Der amerikanische Kongo oder Henry Lowry muss brennen

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William Pickens Der amerikanische Kongo oder Henry Lowry muss brennen

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William Pickens

Der amerikanische Kongo oder Henry Lowry muss brennen

Das Land entlang des Mississippi, von Memphis im Norden bis hinunter zum Mündungsgebiet des großen Flusses, kann getrost als der Kongo Amerikas bezeichnet werden. Dieser Kongo 1 umfasst Arkansas, Louisiana, Mississippi, das westliche Tennessee und Ost-Texas. Nur gewinnt man hier kein Elfenbein und keinen Kautschuk, sondern Baumwolle und Zucker, und die Arbeit findet unter Zwang statt, der Arbeiter ist immer noch ein Sklave. Diese Art Sklaverei ist eine trickreich ausgestaltete Lohnknechtschaft, damit der Anschein von Zivilisation und Rechtsstaatlichkeit aufrechterhalten werden kann. Haben ein Schwarzer und seine zehnköpfige Familie bloß ein paar Hundert Dollar Schulden, dann sind sie bei ihrem weißen Dienstherrn, dem die Plantage gehört, ebenso bedingungslos in Abhängigkeit geraten, als besäße er noch das Eigentum an ihren Körpern. Der 13. Verfassungszusatz,2 in dieser Gegend noch nie umgesetzt, bedeutet doch, dass ein Mensch nicht körperlich festgehalten werden kann, wenn er eine vertragliche Schuld nicht begleicht; nur sein gesamtes Eigentum kann beschlagnahmt werden, nicht aber er als Person. Und besitzt der Schuldner kein Eigentum, auf das der Kreditgeber zurückgreifen kann, so ist dies das Risiko, welches Letzterer bei Vertragsabschluss eingeht. Aber dem ist nicht so: Es ist für jeden wohlhabenden Sklavenhalter ein Leichtes, die Gesetze gegen die Sklaverei zu umgehen, denn ein Plantagenbesitzer kann jeden Menschen in seinem Einflussbereich mit links in eine Schuldenfalle bugsieren und dann darauf bestehen, dass dieser so lange sein persönliches Eigentum bleibt, bis die Schulden beglichen sind. Was nie geschieht: Denn der Lohn deckt kaum die nötigsten Ausgaben, dazu kommen noch Kosten für Lebenshaltung und Nahrung – das sklavenähnliche Abhängigkeitsverhältnis währt ewig. Die einzige Möglichkeit, seine Schulden bei dem einen Herrn loszuwerden, ist, sich bei einem anderen zu verdingen, damit dieser ihn loskauft. Was im Endeffekt nichts anderes bedeutet, als dass man seinen Körper ein weiteres Mal verkaufen muss, doch kommen jetzt noch Ablösegebühren, Umzugskosten und vielleicht ein Schmiergeld hinzu. Durch diese Methode kommt der Dienstherr im Endeffekt billiger zu Knechten als im alten Sklavensystem, weil die zu tilgende Schuldenlast in der Regel geringer ist als früher der Kaufpreis für eine solche Familie. Die ungebildeten und verarmten Menschen verkaufen de facto sich selbst. und zwar weit unter dem Preis, den früher ein Sklavenhändler erzielt hätte. Doch der Kreditgeber hat noch weitere Vorteile: War er früher verantwortlich für die Ernährung seiner Sklaven, für deren Gesundheitszustand oder auch für Ernteausfälle, so sind dies jetzt alles die Risiken der Schuldner, und jede Dürre, jeder Schädlingsbefall treibt ihn weiter in die Abhängigkeit. Die Fesseln schneiden noch tiefer ins Fleisch als früher.

Das hier beschriebene System hat das Mississippi-Delta fest im Griff und hat sich in den letzten 30 Jahren nicht wesentlich verändert. Das Böse, das diesem System innewohnt, ist letztlich verantwortlich für all die Massaker an Schwarzen, für all die abscheulichen Lynchmorde, für all die Scheiterhaufen, auf denen Schwarze verbrannt worden sind und welche sich in letzter Zeit in dieser Region häufen. Der jüngste solcher Vorfälle, ein Brandmord von ausgesuchter Barbarei, der in Nodena, Arkansas, also nahe bei Memphis, Tennessee, stattgefunden hat, ist ganz offensichtlich mit dem beschriebenen Lohnknechtschaftssystem verknüpft.

Die Rede ist von Henry Lowry. Die örtlichen Zeitungen beschrieben bis ins kleinste Detail die Tat des »Mörder-Negers«, also wie er den weißen Grundbesitzer umgebracht hat- und noch ausführlicher die grausame Folter, mit der sich die anderen weißen Farmer an ihm gerächt haben. Doch die Ursache für diese Vorfälle schien man nicht zu kennen. Oder kennen zu wollen. Oder man hat beschlossen, diese zu ignorieren. Jedenfalls haben Vertreter besagter Zeitungen jeden noch so entfernten Verwandten des erschossenen weißen Pflanzers gesprochen, aber warum dieser schwarze Pächter auf den weißen Farmer geschossen hat, »darauf gibt es nicht den geringsten Hinweis«. Andere gingen sogar so weit, die hanebüchensten Märchen als Erklärung zu akzeptieren: dass nämlich Lowry eine farbige Frau über Meilen verfolgt habe, weil er sie ermorden wollte. Dass diese farbige Frau in das Haus von O. T. Craig gerannt sei, um dort Zuflucht zu suchen vor Lowry. Dass der Pflanzer daraufhin vor sein Haus getreten sei, um dem Schwarzen ins Gewissen zu reden. Dass schließlich Lowry den guten Mann einfach über den Haufen schoss. Dass er danach dessen zufällig anwesende Tochter, eine gewisse Mrs. Williamson, gleich mit umgebracht und zu guter Letzt auch noch dessen beiden Söhne, den 35-jährigen Hugh Craig und den 37-jährigen Richard Craig, schwer verletzt habe. Wer den Süden kennt, weiß, dass man schon ziemlich einfältig sein muss, um diesen Tathergang zu glauben. Und unsere Recherchen haben uns recht gegeben. Denn ein Schwarzer in Arkansas, der sich verhält wie von den Zeitungen in Memphis geschildert, kann nicht bei Sinnen sein. So etwas würde nur ein Mensch tun, der völlig durchdreht. Um die Geschichten also halbwegs glaubwürdig erscheinen zu lassen, haben die Zeitungen übereinstimmend berichtet, Lowry sei betrunken gewesen; eine ging sogar so weit, zu behaupten, er habe daheim eine Schwarzbrennerei betrieben und die Polizei habe diese bei einer Hausdurchsuchung auch gefunden.

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