Entwicklungspsychologie

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Aus der Reihe: utb basics
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2.1.3 | Dynamische Systemtheorie



Die dynamische Systemtheorie versteht Entwicklung als multipel determiniert (d.h., eine Veränderung hat gleichzeitig mehrere Ursachen) und dynamisch (im Sinne von kontinuierlich konstruiert) in Raum und Zeit (

Thelen/Smith 2006

). Die Determinanten (Bestimmungsfaktoren) der Entwicklung sind dabei nicht nur im Individuum (z.B. auf genetischer, physiologischer, perzeptiver, kognitiver, emotionaler und motivationaler Ebene) zu suchen, sondern genauso auf der Ebene seiner sozialen und physikalischen Umwelt.



Bestimmte motorische Leistungen (Gehen, Greifen) sind beispielsweise gleichzeitig von der Wahrnehmung, der Muskelentwicklung, dem Körpergewicht und den äußeren (Test-)Bedingungen abhängig. Gerade weil diese einzelnen Bereiche (Subsysteme) miteinander in Wechselwirkung stehen, ist eine systemtheoretische Betrachtung der Entwicklung unumgänglich.



Der Mensch wird in seiner Entwicklung als ein sich selbst organisierendes, offenes und nicht lineares System betrachtet. Es gibt keinen vorgefertigten Plan, der die Entwicklung steuern würde, und es gibt kaum monokausale Erklärungen für das Ergebnis einer Entwicklung (

Thelen/Smith 2006

).



kollektive Variablen



Zentraler Bestandteil der Theorie sind die sogenannten kollektiven Variablen, deren Veränderungen über die Zeit beobachtet werden (z.B. Wortschatzerwerb, visuell gesteuertes Greifen).



Attraktoren



Die Aufgabe der Entwicklungspsychologie besteht sodann darin, die bevorzugten Zustände (Attraktoren) der kollektiven Variablen sowie die dynamischen Übergänge von einem Attraktor zum nächsten (z.B. den Übergang vom Kriechen zum Gehen) auf verschiedenen Ebenen genau zu beschreiben.



Kontrollparameter



Die Veränderungen in kollektiven Variablen werden durch bestimmte Bedingungen, sogenannte Kontrollparameter, beeinflusst. Es ist somit entscheidend, die innerhalb oder außerhalb des Organismus liegenden Kontrollparameter der beschriebenen Veränderungen zu finden. Das ist keineswegs einfach, aber ist es einmal gelungen, kann der Parameter experimentell eingesetzt werden.





Studie





In einer Studie mit 9 Monate alten Kindern bestand die kollektive Variable in der Fähigkeit, bei durchsichtigen Behältern die Öffnung zu suchen und durch diese zu greifen (

Thelen/Smith 2006

). Das kann ein Kind dieses Alters normalerweise nicht, d. h., es versucht direkt zuzugreifen.



Man hat nun den Kindern durchsichtige Behälter zum Spielen gegeben. Dadurch wurden sie mit dem Problem vertraut, dass sie den darin sichtbaren Inhalt nur durch die Öffnung des Behälters – also meist trotz direkten Sichtkontakts – nicht direkt, sondern seitlich oder von oben ergreifen konnten. Der Kontrollparameter war in dieser Studie die Übung des Kindes mit den speziellen durchsichtigen Behältern.



stabile vs. labile Zustände



Veränderungen können insbesondere in der frühen Kindheit in sehr kurzen Abständen erfolgen. Longitudinalstudien (→

Kap. 2.2

) müssen deshalb innerhalb kurzer Zeit viele Messungen beinhalten, um die Veränderungsreihe adäquat zu beschreiben.



In der Adoleszenz und später laufen Veränderungen häufig nicht mehr so schnell ab, die Messungen können deshalb auch in größeren Abständen erfolgen.

Sneed und Kollegen (2007)

 untersuchten beispielsweise die Übernahme der Erwachsenenrolle in bestimmten Lebensbereichen (Finanzielles, Wohnen, Liebesbeziehung) bezogen auf den retrospektiv erhobenen Zeitraum vom 17. bis 27. Lebensjahr und stellten systematische Wechselwirkungen zwischen den Bereichen fest.



Die dynamische Systemtheorie ist eine hervorragende entwicklungspsychologische Rahmentheorie, die jedoch spezifische Theorien, etwa im Bereich der kognitiven oder der emotionalen Entwicklung, nicht überflüssig macht.





2.1.4 | Anlage und Umwelt



Wenngleich die Anlage-Umweltkontroverse heute beigelegt und aus systemtheoretischer Sicht auch obsolet ist, so sind diesbezüglich dennoch einige Bemerkungen im Rahmen dieses Kurzlehrbuchs sinnvoll:



 Der genetische „Einfluss“ auf die Entwicklung besteht in der zeitlich mehr oder weniger befristeten Aktivität der Gene in den Zellen, die mit der von ihnen angeregten Proteinsynthese sowie mit komplexen biochemischen Prozessen innerhalb und außerhalb der Zelle und einer Reihe weiterer (z.B. neuronaler) Prozesse interagieren (

Johnston/Edwards 2002

, →

Abbildung 2.1

). Über einige Umwege hat das Verhalten des Individuums selbst einen Einfluss auf die Genaktivität (

Johnston/Edwards 2002

). Das bedeutet, dass Gene und Verhalten in einer letztlich nicht auflösbaren Wechselwirkung miteinander verbunden sind.



 Die meisten psychischen Eigenschaften werden nicht durch einzelne, sondern durch mehrere Gene beeinflusst, im Gegensatz zu einigen Krankheiten für deren Entstehung ein einziges Gen verantwortlich ist. Bei der Phenylketonurie beispielsweise fällt wegen eines defekten Gens die Produktion eines Enzyms aus, das wiederum ein Eiweiß (Phenylalin) umwandeln sollte.



 Bei einer Reihe von Krankheiten nimmt man heute eine multigenetische Vererbung an (z.B. bei diversen Organtumoren, Schizophrenien). Wenn in der eigenen Verwandtschaft solche Krankheiten vorkommen, besteht ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Ob ein Individuum von der Krankheit betroffen ist, hängt aber von zusätzlichen Faktoren, etwa den Ernährungsgewohnheiten oder den Stressbelastungen, ab.



 Auch Persönlichkeitseigenschaften und geistige Fähigkeiten (z.B. Intelligenz) sind multi- oder polygenetisch beeinflusst. Um bei solchen Merkmalen entscheiden zu können, wie hoch Anlage- und Umwelteinflüsse sind, wurden spezielle populationsgenetische Datenerhebungs- und Analysemethoden eingesetzt (insbesondere Zwillingsstudien), die hier nicht näher erläutert werden.








Abb. 2.1 |


Interaktion von Genaktivität und Verhalten (nach

Johnston/Edwards 2002

)



Anlage-Umwelt-Kovariation



Die Erblichkeit (der Einfluss der Gene) steigt im Verlauf der Entwicklung (

Plomin 1986

). Getrennt aufwachsende Geschwister und eineiige Zwillinge werden sich im Verlauf von Kindheit, Jugend- und Erwachsenenalter ähnlicher. Auch Adoptivkinder gleichen sich mit zunehmendem Alter ihren biologischen Eltern an.



Intuitiv würde man wohl das Gegenteil annehmen, dass Umwelteinflüsse im Verlauf des Lebens immer wichtiger und stärker werden und die Anlage beim Neugeborenen und in der frühen Kindheit am stärksten zum Ausdruck kommt. Um diese Befunde zu erklären, ist ein Modell notwendig, das sowohl Anlage- als auch Umwelteinflüsse gleichzeitig einbezieht. Es sei hier der Erklärungsansatz von

Plomin (1986)

 vorgestellt, der drei Anlage-Umwelt-Kovariationstypen beschreibt:



 In der Ontogenese am frühesten zu beobachten ist die passive Anlage-Umwelt-Kovariation. Das Kind trifft auf eine Umwelt, die ihm (seinem Genotyp) mehr oder weniger entspricht. Entspricht sie ihm, so ist die Kovariation gegeben, sonst nicht. Das Kleinkind kann sich dem Angebot noch kaum entziehen und die Angebote noch nicht selber gestalten.



 Die evokative Anlage-Umwelt-Kovariation liegt vor, wenn das Kind aufgrund seiner (genetisch mitbedingten) Eigenart gewisse Angebote auslöst. Das sportliche, bewegliche Kind erhält zum Beispiel Sportgeräte, das technisch begabte Kind einen Werkzeugkasten etc.



 Die aktive Anlage-Umwelt-Kovariation besteht darin, dass das Kind und der Jugendliche selber Tätigkeiten, Objekte etc. auswählt, die seinem Genotyp entsprechen.





2.2 | Methoden



Die entwicklungspsychologischen Forschungsmethoden unterscheiden sich nicht grundsätzlich vom Methodeninventar anderer psychologischer Disziplinen. Da die Veränderungen in Zeit und Raum im Zentrum stehen, sind besonders solche Designs und Methoden gefragt, die Veränderungen abbilden können.



Querschnitt vs. Längsschnitt



Während bei einem Querschnittdesign Personen verschiedenen Alters zu einem Zeitpunkt untersucht werden, besteht das Längsschnittdesign darin, gleichaltrige Personen zu mehreren Zeitpunkten zu untersuchen.



Querschnitte sind deutlich weniger aufwändig als Längsschnitte, können aber zu Fehlschlüssen führen, weil die Zeiteffekte (Altersunterschiede) sowohl auf Kohortenunterschiede (also z.B. Unterschiede zwischen den 1980 und den 1990 geborenen Personen) als auch auf (echte) Altersunterschiede zurückgeführt werden können.

 



Querschnitte geben auch keine Auskunft über die Veränderungsprozesse. Die Interpretation von Längsschnitten ist allerdings auch nicht eindeutig, weil hier als mögliche Ursachen der Veränderungen neben dem Alterseffekt auch ein Zeitepocheneffekt in Frage kommt (vor allem bei Studien über größere Zeiträume hinweg). Empfehlenswert ist deshalb eine Kombination eines Querschnitt- und Längsschnittdesigns, bei der jeweils unterschiedliche Altersgruppen längsschnittlich untersucht werden.



Methoden der Datenerhebung



Die Entwicklungspsychologie bedient sich je nach Fragestellung ganz unterschiedlicher Untersuchungsmethoden. Im Rahmen experimenteller Studien mit Säuglingen und Kleinkindern werden häufig Verfahren eingesetzt, die Beobachtungsdaten generieren.



Aufmerksamkeit als Indikator



Das häufig eingesetzte Habituations-Dishabituations-Paradigma nutzt die Gewöhnung des Säuglings an bestimmte mehrfach präsentierte Reize (z.B. einen Klingelton). Nachdem sich der Säugling an den Reiz gewöhnt hat, was aus seiner abnehmenden Aufmerksamkeitszuwendung gegenüber dem Reiz erkennbar ist, wird der Klingelton variiert (z.B. höhere Frequenz). Reagiert der Säugling wieder mit mehr Aufmerksamkeit, geht man davon aus, dass er den Unterschied bemerkt hat.



Der erneute Anstieg der Aufmerksamkeit des Säuglings wird also innerhalb einer Experimentalreihe als Indikator dafür genommen, dass der Säugling bei einem bestimmten Reiz einen Unterschied zum vorangehenden festgestellt hat (vgl. kritisch dazu

Haith 1998

). Genau dieser Mechanismus wird in vielen Experimenten ausgenutzt.



weitere Methoden



Neben der Verhaltensbeobachtung im Labor und im natürlichen Setting werden diverse weitere Methoden eingesetzt, darunter Tagebücher (z.B. geführt durch die Eltern), Interviews und ab dem Schulalter auch Fragebögen, Analyse von Zeichnungen etc.




Literatur



Flammer, A. (2008). Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung (4. Aufl.). Bern: Huber.





Übungsaufgaben





1 Die Entwicklungspsychologie ist im Vergleich zu anderen Disziplinen mit besonderen Problemstellungen konfrontiert. Worin bestehen diese und wie geht die moderne Entwicklungspsychologie damit um?



2 Worin besteht der Unterschied zwischen Meso- und Exosystem nach Bronfenbrenner?



3 Bedeutet die Skepsis der Systemtheorie gegenüber monokausalen Erklärungen, dass nach diesem Ansatz keine Experimente möglich sind? Begründen Sie Ihre Antwort.



4 Wann ist es sinnvoll, auf eine Längsschnittstudie zu verzichten und stattdessen eine Querschnittstudie durchzuführen?





3 | Frühe Kindheit





Inhalt





Die menschliche Entwicklung, verstanden als Ontogenese, beginnt mit der Befruchtung der Eizelle und endet mit dem Tod des Individuums. Während der vorgeburtlichen Entwicklung unterscheidet man die embryonale (1.–8. Woche nach der Befruchtung) von der fötalen Phase (ab 9. Woche bis zur Geburt).



Im deutschen Sprachraum bezeichnet man die Zeitspanne vom 1.–3. Lebensjahr als „frühe Kindheit“, sie ist – einschließlich der vorgeburtlichen Entwicklung – Thema dieses Kapitels.





3.1 Wahrnehmung und Denken









3.1.1 Wahrnehmungsentwicklung









3.1.2 Frühe Kategorisierungsprozesse









3.1.3 Lernen und Gedächtnis









3.1.4 Objektkonstanz und Objektpermanenz









3.1.5 Kausales Denken









3.2 Sprachentwicklung in der frühen Kindheit









3.2.1 Vorsprachliche Kommunikation









3.2.2 Erste „Schritte“ in die Muttersprache









3.3 Motorik und Feinmotorik









3.3.1 Grobmotorische Entwicklung









3.3.2 Greifen, Legen, Werfen









3.4 Emotion, Motivation, Temperament und Bindung









3.4.1 Emotionale Entwicklung









3.4.2 Temperament









3.4.3 Bindung und Entwicklung









3.4.4 Temperament und Bindung







3.1 | Wahrnehmung und Denken



Die Aufnahme von Information über die Sinne beginnt nicht erst bei der Geburt, sondern schon pränatal (Hopper 2007). Nach der Geburt nimmt das Neugeborene die neuen Informationen aus der sozialen und physikalischen Umgebung mit allen ihm verfügbaren Mitteln auf, denn die Informationsaufnahme ist eine wesentliche Voraussetzung für Entwicklung und Lernen.





3.1.1 | Wahrnehmungsentwicklung



Die einzelnen Sinnesmodalitäten entwickeln sich vor und nach der Geburt in unterschiedlichem Tempo. Das führt dazu, dass die Wahrnehmungskompetenzen des Fötus und danach des Neugeborenen je nach Beobachtungszeitpunkt modalitätsspezifisch unterschiedlich gut ausgebildet sind (

Slater et al. 2007

).



modalitätsspezifische Entwicklungstempi



Während der Geschmackssinn (olfaktorische Wahrnehmung) und der Tastsinn (taktile Wahrnehmung) bereits in der Plazenta gut stimuliert werden, was die Entwicklung vorantreibt, ist insbesondere der Sehsinn (visuelle Wahrnehmung) zum Zeitpunkt der Geburt noch wenig ausgebildet, was aufgrund der vorgeburtlich geringen Stimulation der Rezeptoren im Auge auch nicht weiter erstaunlich ist. Die durchschnittlichen Wahrnehmungskompetenzen von Neugeborenen und Säuglingen sind heute gut erforscht:



Schmecken und Riechen



 Besonders gut ausgebildet sind bereits bei der Geburt der Geschmacks- und der Geruchssinn (z. B.

Slater et al. 2007

).



Tast- und Hautsinne



 Berührungsreize sind bereits dem Fötus durch die Berührungen mit der Gebärmutterwand vertraut. Neugeborene reagieren auch auf Streicheln und auf Schmerzreize. Frühgeborene suchen tastend Halt im Inkubator (Brutkasten) und versuchen sich in einem Nestchen einzurichten.



Hören



 Föten reagieren ab der 24. Woche auf auditive Stimulationen (z. B. auf Musik).



 Die auditive Wahrnehmung verbessert sich auch noch nach der Geburt in den ersten Lebensmonaten weiter.



 Komplexe Laute lösen deutlichere Reaktionen aus als physikalisch reine Töne, der bevorzugte Frequenzbereich (Tonhöhe) liegt auf demjenigen der menschlichen Stimme oder darüber.



 Die Stimme der Mutter kann bereits nach der Geburt von anderen Stimmen unterschieden werden, vor allem wenn sie „gefiltert“ wird, sodass sie genauso wie im Mutterleib klingt (

Hepper 2007

).



 Töne von der Seite führen im sehr wachen Zustand zu Kopfdrehungen und visuellem Suchen.



Sehen



 Die Sehschärfe Neugeborener ist noch schwach und verbessert sich Sehen kontinuierlich im Verlauf der ersten Lebensmonate. Sie erreicht nach etwa 12 Monaten das optimale Niveau des Erwachsenen. Peripheres Sehen ist bei Neugeborenen noch kaum entwickelt.



 Demgegenüber ist die Größenkonstanz vermutlich ab der Geburt entwickelt: Neugeborene können Objekte nach ihrer Größe unterscheiden, auch wenn diese so präsentiert werden, dass deren Abbild auf der Retina konstant bleibt (das größere Objekt wird in entsprechend größerer Entfernung gezeigt) (

Slater et al. 2007

).



 Interesse an visuellen Stimuli: Bilder mit geringer Komplexität sind weniger interessant als solche mit hoher Komplexität. Bilder mit hoher Komplexität wiederum haben sich aber im Vergleich zu Gesichtern auf Fotos als weniger interessant erwiesen. Das größte Interesse zeigen Säuglinge eindeutig an „lebendigen“ Gesichtern.



 Das Gesicht der Mutter wird schon wenige Stunden nach der Geburt länger betrachtet als das Gesicht einer unbekannten Frau, sofern dem Kind das Gesicht der Mutter vorgängig in Kombination mit deren Stimme präsentiert wurde (

Sai 2005

).



 Säuglinge können ab der Geburt mit den Augen und dem Kopf einem Stimulus folgen, wenn er ihr Interesse gefunden hat.








Abb. 3.1 |


Säuglinge erleben eine Vielfalt von Tast- und Berührungsreizen.








Abb. 3.2 |


Das Baby nutzt schon sehr früh Bewegungshinweise, für deren Wahrnehmung die Sehschärfe weniger wichtig ist.



Tiefenwahrnehmung



Die entwicklungspsychologische Forschung hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich die Tiefenwahrnehmung entwickelt, und entdeckt, dass Kinder dafür bestimmte Hinweisreize nutzen:



 Ab 1 Monat: Beim sogenannten Looming führt die (simulierte oder echte) Annäherung von Objekten zu einem größeren Abbild auf der Netzhaut. Das Baby reagiert darauf mit Abwehrbewegungen.



 Erste Lebensmonate: Das Baby nutzt schon sehr früh kinetische Cues (Bewegungshinweise), für deren Wahrnehmung die Sehschärfe weniger wichtig ist.



 Ab 3 Monaten: Aufgrund der Konvergenz der Augen und der Querdisparation nutzt das Kind binokulare Hinweise, unterschiedliche Abbilder verschmelzen dabei auf der Netzhaut zu einem Bild. Je näher ein Objekt ist, desto größer ist die Querdisparation.



 Ab 6 Monaten: Verwendung statischer Distanzhinweise. Verdeckte Bilder erscheinen weiter hinten als unverdeckte (

Yonas/Arterberry 1994

).

 



 Ab 7 Monaten: Das Wissen über die Größe eines Objekts beeinflusst die Distanzwahrnehmung. Große Objekte, die klein wirken, werden als weiter entfernt wahrgenommen (

Granrud et al. 1985

).





3.1.2 | Frühe Kategorisierungsprozesse





Definition





Die wahrnehmbare Welt besteht aus Milliarden von unterscheidbaren Einzelobjekten und Eigenschaften, die wir aufgrund von Ähnlichkeiten bestimmten Kategorien zuordnen bzw. kategorisieren. Dadurch wird die Vielfalt und Komplexität der Welt reduziert und an die kognitiven Ressourcen (des Menschen) angepasst. Die Kategorisierung hat überdies den enormen Vorteil, dass wir einem Objekt, das wir als Vertreter einer bestimmten Kategorie betrachten, auch solche Eigenschaften dieser Kategorie zugestehen, die beim unmittelbar angetroffenen Vertreter nicht unmittelbar beobachtet werden (können).



Effizienzgewinn



Wenn ein Kind bereits weiß, dass Hunde bellen, so erwartet es, dass ein Hund, den es bislang noch nie gesehen hat, ebenfalls bellen kann und vielleicht auch bellen wird. Angetroffene Objekte, die einer Kategorie zugeordnet werden, müssen nicht vollständig exploriert werden, was die Wahr