Orgasmus - die weibliche Kraft

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Orgasmus - die weibliche Kraft
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Brunhild Hofmann

Orgasmus –

die weibliche Kraft


Wichtiger Hinweis

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von Verfasserin und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

© 2016 KOHA-Verlag GmbH Burgrain

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Andrea Barth/ Guter Punkt, München,

unter Verwendung eines Fotos von

© Irina Belousa/Colourbox

Illustrationen: Reiner Bergmann

ebook-Herstellung und Auslieferung

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

ISBN 978-3-86728-749-4

Inhalt

Vorwort

Frauenkaufhaus – Männerkaufhaus

Meine sexuelle Lebensreise – Subjekt oder Objekt?

Die Sprache der Lust

Erregung und Orgasmus

Die Vagina – macht glücklich und froh

Sich legal berauschen – mit körpereigenen Drogen

Und sich berauschen mit dem Mann …

Gesellschaftlicher Kontext

Ein Pamphlet als Nachwort

Vorwort

Mitleidig schaut sie mich an. Die Freundin, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe und mit der ich jetzt vor einem Cappuccino sitze, in dem Café mit dem weiten Blick übers Wasser. Eigentlich geht es uns beiden gerade gut.

»Aber du hast doch einen Partner«, fragte sie mich vor einer Minute, und ich verneinte. Und merke jetzt, wie sich Stacheln in mir aufrichten. Noch immer gibt es sie, die kleine sumpfige Stelle in mir, wo ich in Morast und schwarzem Schlamm versinke … und an der ich mich wiederfinde bei der Frage nach einem Partner in meinem Leben. Scham verflochten mit Schuld weht mich an, als ich antworte: »Nein – und mir geht es gut.«

Scham – weil ich »keinen« habe.

Schuld – weil es mir trotzdem so gut geht.

Wir Frauen sind vollständig. Ich bin vollständig als Frau, vollkommen. Genauso wie Männer vollständig und vollkommen sind. Jeder Vater vererbt seiner Tochter ein X-Chromosom, genauso wie jede Mutter ihrer Tochter ein X-Chromosom vererbt. Wir erben also einen Chromosomensatz von unserer Mutter, einen von unserem Vater. Damit sind wir bestens für das Leben ausgerüstet, wir können sprechen, singen und tanzen, lernen, uns entwickeln, für unser eigenes Leben und meistens noch für das Leben anderer sorgen und sie lieben.

Genauso geht es Männern. Auch sie sind vollständig. Der Vater vererbt dem Sohn ein Y-Chromosom, und die Mutter vererbt ein X-Chromosom. Damit sind sie für ihr Leben gut ausgestattet und können laufen und raufen, singen und tanzen und ihr Leben meistern. Und Lust empfinden und lieben

Kein Mensch spricht den Männern ab, dass sie sich alleine befriedigen können. Nein, die umsatzstärkste Industrie baut darauf auf. Die Umsätze der Pornoindustrie übersteigen sogar diejenigen der Pharmaindustrie.

In den letzten Jahren wurde der Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Orgasmus in verstärktem Maß öffentlich diskutiert. Dabei wurde die grenzenlose, flutende Qualität des weiblichen Orgasmus entdeckt, und das vorrangige weibliche Geschlechtsorgan, die Vagina, steht im Mittelpunkt des Diskurses. Ein Ergebnis scheint zu sein: Wir Frauen brauchen den Penis, der uns im Schoß berührt, um das tiefe Geheimnis, die wahre Lust zu erfahren.

Ich behaupte: Das stimmt nicht – auch wenn in dem Bestseller »Fifty Shades of Grey« die Lust der Frau einhundertprozentig abhängig ist von der Stimulation durch den Mann und von seiner Lust. Im Film »Nymphomaniac« von Lars von Trier wird die Frau, die als Mädchen frei in der Natur ihre Lust erlebt, zu einer selbstzerstörerischen Nymphomanin. Das Bild der Frau, die sich lustvoll selbst genügt und ein gutes Leben führt, existiert (noch) nicht in der öffentlichen Meinung. Dabei gibt es diese Frauen – und sie sind glücklich.

Genauso wie Männer sich sexuell selbst organisieren können, erleben Frauen intensive, grenzüberschreitende Lust mit sich alleine. Dass diese Lust eine andere Qualität als mit dem Partner hat und bestimmte Voraussetzungen braucht, ist unbestritten. Welcher Sex allerdings besser oder schöner oder überwältigender ist, das ist Geschmackssache. Und das eine schließt das andere nicht aus, so halten es auch die Männer.

Frauen erleben oft ihre ersten sexuellen Berührungen durch den Mann. Sie werden erregt und hoffentlich befriedigt und erfüllt. Mädchen und Frauen lernen nicht, welche Lust sie sich selbst bereiten können, indem sie sich selbst lieben. Dass Frauen jede Sekunde im Alltag mit ihrer sexuellen Energie verbunden sein können, dass sie durch sie stark sind und von ihr getragen und aufgerichtet werden, dass sie Glückshormone in ihrem Körper produzieren können und für den Start dieser Produktion keineswegs einen Mann brauchen – das ist offenbar ein Tabu.

Probieren Sie es aus, bauen Sie die Verbindung mit Ihrer sexuellen Kraft auf, indem Sie sich Ihrer Vagina bewusst werden und bleiben – in jedem Augenblick. Berühren Sie sich, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf, wie Ihre Vagina und Ihre Perle sich anfühlen, gerade im Augenblick, pulsierend, ruhig, weich, warm! Gibt es einen Strom, der zu anderen Bereichen Ihres Körpers fließt?

Versorgen Sie sich mit Ihren eigenen Drogen! Seien Sie high! Genießen Sie überbordenden Sex mit sich selbst und geben Sie Ihrem Partner eventuell ein paar Tipps …

Frauenkaufhaus – Männerkaufhaus

Abends im Biergarten. Eine Freundin erzählt einen Witz, über den auch die Männer in der Gruppe lachen:

In einer Stadt gibt es ein Kaufhaus, in dem man Männer kaufen kann. Eine Regel lautet: Frauen, die einen Mann suchen, dürfen mit dem Aufzug immer nur aufwärts zum nächsten Stockwerk fahren, niemals zurück nach unten.

Eine Frau betritt das Kaufhaus. In der ersten Etage kann man Männer kaufen, die Arbeit haben. »Nicht schlecht«, denkt sie, »aber das ist mir zu wenig.«

Sie fährt mit dem Aufzug in den zweiten Stock. Dort wird sie von Männern empfangen, die Arbeit haben und gut aussehen. »Gut und schön – aber es gibt bestimmt noch etwas Besseres!«

Wieder betätigt sie den Aufzugsknopf zum nächsten Stockwerk. Hier gibt es Männer, die Arbeit haben, gut aussehen und Kinder lieben. »Das Angebot wird tatsächlich immer besser. Schauen wir doch mal, was die nächste Abteilung bringt« – und schon ist sie wieder auf dem Weg.

Die Männer im vierten Stock haben Arbeit, sehen gut aus, lieben Kinder und helfen bei der Hausarbeit. »Ja, ein Wahnsinn«, denkt sie, schlendert in der Abteilung umher, schaut einigen Männern tief in die Augen – und beschließt dann, sich doch noch ein Stockwerk höher umzuschauen.

Männer, die Arbeit haben, gut aussehen, Kinder lieben, bei der Hausarbeit helfen und eine romantische Ader haben werden hier angeboten. »Eine romantische Ader – hier bin ich praktisch am Ziel meiner Wünsche«, geht ihr durch den Kopf. Sie lässt sich Zeit und schaut sich um. Einige Männer gefallen ihr, einzelne sogar sehr gut. Trotzdem ist sie unentschlossen. »Nein, da geht noch etwas« – und schon steigt sie erneut in den Fahrstuhl.

Die Tür öffnet sich im sechsten Stockwerk. In dem riesigen leeren Raum steht ein Schild: »Sie sind die 467.352te Frau, die in diesem Männerkaufhaus keinen Mann gefunden hat.«

Der Witz geht noch weiter …

Ein paar Wochen später eröffnet in der Stadt ein Frauen-Kaufhaus. Auch hier führt der Weg immer nur zum nächsthöheren Stockwerk.

Ein Mann betritt das Kaufhaus, auf der Suche nach einer Frau. Im ersten Stock werden Frauen angeboten, die gut aussehen. »Das ist mir doch ein bisschen zu wenig«, denkt er und geht weiter in den zweiten Stock.

Hier gibt es Frauen, die gut aussehen und Spaß an Sex haben. »Super, hier bin ich richtig«, weiß er und sucht sich seine Frau aus. Beim Bezahlen an der Kasse erfährt er: Noch kein Mann ist höher als bis zum zweiten Stock gefahren. Jeder wurde hier fündig.

Lachen Sie? Oder finden Sie die Pointe eher traurig? Sind wir Frauen nur Zicken, die sich anstellen oder bitten lassen wollen?

Der Witz offenbart die Diskrepanz zwischen weiblicher und männlicher Sehnsucht. Denken Männer tatsächlich nur an Sex? Brauchen Frauen wirklich »so viel«, damit sie sich mit Männern gut fühlen? Vielleicht ist es nicht so sehr die Anspruchshaltung »Da geht noch etwas«, sondern die Erkenntnis »Da fehlt noch etwas!«.

Ich behaupte: Ja, es fehlt etwas, und zwar der respektvolle Umgang miteinander auf Augenhöhe – auch beim Sex. Gerade in der Liebe, bei der ich mich schutzlos fallen lasse. Vielleicht würden Männer sofort gekauft, wenn sie Frauen hier einen sicheren und respektvollen Raum anbieten würden?!

Meine sexuelle Reise – Subjekt oder Objekt?

Ich war 15 Jahre alt, als ich das erste Mal Liebe machte. Ich sage bewusst »Liebe machte«, denn so war es. Wir waren fast ein Jahr miteinander gegangen, wie man damals so sagte, waren sehr ineinander verliebt und gaben uns Hoffnung. Trotz aller Schwierigkeiten hielten wir zusammen. Wir lernten uns in der Schule kennen: ich eine Tochter aus einem sehr konservativen Elternhaus, er ein Junge, der ohne Vater aufgewachsen war und in linken Kreisen verkehrte.

Als wir »es« das erste Mal ausprobierten, drang sein Penis sanft in mich ein und lag einfach eine Weile da. Dank des ausführlichen Petting, das wir uns wochenlang geschenkt hatten, hatte ich keine Schmerzen, und mein Jungfernhäutchen war wahrscheinlich schon vorher gerissen. Schließlich bewegte er sich sanft in mir. Es machte ihn glücklich, und mich machte glücklich, dass er glücklich war.

 

Ich war nicht darauf aus, einen Orgasmus zu erleben. Ich wusste gar nicht, was das Wort bedeutet. Unerfahren, wie ich war, fehlte mir nichts.

In den nächsten Wochen und Monaten verfeinerten wir unser Liebesspiel, und nach vielleicht vier Monaten hatte ich das erste Mal einen Orgasmus. Es ist schwer, einen Orgasmus zu beschreiben, aber du bist dir ganz sicher, wenn du einen erlebt hast.

Noch heute kann ich mich genau an den Moment erinnern. Es war im Frühling, und wir lagen im Wald auf weichem Moos, halb bekleidet. Der Duft des Waldes, das helle Grün der jungen Blätter, das Zwitschern der Vögel – alles verschmolz zu einem bleibenden Eindruck. Wie ein strahlender Diamant prägte dieses Erlebnis meinen Körper und meine Gefühle. Es ist die Grundlage, auf der all meine sexuellen Erfahrungen gewachsen und gediehen sind.

Ich habe mich oft an diesen Augenblick und an diese Zeit in meinem Leben erinnert. Wenn ich meine sexuelle Initiation mit vielen Eindrücken von Freundinnen vergleiche, dann bin ich dankbar, weil ich meine ersten sexuellen Erfahrungen getragen von Liebe und Vertrauen machen durfte, mit einem Partner, der fast genauso jung und unerfahren war wie ich. Wir waren beide füreinander der und die Erste und eine große Liebe. Wir bewegten uns auf diesem Feld, trotz der vielen Ängste und Unsicherheiten, behutsam vorwärts.

Trotzdem ging diese Beziehung zu Ende, und im Laufe meines Lebens wechselten die Partner. Ich bekam Kinder. Mein Bedürfnis nach Sex war immer groß, die Lust hatte sich mir im Wald erschlossen.

Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich sei eine Nymphomanin. Als einmal mein Partner vier Wochen auf Reisen war, wusste ich nicht, wie ich diese Zeit überbrücken sollte.

Bis zu meinem 45. Lebensjahr hatte ich meistens befriedigenden Sex, einen Orgasmus. Sobald der Sex nicht mehr stimmte, stellte ich die Beziehung infrage. Heute würde ich das anders machen.

Als sich nach insgesamt 30 Jahren Beziehungserfahrung eine Partnerschaft löste, beschloss ich, das erste Mal im Leben alleine zu bleiben.

In diesen Jahren lernte ich viel über mich. Ich begann, mit dem Wasserstrahl der Dusche zu spielen, um mich zu erregen und zum Orgasmus zu bringen. Zu Vibratoren hatte ich eine gehörige Distanz, zu fremd, zu mechanisch. Hier im Wasser erlebte ich meinen ersten klitoralen Orgasmus. Ich spürte, wie ich die sexuelle Energie, ohne sie zu entladen, in mir aufsteigen lassen konnte, sodass sie mir den gesamten Tag noch zur Verfügung stand.

Wenn ich jetzt hier sitze und schreibe und meine Aufmerksamkeit auf meine Klitoris richte, spüre ich, wie ein Strom von süßer Energie meine Vagina und meinen Damm berührt und in meinem Körper aufsteigt. Sensationell ist das!

Genauso wie der Orgasmus im Wald mit meiner ersten großen Liebe, fand mich mein erster Orgasmus, den ich mir selbst schenkte, ohne dass ich ihn suchte. Ausgelöst durch zarte Wogen, überlief meinen Körper der Schauder, mein Becken zog sich zusammen, und dann verströmte ich mich.

Ich spielte mit Wasser und dem Strahl der Dusche. Anfangs beschleunigte ich den Orgasmus, indem ich Pornofilme vor meinem inneren Auge ablaufen ließ. Aber mehr und mehr konnte ich mich der Führung meines Körpers hingeben und mich überfluten lassen. Oder aufhören, ohne dass es zum Orgasmus kam, wohl wissend, dass die Erregungsenergie mir im Laufe des Tages von Nutzen sein würde. Manchmal kam es dann zu Orgasmen in unerwarteten Augenblicken, die ekstatisch durch meinen Körper fluteten.

Ich war – und bin – damit glücklich. Ich habe einen wichtigen Teil meines Körpers für mich entdeckt und erweckt. Er gehört nur mir, und ich bin von keinem anderen Menschen und dessen Lust abhängig. Jederzeit kann ich mein Lustzentrum aktivieren und mich mir hingeben. Ich liebe mich.

In einem Urlaub begegnete ich einer Frau, die seit ihrer Kindheit fast taub, aber nicht stumm ist. Deshalb kann sie ihre Worte nicht perfekt artikulieren, es klang für mich ungewohnt. Ich redete länger mit ihr. Sie, die diese nach meiner Meinung gravierende Einschränkung hat, sagte: »Unser Körper ist eine Sensation! Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, ist fantastisch! Berühren wir nur unsere Haut, die ja unser größtes Sinnesorgan ist: ein Wahnsinn! Alles, was wir durch andere bekommen, ist Zubrot.«

Die Erfahrung des klitoralen Orgasmus war ein wichtiger Schritt auf meinem Weg zu mir. Wen verwundert es, dass ich so spät diese Erfahrung gemacht habe: Ich habe die frauenbewegte Zeit verschlafen, und zwar in Betten mit Männern, die auch nicht genug darüber wussten. Während der Feminismus über klitorale Orgasmen sprach und schrieb, beschäftigte ich mich mit Mann und Kindern.

Mein Partner nach der längeren Single-Pause war ein Mann mit Tantra-Erfahrung. Aufregend und schön! Wollüstig!

Gemeinsam besuchten wir ein Tantra-Seminar. Ich war aufgeregt und begierig, Neues zu lernen. Durch das Lieben mit ihm und durch das Seminar vertieften sich meine Fähigkeiten, auch während des sexuellen Zusammenseins ruhig und achtsam zu bleiben. Mein Partner zügelte mich oft, und so lernte ich, innezuhalten und nur wahrzunehmen, auch wenn das manchmal kaum auszuhalten war, weil ich auf der Welle dem Orgasmus entgegenritt. So erlebte ich vielfarbige Orgasmen, genoss mich und ihn, gab mich hin und verschmolz.

Und wieder sind da der Duft des Waldes, seine Farben und das Zwitschern der Vögel …

Heute erlebe ich manchmal vaginale, sogenannte G-Punkt-Orgasmen, oft klitorale Orgasmen, manchmal gar keine Orgasmen (und es ist trotzdem sehr schön) und gemischte Orgasmen – je nachdem, was gerade an meiner inneren Tür klopft. Es gibt in mir kein Streben nach etwas Bestimmtem, es gibt nur die Hingabe an den Augenblick, alleine oder gemeinsam.

Und immer mehr erlebe ich das, was ich für mich alleine entdeckt habe, auch zu zweit. Der Orgasmus steigt in mir auf, da ist eine Süße und ein Leuchten in mir, das sich auch auf meiner Haut ausbreitet. Stille, kein Bewegen – ein innerer Orgasmus. Mit einem Partner, der das ebenso genießt.

Bei einer Yoni-Massage erfuhr ich, dass es einen weiteren interessanten Bereich in unserer Vagina gibt: den A-Punkt. Es ist ein Bereich nahe dem Muttermund, näher am Muttermund als am G-Punkt gelegen (eigentlich »G-Zone«, d.h. »Gräfenberg-Zone«, benannt nach dem Gynäkologen Ernst Gräfenberg, oder auch »Göttinnen-Zone«). Ich bin sicher, dass die zarte Stimulation dieses Bereiches zu meinen inneren Orgasmen beiträgt. Ich erlebe manchmal »Sternenregen«, wie es in dem Buch »Vagina« von Naomi Wolf genannt wird – auch das ist ein wundervolles Wort für das orgiastische Gefühl. Zufriedenheit breitet sich aus, es gibt in diesen Momenten keine Wünsche mehr. Physiologisch gesehen ist das ein wundervoller Weg, seinen Blutdruck zu senken.

Im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ich die Erfahrung dieses »inneren« Orgasmus machte, als ich mich spirituellen Themen zuwandte. Irgendwann war es mir nicht mehr genug, zwischen Kindern und Beruf, Haushalt und Beziehung hin und her zu hechten. Die Sehnsucht nach der Verbindung mit etwas Größerem, etwas Universellem breitete sich in mir aus, und wie durch Zufall traf sie auf einen Lichtstrahl, der in mein Leben hinein zu leuchten begann. Das Licht breitete sich aus und mit ihm die Fähigkeit meines Körpers, mit sich selbst vollkommen zufrieden zu sein. Das war vorher nämlich nicht so. Ich hatte ständig etwas an mir auszusetzen, von Schwangerschaftsstreifen über die Neurodermitis bis zum Speck am Bauch. Ja, ich wäre gerne wie eine perfekte spanische Erdbeere gewesen, die uns appetitlich aus dem Prospekt der Tageszeitung anlacht. Heute bin ich sehr zufrieden damit, dass ich gut rieche und schmecke – sowohl im übertragenen Sinn als auch wortwörtlich.

Sexuelles Subjekt oder Objekt?

All diese Erfahrungen machten mich froh. Ich wollte sie mit anderen Menschen teilen. Dabei stieß ich schnell an Grenzen. Mit Freundinnen über Lust und Selbstbefriedigung zu reden, war ein heißes Terrain. Frauen, die ich seit Studienzeiten meine Freundinnen nannte, verschlossen sich. Menschen, mit denen ich Beziehungsleid und -freud bis ins Kleinste durchdekliniert hatte, die all meine Macken, Fehlleistungen und Fehltritte kannten, zogen sich beim Thema »Selbstbefriedigung« zurück. Ich registrierte: »Tabu! Tabu!«, und wurde unsicher.

Und ich war verblüfft. Anfang der 1990er-Jahre hatten Freundinnen sich gegenseitig mit einem Spekulum, dem damaligen Untersuchungsgerät der Frauenärzte, Einblicke in ihre Vagina gestattet. In den nächsten zwanzig Jahren hatte ich mich nicht vorrangig mit dem Thema »Weiblichkeit« beschäftigt, aber ich ging davon aus, dass das Thema mittlerweile mit größerer Offenheit angesprochen wurde. Ein Irrtum!

Wie tabuisiert das Thema der weiblichen Lust und Selbstbefriedigung heute noch ist, zeigte sich mir im Kleinen, als ich mich mit einer Freundin in einem Café verabredete. Ich wollte mit ihr über das gerade in Deutsch erschienene Buch von Naomi Wolf »Vagina« reden. Ich traf etwas früher ein, holte das Buch aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Nach einer kurzen Begrüßung bestand die erste Handbewegung meiner Freundin darin, die Cover-Vorderseite zuunterst auf dem Tisch zu platzieren. So war das gut sichtbare Wort »Vagina«, das auf der Titelseite des Buches prangt, verdeckt.

»Genau darum geht es«, sagte ich amüsiert zu meiner ansonsten nicht spießigen Freundin.

Sie stimmte in mein Lachen ein.

Ein weiteres Phänomen: »Wahrscheinlich ist es heute unter jungen Leuten deutlich einfacher, über Sexualität, Männlichkeit und Weiblichkeit zu reden als mit Personen meiner Altersklasse«, dachte ich. Pustekuchen! Es lebe die Prüderie.

Junge Frauen und Männer, mit dem Thema »Sexualität« seit der Grundschulzeit in Berührung, konfrontiert mit dem Thema »Pornografie«, seit sie den Mausklick beherrschen, sind stumm, wenn es um den liebevollen und offenen Umgang mit der eigenen und der Sexualität des Partners geht, um die Berührung und Benennung ihrer Geschlechtsorgane, um ihre sexuellen Bedürfnisse und darum, wie sie sich wirklich alleine oder miteinander befriedigen können. Gerade Mädchen wissen wenig über die Wunder ihres Körpers, über Selbstbefriedigung, über Orgasmen und darüber, wie sie ihre Wünsche gegenüber ihrem Lover ausdrücken können, ohne dass sich ihre Zunge verknotet.

Es gibt keine Sprache. Vor der Sprache kommt der Gedanke. Das Denken darüber, was sein könnte, wie es sein könnte, wie schön es sein könnte und was noch alles sein könnte, ist ein Tabu – und immer noch mit Angst und Unwohlsein besetzt.

Ich war schockiert. Welch ein Rückschritt. Umso mehr, als der Umgang mit Pornografie immer mehr um sich greift, sich quasi ein Pseudo-Erleben etabliert, vor allem bei jungen Männern, aber auch bei Paaren. Befriedige ich meine sexuellen Sehnsüchte durch Pornografie, dann entscheide ich mich dafür, die spanischen Erdbeeren anzuschauen, die wunderbar auf dem Hochglanzprospekt prangen und einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Es sind die ersten Erdbeeren der Saison, und wenn man sich verführen lässt, sie zu kaufen, ist die Enttäuschung meist groß. Sie fühlen sich zu fest an und schmecken vor allem wenig nach Erdbeeren.

Kaufe ich mir im Mai oder Juni während der Erdbeersaison reife Beeren – oder noch besser, pflücke ich sie auf dem Feld und stecke sie direkt in den Mund –, welch ein Genuss, auch wenn sie nicht so perfekt aussehen. Und ja, im kalten März ist auch ein Schälchen spanische Erdbeeren schon ganz schön. Es ist nur wichtig, den Unterschied zu kennen und dann seine Wahl zu treffen.

Meine These ist: Die Verbreitung von Pornografie über das Internet und ihr massenhafter Gebrauch durch junge Männer führt zu mehr Sprachlosigkeit in den Beziehungen. Oder haben Sie schon mal von guten, stabilen Beziehungen gehört, in denen locker über den Pornografiekonsum des jeweiligen Partners gesprochen wird – beziehungsweise über das, was er dabei erlebt? Ich nicht. Eher wird solch ein Begehren – geht es von der Frau aus – als ein Eingriff in die Intimsphäre des Mannes betrachtet.

Es ist ein einsames Geschäft: die Augen auf den Bildschirm gerichtet und die Hand am Penis. Und wie begegnet der Mann seiner Freundin danach? Schuldgefühle und Zurückgezogenheit anstatt gemeinsame Freude am eigenen Körper und dem des Partners.

Ich weiß heute noch genau, wie mich als damals 16-Jährige die nackten Titelbilder auf den Zeitschriften »Playboy« und »Konkret« verletzten: Warum wurden Frauen so schutzlos und verwundbar dargestellt? Ich fühlte mich als Frau entblößt. Ich empfand es als Angriff auf meine Weiblichkeit, wenn mein Freund mit Pornovorlage onanierte. Es nahm mir Kraft und Würde – und es war tabu, das zuzugeben. Ein Gespräch auf Augenhöhe über das Thema war weder mir noch auf Initiative meines Freundes möglich. Galt doch damals als politisch korrekt: »Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment.« Und ich wette, diese Schwierigkeit existiert heute unter jungen Menschen noch ganz genauso.

 

Heute kann ich dazu stehen, dass mich die Reduzierung von Frauen auf ihre Genitalien verletzt. Als junge Frau kämpfte ich mit mir und meiner gesellschaftlich geächteten Eifersucht. Meines Erachtens manifestiert unsere scheinbar so offene Gesellschaft das Unverständnis und die Trennung zwischen den Geschlechtern.

Für uns Frauen führt der Weg zu weiblichem Selbstbewusstsein über das Erkunden und Erfahren unserer weiblichen Geschlechtsorgane, über die Freude und die Lust an dem, was die Natur uns geschenkt hat. Welch eine Potenz! Und auf diesem Weg kann das Miteinander von Frau und Mann erblühen.

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