Buch lesen: «Brothers in Crime»

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Wolfgang Pohrt

Brothers in Crime

Die Menschen im Zeitalter ihrer Überflüssigkeit

Über die Herkunft von Gruppen, Cliquen, Banden, Rackets, Gangs

FUEGO

– Über dieses Buch –

Ausgehend von Horkheimer, demzufolge die gesellschaftliche Herrschaft »aus ihrem eigenen ökonomischen Prinzip heraus in die Gangsterherrschaft« übergeht, beschreibt Pohrt die allgemeine Entwicklungstendenz. »Wer an der Spitze steht, steht auch mit einem Bein im Knast.« Heute oft mit beiden. Top-Manager wie Uli Hoeneß und Thomas Middelhoff, deren Gesetzesverstöße öffentlich verharmlost werden, sind nur zwei aktuelle Beispiele. Jugendbanden und Russen-Mafia vervollständigen das Bild, und es vergeht kein Tag, an dem die organisierten Verbrecher nicht vor dem organisierten Verbrechen warnen. Statt noch einmal über die hinlänglich bekannten Machenschaften der herrschenden Klassen sich zu verbreiten, unternimmt Pohrt den Versuch, die Bedingungen zu bestimmen, unter denen sich auflöst, was Gesellschaft war, und an deren Stelle ein System von Cliquen und Banden tritt.

»Pohrt schreibt so ruppig, wie Leitartikler gerne schreiben würden. Er holt sich seine Munition aus der Geschichte der Mafia, von Karl Marx und Max Horkheimer. Seine Polemik liest sich so gut, daß vermutlich die meisten für einen Augenblick vergessen, wie wenig sie ihr glauben.«

Süddeutsche Zeitung

»Das Leben funktioniert nicht ohne großes Vergessen.«

Balzac

Maschinenpistolen

Ende der Sechziger Jahre wurde die Maschinenpistole Kultgegenstand. Sie symbolisierte Beweglichkeit und Stärke, deshalb galt sie als Wahrzeichen revolutionärer Militanz. Palästinensische Untergrundkämpfer posierten mit ihr; Gruppen, die im eigenen Operationsgebiet für so viel Feuerkraft kaum Verwendung hatten, wie die RAF zum Beispiel, schmückten trotzdem mit der stilisierten Abbildung einer Kalaschnikow das eigene Signet.


Neuerdings taucht das Gerät wieder auf, allerdings mit veränderter Bedeutung. Oft sind die Benutzer jünger als damals, und ins alte Schema passen sie nicht mehr. Bartlose Halbwüchsige beispielsweise führen die Waffe mit, wenn sie in Gesellschaft Gleichaltriger die verlassenen Straßen einer Stadt durchkämmen, umsichtig und professionell zwar wie Berufssoldaten beim Patrouillengang, aber auf eine fröhliche, unbekümmerte Art. Jeder kennt die Teenager, wie sie ihre Macht genießen, weil die Satellitenüberspielung aus Monrovia, Kigali oder Kabul das Beste ist, was die Nachrichtenredaktionen bieten können.

Für den Zuschauer hegt der Reiz des fiktiven Dabeiseins nicht im Überraschungsmoment, in der Einmaligkeit einer unerwarteten Begebenheit, sondern in der Wiederholung. Alle Berichte gleichen sich: auf die Jagd- und Gefechtsszenen, oft wie mit wackliger Handkamera aufgenommen, folgen ruhigere Bilder, solche von klapprigen Lastwagen, Fuhrwerken oder Schiffen, vollgestopft und behängen mit Menschen auf der Flucht. Zum Ausklang gibt es dann Motive aus dem Lagerleben oder welche aus dem Krankenhaus. Die Leute lungern, waschen, kochen und versorgen ihre Wunden. Sie quälen sich ein bisschen und sie langweilen sich, wenn sie nicht gerade vor die Kamera gebeten werden. Der Alltag hat sie wieder.

Live-Reportagen von Kampf und Elend befriedigen einen Bedarf, weil sie spannungslösend wirken. Sie unterbrechen kurzfristig eine Leidenszeit, denn die peinigenden Fantasien hören auf, wenn die Katastrophe eintritt. Nur sie besitzt die Kraft, die Menschen aus dem sich ständig erweiternden Labyrinth, welches ihre Vermutungen und Ahnungen bilden, wieder zurückzuholen in eine umgrenzte, berechenbare Wirklichkeit. Je furchtbarer die über sie hereinbrechende Realität, desto erlöster oft die Menschen, weil der Notfall eine Schnellabschaltung der Bewusstseinstätigkeit bewirkt und, damit verbunden, eine Mobilisierung der unbewussten Reflexe. Dass man weder empfinden noch denken darf, sondern handeln muss, ist die beste Therapie, wenn der Mensch an den Produkten des eigenen Vorstellungsvermögens irrewird.

Diese Situation entsteht, wenn grundlegende Überzeugungen zerbrechen. Als die revolutionäre Gewissheit verlorengegangen war, welche das Vertrauen in einen gesetzmäßigen, begreiflichen und zu einem guten Ende führenden Ablauf der Geschichte einschloss, fand man auf der Suche nach einer klar umrissenen Welt zwischenzeitlich im Glauben Trost, wenigstens Termin und Verlauf des Weltuntergangs zu kennen. Die Mittelstreckenrakete, mit Atomsprengköpfen bestückt, trat hinsichtlich des Bekanntheitsgrads die Nachfolge der Maschinenpistole an.

Im Gegensatz zur Vorgängerin verhieß die neue Waffe zwar keinen Sieg der guten Sache, sie stand nicht für das Ende von Ausbeutung und Unterdrückung, sondern für das Ende überhaupt. Erhalten geblieben aber war die in der Internationale besungene Idee vom »letzten Gefecht«, die übrigens auch im »Endsieg« der Nazis steckt und in den »Nie wieder«-Parolen der Antifaschisten. In der Untergangsangst der Atomwaffengegner lebte ein Motiv der abgestorbenen revolutionären Erlösungshoffnung fort, nämlich der Wunsch, es möge die Geschichte zum Stillstand kommen. Besser ein Ende mit Schrecken als keins.

Aber der bangend ersehnte Atomkrieg blieb aus, nur der Ostblock zerfiel. Er tut dies heute noch, kein Ende ist abzusehen. Das Leben geht unerbittlich immer weiter, lehren 1989 und die Folgen, und sie lehren auch, dass es keine Hoffnung auf einen befriedigenden Endzustand geben kann, nicht mal die Vorstellung von einem erstrebenswerten Ziel. So hat der Eintritt in eine diesseitige Ewigkeit stattgefunden. Das Bewusstsein, darin ausharren zu müssen, wie es das Schicksal der Gespenster gewesen ist, verursacht mehr Befürchtungen und Angst als jede Todeserwartung.

Anregung, diese Überlegung auszuspinnen, boten auf spektakuläre Weise verschiedene Vorkommnisse: Der Kollaps ganzer Bezirke von Los Angeles im Sommer 1992, als plündernder, brandschatzender Mob durch die Straßen zog und über der Stadt dichter Qualm hing; die Ereignisse von Hoyerswerda und Rostock, die nicht weiter erläutert werden müssen; schließlich der jugoslawische Bürgerkrieg, der die Mattscheiben in den davon nicht betroffenen Ländern beherrschte.

Aber auch im Alltag verdichten die Hinweise und Zeichen sich, die gedeutet werden wollen. Überall rüstet die Zivilgesellschaft sichtbar auf, sogar in Gegenden, die als spannungsarm galten. Obgleich die Bundesrepublik sich stets mit besonderer Intensität an das Trugbild von der »gewaltfreien« Gesellschaft geklammert hat, gehört hier zum größeren Kaufhaus mittlerweile uniformiertes Wachpersonal. Demonstrativ in der Eingangszone postiert, signalisiert es dem Publikum, dass die Geschäftsführung mit der entfesselten Raffgier oder Zerstörungswut der Kundschaft rechnet. Auf den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung bereitet man sich vor, denn Feinde, die erklärte Ziele verfolgen, gibt es nicht. Die organisierten Gegner des Konsumterrors sind ebenso verschwunden wie die politisch Engagierten unter den Beamten, auf welche der Radikalenerlass gemünzt gewesen war. Wo früher die Gesinnungsprüfer saßen, sitzen heute die Sonderermittler vom Korruptionsdezernat. Wenn es zum Kampf kommt, kämpft keiner für Freiheit oder Sozialismus. Jeder kämpft gegen jeden, jeder kämpft für sich.

*

»Jeder für sich« war die Spielregel in John Carpenters 1981 angelaufenem Film Escape from New York, ins Jahr 1997 datierter Social Fiction. Die erste Einstellung zeigt nur Linien und Punkte auf einem Monitor, sie signalisieren Verfügung und Kontrolle. Elektronisches Gebrumm setzt ein, warm und voll, unterbrochen wird es von einer kalten Stimme aus dem Off. Langsam stellt sich heraus, dass dies die Kommandozentrale einer mobilen Truppe ist. Sie überwacht einen Sperrgürtel, der an die Befestigungsanlagen mittelalterlicher Städte erinnert, mit dem Unterschied nur, dass Mauern und Gräben sich statt gegen Eindringlinge gegen die Bewohner richten. Wo sie leben, zieht es keinen hin. Alle wollen ausbrechen, aber Fluchtversuche sind vergeblich.

Die Vorgeschichte: »1988 steigt die Verbrechensrate in den Vereinigten Staaten um 400 Prozent. Die ehemals freie Stadt New York wird das einzige ausbruchssichere Gefängnis des Landes. Umgeben wird dieses Gefängnis von einer 20 Meter hohen Mauer, welche entlang der Küste von New Jersey über den Haarlem-River bis zur Küste von Brooklyn führt. Sie umgibt ganz Manhattan Island. Alle Brücken und Wasserstraßen sind vermint. Die Polizei der Vereinigten Staaten ist wie eine Armee um die Insel herum stationiert. Innerhalb des Gefängnisses gibt es keine Wächter, sondern nur Gefangene – und eine Welt, die sie selbst geschaffen haben. Die Regeln sind einfach: Wer erst mal drin ist, kommt nicht wieder raus.«

Oder wer erst mal draußen ist, kommt nicht wieder rein, wenn man die Sache von der anderen Seite aus betrachtet. Jedenfalls ist die Welt aufgeteilt, und jeder kennt solche Endgültigkeiten. Im Gefängnis hat sich das frühere Deportationssystem mit seinen Strafkolonien erhalten. Die Strafkolonie wiederum tradiert alten Stammesbrauch. Wer nicht spurt, wird verstoßen, und Entzug der Mitgliedschaft bedeutet Tod. »Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben«, wissen kleine Kinder schon. Ihr Leben lang werden sie das Hänsel-und-Gretel-Gefühl nicht los, denn hinter der Jagd nach Erfolg und Anerkennung steckt die Angst vor sozialer Ächtung und Deklassierung. Weitere Informationen braucht der Zuschauer daher nicht, um die Situation zu verstehen.

Die Partie beginnt damit,, dass die Air Force One Probleme meldet. An Bord befindet sich der Präsident, aber es gibt noch andere Gäste. Im Cockpit der Maschine hat sich ein Selbstmordkommando verschanzt, über Bordlautsprecher lässt es den Präsidenten und seine Begleiter wissen: »Euer ganzes imperialistisches Waffensystem und eure Lügen können ihn nicht mehr retten. Wir schmieren ab. Wir werden abstürzen. Erzählt dies euren Arbeitern, wenn sie wissen wollen, wo ihr Staatsoberhaupt ist. Wir, die Soldaten der Nationalen Befreiungsfront der Vereinigten Staaten von Amerika, haben im Namen aller Arbeiter und aller, die von diesem imperialistischen System unterdrückt worden sind, dem rassistischen Polizei- und Obrigkeitsstaat einen vernichtenden Schlag versetzt. Welches Beispiel wäre besser dazu geeignet, als den Präsidenten im Ghetto seines eigenen imperialistischen Gefängnisses zugrunde gehen zu lassen. Diese rassistischen Schweine haben es nicht besser verdient. Dies war unser erster Schlag, und es werden weitere folgen.«

Schläge ins Wasser allerdings, weil die Schwätzer weder den eigenen Status noch die Situation begreifen. Sie sind nur eine Bande unter vielen, es gibt kein Drinnen und Draußen, das ausbruchssichere Gefängnis ohne Wächter ist die Welt. Sich selbst für Freiheitskämpfer und den Präsidenten für einen Imperialisten zu halten, heißt, eine Konfrontation aufzublasen, die in Wahrheit längst keine Parteien und Ideologien mehr kennt, nur Gewinner und Verlierer. Befangen noch im Glauben an einen Kampf zwischen verschiedenartigen Gesellschaftssystemen, zwischen Böse und Gut, unterschätzen die Soldaten der Nationalen Befreiungsfront die persönlichen Qualitäten ihres Gegners. Der sei ein Trottel, meinen sie, ein Werkzeug, gefährlich nur als Agent und Repräsentant der Klassenherrschaft, der er sich verschrieben hat.

Aber längst macht nicht mehr der Geschäftsmann Karriere, der sich für die Firma ruiniert. So hoch wie der Präsident kommt in einer Welt wie dieser vielmehr nur, wer schon als Säugling wusste, dass man sich keiner Person oder einer Sache restlos hingeben darf. Das Reserve-As im Ärmel gehört zum Spiel dazu. Kühl, geschäftsmäßig erteilt der erprobte Überlebenskünstler also Weisung, dass seine persönliche Rettungskapsel startklar zu machen sei. Von den Mitarbeitern, die in der Maschine bleiben müssen, nimmt er Abschied mit den Worten: »Gott rette mich und beschütze Sie alle« – man beachte den feinen Unterschied. Und er landet auch unversehrt, nur eben — keine Sicherheitsvorkehrung, die nicht neue Gefahren schaffen würde, wie jeder weiß, der schon mal einen Schlüssel verlor – ausgerechnet an diesem Ort, der dafür präpariert ist, dass keiner rauskommt.

Bevor man reinkommt, passiert man eine Art Terminal. Schilder mahnen »No Talking. No Smoking.«, und wieder die Stimme aus dem Off: »Achtung, Sie betreten jetzt die Transportzone. Bitten reden Sie nicht und rauchen Sie nicht. Folgen Sie der orangenen Linie zur Kontrolle. Die nächste planmäßige Abfahrt zum Gefängnis ist in zwei Stunden. Sie haben jedoch die Wahl, sich töten und einäschern zu lassen. Wenn Sie diese Möglichkeit in Betracht ziehen, begeben Sie sich zu einem der Private Duty Sergeants in Ihrer Kontrollzone.«

Dort begegnet uns Snake Plissken, ein breitschultriger, muskulöser, langmähniger, wortkarger, misstrauisch und mürrisch dreinschauender Typ mit schwarzer Augenklappe: Amerikaner laut Akte, außerdem »Lieutenant, Spezialeinheit Black Light, Auszeichnung zwei Lederherzen, Einsatz in Leningrad und Sibirien jüngster Officer, der vom Präsidenten ausgezeichnet wurde, Einbruch im Nuklearwaffendepot, verurteilt zu lebenslänglicher Strafe im Staatsgefängnis New York.«

Also der richtige Mann, den Präsidenten aus der von ihm installierten Hölle wieder rauszuholen, und als Belohnung winkt Straferlass. Damit beginnt eine wirre Geschichte, die im Einzelnen nicht nacherzählt werden muss. Wichtig ist, dass wir mit Plissken in eine reichlich bizarre, meist nur spärlich beleuchtete Welt abtauchen, die allerhand Ähnlichkeit mit jugoslawischen Bürgerkriegsgebieten hat. Versorgt wird sie per Hubschrauber über eine »Lebensmittelabwurfzone«, die im Central Park eingerichtet worden ist. Sonst sind alle Verbindungen zur Außenwelt unterbrochen — kein Strom, kein Benzin, kein Öl. Die Straßen gleichen Autofriedhöfen, überall stapelt sich Schrott, kokelnder Müll wirft flackerndes Licht. Gestalten huschen im Halbschatten herum, stets sind sie Mitglieder einer von zahllosen rivalisierenden Banden. Einander quälen und einander beim Quälen zuschauen ist ihr bevorzugter Zeitvertreib.

Wo keiner bleiben will und keiner wegkommt, verliert jede Tätigkeit ihren Sinn. Von vornherein ist ausgeschlossen, dass der Einzelne per Kraftanstrengung erreichen kann, was er am meisten wünscht. Herr der Lage wird er nur, indem er sich zum Vollstrecker des Gesetzes macht, dem er sich unterworfen glaubt. Als jemand, der sich von der Aussichtslosigkeit langsam abgetötet fühlt, wird er andere quälen. »Wenn sie sich langweilten«, heißt es in einem Bericht über die Jugend des späteren Mafia-Bosses Mooney Giancana, »lungerten Mo und der Rest der Gang in Goldstein's Delicatessen, Mary's Restaurant oder in Bonfiglio's Pool Hall herum. Um sich zu amüsieren, wandten sie sich der Vervollkommnung auserlesener Foltermethoden zu. Vor allem Mo hatte ein besonderes Talent, die anderen Mitglieder der Gang mit neuen Methoden zu unterhalten, wie man die Katzen, die in großer Zahl in den Gassen des Viertels herumschlichen, zu Tode prügeln konnte.« (Giancana 1995:29) Unter der Bedingung umfassender Vergeblichkeit wird das Zufügen von Schmerz zur Methode, mittels welcher das Subjekt sich von seiner Existenz überzeugen will. Die Folter soll Gewissheit stiften: Er schreit, also bin ich. Aber vielleicht ist der Schrei kein echter, und vielleicht hat die Seele des Ermordeten entweichen können. Vielleicht spürt er nichts, vielleicht ist er gar nicht tot. Die Folter stiftet keine Gewissheit, darum wird sie unendlich wiederholt.

Je ähnlicher sich, bedingt durch die ausweglose Lage, die Insassen sind, desto größeren Wert legen die Scarls darauf, dass keiner sie mit den verhassten Crazys verwechselt. Ob mit Wärtern oder ohne, nirgends funktioniert Bandenbildung besser als im Knast. Wenn Menschen gruppenweise übereinander herfallen sollen, muss man sie zusammensperren, wo durch die Übermacht der Umstände jeder Unterschied zwischen den Personen ausgelöscht ist.

Auch dieser Krieg aller gegen alle hat seine Ordnung. Dafür sorgt der Duke, der gefürchtete Slumlord, der in der Hierarchie über den Bandenchefs steht. Sein Hauptquartier sind abgestellte Eisenbahnwaggons auf der früheren Grand Central Station, wohin mittlerweile der Präsident verbracht worden ist. Gefesselt und an die Wand gestellt, soll er, zum Slumlord gewandt, nachsprechen: »Sie sind der Duke von New York, Sie sind die Nummer Eins.« Das fällt ihm schwer, er stammelt. Paar dicht neben seinen Kopf gezielte Schüsse aber räumen alle Hemmungen weg, und er schreit die Botschaft lauthals hinaus.

Später wendet sich das Blatt, und der Präsident hat die Demütigung nicht vergessen. Es kommt zu einer Autojagd, vom Duke verfolgt erreichen Plissken und sein Schützling den Polizeikordon. Statt erst mal durchzuatmen, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen oder seinen Rettern einen dankbaren Blick zu schenken, schreitet der Präsident sofort zur Tat. Er entreißt einem der Beamten die Maschinenpistole und richtet sie gegen den auf Schussweite herangerückten Verfolger. Dann bricht er in ein irrsinniges Lachen aus und kreischt so laut, dass es die Salve, mit der er den Duke niedermäht, übertönt: »He, Du bist die Nummer Eins? Du bist der Duke? Ich scheiß auf den Duke.«

Die Exekutions-Szene zeigt den Präsidenten als einen Chef von der Sorte, die auch selber mit anfassen kann.1 Sich über die Bedienung der Waffe instruieren lassen braucht er nicht, die Griffe sitzen. Trotzdem ist klar, dass es sich um keinen Politiker mit Guérillero-Vergangenheit handelt, wie Allende einer sein wollte, als er in der Moneda mit der Maschinenpistole eigenhändig die Stellung hielt. Die Bilder vermischen sich, hinter dem verblassenden vom Guérillero taucht das ältere vom Gangsterboss wieder auf. Für die Schmutzarbeit hat er zwar längst seine Leute, bisweilen aber fällt er in alte Gewohnheiten zurück. Skrupellosigkeit, Impulsivität, Jähzorn, Sadismus – die Charaktereigenschaften, die ihn hochbrachten –, schlagen dann durch, und er lässt es sich wider alle Vernunft nicht nehmen, beim Erledigen ausgewählter persönlicher Feinde selber Hand anzulegen, wie er dies vor seinem Aufstieg an die Spitze tat.

Aus der Kalaschnikow am emporgereckten Arm des Revolutionärs wird wieder der »Hacker«, die »Schreibmaschine«, das »Chicagoklavier«, wie in den Zwanziger Jahren unter Gangstern deren Lieblingswaffe hieß. Das war die Thompson-Maschinenpistole, benannt nach dem amerikanischen Brigadegeneral, der sich den »Kehrbesen für Schützengräben« ausgedacht hatte. Allerdings fielen dann Produktionsreife und Kriegsende zusammen, so dass als einziger Abnehmer für die neue Wunderwaffe zunächst nur die Unterwelt blieb.

Viel anders als drinnen muss der Zuschauer beim Anblick des Präsidenten mit Maschinenpistole denken, kann es draußen nicht sein, denn hier wie dort sind die gleichen Typen am Ruder. Plissken sieht es ebenso, und das hat Konsequenzen. Seinen Auftraggebern ging es weniger um den Amtsträger selbst als um die Tonkassette, die der Staatsmann bei sich hatte. Eine ominöse Botschaft ist darauf, und nur diese Botschaft kann einen ebenso ominösen Atomkrieg, für den schon alle Vorbereitungen angelaufen sind, in letzter Minute noch verhindern. Präsident und Kassette waren zwischenzeitlich getrennt, Plissken hat beide eingesammelt, aber nur den Präsidenten abgeliefert. Die Übergabe des kostbaren Tonträgers steht noch aus.

Sie findet nun statt, wie Empfänger und Zuschauer glauben müssen, und dann kommt der große Augenblick. Doch statt dass das rettende Wort – über Fernsehen adressiert an ein »historisches Gipfeltreffen«, damals schon – zu hören wäre, dudelt aus dem Lautsprecher blöder Swing. Also noch einer, der weiß, dass man stets ein Reserve-As im Ärmel haben, sich immer ein Hintertürchen offenhalten muss. Dass es in die Hölle führt, spielt keine Rolle.

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