurde nun endlich das vorläufige Marschziel bekannt gegeben: Es hieß Güstrow in Mecklenburg.

Langsam setzte sich die Kolonne, vorweg die Obrigkeit, in Bewegung.

So zog unser Schwadron von einer Übernachtung zur anderen, von einer Ortschaft zur anderen und das Wetter meinte es gut mit uns.

Im Gefolge dieser Kolonne bewegten sich Marketenderinnen und Händler, immer darauf bedacht, dass die Kavalleristen ihren Sold »nutzbringend« verwendeten.

Oft, aber immer bevor wir in eine größere Ortschaft einzogen, ertönte der Befehl: »Attention! Ruhe im Beritt!« Dann hieß es Schnauze halten, aufrecht im Sattel sitzen und Haltung annehmen.

Die Truppe bekam dann Gelegenheit, Uniform und Ausrüstung noch einmal in Ordnung zu bringen, denn auf das äußere Erscheinungsbild wurde großer Wert gelegt.

Die Schwadron nahm Aufstellung und Leutnants ritten die Front ab um die Truppe zu inspizieren. Hier und da gab es meist Kleinigkeiten zu beanstanden.

Der Kapitän als Oberkommandierender gab sich mit solchen Lappalien nicht ab.

Solche Aufenthalte ergaben sich immer wieder zwangsläufig, weil der Tross mit der Marschgeschwindigkeit der Reiterei nicht mithalten konnte.

Pausen entstanden ohnehin für die Einnahme der Verpflegung und Pferdefütterung.

Wenn wir in eine Stadt kamen, liefen uns die Kinder in Scharen entgegen.

Die Bevölkerung nahm weniger Notiz von diesem Spektakel, aber die Mädchen und jungen Damen verbargen ihre Neugier nicht und jubelten den jungen, feschen Kavalleristen in ihren prächtigen Uniformen zu. Manche heißen Blicke wechselten zwischen den Mädchen und den »Helden zu Pferd«.

Ich konnte es nicht unterlassen, Vincent, der noch immer an die Tränen des Abschieds dachte, auf die Hübschen aufmerksam zu machen: »Siehst du, wie man auf uns wartet, um uns zu trösten, wer kann da widerstehen.«

»Ja, das sehe ich, wäre ja nicht abgeneigt, aber sieh mal da vorne reitet dein Vorgesetzter. Kannst ihn ja mal fragen, wie es mit einer außerordentlichen Übernachtung in diesem Städtchen wäre und ob du Ausgang fürs Wirtshaus bekommst«, antwortete Vincent kleinlaut.

Damit war der Traum zu Ende und der Marschbefehl regelte den weiteren Verlauf des Tages.

Im übrigen nahmen die Wagen der Marketenderinnen am Ende des Trosses ständig zu!

Wir hatten nun schon den dritten Tag im Sattel verbracht. Übernachtet wurde in Scheunen auf großen Gütern, deren Besitzer auch für die notwendige Verpflegung zu sorgen hatten.

Ein Vorauskommando hatte Tage vorher geregelt, wo die Truppe einquartiert und versorgt werden sollte.

Bei Napoleons Feldzügen oblag es immer dem besiegten Land, dem jeweiligen Bürgermeister bzw. Guts- oder Schlossherrn, die Soldaten der Besatzungsmacht zu verpflegen, bzw. angemessenes Quartier bereit zu stellen.

Nach fast einer Woche hatten wir die Stadt Güstrow in Mecklenburg erreicht, Quartier wurde wiederum auf einem großen Gutshof vor der Stadt bezogen und eine größere Pause eingelegt. Hier gab es zum ersten Mal Ausgang.

In ganzen Gruppen zogen die Angehörigen der Chasseurs a cheval in die Stadt und »eroberten« einen Kroog5 nach dem anderen.

Von Eroberung konnte man schon sprechen, denn die einheimischen Männer und Jugendlichen mussten von jetzt an auf ihre Mädchen aufpassen.

In vorgerückter Stunde entbrannte unter dem Einfluss von reichlichen Mengen Gerstensaft so manche Schlägerei.

Wie von einem Schlachtfeld bargen die noch Gehfähigen ihre angeschlagenen Kameraden und schleiften sie zu ihrem Schlafquartier. Die aber erschwerten durch lauten Protest und Gegröle eine beabsichtigte unbemerkte Rückkehr in das provisorische Quartier.

Ich hatte besonderes Talent! Bei einer hübschen Blonden aus der Stadt hatte ich alles verschlafen und kehrte erst im Morgengrauen ins Biwak zurück.

Mein Versuch, unbemerkt in meine Unterkunft zu gelangen, misslang total, als ein Leutnant mich bei seinem Rundgang hoch zog.

Beim morgendlichen Appell fing ich mir zusammen mit zwei weiteren »Leidensgenossen« drei Tage Karzer ein, verschoben bis zur Ankunft im befohlenen Marschziel. Vincent tröstete mich mit den Worten:

»Das kann noch ein paar Tage dauern und wer weiß, was bis dahin alles passiert.«

Bei dieser Gelegenheit fielen mir die Worte aus der Verabschiedung durch unseren ehemaligen Lehrer ein, als der sagte: »Hüten Sie sich vor den heißen Frauen in der Fremde. Mit jahrelangem Siechtum büßen Sie die Folgen einer einzigen, vermeintlich wonnevollen Nacht.«

Nun, soweit war es offensichtlich nicht gekommen, aber einen Vorgeschmack solcher Bekanntschaften hatte ich bereits weg.

Nach einem weiteren Tag zur Verschnaufpause wurde der Marsch fortgesetzt, jedoch mit folgender Aufteilung.

Unser Schwadron zog nach Stralsund, um dann auf die Insel Rügen überzusetzen.

Das zweite wurde nach Greifswald beordert und dort stationiert.

Das dritte Schwadron begab sich in Richtung Ribnitz und war für den Darß und Zingst bestimmt.

Als wir in Stralsund ankamen, sahen die meisten der Kavalleristen zum ersten Mal das Meer.

Gegenüber lag die Insel Rügen, die größte Insel des späteren Deutschlands, denn zur Zeit waren Rügen und Teile Vorpommerns schwedisch, was Napoleon nicht daran hinderte, diese Gebiete gleich mit zu besetzen, denn mit Schweden befand er sich noch nicht im Krieg.

Eine Brücke suchten wir vergebens, dazu war die Distanz wohl auch zu groß.

Trotzdem brauchten wir uns um das Übersetzen keine Gedanken zu machen, denn es gab eine Wagenfähre, mit der unter anderem auch die Postkutschen sowie Reisende von und zur Insel übergesetzt wurden.

Insbesondere Reisende nach Schweden nutzten diesen Weg, um dann von Sassnitz mit dem Schiff nach Skandinavien zu kommen.

Es war vollkommen ausgeschlossen, dass mit einer einmaligen Überfahrt unser gesamtes Schwadron übergesetzt werden konnte. So viel Platz bot das Fährschiff nicht. Abgesehen von den Kavalleristen, waren immerhin an die zweihundert Pferde überzusetzen. Dazu kamen die Wagen vom Tross und unserem weiteren »Gefolge«.

Der Strelasund, wie die Wasserstraße zwischen Stralsund und Rügen heißt, war in diesen Tagen nicht ganz ruhig und wir hatten Mühe die Pferde an Bord zu bekommen.

Am meisten Mühe machte das erste Pferd. Sobald die ersten Vierbeiner an Bord waren, lief der Rest wie von selbst, so lange sie ihre Artgenossen sahen und hörten, folgten sie instinktiv. Pferde sind bekanntlich sehr feinfühlig und ahnten, was ihnen bevorstand.

Einmal sträubte sich ein Tier ganz besonders und wollte partout nicht an Bord. Als wir es endlich mit vereinten Kräften geschafft hatten, nahm unser Vierbeiner Anlauf und sprang auf der gegenüber liegenden Seite wieder von Bord in den Sund.

Einer meiner Kameraden war einen Moment unachtsam gewesen. Jetzt war guter Rat teuer, aber ich zögerte nicht lange. Kurzerhand sprang auch ich über Bord in das noch recht kalte Wasser des Hafenbeckens. Schwimmend versuchte ich das Pferd zu erreichen und führte es am Halfter zu einer Stelle des Hafens, wo man Boote zu Wasser ließ und so bekamen wir beide wieder Boden unter die Füße. Jubelnd wurden Ross und Reiter begrüßt, als wir aus dem Wasser stiegen.

Dieses Pferd konnte in nächster Zeit nicht wieder verladen werden!

Ich war vor Kälte erstarrt und wurde mit heißem Rum wiederbelebt.

Der hinzueilende Leutnant schüttelte mir die Hand, sprach eine Belobigung aus und versicherte mir: »Die Sache mit dem Ausgang in Güstrow ist vergessen. Sie haben uns ein Pferd gerettet.«

Die Frühjahrsstürme hatten sich noch immer nicht ganz gelegt und die See blieb unruhig.

Trotz der beruhigenden Worte des Kapitäns »opferten« (übergaben sich aus Seekrankheit) einige unserer Kavalleristen schon kurz nach dem Ablegen.

Die größten Probleme aber bekamen wir mit den Pferden auf See. Die Ohren gespitzt, blickten sie mit weit aufgerissenen Augen um sich, bereit, jeden Moment, wenn sie nicht durch unsere Vorkehrungen daran gehindert worden wären, über Bord zu gehen. So manches Mal mussten wir eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern.

Wegen stürmischen Wetters konnte an zwei Tagen überhaupt nicht übergesetzt werden.

Als wir endlich Mann und Ross und Wagen auf der Insel hatten, musste ein weiterer Tag Ruhepause eingelegt werden, denn die Pferde waren durch die Seefahrt total verängstigt, so dass sie erst einen Tag ausgespannt werden mussten und auf eine nahegelegene Weide kamen.

Vincent und ich hatten den Befehl erhalten, die Tiere zu beaufsichtigen. Dabei berichtete uns der Oberstallmeister, dass auf allerhöchsten Befehl im Laufe der Zeit alle unserer Rösser auf der Insel Rügen gegen einheimische Pferde ausgetauscht werden sollen.

»Und warum das?«, fragte ich neugierig.

»Die französische Generalität hat wohl festgestellt, dass die Preußen, trotz der Niederlage von Jena und Auerstedt, die bessere Kavallerie haben, was unter anderem auf den Pferdebestand zurückzuführen ist. Das sei schon bei Friedrich dem Großen so gewesen. Französische und italienische Pferde sind schon zu sehr verweichlicht.

Am widerstandsfähigsten sollen aber russische Pferde sein, was deren Kavallerie auch auszeichnet«, meinte der Stallmeister.

Aber das sollte sich erst später herausstellen.

»Sie mögen Recht haben«, antwortete ich dem Stallmeister, »aber die preußische Armee bekommt sicherlich das Beste an Pferden, was das Land zu bieten hat und das sind nun mal die Trakener aus Ostpreußen. Die werden wir hier auf Rügen wohl kaum requirieren können.«

Der Stallmeister zeigte sich über meine Pferdekenntnisse erstaunt und beeindruckt.

Von nun an hatte ich bei ihm, wie man sagt, einen Stein im Brett, was sich in nächster Zeit noch so manches Mal bestätigen sollte.

Unsere Sonderaufgabe, die Beaufsichtigung der Pferde Tag und Nacht, brachte es mit sich, dass wir etwas außerhalb der Ortschaft Altefähr gänzlich auf uns alleine gestellt waren.

Entfernen durften wir uns von den Pferden nicht, denn vor allem mein Konto hatte mit meinem nächtlichen Fortbleiben in Güstrow schon eine Hausnummer.

Am Abend besuchten uns die Schönen aus dem Dorf.

Wir begegneten hier einem sehr zurück haltenden Menschenschlag, der etwas länger braucht, bevor er auftaut, was man allgemein den Insulanern nachsagt.

Sie waren sehr zurückhaltend und es dauerte lange, bis sie uns antworteten, dann wurden sie aber Zusehens zutraulicher und wollten vieles von uns Fremden wissen.

Schade, dass unser Marsch schon am nächsten Tag wieder aufgenommen wurde.

Schon in aller Frühe formierten sich Schwadron und Tross zu einer endlosen Kolonne.

Über Poseritz, Garz und Putbus zogen wir auf der so genannten (alten) Bäderstraße bis nach Philippshagen, um dann südlich von Göhren, einem kleinen Badeort an der rügenschen Ostküste unser Quartier aufzuschlagen.

Wir befanden uns hier im Fürstentum Putbus und jetzt hatte der Fürst die »vornehme Aufgabe« für unser leibliches Wohl und das der Pferde alles Erdenkliche zu tun.

Unweit der Küste wurde Halt gemacht und unser Marsch hatte sein vorläufiges Ziel erreicht.

Müde fielen wir aus dem Sattel und ohne uns weitere Gedanken über eine passende Unterkunft zu machen, versanken wir bald in tiefen Schlaf, denn wir schliefen ein, wo wir standen. Nicht einmal für ein wärmendes Feuer reichte die Kraft.

Mit frischem Seewind wurden wir bei aufgehender Sonne geweckt. Es roch nach Seetang und Möwen umflogen kreischend unser Biwak.

Möwen blieben hier an der See unsere ständigen Begleiter, immer darauf bedacht, aus unserer Futterrage einen guten Happen zu erwischen.

Als wir uns nach »luxuriöser Morgentoilette« mit dem Frühstück beschäftigten, näherten sich Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren vorsichtig unserem Lager.

Sie waren neugierig darauf zu erfahren, woher wir kamen und was unser Besuch auf sich hatte.

Vielleicht hatten ihre Eltern sie auch geschickt, denn Neues gab es offenbar nicht so oft an diesem entlegenen Ort der Insel.

Langsam kamen sie Schritt für Schritt näher.

 

Die Jungen trugen lange weiße Hosen, die in die Stiefel gesteckt waren, weiße Hemden und schwarze Westen, auf dem Kopf trugen sie schwarze Schirmmützen.

Ähnlich waren auch die Mädels gekleidet, nur dass sie einen bunt bestickten Rock und unter dem Kinn verschnürte schwarze Häubchen auf dem Kopf trugen.

Später sahen wir, dass alle, jung wie alt auf diese Weise in »Mönchguter Tracht« gekleidet waren.

Schweigend standen sie vor uns und hätten doch so gerne viel erzählt.

Um ins Gespräch zu kommen, fragte ich den, der mir am nächsten stand, wie er denn heiße und er antwortete mir nach langem zögern.

»Heiner.«

»Und weiter?«

»Looks.«

»Ich heiße Jan«, und hielt ihm meine ausgestreckte Hand entgegen, die er nach längerem Zögern auch vorsichtig ergriff. Als ich nicht wieder los ließ, bekam er es mit der Angst und befreite sich aus seiner Gefangennahme. Das erste Eis war gebrochen.

Als ich den nächsten nach dem Namen fragte, antwortete er: »Fritz.«

»Und weiter«, wollte ich wissen.

»Looks.«

»Dann seit ihr wohl Geschwister?«

»Nee, he is mien Cousin.«

»Aha.«

»Und wie heißt du?«

»Steffen Looks.«

»Was denn, heißt ihr alle Looks?«

»Nee, wegge heiten ok noch Koos, Kliesow un Brandt.«

(Nein, einige heißen auch noch Koos, Kliesow und Brandt.)

»Merkwürdig«, dachte ich so bei mir.

»Büst du enen Franzos, de dütsch versteit?« (Bist du ein Franzose, der Deutsch versteht?)

»Wir sind keine Franzosen, wir kommen aus Westfalen und dort leben auch Deutsche. Wie kommst du darauf, dass wir Franzosen sind?«

»Jih hebben sonne Uniformen as de Franzos«, erwiderte er kleinlaut. (Ihr habt solche Uniformen wie die Franzosen.)

»Ja, das stimmt. Das kommt daher, weil unser König ein Bruder von Napoleon ist.«

»Un wat willen jih hier anfangen?«, wollte er weiter wissen. (Und was wollt ihr hier anfangen?)

»Wir passen auf, falls die Engländer kommen.«

Mit dieser Antwort gab er sich scheinbar zu Frieden, denn er wandte sich ab, um in aller Eile wieder seine Spielgefährten zu erreichen, denn denen musste er schnellstens diese Neuigkeiten mitteilen. Noch mehr warteten wohl die Eltern zu Hause auf die »Neusten Nachrichten«. Offenbar hatte der Steppke jetzt alles erfahren, was die Eltern in Erfahrung bringen wollten.

Am darauf folgenden Tag bekamen Vincent, ich und vier weitere Kavalleristen unter Führung eines Leutnants den Befehl auszureiten, um Lebensmittel und Pferdefutter zu konfiszieren. Das war eine ganz einfache Prozedur.

Auf Erlass des Kaisers hatte im besetzten Gebiet jede Stadt, jeder Gutsherr oder jeder Regent für die Unterhaltung der Truppe zu sorgen.

Ein Vorauskommando hatte bereits diese Frage mit dem Herrn zu Putbus geregelt. Dazu zog der Leutnant ein Schreiben von der Obrigkeit aus dem Ärmel, das jeden Verwalter eines Gutes im Bereich des Fürstentums verpflichtete, ihnen benötigte Verpflegung, wie Fleisch, Eier, Mehl, Zucker aber vor allem Lebendvieh und für die Pferde Heu, Stroh und Hafer, so viel sie benötigten, auszuhändigen, einschließlich der Transportleistung.

Noch am selben Tag setzten sich von den Gütern Garftitz, Dumsevitz und Nistelitz die beladenen Fuhrwerke in Bewegung und brachten das Requirierte zu unserem Lager nach Göhren.

In Nistelitz gab es trotz des eindeutigen Befehls offenbar »Verständigungsschwierigkeiten«, die aber Kraft unseres Militärs und Androhung der Todesstrafe schnell aus dem Weg geräumt wurden.

In der Tat, in dieser Frage gab es im napoleonischen Herrschaftsgebiet kein Pardon.

Mir fiel auf, dass all diese Güter Namen hatten, die die gleiche Endung trugen.

Als wir einen Gutsverwalter danach befragten, antwortete er uns: Diese Namen stammen noch aus der Zeit der slawischen Besiedlung zwischen 700 und 1100 unserer Zeitrechnung.

Andere Ortsnamen sind aus der Zeit der germanischen Besiedlung vor der Slawenzeit oder nach dem Sieg der Dänen über die Slawen 1168, entstanden.

»Dann ist Göhren ein germanischer Name?«, wollte ich wissen.

»Nein, das stimmt auch nicht. Es gibt auch slawische Namen die nicht auf -sitz, -nitz oder -litz enden. Auch Göhren kommt aus dem Slawischen und ist abgeleitet von Gora (Berg), weil es auf dem Berg liegt«, erklärte uns der Gutsinspektor.

Das mit dem Berg konnten wir bereits bestätigen.

An den darauf folgenden Tagen mussten wir winterfeste Unterkünfte bauen.

Darunter verstanden wir aus Rundholz an einer Böschung in die Erde gebaute Unterstände, die ebenerdig betreten werden konnten und mit der gewonnenen Erde wieder überdeckt wurden.

Jetzt waren die Sappeure6, wie es in der französischen Armee hieß, gefragt.

Da in unserem Schwadron offiziell nicht solche Truppenteile waren, wurden alle, die einen handwerklichen Beruf hatten, zu Vorarbeitern gemacht und ihnen die Übrigen als Hilfskräfte unterstellt.

Zunächst hieß es aber mit der gesamten Truppe in den Busch ziehen, um Bauholz zu schlagen.

Die »Granitz«, ein angrenzendes größeres Waldgebiet, bot dazu die besten Voraussetzungen.

Mehrere Tage nahm diese Holzaktion in Anspruch. Die großen Güter mussten dafür Gespanndienste leisten, denn die Kavallerie hatte nicht die geeigneten Pferde da für und auch der Tross verfügte nicht über geeignete Fuhrwerke.

Ganze Wagenkolonnen mit Langholz trafen tagelang in unserem Lager ein. Von Tag zu Tag normalisierte sich unser Lagerleben. Die Verpflegung war gut und dem zur Folge auch die Stimmung. Wild und Fisch boten die beste Bereicherung unserer Speisekarte.

Der kommandierende Kapitän war mit unserer Arbeit zufrieden und jeder von uns empfand es als großes Glück, in dieser bewegten Zeit nicht an einem Brennpunkt militärischer Auseinandersetzungen zu stehen, oder Napoleon auf einem seiner Kriegszüge folgen zu müssen.

Nach und nach wurden die Chasseurs a Cheval zu ihren vorgesehen Patrouillen an der Küste eingesetzt.

Unsere Gruppe von sechs Kavalleristen mit einem Leutnant wurde an die Westküste Rügens nach Schaprode kommandiert und so ritten wir eines morgens bei regnerischem Sommerwetter in Richtung Westen, durch die waldreiche Granitz über Bergen und Trent an diesen neuen Bestimmungsort.

In Bergen machten wir im Zentrum Halt und tränkten unsere Pferde aus dem kleinen Teich auf dem Marktplatz, gegenüber von der Postkutschenstation.

Bergen war der größte Ort auf der Insel und das Verwaltungszentrum. Den Namen schien der Ort nicht umsonst bekommen zu haben, denn als wir von Osten in die Stadt einzogen, ging es tüchtig bergauf und nach Westen wieder bergab. Mächtig viele Kneipen gab es hier, aber die militärische Disziplin erlaubte kein Einkehren.

Westlich von Bergen ließ der Wald immer mehr nach und wir kamen in ein vorwiegend landwirtschaftlich genutztes Flachland.

Erst bei untergehender Sonne erreichten wir über Trent und Streu unseren Bestimmungsort Schaprode und standen wieder am Wasser. Dieses Mal aber an der Westküste Rügens.

Dieser Ort mit einem kleinen Fischereihafen, einer alten Kirche und einem Gasthof im Zentrum, oder besser am Hafen, war der ideale Ausgangspunkt zur Überwachung der Blockade, weil einerseits die Ein- und Ausfahrt nach bzw. von Stralsund und andererseits der rügenschen Bodden von hier aus kontrolliert werden konnten.

Vor dem Gasthof am Hafen machten wir Halt.

An der Giebelwand des Hauses stand: