Buch lesen: «Verrat in Venedig»

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Wolf Heichele

Verrat in Venedig

Commissario Montebello ermittelt

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Pizza Funghi

Ein tödlicher Imbiss

Der Südtiroler

Nina di Natale

Zeitungsenten unerwünscht

Das Phantombild

Auf der Rialtobrücke

Florenz

Romeo und Julia

Ein Sugarbaby

Band 2 der Reihe "Commissario Montebello ermittelt"

Band 3 der Reihe "Commissario Montebello ermittelt"

Band 4 der Reihe

Impressum neobooks

Pizza Funghi

Commissario Montebello saß entspannt in seiner Lieblingspizzeria – der Bella Casa – und studierte die Speisekarte. Die tiefstehende Sonne spiegelte sich im Canale Grande wider und sorgte für ein malerisches Farbspiel. Rote, gelbe und violette Punkte tanzten wie Irrlichter über die Wellen, glitzerten hier, schimmerten dort, und verwandelten den Canale in ein grandioses Lichtspieltheater.

Venedig zeigte sich in diesen Herbsttagen von seiner schönsten Seite und Commissario Montebello liebte diese Jahreszeit. Die Touristenströme ließen jetzt merklich nach und in den Pizzerien der Stadt fand man wieder freie Plätze. Zudem nahm der Geräuschpegel in der Stadt ab, was man als angenehm bezeichnen durfte.

Der Ober nahte, um die Bestellung aufzunehmen und Commissario Montebello beeilte sich, eine Pizza auszusuchen. Seine Wahl fiel auf eine Pizza Funghi. In den letzten Wochen hatte er das eine oder andere Kilogramm zugenommen, und da konnte ein vegetarisches Mahl nicht schaden, wie er fand.

In den zurückliegenden Sommermonaten hatte er einige knifflige Fälle zu lösen gehabt und kaum Zeit gefunden, regelmäßig Sport zu treiben. Normalerweise achtete der Commissario sehr auf sich und seinen Körper, und mit seinen neunundvierzig Jahren sah er noch immer ziemlich gut aus. Sein Haar war leuchtend schwarz und modisch kurz geschnitten, das Gesicht gut gebräunt, die grünen Augen hellwach, und sein gepflegter Drei-Tage-Bart ließ ihn ein wenig wie einen römischen Legionär aussehen.

Wie es sich für einen italienischen Kommissar gehörte, war Montebello stets bestens gekleidet. Anzüge von Armani gehörten zu seiner Standardgarderobe, dazu weiße Hemden und halbhohe Schuhe aus Büffelleder von Valentino. Seiner gesamten Erscheinung sowie seinem sicheren Auftreten war zu entnehmen, dass er über eine Menge Berufserfahrung verfügte. Dementsprechend hoch war sein Ansehen im Morddezernat von Venedig. Die meisten Kollegen sprachen von ihm voller Respekt.

Der Kellner brachte die Pizza. Während der Commissario sie verzehrte, war er in Gedanken ganz bei seiner Frau Micaela. Er hatte sich vorgenommen, am kommenden Wochenende mit ihr und ihrem gemeinsamen Sohn Jarno einen Ausflug aufs Land zu machen. Dort besaß Commissario Montebellos Vater ein kleines Weingut. Doch wie allzu oft sollte ein neuer Fall dem Commissario diesen Ausflug vereiteln, denn kaum hatte er das letzte Stück Pizza mit einem Schluck Chianti hinuntergespült, läutete sein Diensttelefon. Signore di Grassi meldete sich. Er war der Leiter des Morddezernats von Venedig und Commissario Montebellos direkter Vorgesetzter. Di Grassi war ein Mann von fünfundsechzig Jahren, der kleinwüchsig und stark untersetzt war. In seinen jungen Jahren hatte er eine Karriere als Theaterschauspieler angestrebt, die jedoch an eben jenen außergewöhnlichen Körpermaßen gescheitert war. Aber immerhin war es ihm dank seines charmanten Wesens und mit viel Beharrlichkeit gelungen, Karriere bei der Polizei zu machen. Mittlerweile stand er allerdings kurz davor, in Rente zu gehen – doch die Angst, zum alten Eisen zu gehören, hatte ihn bisher davon abgehalten.

Commissario Montebello konnte das recht sein. Wer weiß, wen man ihm als Nachfolger vor die Nase gesetzt hätte? Am Ende wäre man auf die Idee gekommen, ihn selbst für den Posten vorzuschlagen. Nein! Dies war keinesfalls im Sinne des Commissarios. Ein Leben als Bürohengst war für ihn nicht denkbar.

“Mauro. Gut, dass du dich noch nicht ins Wochenende verabschiedet hast! Wir haben einen neuen Fall”, begann di Grassi und sprach dabei wie immer klar und akzentuiert – so, wie er es einst auf der Theaterschauspielschule gelernt hatte.

“Ein Toter in einer Gondel – direkt unter der Rialtobrücke. Und das um diese Tageszeit! Im Zwielicht der untergehenden Sonne sozusagen. Ist das nicht melodramatisch?”

Commissario Montebello schmunzelte. Er war es gewohnt, dass sich sein Chef einer extravaganten Ausdrucksweise bediente. Sie war quasi sein Markenzeichen – und ebenfalls ein Relikt aus seinen früheren Tagen als Schauspieler. Natürlich war eine solch metaphorische Ausdrucksweise im Umfeld eines Morddezernats ungewöhnlich, doch genau das machte den Charme von di Grassi aus, der gleichzeitig auch der Pressesprecher der Polizei war. Die örtlichen Medien liebten ihn, und er hatte mehr als einmal dafür gesorgt, dass die venezianische Polizei auch in Krisenzeiten ihren guten Ruf hatte wahren können.

“Das Filmbusiness lässt dich wohl nie mehr los, Capitano?”, scherzte Montebello, musste dann aber zunächst an seine Frau und seinen Sohn denken, die nun wieder allein aufs Weingut seines Vaters würden fahren müssen. Doch Jammern half nichts. Das war sein Job und Montebello nahm ihn sehr ernst, und seine Frau würde Verständnis zeigen – so, wie sie in all den Jahren zuvor Verständnis gezeigt hatte. Sie hatte “ihren Mauro” vor zwanzig Jahren kennengelernt, als er bereits beim Morddezernat tätig war, deshalb kannte sie ihn nicht anders. Und im Übrigen wogen die vielen schönen Urlaube, die die beiden miteinander verbracht hatten, die harten Zeiten auf, in denen er dienstlich hatte bereitstehen müssen. Denn Gott sei Dank gab es in Venedig oft lange Phasen, in denen nicht gemordet wurde, und in diesen blieb genug Zeit für ein ordentliches Familienleben.

Besonders um die Winterszeit war meistens recht wenig los im Morddezernat – gerade so, als ob es den Venezianern in dieser Zeit zu kalt zum Morden wäre. Vielleicht lag es aber auch an der seligen Vorweihnachtszeit – so genau konnte man das nicht sagen.

“Ich bin unterwegs, Capitano”, antwortete Montebello und bestätigte damit seinen Einsatz.

“Okay, ich verlass mich auf dich! Ach übrigens, das hätte ich beinahe vergessen: Man hat uns einen Neuen zugewiesen. Einen jungen Kerl von der Polizeischule in Bozen. Er soll hier in Venedig sein Praktikum machen.”

“Du machst Witze, Capitano?” stöhnte Montebello. Das Letzte, was er sich wünschte, war ein Schulabgänger, der noch grün hinter den Ohren war, sich aber bereits für Detektiv Columbo hielt. Meistens stellten solche “Frischlinge” nach wenigen Wochen fest, dass die Realität wenig mit ihrer romantischen Vorstellung vom Leben als Kommissar zu tun hatte und warfen ihren Job entweder hin oder wechselten zur Policia Municipale, wo die Arbeit weitaus weniger belastend war.

“Hättest du den Kerl nicht Paolo zuweisen können?”, erkundigte sich Montebello.

“Du kennst das Prozedere ja, Mauro. Das wurde an höherer Stelle beschlossen. Es tut mir wirklich leid. Ich werde ihn übrigens gleich mal an den Tatort schicken, dann kannst du ihn kennenlernen. Er heißt Toni Talberger!”

“Komischer Name für einen Italiener”, fand Montebello.

“Ich sagte doch, er stammt aus Südtirol.”

“Nein. Du sagtest nur, dass er von der Polizeischule in Bozen käme, Capitano, nicht aber, dass er gebürtiger Südtiroler sei.”

“Na, wie auch immer, jedenfalls ist er Südtiroler. Und dort oben in den Bergen haben sie doch alle so komische österreichische Namen. Ich wünsche Dir jedenfalls viel Spaß mit ihm und freue mich auf Deinen ersten Bericht.”

“Geht in Ordnung. Schick mir die Bergziege an den Tatort. Ciao.”

Di Grassi legte lachend auf und Commissario Montebello rief den Kellner zu sich, um die Rechnung zu begleichen. Dann stieg er in sein Motorboot, das direkt neben der Pizzeria im Canale Grande vor Anker lag.

Ein tödlicher Imbiss

An der Anlegestelle unter der Rialto Brücke herrschte ein reges Treiben. Einige Leute von der Spurensicherung waren anwesend, drei Carabinieri und ein kleiner Pulk von Schaulustigen, die sich neugierig um eine Gondel drängten. Die Sonne stand inzwischen tief und warf lange Schatten.

Ein Mordfall im glühenden Abendrot! Melodramatischer konnte es wirklich nicht sein, fand Commissario Montebello und dachte an Di Grassis blumige Beschreibung von vorhin.

Dann sprang er an Land. Seine erste Amtshandlung bestand darin, die Schaulustigen zurückzuweisen. Dabei fragte er sich, warum die Carabinieri diesen Job eigentlich nicht übernehmen konnten. Doch die Antwort war wie immer dieselbe: Es hing damit zusammen, dass die Leute vor einem echten Kommissar einfach mehr Respekt zeigten als vor gewöhnlichen Streifenpolizisten.

“Alora, Signore e Signori, bitte weichen Sie zurück, andiamo!” Mit hoch gehaltenem Dienstausweis schob Montebello die etwa zwanzigköpfige Meute vor sich her, bis er deren Abstand zum Tatort als ausreichend befand. Dann trat er zurück und wandte sich an einen der Carabinieri:

“Ciao, Giacomo. Was haben wir?”

“Oh, Commissario Montebello, buona sera.”

Ein schlaksiger Beamter mit großen Augen und spitzem Kinn lächelte ihn freundlich an und deutete auf eine der Gondeln.

“Das ist Signore Enzo di Natale, der dort auf der Sitzbank liegt. Er wurde vor dreißig Minuten tot hier aufgefunden.”

“DER Signore di Natale?”

“Si, Signore Commissario. Der weltbekannte Nudelkönig di Natale! Sie kennen den Slogan ja: Von Osten bis nach Westen, Natale Nudeln sind die besten.”

“Ach, du meine Güte. Das wird die Presse freuen”, stöhnte Montebello, der bereits ahnte, für welchen Aufruhr dieser Fall sorgen würde.

“Oder erinnern Sie sich an den? Natale macht die beste Pasta – und damit basta!”, lachte Giacomo.

“Ist ja gut, Giacomo. Dein Erinnerungsvermögen in allen Ehren. Aber wir sind nicht hier, um Werbeslogans zu erinnern. Wer hat ihn denn gefunden?”

“Ähm, das war der Gondoliere. Franco Bianco.” Giacomo deutete auf einen Mann, der bei der Gruppe der Schaulustigen stand. Er trug ein typisches, schwarz-weiß gestreiftes Hemd, das ihn als Gondoliere auswies. Montebello musterte ihn kurz. Er schien recht groß zu sein und hatte eine athletische Statur. Darüber hinaus sah er auffallend gut aus, wie der Commissario fand – mit einem Kinn wie aus Stahl gegossen und azurblauen Augen. Man konnte ihn gut und gern mit einem Helden aus einem jener Monumentalfilme verwechseln, wie man sie früher in Hollywood drehte. Und sieht er nicht Franco Nero ein wenig ähnlich?, fragte sich Montebello, einem unserer bekanntesten Schauspieler hier in Italien? Oder liegt das lediglich an der Ähnlichkeit der Namen? Franco Nero – Franco Bianco?

Der Commissario verwarf diesen weniger wichtigen Gedanken vorläufig und wandte sich wieder Giacomo zu.

“Hast du sonst noch etwas für mich?”

“Eigentlich nicht. Alles Weitere wird Ihnen Luigi von der Spurensicherung mitteilen können.”

“Danke. Richte dem Gondoliere bitte aus, dass ich ein paar Fragen an ihn hätte. Ich möchte mir aber zuvor die Gondel ansehen.”

“Wird gemacht, Signore Commissario.”

Giacomo entfernte sich vom Tatort und Montebello stieg in die Gondel. Doch kaum hatte er sie betreten, geriet sie stark ins Wanken und drohte beinahe zu kentern. Der Grund dafür war, dass eine zweite Person hinter ihm mit an Bord gesprungen war. Sie trug einen transparenten Overall, der an ein Ganzkörperkondom erinnerte.

“Sachte, sachte, mein Freund”, ärgerte sich der Commissario, “oder willst du uns beide umbringen? Reicht dir der eine Tote etwa nicht?”

“Tut mir leid, Commissario Montebello. Das war ungeschickt von mir. Darf ich mich vorstellen. Ich bin Luigi Lantani von der Spurensicherung”, entschuldigte sich der Kollege. Er war ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, und dies war sein erster Fall, in dem er die Hauptverantwortung trug, wie er Montebello im nächsten Satz eröffnete.

“Okay, und was hast du nun für mich?”, fragte der Commissario.

“Also zunächst einmal können wir mit Sicherheit sagen, dass der Nudelkönig vergiftet worden ist. Offenbar war Signore di Natale zu einem romantischen Abendessen in die Gondel eingeladen worden. Sehen Sie die zwei Teller, die Flasche Wein und die beiden Gläser?”

“Ja.”

“Nun, auf di Natales Teller befanden sich noch Essensreste. Es gab Pilzomelett, wie man unschwer erkennen kann.”

Montebello dämmerte, worauf der Kollege hinaus wollte.

“Es handelte sich um Giftpilze?”

“Madonna”, staunte der junge Kollege. “Sie kennen sich gut aus, Commissario. Es handelte sich tatsächlich um einen Japanischen Trichterling. Er ist tödlich giftig. Aber woher wussten Sie das denn?”

“Ach, das war nur so eine Vermutung”, lächelte Montebello geschmeichelt, “nennen wir es Intuition.” Für einen kurzen Moment fielen ihm die Pilze ein, die er selbst vor kaum fünfzehn Minuten verzehrt hatte. Gottlob sah dieser Trichterling den Champignons auf seiner Pizza nicht besonders ähnlich.

“Was hast du noch?”

“Auf dem Geschirr und auf den Gläsern befinden sich ausschließlich Fingerabdrücke des Ermordeten, keine weiteren.”

“Hm, mit dieser Tatsache ist wenig anzufangen. Aber dennoch ist sie interessant”, murmelte Montebello, “denn sie sagt uns, dass der Mörder entweder Handschuhe getragen oder aber das Geschirr fein säuberlich abgewischt hat.”

Er blickte kurz zu dem Gondoliere hinüber. Dieser stand noch immer am Kai und machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Handschuhe trug er jedoch keine.

“Haben wir noch etwas?”

“Ein gelbes Halstuch!” Luigi hielt dem Commissario einen Beutel hin, in dem sich ein helles, gelbes Tuch befand, das offensichtlich einer Frau gehörte.

“Aha, der Signore hatte eine weibliche Begleitung, wie es aussieht. Ist das alles?”

“Ja, den Rest werden wir im Labor untersuchen. DNA-Spuren, Mikropartikel und so weiter. Ach ja, ein Smartphone und eine Brieftasche hatte er ebenfalls bei sich. Auch diese beiden Beweisstücke werden wir auswerten. Die Ergebnisse sollten morgen vorliegen.”

“War denn Geld in der Brieftasche?”

“Nein – abgesehen von ein paar Cent Kleingeld war sie leer.”

“Hm! Das ist ungewöhnlich für einen wohlhabenden Mann wie Natale. Aber es muss nichts bedeuten. Wie sieht es denn mit Angehörigen aus?”

“Eine Ehefrau, Nina di Natale, keine Kinder. Sie lebten zusammen in einer Villa auf der Insel Giudecca.”

“Ah, im Nobelviertel von Venedig.”

“Ja! Sollen wir seine Frau informieren?”

“Tut das. Und schickt bitte einen Polizeipsychologen mit. Man kann nie wissen. Außerdem richtet Frau di Natale bitte aus, dass ich sie morgen vormittag besuchen werde”, erklärte Montebello abschließend.

“In Ordnung, Commissario.”

Luigi entfernte sich und Montebello kletterte ebenfalls zurück ans Ufer. Nun war es an der Zeit, sich mit dem Gondoliere zu befassen, der den ermordeten Nudelkönig gefunden hatte.

Franco Bianco erwartete den Commissario mit versteinerter Miene. Er schien vor Selbstbewusstsein nur so zu strotzen. Die erste Frage, die Montebello dabei in den Sinn kam, war, warum dieser Kerl es nur bis zum Gondoliere gebracht hatte. Nicht dass dieser Beruf weniger ehrenwert gewesen wäre als ein anderer, aber ein Mann mit einer solchen Ausstrahlung sollte sich doch wahrlich zu Höherem berufen fühlen, konnte man zumindest vermuten. Doch wie so oft im Leben trog der Schein wohl. Inwieweit dies der Fall war, das versuchte Commissario Montebello in einem ersten Gespräch herauszufinden.

“Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Commissario Montebello. Ich arbeite für das Morddezernat in Venedig. Sie sind Franco Bianco?”

“Si. Buongiorno!”

Biancos Begrüßung fiel kurz aus. Dabei sah er dem Commissario auffallend stark in die Augen. Meist ein untrügliches Zeichen dafür, dass jemand etwas zu verbergen hatte, wie Montebello aus langjähriger Erfahrung wusste.

“Erzählen Sie mir, was passiert ist”, bat Montebello.

Bianco begann in kurzen Sätzen zu berichten, was er erlebt hatte. Dabei zeigte sich, dass Rhetorik nicht zu seinen Stärken gehörte. Er sprach in kurzen Sätzen und verwendete kaum Nebensätze:

“Also. Natale und seine Begleiterin waren in meiner Gondel. Sie hatten eine 60-minütige Rundfahrt gebucht …”

Der Commissario unterbrach ihn.

“Stopp! Eine Begleiterin? Es müsste doch seine Ehefrau gewesen sein, nehme ich an. War es denn nicht seine Ehefrau?”

Der Gondoliere wurde unsicher.

“Ähm, ich glaube nicht, nein.”

“Und wie kommen Sie darauf? Kennen Sie seine Ehefrau denn?”

Schon nach der zweiten Frage hatte der Commissario den Gondoliere in eine Position gebracht, die diesem unangenehm zu sein schien.

“Ob ich seine Ehefrau kenne? Äh, nein. Ich denke nicht. Aber ich glaube einfach, dass es nicht seine Ehefrau war.”

“Und warum bitte?” Montebello ließ nicht locker.

“Na, weil, ich … äh ...”

Der Gondoliere war ohne Zweifel um eine Antwort verlegen. Irgendetwas verunsicherte ihn. Für den Commissario war dies bereits ein klares Indiz dafür, dass er in irgendeiner Weise in den Fall verwickelt sein musste. Das musste allerdings nicht zwangsläufig bedeuten, dass er der Mörder war. Vielleicht wollte er die Frau decken, die mit in der Gondel gesessen hatte. Sie war immerhin die Hauptverdächtige.

Der Commissario ließ den Gondoliere fürs Erste vom Haken.

“Lassen wir das. Sie werden morgen bitte zu uns aufs Revier kommen und uns eine genaue Personenbeschreibung der Dame geben, anhand derer wir ein möglichst präzises Phantombild erstellen können. Erzählen Sie mir jetzt bitte, wie es weiterging.”

“O … okay”, stöpselte Bianco.

“Also. Die haben sich während der Fahrt ein paar Mal geküsst. Und umarmt. Dann haben die Sekt getrunken. Dann legten wir nach etwa einer Stunde wieder am Kai an. Sie baten mich darum, noch ein wenig in der Gondel sitzen bleiben zu dürfen. Ich aber sagte, dass ich jetzt meine Nachmittagspause hätte und im Nautilus einen Cappuccino trinken wollte. Daraufhin steckte mir Signore di Natale einen Hunderter zu und meinte mit einem Augenzwinkern, dass das schon in Ordnung ginge.”

“Sie haben das Geld natürlich genommen?”

“Äh, ich, ja, ich habe es genommen …”

“Und weiter?”

“Nun, ich ging ins Nautilus. Das Letzte, was ich sah, war, dass seine Begleiterin eine Plastikschüssel aus einem Korb zog. Sie entnahm daraus etwas Essbares. Ich dachte zuerst, es könnte eine Lasagne sein. Später dann, als ich zur Gondel zurückkehrte und den Nudelkönig fand, sah ich, dass es wohl ein Omelett gewesen war.”

“Ein Pilzomelett, um genauer zu sein”, erklärte Montebello und studierte Biancos Reaktion darauf. Er zeigte allerdings keine Auffälligkeiten.

“Wie lange waren Sie im Nautilus?”

“Nicht besonders lange. Von siebzehn bis siebzehn Uhr fünfundvierzig etwa. Es ist nicht weit zu Fuß von hier.”

“Ich weiß, ich kenne das Nautilus. Kann ihren Aufenthalt dort jemand bezeugen?”

“Aber ja, die Bardame war sehr nett, fand ich. Sie kann sich bestimmt an mich erinnern. Sie hieß Eva.”

Es schien dem Gondoliere unangenehm zu sein, dass er nach einem Alibi gefragt worden war, gleichzeitig war er froh, eines vorweisen zu können.

“Sagen Sie, Commissario, bin ich etwa verdächtig? Aber warum denn? Ich bin doch nur der Gondoliere.”

“Nun verlieren Sie mal nicht gleich die Nerven, mein Guter”, sagte der Commissario ruhig, “mit dem Lösen eines Falls ist es wie mit einem guten Wein. Alles braucht seine Zeit.”

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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