SPURLOS verschwinden innerhalb weniger Wochen in München und Umgebung vier wohlhabende, betagte Witwen

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Soko Witwen



Innerhalb eines halben Jahres drei spurlos verschwundene alte Frauen, Witwen, vermögende Witwen. Verzweifelte Suchanzeigen bei der Polizei. Nie hatte es so etwas gegeben. Einzelfälle - ja. Tötungsdelikte - ja. Aber da hatte man wenigstens eine Leiche. Man konnte die Fälle einordnen und der Mordkommission zuweisen. Man konnte am Fundort wertvolle Informationen sammeln und bei den Toten den ungefähren Zeitpunkt ihres Hinscheidens ermitteln. Es gab Blut- und Fußspuren, Reifenabdrücke, eventuell Zigarettenkippen, einen abgerissenen Knopf, ausgerissene Haare, Hautreste unter Fingernägeln. Jedenfalls etwas für eine DNS-Analyse.



Die speziell eingerichtete „Soko Witwen“ aber tappte im Dunkeln. Im Fall der Hermine-Adele Hudefarth konnte man auch bei der zweiten, äußerst akribischen Untersuchung des Hauses, des Geräteschuppens und des Gartens keinerlei Spuren gewinnen. Bis auf den Puder von Latexhandschuhen am Knauf der Haustür und der Gartentür. Immerhin hatte die alte Dame einige Tage zuvor 50.000 Euro von ihrem Festgeldkonto abgehoben. Sie war persönlich bei der Bank und hatte - wie immer korrekt - ihren Finanzbedarf Tage vorher angemeldet. Dieses Geld war nicht auffindbar, auch nicht in irgendwelchen Matratzen, Schrank- oder Schubfächern. Die Geldscheine zwischen der Seidenwäsche, 20.000 Euro, die „Eiserne Reserve“, wie sich die Dame auszudrücken pflegte, waren peu-à-peu zwischen Höschen, Hemdchen und Spitzen-Nachtwäsche hinausgeschmuggelt worden. Geld stinkt nicht! Aber da war sich Else-Marie nicht gar so sicher. Für den Fall, dass die Kripo doch mal alle Fächer ausräumt und vielleicht einen Spürhund nachschnuppern ließ, hatte sie reichlich Campher-Mottenkugeln ausgestreut.



Der Spürhund „Oskar“ kam auch, nahm an einem von Hermines Schals Witterung auf, schnüffelte sich durch Haus und Hof, um schließlich wie der Suchhund von Windows die Beamten und Anwärter verlegen und schwanzwedelnd von unten anzublinzeln. Hermine hatte sich in Luft und Campherschwaden aufgelöst.



Der Fall der frommen Maria Solemnis Hüttner - „heißt nicht auch eine Freundin von Beethoven so?“ mutmaßte ein Polizeischüler, „Solemnis habe ich schon mal gehört!“ - war ebenso verzwickt. Der Hinweis auf Beethoven half jedenfalls überhaupt nicht weiter. Immerhin war ihr Verschwinden ziemlich zeitgleich, also nur mit einem oder zwei Tagen Verzögerung, bemerkt worden. Und: Maria Solemnis hatte sich auf eine längere Abwesenheit eingerichtet. Sie hatte ebenfalls eine für die Lebenshilfegruppe unvorstellbare Summe von 70.000 Euro von ihrem Konto abgehoben.



Wieviele voyeristische Instinkte wurden bei den Beamtinnen und Beamten befriedigt, wenn sie geradezu verpflichtet waren, nicht nur in alle Schränke, Kommoden und Nachttische, sondern auch in alle Schächtelchen und Döschen hineinzuschnuppern? Ja sogar die Briefsachen, die Schuhschachteln mit Fotos, die Fotoalben, die Bücher, natürlich auch die Leitz-Ordner wurden liebevoll und neugierig gefilzt.



Hier gab es jede Menge Fingerabdrücke, nämlich die von Maria selbst, von Klara, von Anna Weidner und ihrem Mann Emil, Nutellaspuren von Alma. Maria Solemnis pflegte, wie man so sagt, ein offenes Haus. Die Fülle der Fingerabdrücke und DNS-Spuren erwies sich als ebenso wenig aussagekräftig, als hätte man gar keine gefunden.



Gab es Familienangehörige? Bislang hatte man vergeblich versucht, mit der Tochter Judith Verbindung aufzunehmen. An der Adresse, die man auf einem verblichenen Briefumschlag gefunden hatte sowie in Marias Geburtstagsverzeichnis, war sie jedenfalls nicht mehr erreichbar.



Wenn ihr auch der Fall zugeschoben worden war, vermutete die Kripo, dass die Dame sich aus fiskalischen Gründen abgesetzt hatte. Dafür sprach, dass das Feuerchen im Garten unter anderem mit zerknüllten Bankauszügen angefacht worden war. Die Brandstifterin allerdings war schnell dingfest gemacht: Klara. Sie wollte nicht, dass das Image einer mildtätigen Dame beschädigt würde, wenn irgendjemand feststellen sollte, dass sie eine verkappte Millionärin war. Nur hatte Klara mit ihrer Zündelei genau das Gegenteil erreicht: Im nachtfeuchten Gras hatten einige Auszüge nicht Feuer gefangen. Mit sehr imponierenden Zahlen.



Der Fall der Anna-Luise Falke lag nun wieder ganz anders. Die Schnittmenge mit den anderen Fällen der spurlos Verschwundenen war klein: Alle waren Witwen, alle lebten allein und in beträchtlichem Wohlstand.



Wenn auch Herr Baumann diesen weiteren Fall einer mutmaßlich spurlos verschwundenen alten Dame aufdeckte, musste er sich erst einmal wegen seines Einbruchs rechtfertigen, der ganz sicher noch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen würde: Gewaltsames Eindringen in eine fremde Wohnung, Hausfriedensbruch, Stören der Privatheit, Zerstörung eines Teils der Hecke. Das konnte man nicht unter den Tisch kehren, Mitschülerin hin, Mitschülerin her. Allerdings hätte sich nach der Beschreibung von Person und Haus auch niemand gewundert, wenn im Wohnzimmer, Keller oder Dachgeschoss eine Art Mumie gefunden worden wäre. Eine vertrocknete Frau Falke.



Für die Spurensicherung gab es wenig zu tun. Bis auf die Fingerabdrücke von Heinz Baumann und solchen der neugierigen Nachbarinnen - alle mussten in die Ettstraße ins Präsidium - wurde nichts Verwertbares gefunden. „Was man nicht findet, ist weg! Also beseitigt worden.“ Verschwunden waren sämtliche Unterlagen und Akten, die irgendetwas mit Geld, mit Finanzen, mit der sicher mal arrangierten Altersversorgung zu tun hatten. In einer geblümten Zuckerdose fanden sich DM-Münzen und ein alter 5-Mark-Schein. Matratzen und Wäscheschrank? Fehlanzeige! In einem Kissen knisterte etwas. Es wurde vorsichtig aufgetrennt: Zum Vorschein kamen Milliarden und Billionen - Inflationsgeld aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Hauptkommissar Ludwig Metzner fand noch etwas heraus - beziehungsweise er fand eben nichts dergleichen: In allen drei Fällen fehlten die Handtaschen. Es gab ausgemusterte oder putzige Theatertäschchen, Einkaufstaschen, ALDI- und Dallmeyer-Tüten, aber keine aktiven, im Alltag genutzten Handtaschen. „Eine Frau ohne Handtasche gibt es nicht!!!“ konstatierte er. Mit drei Ausrufungszeiten.



Und noch etwas fehlte: Es fehlten die Leichen.





Judith Schwertfeger



Am Abend des 9. März 2008 - zwei Tage später als geplant - kehrte Kommissar Maurice Elsterhorst von seiner 14tägigen Nil-Kreuzfahrt zurück.



Sehr leise schloss er seine Wohnungstür auf, obwohl er wusste, dass ihm das Hineinschleichen gar nichts nützen würde. Er wohnte im 2. Stock des Rückgebäudes in einem Schwabinger „Bienenkorbhaus“, so genannt, weil es insgesamt 30 Mietparteien beherbergte. Alle Appartements waren von den gegenüberliegenden Fenstern mühelos einsehbar. Außerdem führte eine Art Balkon von einem Haus zum anderen, und jeder konnte beobachten, wer da zum Aufzug ging oder zu Besuch kam. Wer je behauptete, in einem solchen Haus wohne man anonym und unpersönlich, der hat sich gründlich geirrt.



Obwohl er erst Licht machte, als er die schweren Vorhänge zugezogen hatte, sah er bereits die Gesichter der beiden alten Damen am Fenster des 2. Stockwerks gegenüber. Es stand zu befürchten, dass eine der beiden bald läuten würde, um ihm etwas Essbares zu bringen.



Ich habe ihnen einen Wurstsalat gemacht. Sie haben sicher nicht daran gedacht, für heute Abend etwas einzukaufen.“

 Oder so ähnlich. Er würde sich bedanken und die milde Gabe umgehend in den Mülleimer werfen.



Elsterhorst schob den Koffer in den Flur, legte den Mantel irgendwo ab und sah sich um. Alles war an seinem Platz. Ja, es war schön, wieder daheim und – hoffentlich – endlich ungestört zu sein. Gerade wollte er sich in seinen Lieblingssessel fallen lassen, als es läutete.



„Der Wurstsalat!“ dachte er und rief:



„Ich bin unter der Dusche. Stellen Sie alles auf die Matte!“



Das Läuten hörte indes nicht auf und wurde bald von energischem Klopfen begleitet.



„Maurice! So mach’ doch auf! Ich bin es!“ rief eine Frauenstimme.



Rasch zog er seinen Morgenmantel über Jeans und Hemd und öffnete die Türe gerade so weit, wie es die Sicherheitskette zuließ.



Draußen stand eine Frau, sicher jünger als er und bestimmt noch jünger aussehend, als sie wirklich war. Ende 30 und aufgestylt wie eine 20jährige, war sein erster Eindruck.



„Was wollen Sie? Wer sind Sie überhaupt?“ fragte er unfreundlich.



„Maurice, ich bin’s, Judith. Was soll das? Erst schickst du mir ein Telegramm und dann lässt du mich vor der Tür stehen?“



„Judith?“ fragte er. „Judith Schwertfeger?“



„Ja, deine Judith Schwertfeger! Die du immer in die Schule begleitet hast!“



Erst da dämmerte es ihm. Natürlich kam ihm ihr Gesicht gleich irgendwie bekannt vor. Aber die Jahre, die Jahre! Man wird nicht jünger und erschreckenderweise schon ein bisschen dement? Judith, Judith, Judith rumorte es in seinem Kopf. Es dauerte eine Weile, bis sich aus Fetzen vager Erinnerungen wieder ein Szenarium zusammenfügte. Gerade noch bei der Sphinx und Kleopatra zu Hause, jetzt wieder unvermittelt zurück katapultiert in seine Schulzeit.



Er öffnete die Tür, die Frau stellte ihren Koffer ab und ging ohne Umschweife ins Wohnzimmer, während Elsterhorst seinen Bademantel in die Dusche warf. Sie ließ sich auf die Couch fallen und fragte: „Was ist passiert?“



Elsterhorst schüttelte den Kopf. „Das könnte ich Sie fragen!“



„Sie! Sie!“ empörte sich Judith. „Wir kennen uns, seit wir Kinder waren! Du schickst mir ein Telegramm, dass mit Maria, ich meine mit Mutter etwas passiert ist, und dann starrst du mich an wie eine Einbrecherin?“

 



„Judith“, erwiderte er, „ich habe deine Mutter seit fast 30 Jahren nicht mehr gesehen. Du müsstest dich doch erinnern, seit sie mir damals Hausverbot erteilte. Und ein Telegramm habe ich natürlich auch nicht geschickt. Ich wusste ja nicht einmal, wo du hingezogen warst und weiß erst recht nicht, wo du jetzt wohnst.“



„Ich bin 1984 nach London gegangen. Eine Brieffreundin hatte das vermittelt. Ich habe es mit ihr, mit Maria, also mit Muttern nicht mehr ausgehalten.“



„So schlimm?“ hakte Elsterhorst nach.



„Maurice, du erinnerst dich doch, dass Achim Schwertfeger, also mein Vater meine ich, bei einem Autounfall ums Leben kam. Maria gab sich die Schuld, obwohl sie keine hatte. Ein Jahr lang sprach sie kaum ein Wort. Ach, Maurice! In dieser Zeit warst du mein einziger Trost. Du brachtest mich zur Schule und manchmal nahmst du mich auch mit zu deinen Eltern. Dann geriet sie in diese Lebenshilfegruppe – und von da an wurde alles noch viel schlimmer. Sie musste sogar ihren Mädchennamen Hüttner wieder annehmen. Denn mit dem Schwertfeger hatte sie ja in Geschlechtsgemeinschaft gelebt! Jede Erinnerung daran sollte getilgt werden.“



Elsterhorst warf einen misstrauischen Blick auf diese Judith, seine frühere Kinderfreundin. Er hasste solche Bekenntnisse. Sie verlangten ihm etwas ab, was er zu geben nicht bereit war. Zudem hatte Judith inzwischen nicht nur ihre bunte Jacke ausgezogen, sondern auch ihre Schuhe, und die Füße auf seine weiße Couch gelegt.



„Sie brennen“, erklärte sie und massierte einen Fuß. „Dieser Gregor! Dieser Sektenbruder! Ich durfte nicht einmal mehr Judith heißen. Das sei kein christlicher Name. Also nannte mich Mutter Juliane. Meinen kleinen Hund ließ sie einschläfern. Hunde gelten in dieser Sekte als unheilig. Und dann, als ich 14 war, durfte ich mit keinem Mann mehr allein sein, nicht einmal mehr auf offener Straße. Maurice, ich glaube, ich hasse sie, genau wie diesen Gregor!“



„Was ist mit diesem Telegramm?“ insistierte Gregor. „Ich schicke keine Telegramme, höchstens E-Mails. Und ich hatte auch keine Adresse.“



Judith kramte in ihrer geflochtenen Tasche und zog schließlich das schon ziemlich zerknitterte Telegramm heraus.



Elsterhorst las:



An Judith Schwertfeger Universal Translaters Office Ltd



Komme sofort - stop - Deine Mutter ist verschwunden. Maurice Elsterhorst



„Was ist das für ein Büro?“



„Ich arbeite dort.“



„Wer wusste davon?“



„Mutter natürlich. Ich hatte ihr irgendwann die Adresse mitgeteilt. Warum auch immer.“



„Das Telegramm ist jedenfalls nicht von mir.“ erklärte Elsterhorst mit Nachdruck.



„Hilfst du mir?“ bat Judith.



„Es wird mir nichts anderes übrig bleiben“, antwortete Elsterhorst betont unwillig. „Ich bin nämlich Kriminalkommissar.“



„Das ist ja, das ist .... ich kann es kaum glauben!“ rief Judith. Sie war aufgesprungen und Elsterhorst fürchtete, sie wolle ihm um den Hals fallen. Er wandte sich schnell ab und fragte, ob sie etwas trinken wolle.



„Gehen wir zu unserem Haus?“ fragte Judith. „Jetzt gleich?“



„Nein, ich mache das über meine Dienststelle. Morgen früh!“



„Könnte ich vielleicht ....“ begann Judith und warf einen Blick auf die Couch.



„Mitkommen?“ fragte Elsterhorst. „Nein, aber ich rufe dich an. Ein paar Straßen weiter ist eine Pension. Ich werde dir ein Zimmer bestellen.“



Er griff nach dem Telefon. Judith blickte enttäuscht.



Elsterhorst brachte sie zu der Pension und notierte sich die Durchwahl zu ihrem Zimmer. Als er wieder nach Hause kam, sah er, dass sie nicht nur ihre Jacke vergessen hatte, sondern auch ein zerknülltes Taschentuch. Er nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Eigentlich wäre es doch ganz schön gewesen, noch ein bisschen mit ihr zu plaudern. Dachte er. Oder? Mal wieder stand er sich selbst im Weg.






Die Geheimnisse der Villa Hudefarth



Einerseits schätzte es Kommissar Lothar Velmond überhaupt nicht, wenn an ihn Aufträge aus dem Bekanntenkreis herangetragen werden. Da handelt es sich meist um familiäre Querelen. Man will sich Kosten für eine Detektei sparen und glaubt, für eine Kiste Wein durch ihn Recherchen anstellen lassen zu können. Um der lieben Nachbarschaft in Westcliff zu einer Mrs. Hudefarth Willen, ließ er sich ausnahmsweise mal vom Dr. med. Hudefarth und Else-Marie die Geschichte um das rätselhafte Verschwinden der Mutter Hermine berichten und fertigte einige Notizen dazu an.



Mehr oder minder mürrisch legte er seine ersten Zettel in eine Mappe und besprach die Angelegenheit mit seiner Assistentin Uta Möbius. Die fand den Fall sehr viel interessanter als er.



„Mal keine Leiche!“ frohlockte sie, „oder vielleicht doch, aber wo? Und ein millionenschweres Erbe, so denn Hermine für tot erklärt würde! Da muss man sich doch mal um den möglichen Erbgang und die Profiteure kümmern! Vielleicht wollte da jemand einfach nicht so lange warten, bis die offenbar fitte Dame auf natürlichem Wege abnibbelt! Wer früher stirbt, spart schließlich eine Menge Geld, das dann für die Erben übrig bleibt.“



Als kurz darauf die beiden weiteren Fälle spurlosen Verschwindens gemeldet wurden, da erst erwachte auch bei Velmond etwas mehr Feuereifer. Und Uta Möbius geriet geradezu in Verzückung. Das war so recht eine Kette von Fällen, in denen sie ihre analytischen Werkzeuge, die sie auf der Polizeischule erlernt hatte, zur Anwendung bringen konnte.



Also ging sie ans Werk, langte ein paar Formulare aus ihrem Fortbildungs-Ordner und begann, sie akribisch auszufüllen:





Fragenkomplex: Was ist? Was ist nicht? Wodurch unterscheidet sich beides? Gibt es Besonderheiten? Gibt es Veränderungen zwischen „Ist“ und „Ist nicht“? Spontaner Verdacht?





Ach, das klang natürlich sehr akademisch. Aber was soll’s?

Was ist:

 Drei alte, rüstige(?), vermögende Damen verschwinden mehr oder minder plötzlich und spurlos.

Was ist nicht:

 Es gibt keine Leichen, keine Kampfspuren, keine Abschiedsbriefe.



Besonderheiten:

 Zwei davon haben kurz zuvor 50.000 Euro bezw. 70.000 Euro in bar abgehoben, die nicht auffindbar sind.



Was ist:

 Alle Damen hatten Kreditkarten ihrer Hausbank.

Was ist nicht:

 Alle haben seit ihrem Verschwinden kein Geld abgehoben.



Besonderheit

: Wovon leben die Damen? Verdacht a) Die Damen leben nicht mehr, aber es liegt kein beweisbarer Raubmord vor. Verdacht b) Sie leben im Ausland vom abgehobenen Geld oder von Schwarzgeld in Schweizer Franken oder irgendwie.



Was ist:

 Die Handtasche, die Hermine Hudefarth hauptsächlich benutzt hat, fehlt. Es fehlen damit ihr Portemonnaie, ihr Personalausweis, Hausschlüssel. Ebenso fehlen die Handtaschen von Maria Solemnis und Anna-Luise.



Was ist:

 Das Haus Hudefarth war verschlossen. Alle Fenster geschlossen und intakt.



Was ist nicht:

 Es gibt keine Einbruchsspuren. Besonderheit: Talkumspuren am Haustür- und Gartentürknauf. Die Häuser Falke und Hüttner waren zwar nicht richtig zugeschlossen; die Schlösser nur zugeschnappt. Aber es gab auch hier keine Einbruchs- und Gewaltspuren. Im Haus Falke war ein Fenster gekippt.



Ach war das mühsam. Aber vielleicht doch nützlich, zumal wenn man die Tatbestände verglich.



Lothar Velmond lächelte über Uta Möbius’ Methoden, ließ sie aber gewähren. Diese minutiöse, linkshemisphärische Vorgehensweise war nicht seine Sache. So verabschiedete er sich für einen Nachmittag und quartierte sich für einige Stunden in Hermines Villa ein. Meditation am Tatort, das hatte ihn immer weit gebracht. Jeder Tatort wispert, wie er zu sagen pflegte. Man muss nur sehr, sehr genau hinhören. Dazu gehört die Stille. Velmond ließ sich am Sekretär der alten Dame nieder. Leider war da schon aufgeräumt worden und Ordnung geschaffen. Dennoch notierte er, dass die Dame vermutlich beim Briefeschreiben gestört worden war. Oder wurde sie über das Schreiben eines Briefes depressiv? Könnte sie ein Schwächeanfall ereilt haben? Aber dann? Oder war sie gar zum Schreiben eines Briefes gezwungen worden?



Irgendwie machte es Klick bei ihm! Menschen, die ihr vertraut waren, die einen Schlüssel zum Haus hatten, standen vielleicht plötzlich hinter ihr? Mit Waffen? Oder taten ganz harmlos? Konnten sie aber bewegen, irgendwohin mit zu kommen? Eine harmlose spontane Einladung, vielleicht zu einer Veranstaltung? Oder zum Kaffeetrinken? Die Dame folgt, zieht nicht mal einen Mantel an, nimmt ihre Handtasche und folgt den ihr vertrauten Eindringlingen (Notiz! bitte prüfen: Wer käme dafür in Frage? Wer hatte Schlüssel? Wer hätte Nachschlüssel machen lassen können?). Alle verlassen die Villa, ganz normal, unauffällig, steigen in ein den Nachbarn bekanntes Auto (Notiz: Wessen könnte das sein?). Die Dame wird betäubt und irgendwohin verbracht, später eventuell getötet. Handtasche wird beseitigt. Die Täter kommen später noch einmal mit Gummihandschuhen, erbeuten die 50.000 Euro, beseitigen Spuren. Schließen das Haus ab und verschwinden. Warum? Was wäre das Motiv? Beschleunigtes Erbe? Fehlanzeige; denn dafür müsste der Tod feststellbar sein. Raub? Warum heben die Täter nicht in den Folgetagen Geld mit der Bankkarte ab? Warum? Wer hat übrigens die Kontoauszüge? Gibt es ein Testament? Gibt es einen Haus-Anwalt?



Velmond tut so, als würde er versuchen, heimlich durch den Flur zum Schreibzimmer zu schleichen. Knarzen die Bretter? Das Parkett? Nein. Die dicken Teppiche und Teppichböden schlucken jeden Laut. Das Sicherheitsschloss an der Haustür dreht sich fast lautlos.



Velmond verzieht sich zu weiterem Meditieren in die Dachboden-Wohnung, in der der angeblich adlige russische Untermieter gewohnt hatte. Na - das war eine Überraschung! Sie erwies sich als ärmliche ehemalige Dienstboten-Kammer in krassem Kontrast zum Luxus darunter. Wasserfleckige Tapete, zum Teil abgerissen. Knarzende Bodenbretter bei jedem Tritt. Eine durchgelegene Bettstatt. Gurrende Tauben direkt vor dem kleinen Fensterchen, aus dem der alte Kitt bröckelt. Einfachverglasung. Ein Schrank, dessen Türen klemmen. Ein Tisch mit Schublade. Darin ein paar alte bautechnische Zeitschriften, eine Fachzeitschrift BETON, Tischplatte vollgekritzelt (kyrillische Buchstaben? Foto!), ein einfacher Holzstuhl, rissiger Schleiflack, grau. Ein leerer Papierkorb. Frage, die sich anknüpft: Wer hat die Papierkörbe und Abfalleimer im Haus geleert?



Oh, es bedurfte nicht viel, dass in Velmond die Seele zu kochen begann. Klassenkämpferische Gedanken erfüllten das ganze Kabäuschen. Hier oben der Student (Was hat er studiert? Wo war er eingeschrieben? Wie lange?), angeblich von Adel (Wer aus dem Bekanntenkreis war der Vermittler?), unten die reiche Dame! Wie kommt man an ihren Reichtum? Die Orgie - ein erster Racheakt? Die Wut, die sich frei macht in inneren oder auch äußeren Sätzen wie „Ich scheiße auf euren Reichtum!“ Teppiche, Symbole des Wohlstandsbürgertums, des angemaßten Pseudo-Adels, besudeln! Den Weinkeller plündern. Porzellan zerdeppern!



Die Orgie! Wer trifft sich? Etwa Philipp, der aufbegehrende Sohn? (Alibi und Fingerabdrücke prüfen!) Vielleicht auch Else-Marie, die ungeduldige und wenig geduldete Erbin? Velmond meditiert sich so was in Rage, dass es ihm innerlich schwer fällt, Hermine-Adele Hudefarth als Opfer zu betrachten. So recht in dieser Stimmung nimmt er nun den Keller in Augenschein. Es ist schließlich die richtige Zeit für einen samtigen Burgunder. Und auf eine Flasche mehr oder weniger kommt es nicht an. Irgendwozu müssen auch seine Vinylhandschule gut sein, damit er keine Fingerabdrücke im Weinkeller und am Korkenzieher hinterlässt. Er holt sich einen protzigen, fein geschliffenen Römer aus der Vitrine und genießt den fast 15jährigen Rebensaft im Lehnstuhl neben dem Rauchtisch.



Schade, dass er nicht raucht, denn in einer kleinen silbernen Schatulle findet er eine angebrochene Schachtel DUNHILL mit diesem exquisiten, edlen und unnachahmlichen Rot und Gold. Eine so dargebotene Zigarette musste man einfach rauchen, ob’s schmeckt oder nicht. Unschwer konnte er allerdings auf der glanzvollen Packung Fingerabdrücke erkennen und somit die Packung für die Asservatenkammer beschlagnahmen.



Am nächsten Morgen präsentiert er seine Vermutungen und alle Zettel mit Fragezeichen im Kommissariat: Kidnapping bezw. Grandma-Napping durch Vertraute mit Todesfolge oder Tötungsabsicht? Mögliche Motive: Beschleunigung des Erbgangs, Raub des Geldes und eventuell von Schmuck. Bedeutendstes Fragezeichen: Weshalb hebt Hermine zwei Tage vorher 50.000 Euro ab? (Er wird bei der Bank recherchieren). Um die Recherchen bezüglich der anderen Fragezeichen muss sich Uta Möbius bemühen. Bleibt die Frage: Wo ist die Leiche? Wenn es überhaupt eine gibt.

 



Kurz darauf stellt sich ihm ein hagerer, stattlicher Mann mittleren Alters vor:



„Gestatten, Elsterhorst, Maurice, Kriminalkommissar und fortan kollegial der ‚Soko Witwen’ zugehörig. Ich hoffe auf gute und ergänzende Zusammenarbeit mit Ihnen. Vier Augen sehen mehr als zwei. Übrigens kann ich mit einigem Stolz schon ein Ermittlungsergebnis beitragen: Ich konnte Verbindung mit Judith Schwertfeger, geborene Hüttner, herstellen, die auch b

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