Hypatia von Alexandria

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Hypatia von Alexandria
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Zacharias Amer

Hypatia von Alexandria

Drama

epubli

Impressum

© 2015 Zacharias Amer

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-7375-3966-1

Wenn ich Dich seh', Dein Wort vernehm', bet ich Dich an,

Der hehren Jungfrau sternbedecktes Haus erblickend;

Denn auf den Himmel nur erstreckt sich all Dein Tun,

Du jeder Rede Zier und Schmuck Hypatia,

Der höchsten Weisheit reiner, unbefleckter Stern.

Palladas – um 400

P e r s o n e n :

Hypatia

Theon Ihr Vater

Cyrill Patriarch von Alexandria

Orestes Römischer Statthalter von Ägypten

Synesios Philosoph, Bischof, Schüler

und Freund der Hypatia

Petrus (der Vorleser) Diakon

Zwei Freunde, Schüler der Hypatia:

Lysander

Ophelion

Mönche, Bürger, Trabanten

Spielzeit: Alexandria zwischen 390 u. 415

*******

I.

1

Synesios / Hypatia

Hypatia ist in ein leichtes jonisches Gewand gekleidet, das die Konturen ihres Körpers erkennen lässt. Die großen braunen Augen, das lange dunkle Haar lassen die schönen Gesichtszüge majestätisch wirken. Nach der herzlichen Begrüßung schaut Synesios sie bewundernd an, streichelt mit der rechten Hand seinen kahlen Kopf.

Synesios: Du bringst meine Theorie völlig durcheinander.

Hypatia: Welche Theorie denn, lieber Synesios?

Synesios: Die Theorie der Kahlköpfigkeit. Ich bin nämlich der Ansicht, dass Verstand nur dort zu finden ist, wo keine Haare vorhanden sind, und du widersprichst dieser Theorie so gänzlich, dass ich darüber noch einmal nachdenken muss.

Hypatia: Danke für das Kompliment, wird der einfältige Satz: Ausnahmen bestätigen die Regeln dich ein wenig beruhigen?

Synesios: Ich muss mich damit abfinden; denn prachtvollere Haare und noch prachtvolleren Verstand habe ich bis dato bei keinem Menschen gesehen wie bei dir. Es ist so: die Natur hat uns mit Haaren gesegnet und diese tragen zur Schönheit wesentlich bei. Was macht aber einer wie ich, den die Haare so früh verlassen haben? Als ich bemerkte, wie sie meine Gegenwart verschmähen, fühlte ich mich dermaßen unglücklich und wünschte mir gar den Tod. Der Anblick meines geplünderten Kopfes betrübte mich zusehends (Hypatia lacht). Ich fragte mich, welches Unrecht habe ich begangen, dass ich den Frauen immer weniger attraktiv erscheine? Wie kann eine von denen einen solchen kahlen Kopf lieben? Trotz meines Nachsinnens oder vielleicht gerade deswegen, beeilten sich die Haare und zogen noch schneller von dannen. Auf so einem trübsinnigen Kopf hielt es keines von denen länger aus. Ich hatte keine andere Wahl als mich mit dem Unglück abzufinden und es, so gut es geht, mit Würde zu tragen. So schrieb ich ein Klagelied auf mein Haupthaar.

Hypatia: Du machst mich sehr neugierig.

Synesios: Die Quintessenz meiner Theorie besagt: dort, wo der Verstand einzieht, müssen die Haare weichen, und wo kein Verstand ist, machen sie sich breit; denn Verstand und Haarwuchs warten nicht aufeinander, sondern gehen wie Licht und Dunkelheit einander aus dem Weg. Wo der Verstand am wenigsten zu Hause ist, etwa beim Kind, ist die Haarpracht am schönsten, im Alter hingegen, wo der Mensch seine geistige Reife erlangt, ist der Kopf häufig kahl. Etwas Totes sind die Haare. Gerade die Lebewesen mit dem wenigsten Verstand sind am ganzen Körper damit bedeckt. Es ist unbestritten, dass von all dem Vieh das Schaf das einfältigste ist und bei ihm wachsen die Haare bekanntlich nicht einzeln, sondern in dichten Büscheln.

Hypatia: Was vollendet ist, braucht keinen Schmuck mehr. Alle großen Köpfe waren kahl, Diogenes, Sokrates... Und galt nicht der Silen mit seinem starken Bart- und Haarwuchs in der Bildenden Kunst grundsätzlich als hässlicher Gesell?

Synesios: Das tröstet mich sehr.

Hypatia: Bei deiner amüsanten Theorie stehe ich ganz auf deiner Seite; denn nur die Kahlköpfe sind den Göttern ähnlich. Als der heimkehrende Odysseus sich daran machte, die Fackeln anzuzünden und die Dunkelheit zu verbannen, da lachten ihn die Freier aus und sagten, er solle es doch lieber sein lassen, denn sein kahler Kopf genügt schon, das ganze Haus zu erleuchten. Damit machten sie ihm ungewollt das schönste Kompliment und erhoben ihn in die Nähe der Göttlichkeit. Denn er sei wie jene fähig, Licht zu haben und es zu erzeugen.

Synesios: Herrlich, besser hätte ich es auch gar nicht schreiben können.

Hypatia: Ach, Synesios, ich bewundere wirklich deinen Scharfsinn und ich kaufe es dir nicht ab, dass du über deinen kahlen Kopf besorgt bist. Hingegen machtest du beim heutigen Vortrag auf mich einen ziemlich zerstreuten Eindruck oder irre ich mich?

Synesios: Das Problem ist, wer zu deinen Füßen sitzt, der kann sich schlecht konzentrieren. Deinem Vortrag zu lauschen, ist das Höchste, was mir bis jetzt widerfahren ist. Ich sehe vor mir eine Göttin, die nicht um Aufmerksamkeit bittet, sondern eine, die angebetet werden sollte. Immer wieder erwische ich mich bei meiner Zerstreutheit. Meine Gedanken schweben dahin und dorthin und ich ermahne mich, aufmerksamer zu sein, um keines deiner Worte zu verpassen. Als ob der himmlische Vater mit mir spräche, lausche ich und versinke im Gebet. Wer deinem Vortrag lauschen darf, kann sich getrost zu den Auserwählten zählen.

Hypatia: Liebster Synesios, ich fürchte, ich habe dich völlig verhext.

Synesios: Ach, wenn dem so wäre! Kann es denn überhaupt was Besseres geben? Meine Tage in Alexandria, zu deinen Füßen sind die schönsten Tage meines Lebens und wenn ich in die Kyrenaike zurückkehre, werde ich nur noch von dir träumen, denn dein Bild trage ich in mir und es wird mich nie wieder verlassen, komme, was wolle.

Hypatia: Eine andere an meiner Stelle würde sich bei all den schönen Worten darauf etwas einbilden.

Synesios: Wenn ich alles sagen könnte, was ich empfinde, würde ich nie ein Ende finden und doch ist jedes Wort wahr empfunden. Bevor ich dich sah, hörte ich andere von dir reden und von deinem Vortrag schwärmen und dachte, dass die Menschen immer so übertreiben müssen! Nun erkenne ich, es war alles untertrieben. Denen fehlten die Worte, um ihren Empfindungen Ausdruck zu verleihen, um deine himmlische Erscheinung zu beschreiben.

Hypatia (etwas verlegen): Deine Schrift über die Kahlköpfigkeit wird mich sehr interessieren.

Synesios: Ich hatte ohnehin vor, es dir zu widmen und werde sehnsüchtig auf dein vernichtendes Urteil warten. (Er erhebt sich und reicht ihr ehrerbietig die Hand).

2

Lysander und Ophelion, zwei Hypatia-Schüler, in weiße Philosophenmäntel gekleidet, laufen an einer Gruppe Mönche vorbei. Die Mönche, in ihren schwarzen Kutten, hocken auf dem Boden und beäugen die beiden missfällig.

Lysander (weist mit dem Auge auf die Mönche): Riechst du den widerlichen Geruch, der herüberströmt.

Ophelion: Es sind Gottesmänner und sie riechen nicht eklig, sie duften.

Lysander: Hör mit dem Unsinn auf. Sie stinken erbärmlich. Ich wundere mich, dass noch keiner von denen am eigenen Gestank gestorben ist. Als Todesursache steht dann geschrieben: „erstunken“ (er lächelt). Wenn ich die sehe, wird mir übel. Sie bevölkern inzwischen die Stadt und werden tagtäglich immer mehr.

Ophelion: In der Tat. Wie schäbig muss eine Religion sein, deren Verteidiger derart beschaffen sind. Letztendlich werden diese Elenden den Sieg davontragen, einfach weil sie zahlenmäßig überlegen sind.

Lysander: Mit anderen Worten, der Sieg der Kirche ist eine rein mathematische Angelegenheit.

Ophelion: So sehe ich das. Doch sie werden bleiben, was sie sind: verkrüppelte Geister, sie werden lügen und betrügen, rauben und morden, nach Reichtum schielen. Gott schieben sie nur vor, er hat nur eine Alibifunktion. Er ist gewissermaßen der Steuermann eines Piratenschiffs. Der Patriarch ist wahrlich ein guter Psychologe. Er weiß, wo er seine Leute rekrutiert. Sie sind seine Schutztruppe und wie ich ihn kenne, heckt er etwas aus und wartet auf den richtigen Zeitpunkt.

Lysander: Du machst mir Angst.

Ophelion: Sie ist auch berechtigt. Ich sehe dunkle Wolken heraufziehen. Alexandria ist auf dem besten Weg, völlig vermöncht zu werden. Ich bin wütend, ich bin total wütend. Allein der Anblick dieser Menschen ekelt mich an, mit ihren Bärten, ungepflegtem Äußeren, diese hohlen Gesichtsausdrücke, die raubtierartigen Blicke ihrer bestialischen Augen, ihrer nach Blut riechenden Atemzüge!

Lysander: Blut riecht nicht, du Lümmel.

Ophelion: Halt deinen Schnabel. Es hat zu riechen. Wenn der Mensch ein Abbild Gottes sein soll, wie sie behaupten, dann muss dieser Gott ein asozialer Landstreicher sein.

Lysander (ruhig, beinah ängstlich): Was wird aus uns?

Ophelion: Sie werden uns hinausjagen. Für sie sind wir der Stein des Anstoßes.

Lysander: Und was ist mit dem Präfekten, mit der Philosophin? Warum unternehmen sie nichts?

Ophelion: Der Präfekt ist eine schäbige Kreatur und ist bis über die Ohren in die Philosophin verliebt. Sie weiß aber nichts mit ihm anzufangen.

Lysander: Aber er ist doch Stellvertreter des Kaisers. Er kann in die Hauptstadt schreiben und um Hilfe bitten.

Ophelion: Ach, Freundchen. Du bist noch geistloser als ich dachte.

Lysander (Mit Drohgebärde): Nimm dich ja in Acht.

Ophelion: Der ganze Kaiserhof ist ein einziger Sumpf, dort herrschen Weiber, Eunuchen und Sklaven. Wer etwas erreichen will, muss erst einmal die ganze Meute bestechen und genau das tut der Patriarch. Abgesehen davon, in Konstantinopel hat man andere Sorgen. Dort wimmelt es nämlich von Theologen. (Er bleibt stehen ... lacht): Neulich las ich, was einer über diese Stadt geschrieben hat: „diese Stadt“, schreibt er „ist voll von Handwerkern und Sklaven, die alle tiefgründige Theologen sind und in den Läden und auf den Straßen predigen. Wenn du von einem Mann ein Geldstück gewechselt haben willst, wird er dich zunächst darüber belehren, worin der Unterschied zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn besteht; und wenn du nach dem Preis von einem Laib Brot fragst, wird man dir an Stelle einer Antwort erklären, dass der Sohn dem Vater untergeordnet ist; und wenn du wissen willst, ob dein Bad fertig ist, wird der Bademeister dir antworten, der Sohn sei aus dem Nichts erschaffen worden“. Ist das nicht lustig?

 

Lysander: Ich weiß nicht, ob das lustig ist, schließlich muss ja die Frage entschieden werden, irgendwie! Ist der Herr nun eine Person, zwei Personen, drei Personen? Einer in zweien, zwei in dreien oder einer in dreien, drei in einem? Ist er ein Mensch, ein Gott oder beide zusammen, von jedem etwas? Ist er Vater oder Sohn oder Vater und Sohn zugleich? Hat er sich selbst gezeugt? Du siehst, es sind äußerst komplizierte Vorgänge, die ein scharfes Nachdenken erfordern; und der Herr Patriarch denkt Tag und Nacht darüber nach.

Ophelion: Ja, das tut er. Er will unbedingt sein Mariendogma durchsetzen.

Lysander: Was ist denn das schon wieder?

Ophelion: Er sieht Maria als Gottesgebärerin an.

Lysander: Ach, wenn weiter nichts ist, als dass Gott aus dem Schoß einer Sterblichen hervorgekrochen kommt!

Ophelion: Der Sohn dieser Sterblichen, mein Kind, ist aber nicht Gottessohn, sondern Gott und Mensch zugleich, wie du es vorhin unwissentlich geplappert hast. Das Leiden nahm er freiwillig auf sich, obwohl er, dank seiner Göttlichkeit, dem leicht aus dem Weg hätte gehen können.

Lysander: Wirklich sehr anständig. Welcher Gott tut dergleichen und lässt sich sogar kreuzigen, weil er seine Schafe so lieb hat.

Ophelion: Lästere nicht, du Bock. Eine Marienverehrung allein ließe sich gewöhnlich interpretieren, indem man etwa sagt: die Menschen rufen nicht nach Maria, sondern nach dem, was sie vermissen. Sie rufen nach der Mutter Gottes und haben doch ihre eigene im Sinne. Es sind ewige Kinder, die nach der Mutterbrust schmachten. Das sagt mir mein philosophischer Schädel.

Lysander: Wenn ich dich und deinen philosophischen Schädel nicht hätte!

Ophelion: Wärst du völlig verloren, Kindchen.

Lysander: Ich merke, du hast dich mit diesem Kram befasst.

Ophelion: Nur so am Rande. Eigentlich interessiert mich der Blödsinn überhaupt nicht, deswegen verfluche ich tagtäglich den Konkubinensohn.

Lysander: Wen verfluchst du? Wer ist denn das?

Ophelion: Der verfluchte Konkubinensohn ist kein anderer als Kaiser Konstantin, er hat dieser Sklavenreligion zum Sieg verholfen.

Lysander: Jeder weiß, dass es ein Machtkalkül von ihm war. Er war ein Machtpolitiker, der es verstanden hat, sich die neue Lehre nutzbar zu machen, So stützte er sich nicht auf die Philosophen, sondern auf die Bischöfe, und diese Armleuchter fingen damit an, zu predigen, dass jede Auflehnung gegen den Kaiser eine Sünde sei.

Ophelion: In der Tat kann bei ihm von einer tiefen Religiosität keine Rede sein. Er verchristlichte das Reich aus Eigennutz, der Barbar. Die Lehre vom Leben als ein Jammertal kam ihm sehr gelegen. Diese demütige Hinnahme der Ungleichheiten des Lebens, diese gefügigen Untertanen, die nur an ihr Seelenheil dachten und den Tyrannen als Gottgesandten sahen. Mit diesem genialen Schritt gewann er sogar die Soldaten des Gegners, obwohl bei ihm die Selbstsucht an oberster Stelle stand. Alles was seinen Plänen hinderlich war, schaffte er beiseite. Kaltblütig ließ er sogar seinen Schwiegersohn erhängen, seine Schwäger Licinius und Bassianus erwürgen, seine Frau Fausta im Bade ersticken und seinem Sohn die Kehle durchschneiden.

Lysander: Wahrlich ein sehr christlicher Kaiser.

Ophelion: Diesem Bluthund haben wir unsere Misere zu verdanken. Der Patriarch stützt sich auf dieses Lumpengesindel. Er holt sie hierher als eine Art Armee, auf die er im Notfall zurückgreifen wird. Nun will er diesen Notfall herbeireden, deswegen wirbelt er in der letzten Zeit viel Staub auf, der Bandit.

Lysander: Kann die verehrte Philosophin gar nichts unternehmen?

Ophelion: Hypatia, die reine Seele, schwebt in höheren Regionen und will ihre Seele nicht mit Politik beflecken. Sie erteilt zwar ab und an einen guten Rat, aber man hat das Gefühl, sie tut es eher unwillig oder nur, damit man sie in Ruhe lässt. Von ihr ist keine Hilfe zu erwarten. Dem Patriarchen ist sie in der Kunst der Intrigen hoffnungslos unterlegen. Ränke schmieden kann sie nicht. Sie will ihre Messinstrumente haben und über Platon und Plotin reden. Ich habe sogar das Gefühl, sie nimmt diese Mönche gar nicht wahr. Nur in ihre Lehre ist sie vertieft. Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass sie in ihren schneeweißen Philosophenmantel gehüllt in der Stadt herumgeht und die reine Lehre vor jedem zum Besten gibt. Ob der Zuhörer in einen Philosophenmantel oder in eine Mönchskutte gehüllt ist, wird sie vermutlich gar nicht wahrnehmen.

Lysander: Ein Philosoph hat doch die Pflicht, in die Tagespolitik einzugreifen. Das hat sie selber, glaube ich, gesagt.

Ophelion: Eigentlich ist Kyrill ein ganz Dummer, denn er überschätzt den politischen Einfluss der Philosophin. Indem er den Orest bei ihr ein- und ausgehen sieht, denkt er, der bekommt seine Instruktionen von ihr, das ist nicht der Fall.

Lysander: Wie willst du das wissen? Du tust ja so, als ob du die beiden bei ihrer Unterhaltung belauscht hast.

Ophelion: Ich bin nun mal klüger als du.

Lysander: Ich hau dir gleich eine.

Ophelion: Ein Philosoph redet mit dem Mund, nicht mit den Händen, du Flegel. Sie kann dem Präfekten gar keine Ratschläge geben, weil sie die ganze Politik anwidert. Sie kann ihm Plotin`s drei Hypostasen erklären und jeden platonischen Dialog bestens interpretieren, fängt er aber mit Politik an, schläft sie garantiert gleich ein. Vom „gefräßigen Gebell der Materie“, wie es so schön heißt, hält sie sich fern. Dem Patriarchen geht es hingegen einzig und allein um Macht. Um sie zu erreichen, um seinen Einfluss zu vergrößern ist ihm jedes Mittel recht. Theophilos und Kyrill sind mit demselben - schmutzigen - Wasser gewaschen.

Lysander: Du machst mir ja Hoffnung.

Ophelion: Komm, lass uns ins Bad gehen und über etwas anders reden. (beide ab).

3

Arbeitszimmer von auffälliger Schlichtheit, die Wände sind kahl, nur ein Kreuz ist hinten an der Wand zu sehen. Links und rechts jeweils eine Tür; die linke führt ins Kircheninnere, die rechte zur Bibliothek und zu den Privaträumen. In der Mitte ein Schreibtisch, auf dem einige Papiere zerstreut liegen. Kyrill, ein etwa fünfzigjähriger Mann, das Gesicht schmal, die Augen tief, der Rücken ein wenig nach vorn gebeugt, sitzt am Schreibtisch und ist mit seinen Papieren beschäftigt. Dann erscheint Petrus links, bleibt an der Tür stehen bis er die Erlaubnis erhält, einzutreten...

Petrus: Ich hoffe, ich störe Euer Heiligkeit nicht.

Kyrill: Nein, du störst nicht, setz dich. Ich denke daran, der Philosophin einen Besuch abzustatten. Was hältst du davon?

Petrus (völlig überrascht): Euer Heiligkeit denkt ernsthaft daran, sich mit dieser verruchten Person zu treffen? Hoffentlich weiß sie, diese große Ehre zu schätzen.

Kyrill: Diese verruchte Person, wie du sie nennst, ist sehr mächtig, Petrus. Alle Persönlichkeiten, die in Alexandria Rang und Namen haben, pilgern zu ihr, bitten sie um Rat und hören auf ihre Meinung, vor allem diese Pfeife von einem Stadtpräfekten. Sie bezaubert nicht durch ihre Reize, sondern durch geistige Brillanz. Sie ist eine hochgelehrte Person, zu der man mit Bewunderung aufblickt. Nun muss uns gelingen, diesen starken Einfluss Schritt für Schritt zurückzudrängen, notfalls gehen wir bis zum Äußersten, um unsere Lehre und unsere Überzeugungen zu verteidigen.

Petrus: Haben Euer Heiligkeit konkrete Pläne.

Kyrill: Nein, ich habe keine Pläne und entwerfe auch keine. Ich werde in diesem Gespräch versuchen, sie zu bekehren.

Petrus: Na ja, wenn man ihre verdorbene Seele dadurch retten könnte, warum eigentlich nicht.

Kyrill: Die Macht der Heiden ist in Alexandria erheblich und die Kirche steht noch auf wackligen Füssen. Uns gelang es bis jetzt nur, die unteren Schichten zu überzeugen, gewonnen haben wir erst, wenn die anderen, die man die Geistreichen nennt, von unserer Wahrheit überzeugen. Wir müssen das Licht in ihre Seelen einpflanzen.

Ein Diener tritt ein und kündigt den Boten des Rabbiners an.

4

Bote (der sich vor Kyrill tief verbeugt): Dem seligsten und allerheiligsten Papst und Patriarch der großen Stadt Alexandria und von ganz Ägypten, Pentapolis, Pelusium, Libyen und Äthiopien bringe ich die besten Grüße unseres Rabbiners.

Kyrill (trocken): Der Rabbi hat dich nicht nur geschickt, um uns seinen Gruß zu übermitteln!

Bote: Der Rabbi schickt mich, um bei Euch gegen die zunehmenden Übergriffe, deren unser Volk ausgesetzt ist, zu protestieren. Die Mönche scheinen sich vorgenommen zu haben, alles Jüdische zu vernichten. (Kyrill anflehend): Ihr seid unsere letzte Hoffnung, weil Ihr kein Unrecht gutheißen könnt. Unser Volk, wir, Gottes-Auserwählte, wir flehen Euch an, uns zu helfen.

Kyril (der währenddessen murmelte, steht erregt auf, schlägt mit der Faust auf den Tisch und brüllt den Boten an): Hör endlich mit dem Unsinn auf... eure verdammte Anmaßung kann nicht länger geduldet werden.

Bote: Ja... aber welche Anmaßung meint Ihr denn? Ist es anmaßend, wenn wir Euch um Schutz bitten gegen diese außer Rand und Band geratene Bande?

Kyrill (mit erregter Stimme): Was wollt ihr denn?

Bote: Was wir wollen! Nichts... Nichts außer in Ruhe gelassen zu werden. Wir sind ordentliche Staatsbürger, kommen unseren Pflichten nach und haben die ewige Verfolgung satt.

Kyrill (sehr erregt): Verfolgung! Was für Verfolgung? Wer ist daran schuld? Habt ihr euch nie gefragt, ob es nicht vielleicht eure Schuld ist, ewig verfolgt zu werden. Einen Unschuldigen verfolgt man nicht.

Bote: Soll das bedeuten, dass Ihr, der Patriarch von Alexandria, diese Verfolgung gutheißen?

Kyrill (ungeduldig): Herr im Himmel, verdreht meine Worte nicht, forscht nach den Ursachen bei euch selber.

Bote (lässt den Kopf hängen): Wenn ich mit dieser Botschaft zum Rabbi zurückkehre ... ich weiß nicht, was geschehen wird. (Mit gen Himmel gestreckten Händen): Gedenke unser, Herr, zeige dich in unserer Not und stärke uns, Herr, Du König aller Götter und Herrschaften, errette uns durch Deine Hand. Gott Abrahams, erhöre die Stimme der Verlassenen und errette uns." (Er steht auf, um zu gehen).

Kyrill (außer sich vor Erregung): Geh, wohin du willst! Aber lass mich allein... geh... geh. (Der Bote verschwindet eilig nach links).

Kyrill (allein): Oh, diese verfluchten Hunde, sie wagen es noch, sich zu beschweren, auserwählt, ewig verfolgt, pfui Teufel. Dieses unnütze Volk neigt ständig zur Rebellion und ist für die Sklaverei wie geschaffen. Tempelplünderer, Dirnenkinder. Sie sind weder Kinder Abrahams noch Kinder Gottes, sondern ein Schlangengezücht und Knechte der Sünde. Was soll man noch von denen halten, die den Esel ehren, die schlimmsten Schandtaten haben sie vollbracht, wehe dem, der mit ihnen verkehrt.

Sie verweigern sich der Erlösung. Dieses Problem muss gründlich gelöst werden, ein für allemal, es bedarf einer End-Lösung.

(Er schnauft und nimmt an seinem Schreibtisch Platz, kramt in seinen Papieren herum. Orestes, ein Mann mit sicherem Schritt und dem Gehabe einer bedeutenden Persönlichkeit, tritt, als römischer Statthalter gekleidet, ein. Die Haare sind schwarz, die Augen lebhaft. Missvergnügt schaut er sich das Empfangszimmer an. Kyrill steht auf und reicht ihm freundlich die Hand.)

5

Kyrill - Orestes

Orestes: Euer Heiligkeit! (Verbeugt sich).

Kyrill: Was verschafft mir die Ehre?

Orestes: Eine unangenehme Sache, Euer Gnaden ... Juden und Christen hetzen sich gegeneinander auf. Die Juden behaupten, die Christen wollen sie alle ermorden, und die Christen behaupten ebenfalls, die Juden wollten sie alle ermorden.

 

Kyrill (aufmerksam): Nun?

Orestes: Dann haben die Juden einen Mann ergriffen, ein gewisser Kyros, wenn ich mich entsinne, den sie beschuldigen, eine Verschwörung gegen sie angezettelt zu haben.

Kyrill: Sie glauben nicht etwa, was diese Wucherer und Christusmörder sagen?

Orestes: Es geht nicht darum, was ich glaube und was nicht, ich muss der Beschuldigung nachgehen.

Kyrill: Wo ist er jetzt?

Orestes: Die Juden haben ihn uns ausgeliefert. Er sitzt in Haft.

Kyrill: Dann verlange ich, dass er sofort freigelassen wird.

Orestes: Das hängt nicht von meinem Wohlwollen ab. Das Gesetz hat das Wort, aber dieser Dickschädel will nicht sprechen.

Kyrill: Von welchem Gesetz reden Sie denn überhaupt?

Orestes: Vom römischen, natürlich, dem die Stadt und das ganze Land unterworfen sind.

Kyrill: Eure Gesetze interessieren mich nicht, ich verlange, dass Sie den Kyros sofort freilassen!

Orestes: Das geht leider nicht. Es ist meine Pflicht, alle Bürger dieser Stadt zu schützen und dem Gesetz Geltung zu verschaffen...

Kyrill (erregt): Eure Gesetze mögen gut sein für diese Griechen und Römer, die seit Jahrhunderten dieses Land regieren und ausbeuten, aber nicht für die Armen. Für die haben eure Gesetze nichts übrig ... sie zählen nicht ... und es gibt für sie nur das Evangelium...

Orestes (zeigt sich unbeeindruckt): Als treuer Beauftragter seiner Majestät, habe ich darauf zu achten, dass kaiserliches Recht nicht unter die Räder kirchlichen Rechts kommt, die Balance muss gewahrt werden.

Kyrill: Gott ist der alleinige Gesetzgeber, und wir, die Schriftgelehrten, sind dazu prädestiniert, die Erfüllung des göttlichen Gebots zu überwachen. Wenn ein Kaiser den Versuch unternimmt, sich daraus ein Recht abzuleiten, so ist das eine Anmaßung.

Orestes: Doch sind alle Synoden bis dato durch kaiserlichen Befehl zustande gekommen.

Kyrill: Auch das wird sich in absehbarer Zeit ändern.

Orestes: Wollen Sie damit das römische Reich zugrunderichten?

Kyrill: Man kann nichts zugrunderichten, was schon am Boden liegt.

Orestes: Wie dem auch sei, es bleibt trotzdem meine Aufgabe, alle Bürger dieser Stadt zu schützen.

Kyrill: Wenn es Eure Aufgabe ist, alle Gruppen in der Stadt zu schützen, wie Sie behaupten, dann ist es meine Aufgabe, Gotteslästerer zu entlarven und der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen, und es ist auch meine heilige Pflicht, das ganze Land vom Irrwahn des Götzendienstes zu befreien. Ich muss alle Irrtümer beseitigen, alle Torheiten unterbinden. Ich werde dafür sorgen, dass die Armen zu ihrem Recht kommen; solange sie unterdrückt, verachtet, und zu Sklaven degradiert werden...

Orestes: Verkaufe, was du hast und gib es den Armen, so wirst du einen Platz im Himmel haben. (Er lacht. Mit erhobener Hand): Aber verschonen Sie mich bitte mit dem Kamel und dem Nadelöhr. Ich höre es täglich, seitdem kann ich keine Kamele mehr sehen.

Kyrill: Die Waffen der Römer sind stumpf geworden. Die Zeiten haben sich geändert und ich rate Ihnen, noch rechtzeitig die Fronten zu wechseln. Für so einen wie Sie dürfte das nicht so schwer sein. Politiker von Ihrer Sorte hängen stets ihren Mantel mit dem Wind. Rom, das durch die Ausplünderung anderer groß wurde, ist nun an der Reihe, ausgeplündert zu werden. Es liegt da wie ein ausgestreckter Gaul und kann sich nicht einmal der Barbaren erwehren. Dass Sie nun die Gesetze dieses lahmen Esels für bindend erklären, beweist, wie realitätsfremd Sie inzwischen sind. Die Zeit der Herrlichkeit ist ein für allemal dahin. Wir haben lange genug diese unersättlichen Mäuler ernährt, jetzt müssen wir an uns selber denken und die Wunden heilen, die dieses Parasitenpack hinterlassen hat. Wir haben die verdorbenen Sitten der Römer bereinigt, ein Reich aus dem Sumpf herausgezerrt.

Orestes: Um es in einen noch tieferen hinabzustoßen.

Kyrill: Ihr habt die Tyrannei zu weit getrieben. Euch ist es nicht einmal bewusst, was es heißt, mit leerem Magen die Nacht zu verbringen.

Orestes: Aber Sie wissen es!

Kyrill: Ich gebe alles hin, was ich habe.

Orestes: Um Euch selber ein Denkmal zu setzen, allein die Bestechungsgelder, die Sie an verkommene Beamte in der Hauptstadt verteilen, würden genügen, um eine ganze Stadt zu ernähren.

Kyrill (achtet nicht auf seine Worte): Ich sage Euch, solange keine Gleichheit unter den Menschen herrscht...

Orestes (der sich gelangweilt zeigt): Gleichheit? Die Gleichheit von der sie sprechen, Euer Gnaden, ist Selbstbetrug, weil sie der menschlichen Natur widerspricht und weil sie von oben herab propagiert wird, und alles, was von oben herab propagiert wird, ist faul. Wenn wir eine heile Welt errichten wollen, müssen wir zuerst die Menschen abschaffen... (er lächelt). Entscheidend soll doch die persönliche Überzeugung sein und der freiwillige Verzicht auf die Selbstsucht, und nicht diese stumpfsinnige Litanei.

Kyrill: Freiwillig, sagen Sie? Unsinn! Wird jemals ein Reicher freiwillig auf seinen Reichtum verzichten? Wird er jemals teilen lernen? Oh nein ... das glauben Sie doch selber nicht.

Orestes: Die Idee von der Gleichheit ist ja nicht übel für eine Sonntagspredigt; aber sie wird immer eine schöne Utopie bleiben, und darf nie darauf hoffen, realisiert zu werden. Sie erheben die Armut zum Maßstab aller Dinge, als wäre dies für sich ein Verdienst und vergessen dabei, dass das sittliche Verhalten den Menschen in den Himmel bringen solle, nicht seine Armut. (Er macht sich zum Aufbruch bereit): Es war sehr angenehm, mit Euch zu reden ... doch muss ich mich leider entfernen, die Staatsgeschäfte rufen mich. (Er verbeugt sich und geht links ab).

Kyrill (allein): Geh schon, du Elender ... bald wirst du sehen, wer hier das Sagen hat. Er bleibt am Schreibtisch sitzen ... (kurz darauf tritt Petrus ein).

6

Kyrill: Hör zu, Petrus, Bruder Kyros soll bei dieser Marionette von einem Präfekten festgehalten worden sein. Ich möchte, dass du der Sache auf den Grund gehst und...

(Ein Mönch stürzt atemlos herein)

Mönch: Verzeiht, Euer Heiligkeit, aber die Trabanten des Statthalters haben Bruder Kyros zu Tode geprügelt!

Kyrill: Ist er tot?

Mönch: Ja, leider, Euer Heiligkeit. Weil er sich geweigert hat, zu reden, haben sie ihm den Bauch aufgeschlitzt und die Ohren abgeschnitten, doch hörte er nicht auf, den Namen des Herrn zu preisen.

Kyrill (für sich): Das ist gut, ein paar Märtyrer können wir gut gebrauchen. (Laut): Ein Blutzeuge, er erlitt für Gott den Tod. (Zum Mönch): Ist gut, du kannst schon gehen, ich werde mich um die Sache kümmern. (Mönch links ab… zu Petrus): Ich verlange, dass du ein kolossales Begräbnis für Kyros veranstaltest. Sammle zehn-, zwanzig-, dreißigtausend Mönche und Bürger, soviel Du kannst. Sie sollen mit Fackeln marschieren, und der Leichnam soll offen auf einer Bahre getragen werden, damit ihn jeder sieht, und er soll mit seiner blutbeschmierten Kutte zugedeckt werden...

Petrus: Verzeiht ... und wenn die Kutte nicht mit Blut...

Kyrill (aufgeregt): Dann schmiere etwas darauf, du Trottel. (Nach einer Atempause): Verzeih, Petrus, war nicht so gemeint. Aber verstehst du denn nicht, was ich...

Petrus: Total, Euer Heiligkeit, ich verstehe alles. Und es wird ein kolossales Begräbnis für den Märtyrer Kyros geben. Ihr könnt Euch total auf mich verlassen, total.

Kyrill (beruhigt): Sehr gut, Petrus. Das erwarte ich auch von dir ... und, Petrus, wir müssen das Blut unseres Bruders rächen.

Petrus: Das meine ich auch, Euer Gnaden. Diese verdammten Jesusmörder haben genug unserer Brüder gemartert und gequält; und es ist die allerhöchste Zeit, die Stadt von dieser Seuche zu reinigen.

Kyrill: Ja, Petrus ... diese Wucherer und Geldmacher saugen den Armen das Blut aus den Adern. Morgen darf keiner mehr von denen in der Stadt verweilen. Vertilge alles, was an sie erinnert, rotte sie aus. Ich erwarte ganze Arbeit, Petrus!

Petrus: Euer Heiligkeit dürfen beruhigt sein ... Petrus vollbringt keine halbe Arbeit.

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