Hans Weigel

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Die Zeiten waren in Deutschland wie in Österreich nicht rosig und wurden durch die Machtübergabe an Hitlers Nationalsozialisten in Deutschland noch schlechter. In Österreich waren für Hans Weigel Engelbert Dollfuß und die Christlichsoziale Partei, die „Schwarzen“, in dieser Zeit – wie er in Das Land der Deutschen mit der Seele suchend noch 1978 betonte – „klerikal, reaktionär, undemokratisch, antirepublikanisch, vor allem eine Ansammlung von Nichtpersönlichkeiten. Jeder Politiker sei wie eine Karikatur gewesen, wie von Helmut Qualtinger dargestellt“.11

Für Hans Weigel waren die Februarkämpfe des Jahres 1934 und das Versagen der sozialdemokratischen Führer prägend. Die Ereignisse beeinflussten seine politische Haltung auch in der Zweiten Republik ganz wesentlich. Es hatte bereits im Frühjahr 1933 begonnen: Wegen Umstrukturierungen bei der Eisenbahn kam es am 1. März 1933 zu einem Eisenbahnerstreik, der Anlass für eine dringliche Sitzung des Nationalrates am 4. März war. Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und der Geschäftsordnungsdebatte führten zum Rücktritt aller drei Parlamentspräsidenten, zur Beschlussunfähigkeit des Nationalrats. Statt neue Parlamentspräsidenten wählen zu lassen, nutzte Dollfuß, sich auf ein Ermächtigungsgesetz des Jahres 1917 stützend, die Gelegenheit, nicht nur das Parlament, sondern auch den Verfassungsgerichtshof auszuschalten. Es entwickelte sich ein autoritäres, sich an ständestaatlichen und faschistischen Ideen orientierendes Herrschaftssystem, das am 10. Mai 1933 die Aussetzung aller Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene verordnete und am 26. Mai die Kommunistische Partei, am 19. Juni die NSDAP und einen Tag später den Steirischen Heimatschutz auflöste. Die Landesregierungen wurden durch Regierungskommissäre abgelöst. Die sozialistische Basis forderte von ihren Führern Widerstand. Selbst nach einer Streik- und Besetzungswelle in Betrieben im September 1933 folgte kein Signal der sozialistischen Parteispitze zum Aufstand. Am 11. November 1933 wurden auf Betreiben des Justiz- und Unterrichtsministers Kurt Schuschnigg Standgerichtsverfahren mit der 1920 abgeschafften Todesstrafe wieder eingeführt.

Anfang 1934 wurde gezielt nach Waffenlagern des verbotenen Schutzbundes gesucht: Hausdurchsuchungen und Verhaftungen von sozialdemokratischen Führern und Politikern fanden statt. Als dann am 12. Februar 1934 ein Parteilokal in Linz durchsucht werden sollte, brach der offene Aufstand aus. Doch demoralisiert durch die lange Inaktivität der Funktionäre folgten viele dem Aufruf zum Generalstreik nicht. Ein koordiniertes Vorgehen der Aufständischen in ganz Österreich konnte nicht erreicht werden, sodass Dollfuß die bewaffneten, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Bundesheer und Heimwehr auf der einen und dem zuvor schon verbotenen Republikanischen Schutzbund auf der anderen Seite für sich und gegen die Demokratie entscheiden konnte. Dabei waren auf beiden Seiten 375 Tote zu beklagen – die Hälfte davon waren unbeteiligte Zivilisten. Es traf, wen es eben traf: Rentner, Spaziergänger, Bundesbahnwitwen, junge Mütter, selbst Kinder und Familienväter auf dem Weg zur Arbeit. Darüber hinaus gab es über tausend Verwundete. Der Heimwehrführer und Innenminister Emil Fey ließ mit besonderer Härte gegen die Sozialdemokraten vorgehen, die am 14. Februar die Waffen streckten.

In den schrecklichen Wochen und Monaten des Jahres 1934 hielt sich Hans Weigel in Wien auf. Zusammen mit Jura Soyfer verfasste er für eine Veranstaltung am Faschingssonntag in einem Arbeiterheim eine Conférence, in deren Mittelpunkt sie den Soldaten Schwejk auftreten und sagen ließen: „Dass der nächste Krieg kommen wird, ist klar. Aber vor Mittwoch kommt er nicht. Weil bis dahin ist der Fasching.“ In seiner Autobiografie fügte Weigel später hinzu: „Wir waren zu optimistisch gewesen. Denn er kam schon am Faschingsdienstag, dem zwölften Februar. […] Ich war zweierlei nie in meinem Leben: Soldat und Parteimitglied … nur letzteres mit voller Absicht. [Am Beginn seiner Schweizer Emigration sollte sich Weigel für den Eintritt in die französische Armee bewerben, sein Ansinnen wurde abgelehnt.] Aber ich sympathisierte mit allen, die nicht ‚bürgerlich‘, reaktionär, faschistisch oder nationalsozialistisch waren.“12

Weigel stellte in diesen Tagen die Wohnung seiner in Prag weilenden Eltern allen zur Verfügung, die sich auf Freunde von links beriefen. „Zunächst brachte Jura seine Freunde, ‚Februar-Kämpfer‘, Mitglieder des sozialdemokratischen Schutzbundes, die untergetaucht waren und möglichst bald außer Landes geschafft wurden. Einige übernachteten bei mir in der Margaretenstraße. Dann wurde Material in meinem Zimmer deponiert, Broschüren, eine Vervielfältigungsmaschine. Auch fanden bei mir immer wieder Besprechungen statt. Ich war nicht aktiv an all dem beteiligt – ich stellte nur meine Wohnung jedem, der darum bat, zur Verfügung.“13

Unter jenen, die sich bei ihm trafen, war auch Christian Broda. In seiner Radiosendung der Achtzigerjahre, Plauderei um drei, erzählte Weigel später, dass dieser unter dem Decknamen „Morgenstern“ jeweils vorab angerufen hatte, um zu erfragen, ob die Luft auch rein sei und er mit seinen Gesinnungsgenossen kommen könne. Broda wurde in der Zweiten Republik Rechtsanwalt, später Justizminister, der Weigel nicht nur als Freund, sondern auch als Rechtsbeistand bei diversen Verfahren beistehen sollte.

In seiner Autobiografie fasste Weigel im Rückblick die Ereignisse der 1930er-Jahre zusammen: „Von den vielen Tragödien, die meine Erinnerung gerade aus jenen Jahren belasten, ist diese eine der schauerlichsten: Märtyrer der Demokratie, die aus der Hölle zu fliehen meinten und in die tiefere Hölle stürzten.“14 Für ihn hatte Dollfuß die Demokratie mutwillig zerstört, Hitler dagegen böswillig, und die Zeit in Österreich nach dem 12. Februar 1934 nannte er „die schlampigste Diktatur der Welt“.15

Bei den Kabaretts war Hans Weigel vom „,Augustin‘ in die ‚Stachelbeere‘ gekommen, schon vor ihrem Untergang in die ‚Literatur‘“; „ich arbeitete für das ABC und eine ephemäre ‚Kleinkunst im Kasino‘ (KIK), eine ‚Seeschlange‘, die nur drei Tage spielte, weil am vierten der 12. Februar 1934 war“.16

Es war wohl in der Literatur am Naschmarkt, dass Hans Weigel Gertrude Ramlo (eigentlich Gertrud Marianne Friederika Kugel, am 4. April 1913 geboren und Udi genannt) kennenlernte. Sie hatte von 1929 bis 1932 das Wiener Max Reinhardt Seminar besucht, am Salzburger Landestheater debütiert und eine Anstellung am Stadttheater Nürnberg erhalten, wo ihr, der Halbjüdin, nach zwei Monaten gekündigt wurde, weshalb sie ins elsässische Straßburg ging. 1935 kehrte sie in ihre Geburtsstadt Wien zurück und trat in der Literatur am Naschmarkt, aber auch im Theater in der Josefstadt und im Volkstheater auf. 1936 gastierte sie in Leopold Steckels Inszenierung von Dodie Smiths Der erste Frühlingstag als Ann am Schauspielhaus Zürich. Für die Saison 1936/​37 erhielt sie dort ein Jahresengagement. Unter anderem spielte sie in Leopold Lindtbergs Inszenierungen das Klärchen in Goethes Egmont, die Berta in Schillers Die Verschwörung des Fiesco zu Genua und wirkte in Steckels Uraufführungsinszenierung von Blaubart von Albert Jakob Welti mit. Da ihr Vertrag in Zürich nicht verlängert wurde, sie auch keine weitere Schweizer Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung erhielt, kehrte sie nach Wien zurück, wo sie am 8. Oktober 1937 Hans Weigel im Wiener Rathaus heiraten sollte. Trauzeugen waren der Schriftsteller Wolf Menasse und der Musiker Erich Simon.

Ein Telefonanruf im Frühherbst 1934 des ihm nur flüchtig bekannten Hans Ewald Heller hatte Hans Weigels Tätigkeiten auf eine zweite Schiene gesetzt: Er sollte Kontakt mit dem Theater in der Josefstadt aufnehmen, wo Otto Preminger mit Oskar Karlweis als Weinberl Johann Nestroys Einen Jux will er sich machen inszenierte. Dafür wurden Zusatzstrophen benötigt. In der Josefstadt erhielt er den Auftrag für Couplets. Darunter war auch jenes berühmte aus den Papieren des Teufels: „Das ist wohl nur Chimäre, aber mich unterhalt’s“, jedoch abgeändert in: „Es ist ja nicht wahr, aber mich unterhalt’s.“ Weigel schrieb zu allen einige Strophen, aber nur eine wurde für den Stückschluss genommen, die Karlweis sang. Da es das erste von unzähligen Nestroy-Couplets war, die er bis ins hohe Alter für viele Theater im deutschsprachigen Raum schreiben sollte, sei es hier, soweit Weigel sich erinnern konnte, wiedergegeben (das einsilbige Wort der zweiten Zeile ließ sich nicht mehr rekonstruieren):

Wir zeigten euch heut im Verlauf unsres Stücks

Weder […] noch Dressur, noch artistische Tricks,

Es ist nur eine Posse und gar nicht von heut,

Nicht einmal ein Bearbeiter hat sie erneut;

Doch wir hoffen trotzdem, daß wir heute Nacht

Nicht nur uns, nein auch euch einen Jux haben gemacht,

Und ihr sagt beim Heimgehn: Es war zwar was Alt’s,

Schon lang nimmer wahr, aber uns unterhalt’s.

[Auch merkte er an,] dass kein Bearbeiter das Stück erneuert hatte, war gelogen.17

Die Premiere mit Oskar Karlweis als Weinberl, Friedl Czepa als Christopherl und Hans Moser als Hausknecht Melchior fand am 16. Oktober 1934 als Festvorstellung statt. Damit war zum ersten Mal in einem großen Theater ein Text von Hans Weigel zu hören, der unter Nestroys Stern stand – ein Stern, der ihm stets sehr lieb war und dem er sein Leben lang treu bleiben sollte.

 

Im Frühjahr 1935 bestellte das Raimund Theater bei Rudolf Weys und Hans Weigel eine literarische Revue, die sie Kehret zurück – alles verziehen nannten. Die beiden Autoren griffen auf bewährte Nummern der „Literatur am Naschmarkt“ zurück, die zusammen mit neu erarbeiteten eine bunte Folge ergaben. Premiere war am Samstag, den 1. Juni 1935, die am selben Tag in der Neuen Freien Presse angekündigt wurde: „Ein heiterer Wiener Bilderbogen mit einer Handlung, zwei Teilen, sechs Hauptgestalten und 24 Bildern, dem Raimund-Theater auf den Leib geschrieben von Hans Weigel und Rudolf Weys. Unter Musik gesetzt von Walter Drix und Hans Horwitz.“ Die Besprechung in der Neuen Freien Presse vom 4. Juni 1935 zeigte dann sehr treffend die Umstände der Kleinkunst auf: „Es gibt jetzt in Wien eine Menge junger Talente fürs Kabarett, für Spotteinfälle, karikierte Dramatik, verschleiertes Bonmot. Die Verfasser, Schauspieler, Regisseure und auch Komponisten, alles en miniature, sind so zahlreich, daß sie auf den vielen und immer mehr werdenden kleinen Podien nicht unterkommen können. […] Daher das Experiment im Raimund-Theater, das fürs erste geglückt ist und von einem starken äußeren Erfolg begleitet schien.

Hans Weigel und Rudolf Ernst Weys haben aus alten Stücken, die früher schon auf dieser Bühne zu sehen waren, sehr geschickt ihren Bilderbogen zusammengestellt, mit Figuren von Raimund, dem braven Schwejk, Mackie Messer usw. Es war alles lose und fast improvisiert, mit kleinen, guten Einfällen verbunden. Es wurden lustige Anspielungen gemacht, wirksame aktuelle Scherze gebracht, Parodien und Verulkungen, wozu auch schmissige Musik von Walter Drix und Hans Horwitz eingesetzt wurde. […] Einige ganz vorzügliche Leistungen wurden mit stürmischer Heiterkeit bedacht […] Der Fall war neu und darum besonders reizvoll und der laute Beifall am ersten Abend gab den Veranstaltern recht.“

Auch in der jüdischen Wochenschrift Die Wahrheit vom 7. Juni 1935 ließ sich auf der letzten Seite eine kleine Zusammenfassung finden: „,Kehret zurück – alles verziehen!‘ rufen die Autoren der gleichnamigen Revue Hans Weigel und Rudolf Ernst Weys den Damen und Herren zu, die vor Jahr und Tag im Raimund Theater, wo diese unterhaltsame Revue jetzt gegeben wird, den Spielplan beherrschten. Und so kehren das Dreimäderl-Kleeblatt, Schwejk, Lunk und Mackie Messer zurück und das Publikum verzeiht ihnen nicht nur diese fröhliche Wiederkehr, sondern wird die Herrschaften gewiss noch lange festhalten. Gespielt wird diese große Sache der bekannten Kleinkunstautoren, zu der die nicht minder bekannten Hausmusiker des gleichen Genres Walter Drix und Hans Horwitz die Musik schrieben – die beiden begleiten selbst am Doppelklavier – unter der feinfühligen Regie von Josef Glücksmann ausgezeichnet. Manfred Inger sei besonders gelobt.“

Walter Drix hieß, wie bereits erwähnt, eigentlich Herbert Zipper und Weigel bezeichnete ihn als einen seiner großen Freunde, was Zipper 1989 in einem Interview mit Thomas Trenkler für diese Zeit vor 1938 bestätigte: „Ich war viele Jahre sehr eng mit dem Hans. Ein paar Nummern, die ich mit ihm geschrieben habe, waren sehr populär: Zuletzt arbeiteten wir an einer Oper, die ich nicht fertigschreiben konnte, weil eben die Nazis gekommen sind. Und 1936 entstand für die Literatur am Naschmarkt ,Das Lied vom Krieg‘. Ich kam damals gerade von Russland zurück. Wir beide hatten fürchterliche Visionen, dass diese Dummheit, der Krieg, wieder anfangen könnte. Da hat er [Weigel] ,Das Lied vom Krieg‘ geschrieben. Das war sehr ergreifend, sehr ernst, sehr ehrlich. Und ich hab die Musik dazu geschrieben.“18

Ein Jahr nach seinem Nestroy-Couplet in der Josefstadt wurde Hans Weigel vom Volkstheater aufgefordert, mehrere Couplet-Strophen für Nestroys Verhängnisvolle Faschingsnacht zu schreiben: Premiere war am 15. Jänner 1936 mit Vilma Degischer, Jane Tilden und Hans Thimig unter der Regie von Arthur Schnitzlers Sohn Heinrich. Außerdem schrieb er Zusatzstrophen für „Wiener Spezialitäten“ in Ralph Benatzkys Der reichste Mann der Welt (Text von Hans Müller, Uraufführungspremiere am 3. April 1936), die von Max Hansen mit großem Erfolg in Heinrich Schnitzlers Inszenierung gesungen wurden. So oft er konnte, nahm Hans Weigel an den Proben teil, wie er es bereits in den Kellern auch schon getan hatte, da ihn diese immer wieder faszinierten. „Ich gewann in diesen Jahren das, was jeder, der für das Theater schreibt, so dringend braucht und so selten bekommt: Praxis im Umgang mit einem Text auf dem Weg in die optisch-akustische Dreidimensionalität. Ich schrieb etwas und erlebte am nächsten Tag die Verwandlung des Geschriebenen in Gesprochenes und Gespieltes. Ich lernte kürzen, ändern, bearbeiten, anpassen.“19

Im Frühjahr 1936 stellte sich auch das Akademietheater ein und wünschte Gesangstexte zum musikalischen Lustspiel Der Schneider im Schloss von Paul Armont und Léopold Marchand mit der Musik von Alexander Steinbrecher. Das Stück hatte am 10. Mai 1936 Premiere und erlebte bis Ende Jänner 1938 79 Aufführungen mit so bekannten Schauspielern wie Hermann Thimig, Maria Eis und Maria Kramer. 1943 wurde das Lustspiel mit Musik auch im Renaissance-Theater Berlin gegeben.

Es war dann Max Hansen, der 1936 im Theater an der Wien durchsetzte, dass Weigel als Autor für die Gesangstexte von Ralph Benatzkys musikalischem Lustspiel in drei Akten, Axel an der Himmelstür (Libretto von Paul Morgan und Adolf Schütz), hinzugezogen wurde, da auch der Komponist Weigels Liedtexte zu schätzen gelernt hatte. „Ich war nicht ohne Selbstvertrauen, aber doch in heikler Lage. Ich musste mich gegen Morgan und Schütz auf Benatzky und Hansen, die ich kannte, verlassen. Finanziell war, noch immer, alles recht uneigennützig.“20 Denn für den Komponisten und die Librettisten bestanden schon Verträge, sodass Morgan und Schütz für die Liedtexte nur den minimalen Anteil von 1,5 Prozent an Weigel abzugeben willens waren. Axel an der Himmelstür war die Eröffnungspremiere der Direktion von Arthur Hellmer im Theater an der Wien, der als renommierter österreichischer Direktor aus „rassischen Gründen“ Frankfurt verlassen hatte müssen, wo er mit Max Reimann 1911 das „Neue Theater“ gegründet hatte. Ursprünglich war Liane Haid für die Hauptrolle der Gloria Mills vorgesehen, die das Projekt jedoch im letzten Moment verwarf. Im Gespräch war dafür dann sogar Greta Garbo, doch Max Hansen, der die Rolle des Axel Swift übernommen hatte, setzte sich für eine in Österreich bislang unbekannte schwedische Schauspielerin ein: Zarah Leander. Heidemarie Hatheyer erhielt die Rolle ihrer Dienerin Dinah und Manfred Inger den Ausstattungschef, um zwei weitere Namen aus der Uraufführungsbesetzung zu nennen, die auch heute noch geläufig sein dürften.

Hellmer hatte Weigel beauftragt, die Gesangstexte mit Benatzky neu zu schreiben. Sie arbeiteten in Benatzkys Villa in Thun in der Schweiz. „Die Generalprobe von ,Axel an der Himmelstür‘ war aufregend. Nach einer Introduktion tritt die Heldin Gloria Mills auf, eine schöne, rothaarige, spröde, großgewachsene Person. Es war ein Schock. Aber bald löste sich der Schrecken, die Persönlichkeit der Zarah Leander triumphierte, und der Charme des Max Hansen tat viel dazu, daß ,Axel‘ erfolgreich war. Der Erfolg war groß, er währte bis Ende Jänner, fünf Monate. Dann kam noch eine zweite Besetzung, aber das war nur ein Abklingen.“21

Über die Premiere am 1. September 1936 schrieben alle Zeitungen durchwegs begeistert. Es war ein glanzvoller Saisonbeginn unter der neuen Direktion. So war in Das Kleine Blatt am 4. September 1936 zu lesen: „Das Erlebnis des Abends ist Max Hansen in der Rolle des Reporters. Bei seinem ersten Auftritt ist er in Maske und Haltung kaum zu erkennen, dann als junger, gefühlvoller und hoch schüchterner Liebhaber bestrickend und von einer innerlich erwärmenden Komik. Wie wundervoll führt er seine Zauberkunststückl und den Flohzirkus vor, um die Dame zu erheitern, wie lustig macht er den [Richard] Tauber und die [Berliner Sängerin Erna] Sack nach und […] wie prachtvoll singt er seine Couplets. Die sind (nach Versen des außerordentlich geschickten Hans Weigel) von Ralph Benatzky entzückend komponiert. […] Einige Stücke sind ernst und melodiös […] andere frisch, mitreißend und lustig, […] wieder andere grotesk parodistisch. […] Die weibliche Hauptrolle gibt die Schwedin Zarah Leander, eine exotische Schönheit mit prachtvoller, warmer und tiefer Stimme und einer herben, forschenden Art, die man hier noch nie gesehen hat. Sie ist ganz originell und weiß schon in ihrer ersten Szene die Bühne zu beherrschen. […] Es war ein großer Abend des Wiener Theaters.“ Während das Welt Blatt am 3. September 1936 erwähnte, dass „Hans Weigel wirklich lustige Liedtexte beigesteuert“ habe, wird er in der Reichspost am selben Tag schon ausführlicher gelobt: „Es gibt da eine Unmenge hübscher Lieder [wie Mein schönes Fräulein, gute Nacht oder Der Dumme hat’s Glück], zu denen Hans Weigel überaus nette Texte beisteuerte. Eines davon, ‚Gebundene Hände‘, schwingt sich zu schier opernhafter Breite aus, manche wieder sind mitreißend fesch.“ Noch viele Jahre später war Hans Weigel auf diesen Erfolg stolz und freute sich, dass seine Eltern ihn miterlebt hatten. In seinem Abendbuch betonte er: „Sooft ich seither im Theater an der Wien war, muß ich zu der Loge hinaufsehen, wo bei der Premiere meine Eltern saßen. Sie freuten sich. Das tat mir wohl.“22

Zum bekannten Lied Gebundene Hände berichtete Weigel von einem Brief Benatzkys an seinen Verleger mit der Bitte, diese Musiknummer aus dem Druck zu entfernen, da sowohl er als auch Weigel überhaupt nicht damit zufrieden waren und während des Komponierens immer wieder ohne große Freude betonten, darauf zurückkommen zu müssen. Hört man heute das Chanson, würden es viele als „Schmachtfetzen“ bezeichnen und Weigels/​Benatzkys Ansicht teilen, doch das bekannt tiefe Timbre der Zarah Leander veredelte ihn. Für sie war Axel der Durchbruch im deutschsprachigen Raum: Bei der Premiere wurde sie mehr als sechzig Mal vor den Vorhang gerufen.

In Wien drehte sie ihren ersten deutschsprachigen Film Premiere (1937) in der Regie von Géza von Bolváry neben Karl Martell, Theo Lingen, Attila Hörbiger und Maria Bard, der zweiten Frau von Werner Krauß. Dafür wollte sie auch den von Berlin nach Wien zurückgekehrten Schauspieler und Regisseur Peter Ihle (er nannte sich später Peter Illing), einen Freund Hans Weigels, der die Mittlerrolle gespielt hatte, engagieren, um mit ihr im Atelier die deutschen Dialoge zu erarbeiten. Da die österreichischen Filme nach Deutschland exportiert wurden, war man in Österreich mit vorauseilendem Gehorsam darauf bedacht, dass die Mitwirkenden den Nürnberger Rassengesetzen entsprachen: Ihle wurde mit Nachdruck veranlasst, das Atelier zu verlassen. Also war, so Weigel, damals schon „alles ‚Österreichische‘ dem ‚Dritten Reich‘ verpflichtet gewesen, und die ganze Sippe der Patrioten wie Willi Forst, Karl Hartl und Konsorten spielten mit. Was für eine erbärmliche Schande!“23 Mitte der 1950er-Jahre produzierte der Österreichische Rundfunk Axel wieder mit Zarah Leander als Gloria Mills und so manch bekannten Lieblingsschauspielern der Wiener Bühnen, wie Toni Niessner in der Titelrolle, Helli Servi, Ernst Waldbrunn, Wolfgang Gasser und Dorothea Neff.

Auffallend ist, dass sich Weigels breite Palette der Chansontexte von schmissig, ironisch-satirisch, wienerisch bis anmutsvoll-lyrisch von den oft trivialen Prosatextstellen abhob. Für die Kleinkunst parodierte er auf köstliche Art Axel an der Himmelstür mit dem Titel Axel und Leander und „stahl“ dabei natürlich seine Textideen und Ralph Benatzkys Musik. Das Lied Hollyhollyhollywood durfte ebenso wenig fehlen wie die berühmten Gebundenen Hände:

Gebundene Hände, das ist das Ende,

jeder verliebten Passion.

Es spricht noch der Blick,

von Liebe und Glück,

und doch, weiß das Herz

nichts mehr davon.

Man sagt gern: verzeih,

so geben wir uns frei,

du fühlst doch auch wie ich,

es ist vorbei.

 

Und doch, ohne Ende,

tragen die Hände,

Fesseln; der Liebe Sklaverei …

Gebundene Hände,

Das ist das Ende

Meines Gastspiels an der Wien.

ich möchte zurück,

Doch hab’ ich kein Glück,

Ab Januar film ich in Berlin.

Und alles ist vorbei,

Die Reichsfilmkammer ruft mich schon herbei.

Bald singt nicht mehr an der Wien die Leander,

Trägt Fesseln der Ufasklaverei!

Diese Gebundenen Hände fanden auch Eingang in das Kapitel Von Literaten und Literatur des bekannten Anekdotenbuches Die Erben der Tante Jolesch von Friedrich Torberg, der darin bestätigte, dass Weigel, der „zu den witzigsten, aggressiven Köpfen des literarischen Cabarets“ zu rechnen war, damit den Ruhm der Zarah Leander begründete und für sich mit seinen Texten großen Erfolg einheimste. Nachdem die Tante Jolesch in Anekdoten den Untergang des Abendlandes schildert, wie es im Untertitel heißt, durfte auch hier die entsprechende Anekdote nicht fehlen: Weigel und Torberg besuchten ein Nachtcafé, in dem ein Klavierspieler diskret die Gäste unterhielt. Kaum hatten sie Platz genommen, spielte der Pianist die Gebundenen Hände, nach kurzer Zeit wieder, dann noch ein weiteres Mal, konnte er doch nicht wissen, dass dem Textautor Melodie und Text „nun schon weidlich zum Halse und zu den Ohren hinaushingen“. Mit dem Gästebuch trat der Musikus danach an den Tisch von Torberg und Weigel, dessen Eintragung lautete: „Gebundene Hände – dies wünscht Ihnen Hans Weigel.“

Auch für das Volksstück Krach im Hinterhaus des Deutschen Maximilian Böttcher wurde Hans Weigel vom Theater an der Wien als Liedtexter eingesetzt, um für die „grandiose Schauspielerin von leicht groteskem Äußeren“, die hinreißende Komikerin und große Menschendarstellerin Gisela Werbezirk, die neben Attila Hörbiger und Heidemarie Hatheyer eine Büglerin spielte, ein Lied ihrem Text hinzuzufügen. Er „erfand einen Nachbarn, der im Nebenzimmer den ,Frühlingsstimmenwalzer‘ spielt, in den sie sich dann einschaltete“:24

Allweil bügeln,

Nix wie bügeln,

Früh um acht

Bis auf d’Nacht,

Dass man Gröscherln verdient

Für ein’ selbst und für’s Kind,

Hat man

Jeden Tag

Müh und Plag,

Steht sich krumm,

Wird ganz dumm,

Strengt sich an

Bis man dann

’S Eisen gar nimmer derhalten kann.

Ja, die Büglerei

Is a Plagerei,

Aber int’ressant is’ doch dabei,

Denn wer Augen hat, sieht,

Was im Haus geschieht

Aus der Wäsch, aus der Wäsch, aus der Wäsch …

Hans Weigel entwickelte sich zu einer Art Hausdichter des Theaters an der Wien. Als ein Paul-Abraham-Vaudeville, seine Fußballoperette, die Weihnachtssensation 1936 in Budapest, fürs Theater an der Linken Wienzeile ventiliert wurde, fuhr er mit Direktor Hellmer nach Budapest. Das Stück gefiel ihm nicht, doch opponierte er nicht, obwohl er es für sich als „schrecklichen Dreck“ bezeichnete. Wie sollte er, der aufstrebende Junge, sich auch weigern? Ihn faszinierte sein Leben lang das Herstellen von Texten für Musik und es reizte ihn alles, was er noch nicht gemacht hatte, also hier etwa Liedtexte zu vorhandener Musik aus dem Ungarischen zu übertragen. Gemeinsam mit Alfred Grünwald, dem erfolgreichen Librettisten der Zwischenkriegszeit, der mit vielen namhaften Operettenkomponisten von Paul Abraham bis Robert Stolz zusammengearbeitet hatte, sollte Weigel das Buch dieses ungarischen Stückes ins Deutsche übertragen. Zwei der Hauptdarsteller, Rosy Barsony und Oskar Dénes, wurden für die Premierenbesetzung aus Ungarn übernommen, der junge Hans Holt gab den eigentlichen Liebhaber und Kapitän der ungarischen Fußballmannschaft.

Wann immer es möglich war, vermittelte Hans Weigel seinen Freunden Jobs im Abraham-Ensemble, unter anderen auch Rudolf Steinboeck, Leo Askin und Peter Preses, der ihn sogar als „unser Brotgeber“ titulierte. Zur Generalprobe kam auch Jura Soyfer. „In einem großen Gespräch äußerte er Bedenken, weil ich meine Begabung an den Kitsch und Kommerz verkaufte. Ich wendete ein (nachträglich ist mir, als hätte ich’s ihm versprochen), daß ich sozusagen zweigleisig arbeite und daß ich das, woran wir beide glaubten, woran uns beiden lag, nicht verraten werde. (Immerhin war sogar das Musical von 1937 politisch brisant und riskant.)“25


Oskar Dénes, Rosy Barsony und Hans Holt

Die Premiere von Roxy und ihr Wunderteam fand in Anwesenheit der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft am Gründonnerstag des Jahres 1937 (25. März) nur geteilte Aufnahme: Die Reichspost vom 26. März schloss sich Hans Weigels Ersturteil an, da in ihr zu lesen stand: „[…] diese Roxy und ihre ungarische Elf servieren uns eine ganz seichte, fadenscheinige Geschichte, der man beim besten Willen nichts abgewinnen kann. […] Die Texte sind ebenso einfallslos wie dumm und ihre Zotenhaftigkeit ist kaum mehr zu überbieten […]“ Andere Blätter nahmen diese leichte Unterhaltung nicht so ernst und stellten wie die Neue Freie Presse, ebenfalls am 26. März, die positiven Akzente der Aufführung in den Vordergrund: „Ein Match, halb ungarisch, halb englisch ausgetragen, manchmal auch deutsch. Ladislaus Zsilagy und Desider Keller haben die burleske Geschichte ersonnen, Alfred Grünbaum hat sie wirkungssicher und geschickt den Wiener Unterhaltungsbedürfnissen angepaßt und, gemeinsam mit Hans Weigel, mit gangbaren und gefälligen Texten versehen.“

Für das ABC schrieb Hans Weigel in der Folge eine gesungene Attacke gegen das Theater an der Wien, der er den Titel Roxy – und das wundert ihn gab. Roxy wurde noch 1937 mit den Hauptdarstellern des Theaters an der Wien unter der Regie von Johann von Vásáry verfilmt und hatte am 14. Jänner 1938 Österreich-Premiere.

Als Nächstes sollte aus dem Comedy-Drama Madame Sans-Gêne von Victorien Sardou und Émile Moreau, das am 27. Oktober 1893 im Pariser Théâtre du Vaudeville uraufgeführt worden war, ein Musikstück für das Theater an der Wien gemacht werden. Hans Weigel las das Stück, die Geschichte des aus dem Elsass stammenden Pariser Wäschemädels Catherine Hübscher, das sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Sie wird durch ihre Heirat mit François-Joseph Lefèbvre, der unter Napoleon vom Sergeanten zum General aufstieg und den Titel „Herzog von Danzig“ erhielt, zur Herzogin und erreicht gesellschaftliche Anerkennung. Weigel gefiel das Vorhaben, er wollte es machen. „Da sagte der Direktor Hellmer, es war vor dem ehrwürdigen Bühnentürl in der Dreihufeisengasse, die jetzt überflüssigerweise Lehárgasse heißt (Arthur-Schnitzler-Gasse gibt es noch keine), da sagte der Direktor Hellmer also, dass ich die Bearbeitung gemeinsam mit dem Alfred Grünwald machen sollte. Da wallt’ dem Türken auf das Blut. Ich hatte das Buch in der Hand und warf es in der Dreihufeisengasse schmetternd zu Boden. Das Haus erzitterte nicht in den Grundfesten, aber die Herren Hellmer und Glücksmann (vorgesehener Regisseur) erbebten ein bisserl. Und man bat mich [… um] ein Exposé. Ich merkte, daß Zorn ein vortrefflicher Inspirator sein kann. Mir fiel alles ein, was mir einzufallen hatte. Und schrieb daraufhin den neuen Text allein.“26 Ein Vertrag, datiert mit 31. Mai 1937, wurde mit dem Marton Verlag geschlossen.

In der Neuen Freien Presse vom 27. August 1937 berichtete Weigel in Form eines fingierten Gesprächs mit Sardou über die Ziele seiner Bearbeitung: „Das Wesen einer guten und richtigen Bearbeitung hat so überzeugend zu wirken, daß die Frage nach dem Warum überhaupt nicht entsteht. Hierzu ist es nötig, daß sich zwischen dem Bearbeiter und seiner Vorlage eine sehr innige, fast zärtliche Beziehung ergibt. […] Der Bearbeiter muss versuchen, sich mit seinem unbekannten Partner und stillen Mitarbeiter, dem Originalautor, auseinanderzusetzen und nichts zu tun, was der nicht gutheißen würde. […] Die Komödie ‚Madame Sans-Gêne‘ […] kommt heute besser zur Geltung, wenn man den Dialog etwas entstaubt, die Handlung von Beiwerk befreit und konzentriert!“ Störende Fremdkörper und falsche Töne wollte er vermeiden, das Stück von angesetzter Patina befreien, dafür sollte einiges dazukommen, aber nur, was irgendwo zwischen den Zeilen stand. Die Frage, warum der über Jahrzehnte hin erfolgreichen Komödie Musik hinzugefügt werden sollte, beantwortete sich Weigel so: „Was aber über die Jahrzehnte hinaus allgemein gelten und bleiben soll, dem kommt die Musik zu Hilfe, die’s ja in sich hat, Persönliches und Privates in eine allgemeine Sphäre zu erheben, menschlich zu machen und dem Augenblick Dauer zu verleihen.“ Weigel verwehrt sich gegen die Bezeichnung Operette für seine Bearbeitung, „denn ich habe nicht einfach auf die Art leichtfertiger Konfektionäre das Stück mehrmals gewaltsam unterbrochen, irgendein beliebiges Musikstück hineingezwängt und dann die Handlung krampfhaft ihren Fortgang nehmen lassen. […] Ich habe die musikalischen Situationen, deren Herbeiführung ja meine Hauptarbeit zu sein hatte, immer aus der Handlung organisch entstehen lassen, mit ihr parallel zu verlaufen und ihr sich unterzuordnen, mich nach Kräften bemüht. Ich war gleichfalls bestrebt, jede Zeile des neuen Textes dem dramatischen Anlass und der Linie der Personen des Stückes und den Handlungselementen entsprechen zu lassen […]“.