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In der Dämmerstunde

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Bald fühlte ich, dass ich nicht einschlafen konnte, ja dass ich nicht einmal meine Augen schließen konnte, ich fühlte, dass ich eine Art Fieberanfall hatte. Meine Glieder zitterten und jeder meiner Sinne schien geschärft zu sein.

Ich warf mich hin und her, legte mich mit dem Kopfe an das Fußende des Bettes und versuchte alle nur möglichen Lagen, doch es blieb vergeblich und ich wusste, dass die Nacht eine schlaflose sein würde.

Wenn ich nur wenigstens ein Buch gehabt hätte, um die Zeit mit Lesen zu verbringen; aber es blieb mir nichts Anderes übrig, als mich mit dem üblen Zustande meiner Nerven zu beschäftigen.

Ich stützte mich auf den Ellenbogen und blickte im Zimmer herum, welches von dem Mondlichte sanft erleuchtet war und gestattete, dass ich die Bilder und die Gegenstände darin unterscheiden konnte. Als meine Blicke so von Wand zu Wand liefen, erinnerte ich mich an Le Maisrtes köstliches kleines Buch, betitelt: »Die Reise durch mein Zimmer.« Ich beschloss, dem französischen Schriftsteller nachzuahmen und die Gegenstände in meinem Zimmer einer Prüfung zu unterwerfen, um mich in dieser Weise während meiner Schlaflosigkeit zu beschäftigen. Aber bis zum Reflektieren vermochte ich mich bei dem Zustande meiner Nerven nicht zu erheben, ich betrachtete nur die Gegenstände und sonst nichts.

Da war nun zunächst das Bett, in welchem ich lag, mit seinen vier Pfosten, seinen Vorhängen und seinem hohen Giebel, ein echt englisches Bett. Dann der Waschtisch mit der Marmorplatte, von welchem das Wasser, welches ich vergessen hatte, noch immer langsam und langsamer hinunter tropfte; dann die beiden Stühle, auf welchen meine Kleider lagen; ferner ein mit schmutzigen weißen Bezügen versehener Armstuhl, über dessen Lehne mein Kragen und mein Halstuch lagen. Ferner erblickten meine umherschweifenden Blicke eine Art Kommode mit zwei oder drei Leuchtern darauf und einem zerbrochenen Schreibzeug von chinesischem Porzellan; dann sah ich den Toilettentisch mit einem kleinen Spiegel und einem großen Nadelkissen. Das Fenster des Zimmers war außergewöhnlich breit, und das Mondlicht, welches durch dasselbe herein kam, zeigte mir ein altes dunkel gewordenes Gemälde an der Wand; es stellte einen jungen Mann dar, welcher einen hohen spanischen Hut auf hatte, der mit Federn geschmückt war. Der Mann hielt seine Hand über den Augen und blickte, als ob ihn etwas blendete, in die Höhe. Dieses Gemälde zwang mich, an ihm haften zu bleiben, es schien, als blicke das Gesicht nach der Spitze meines Bettes. – Ich zählte die Federn an dem Hut, drei weiße, zwei grüne; dann bewunderte ich wieder die Spitze an dem Hut, danach sein fortwährendes Hinaufblicken; er schien mir so gespannt hinauf zu blicken, als sehe er den Galgen und erwarte, in jedem Augenblick gehenkt zu werden. Erst hatte ich ihn für Jemand gehalten, der zum Firmament aufschaut, aber so verzweiflungsvoll konnte nur der aussehen, der gerichtet zu werden fürchtet. Gewiss wird der Henker den schönen Federhut bekommen, phantasierte ich weiter und zählte dann aufs Neue: zwei grüne, drei weiße Federn. – Meine Gedanken wurden durch das sanfte Mondlicht an eine längst vergangene Mondlichtnacht in England erinnert, an die ich fast nie wieder gedacht hatte, seitdem sie vorüber war; und nun hier in dem Spielhaus auf französischer Erde, vergegenwärtigte sich mir die vergangene Nacht so lebhaft, dass ich Ort, Personen und Unterhaltung so vor mir sah, als wie damals, wo dies an mir vorübergegangen war, und dies Alles brachte mir das schwache Mondlicht hervor, welches durch mein Fenster strömte.

Ich dachte daran, wie ich in lustiger Gesellschaft in jener Nacht von einem Picknick heimkehrte, und erinnerte mich auch noch der jungen sentimentalen Dame, welche durchaus Childe Harold anführen wollte, weil der Mond dazu einlud.

Was erblickte ich aber auf ein Mal!

Gott! Gott! der Mann auf dem Bilde hat seinen Federhut bis zu den Augenbrauen herab gezogen! Der Hut war hinunter gerutscht, wo waren die Spitzen, die Federn? An der Stelle des Hutes befand sich ein dunkler Gegenstand, waren es die Augen, die Stirn, oder die Hand, welche die Augen früher zu beschatten schien? Aber, bewegte sich denn mein Bett?

Ich drehte mich herum. Was hatte ich denn gemacht? Träumte ich? war ich betrunken? oder bewegte sich das Bett in der Tat? Die Bettdecke des Bettes sank, sanft, regelmäßig, lautlos, schrecklich auf mich herab. – Mein Blut schien erstarrt, eine furchtbare Kälte lähmte meine Glieder, ich ließ mein Haupt auf das Kissen zurückfallen und blickte nach dem Bilde.

Und, o Wunders Jetzt sehe ich nur noch die Weste von der Figur, aber auch diese verschwand, bis – bis ich endlich nichts mehr von ihr sehen konnte.

Ich bin nicht furchtsam, habe oft mein Leben Gefahren ausgesetzt, aber nie empfand ich etwas Ähnliches, als in den Augenblicken, wo ich sah, wie sich die Decke von dem schweren Bette auf mich senkte; ein panischer Schrecken hatte mich ergriffen, ich lag noch immer atemlos, sprachlos, bewegungslos da. Das Licht erlöschtes nun auch so eben, aber das Mondlicht glänzte noch hell. Die Decke, welche dazu bestimmt schien, mich unter ihrer Wucht zu begraben, kam langsam noch näher und immer fester schien ich auf der Stelle fest-gebannt, wo ich lag; schon spürte ich den Staub, der oben gelegen hatte, in meine Nasenlöcher dringen. Aber noch im letzten Moment kam die Selbstbeherrschung mir zurück und ich hatte die Macht, mich aus dem Bette gleiten zu lassen; als ich geräuschlos auf den Boden fiel, berührte schon die Kante der mörderischen Decke meine Schulter.

Kalter Schweiß drang aus allen meinen Poren, ich erhob mich ein wenig, aber wenn mir auch in diesem Augenblicke Mittel zu meiner Rettung geboten worden wären, ich hätte sie nicht annehmen können, denn ich war wie festgenagelt an der Stelle, mein ganzes Leben schien nur noch in meinen Augen zu liegen.

Die schwere Decke, samt ihrem ganzen Ausputz von Posamentierarbeiten, Fransen und mehr dergleichen war niedergelassen und zwar so dicht, dass nicht einmal soviel Raum zwischen ihr und dem Bett geblieben war, dass ein Finger hätte Raum finden können. Ich berührte das, was ich für eine gewöhnliche Decke eines Himmelbettes gehalten hatte und fand, dass es eine schwere Matratze war; die Bettpfosten standen nun grässlich kahl da. In der Mitte der Decke war eine außerordentlich große, hölzerne Schraube angebracht, die absichtlich los gedreht worden war. Der ganze schreckliche Mordapparat hatte sich geräuschlos niedergelassen. Ein solches Mordinstrument hätte viel eher in die Zeit der Inquisition, oder in die entlegenen Wirtshäuser der Gebirge gepasst, nicht aber für das neunzehnte Jahrhundert und in der lebhaftesten Stadt der Welt. Noch immer starrte ich das grässliche Mordwerkzeug an, aber die Macht des Denkens kam mir langsam zurück. Ich machte mir nun tausend Vorwürfe, dass ich mich so vertrauensvoll den beiden Fremden anvertraut hatte, die mich hier her geführt hatten, um mich zu töten und mir dann das gewonnene Geld und meine andere Habe abzunehmen. Ich dachte, wie mancher Unglückliche mag sich hier an dieser Stelle mit seinem Gewinn niedergelegt haben, um nicht wieder aufzustehen. Hier tötete man ihn und er war für die Welt auf immer verschwunden.

Nachdem die schwere Decke ungefähr zehn Minuten auf dem Bette gelegen hatte, begann sie sich wieder zu erheben. Die Grässlichen, welche sie herab gelassen hatten, glaubten ihr schlechtes Werk sei vollendet. Sie glaubten mich tot Geräuschlos hatte sich »der Himmel« des Bettes, wie er gekommen war, wieder gehoben und seine alte Stelle eingenommen; nachdem er auf den vier Pfosten war, war auch die Decke des Zimmers an der Stelle erreicht; – man sah weder Loch noch Schraube, das ganze hatte das Aussehen eines ganz soliden Gardinenbettes. Jetzt nun erhob ich mich, kleidete mich schnell an und spähte nach einem Rettungswege. Ich verrichtete Alles so leise als möglich, denn ich wusste wohl, hätte man gehört, dass ich nicht erstickt sei, so wäre ich gewiss dennoch ermordet worden. Ich lauschte, aber weder Fußtritte noch ein anderes Geräusch vernahm mein Ohr, überall herrschte Ruhe. Die Tür hatte ich mit einer hölzernen Kiste, die ich unter meinem Bette gefunden, am Abend verbarrikadiert, sollte ich sie fortnehmen? Nein, denn das würde Geräusch machen. Ich ging an das Fenster auf den Fußspitzen.

Mein Zimmer befand sich im ersten Stock und ging nach der Straße hinaus, welche Sie auf Ihrer Skizze so getreu wiedergaben. Ich öffnete das Fenster mit der Vorsicht eines Diebes, geräuschlos, langsam, höchst furchtsam. – Ich blickte auf die Straße hinab, an die Seiten des Hauses entlang; an der linken Seite entdeckte ich die dicke Wasserröhre, welche Sie ebenfalls zeichneten; sie lief dicht neben dem Fenster vorbei. – Ich atmete zum ersten Male, seitdem ich die Decke sich hatte herab senken sehen, frei auf, denn ich wusste, nun sei ich gerettet!

Mancher würde davor zurück gebebt sein, an der Rinne entlang zu rutschen, aber ich war allezeit ein guter Turner gewesen und wusste, dass Kopf, Hände und Füße mir auf dieser Wanderung gute Dienste leisten würden. Schon hatte ich den Fuß auf das Fensterbrett gesetzt, als ich mich meines Taschentuchs mit dem Golde unter meinem Kopfkissen erinnerte. Ich hätte es wohl zurücklassen können, aber ich wünschte rachevoll, dass die schlechten Bewohner des Spielhauses, sowohl ihr Opfer als auch ihren Raub verlieren sollten.

Ich ging noch einmal zu der grässlichen Lagerstätte und nahm mein Geld und hing es mir auf den Rücken, während meines Ritts an der Rinne entlang. Ich hörte, als ich eben das Taschentuch mit seinem schweren Inhalte befestigte, Geräusch im Zimmer, der Atem stockte mir wieder, aber es war nur die Nachtluft, welche durch das Zimmer blies. Mit einem Schwung war ich aus dem Fenster und ergriff die dicke Rinne mit Händen und Füßen. Ich gelangte, wie gehofft, unten an, und da ich ein Polizei-Bureau in der Nähe wusste, lief ich dahin und meldete den Vorfall, in meinem schlechten Französisch. Wahrscheinlich hielt mich der Polizist zuerst für einen betrunkenen Engländer, den man beraubt hatte, aber als er hörte, dass ich wirklich so Schreckliches erlebt hatte, schloss er seine Papiere in eine Schublade, nahm seinen Hut, lieh mir einen zweiten, denn ich war ohne Kopfbedeckung, beorderte etwas Militär und verschiedene Instrumente, Türen und Schlösser zu öffnen, reichte mir den Arm, und so gingen wir dem Spielhaus zu. Unterwegs fragte der Polizeibeamte noch nach den nähern Umständen, und als wir vor der Tür angelangt waren, wurde das Haus von allen Seiten mit Wachtposten umstellt und dann in wahrhaft erschrecklicher Weise angeklopft.

 

Ein Licht erschien am Fenster und es folgte nun der Ruf: »Öffnen, im Namen des Gesetzes!«

Nach diesem Befehl öffneten sich Schloss und Riegel und ein halb angekleideter, geisterbleicher Kellner erschien.

»Wir wünschen den Engländer zu sehen, der hier im Hause schläft,« sagte der Polizist; ich hielt mich versteckt hinter ihm.

»Er ging vor einigen Stunden fort.« lautete die Antwort.

»So ist es nicht! Nur sein Freund hat das Haus verlassen, er blieb hier; zeigen Sie uns sein Zimmer!«

»Ich schwöre es Ihnen aber, Herr Souspräfect, er ist nicht hier!«

»Und ich, mein Herr Garcon, schwöre Ihnen, dass er hier ist. Er schlief hier, fand Ihr Bett äußerst komfortable und kam zu uns, dies anzuzeigen. Er befindet sich hier unter denen, die mir gefolgt sind. Ich bin gekommen, um in seinem Bett nach Insekten zu suchen. Haben Sie mich nun verstanden?«

Der Ober-Polizeimann rief einen seiner Leute und befahl, den Kellner sofort zu arretieren Danach sagte er zu uns: »Nun, meine Herren, hinauf!«

Das ganze Haus war inzwischen wach geworden, Männer und Frauen kamen herbei gelaufen, darunter auch mein besorgter, verdächtiger Freund von gestern Abend. Ich bezeichnete Zimmer und Bett, wo ich geschlafen hatte und wir begaben uns unverzüglich nach dem Zimmer, welches über dem meinigen war.

In dem ganzen Raume war nichts Verdächtiges zu sehen. – Der Polizist stampfte einige Male auf den Fußboden, beleuchtete dann alle Stellen sorgfältig und befahl schließlich, dass an einer Stelle, die er näher bezeichnete, die Dielen aufgehoben würden; dies geschah ohne große Mühe in kurzer Zeit, und wir erblickten eine große Öffnung zwischen dem Fußboden und der Decke des unteren Zimmers die stark eingeölt war und die Schraube umfasste, welche mit der fürchterlichen Decke des Gardinenbettes in dem unteren Raume zusammen hing. Hier befanden sich auch noch andere frisch geölte Schrauben, Hebel mit Filz überzogen, um sie unhörbar zu machen; kurz, alle Werkzeuge einer sehr schweren Presse. Alles war mit einer höllischen Grausamkeit darauf berechnet, die Opfer, in jenem Marterbette, sicher zu töten Die ganze Maschinerie wurde mit einigen Schwierigkeiten zusammengesetzt, dann begaben wir uns, der Anführer und ich, in das untere Zimmer, und die entsetzliche Maschinerie wurde durch die Polizisten, welche oben waren, in Bewegung gesetzt, und der Betthimmel ließ sich auch sehr geräuschvoll herab. Der Präfekt bemerkte: »Meine Leute sind noch Neulinge bei dieser Maschine, die Leute, deren Geld Sie gewannen, besitzen mehr Praxis.« —

Zwei Polizei-Agenten blieben in dem Hause mit dem Befehl zurück, Jeden auf der Stelle zu arretieren, der sich hinaus begeben wollte.

Der Souspräfect hatte die ganze Angelegenheit zu Protokoll genommen und begab sich dann mit mir in mein Hotel um meinen Pass nachzusehen.

»Glauben Sie in der Tat,mein Herr, dass wirklich schon Menschen in dem Bett erstickt worden sind?« fragte ich den Oberpolizisten unterwegs.

»Ich habe Dutzende von toten Menschen gesehen, die in ihrer Tasche Briefe hatten, welche benachrichtigten, dass sie sich in die Seine gestürzt, weil sie ihr Geld in einem Spielhaus verloren hätten. Wer kann wissen, ob diese Menschen nicht ihr Geld an derselben Stelle gewannen, wo Sie gewannen? Ob sie nicht erstickt wurden, wo Sie den Tod finden sollten? Vielleicht steckte man ihnen, bevor man sie in die Seine warf, erst einen Brief, voll von Lebensüberdruss, in das Portefeuille? Niemand kann wissen, wie viel Menschen unter der schrecklichen Maschinerie erstickt worden sind, denn der Tod schloss ja den Gepeinigten den Mund. Doch jetzt, gute Nacht! mein Herr,« sagte mein Begleiter, »oder vielmehr, guten Morgen! Mein Dienst beginnt um neun Uhr, und um dieselbe Zeit bitte ich Sie, wieder zu mir kommen zu wollen.«

Der Rest meiner Geschichte ist nun bald erzählt. Ich wurde oft verhört, das Spielhaus von dem Boden bis zu dem Keller genau durchforscht, die Gefangenen wurden einzeln verhört, und zwei von ihnen legten auch ein offenes Geständnis ab. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass der alte Soldat, der sich meiner an jenem Abend so freundschaftlich angenommen hatte, der Eigentümer des Spielhauses sei, der vor einigen Jahren als Vagabund aus der Armee gestoßen worden war, dass er nun auch als Diebeshehler verdächtig sei, weil er im Besitze vieler gestohlener Waren befunden wurde.

Sein treuer Beistand in allem Schlechten war der Croupier und außerdem noch das Weib, welches mir den Kaffee bereitet hatte. Diese Drei allein kannten auch nur das Geheimnis des schrecklichen Bettes. Die beiden Männer kamen auf die Galeeren und das Weib für einige Jahre ins Zuchthaus. Die Stammgäste des Hauses wurden als verdächtig erklärt und unter die Aufsicht der Polizei gestellt. Ich selbst aber wurde für einige Zeit der »Löwe des Tages« in Paris. Mein Abenteuer wurde sogar dreimal dramatisiert, erblickte aber nie das Lampenlicht, weil die Polizei nicht erlaubte, dass das schreckliche Bett des Spielhauses auf der Bühne kopiert werde, und darin lag doch gerade der Haupteffekt. Ich aber war für immer von dem Spiele Roth und Schwarz geheilt; denn so oft ich einen grünen Tisch mit Karten und Bergen Geldes erblickte, stellte sich stets das mörderische Bett daneben und die Angst, welche ich damals erlitt.

Als Mister Faulkner das letzte Wort ausgesprochen hatte, fuhr er von seinem Sitze auf und rief aus: »Um des Himmelswillen, bei meiner Erzählung vergaß ich ganz, dass ich hier her gekommen bin, um mich zeichnen zu lassen; jetzt habe ich Sie um die Zeit gebracht und mich um das Portrait!«

»Im Gegenteil!« erwiderte ich lachend, »Sie hätten nichts Besseres tun können, denn während Sie mir erzählen, ließen Sie mich Ihr Gesicht in natürlicher Ausdrucksweise sehen. Das Bild ist gelungen!«

Anmerkung von Mistreß Kerby

Ich muss der Geschichte noch hinzufügen, dass unser junger Seemann gestern Abend während des Erzählens bemerkte, dass er nie in einem Himmelbett schlafen könnte, ohne zu fürchten, die Decke würde herabstürzen und ihn ersticken. William sagte mir zwar, es würde diese Bemerkung unsres jungen Freundes den Lesern gleichgültig sein, doch ich kann mich nicht entschließen, sie fortzulassen.

Mögen sie auch nur mit kleinen Buchstaben gedruckt in einer Ecke des Buches ihren Platz finden.

Die Erzählung des Rechtsanwalts
von dem gestohlenen Brief

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Einleitung

Als ich mich einst in dem berühmten Kurorte Tidbury an der Marsy befand, erhielt ich den ehrenvollen Auftrag, den berühmtesten und geschäftigsten Rechtsanwalt der Stadt, Mister Boxsious, in Lebensgröße zu malen.

Es sollte das Bild auf Kosten des Magistrats und der Bürger der Stadt gemalt und, nachdem es vollendet, Mister Boxsious als ein Beweis der Liebe und Hochachtung übergeben werden, für die Verdienste, welche der vielbeschäftigte Mann der Stadt und ihren Bewohnern geleistet hatte. Auf die Empfehlung eines meiner Freunde hatte ich das Glück gehabt, diese Arbeit zu erhalten und es wurde mir ein Tag bestimmt, an welchem ich Mister Boxsious in seiner Wohnung zu einer Sitzung für das Gemälde bereit finden würde. Ich stellte mich auch pünktlich an dem bezeichneten Tage mit meinem Malerwerkzeug bei ihm ein, und wurde auch sofort in ein gut möbliertes Zimmer geführt, von welchem ich die Aussicht auf einen hübschen viereckigen Grasplatz hatte, hinter welchem sich ein neues Hotel der Stadt erhob; weiter die Straße entlang, sah ich das Haus des Doktors mit einer farbigen Laterne daran, und nicht weit davon, das des Bankiers mit einfacher Laterne, außerdem erblickte ich noch einige Privatgebäude und die Wohnungen der verschiedenen Handwerker des Ortes. Als ich eben über die verschiedenen Häuser Betrachtungen anstellen wollte, hörte ich eine kreischende unangenehme Stimme hinter mir, welche rief: »Nun, mein Herr Maler, nennen Sie das an die Arbeit gehen? Wo sind die Pinsel, der Farbendkasten und alles Übrige, was Sie zum Malen benötigen? Mein Name ist Boxsious und ich bin hier um Ihnen die Sitzung zu meinem Bilde zu gewähren!« —

Ich drehte mich um und erblickte einen kleinen krummbeinigen Mann, der die Hände in den Hosentaschen hielt. Er hatte hellgraue Augen mit geröteten Lidern und sein Haar war bereits ergraut, sein Gesicht war außergewöhnlich rot, sein Blick zeigte Unverschämtheit und Klugheit.

Als ich ihn betrachtet hatte, sagte ich mir, erstlich dass dieses kleine Männchen kein besonders günstiger Gegenstand für die Begeisterung eines Malers sei und zweitens, wie unverschämt er auch immer sein würde, wollte ich meiner Würde doch nichts vergeben.

»Ich werde gleich bereit sein!« erwiderte ich kurz.

»Fertig? – gleich?« – wiederholte mein Kunde, »wie meinen Sie das, Herr Maler? Ich bin nun bereit! Welchen Contract haben Sie mit dem Rat der Stadt abgeschlossen? Wer hat subscribirt für das Bild? Und, wo ist denn nun mein Contract? Da soll ich mich nun so ohne Weiteres malen lassen, ohne Contract, ohne irgend eine Garantie, ohne alle Logik des Gesetzes. Doch halt! Lassen Sie mich Ihre Farben sehen! Sind es auch die besten, die es gibt? Ich warne Sie, Herr, es wäre als Contractbruch zu betrachten! Und Ihre Pinsel? Nun, warum denn alte? Die Stadt bezahlt Ihnen doch die Arbeit gut, warum nehmen Sie keine neuen Pinsel? So, Sie malen besser mit alten Pinseln? Das verstehe ich nicht! meine Magd reinigt die Zimmer mit neuen Besen viel besser als mit alten, und meine Schreiber schreiben besser mit neuen Federn als mit alten. Nun, Sie sehen ja aus, als wenn Sie böse auf mich wären? Sie können es ruhig sein, das ist mir ganz gleichgültig und wenn Sie auch noch böser werden, mir ist das Alles eins! Ich bin kein Jüngling, mich rührt das nicht! Ich bin Boxsious, der Rechtsanwalt, der einzige Mann in der Welt den man beschimpfen darf, versuchen Sie nur, wenn’s beliebt!«

Dann schüttelte sich der kleine Mann und ging ans Fenster. Ich wusste nicht, was ich von diesen sonderbaren Äußerungen halten sollte. Waren sie Scherz oder Ernst? Ich nahm einen etwas strengen Blick an und bereitete mich zum Malen vor.

»Kommen Sie nur her!« rief mein Männchen von dem Fenster aus, »sehen Sie dort den dicken Mann mit der Schnupftabacksnase auf der Straße schlendern? Das ist mein Lieblings-Feind Dunball. Er hat zehn Jahre hindurch mit mir gestritten und er hat mich doch nicht aus meiner Langmut und meinem Wohlwollen für ihn heraus bringen können. Sehen Sie nur wie finster er mich ansieht; ich aber lache und nicke ihm freundlich zu: »Guten Morgen, guten Morgen, Mister Dunball!« rief der Kleine, und zu mir gewendet sagte er dann: »sehen Sie nur wie er den Kopf zurück wirft, er bläht sich stolz auf als wäre er noch viermal so dick als er wirklich ist. Ärgerlich und stolz geht er weiter! Dieser Mensch kämpft nun schon wie gesagt, zehn Jahre gegen meine Liebenswürdigkeit und reibt sich dabei auf; sollte er einmal plötzlich sterben, so werde ich die unschuldige Ursache seines Todes sein.«

Mister Boxsious unterstützte seine fatale Prophezeiung mit fortwährendem Nicken und Lachen aus dem Fenster, während das unglückliche Opfer seiner Bosheit so schnell als möglich vorüber schritt. Als er seinen Lieblingsfeind aus dem Gesichte verloren hatte, lief er einige Male das Zimmer auf und ab, während ich meine Leinwand auf der Staffelei befestigte und gerade als ich ihn bitten wollte, sich nun zur Sitzung zu bequemen, schrie er: »Nun, nun, mein Herr Maler, im Interesse Ihrer Arbeitgeber, des Rates der Stadt, frage ich Sie, wann werden Sie sich endlich an die Arbeit machen?«

»Sie erlauben mir wohl, Mister Boxsious,« hob ich an, »Sie im Interesse des Rates der Stadt zu fragen, wann Sie Ihre Spaziergänge durch das Zimmer « aufgeben und sich niedersetzen werden, damit ich Sie malen kann?«

»Ah gut gegeben, verteufelt gut!« erwiderte Mister Boxsious, »das ist das erste vernünftige Wort, welches Sie seit Ihrer Ankunft gesprochen haben, ich fange schon an Sie zu lieben!« Dann nickte er mir freundlich zu und ging zu dem hohen Sessel, welchen ich ihm zu der Sitzung hingestellt hatte.

 

Nachdem ich ihn so gesetzt, wie ich ihn aufnehmen wollte, bestand er darauf en face gemalt zu werden, weil der Magistrat auf diese Weise mehr für sein Geld haben würde. Dann fragte er mich, ob ich mehr so gute Aufträge habe als diesen. »Ach nein,« erwiderte ich, »ich würde bald ein armer Mann sein, wenn ich alle Gemälde in Lebensgröße ausführen müsste«

»Sie arm?« entgegnete er, »nun, das sieht man Ihnen gerade nicht an! Ihr Rock ist nicht zerrissen, Ihr Hemd ist rein und Ihr Kinn ist glatt und sorgfältig rasiert Sie haben das Aussehen eines Menschen, der in einem ordentlichen Bette schläft und nicht hungert. – Mir dürfen Sie keine Possen von Ihrer Armut aufbinden wollen. Ich weiß, wie die Armut beschaffen ist; arme Menschen haben das Aussehen einer Vogelscheuche, fühlen wie eine Vogelscheuche und wünschen behandelt zu sein wie eine Vogelscheuche. Ich kann von Armut mitsprechen, denn, ich war in Ihrem Alter arm wie eine Kirchenmaus, mein Herr Künstler!«

Mit diesen Worten warf er sich so unruhig in seinem Stuhle hin und her, dass ich ihn bitten musste, still sitzen zu bleiben.

»Es muss eine sehr angenehme Rückerinnerung für Sie sein,« sagte ich, »wenn Sie an das stufenweise Fortschreiten von der Armut zu Ihrem gegenwärtigen Wohlstand denken.«

»Stufenweise? sagen Sie,« rief Mister Boxsious aus, »ich machte diesen Sprung schnell, verdammt schnell, denn ich gewann fünfhundert Pfund an einem Tage bei meinem ersten Rechtsfall.«

»Das war allerdings eine außergewöhnliche Stufe des Fortschritts! Hätten Sie nicht Lust mir etwas aus Ihrem interessanten Leben mitzuteilen, ich würde Ihnen sehr dankbar dafür sein.«

»Ja, sehr gern, aber da müsste ich Sie doch erst im Interesse des Rates der Stadt fragen, ob Sie auch eben so ungestört malen können, wenn ich spreche, damit das Gemälde darunter keinen Schaden erleide,« fragte er.

»Im Gegenteil,« versicherte ich ihm, »ich kann viel besser malen, wenn Sie mir eine interessante Geschichte erzählen.«

»Was,« rief er aus, »ich soll Ihnen eine Geschichte erzählen? Das verstehe ich nicht, aber einen Bericht will ich Ihnen erstatten, wenn es gefällig ist!

Ich war glücklich als ich sah, wie sich der kleine Mann ruhig in seinen Stuhl zurecht setzte, bevor er zu erzählen anfing. Seine sonderbare Art und Weise machte einen solchen Eindruck auf mich, dass ich mich noch genau fast jedes seiner Worte erinnere, und ich werde ihn nun selbst seine Geschichte dem Leser erzählen lassen.

Ich bin während meines ganzen Lebens in keines Menschen Diensten gewesen, denn ich etablierte mich gleich, nachdem ich das Recht hatte zu praktizieren in einer Provinzialstadt. Ich besaß ein kleines Kapital meine Bekannte dagegen waren nur arme Leute; der eine von ihnen machte jedoch eine Ausnahme davon, dieser war der Sohn eines Mister Gatliffe, welcher der stolzeste und reichste Mann in jener Gegend war. —

»Doch, hören Sie auf mit dem Malen, denn Sie werden etwas an mir verderben; Malen und Zuhören, das geht nicht gut!«

»Ja, ja!« versicherte ich.

»Nun, Sie müssen nicht etwa glauben,« fuhr mein Nachbar fort, »dass ich Ihnen den wahren Namen jenes Mannes sagte; nein, so bloß stelle ich Niemand! Ich nannte Ihnen den ersten besten Namen, der mir über die Lippen kam. Mein Freund, der Sohn dieses Mannes, hieß Frank Gatliffe, war sehr intim mit mir und empfahl mich, wo er nur konnte. Dafür lieh ich ihm zuweilen kleine Summen – gegen geringe Zinsen – damit er nicht in die Hände der Juden fallen sollte. Dieses Geld lieh ich Mister Frank, während er auf dem College war. Als er nach Hause zurückkehrte, hatte er das Unglück sich in die Gouvernante seiner Schwester zu verlieben und er beabsichtigte auch, sie zu heiraten, so erzählte man wenigstens in der Nachbarschaft. – Sie wünschen den Namen der Dame zu wissen, nicht wahr, Herr Künstler? Nun, gefällt Ihnen »Schmidt?« —

Ich suchte Mister Frank auf er erzählte mir, dass er wirklich die Absicht habe seinen »teuren Liebling« zu heiraten, wie er das Mädchen nannte. Als der Sohn dem Vater die Absichten mitteilte, die er vor hatte, nahm die Sache den gewöhnlichen Verlauf, der Vater sagte »Nein«, wo der Sohn ein »Ja« verlangte. Die Gouvernante wurde mit einem Geschenk verabschiedet und es trat nun die Frage auf, was jetzt mit dem Sohn zu tun sei. Der junge Mann suchte seine Geliebte in London auf, die dort bei einer Tante Wohnung genommen hatte; allein diese Verwandte wollte es nicht erlauben, dass der junge Mann ohne die Erlaubnis seines Vaters bei ihr erscheine.

Darauf schrieb Frank seinem Vater, dass er ihn entweder das Mädchen heiraten lasse oder er würde sich eine Kugel durch den Kopf jagen.

Da wurde denn Familienrat gehalten und Vater, Mutter und Schwester erschienen schleunigst in London und – statt des noch fest beabsichtigten »Nein«, sagte der Alte endlich doch »Ja.«

Die Gouvernante war übrigens aus guter Familie; ihr Vater in der Armee, wurde dann Weinhändler, wurde bankrott und starb; seine Frau folgte ihm bald ins Grab nach. Es war also Niemand weiter um Erlaubnis zu fragen, als jene alte Tante, die in berechneter Vorsicht dem jungen Liebhaber die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Man einigte sich bald und der Hochzeitstag wurde festgesetzt und in den Zeitungen las man die Anzeige, mit einer umständlichen Biographie des Vaters der Braut; dass er zuletzt, nachdem er den Militärdienst verlassen hatte, Weinhändler gewesen, davon stand kein Wort darin. —

Eines Tages begegnete mir Frank und führte mich bei seiner zukünftigen Frau ein. Unterwegs fragte er mich, ob ich ihn nicht für einen sehr glücklichen Menschen halte. Ich bejahte die Frage natürlich und bestätigte dieselbe noch mehr, nachdem ich das bildhübsche junge Mädchen gesehen hatte. Ihre Wangen waren rosenrot, ihre Lippen frisch, kurz, sie war sehr hübsch! Jetzt hat sie eine ziemlich große Familie, ihre Wangen sind fetter geworden, ihr Teint dunkler, seit jener Zeit, das versteht sich von selbst! —

Die Hochzeit fand an einem Mittwoch statt. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an das Jahr und den Monat. Am Montage zuvor saß ich des Morgens früh in meinem Arbeitszimmer, als Mister Frank, bleich wie der Tod, zu mir ins Zimmer stürzte und sagte, dass er unverzüglich meiner Dienste bedürfe.

»Es ist dies also ein Geschäftsbesuch, Mister Frank?« fragte ich. »Ja oder nein, Mister?« fragte ich und nahm mein Federmesser zur Hand und spielte mit demselben.

»Ja, mein Lieber,« antwortete er, »ich bedarf Deiner Freundschaft jetzt in einer geschäftlichen Angelegenheit.«

»Nun, sage mir doch in kurzen Worten, was Du eigentlich von mir willst?« drängte ich ihn. »Wenn Du Dich übrigens am Mittwoch verheiraten willst, so begreife ich nicht recht, wo Du jetzt so viel überflüssige Zeit her nimmst,« setzte ich noch hinzu. Er nickte mir stumm zu, und ich stach ihn ein wenig mit dem Messer, um ihn von seiner Sentimentalität aufzurütteln.

»So höre denn,« sagte er. »Meine Braut hat mir Etwas aus dem Leben ihres Vaters anvertraut; weil sie vor ihrem künftigen Mann kein Geheimnis haben will.« Dann schwieg Frank wieder, und ich fing wieder an, ihn mit meinem Federmesser zum Fortfahren zu ermuntern.

»Meine Braut,« sagte Frank, »behauptet, ihres Vaters Unglück hat mit dem Austritt aus der Armee begonnen; denn er hatte keine Geschäftskenntnisse, sein Buchhalter betrog ihn, und gleich vom Anfange an ging das Geschäft rückwärts.«

»Wie hieß der Buchhalter?« fragte ich. – »Davager,« lautete die Antwort, die ich gleich notierte – »Das Geschäft ging immer schlechter; Entehrung und Bankrott standen vor der Tür, und in diesen verzweiflungsvollen Verhältnissen —« Mister Frank zögerte.