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Antonia

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Während der Patrizier noch mit seinem Pergarmente beschäftigt war, fand zwischen zwei in seiner Nähe befindlichen Damen folgendes flüsternde Gespräch statt.

»Sage mir, Camilla,« sprach die Aelteste und Stattlichste von den Beiden, »wer ist der so mit dem Dichten beschäftigte Höfling? Ich habe, wer weiß, wie viele Male versucht, seinen Blicken zu begegnen, aber der Mann sieht auf nichts als seine Pergamentrolle oder die Ecken des Zimmers.«

»Wie, bist Du in Italien so fremd, daß Du ihn nicht kennst?« antwortete Jene, ein munteres Mädchen von kleiner, zarter Gestalt, welches sich mit der ausdauerndsten Unruhe auf seinem Lager umher bewegte und außer Stande zu sein schien, irgend einem von den Gegenständen um sie hier auch nur einen Augenblick unverwandter Aufmerksamkeit zu schenken. Bei allen heiligen Märtyrern und Reliquien meines Onkels, des Bischofs!

»Pst! Du darfst nicht schwören.«

»Nicht schwören? – ei, ich bin mit einer neuen Sammlung von Schwüren, ausschließlich zum Gebrauch für Damen beschäftigt. Ich gedenke, sie dadurch in die Mode zu bringen, daß ich sie selbst schwöre.«

»Aber beantworte doch meine Frage, ich bitte Dich darum! Kannst Du denn nie lernen, auf einmal nur von einem Gegenstande zu sprechen?«

»Deine Frage – ach Deine Frage! – war es nicht etwas über die Todten?«

»Nein nein; sie betraf den Mann, der dort so unablässig schreibt und keinen Menschen ansieht. Er macht mich fast eben so böse, wie Camilla selbst.«

»Runzle nicht so die Stirn! Der Mann, wie Du ihn nennst, ist der Senator Vetranio.«

Die Dame schrak zusammen; augenscheinlich hatte Vetranio einen weit verbreiteten Ruf.

»Ja,« fuhr die muntere Camilla fort, »das ist der talentvolle Vetranio, aber er wird bei Dir nicht in Gunst kommen, denn er schwört zuweilen – und da zu noch bei den alten Göttern, trotzdem daß es verboten ist.«

»Er ist hübsch.«

»-Hübsch! – er ist schön! Es giebt in Italien kein Frauenzimmer, das nicht nach ihm schmachten! Ich habe gehört, daß er klug sei.«

»Wer hätte das nicht? Er ist der Erfinder einiger von den berühmtesten Saucen unserer Zeit. Die Köche aller Nationen verehren ihn wie ein Orakel. Und dann schreibt er Gedichte und componirt Musikstücke und malt Bilder. Und was die Philosophie anlangt, so spricht er darüber besser als mein Oheim, der Bischof.«

»Ist er reich?«

»O, mein Onkel der Bischof! – ich muß Dir doch erzählen, wie ich Vetranio beigestanden habe, eine Satyre auf ihn zu machen. Als ich bei ihm in Rom war, pflegte ich häufig ein verschleiertes Frauenzimmer durch den Garten nach seinem Studierzimmer führen zu sehen. Um ihn also in Verlegenheit zu sehen, fragte ich ihn, wer es sei, und er runzelte die Stirn und stotterte und sagte Anfangs, ich sei unehrerbietig, aber nachher erzählte er mir, daß sie eine Arianerin wäre, an deren Bekehrung er arbeite. Ich dachte daher, daß es hübsch sein müsse, zu sehen, wie diese Bekehrung vor sich ging, und versteckte mich hinter einen Bücherschrank, aber es ist ein tiefes Geheimniß und ich theile Dir es nur im Vertrauen mit.«

»Ich sehne mich nicht danach, es zu wissen; erzähle mir lieber etwas von Vetranio.«

»Wie boshaft Du bist! O, ich werde nie vergessen, wie wir lachten, als ich Vetranio das; was ich gesehen, erzählte. Er nahm sein Schreibzeug und machte augenblicklich die Satyre. Am folgenden Tage hörte sie ganz Rom. Mein Oheim konnte vor Grimm kein Wort sprechen! Ich glaube, daß er mich in Verdacht hatte, aber er gab es auf, die arianische Dame zu bekehren und —«

»Ich frage Dich nochmals, ist Vetranio reich?«

»Halb Sicilien gehört ihm. Er hat ungeheure Güter in Afrika, Olivenfelder in Syrien und Kornfelder in Gallien. Ich war bei einem Feste zugegen, welches er einst auf seiner Villa in Sicilien gab. Er rüstete eines von seinen Schiffen naeh den Beschreibungen aus, welche man von Cleopatra Galeere besitzt und ließ seine Sklaven als dienende Tritonen hinter uns herspringen. O es war prächtig!«

»Ich möchte ihn doch kennen.«

»Du solltest nur seine Katzen sehen! Er hat in seiner Villa eine wahre Legion von ihnen. Zwölf Sklaven haben nur die Pflicht, ihnen aufzuwarten. Er ist katzentoll und behauptet, daß die alten Aegypter recht gehabt hätten, sie anzubeten. Er erzählte mir gestern, daß er seine größte Katze, wenn sie stürbe, den Christen zum Trotz heilig sprechen will. Und dann ist er so gütig gegen seine Sklaven. Sie werden nie gegeißelt oder bestraft, außer wenn sie sich nachlässig halten oder entstellen, denn Vetranio duldet nichts Häßliches oder Schmutziges in seiner Nähe. Du mußt seinen Speisesaal in Rom sehen. Er ist die Vollkommenheit selbst.«

»Aber warum ist er hier?«

»Er ist mit einem geheimen Auftrage von den Senate nach Ravenna gekommen und hat eine seltene Zucht von Hühnern für unsern Dummen —«

»Pst, man könnte Dich hören.«

»Nun für unsern klugen Kaiser mitgebracht. O! der Palast ist so lustig gewesen, seit er sich hier befindet.«

In diesem Augenblick wurde obiges Gespräch, vor dessen Frivolität die universell gebildeten Leser unserer Zeit, wie wir fürchten, mit Verachtung zurückschrecken werden, von einer Bewegung des Helden desselben unterbrochen, welche bewies, daß seine Beschäftigung beendigt war.

Vetranio rollte mit der absichtlichen Langsamkeit eines Mannes, welcher es verschmäht, sich durch irgend eine Angelegenheit auf Erden aus seinem gewöhnlichen Gange bringen zu lassen, das jetzt vollgeschriebene Pergament zusammen, steckte es in seine Brust und gab einem Sklaven, der mit einem Obstteller an ihm vorüberging, ein Zeichen.

Der Sklave begab sich nach Empfang seines Auftrages an die Thür des Gemaches, winkte einem vor demselben stehenden Manne und forderte ihn auf, sich an Vetranio’s Ruhebett zu begeben.

Dieses Individuum eilte augenblicklich durch den Saal nach dem Fenster hin, wo ihn der elegante Römer erwartete. Es bedarf nicht der mindesten Beschreibung von ihm, denn er gehörte zu einer Klasse, mit welcher die neuesten Zeiten eben so bekannt sind, wie die ältesten – einer Klasse, die alle Veränderungen der Nationen und Sitten überlebt hat – einer Klasse, die mit dem ersten Reichen auf die Welt gekommen ist und erst mit dem letzten aussterben wird – mit einem Worte, es war ein Schmarozer.

Er besaß jedoch einen großen Vorzug im Verhältniß zu seinen modernen Nachfolgern. Zu seiner Zeit war die Schmeichelei ein Geschäft – in der unsern ist sie zu einer Beschäftigung herabgesunken.

»Ich werde heute Abend Ravenna verlassen,« sagte Vetranio.

Der Schmarozer machte drei tiefe Verbeugungen und lächelte entzückt.

»Du wirst bestellen, daß mein Reisewagen eine Stunde vor Sonnenuntergang an dem Palastthore hält.«

Der Schmarozer erklärte, daß er die Ehre des Auftrags nie vergessen werde,und verließ den Saal.

Die muntere Camilla, welche Vetranio’s Befehl gehört hatte, sprang von ihrem Ruhebette auf, sobald der Schmarozer den Rücken gewendet, lief zu dem Senator hin und begann ihm Vorwürfe über den so eben ausgesprochenen Entschluß zu machen.

»Machst Du Dir kein Gewissen daraus, mich in diesem langweiligen, abscheulichen Palaste zu lassen, um Deine mäßige Laune, nach Rom zugehen, zu befriedigen?« sagte sie schmollend und mit einer Locke des dunkelbraunen Haares spielend, welche sich über Vetranio’s Stirn kräuselt.«

»Besitzt der Senator Vetranio so geringe Zuneigung für seine Freunde, daß er sie den Gothen zur beliebigen Verfügung zurückläßt?« fragte eine andere Dame, die lächelnd zu Camilla trat.

»Ach, die Gothen!« rief Vetranio zu der, welche zuletzt gesprochen hatte, gewendet. »Sage mir, Julia, heißt es nicht, daß die Barbaren wirklich nach Italien marschiren?«

»Alle Welt hat davon gehört. Der Kaiser ist über das Gerücht so fassungslos, daß er verboten hat, vor ihm selbst den Namen der Gothen wieder zu erwähnen.«

»Ich meinestheils,« fuhr Vetranio fort, indem er Camilla zu sich zog und scherzhaft ihre kleine Grübchenhand tätschelte; »ich befinde mich in eifriger Erwartung der Gothen, denn ich habe eine Minervenstatue im Sinne, für die ich kein besseres Modell finden kann, als ein Weib jener Nation von Störenfrieden. Ich habe ans guter Quelle erfahren, daß ihr Gliederbau kolossal und ihr Anstandsgefühl unter der Disciplin des Geldbeutels höchst gehorsam und lenkbar sei.«

»Wenn die Gothen Dir ein Modell für irgend etwas liefern,« sagte ein Höfling, welcher sich, während Vetranio sprach, der Gruppe angeschlossen hatte, »so wird es eine Vorstellung von dem Brande Deines Palastes sein, die aus dem unerschöpflichen Quell Deiner Wunden in Blut malen kannst.«

Das Individuum, welches die letzte Bemerkung aussprach, zeichnete sich unter dem glänzenden Kreise durch seine ausnehmende Höflichkeit aus. Von seinen persönlichen Nachtheilen und denn Verlust seines ganzen Vermögens am Spieltisch dazu angetrieben, hatte er in der letzten Zeit eine Rolle zu spielen begonnen, deren Eigenthümlichkeiten ihn durch ihre unangenehme Originalität in jenem frivolen Zeitalter vor Vergessenheit oder Verachtung bewahrten; er war ein cynischer Philosoph.

Seine Bemerkung brachte auf seine Zuhörer jedoch keine weitere Wirkung hervor, als daß deren Heiterkeit erregte. Vetranio lachte, Camilla lachte, Julia lachte. Die Idee, daß eine Bande von Barbaren je im Stande sein könne, einen römischen Palast zu verbrennen, war zu ungeheuer lächerlich für den ungeheuern Ernst Aller und als die Worte in andern Theilen des Saales wiederholt wurden, lachte, trotz seiner Langeweile und Mattigkeit, per ganze Hof.

»Ich weiß nicht, weshalb ich mich über den Unsinn« dieses Menschen belustige,« sagte Camilla beim Ausbruch eines höchst anziehenden Lächelns plötzlich ernsthaft werdend, »während ich beim Gedanken an Vetranio’s Abwesenheit- so betrübt bin. Was wird aus mir werden, wenn er fort ist. Ach, wer wird noch im Pa1aste Gedichte über meine Schönheit und Lieder für meine Laute schreiben? wer wird mich als Venus malen und mir Geschichten über die alten Aegypter und ihre Katzen erzählen? wer wird mir beim Festmahle Anweisungen geben, welche Gerichte ich wählen und welche ich verwerfen soll? Wer« – und die arme kleine Camilla hielt plötzlich in ihrer Aufzählung der Freuden, die sie verlieren würde, inne und schien auf dem Punkte zu stehen, eben so kläglich zu weinen, wie sie, kaum einen Augenblick vorher, entzückt gelacht hatte.

 

Vetranio war gerührt – nicht über das Compliment, welches seinen intellectuellen Fähigkeiten gemacht wurde, sondern durch das Geständnis? seiner Feinzüngler-Vorzüge als Führer beim Festmahl, welches in dem letzten Theile der Vorstellungen Camilla’s enthalten war.

Dem weiblichen Geschlechte fehlte es damals, wie noch jetzt, an gastronomischem Enthusiasmus. Es war daher ein vollkommener Triumph für ihn, die jüngste und schönste von den Hofdamen zu der Wissenschaft bekehrt zu haben.

»Wenn sie Urlaub erhalten kann,« antwortete der geschmeichelte Senator, »so soll mich Camilla nach Rom begleiten, und dort bei der ersten Feier meiner neuesten Entdeckung einer Nachtigallensauce zugegen sein.«

Camilla war entzückt. Sie faßte Vetranio’s Wangen mit ihren rosigen kleinen Fingern, küßte ihn mit dem Enthusiasmus eines Kindes, über ein neues Spielzeug und schoß munter davon, um sich zur Abreise vorzubereiten.

»Vetranio würde besser thun,« höhnte der Cyniker, »wenn er sich mit der Erfindung neuer Salben für künftige Wunden, statt mit den neuen Saucen für künftige Nachtigallen beschäftige. Sein Leichnam wird von gothischen Schwertern zum Mahle für die Würmer zerlegt werden, ehe seine Vögel an römischen Bratspießen stecken, um ein Mahl für seine Gäste abzugeben. Ist dies eine Zeit, um Bildsäulen auszuhauen und Saucen zu brauen? Pfui über die Senatoren, die sich solchen Beschäftigungen hingeben, wie Vetranio.«

»Ich habe andere Pläne,« antwortete der Gegenstand dieser moralischen Entrüstung, indem er mit beleidigender Gleichgültigkeit in das abstoßende Gesicht des Cynikers blickte, »und sie müssen wegen ihrer unermeßlichen Wichtigkeit für die Welt allgemeinen Beifall finden. Die so eben von mir beendigte Arbeit bildet das erste einer Reihe von drei Projekten, die ich seit einiger Zeit schon im Auge habe. Das erste ist eine Analyse der neuen Priesterschaft, das zweite eine treffende Vorstellung der Venus sowohl durch die Malerei, wie durch die Skulptur, das dritte eine Erfindung eines bisher unentdeckten Gegenstandes, einer Nachtigallensauce. Die unerforschliche Weisheit des Schicksals hat es gewollt, daß der letzte von den Gegenständen, die ich mir vorgenommen habe, zuerst in’s Werk gesetzt worden ist. Die Sauce ist erfunden, und ich habe so eben auf diesem Pergament die Ode beendigt, welche sie auf meinem Tische einführen wird.

Meine nächste Arbeit wird die Analyse sein. Sie wird die Form einer Abhandlung annehmen, in welcher ich die Erfahrung früherer Jahre zur Basis der Prophezeihung für die Zukunft nehmen und die genaue Anzahl von weiteren Zwistigkeiten, Controversen und Zänkereien angeben werde, welche erforderlich ist, um die neue Priesterschaft in den Stand zu sehen, ihren eignen Gottesdienst zu vernichten. Ich werde durch eine genaue Berechnung das Jahr ermitteln, in welchem dieser Untergang vor sich geht, und habe als Material für mein Werk eine historische Uebersicht der christlichen Schismen und Zwistigkeiten in Rom seit den letzten hundert Jahren bei mir. Was meinen zweiten Plan, die Personification der Venus betrifft, so ist er von abschreckender Schwierigkeit. Er erfordert eine Untersuchung der Frauen jeder Nation des Erdkreises, eine Vergleichung der relativen Vorzüge und Eigenthümlichkeiten ihrer Reize, und eine Vereinigung alles Liebenswürdigsten in der unendlichen Verschiedenartigkeit ihrer hervorragendsten Schönheiten in einer Form. Um die Ausführung dieses mühevollen Planes zu befördern, haben meine Pächter in der Heimath und meine Sklavenhändler im Auslande den Befehl erhalten, alle im Kaiserreiche geborene oder aus den Völkerschaften um dasselbe her geholten schönsten Frauen nach meiner Villa in Sicilien zu senden. Zur geeigneten Periode werde ich meine Untersuchungen, ohne mich von Schwierigkeiten schrecken zu lassen und zum Erfolge entschlossen, beginnen. Die echte Venus ist noch nicht verkörpvert worden. Wie köstlich wird mein Triumph sein, wenn ich diese Aufgabe ausführe. Mein Werk wird der Altar sein, auf welchem Tausende die sanftesten Empfindungen ihrer Herzen darbringen. Es wird die eingekerkerte Einbildungskraft der Jugend erfreuen und die verbleichenden Erinnerungen des Altars wieder auffrischen.«

Vetranio schwieg. Der Cyniker hatte vor Entrüstung die Sprache verloren. Ein einzelner Eiferer für die Kirche, welcher sich zufällig in der Nähe befand, runzelte, über die Analyse, die Stirn. Die Damen kicherten über die Versinnlichung, die Feinschmecker freuten sich auf die Nachtigallensauce, aber in den ersten Minuten sprach Niemand. Während dieser vorübergehenden Verlegenheit flüsterte Vetranio einige Worte in Juliens Ohr, und verließ, als sich der Cyniker eben hinlänglich gefaßt hatte, um ihm eine Erwiderung zu geben, von der Dame begleitet, das Zimmer.

p>Der Geschichtsforscher wird bemerken, daß es in den meisten älteren wie neuern Perioden der Welt eine gewisse Klasse von Menschen gegeben hat, bei deren Erschaffung es ein Hauptzweck gewesen zu sein scheint, der Nachwelt das auffallendste und vollkommenste Beispiel von dem Einflusse des Zeitalters auf das Individuum zu gewähren. Zu einer solchen Klasse gehörte der Senator Vetranio. Unter der dünnen Decke der absichtlich kleinlichen, mühsam an den Tag gelegten Entartung lag ein mächtiger, tiefer Verstand verborgen, dessen rechtmäßigen Wünschen in jenen entarteten Zeiten nicht entsprochen und die daher durch die Entbehrung vernichtet oder zum Gefallen an der intellectuellen Verkappung der Zeit irre geleitet wurden. Mehr denkend als thätigkeitsliebend, mehr nachahmend als schöpferisch, für den Widerstand zu nachgiebig und für die Einsamkeit zu gesellig, war seine Seele keine von denjenigen, welche ihre Bedürfnisse aus sich befriedigen können, die von der äußern Welt weder Begeisterung noch Sympathie verlangen und die sich ihrer erhabenen Einsamkeit in der von ihrem eignen unfruchtbaren Begehren ererbten oder durch ihre eignen unwillkommenen Thaten erzeugten Wüste freuen.

Gleich einem Binnensee, lag sein Geist in sich selbst ruhig unter den äußern Einflüssen da, die allein ihn zur That antreiben oder zur Großartigkeit anspornen konnten. Aber der Sturm gewaltiger Thaten oder großer Beispiele trieb ihn zu jener erbärmlichen Zeit nie an, seine verborgenen Schätze an das Tageslicht herauf zu werfen, regte ihn nie bis in seine innersten Tiefen auf. Auch, über seine träge Oberfläche spielte nur das Lüftchen der Ueppigkeit hin, auf ihr erhob sich nur das winzige Wellchen kleiner Fertigkeiten und so fand dieser von dem entarteten Einfluß seines Alters intellectuell verkrüppelte Mann, der zu andern Zeiten vielleicht die Geschicke eines Reiches gelenkt haben würde, in der seinen keine glänzendere Auszeichnung, als die Herrschaft über Spaßmacher und keinen edleren Ehrgeiz, als die erste Stelle unter Köchen.

Es hat wohl nie eine allgemeinere Beliebtheit gegeben als die Vetranio’s war. Mit einem Charakter begabt, der sich durch seine Schmiegsamkeit in alle Lagen schickte, entwaffnete seine Großmuth die Feinde, während seine Zuthunlichkeit sich Freunde erwarb. Freigebig ohne Prunk, glücklich ohne Stolz, leistete er Andern mit Anmuth Dienste und glänzte in Sicherheit. Man genoß seine Gastfreundschaft, denn man wußte, daß sie uneigennützig war, und bewunderte seine Talente, denn man fühlte, daß sie sich nicht vordrängten. Mitunter – wie in dem Gespräche mit dem Cyniker – entlockte ihm die Laune des Augenblicks, oder der Stachel eines Sarkasmus, eine Anspielung auf seinen Stand oder eine Entwickelung seiner Excentricitäten, da er aber stets der Erste war, welcher bald daraus das Gelächter über seine Hitze anregte, litt sein Ansehen als Edelmann nicht unter seiner Schwäche als Mensch. Er bewegte sich heiter und anziehend in allen Kreisen der Gesellschaft seiner Zeit und erwarb sich seine socialen Lorbeeren unter allen Klassen, ohne einen Nebenbuhler zu erwecken, der ihr Gesetz bestritten, oder sich einen Feind zu machen, der ihren Werth herabgesetzt hätte.

Und doch war die bezaubernde Herablassung, die verschwenderische Freigebigkeit, welche ihm diese beneidenswerthe Stellung in der Welt erwarb, bei einem Charakter wie der seine eher eine Notwendigkeit, wie eine Tugend. Er war gütig gegen seine Untergebenen, mehr weil er die Berührung mit den Leiden und die Befleckung mit der Unzufriedenheit haßte, als weil er geliebt zu werden wünschte, oder an der Wohlthätigkeit Freude gefunden hätte. Er war seiner Klasse ergeben, weil Streitigkeiten seiner Gemüthsart widerstanden und Eifersüchteleien die üppige Heiterkeit trübten, welche die Gewohnheit seinen Gefühlen zu einer zweiten Natur gemacht hatte. Durch seine Stellung mächtig und von unerschöpflichem Vermögen, strengte er sich aufs Höchste an, sich die Befreiung von Sorgen und Aengsten, welche die meisten Menschen als einen frommen Wunsch erhoffen, systematisch zu erlangen. Bei Andern würde sich eine so ausgedehnte Selbstsucht beständig verrathen haben, bei ihm aber nahm sie durch Reichthum geweiht und durch Scharfsinn verschleiert, die Form der Philosophie an, und der Senator wurde da als eleganter Epikuräer citirt, wo der Plebejer als herzloser Egoist gebrandmarkt worden sein würde.

Nach dem Verlassen des Wartesaals stiegen Vetranio und Julia die Palasttreppe hinab und gingen in den Garten des Kaisers. Dieser gewöhnlich als Abendspaziergang benutzte Platz war jetzt menschenleer und nur die wenigen mit der Pflege der Blumenbeete und dem Begießen der glatten schattigen Rasenplätze beschäftigten Bediensteten darin vorhanden. Sie traten in eine von den abgelegensten von den zahlreichen Lauben unter den Bäumen, wo Vetranio seine Gefährtin auf einem Sitze Platz zunehmen winkte und sie dann ohne weitere Einleitung in folgenden Worten anredete:

»Ich habe gehört, daß Du im Begriffe ´seist nach Rom abzureisen – ist es wahr?«

Er stellte ihr diese Frage mit leiser Stimme und einem Wesen, dessen Ernst in seltsamem Widerspruche mit der flüchtigen Munterkeit war, welche ihn vor wenigen Augenblicken noch unter den Edeln des Hofes charakterisirt hatte. Als ihm Julia bejahend antwortete, drückte sein Gesicht die lebhafteste Freude aus; er setzte sich an ihre Seite und sprach weiter:

»Wenn ich glaubte, daß Du längere Zeit in der Stadt zu verweilen gedächtest, so würde ich es wagen, Deine Freundschaft von Neuem auf die Probe zu stellen, indem ich Dich bäte, mir Deine kleine Villa bei Aricia zu leihen!«

»Du kannst einen Befehl an meinen Verwalter, Dir Alles, was dort ist, zur unumschränkten Verfügung zu stellen, mit nach Rom nehmen.«

»Meine großmüthige Julia. Du gehörst zu den wenigen Begabten die wirklich eine Gefälligkeit zu erweisen wissen. Eine Andere würde mich gefragt haben, wozu ich die Villa brauchte. Du gibst sie rückhaltslos. Eine so zarte Abneigung, in ein Geheimniß zu dringen, erinnert mich daran, daß dies Geheimniß jetzt auch das Deine sein muß.«

Um die ruhige Vertraulichkeit zu erklären, welche zwischen Vetranio und Julia bestand, ist es nöthig; dem Leser mitzutheilen, daß die Dame, wenn auch noch von anziehendem Aeußern, doch in dem Alter stand, wo sie eher über ihre vergangenen Eroberungen nachdenken, als auf künftige sinnen durfte. Sie hatte ihren extentrischen Gefährten seit seiner Knabenzeit gekannt, war einst von seinen Versen geschmeichelt worden und jetzt, wo ihre Reize verblichen, verständig genug, eben so zufrieden mit der Freundschaft des Senators zu sein, wie sie einst von der Anbetung des Jünglings entzückt gewesen war.

»Du bist zu scharfsichtig,« fuhr Vetranio nach einer kurzen Pause fort, »um nicht bereits vermuthet zu haben, daß ich Deine Villa nur dazu brauche, mich im Verbergen einer Intrigue zu unterstützen. Mein Abenteuer ist in seinen verschiedenen Einzelnheiten so eigenthümlich, daß ich mich, wenn ich meinen Palast zum Schauplatze ihrer Entwickelung machte, einer Entdeckung aussetzen würde, welche den sofortigen Umsturz aller meiner Pläne zur Folge haben könnte. Aber ich fürchte, daß, die Lange meines Geständnisses die Dauer Deiner Geduld übersteigen wird.«

»Du haft meine Neugier erregt. Ich könnte Dir ewig zuhören.«

»Kurz vor meiner Abreise von Rom nach Ravenna,« fuhr Vetranio fort, »begegnete mir ein Abenteuer der ungewöhnlichsten Art, welches meinen Geist mit der außerordentlichsten Hartnäckigkeit in Banden hält und wie ich überzeugt bin, die ungewöhnlichsten Folgen haben wird. Ich saß eines Abends im Garten meines Palastes auf dem Monte Pincio und versuchte eine neue Composition auf meiner Laute. In einer Pause der Melodie, welche sanft und klagend war, hörte ich Töne unter den Bäumen hinter mir, die dem Schluchzen eines Bekümmerten glichen. Ich blickte mich vorsichtig um und bemerkte halb im Laube verborgen, die Gestalt eines jungen Mädchens, welches mit der entzücktesten Aufmerksamkeit der Musik zu lauschen schien. Von einem solchen Zeugnisse meiner Geschicklichkeit geschmeichelt und von dem Verlangen getrieben, meine geheimnißvolle Besucherin näher zu betrachten, schritt ich auf ihren Versteck zu, vergaß aber in meiner Eile im Lautenspiele fortzufahren. In dem Augenblicke, wo die Musik aufhörte, entdeckte sie mich und verschwand. Entschlossen sie zu sehen, schlug ich die Saiten von Neuem an und wenige Minuten darauf sah ich auch ihr weißes Gewand wieder unter den Bäumen. Ich verdoppelte meine Anstrengungem ich spielte mit dem größten Ausdrucke die rührendsten Theile der Melodie. Wie unter dem Einflusse eines Zaubers begann sie auf mich zuzukommem bald zaudernd, bald um ein paar Schritte zurückgehend bald sich halb widerstrebend, halb willig nähernd, bis sie endlich durch den langen bebenden Schluß der letzten Cadanze gänzlich besiegt, plötzlich zu mir heranlief, zu meinen Füßen niedersank und die Hände erhob, wie um meine Verzeihung zu erstehen.

 

»Ich habe nie etwas Bezaubernderes gesehen, wie sie in dieser Stellung. Ihre großen weichen von Thränen schimmernden Augen blickten wehmüthig zu meinem Gesichte auf, ihre zarten Lippen bebten, als ob sie zu sprechen wünsche, aber es nicht wage. Ihre glatten, runden Arme waren von der vollkommensten Schönheit. Obgleich sie an Jahren und Empfindungen noch ein Kind zu sein schien, glich sie an Schönheit und Gestalt doch schon einem Weibe. Ich war für den Augenblick durch das Plötzliche ihrer bittenden Bewegung zu erstaunt, um mich zu bewegen oder zu sprechen. Sobald ich meine Fassung wieder erlangt hatte, versuchte ich sie zu streicheln und zu beschwichtigen, aber sie wich vor meiner Umarmung zurück und schien mir wieder entfliehen zu wollen bis ich von Neuem die Saiten der Laute berührte, und dann stieß sie einen leisen Ruf des Entzückens aus, schmiegte sich dicht an mich und blickte mit einem so seltsamen Gemisch von Anbetung und Entzücken in mein Gesicht, daß ich Dir bekennen muß, Julia, daß ich vor, ihr so schüchtern wie ein Knabe war.

»Die Laute- war mein einziges Mittel in Verkehr mit ihr zu treten. Wenn ich zu spielen aufhörte, so waren wir einander fremd, wenn ich wieder anfing, so waren wir Freunde. Ich milderte daher die Töne des Instruments, während sie mit leiser bebender, wohlklingender Stimme zu mir sprach, fuhr aber zu spielen fort.

»Auf diese Weise entdeckte ich bei unserm ersten Zusammentreffen, daß sie die Tochter eines gewissen Numerian war, auf dem Punkte stand, ihr vierzehntes Jahr zu vollenden und Antonina hieß. Es war mir erst gelungen, Umrisse ihrer Geschichte zu erlangen, als sie sich wie, von einer plötzlichen Befürchtung ergriffen, mit einem Blicke des äußersten Schreckens von mir loßriß, mich anflehte, ihr nicht zu folgen, wenn ich sie je wieder zu sehen wünsche und schnell unter den Bäumen verschwand.

»Am folgenden Abend, besuchte ich den Gartenhain wieder und sobald ich die Saiten angeschlagen hatte, näherte sie sich mir auch wie von einem Zauber angelockt. Bei diesem zweiten Besuche erfuhr ich den Grund ihres geheimnißvollen Erscheinens und Scheidens. Ihr Vater gehörte, wie sie mir sagte, zu einer neuen Sekte, die sich aus welchem Grunde, vermag man nicht zu begreifen – einbildet, daß sie sich ihrer Gottheit dadurch empfiehlt, wenn sie ihr Leben zu einer ewigen Runde von Körperleiden und Geistesqual macht. – Der Tyrann begnügte sich nicht damit, alle seine eignen Gefühle und Fähigkeiten zu entstellen, sondern übte, auch an dem armen Kinde seine unvernünftige Strenge.

»Er verbot seiner Tochter in ein Theater zu treten, eine Bildhauerarbeit anzusehen, Gedichte zu lesen, Musik anzuhören. Er ließe sie lange Gebete auswendig lernen und endlosen Predigten beiwohnen. Er gestattete ihr keine Gespielen von ihrem Alter nicht einmal Mädchen wie sie selbst. Die einzige Zerstreuung, welche sie erlangen konnte, war die mit dem größten Widerwillen und Tadel gewährte Erlaubniß, einen kleinen Garten anzubauen, der zu dem Hause, in welchem sie wohnten, gehörte und an einem Punkte an die Haine um meinen Palast grenzte. Während sie dort mit der Pflege ihrer Blumen beschäftigt war, hatte sie zuerst die Klänge meiner Laute gehört. Mehrere Monate, ehe ich sie entdeckte, war sie schon gewohnt gewesen, die ihren Garten umgrenzenden Mauern zu erklimmen und sich unter den Bäumen zu verbergen, um der Musik zu lauschen, wenn ihr Vater durch seine Geschäfte auswärts gerufen wurde. Sie war dabei von einem alten Manne entdeckt worden, der den Auftrag hatte, sie in Abwesenheit seines Herrn zu bewachen. Der Diener hatte jedoch, als er ihr Geständnis hörte, nicht nur versprochen, ihr Geheimniß zu bewahren, sondern ihr auch gestattet, ihre Besuche in meinem Haine fortzusetzen, wenn ich dort auf der Laute spielte. Das Räthselhafteste an der Sache ist aber das, daß das Mädchen, trotz seiner Strenge gegen sie, große Neigung zu ihrem mürrischen Vater zu besitzen schien, denn wenn ich ihr anbot, sie aus seinen Banden zu befreien, so erklärte sie, daß sie nichts bewegen könne, ihn zu verlassen, nicht einmal das Vergnügen, unter schönen Gemälden zu leben und zu jeder Stunde des Tages schöne Musik zu hören. Ich sehe aber, daß ich Dich langweile und überdies zeigt mir die Länge der Schatten, daß es Zeit zu meiner Abreise ist. Ich will daher von meinen ersten Zusammenkünften mit Antonina zu den Folgen übergehen, welche dieselben gehabt hatten, als ich meine Reise nach Ravenna antrat.

»Du wirst Dir leicht vorstellen, Julia, daß die seltsame Lage dieses Mädchens und die Originalität ihrer Ideen sie für mich mit einer Anziehungskraft bekleideten, welche die Reize ihrer Person und Jugend ungemein erhöhten. Sie entzückte meine Dichterkräfte eben so sehr, wie sie meine Mannesgefühle entzündete und ich beschloß, sie durch Anwendung jedes Kunstgriffes, den mir mein Scharfsinn eingehen konnte, aus dem tyrannischen Schutze ihres Vaters zu locken. Ich begann ihr selbst das Talent, welches sie bei einem andern so angezogen hatte, ausüben zu lehren. Durch die Vertraulichkeit, welche eine solche Beschäftigung auf beiden Seiten erzeugte, hoffte ich in Bezug auf Neigung von ihr eben so viel zu erlangen, als sie von mir an Geschicklichkeit erwarb. Zu meinem Erstaunen fand ich sie jedoch gegen den Lehrer fortwährend eben so gleichgültig und für die Musik eben so geneigt, wie sie bei unserer ersten Zusammenkunft erschienen war. Wenn sie mein Entgegenkommen zurückgewiesen, wenn sie dasselbe in Verwirrung gesetzt hätte, so würde ich mich in ihre Launen haben finden und die Aufmunterung der Hoffnung fühlen können, aber die Kälte, die Gleichgültigkeit, die unnatürliche, unbegreifliche Ruhe, mit welcher sie selbst meine Liebkosungen annahm, brachten mich gänzlich aus der Fassung. Es schien, als ob sie mich nur als eine sich bewegende Statue, als eine bloße wesenlose Verkörperung der Wissenschaft betrachten könne. Wenn ich sprach, so blickte sie mich kaum an. Bewegte ich mich, so bemerkte sie es fast gar nicht. Ich konnte es nicht für Widerwillen halten. Sie schien zu sanft zu sein, um ein solches Gefühl gegen irgend ein Wesen auf Erden zu nähren. Ich konnte nicht glauben, daß es Kälte sei, denn sie war voll Leben und Aufregung, wenn sie nur ein paar Musiktöne hörte. Wenn sie die Saiten des Instruments berührte, so bebte ihr ganzer Körper. Ihre, wenn sie mich anblickte, milden, ernsten und gedankenvollen Augen strahlten bald von Entzücken, bald schimmerten sie in Thränen, wenn sie der Laute zuhörte. Mit jedem Tage, an welchem sich ihre musikalische Fertigkeit vermehrte, wurde auch ihr Wesen gegen mich unerklärlicher gleichgültig. Endlich machte ich ihr, der beständigen Täuschungen, die mir zu Theil wurden, müde, und entschlossen, durch. die Erweckung ihrer Dankbarkeit einen letzten Versuch anzustellen, um ihr Herz zu rühren, ein Geschenk mit der Laute, die sie zuerst gehört und auf welcher sie jetzt spielen gelernt hatte. Ich habe nie ein menschliches Wesen verklärter entzückt gesehen, wie dieses unbegreifliche Mädchen, als sie aus meinen Händen das Instrument empfing. Sie weinte und lachte abwechselnd darüber, sie küßte es, hätschelte es und sprach zu ihm, als ob es ein lebendes Wesen wäre. Als ich mich ihr aber näherte, um den Ausdrücken der Dankbarkeit fürs das Geschenk, mit welchen sie mich überhäuft ein Ende zu machen, versteckte sie die Laute plötzlich in ihrem Gewande, als fürchte sie, daß ich sie derselben berauben würde, und eilte mir schnell aus den Augen.