Besteuerung von Unternehmen II

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Fall 5: Handelsbilanz Wahlrecht – Steuerbilanz keine Regelung: Gilt für die Handelsbilanz ein Bilanzierungswahlrecht und existiert steuerrechtlich keine Vorschrift, kommt es zu einer Einschränkung der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz. Für den Ansatz dem Grunde nach bedeutet dies, dass handelsrechtliche Ansatzwahlrechte für die steuerliche Gewinnermittlung nicht übernommen werden können, vielmehr ist in der Steuerbilanz die Bilanzierung eindeutig festgelegt:[8]


Wirtschaftsgüter, für die handelsrechtlich ein Aktivierungswahlrecht besteht, sind bei fehlender steuerlicher Norm in der Steuerbilanz aktivierungspflichtig.
Für passive Wirtschaftsgüter, die handelsrechtlich bilanziert werden können, gilt bei fehlender steuerlicher Norm steuerrechtlich ein Passivierungsverbot.

Die Begründung für diese Einschränkung von Bilanzierungswahlrechten in der Steuerbilanz liegt in der stärkeren Betonung des Objektivierungsgedankens.

Bei Sachverhalten, für die handelsrechtlich ein Bewertungswahlrecht besteht und im Steuerrecht eine eigenständige Norm fehlt, müsste konsequenterweise für die steuerliche Gewinnermittlung bei Aktiva der höchste in der Handelsbilanz zulässige Wert angesetzt werden, während bei Bewertungswahlrechten für Passiva in die Steuerbilanz die handelsrechtliche Wertuntergrenze übernommen werden müsste.[9] Von der Finanzverwaltung wird allerdings die Auffassung vertreten, dass bei Bewertungswahlrechten der handelsrechtliche Wert in die Steuerbilanz zu übernehmen ist (Maßgeblichkeit nach § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG).[10] Auf welche Argumente sich dieser Widerspruch zwischen handelsrechtlichen Bilanzierungswahlrechten (Einschränkung der Maßgeblichkeit) und handelsrechtlichen Bewertungswahlrechten (Maßgeblichkeit) sowie damit verbunden die andere Interpretation der Maßgeblichkeit stützt, wird von der Finanzverwaltung nicht erläutert.

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Fall 6: Handelsbilanz Wahlrecht – Steuerbilanz Wahlrecht: Besteht sowohl für die Handelsbilanz als auch für die Steuerbilanz ein Wahlrecht, kann das steuerliche Wahlrecht unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG), dh in diesem Fall besteht keine Maßgeblichkeit.[11] Dies gilt unabhängig davon, ob die Wahlrechte in den beiden Rechnungslegungskreisen inhaltlich übereinstimmen oder ob das steuerliche Wahlrecht enger abgegrenzt ist als das handelsrechtliche Wahlrecht. In Abhängigkeit von der Ausübung der Wahlrechte können Handels- und Steuerbilanz übereinstimmen oder auseinanderfallen.[12]

Die Auffassung der Finanzverwaltung steht im Widerspruch zu den Zielen der steuerrechtlichen Rechnungslegung. Aufgrund dem ergänzend heranzuziehenden Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit (§ 38 AO) müssten bei einem Nebeneinander von handelsrechtlichem Wahlrecht und steuerlichem Wahlrecht der für die handelsrechtliche Rechnungslegung gewählte Wert in die Steuerbilanz zu übernehmen sein. Da für die steuerliche Gewinnermittlung dem Objektivierungsgedanken eine hohe Bedeutung zukommt, sollte das Wahlrecht in der Steuerbilanz nicht anders ausgeübt werden dürfen als in der Handelsbilanz. Sowohl für Ansatzwahlrechte als auch für Bewertungswahlrechte müsste die (formelle) Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gelten.

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Fall 7: Handelsbilanz Ermessensspielraum – Steuerbilanz keine Regelung: Gilt für die Handelsbilanz ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nur durch eine Ermessensentscheidung konkretisiert werden kann, und besteht im Steuerrecht keine Regelung, stimmen Handels- und Steuerbilanz überein. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz ergibt sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG.[13] Eine unterschiedliche Auslegung desselben Ermessensspielraums in den beiden Bilanzen wäre willkürlich. Sie würde gegen den Grundsatz der objektivierten Gewinnermittlung verstoßen.

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Fall 8: Handelsbilanz Ermessensspielraum – Steuerbilanz Ermessensspielraum: Gilt für die Handelsbilanz ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nur durch eine Ermessensentscheidung konkretisiert werden kann, und besteht im Steuerrecht gleichfalls ein Ermessensspielraum, ist danach zu differenzieren, ob für die steuerliche Gewinnermittlung derselbe oder ein inhaltlich vergleichbarer unbestimmter Rechtsbegriff verwendet wird (Fall 8a) oder ob für die steuerliche Gewinnermittlung die Bandbreite der möglichen Alternativen durch einen enger abgegrenzten Ermessensspielraum eingegrenzt wird oder durch eine verbindliche Regelung vollständig aufgehoben wird (Fall 8b).[14]

Stimmt der Ermessensspielraum in den beiden Bilanzen überein (Fall 8a), ist dieser in der Steuerbilanz in gleicher Weise auszulegen wie in der Handelsbilanz. Eine unterschiedliche Auslegung desselben Ermessensspielraums in den beiden Bilanzen wäre willkürlich. Sie würde gegen den Grundsatz der objektivierten Gewinnermittlung verstoßen. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG gilt uneingeschränkt.

Wird bei einem unbestimmten Rechtsbegriff der in der Handelsbilanz bestehende Ermessensspielraum für die steuerliche Gewinnermittlung durch eine verbindliche Regelung oder einen enger abgegrenzten Ermessensspielraum verringert (Fall 8b), liegt eine Einschränkung der Maßgeblichkeit vor. Diese Situation ist inhaltlich mit dem Fall 4 vergleichbar. Der Unterschied liegt nur darin, dass nicht ein Ansatz- oder Bewertungswahlrecht gewährt wird, sondern bei der Auslegung des Gesetzes ein Interpretationsspielraum besteht. Anstelle einer abzählbaren Anzahl an Alternativen existiert eine Bandbreite möglicher Werte.

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Fall 9: Handelsbilanz keine vergleichbare Regelung – Steuerbilanz eigenständige ertragsteuerliche Regelung: Im Zusammenhang mit der Besteuerung von Unternehmen kennt das Steuerrecht spezifische Regelungen, um die für Einzelunternehmen sowie für Personen- und Kapitalgesellschaften gewünschte Konzeption umzusetzen, um bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte den betrieblichen Bereich von der privaten Sphäre des Steuerpflichtigen abzugrenzen sowie um bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen internationale Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Für die Besteuerung von Unternehmen unterschiedlicher Rechtsform, für den ertragsteuerlichen Grundsatz der Trennung von Einkommenserzielung und Einkommensverwendung sowie für die Maßnahmen zur Vermeidung von internationaler Doppelbesteuerung bestehen keine vergleichbaren handelsrechtlichen Regelungen. Es ist unstrittig, dass im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung die jeweiligen allgemeinen steuerlichen Regelungen anzuwenden sind. Aufgrund von konzeptionellen Abweichungen besteht keine Maßgeblichkeit.

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Zusammenfassung: Die Verbindungen zwischen handelsrechtlicher und steuerrechtlicher Gewinnermittlung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Grundsätzlich ist der Handelsbilanzansatz für die steuerliche Gewinnermittlung dem Grunde und der Höhe nach zu übernehmen, außer


es besteht eine steuerliche Regelung, die für die Bilanzierung oder die Bewertung eine abweichende Regelung vorschreibt, oder
in der Handelsbilanz besteht ein Bilanzierungswahlrecht und im Steuerrecht ist keine Regelung vorgesehen oder
für die Steuerbilanz besteht nach dem Gesetz oder nach einer Verwaltungsanweisung ein Wahlrecht und dieses steuerliche Wahlrecht wird so ausgeübt, dass der Wert in der Steuerbilanz vom in der Handelsbilanz angesetzten Wert abweicht.

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Die Interpretation des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG im Sinne der formellen Maßgeblichkeit und die damit verbundene Einschränkung einer eigenständigen Wahlrechtsausübung in der Steuerbilanz auf Wahlrechte, mit denen eine spezielle steuerliche Zielsetzung verfolgt wird, könnte mit dem zusätzlichen Einbezug des Grundsatzes der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit begründet werden. Dieser zu den allgemeinen Besteuerungsprinzipien gehörende Grundsatz hätte zur Konsequenz, dass für die steuerliche Gewinnermittlung der Objektivierungsgedanke eine bedeutsame Rolle spielen würde. Allerdings legt die Finanzverwaltung § 5 Abs. 1 S. 1 EStG isoliert aus. Stellt man ausschließlich auf den Wortlaut ab, kann man die Auffassung vertreten, dass steuerliche Wahlrechte unabhängig von der Vorgehensweise in der Handelsbilanz ausgeübt werden dürfen. Bedeutsam sind diese unterschiedlichen Interpretationen insbesondere im Fall 3 (soweit es sich nicht um spezielle steuerliche Wahlrechte im Zusammenhang mit dem Lenkungszweck der Besteuerung handelt) und im Fall 6.

 

Bei verbindlichen steuerrechtlichen Regelungen (Fälle 2 und 4), fehlenden steuerlichen Regelungen (Fälle 1, 5 und 7), bei speziellen steuerlichen Grundsätzen (Fall 9) und bei den speziellen steuerlichen Wahlrechten im Zusammenhang mit dem Lenkungszweck der Besteuerung (Untergruppe des Falls 3) treten bei der Auslegung des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG grundsätzlich keine Abweichungen auf. Übereinstimmung müsste auch bei Ermessensspielräumen bestehen (Fall 8), da eine unterschiedliche Auslegung von Ermessensspielräumen unabhängig davon als willkürlich anzusehen ist, ob man aus § 5 Abs. 1 S. 1 EStG eine formelle Maßgeblichkeit oder eine materielle Maßgeblichkeit ableitet.

Anmerkungen

[1]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 3, 4; H 5.1 EStH.

[2]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 3, 4; H 5.1 EStH. Da Handels- und Steuerbilanz übereinstimmen, liegt keine Ausnahme von der Maßgeblichkeit vor. Deshalb unterbleibt beim Fall 2a eine Zuordnung zur Kategorie „keine Maßgeblichkeit“.

[3]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 3, 4, 9, 10; H 5.1 EStH.

[4]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 13, 14; H 5.1 EStH.

[5]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 13, 15; H 5.1 EStH.

[6]

Zu diesen speziellen steuerlichen Aufzeichnungspflichten siehe BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 19–23; H 5.1 EStH sowie Dörfler/Adrian, Ubg 2009, S. 387; Grützner, StuB 2009, S. 481; Herzig, DB 2008, S. 1340; Ortmann-Babel/Bolik, BB 2010, S. 2099; Ortmann-Babel/Bolik/Gageur, DStR 2009, S. 934; Richter, GmbHR 2010, S. 510.

[7]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 3, 8; H 5.1 EStH.

[8]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 3, 4; H 5.1 EStH unter Hinweis auf BFH vom 3.2.1969, BStBl. 1969 II, S. 291; BFH vom 19.3.1975, BStBl. 1975 II, S. 535.

[9]

So auch vor der Änderung des Maßgeblichkeitsprinzips durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, dh bis zum Jahr 2009, die Ansicht der Finanzrechtsprechung und der Finanzverwaltung, vgl BFH vom 21.10.1993, BStBl. 1994 II, S. 176; R 6.3 EStR 2008.

[10]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 5; H 5.1 EStH.

[11]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 16–18; H 5.1 EStH.

[12]

Voraussetzung für die Ausübung von steuerlichen Wahlrechten ist, dass die Wirtschaftsgüter, die in der steuerlichen Gewinnermittlung nicht mit dem handelsrechtlichen Wert ausgewiesen werden, in besondere, laufend zu führende Verzeichnisse aufgenommen werden. In den Verzeichnissen sind der Tag der Anschaffung oder Herstellung, die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die Vorschrift des ausgeübten steuerlichen Wahlrechts und die vorgenommenen Abschreibungen nachzuweisen (§ 5 Abs. 1 S. 2, 3 EStG). Siehe hierzu BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 19–23; H 5.1 EStH.

[13]

Vgl BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239, Tz. 5, 6; H 5.1 EStH.

[14]

Im BMF-Schreiben vom 12.3.2010, BStBl. 2010 I, S. 239 finden sich hierzu keine Aussagen, sodass wie im Fall 7 unmittelbar auf § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG abzustellen ist.

Erster Teil Steuerliche Gewinnermittlung › Erster Abschnitt Konzeption der Steuerbilanz › D. Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung als Kernelement der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb

D. Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung als Kernelement der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb

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Aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips bilden die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) die Grundlage für die Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb durch einen Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG. Kapitel I. gibt einen Überblick über die allgemeine Funktion der GoB. Den Schwerpunkt dieses Abschnitts bildet eine Erläuterung des Inhalts der verschiedenen Einzelgrundsätze in den Kapiteln II. bis VI.

I. Überblick über die Zielsetzung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung

1. Bedeutung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die Steuerbilanz

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Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beziehen sich zunächst nur auf die handelsrechtlichen Ziele: Rechenschaft (Dokumentations- und Informationsfunktion) und Kapitalerhaltung (Zahlungsbemessungsfunktion). Über das Maßgeblichkeitsprinzip bilden sie gleichzeitig die Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung (§ 5 Abs. 1 S. 1 EStG). Eine steuerliche Buchführung gilt nur dann als ordnungsmäßig, wenn die für die kaufmännische Buchführung erforderlichen Bücher geführt werden, die Bücher förmlich in Ordnung sind und der Inhalt sachlich richtig ist (H 5.2 EStH). In der Abgabenordnung werden zwar einzelne Grundsätze kodifiziert, damit sind jedoch keine materiell bedeutsamen Abweichungen gegenüber der handelsrechtlichen Rechnungslegung verbunden. Vielmehr werden lediglich aufgrund der stärkeren Betonung des Objektivierungsgedankens (Grundsatz der Rechtssicherheit) in Teilbereichen die Anforderungen an die steuerliche Gewinnermittlung präziser gefasst (§ 143 – § 147 AO).

Aufgrund der Ausnahmen vom Maßgeblichkeitsprinzip wird zwar nicht in jedem Einzelfall der konkrete Handelsbilanzansatz in die Steuerbilanz übernommen. Die Grundaussage, dass die handelsrechtlichen GoB die Grundlage für die Gewinnermittlung mit Hilfe einer Steuerbilanz bilden, wird dadurch jedoch nicht aufgehoben. § 4 – § 7i EStG enthalten konkrete Bilanzierungs- und Bewertungsregeln, jedoch keine allgemeinen Bilanzierungs- und Bewertungsprinzipien. Der Inhalt der GoB ergibt sich ausschließlich aus dem Handelsrecht. Eigenständige steuerrechtliche Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sind in den geltenden Steuergesetzen nicht enthalten.

Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gelten prinzipiell für alle Rechtsformen, da die handelsrechtlichen Vorschriften (zB § 238 Abs. 1, § 243, § 256 HGB) keine rechtsformabhängigen Differenzierungen vornehmen. Aus steuerrechtlicher Sicht ist die Unabhängigkeit der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb von der Rechtsform des Unternehmens unverzichtbar. Durch die unmittelbare steuerliche Wirkung der GoB würden rechtsformspezifische Unterschiede in der Anwendung oder Auslegung der GoB gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen.

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Setzt der Steuerpflichtige in seiner Buchführung ein Datenverarbeitungssystem ein, werden die GoB durch die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) konkretisiert.[1] Beispielsweise werden die formalen Anforderungen an die Aufbewahrung von außersteuerlichen und steuerlichen Unterlagen bzw Aufzeichnungen und Unterlagen zu Geschäftsvorfällen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind, präzisiert. Dazu gehören sowohl Unterlagen in Papierform als auch alle Unterlagen in Form von Daten, Datensätzen und elektronischen Dokumenten, die dokumentieren, dass die Ordnungsvorschriften umgesetzt und deren Einhaltung überwacht wurde. Die GoBD umfassen Regeln zur Verantwortlichkeit für die Ordnungsmäßigkeit der Unterlagen, zum Belegwesen, zur zeitlichen und sachlichen Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle, zur Unveränderbarkeit und Protokollierung von Änderungen, zum Internen Kontrollsystem, zur Datensicherheit, zur Aufbewahrung, Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der Unterlagen sowie zum elektronischen Datenzugriff durch die Finanzverwaltung im Rahmen von Außenprüfungen.

Anmerkungen

[1]

Vgl BMF-Schreiben vom 14.11.2014, BStBl. 2014 I, S. 1450 sowie Beckʼscher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl., München 2018, § 239 HGB, Anm 27–43; Goldshteyn/Thelen, FR 2015, S. 268; Herrfurth, StuB 2015, S. 250; Müller, SteuK 2015, S. 343; Schumann, EStB 2015, S. 297. Zu den mit den GoBD vergleichbaren handelsrechtlichen Anforderungen siehe IDW RS FAIT 1, FN-IDW 2002, S. 649.

2. Wesen der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung

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Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung stellen die allgemeinen Prinzipien für die externe Rechnungslegung dar. Sie gelten neben den zahlreichen speziellen Vorschriften des Handelsgesetzbuchs bzw des Einkommensteuergesetzes. Die GoB dienen als Leitlinie für die Behandlung von Geschäftsvorfällen, für die das kodifizierte Recht keine oder keine ausreichend präzise Regelung enthält.

Die zentrale Bedeutung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die handelsrechtliche und steuerrechtliche Rechnungslegung verdeutlicht die Aufzählung der Gesetzesstellen, in denen auf die allgemeinen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften hingewiesen wird:


Der Kaufmann hat seine Handelsgeschäfte und die Lage des Unternehmens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen (§ 238 Abs. 1 HGB).
Der Jahresabschluss ist nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung aufzustellen (§ 243 Abs. 1 HGB).
Der Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft hat unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens–, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln (§ 264 Abs. 2 HGB).
Weitere Erwähnungen der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung finden sich in § 239 Abs. 4, § 241 Abs. 1, 2, 3 Nr 2 HGB (Buchführung und Inventur), § 256 HGB (Zulässigkeit von Bewertungsvereinfachungen), § 257 Abs. 3 HGB (Aufbewahrung von Unterlagen) sowie § 322 Abs. 3 HGB (Bestätigungsvermerk).
Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sind auch für den Konzernabschluss zu beachten (§ 297 Abs. 2 HGB).
Nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG ist in der Steuerbilanz das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Diese Prinzipien bilden die Grundlage für die steuerrechtliche Rechnungslegung (§ 146 Abs. 5, § 147 Abs. 2 AO, H 5.2 EStH). Ferner verweisen § 4 Abs. 2 S. 1 und § 6 Abs. 1 Nr 2a S. 1 EStG zu Einzelfragen auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung.

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Gesetzestechnisch handelt es sich bei den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Der Verweis auf die GoB reduziert den Umfang der notwendigen gesetzlichen Vorschriften. Da eine vollständige gesetzliche Regelung zur Verbuchung sämtlicher denkbarer Geschäftsvorgänge aufgrund der Vielzahl der möglichen wirtschaftlichen Sachverhalte nicht praktikabel ist, ist es sachgerecht, dass die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nicht vollständig kodifiziert sind. Ein weiterer Vorteil der Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs besteht darin, dass beim Auftreten neuer wirtschaftlicher Sachverhalte bzw bei Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse die Interpretation der GoB angepasst werden kann, ohne dass eine Änderung von Gesetzen notwendig ist.

Da der Gesetzgeber Normen geschaffen hat, wie die Unternehmen ihre handelsrechtliche Rechnungslegung auszugestalten haben (insbesondere § 238 – § 289 HGB) und die Steuerpflichtigen diese Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften auch für die ertragsteuerliche Gewinnermittlung zu beachten haben, handelt es sich bei der Handelsbilanz – und über das Maßgeblichkeitsprinzip auch bei der Steuerbilanz – um eine Bilanz im Rechtssinne. Welche Aufgaben eine Bilanz aus betriebswirtschaftlicher Sicht erfüllen soll, steht weder bei der Aufstellung einer Handelsbilanz noch bei der Aufstellung einer Steuerbilanz im Mittelpunkt. Beurteilungsmaßstab bilden vielmehr die gesetzlichen Vorschriften. Dies gilt auch für die Konkretisierung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Die gesetzlich geregelten und die nicht kodifizierten GoB sind nach rechtswissenschaftlichen Grundsätzen zu interpretieren. Bei der Auslegung der gesetzlichen Vorschriften ist zwar auch deren wirtschaftlicher Gehalt zu berücksichtigen, das Abstellen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ist jedoch Teil einer zweckorientierten Gesetzesauslegung. Die Auslegung von Gesetzesnormen nach den vom Gesetzgeber vorgegebenen Zielen ist ein Teil der Rechtsanwendung. Sie ist zu unterscheiden von der betriebswirtschaftlichen Sichtweise (Behandlung eines Geschäftsvorfalls entsprechend den von der Betriebswirtschaftslehre als sinnvoll angesehenen Bilanzierungszwecken).[1]