Das letzte Schuljahr

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Das letzte Schuljahr
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Wilfried Baumannn

Das letzte Schuljahr

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das letzte Schuljahr

Vorwort - Die 40 Jahre der DDR

Vorwort - Die Schule in der DDR

Lehrer Müller und Prag 1968

Vorbereitungswoche - Müller macht sich seine eigenen Gedanken

Fahnenappell und Schuljahresbeginn

Wandertag - Potsdam - Stalin - Cecilienhof

Westreise in die Oktoberferien

Die elend lange Zeit von Oktober bis Weihnachten

Januar und Februar

Winterferien

Die Situation spitzt sich zu

Die zweite Westreise

Wieder zurück und Schluss mit der Schule

Freies Leben

Tag der Republik 1989

4. November - Alexanderplatz

Wendereaktionen

Wiedervereinigung

Müller wird wieder Lehrer

Der Ausgang

Abkürzungen und Anmerkung

Impressum neobooks

Das letzte Schuljahr

Ein Roman über das letzte normale

Schuljahr 1988/89 in der

Deutschen Demokratischen Republik

und die überraschenden Ereignisse

danach

von Wilfried Baumann

(begonnen 1988, beendet 2006)

1. Auflage

© Copyright 2014 Wilfried Baumann. Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Foto vom Reisemonster

Vorwort - Die 40 Jahre der DDR

Die DDR wurde am 7. Oktober 1949 gegründet und ging aus der sowjetischen Besatzungszone hervor. Die Phase vom Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 bis 1949 wurde als antifaschistisch-demokratische Umwälzung bezeichnet.

Große landwirtschaftliche und Industriebetriebe wurden im Zuge dieser Umwälzung rigoros enteignet. Die Industriebetriebe wurden Volkseigene Betriebe (VEB) und die großen landwirtschaftlichen Flächen durch die Bodenreform an arme Bauern und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten verteilt.

1952 verkündete Walter Ulbricht, der Generalsekretär der SED, den Übergang von der antifaschistisch-demokratischen Revolution zur sozialistischen Revolution.

1948 hatte der Bergmann Adolf Hennecke durch eine besondere Organisation des Arbeitsablaufs eine Sonderschicht gefahren und seine Arbeitsnorm erheblich gesteigert. Er wurde Aktivist. Die SED stellte ihn als leuchtendes Beispiel vor, da er im Sinne der Partei das Beispiel sozialistischer Arbeit darstellte. Das Aktivistenwesen wurde nun im ganzen Lande angestrebt. Das war auch mit der Erhöhung der Normen verbunden und machte das Regime verhasst. Viele gingen da lieber in den Westen. Am 17. Juni 1953, einige Zeit nach Stalins Tod, dem sowjetischen Diktator, begannen die Bauarbeiter der ersten sozialistischen Straße Berlins wegen der fast unerfüllbaren Normerhöhungen zu streiken. Sehr bald entwickelte sich daraus eine breite Protestbewegung in allen Landesteilen, und es kamen noch weitere Forderungen hinzu:

Freie Wahlen, Ende des SED-Regimes, Einheit Deutschlands, Freiheit und Demokratie. Die Volksbewegung wurde letztendlich vom sowjetischen Militär brutal zusammengeschlagen.

Die Verhafteten wurden durch Stasi und sowjetischem NKWD brutal behandelt und in oft schon vorher gefällten Urteilen zu sehr langen Zuchthausstrafen und auch zum Tode verurteilt. Die SED bezeichnete den 17. Juni 1953 zynisch als faschistischen Putschversuch.

Die radikale Veränderung des Privateigentums, willkürliche Verhaftungen, vorgefertigte Urteile über angebliche Feinde der Republik im politischen Bereich, führten zu einer Fluchtwelle in den Westen. In der Zeit der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft und des Handwerks, wo die ehemaligen Bauern ihr Land in eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) als deren zukünftige Mitglieder einbringen sollten und die Gründung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) führten wieder zu einer Massenflucht in den westlichen Teil Deutschlands.

Dazu kam die fast ins Unerträgliche gehende Verschärfung der ideologischen Bevormundung. Wer etwas gegen die SED sagte und sie kritisierte, war gegen den Frieden und damit für die westdeutschen Imperialisten. Wer es versäumte, zur Wahl zu gehen, war ebenfalls gegen den Frieden. In Klassen- und Abschlussarbeiten war es immer gut, ein Zitat von Marx, Engels, Lenin, Stalin oder einer SED-Ikone anzuführen. Die Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst, einem Machtorgan der SED, wurde immer intensiver. Es herrschte der Spruch: „Wo ein Genosse ist, da ist auch die Partei.“ Alle Errungenschaften und auch guten Maßnahmen scheiterten an dieser unsinnigen ideologischen Beeinflussung und Bevormundung. Wer da nicht mitspielte, konnte mit hohen Strafen rechnen, die oft schon vorher von irgendwelchen Parteigremien festgelegt wurden. Die SED und ihre Machtorgane wollten alles unter Kontrolle haben und über jeden wissen.

Im Juli 1958 verkündete Walter Ulbricht auf dem SED-Parteitag die Zehn Gebote der sozialistischen Moral. Viele christliche Bürger sahen darin einen Schlag gegen die Kirche. Die Gebote selbst waren im Vergleich zu den biblischen lächerlich und primitiv.

Die Grenze zur Bundesrepublik wurde unter schärfere Kontrolle gestellt, so dass hier eine Flucht immer schwieriger wurde.

In Berlin war die Flucht über die offene Grenze sehr einfach. Es genügte nur eine Fahrkarte von 20 Pfennig, um mit der S-Bahn nach Westberlin zu fahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Siegermächte Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich Berlin in Sektoren eingeteilt, die unter der Befugnis jeweils einer Macht standen. Die Sektorengebiete der USA, Frankreichs und Großbritanniens wurden Westberlin genannt. Den sowjetischen Sektor bezeichnete die SED als Demokratischen Sektor und nach 1949 als Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Die offene Grenze am Scheitelpunkt des Kalten Krieges zwischen Ost und West zog natürlich auch zahlreiche Geheimdienste an, vor denen die DDR eine wahnsinnige Angst zu haben schien. In jeder kleinen Opposition sah sie schon Agenten eines westlichen Spionagedienstes. Das führte oft zu willkürlichen Verhaftungen und hohen Zuchthausstrafen.

Zu Beginn ihrer Gründung plädierte die Regierung der DDR in ihren Proklamationen immer noch für die Einheit Deutschlands und schob die Schuld an der Teilung der Bundesrepublik zu.

Die nach dem Potsdamer Abkommen der drei Siegermächte Sowjetunion, USA und Großbritannien festgelegte deutsche Wirtschaftseinheit wurde durch die Währungsreform 1948 gebrochen.

Nun gab es in Deutschland zwei verschiedene Währungen.

Durch die Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 wurde auch die politische Teilung Deutschlands perfekt.

Die DDR erkannte kurz nach ihrer Gründung die nach dem Krieg markierte Oder-Neiße-Grenze zu Polen als endgültig an im Gegensatz zur Bundesrepublik, die eine Lösung über den Grenzverlauf 1937 verstand mit West- , Ostpreußen, Pommern und Schlesien, die nach westlichem Verständnis unter der Verwaltung Polens oder der Sowjetunion standen. 1952 bot Stalin in einer Note die Wiedervereinigung unter Bedingung der Anerkennung der Grenzversion des ostdeutschen Staates an. Das war für den Westen inakzeptabel.

1958 entschloss sich die DDR, den Farben Schwarz, Rot, Gold ein Emblem mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz beizufügen. Somit unterschied sich die Nationalfahne von der der Bundesrepublik.

Mit Hilfe des Marshallplanes konnte sich Westdeutschland bald in den 50-er Jahren von den Kriegsschäden erholen. Diese Entwicklung wurde auch als „Wirtschaftswunder“ bezeichnet.

Da der Osten diese Wirtschaftshilfe aus den USA ablehnte, weil er befürchtete, in Abhängigkeit vom amerikanischen Kapital zu geraten, konnte er mit der westlichen Entwicklung nicht standhalten.

Dagegen stellte man die Planwirtschaft. Ein Zeichen dafür war der Siebenjahresplan von 1959 bis 1965. Mit ihm wollte man das Wirtschaftsniveau des Westens erreichen und sogar überholen. Außerdem schloss man sich dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) an, der die DDR an die Wirtschaft der Länder des Ostblocks band.

 

Im Grunde genommen war das nichts anderes als die Erlangung der totalen Kontrolle über alle Bereiche der Wirtschaft. Da hatten also kapitalistische Unternehmen, private Bauernwirtschaften, Handwerksbetriebe und noch vorhandene kleinere Privatunternehmen keinen Platz und keine Berechtigung mehr.

Ende der 50-er Jahre verstärkte sich die Fluchtbewegung in den Westen enorm. Erfahrene Handwerker, Landwirte, Wissenschaftler, Facharbeiter, Lehrer und viele andere verließen die DDR.

Auch der politische und ideologische Druck führten dazu. Ein großer innenpolitischer Feind war nach Ansicht der SED die Kirche. Sie konnte man nicht marxistisch-leninistisch beeinflussen. Nach dem historischen Verständnis der vom Atheismus geprägten Partei gehörte die Religion zu den Relikten einer überholten Gesellschaftsordnung und stand der Entwicklung zum Sozialismus entgegen. Besonders die Junge Gemeinde der evangelischen Kirche wurde vielen Schikanen und Anfeindungen ausgesetzt. Ihre Mitglieder hatten große Schwierigkeiten bei der Erreichung eines Platzes an der Oberschule oder eines Studiums an einer Hochschule oder Universität. Die SED fürchtete die Religion wie die Pest. Sie war nach ihrer Auffassung gegen den Frieden gerichtet und unterstützte somit die westdeutschen Imperialisten. Diese Furcht der Partei war schon fast als neurotisch zu bezeichnen.

Dass es auch noch Menschen in diesem Staat gab, die anders dachten als sie, konnte sie nur schwer akzeptieren.

Seitdem der russische Marxist und Revolutionär Lenin den Marxismus als „allmächtig“ bezeichnete, „weil er richtig ist“, wurde diese Idee zu einer dogmatischen Lehre, ja man kann sagen, zu einer Art Ersatzreligion. Die progressive historische Entwicklung bestand nach ihrer Auffassung darin, dass eine fortschrittlichere Gesellschaftsordnung der überholten und veralteten folgte. Das sei ein historisches Gesetz. Der Urgesellschaft folgte die erste Klassengesellschaft, dann die Sklavenhaltergesellschaft, die vom Feudalismus abgelöst wurde. Der wiederum mündete durch bürgerliche Revolutionen in den Kapitalismus, in dem die Klasse geboren wurde, die dann später die historische Mission erfüllen musste, den Sozialismus aufzubauen, nämlich die Arbeiterklasse. Sie errichtet durch den Sturz der kapitalistischen Bourgeoisie dann die Diktatur des Proletariats, in der die ehemaligen Ausbeuter, die Kapitalisten und Monopolisten, ihre Macht verlieren und unter die Herrschaft der Arbeiterklasse gezwungen werden. Der Sozialismus ist die Zwischenstufe zum letztlich erstrahlenden Kommunismus, wo das produzierende Eigentum der ganzen Gesellschaft gehört und seine Produkte von allen genutzt werden können. Die Klassen verschwinden in der kommunistischen einheitlichen Gemeinschaft. Es existiert dann keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr. Kriege wird es dann auch nicht mehr geben. Der Friede und das Glück werden alles beherrschen. Der schaffende Mensch schafft sich sein Himmelreich auf Erden.

Das oberste Organ der DDR war laut Verfassung die Volkskammer. Die Fraktion der SED stellte bis 1989 die Mehrheit aller Abgeordneten. Anfang Juni 1945 erlaubte die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) im Befehl Nr. 2 die Bildung antifaschistisch-demokratischer Parteien und freier Gewerkschaften. Somit existierten in der späteren DDR mehrere Parteien, die als Blockparteien bezeichnet wurden und ebenfalls in der Volkskammer vertreten waren. Ihre Rolle im öffentlichen Leben war aber sehr beschränkt, da sie oft den Parteitagsbeschlüssen der SED zustimmten. Der Volksmund bezeichnete sie deshalb auch als Blockflöten. Zu ihrer Ehre muss erwähnt werden, dass sie bei der Gesetzgebung und auch Artikeln der Verfassung harte Formulierungen abmildern oder verhindern konnten, die Teile der Bevölkerung benachteiligt hätten. Außerdem setzte sich das Parlament aus Abgeordneten von Massenorganisationen zusammen. So konnte ein Mitglied der FDJ (kommunistischer Jugendverband der DDR) z.B. auch gleichzeitig Genosse der SED sein. Die Parteien und Massenorganisationen wurden in der Nationalen Front zusammengefasst. Sie stellte die Kandidaten für die nächsten Wahlen auf. In den Büros der Nationalen Front konnten sich die Bürger über die Partei- und Massenorganisations-Zugehörigkeit informieren, was aber die Mehrzahl der Bevölkerung nicht nutzte. Wahlkampf, wie in westlichen Demokratien, existierte nicht. Der Wahlzettel selbst enthielt nur die Namen der aufgestellten Kandidaten ohne weitere Informationen. Deshalb knifften die meisten Bürger diesen Zettel und steckten ihn in die Urne.

Staatliche Gesetze wurden in der Volkskammer beraten und beschlossen. Oftmals wurden sie sehr stark von den Parteitagsbeschlüssen der SED beeinflusst.

Bis 1960 hatte die DDR sogar einen Präsidenten: Wilhelm Pieck. Nach dessen Tod schwang sich Walter Ulbricht zum Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretär der SED empor.

Laut DDR-Propaganda war Walter Ulbricht sehr beliebt, und als er in den 50-er Jahren den Karl-Marx-Orden, die höchste Auszeichnung der DDR, erhielt, kannte die mit unerträglichem Pathos vorgetragene Lobhudelei des „Augenzeugen“, des DDR-Kinojournals keine Grenzen mehr: „Er, der Leipziger Tischlergeselle, der Schüler Liebknechts und Stalins, der Kampfgenosse Ernst Thälmanns und Wilhelm Piecks, der Schöpfer unserer Pläne, der Mann scharfen Blicks und schnellen Entschlusses, der Freund des Lebens und der Jugend, der Generalsekretär des arbeitenden Volkes, er, Genosse Walter Ulbricht.“ Die Berliner mochten ihn mit seinem Spitzbart „besonders gern“, wenn er mit seiner Fistelstimme im sächsischem Dialekt zu ihnen sprach. Schon am 17. Juni 1953 forderten die Berliner Arbeiter: „Der Spitzbart muss weg!“

Die Vergesellschaftung des handwerklichen und landwirtschaftlichen Eigentums, die ideologische und politische Bevormundung und auch das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik im Westen mit seinem reicheren Angebot an Waren und die Aussicht auf eine bessere Entlohnung für geleistete Arbeit führten zu einer sehr starken Fluchtbewegung aus der DDR.

Am 13. August 1961 wurde die Berliner Mauer errichtet. Im SED-Jargon hieß sie „antifaschistischer Schutzwall“. Besonders in Berlin und Umgebung wirkte dieses Monstrum wie ein psychischer Schock.

Von Ostberlin aus sah man zuerst die aus Beton errichtete Hinterlandsmauer. Dahinter befand sich der Grenzsignalzaun, der Anlagen zum Entdecken eines Flüchtlings installiert hatte. Wer diesen überwunden hatte, konnte mit seinen Füßen auf einer mit scharfen Nägeln gespickten Flächensperre landen und sich erheblich verletzen. An anderen Stellen waren hier auch Höckersperren, dreibeinige Stahlkonstruktionen aufgestellt. Darauf folgten die Beobachtungstürme und Führungsstellen. Eine Lichttrasse erhellte grell die Grenze nachts.

Auf dem dann folgenden Kolonnenweg fuhren die Grenzer ihre Kontrollstrecke ab. Nun folgte der Kontrollstreifen, der jeden Fußabdruck sichtbar machte und danach die KFZ-Sperre, eine Art schräglaufender Graben.

Erst jetzt kam das, was die Westberliner als Mauer bezeichneten und ein Eldorado für viele Graffiti-Sprayer war. Erst danach kam die eigentliche Grenzlinie. Die Grenzanlagen lagen alle auf dem Territorium der DDR oder Ostberlins.

Dieses Land für die Grenze musste erst einmal zur Verfügung stehen.

So verschwanden in Berlin ganze Häuserzeilen, Straßen und Kleingartenanlagen. Auch vor Kirchen und Friedhöfen machte man nicht halt. Die dort Wohnenden wurden zwangsevakuiert.

Dass die Mauer gegen die eigene Bevölkerung in der DDR gerichtet war, erkannte man am Grenzsignalzaun und den brutalen Flächensperren. Wenn sich der Staat gegen den „faschistischen“ Westen hätte schützen wollen, wie er es mit der Formulierung „antifaschistischer Schutzwall“ behauptete, wären die Grenzanlagen umgekehrt strukturiert gewesen.

Die Lüge war so dummdreist, dass sich die SED damit kaum Freunde schaffen konnte.

Schlimm für die Berliner war, dass Ulbricht ein Jahr später dieses Monstrum auch noch feiern ließ durch den Aufmarsch von Angehörigen der 1956 gebildeten Nationalen Volksarmee und Kampfgruppen der Betriebe. Letztere waren überwiegend Mitglieder der SED, die sonst in verschiedenen Berufszweigen innerhalb der Volkseigenen Betriebe als Arbeiter beschäftigt waren. Sie hatten den Staat bei der Errichtung der Mauer unterstützt.

Die Armee war eine Folge des Beitritts der DDR zum Warschauer Pakt 1955, der ein Militärbündnis des Ostblocks gegen die westliche NATO darstellte. Somit standen sich in Europa wieder feindliche Militärbündnisse gegenüber. Hinter dem Bau der Mauer stand somit die geballte Militärmacht der Warschauer Vertragsstaaten: Sowjetunion als Führungsmacht, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und DDR.

Für Deutschland entwickelte die DDR 1964 die Theorie, dass sich das Land in drei Staaten teile, die DDR, die Bundesrepublik und Westberlin. Die DDR-Staatsbürgerschaft wurde 1967 Gesetz (vorher „Staatsbürgerschaft: deutsch“).

Da der Westen nicht überholt werden konnte, proklamierte der 6. Parteitag der SED im Januar 1963 das „Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ (NÖSPL). Es wurden Gewinnanreize geschaffen und wirtschaftliche Experimente zugelassen. Der dadurch verursachte wirtschaftliche Aufschwung führte die DDR an die Spitze der Ostblockstaaten.

Auch im Kulturschaffen war eine Lockerung zu bemerken. Im Film „Das Kaninchen bin ich“ wurde sogar eine etwas freizügige Liebesszene gezeigt. Die Beatles begannen auch die DDR-Jugend zu begeistern. Ulbricht befürchtete, dass diese Musik die jungen Leute zu Exzessen aufputschen könnte. 1965 folgte der kulturelle Kahlschlag. Der oben erwähnte Film wurde wegen angeblicher Pornographie kritisch von der SED-Führung zerrissen und auch andere DEFA-Produkte (DEFA - Deutsche Film AG - DDR-Filmfabrik in Potsdam-Babelsberg) wurden verboten, Künstler und Schriftsteller reglementiert. Alle musikalischen Auftritte bedurften nun einer staatlichen Erlaubnis.

Gesellschaftskritik wurde mit manchmal brutalen Mitteln unterdrückt. Schriftsteller und andere Künstler, die noch keinen Namen hatten, wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert oder besonders von der Stasi beobachtet.

1968 wurde Alexander Dubcek Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Er wollte einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz schaffen. Im Nachbarland konnte nun jeder frei seine Meinung sagen, ohne dass er sofort verhaftet wurde. Im Rundfunk diskutierte man sehr offen über die weitere Entwicklung des Landes, über Menschenrechte, Reisefreiheit und Gestaltung der Demokratie. Die dort gewonnene Freiheit begann auch die DDR-Bürger zu beeinflussen. Die DDR-Medien fanden für diese Entwicklung nur einen Begriff: Konterrevolution.

Im Sommer 1968 zerschlugen die Truppen der Warschauer Vertragsstaaten den Versuch eines menschlichen Sozialismus. Die Sympathien und das Gedächtnis an den Prager Frühling konnten sie aber nicht beseitigen.

Im März 1970 trafen sich in Erfurt Bundeskanzler Willy Brandt und der Vorsitzende des DDR-Ministerrates Willy Stoph zu Gesprächen auf höchster Ebene. Blamabel für Stoph war, dass die DDR-Bürger den westdeutschen Bundeskanzler umjubelten. Das Ereignis zeigte auch, dass die zunehmende Abkehr der SED vom Einheitsbegriff der „deutschen Nation“ damit in Frage gestellt wurde.

Im Mai 1971 trat Ulbricht aus „Altersgründen“ zurück.

Sein Nachfolger wurde Erich Honecker.

Unter ihm gelang es, die DDR zunehmend aus der außenpolitischen Isolation herauszubringen, die auch eine Folge der unter Bundeskanzler Adenauer vertretenen Hallstein-Doktrin war, wonach die Bundesrepublik die Alleinvertretung Nachkriegsdeutschlands beanspruchte.

Allen Staaten, die mit der DDR Verbindungen aufnahmen, wurden diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik verweigert.

1971 wurden Reisen nach Polen und die Tschechoslowakei pass- und visumfrei möglich.

1972 wurde der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR“ (Grundlagenvertrag) abgeschlossen. Damit endete die außenpolitische Isolation der DDR.

Ein Jahr später wurde die DDR sogar Mitglied der UNO. Als Folge davon nahmen jetzt auch viele westliche Staaten diplomatische Beziehungen mit ihr auf. Das erkühnte die Volkskammer der DDR, die Verfassung vom April 1968 zu verändern. „Deutschland“ und „deutsche Nation“ wurden aus dem Verfassungstext gestrichen und eine „sozialistische Nation“ proklamiert. Zudem band man sich fest an die Sowjetunion. Der Wiedervereinigung erteilte man damit eine Absage.

 

Die erwarteten Reisefreiheiten wurden nicht erfüllt. Zwar wurde das Einkommen der arbeitenden Menschen und die Renten erhöht, das Angebot an Industriewaren billiger, Arbeitszeitverkürzungen eingeführt und auch ein Wohnungsbauprogramm beschlossen, aber die bürgerlichen Freiheiten stießen immer noch an ihre Grenzen.

Am 1. August 1975 unterzeichnete die DDR die Schlussakte der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Helsinki. Hier bekannte sich auch Honecker für die Einhaltung der Menschenrechtscharta der UN, die er mit Wort und Tat zu erfüllen versprach.

Die Hoffnungen der DDR-Bürger, dass die Grenzen nun durchlässiger werden, erfüllten sich nicht. Die Mauer widersprach allen euphorischen Argumenten.

Nach der KSZE-Schlussakte häuften sich die Anträge auf ständige Ausreise und Familienzusammenführung. Entgegen den Beteuerungen Honeckers wurden die Antragsteller diskriminiert, verloren ihre Arbeit, wurden als Staatsfeinde, Klassenfeinde und Verräter diffamiert. Da es in der DDR offiziell keine Arbeitslosen gab und damit auch kein Arbeitslosengeld, mussten diese Menschen vom Verkauf ihrer Habseligkeiten leben. In den krassesten Fällen wurden sie sogar vor Gericht gestellt.

Wie bei den Nazis gab es die „Sippenhaft“. So konnte jemand beruflich nicht mehr vorwärtskommen, weil sein Bruder per Antrag in den Westen übergesiedelt war.

Die diplomatische Öffnung nach außen führte auch zu einem größeren Bedarf an Devisen. Hochwertige DDR-Industriewaren wurden unter dem Preisniveau in den Westen exportiert. BRD-Bürger mussten für die Einreise einen Tagessatz bezahlen. Besonders schändlich war der Handel um den Freikauf von Häftlingen aus DDR-Haftanstalten.

Der Kampf der SED gegen die Kirche trug Früchte. Die seit 1954 eingeführte Jugendweihe wurde von immer mehr Schülern der 8. Klasse und ihren Eltern akzeptiert. Sie stand im Gegensatz zur Konfirmation und war durch und durch atheistisch geprägt. Am Ende stand nach den vorbereitenden Jugendstunden das feierliche Gelöbnis auf den Sozialismus. Dazu gab es noch das Buch „Weltall, Erde, Mensch“.

Gegen die zunehmende Gott- und Religionslosigkeit setzte am 18. August 1976 der Pfarrer Oskar Brüsewitz aus der Nähe von Leipzig ein Fanal. Er verbrannte sich vor der Michaeliskirche in Zeitz.

Im November desselben Jahres wurde der Liedermacher Wolf Biermann während eines Aufenthaltes in der Bundesrepublik ausgebürgert. Er hatte dort DDR-kritische Lieder vorgetragen. Die Hetzkampagne der Partei gegen ihn förderte in ungewolltem Maße seine Popularität. Schriftsteller und Künstler, die gegen seine Ausbürgerung protestierten, wurden reglementiert, aus den Verbänden ausgeschlossen, diffamiert oder völlig ignoriert, was einem Berufsverbot gleichkam.

Im August 1978 flog der NVA-Oberstleutnant Siegmund Jähn als erster Deutscher an Bord des sowjetischen Raumschiffes „Sojus 31“ in das Weltall.

Das neue, von der Volkskammer beschlossene Verteidigungsgesetz vom Oktober 1978 erinnerte stark an die Verordnungen Hindenburgs gegen Ende des Ersten Weltkrieges, wobei die Belange der Armee und der Rüstung gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung den Vorrang hatten.

1979 wurden westliche Journalisten durch eine Verordnung zur Genehmigung von Befragungen und Interviews verpflichtet, weil immer mehr DDR-Bürger die Angst verloren, sich offen zu äußern.

Um noch mehr West-Devisen abzuschöpfen, wurden die sogenannten Intershops, Intertanks und Genex eingeführt. Die Intershops waren eine Art Kramladen für Westwaren, die schon vom Duft her verlockend waren. Die Intertanks boten hochwertige Kraftstoffe und die Genex, die Geschenkdienst und Kleinetransporte GmbH, erlaubte es Westverwandten, in DM bezahlte Waren (z.B. Autos - in der DDR war der Kauf erst nach zehn Jahren Anmeldung möglich) an ihre Lieben im Osten zu verschenken. Dazu durften die DDR-Bürger ihre DM-Bestände bei einer Bank in sogenannte Forumschecks

(nach der dafür gegründeten „Forum-Außenhandelsgesellschaft“ benannt) umtauschen, die zum Einkauf westlicher Waren und für Dienstleistungen genutzt wurden. So war eine bessere Kontrolle des DM-Umlaufs möglich.

Wer nicht die Möglichkeit hatte, DM (Deutsche Mark - Westgeld) zu bekommen, sah voller Neid auf die, welche sich so etwas leisten konnten. Dadurch stieg auch der Unmut gegenüber dem System.

Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan erschütterte den Glauben an die Friedenspolitik der Sowjetunion, da dieses Land nicht zum Ostblock gehörte.

Angeblich hatte die dortige Regierung die Sowjets um militärische Hilfe gebeten.

In Polen konnte sich eine freie Gewerkschaft, die Solidarnosc, durchsetzen, was auch bei Teilen der DDR-Bevölkerung begrüßt wurde. Die DDR-Regierung befürchtete ein Übergreifen dieser demokratischen Bewegung.

Schon ein Jahr zuvor war das politische Strafrecht verschärft worden. So veröffentlichte man Bestimmungen über die „staatsfeindliche Hetze“ und stellte Publikationen im Ausland unter Strafe.

1980 wurde die DDR für zwei Jahre Mitglied des UNO-Sicherheitsrates.

Honecker drängte nun auf die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft.

Die DDR geriet Anfang der 80-er Jahre in Schwierigkeiten durch die hohe Auslandsverschuldung. Die Importe wurden daraufhin gedrosselt und der Export erhöht.

Die Sicherheit an der Grenze wurde durch den Schießbefehl verschärft und Selbstschussanlagen installiert.

Die Missstände in der Wirtschaft führten zu einem immer größer werdenden Ausreiswillen mit Antrag und den darauf folgenden Schikanen bis zur Ausreisegenehmigung.

Auch die Hilfe durch den in den 50-er Jahren als Kriegstreiber verfemten Franz Joseph Strauß in Form eines Milliardenkredites konnte den langsamen wirtschaftlichen Niedergang nicht aufhalten.

Unter der Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ entwickelte sich, besonders von der evangelischen Kirche unterstützt, eine vom Staat unabhängige und verfolgte Friedensbewegung.

Der von der SED-Führung definierte real existierende Sozialismus wurde unter dem Begriff „Hauptaufgabe“ strapaziert. Darunter verstand man die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Davon profitierte allerdings größtenteils die Hauptstadt Berlin, wo im Norden große Neubaugebiete entstanden wie Berlin-Marzahn und Hellersdorf und damit Wohnraum zu erschwinglichen Mietpreisen.

In der Gesamt-DDR aber verfielen die Städte und verschlechterte sich die Versorgung der Bevölkerung.

1985 distanzierte sich die DDR-Führung von Gorbatschows Perestroika- und Glasnost-Politik (Perestroika - Umgestaltung; Glasnost - Klarheit). Der neue Staatsführer der Sowjetunion wollte politische und wirtschaftliche Reformen durchführen.

Die SED-Führung zeigte sich für neue Wege unfähig und beharrte auf dem alten Stil. Das führte zu ständig wachsendem Unmut mit den bestehenden Verhältnissen.

Als im Januar 1988 Demonstranten ein Jahr vor dem 70. Jahrestag der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg festgenommen wurden, weil sie ein Zitat von Rosa Luxemburg („Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“) auf einem Transparent vor sich her trugen, wurden Forderungen nach Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit lauter.

Im Mai 1989 wurde der Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen offenbar. Die erreichten 99% für die Kandidaten der Nationalen Front auf der Einheitsliste konnten einfach nicht wahr sein.

Viele Menschen bezweifelten nun die Legitimation der Partei- und Staatsführung.

Da öffnete Ungarn im Juli die Grenzen zu Österreich. Viele DDR-Bürger wollten nun über Ungarn in den Westen. Botschaften der Bundesrepublik in Budapest und Prag wurden von Tausenden DDR-Bürgern besetzt. Ungarn ließ gegen den Protest der DDR-Regierung die Flüchtlinge nach Österreich ausreisen.

Am 4. September begannen in Leipzig die Montagsdemonstrationen.

Am 7. Oktober 1989, dem letzten und 40. Jahrestag der DDR, fand wieder die große Militärparade an der Tribüne der Partei- und Staatsführung vorbei auf der Karl-Marx-Allee in Berlin, der Hauptstadt der DDR, statt. Am gleichen Tage formierte sich auf dem Alexanderplatz eine Protestwelle. Kurz vorher hatte Honecker noch verkündet, dass die Mauer noch hundert Jahre stehen würde und den aus der DDR geflüchteten Menschen werde er keine Träne nachweinen.

Einige Wochen zuvor hatte die chinesische Parteiführung in Peking die Oppositionsbewegung mit Armee und Panzern niedergewalzt, was besonders von einem führenden Mann der SED namens Egon Krenz begrüßt wurde. Völlig unverständlich war auch, dass einem der damals schlimmsten kommunistischen Diktatoren in Rumänien, Ceaucescu, der Karl-Marx-Orden verliehen wurde, die höchste Auszeichnung der DDR. Die Wut der Menschen war verständlich.

Vom Alexanderplatz gingen sie zum Palast der Republik, wo die Feiern zum 40. Jahrestag stattfanden und riefen: „Demokratie, jetzt oder nie!“ und „Keine Gewalt“.

Die Tage von Erich Honecker waren gezählt und Egon Krenz wurde Parteichef.

Am 4. November forderten die DDR-Bürger auf dem Alexanderplatz bei der ersten genehmigten freien Demonstration den Rücktritt der Regierung und die Annullierung des Alleinvertretungsanspruches auf die Führung des Staates durch die SED in der Verfassung.