Der Gral des Pueblo Bonito

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Der Gral des Pueblo Bonito
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Werner-Wolf Turski

Der Gral des Pueblo Bonito

Die prähistorische Kultur der Chaco-Anasazi im nordamerikanischen Südwesten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort/Einleitung

Die Archäologie

Das Gebiet der Chaco-Anasazi

Die Anfänge der Anasazi-Kultur (ab 1 u.Z.)

Die Pueblo Zeit (700/750 bis 900 u.Z.)

Die “Geburt” des Großhauses (nach 900 u.Z.)

Die Post-Chaco-Zeit von 1130/1150 bis 1250 u.Z.

Zusammenfassung

Eine persönliche Abschlussbemerkung zu einem Kulturkollaps

Impressum neobooks

Vorwort/Einleitung

Der Bonito-Gral!?! Was veranlasste mich, das mythische, ätherische bis esotherische Gefäß der Wunder aus dem keltischen christianisierten Sagenkreis im semiariden bis ariden nordamerikanichen Südwesten, im Pueblo Bonito aus dem Chaco Canyon von New Mexico, einem Bundesstaat der USA, zu verorten. Ein Blasphemie-Vorwurf gegen mich steht schon im Hintergrund.

Ich möchte die Kultur der Anpassung der steinzeitlichen, urgesellschaftlichen Anasazi, deren „Mutterkultur“ sich im Chaco Canyon und seiner engeren Umgebung formierte, philosophisch bildhaft darstellen. Das semiaride bis aride Gebiet des Colorado Plateaus ist auf Grund seiner Trockenheit und der daraus sich ergebenden guten Erhaltungsbedingungen von Spuren menschlicher Aktivitäten ein archäologischer Gunstraum, der neben den klimaschen Vorteilen auch ein breites qualitatives und quanitatives Spektrum an prähistorischen architektonischen Anlagen aufzuweisen hat. Letztere fallen - touristisch medial gefördert - optisch jedermann ins Auge und überdecken mit ihrem Eindruck auf die heutigen Menschen oft die Sicht auf die prähistorischen Menschen, die diese Anlagen schufen, und deren Motive und Ursachen für dessen Gestaltung.

Die Archäologie ist eine Gesellschaftswissenschaft, die wie alle Gesellschaftswissenschaften mit ideologischem Filter arbeitet. Sie stellt einerseits durch Ausgrabungen und Folgeuntersuchungen wissenschaftlich fundierte Fakten fest und bewegt sich dann mit Interpretationen und Modellvorstellungen unvermeidlich von der exakten Wissenschaft fort, wie die Vielzahl von „wissenschaftlichen“ Diskussionen und teilweise sogar Streitereien belegen. Die Differenzen entstehen durch eine unterschiedliche Sicht auf die Fakten und deren Nutzung im ideologischen und akademischen Machtkampf, bei dem es um „Deutungshoheiten“ geht.

Auch ich habe meine Sicht, die wesentlich durch eine antipatriarchale Weltanschauung geprägt ist und damit weitgehend gegen den Mainstream steht. Ich war nie persönlich im Südwesten oder gar im Chaco Canyon, sondern habe nur Fakten und Ansichten aus über das Internet erreichbaren Quellen entnommen („Alles nur geklaut!“). Die Quantität der Fakten ist erdrückend groß, sie sind jedoch nur ein „µ“ vom vorhandenen Quellenmaterial. Und auch das Quellenmaterial widerspiegelt nur einen winzigen Teil der kulturellen Substanz der Anasazi und speziell der hier betrachteten Chaco-Anasazi, der Chacoaner, die zwischen 1 und 1300 u.Z. im zentralen San Juan Becken lebten und ihr Leben gestalteten und sich harten klimatischen Anforderungen ausgesetzt sahen. Ich als nichtprofessioneller Autor bin mir meines Mangels an Faktenwissen gegenüber einem US-amerikanischen Profi bewusst, glaube aber trotzdem, ein Bild der kulturellen Aktivität dieser Menschen „malen“ zu können, wobei ich die optische Attraktivität von archäologischen Stätten zu Gunsten der sie schaffenden Menschen, ihrer Bedürfnisse, Fähigkeiten und Motivationen etwas in den Hintergrund drücke.

Hierbei werden die praktischen Bedingungen des unmittelbaren Lebenserhaltes und die damit untrennbar verbundenen spirituellen Vorstellungen der Chacoaner betrachtet. Spätestens bei den spirituellen Vorstellungen und Motivationen der Anasazi und speziell der Chacoaner gelange ich in die von belegbaren Fakten fast freie Zone und bin offen für Angriffe von Personen, die meist auch nicht mehr Fakten, sondern nur ihre Ansichten ins Feld führen können. Deshalb habe ich für den Titel meiner Darstellung das Bild vom GRAL gewählt, nur eben für den Chaco Canyon und sein größtes Bauwerk, das Pueblo BONITO, adaptiert – jedoch mit dem feinen Unterschied zum mythischen Gral, dass es dieses „wunderbare GRAL-Gefäß“ wirklich gab. Seine maßgeblichen Reste wurde freigelegt und das Gefäß rekonstruiert.

Ich bin gern bereit meine geschilderten Ansichten zu revidieren, wenn Beweise gegen meine Ansicht sprechen oder ausreichend plausible Erfahrungen gegen sie vorliegen. Es gibt keine Wahrheit, sondern nur unterschiedliche Grade der Wahrscheinlichkeit eines Geschehens. Aber eines sollte man sich noch bewusst sein: Diese prähistorischen Menschen waren Menschen wie DU und ICH, es gab nur einen Unterschied – sie mussten sich nur an die Natur anpassen, denn sie hatten noch keinen HERREN und seinen HERRlichen Macht-Apparat über sich.

Die Archäologie

Die Archäologie ist eine gesellschaftswissenschaftliche Disziplin, die bei allen ihren bemerkenswerten und achtenswerten wissenschaftlichen Leistungen zu einem großen Teil aus tradiertem Glauben, patriarchal-monotheistischer christlicher Herrschaftsreligion, Ideologie und Weltanschauung besteht.

Zum wissenschaftlichen Arsenal dieser Gesellschaftswissenschaft gehören alle materiellen Artefakte (Gegenstände, die durch menschlichen Einfluss geformt worden waren), Spuren von menschlicher Aktivität in der/dem vom Menschen genutzten Landschaft/Heimat/Revier wie Bauten, Feuerstellen, Gruben und Gräben sowie durch menschliche Aktivitäten wie über große Entfernungen nur transportierte, aber ansonsten unveränderte („exotische“/revierfremde) Materialien wie spezielle Molluskenschalen, Federn, Steine, Mineralien und mittels wisenschaftlicher Methoden und Apparate ermittelte Daten/Ergebnisse von Artefakten und anthropogen beeinflussten Bodenschichten. In diese Faktenkategorie gehören auch alle Formen von graphischen Einheiten unterschiedlicher Größe, Form und technischer Gestaltung wie Felszeichnungen durch Farbauftrag oder Materialabtrag, Geoglyphen durch Steinauflagen/-legungen und Bodenabtrag (Scharrzeichnungen).

Die physischen Artefakte haben im Allgemeinen eine konstant bleibende Form und Struktur. Manche bewahren sie jedoch nur bei entsprechend guter und schneller Konservierung nach ihrer Freilegung; manche müssen sofort/kurzfristig allgemeinverständlich dokumentiert werden, da eine qualitätserhaltende Konservierung mit heutigen Methoden - noch - nicht möglich ist. Letzteres betrifft vor allem organische Materialien und Farben. Scheinbar unveränderliche und durch wissenschaftliche Methoden ermittelte Daten von Artefakten und anthropogenen Spuren können jedoch durch neue, bessere, verbesserte Untersuchungsmethoden erkentnistheoretischen Veränderungen/Korrekturen unterliegen ohne deshalb ihren wissenschaftlichen Charakter zu verlieren – man muss jedoch das zur Zeit der Datenermittlung vorhandene wissenschaftliche Untersuchungsniveau berücksichtigen. Eine vor 100 Jahren getroffene und zu ihrer Zeit völlig korrekte wissenschaftliche Aussage kann durch neue, aktuelle Untersuchungsergebnisse stark verändert bis widerlegt werden.

Die völlig berechtigte Ausrichtung auf wissenschaftliche Belege führt aber auch dazu, dass mögliche Fakten und Sachverhalte, die wissenschaftlich nicht ermittelt wurden, auch in praxi nicht existieren oder als Möglichkeit weitgehend unbeachtet (geblieben) sind. Wenn z.B. die untersuchten Abfallhaufen nur Knochen von Kleinwild enthalten, dann gab es eben - mangels Belegen - keine Jagd auf Großwild. Dass vom eventuell erlegten Großwild - falls es nicht schon am Ort seiner Erbeutung zerlegt und verzehrt worden war - nur das wertvolle Fleisch und anderes nutzbares organisches Material bis zum Standort des archäologisch untersuchten Abfallhaufens kommt, wird außer acht gelassen. Der erlegte Hirsch ist ohne Funde von Knochen, Geweih und/oder Hufschalen zwar gemäß Erfahrungen durchaus wahrscheinlich, aber eben nicht bewiesen. Hier kommen dann „Glaubenfragen“ und Vermutungen unterschiedlicher Plausibilität in die Betrachtung der untersuchten Kultur hinein.

In die informelle Kategorie des Glaubens in der Archäologie gehören alle „Geschichten“ um die oben genannten wissenschaftlichen Fakten, die als Glauben, Vermutungen, Erfahrungen, Interpretationen, Modelle und Vorstellungen präsentiert werden und Gegenstand teils heftiger und kontroverser, mehr oder weniger wissenschaftlicher Diskussionen und Streite sind. Ein Teil der „Glaubensinformationen“ stützt sich auf Erfahrungen und/oder Analogien oder gibt vor, sich auf solche zu stützen. Ob dokumentierte Erfahrungen und Analogien wissenschaftlichen Kriterien genügen und ob diese methodisch wissenschaftlich sind, ist oft eine Frage und eine Grundlage für weitere Diskussionen im Kreis von „Experten“. Von heutigen vatikanischen Zeremonien auf die religiösen Aktivitäten in den frühchristlich genutzten römischen Katakomben zu schließen wäre – in meinen Augen – ein solch unwissenschaftlicher Akt, aber bei den Gemeinschaften in zentralen San Juan River Becken im nordamerikanischen Südwesten wird diese Verfahrensweise oft (noch) als legitim angesehen (z.T. im Rahmen der political correctness).

 

Die verbalen Aktivitäten um Deutungshoheiten bestimmter akademischer Schulen in der Archäologie sind wie in allen Gesellschaftswissenschaften/Geisteswissenschaften von der Ideologie der HERRschenden Finanzierer archäologischer Aktivitäten abhängig und damit durch ideologische Vorgaben und/oder Erwartungen relativ wissenschaftsimmun. („Wess´ Brot ich ess´, dess´Lied ich sing!“) Das bedeutet keinesfalls ein Verzicht auf die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse, aber sie müssen in den HERRschenden ideologischen Kontext passen. Im Glaubensfeld der Archäologie gibt es ein permanentes „Wabern“, das teilweise von neuen wissenschaftlichen Fakten, aber noch mehr durch Ideologien und Anschauungen und auch deren Wechsel im Gang gehalten wird. Ein „Umschreiben der Geschichte“ tritt also aus unterschiedlichen Gründen immer wieder auf. Diese Zusammenhänge zwischen Datenlage und ihrer Interpretation sind bei jeder archäologischen Darstellung und Interpretation zu beachten.

Und Wissenschaftlichkeit ist nicht automatisch gegeben, wenn ich einen Autor und seine Aussage(n) ordnungsgemäß zitiere. Für ein aus den wissenschaftlichen Fakten abgeleitetes möglichst realitätsnahes Bild (wenige Fakten, viel Glauben) ist jeder Autor selbst verantwortlich – ein akademisches Verstecken hinter „Experten“ ist unethisch, aber weit verbreitet. Der gesamte Informationspool an ermittelten und publizierten wissenschaftlichen Fakten und Glaubenssätzen ist menschliches geistiges Allgemeingut, aber kein einzelner Mensch kann diesen Pool ausschöpfen. Es wird also im Kopf des einzelnen publizierenden Menschen immer ein Informationsmangel bestehen und dieses Individuum muss sich auch der Möglichkeit der durch ihn erfolgten mangelhaften bis fehlerbehafteten Vernetzung von wissenschaftliche Fakten bewusst sein. Das Gleiche gilt natürlich auch für das geistig konsumierende Individuum, die Leserrin/den Leser einer solchen Publikation.

Archäologie und Kunstraub sind kriminelle Geschwisterkinder der patriarchalen HERRschaft. In Form des profitablen Antikenhandels erhalten sie ihre zivilisatorisch-kommerzielle und inspirierende/motivierende Form. Sie dienen dem Repräsentationsbedürfnis der HERRschenden. Schändung/Zerstörung von Grabstätten und Ritualanlagen waren die ergiebigsten Quellen für Repräsentationsobjekte, für die, ab dem europäischen Feudalismus, Kunstkammern und Museen eingerichtet wurden. Diese Trophäen belegen den siegreichen HERRen und die physische und/oder spirituelle Vernichtung des Anderen, des Vergangenen, des Besiegten. Dass durch diese Trophäenschau einige wenige Zeugnisse der spirituellen und handwerklichen Fähigkeiten und der Kunst der (eigenen oder fremden) Ahnen der heutigen Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wurden, ist nur eine gesellschaftliche Nebenerscheinung des Repräsentations- und Legitimationsbedarfes der HERRschenden. Der Erwerb von Wissen über die Ahnen ist ein angenehmer Kollateral-Nutzen der oben genannten kriminellen Aktivitäten. Auch ich bin ein Nutznießer dieser Aktivitäten, dieses Umgangs mit den materiellen Kulturzeugnissen ganzer Epochen und Völker.

Der nordamerikanische Südwesten war auf Grund seines trockenen Klimas und einer relativ geringen heutigen Bevölkerungsdichte und ihrer zerstörenden Einwirkungen auf Spuren der „Ahnen“ ein archäologischer Gunstraum (gute Erhaltungsbedingungen alter Aktivitäten und Artefakte), der außerdem noch bemerkenswerte (große, attraktive, gut sichtbare) Spuren der früheren Bewohner aufwies. Im spanisch-mexikanischen Bereich wurden durch frühe Reisende und Missionare einige auffällige alte Ruinenstätten zur Kenntnis genommen und informell als relativ uninteressant (kein Erwerb von „Schätzen“ und Prestige) abgelegt. Die Vernichtung der nichtchristlichen indigenen Kulturen war für die Spanier/Mexikaner wichtiger als eine mögliche Erforschung von deren Ursprüngen.

Die US-Amerikaner betraten „ihr“ Südwestgebiet erst nach dem Vertrag von Guadalupe Hidalgo (02. Februar 1848). Erste Kenntnisnahme von prähistorischen Ruinenstätten erfolgte durch US-amerikanisches Militär. 1849 „entdeckten“ bei einem militärischen Zug der U.S. Army Topographical Engineers der First Lt. James H. Simpson und sein indianisch-mexikanischer Reiseführer Carravahal die Ruinenstätte von Pueblo Bonito und auch von Pueblo Pintado, Una Vida, Hungo Pavi, Chetro Ketl, Pueblo del Arroyo und Peñasco Blanco, die von ihm und/oder seinen mexikanischen Führern ihre noch heute bekannten Namen erhielten. Danach publizierte J.H. Simpson eine Beschreibung der Stätte und einiger weiterer Ruinen/Bauten aus dem Chaco Canyon mit einigen Illustrationen der Stätten durch zwei mitgereiste Künstler.

In den USA hatte sich jedoch im Osten durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den physischen Erscheinungen und Überresten der sogenannten Moundkulturen bereits eine allmählich wissenschaftlich getragene archäologische Tradition entwickelt. Zwischen 1850 und 1900 wurde der Südwestbereich von den US-Amerikanern allmählich wirtschaftlich und auch archäologisch-ethnographisch erfasst und erschlossen. Es entstand die „Archäologie des Südwestens“, primär getragen durch US-amerikanische Menschen, Interesssenten und Geldgeber. Hauptsächliche Triebkraft der ersten Ausgrabungen und Grabungsexpeditionen war die Erlangung von attraktiven Artefakten für die Museen der Geldgeber (s.o. Grabraub).

Der wissenschaftlich-archäologische „Startschuss“ für die archäologische Erschließung des Südwestens war die auf die Ruinen-Stätte von Pueblo Bonito angesetzte Hyde-Expedition, die unter der praktischen Leitung von Richard Wetherill und unter der wissenschaftlichen Leitung von George H. Pepper vom American Museum of Natural History stand und von 1896 bis 1900 ca. 190 Räume von insgesamt ca. 650 bis 800 Räumen von diesem Pueblo von Mauerschutt- und Erosionsmassen suchend und untersuchend freilegten. Die Finanzierer waren die sehr vermögenden New Yorkerer Sammler und Philantropen Frederick und Talbot Hyde, die nach Abschluss der Expedition die gewonnenen Artefakte (Pfeile/Pfeilspitzen, zugeschnittene Holzteile, Flöten, Steinfiguren, Zylindergefäße und große Mengen an Türkis) dem American Museum of Natural History übergaben. Sie hatten ihren gesellschaftlichen Image-Gewinn bezahlt und überließen die musealen und wissenschaftlichen Folgekosten dem Staat.

Für diese Zeit Ende der 1890er Jahre entsprachen die Ausgrabungsmethoden des Ranchers Wetherill, der seine archäologisch-wissenschaftlich Grundausbildung von dem schwedisch-finnischen Gelehrten Gustaf Nordskiöld erhalten hatte, dem wissenschaftlichen Stand der Zeit. Nordenskiöld erkundete ab Juli 1891 unter Führung von Richard Wetherill (und dessen Verwandten) prähistorische Stätten im Mesa Verde Gebiet und sandte die ausgegrabenen Artefakte in seine schwedische Heimat. R. Wetherill war auch der „Erfinder“ der Basketmaker. Er erkannte bei seinen Expeditionen, dass die Erbauer von Pueblos und Hersteller von Keramik die kulturellen Nachfolger von Nomaden waren, deren archäologisch wichtigste Behältnisse Körbe (engl. baskets) waren.

Das allmähliche Erkennen kultureller Hintergründe (heidnisch, primitiv! aus der Sicht der frühen Forscher) war eine sich ergebende Begleiterscheinung. Ungeachtet der Motivation „Artefakt-Erlangung“ ist der physische und geistige Einsatz früher Photographen (Jackson) sowie ernsthafter Amateurarchäologen (Wetherill-Familie, speziell Richard Wetherill) und professioneller Wissenschaftler wie z.B. Mindeleff und Pepper nicht hoch genug einzuschätzen.

Im 19. Jahrhundert entstand auch ein Markt für indianische Artefakte und damit eine Profitquelle, die von Raubgräbern bedient wurde und bis heute noch bedient wird. Auch der Südwesten brachte jetzt seinen Anteil dafür ein. Über den wissenschaftlichen Schaden brauche ich mich hier nicht mehr auszulassen.

Das Gebiet der Chaco-Anasazi

Der Lebensbereich der Anasazi (Abb. 1) in nördlichen Teil des nordamerikanischen Südwestens lag geographisch bis 1300 u.Z. im Wesentlichen auf dem flach schüsselförmigen Colorado Plateau, das Teil des Colorado Dränagegebietes ist und durch verschiedene geologische Aktivitäten spezifische Formen erhalten hat und eine Höhe von durchschnittlich 1.500 m NN (über dem Meeresspiegel/Normal Null) aufweist. Da das Gebiet über weite Bereiche eine höhere durchschnittliche Verdunstung aufweist als die dort auftreffende Niederschlagsmenge, ist dieses Gebiet arid, eine Wüste. Die bestehenden topographischen Differenzen gestalten jedoch das Klima lokal sehr unterschiedlich.

Innerhalb des Colorado Plateaus besteht die geologische Form des ca. 12.000 km² großen San Juan Beckens im östlichen Teil des 64.000 km² großen Dränagegebietes des San Juan River, einem der östlichen Nebenflüsse des Colorado River. Auch diese Region ist topographische durch Erhebungen, Täler und ebene Bereiche sehr unterschiedlich gestaltet und der Chaco Canyon und sein Umfeld im zentralen San Juan Becken (Abb. 1) sind darin ein sehr markantes Gebiet.


Abb. 1 Verbreitungsgebiet der Anasazi-Kultur und der Kulturbereich der Chaco-Anazasi im Mittleren San Juan Becken

Das geologisch profilierte zentrale San Juan Becken ist im Norden vom San Juan River, im Süden vom Dutton Plateau und der Lobo Mesa, im Osten vom Nacimiento Uplift und im Westen von den Chuska Mountains begrenzt. (Abb. 2) Es umfasst den Ober- und Mittellauf des Chaco River, die Chakra Mesa und den Chaco Canyon, das Gebiet südlich und westlich der Chakra Mesa (der sogenannte „Beckenboden“) und das Chaco Plateau südlich der Gallegos Mesa (südlich von Farmington). Dieses Gebiet, der sogenannte Chaco Kern, und der Beckenboden südlich des Canyon ist der Lebensraum der Chaco-Anasazi.


Abb. 2 Das Mittlere San Juan Becken mit dem Wasserlaufsystem des Chaco River mit dem Chaco Wash und der Lage des maßgeblichen Teils des Chaco Canyon; der Bereich des Chaco Canyon National Monuments (= engerer Chaco-Kern) ist dunkel hinterlegt.

Der im Zentrum des San Juan Beckens liegende Chaco Canyon erstreckt sich entsprechend der Länge des ihn durchfließenden Chaco Wash über ca. 40 km. Sein Talboden liegt 45 bis 150 m tiefer als die Oberflächen der umliegenden Sandstein-Tafelberge (Mesas). Das Gefälle des Canyonbodens beträgt 6 m/km. Seine größte Breite misst 600 bis 1000 m. Das Gebiet ist heute mit einem durchschnittlichen Niederschlag von 230 mm/a sehr trocken. Für Trockenbodenbau im nordamerikanischen Südwesten sind mindestens 305 m/a Niederschlag für die zu bewirtschaftenden Flächen erforderlich. Seine bedeutendste archäologische Stätte, das Pueblo Bonito, liegt auf einer Höhe von ca. 1.900 m NN.

Der Canyon mit seiner etwa nordwestlich-südöstlichen Streichrichtung und die ihn umgebenden und markierenden Flachmassive/Tafelberge/Mesas liegen innerhalb des sogenannten Chaco Kerns/„Chaco Core", der sich von dem breiteren Chaco Plateau, einer flachen Graslandregion mit heute seltenen Baum-Beständen und einer, auch in prähistorischen Zeiten geringen Besiedlung unterscheidet. Das Tiefland besteht aus Dünenfeldern, Rücken/Graten und Bergen. Die kontinentale Wasserscheide von Nordamerika liegt nur 25 km östlich des Canyons.

Das Kerngebiet der Anasazi-Kultur im Chaco Canyon (Abb. 3) erstreckt sich aber nur über einen 15 km langen Canyon-Teil, wo sich 12 der meist genannten Großhäuser und ca. 160 Kleinhäuser/Einheitspueblos befanden, die zwischen 850 und 1130 u.Z. erbaut wurden. In dem den Chaco Canyon umgebenden Gebiet von ca. 85 bis 90 km² sind weitere 3.000 Wohnstätten mit bis zu maximal 20 Räumen von den Archäologen registriert worden. (Für sogenannte Kleinhäuser gilt als ungefähre obere Grenze eine Anzahl von 50 Räumen, bei mehr als 50 Räumen werden die Bauwerke, mit großem Vorbehalt!, als Großhäuser bezeichnet.) Im Gesamtgebiet, das einmal von der Chaco-Kulturtradition beeinflusst worden war, gibt es ca. 150 sogenannte Chaco-Außenstellen (outliers) unterschiedlicher Größe, die bis zu 185 km vom Chaco-Zentrum entfernt liegen. Teilweise ist die Benennung einiger dieser Bauwerke bzw. Stätten als Chaco-Außenstelle oder auch als Großhaus umstritten, wie z.B. die von Wupatki als der möglicherweise westlichsten Chaco-Außenstelle, die ca. 320 km vom Chaco Canyon entfernt liegt.

 

Abb. 3 Der Unterlauf des Chaco Wash mit der Lage der maßgeblichen Großhäuser und den Wasserabflussgebieten von der Mesa in den Canyon

In anderen Quellen wird die Anzahl der Fundstellen (nicht Wohnstätten!) im Chaco Canyon und seiner näheren(?) Umgebung für die Zeit von 900 bis 980 u.Z. mit ca. 500 angegeben, von denen ca. 350 in die Kategorie Pueblo-Bauten/übertägige Mauerwerksbauten eingeordnet wurden. Die Stättenanzahl sagt nichts über die Anzahl der Pueblo-Räume, deren Funktion und Lebensdauer aus. Für die Zeit um 1050 u.Z. wurden nur 280 Pueblos angegeben, was wiederum nichts über die Anzahl der Räume, deren Funktion, Nutzungs- und Lebensdauer aussagt. Diese Zahl ist demographisch nicht zu interpretieren, sie zeugt nur von einer gewissen Dynamik im Niederlassungsmuster dieses Gebietes. Man vermutet, dass die Bevölkerungsanzahl in diesem Gebiet annähernd konstant geblieben ist.

Grundsätzlich ist für alle von den Anasazi errichteten Bauten festzustellen, dass sie unterschiedliche und vielfältige Funktionen hatten. Die Anzahl der rechteckigen übertägigen Raumzellen in den Anasazi-Bauten können nicht als Maßstab für eine Abschätzung der Bevölkerungsgröße der Niederlassung genutzt werden, denn die „Räume“ hatten von Struktur zu Struktur nicht immer die gleiche Bedeutung/Funktion und sogar innerhalb einer Struktur wechselte die Raumfunktion von Raum zu Raum und gegebenenfalls auch über die Zeit beim gleichen Raum (Umwidmung von Räumen!). Flachdachige rechteckige "Räume" sind keine direkte Widerspiegelung einer Bewohneranzahl der Stätte und je höher ein (mehretagiges) Bauwerk ist, desto vorsichtiger sollt man bei der Zuordnung einer Bewohneranzahl sein.

Der den Canyon durchfließende Chaco Wash ist ein intermittierend Wasser führender und über die Talebene/Flutebene mäandernder Wasserlauf, in den eine Anzahl charakterlich ähnlicher, aber kürzerer Neben“flüsse“ einmündet. Die Wasserführung wurde von der Schmelze der meist allmählich abfließenden winterlichen Niederschläge und von denen der heftigen Sommerniederschläge/Gewitterstürme bestimmt. Über dem Felsbett des Canyons lagern ca. 15 m (einige Quellen sprechen auch von 38 m) mächtige Schuttmassen und alluviale und äolische Erosionssedimente, die von den umliegenden Mesas im Laufe vieler Jahrtausende abgetragen wurden. Für die Nebencanyons und die Lücken (Gaps) zwischen den Mesas sind ähnliche Zustände anzunehmen. Dieser Sedimentboden gehört grundsätzlich in die Kategorie der sogenannten „leichten“/tonarmen Böden, die in ihre relativ großen Poren schnell Wasser aufnehmen und bei Trockenheit und Austrocknung keine nennenswerte Rissbildung aufweisen.

Bei oberflächlicher Austrocknung steigt durch Kapilarsogkraft aus dem Untergrund bzw. Grundwasser Wasser nach oben. Erst eine zu lange Trockenheit/Austrocknung führt zu einer solchen Absenkung des Grundwasserspiegels, dass die Kapilarkraft nicht mehr ausreicht, um (für die Pflanzen) Wasser ausreichend nah nach oben (bis zu deren Wurzeln) zu transportieren. Dann erst wird eine Dürre für die Pflanzen und die Pflanzennutzer akut.

Nicht der direkte Niederschlag beziehungsweise seine Menge und Dauer sind wesentlich, sondern der für Pflanzen maßgebliche Grundwasserstand, der natürlich auch im Rahmen der Niederschläge schwankt, aber mit zeitlicher Verzögerung im Rahmen seiner eigenen Kapilarregularien und Bodenschichtungen. Erst ein entsprechender Erosionseinschnitt (Arroyo) im Sedimentboden führt durch seine tiefe und schnelle Entwässerung der Sedimentschicht zu einer nachhaltigen Störung bis Zerstörung eines Grundwasserstandes und zu einer Versteppung bis Verwüstung der Landfläche, so wie sie heute im Chaco Canyon mit seinem erosiv bedingten 10 m tiefen und bis 30 m breiten Wash-Einschnitt/-Arroyo zu sehen ist. Zur Zeit der Chaco Kultur floss der Wash mit wechselndem Wasserstand mäandernd und relativ ruhig über die Flutebene des Canyons. Als Anschauungsbeispiel kann der Canyon de Chelly dienen, wo nachweislich in den letzten 2.000 Jahren ca. 2 m Sedimente abgelagert wurden, der jedoch keinen Arroyo wie der Chaco Canyon aufweist und durch seinen mäandernden Wasserlauf für ausreichend Feuchtigkeit für einen, nach heutigen Maßstäben bescheidenen Bodenbau sorgt. Er fiel aber durch große Dürren auch trocken und wurde deshalb von den Anasazi bis/um 1300 u.Z. verlassen.

Klimatische Bedingungen im Bereich des Chaco Canyon

Das Klima ist der durchschnittliche Verlauf oder Zustand des Wetters an einem Ort und meist über einen Zeitraum von Jahren. Es umfasst dem Komplex von Temperatur, Wind/Windgeschwindigkeit und Niederschlag. Diese Daten können für die Vergangenheit durch eine Reihe von Messungen und Untersuchungen, selbstverständlich mit Streuungen, Unsicherheiten und breiter Verallgemeinerung, einer Durchschnittsbildung, bestimmt werden.

Zyklisch auftretende Dürrezeiten sind eine klimatische Determinante des nordamerikanischen Südwestens seit frühen Zeiten bis zur Gegenwart. Schwankungen in den Niederschlägen im zentralen San Juan Becken sind mehr eine Regel als eine Ausnahmeerscheinung. Diese Schwankungen sind in zwei feste Determinaten eingebettet: (1) Sommerwärme und Winterkälte und (2) Aridität. Jede Kultur, die dort entstand, erlebte Dürreperioden und passte sich entsprechend der Zeitperiode und ihrem Kulturstand an diese mit unterschiedlichem Erfolg an, einschließlich der Abwanderung aus dem betroffenen Gebiet.

Durch pollenanalytische Untersuchungen aus dem Südwesten ist belegt, dass die Zeit vom 8. bis zum 12. Jahrhundert u.Z. eine Periode war, in der eine Verschiebung von einem winter-dominanten zu einem sommer-dominanten Niederschlagsregime stattfand. Dabei wurden die Winter etwas milder, die Frühjahrstrockenheit wurde länger und ein größerer Anteil des jährlichen Niederschlags kam in Form intensiver Sommergewitter. Die topographisch bedingten Niederschläge, die ihre Feuchtigkeit aus den Sturmsystemen erhalten, steigen an Bergketten auf und fallen in der Umgebung des Chaco Canyon und sind zumeist Sommer- und Winterniederschläge. Die Niederschlagsmenge steigt mit dem ansteigendem Höhenniveau des Gebietes. Gelegentliche anomale Nordströmungen der innertropischen Konvergenzzone können die Niederschläge in einigen Jahren erhöhen. Der Chaco Canyon liegt im Regenschatten der westlich von ihm aufsteigenden Chuska Mountains. Die Thermikdifferenzen zwischen Mesa-Hochflächen und den Canyons und Nebencanyons gestalten das Niederschlagsgeschehen lokal sehr differenziert.

Gemäß Baumringanalysen galt die Zeit vor 700/800 u.Z. wegen ihrer extremen Wetterwechselhaftigkeit als ungünstig für den Bodenbau; zwischen 800 und 900 u.Z. trat eine klimatische Verbesserung für Bodenbaubedingungen ein, trat der oben genannte Wechsel von winterdominanten zu sommendoninanten Niederschlägen ganz allmählich auf.

Klimaanalysen sind immer mit einer gewissen Zurückhaltung aufzunehmen, denn die Kenntnis über den tendenziellen Verlauf eines Parameters, der Niederschlagsmenge, ist zumindest mit dem zweiten Parameter Temperatur zu einem Komplex zu verbinden. Dazu kommt noch, dass die Datenerfassung über das Bauholz, die zum Bau genutzten Bäume, immer nur auf Proben von den ganz konkreten Wachstumsbedingungen am Baumstandort zurückgreifen kann. Die Wachstumsbedingungen auf der Mesa-Oberfläche, auf einem Schutthang oder auf der Canyonsohle sind für einen Baum sehr unterschiedlich. Man versucht, dies durch eine statistisch große Anzahl von Proben auszugleichen, trotzdem weiß man nicht, aus welchen Wachstumsbedingungen die Holzproben stammen – man kann weder eine gleichmäßige Mischung garantieren, noch eine Homogenität der Wachstumsbedingungen.

Dazu kommen weitere stark beeinflussende Differenzierungen. Die Niederschlagsmenge wird als Jahresdurchschnitt angegeben. Damit ist nichts über seine Verteilung über das Jahr gesagt, die mal günstig und mal ungünstig für den Bodenbau mit Ein-Jahres-Pflanzen gewesen sein kann. Das Gleiche gilt für die Temperatur: Der Chaco Canyon weist spürbare klimatische Extreme auf, die der Mensch für sich persönlich abfangen kann (Kleidung, Schutzraum u.ä.), die aber für Pflanzen und ihr Wachstum ungünstig bis vernichtend sind. Die Temperaturextreme liegen heute zwischen -39°C bis +39°C und können an einem einzigen Tag um 33°C schwanken. Die Region hat im Durchschnitt weniger als 150 frostfreie Tage pro Jahr (sehr wesentlich für den Bodenbau!) und die örtlichen Klimaschwankungen wechseln wild von Jahr zu Jahr zwischen reichlichen Niederschlägen und lang anhaltender Trockenheit. Der starke Einfluss der El-Niño-Southern Oscillation trägt maßgeblich zum schwankenden Klima des Canyons bei.