Speyerer Altlasten

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Speyerer Altlasten
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Krimi 1 mit den 38ern und Inger Babajaga

Speyerer Altlasten

Mord im Klostergarten

von W.W. Pook

Ein Sommergewitter zur späten Nacht steht über Speyer und entlädt sich mit Urgewalt. Blitze schlagen in den nahen Rhein, gefolgt von furchtbarem Donner.

Vor fünfzehn Minuten angekommen, befinde ich mich bereits in der historischen Altstadt und die gespenstische Atmosphäre und die unguten Vorahnungen lassen die alten Mädchen und mich vor dem kleinen Haus verharren.

Mit erhobenen Schirmen treten wir ein und bleiben wie versteinert am Zugang zum Wohnzimmer stehen.

Die alten Mädchen schreien nicht, sondern betrachten stumm das Szenario, das vor ihnen liegt .....

Wer trachtet Nonnen und ehemaligen Lehrern der Klosterschule nach dem Leben und was ist das Motiv? Ausgerechnet am festlichen Höhepunkt des Jahres, dem Brezelfest, kommt es in der alten Domstadt zu grausamen Morden. Die Spuren führen die holländische Psychologin Inger Babajaga in die Vergangenheit.


Wilma Waltraud Pook

wurde 1958 in Speyer am Rhein geboren. Als Enkelin der damaligen Pächter vom Löwengarten, wuchs die Autorin inmitten von Speyerer Originalen auf.

Gemeinsam mit den Großeltern und dem legendären Onkel Schorsch, erkundete sie bereits in jungen Jahren Speyer und das Umland bis zur Weinstraße.

Die Deutsche Nationalbibliothek

verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Handlung ist frei erfunden und etwaige auftretende Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © Jochen Werz Verlag 2014

Alle Rechte liegen beim Verlag

ISBN 978-3939434-23-8

Mehr Informationen unter www.4werz.de

Danksagung

„Freunde in der Not, gehen hundert auf ein Lot!“

In diesem Sinne vielen Dank an meinen Mann, Franz Laag für die immer wieder aufmunternden Worte, den Glauben an mich und mein Können. Ohne seine Kochkünste wäre ich mit Sicherheit mehrfach vor dem Computer verhungert.

Danke auch an Sabina Herkelrath, meine Computerfrau und Begleiterin zu mehreren Exkursionen um den Dom zu Speyer.

Danke auch für deine technische Unterstützung und dafür, dass du immer wieder den Kopf hingehalten hast, damit ich üben konnte, einen Mord zu begehen.

Danke auch an den Verleger, Jochen Werz, dass er sich trotz meiner Krankheit bereit erklärt hat, diesen Krimi zu veröffentlichen. Er fasst es immer noch nicht, dass ein Temperamentsbündel wie ich es bin, nicht an die Öffentlichkeit treten kann und mit Posaunenstimme Lesungen hält, dass der Dom zu Speyer wackelt.

„Nobody is perfect!“

In diesem Sinne auch ein Dankeschön an alle Lesenden und Leidensgenossen, und Speyerer Originale, denen ich auf den Mund schauen durfte.

Witz und Humor halten die Pfalz zusammen und den Dom am rechten Fleck.

„Nore net unnergrische losse!“

W. W. Pook

Kapitel 1
Mord in der Altstadt

Ein Sommergewitter zur späten Nacht steht über der Stadt und entlädt sich mit Urgewalt. Blitze schlagen in den nahen Rhein, gefolgt von furchtbarem Donnern.

Das unebene Pflaster dampft unter meinen Füßen und der Sturm zerrt an den Regenschirmen, die wir vergebens über uns halten.

Vor fünfzehn Minuten am Bahnhof angekommen, befinde ich mich bereits in der historischen Altstadt, doch die Dunkelheit und die Eile, mit der die alten Damen vor mir herstürmen, lässt keine Beschaulichkeit aufkommen.

Von der wilden Idee gepackt, einem alten Schulkameraden eine wichtige Botschaft zukommen zu lassen, überqueren wir den Speyerbach. Wir lassen das metallene Klostertor zur Heiligen Bernadette zur Rechten liegen und biegen in die nahe Bärengasse ein, die fast in vollkommener Dunkelheit vor uns liegt.

Wir passieren kleine Häuser, eng aneinander gebaut, so als stützen sie sich gegenseitig und das uralte Pflastergestein kündet von ihrem Alter.

Ulla Erler findet sofort die richtige Hausnummer und betätigt den Türklopfer, aber nichts regt sich in dem alten Haus, obwohl das Licht im Innern brennt.

Erneut und sehr energisch schlägt sie den Metallring gegen die dazugehörige Platte, da öffnet sich die Eingangstür wie von allein. Sie quietscht nicht, doch ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie es getan hätte.

Die gespenstische Stille lässt die alten Mädchen an der Türschwelle verharren und ungute Vorahnungen lassen sie vielsagende Blicke wechseln.

Wieder ist es Ulla Erler die voranschreitet, den zusammengefalteten Schirm wie zum Schutz gegen die Brust gepresst. Doktor med. Grete van Potgieter, meine mütterliche Freundin, folgt, eine Hand an Ullas Regenjacke geklammert und ebenfalls den Schirm schlagbereit erhoben.

Wieder donnert und blitzt es über dem Rhein, als drehe sich das Gewitter auf der Stelle. Draußen prasselt der Regen wie Steinchen auf das alte Pflaster und spritzt in den Flur herein.

Schritt für Schritt tasten sich die alten Freundinnen den Flur entlang und rufen leise nach Oskar. Aber die Totenstille im ganzen Haus drückt mehr aus als tausend Worte.

An der Holzdiele zum Wohnbereich bleiben die Damen wie versteinert stehen, schreien aber nicht und betrachten stumm das Szenario.

Ich dränge näher, spähe in den Raum und sehe, was geschehen ist, ziehe mein Handy und wähle die Notrufnummer 110, die mir Ulla diktiert.

„Inger Babajaga, in der Bärengasse 13 hier in Speyer. Ich möchte einen Mord melden. Ja einen Mord!“, muss ich wiederholen, als würde ich holländisch sprechen anstatt deutsch.

Plötzlich scheint der Beamte am anderen Ende der Leitung begriffen zu haben und belehrt mich, als wüsste ich das nicht selbst zur Genüge, wie ich mich zu verhalten habe, damit keine Spuren verwischen.

Selbst von diesem düsteren Ort aus hören wir die Sirenen der Polizeiwagen, die aus der nahen Station ausrücken.

„Die wären zu Fuß schneller hier, bei all den Einbahnstraßen, es ist doch nur ein Katzensprung über den Speyerbach!“, knurrt Frau Erler ungehalten, was einer Siebzigjährigen aber nachgesehen werden kann.

In geübter Manier nehme ich den Tatort in Augenschein, ohne ihn zu betreten oder etwas zu berühren. Auch wenn ich nur eine holländische Psychologin bin, so ist das nicht mein erster Tatort, den ich sehe.

„Inger, mein Kind, nutz die Zeit und nimm alles auf, was wir zur Lösung der Fälle benötigen. Die Sirenen sind erst auf dem Eselsdamm, du hast bestimmt noch drei Minuten!“, zischt Gretchen in mein Genick, denn größer ist sie nicht und jedes Mal bekomme ich eine Gänsehaut, wenn sie das tut.

Wie ein Kartograf teile ich den Innenraum des Geschehens in kleine Bereiche auf und speichere meine Beobachtungen. Nicht die Leiche in ihrem Blutbad hat mein Augenmerk, sondern alles drum herum.

An der linken Wand ein Glasschrank, antik aus dunklem Holz. Feines Kristall schimmert heraus, mindestens genau so alt.

Im rechten Winkel dazu steht ein schönes Sofa, Kissen und eine Decke unordentlich, als hätte Oskar noch vor kurzem darauf geschlafen.

Im Zentrum ein niederer Tisch, darauf Salzgebäck und zwei Gläser Wein, noch unberührt, wie es mir scheint.

Ein Mobiltelefon, griffbereit für die Leiche im Sessel. Gegenüber ein weiterer Sessel, das Kissen ist zerknautscht. Dort scheint der Täter gesessen zu haben, nach der Aufstellung der Weingläser zu schließen.

An der Wand zu meiner Rechten ist ein großer Fernseher angebracht, dessen moderne Art im Gegensatz zur antiken Einrichtung steht.

Die Polizeiwagen fahren von der rückwärtigen Seite die Bärengasse herein und ich nutze die letzten Momente.

Die Leiche sitzt in ihrem Sessel, die Hände in die Lehnen verkrallt. Der Kopf hängt hinten über das Kopfteil, bis zur Wirbelsäule abgetrennt.

Das Blutbad ist unaussprechlich. Selbst in die Gläser ist es gespritzt, über den Tisch bis zum leeren Sessel, an die Decke und die gegenüberliegende Wand, aber das Meiste steht unter dem Tisch, wo Oskar im Todeskampf den Teppich mit den Füßen zu einem Wulst zusammengeschoben hat.

Ulla und Gretchen nehmen die Beamten in Empfang und führen sie zu mir an die Tür zum Wohnzimmer.

Der erste Eindruck überwältigt auch sie, doch die berufliche Routine setzt sich über alle menschlichen Gefühle hinweg.

Ich setzte mich im Flur auf den Boden, mit dem Rücken zur Wohnzimmerwand und versenke in scheinbarer Übelkeit meinen Kopf auf die Knie.

Was die Beamten nicht wissen und auch nicht zu wissen brauchen, während ich so dasitze, nehme ich restliche Eindrücke in Bildern in mich auf, die mir von den jüngsten Ereignissen vor Ort erzählen.

Neugierige und auch die Presse drängen zur Vordertür herein, was aber die Polizisten sofort verhindern.

Die Verhöre beginnen und Ulla führt das Wort, während Grete dafür sorgt, dass ich noch unbehelligt bleibe. Sie, als meine Ärztin sorgt für mich, was die Beamten sofort verstehen und so verschafft sie mir die Zeit, wichtige Informationen zu sammeln.

 

Ein Großaufgebot an Spezialisten trifft ein, die alle Spuren sichern. Auch uns werden Fingerabdrücke abgenommen, obwohl ich die ganze Zeit über Handschuhe getragen habe.

Ich gebe Auskunft, warum ich eben zu dieser Zeit den Oskar Metzger aufsuchen wollte. Also berichte ich wahrheitsgemäß und so kurz und knapp wie möglich.

„Gegen sechs Uhr heute Morgen traf Frau Dr. med. van Potgieter bei mir in Wijk bij Duurstede in Holland ein. Bat mich, ich solle sie nach Speyer begleiten zur Beerdigung ihrer alten Klassenkameradinnen Liesel Bäcker und Maria Steiger, die wie Ihnen bereits bekannt sein dürfte, beide in der Nähe ermordet wurden.

Da sie eine gute alte Freundin von mir ist, und ich gerade nichts anderes vorhatte, fuhren wir mit dem nächstbesten ICE hierher.

Doch Frau Ulla Erler“, womit ich auf die große starke Frau zeige, die meinen Aussagen lauscht wie ein Fuchs, „empfängt uns am Bahnhof in Speyer mit der fürchterlichen Vorahnung, dass noch weitere Lehrerkollegen in Gefahr sein könnten.

Bevor ich ihren Gedankengang noch nachvollziehen konnte, stellten wir unser Gepäck in ihren Hausflur und stürmten hierher.

Was wir vorfanden, wissen Sie bereits. Ich benachrichtigte Ihren Kollegen in der Zentrale, alles Weitere ist Ihnen bereits bekannt!“

Meine Personalien werden aufgenommen, alles nur der Routine wegen und ich muss immer wieder bestätigen, dass ich das Opfer weder kannte noch mit ihm in anderweitigem Kontakt stand und allmählich wird mir die Sache sehr lästig.

Mein Magen knurrt, vom Durst gar nicht zu reden, ich sehne mich nach einem ruhigen Plätzchen, an dem ich meine Gedanken sortieren kann.

Mit einem vielsagenden Blick signalisiere ich den alten Damen, dass wir uns vom Tatort entfernen sollten. Ulla regelt das mit den Beamten, die in Anbetracht der späten Uhrzeit vollstes Verständnis zeigen. Noch einmal bestätigt Frau Erler, dass sie jederzeit in der Maximilianstraße 7 erreichbar ist, ansonsten per Handy.

Draußen herrscht trotz Regen Hochbetrieb. Die Schaulustigen sind immer noch aktiv. Die Reporter stürzen sich auf uns, aber Ulla schirmt Gretchen und mich wie eine Glucke unter den ausgebreiteten Flügeln solange ab, bis die Türen des bereitstehenden Polizeiwagens ins Schloss fallen und wir den Heimweg antreten.

Im Stillen gebe ich den alten Mädchen recht, der Fahrweg ist länger als der Fußmarsch. Dafür halten wir die Regenschirme ungenutzt in unseren Händen und brauchen nicht durch den Nebel zu laufen, der die ganze Speyerer Altstadt durchwabert als wären wir im Herzen Londons.

Die Koffer in der Hand steigen wir eine Treppe hinauf, wo sie uns die Schlafzimmer zuweist, aber für Ruhe scheint es noch nicht Zeit zu sein, denn sie befiehlt uns sofort in die Küche, zu einer ersten Krisensitzung, wie sie es nennt.

Ich streife meine nassen Sachen ab und schlüpfe in einen Jogginganzug, dann suche ich die Küche auf, in der Hoffnung, endlich etwas zu essen zu bekommen.

Erstaunt sehe ich die Alten am Tisch sitzen als wäre nichts weiter geschehen. Tuschelnd wie zwei Schulmädchen stecken sie die Köpfe zusammen und kichern aus Freude sich wieder zu sehen.

Zu meiner eigenen Freude sehe ich den Teller mit belegten Broten, verziert mit Paprikastreifen und Gurken. Salatblättchen quellen heraus und obenauf je ein Tupfer Mayonnaise. Die Schnittchen sind gut und Ulla, wie ich Gretchens Freundin nennen darf, reicht mir eine Tasse Tee. Die Freundinnen trinken zum Wiedersehen ein Glas Sekt.

„Extra trocken“, sagt Ulla. „Das erspart das teuere Lifting. Die Gesichtshaut zieht sich glatt, bis ich hinter den Ohren eine Ziehharmonika habe, die ich unter dem Haarschopf geschickt verberge!“

Gemeinsam kichern die Zwei erneut wie Schulmädchen und ich brauche etwas länger, um die Pointe zu verstehen.

Gretchens Sprache hat sich, obwohl sie seit fünfzig Jahren in Holland lebt, seit der Ankunft in Speyer merklich verändert. Deutsch ist für mich zwar wie eine zweite Muttersprache, aber ich habe schon immer Probleme mit den vielfältigen Dialekten.

Also studiere ich ausgiebig die belegten Schnittchen, wähle nur die mit Mayonnaise als Basis und betrachte die Frauen.

Ulla Erler ist eine imposante Person. Noch immer mindestens 170 cm groß, obwohl sie durch das Alter leicht gebeugt ist. Die mächtige Haarmähne ist meliert, wie Pfeffer und Salz gemischt und die dunklen Augenbrauen weisen darauf hin, dass Ulla einmal dunkelhaarig war. Die graubraunen Augen erinnern mich an eine Wölfin, sind aber freundlich und weise. Das Dreifachkinn und der große Busen geben der mächtigen Erscheinung eine so starke Mütterlichkeit, dass ich mich sehr zu ihr hingezogen fühle.

Wie sie so da sitzen, die alten Damen, in ihre Erinnerungen vertieft, fühle ich auch keine negativen Eigenschaften oder versteckte Gefühle. Beide sind so offen in ihren Wesen, wie ein aufgeschlagenes Buch, in dem ich als Psychologin mühelos lesen kann.

Aber ich fühle auch die machtvolle Entschlossenheit, als sie sich vom Küchentisch erheben und zu ernsten Dingen schreiten, wie sie es nennen.

Bei aller Wiedersehensfreude wenden sich die Freundinnen nun den Morden und Ullas Recherchen zu.

Ich decke die verbliebenen Schnittchen ab und stelle sie auf die Anrichte. Dabei lausche ich Ullas ersten Berichten zum Mord an Liesel Bäcker.

Neugierig geworden folge ich mit einer weiteren Tasse Tee und wähle mir einen bequemen Sessel am Fenster, von wo aus ich einen schönen Blick zum Dom habe.

„Gretchen, meine Liebe, ich habe alles zusammengetragen, was ich von den 38ern gefunden habe“.

Von meinem Sessel aus beobachte ich Gretchen, die zwei verblichene Klassenfotos studiert. Das Erste zeigt nur Mädchen, das andere nur Jungen.

„Warum hast du das der Buben auch hier aufgestellt?“, fragt Gretchen höchst erstaunt und Ullas Blick wird sehr ernst.

„Ich fürchtete, ohne es genauer benennen zu können, dass auch die Buben betroffen sind und wie du selbst miterlebt hast, hatte ich Recht!“

„Erinnerst du dich an ihn?“, flüsterte Ulla.

„Oh ja, der Oskar Metzger, an den erinnere ich mich sehr gut. Er hat mir den Hof gemacht, aber seine feuchten Hände machten mir eine Gänsehaut!“

Und doch füllen sich die Augen meiner Freundin mit Tränen. Lange betrachtet sie das alte Bild, bis sie es auf den kleinen Beistelltisch zurückstellt und eine Kerze entzündet, als Gedenken für die Toten.

Auch mich erfasst ein Schauer und mein Blick wandert erneut zum Dom, als könnte er mich vor der Traurigkeit bewahren, die über die Frauen kommt. Gretchen liest den Zeitungsbericht.

„Da steht nichts darin wie Liesel und Maria ihr Leben verloren haben!“, aber ihr fragender Blick zu Ulla macht ihr Hoffnung, dass diese vielleicht eine Ahnung haben könnte.

„Ich kenne die Putzfrauen vom Kloster, die haben mich genau informiert“.

Gretchen hält die bedeutungsschwere Pause kaum aus, die Ulla zum Luftholen braucht. Schnaubend wie ein Pferd sammelt die starke Frau all ihren Grips und fährt dann endlich fort.

„Wie bei Oskar, Kopf ab bis zur Wirbelsäule. Einen Draht mit zwei Holzgriffen, im Genick verdreht und ein Blutbad wie in einer Schlachterei!“

Mir wird übel bei der sachlichen Schilderung und ein intensiver Blutgeruch steigt mir in die Nase. Die Frauen haben eine Gabe, das Leid und die nackten Tatsachen so voneinander zu trennen, als seien sie alte Polizisten.

„Also derselbe Täter?“, stellte Gretchen eiskalt fest und Ulla nickt.

Mit einem Blick zu mir vergewissert sich meine alte Freundin, ob ich auch ja alles gehört und verstanden habe, aber ich winke sofort ab. Dieser und auch die anderen Fälle, gehören nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Wenn ich auch in Holland von den Behörden ab und an zur Mitarbeit gebeten werde, so lehne ich eine Einmischung hier kategorisch ab.

Enttäuscht wendet sie sich dem schweren Holztisch zu, der das Zentrum des gemütlichen Wohnzimmers bildet, zieht sich einen Stuhl heran und studiert die Zeitungsausschnitte und handgeschriebenen Zettel, die durcheinander liegen.

Mir wird der Boden zu heiß und bevor Gretchen mich mit ihrem Dackelblick dazu bringt meinen festen Standpunkt zu überdenken, ziehe ich mich lieber in das kleine Schlafzimmer zurück, das Ulla für mich gerichtet hat.

Es ist ja so eine Sache mit fremden Betten und ich bin da keine Ausnahme, aber als ich das uralte Bett sehe, 180 cm lang und 100 cm breit muss ich grinsen. Gott sei Dank, dass ich nicht so groß bin wie Maarten, der hätte sich wie ein Rollmops zusammendrehen müssen. Aber für meine 160 cm reicht das alte Ding bestimmt.

Doch im Bad muss ich weiter grinsen, denn auch hier scheinen die letzten hundert Jahre spurlos an allem vorübergegangen zu sein.

Neugierig drehe ich am Wasserhahn und tatsächlich fließt Wasser heraus. Keine Schwengelpumpe, wie ich fast befürchten musste, als ich die Zinkbadewanne auf geschwungenen Füßen erblickte. Ein Brausekopf hängt darüber und ein Plastikvorhang schützt den alten Holzboden.

Doch die Toilettenspülung ist das Tollste. Eine uralte Zugvorrichtung mit Keramikgriff an einer Kette, die ich mich fast nicht zu benutzen traue. Doch sie hält meinem Zug stand. Die Decke bleibt, wo sie ist, aber der Rheinfall von Schaffhausen macht nur halb soviel Getöse wie die Toilettenspülung.

Zurück in meinem feinen Schlafzimmer beschließe ich meine Koffer erst morgen auszupacken.

Ich öffne das Fenster, wie ich das immer tue, und werfe mich juchzend in das quietschende Bett. Sofort versinke ich in den dreiteiligen Matratzen, kämpfe mit den dick gefüllten Federbetten und befreie mich von dem Federballast, der für einen sibirischen Winter geeignet wäre. Jetzt ist alles urgemütlich und während ich in dem schaukelnden Bett noch an meine Pritsche auf Vaters Lastkahn denke, bin ich eingeschlafen.

Kapitel 2
Tatortbesichtigung

Das Sechsuhrläuten der vielen Kirchen um mich herum macht mir sofort klar, wo ich bin. Doch ich mag die schaukelnde Kuschelkiste noch nicht verlassen.

Draußen auf der Hauptstraße ist es noch mäuschenstill und ich genieße die leichte Brise, die meinen Vorhang bewegt.

Aus meiner Handtasche angle ich mein Handy und wähle Maarten an, der bestimmt schon hinter seinem Steuerrad steht und mit seinen Adleraugen die Fahrrinne beobachtet.

Und so ist es dann auch. Einmal Klingeln und ein lautes:

„Hoi mijn Meid!“, donnert mir entgegen. Ich sehe sein verschmitztes Grinsen vor mir und lasse das Bett schaukeln, als stände ich neben ihm am Steuer, mit einer Tasse Kaffee in der Hand.

Es dauert eine Weile bis ich alles berichtet habe, was sich in den letzten Tagen zugetragen hat. Wie von einem Schiffsjungen fordert Maarten genauen Bordbericht von mir und lauscht konzentriert meinen Erzählungen.

Als ich meinen Aufenthalt in Speyer schildere, wie es dazu kam und was ich bisher gesehen habe, überrascht mich seine Frage nicht, ob ich in den Fall einsteige. Ein tiefes Atmen ist sein ganzer Kommentar und trotz meiner psychologischen Ausbildung bin ich nicht imstande, seine Reaktion zu deuten. Ich müsste sein Gesicht jetzt sehen, dann wüsste ich Bescheid.

Die Abschiedsworte sind wie immer liebevoll, aber kurz und knapp. So ist er eben.

Mit einem neuerlichen Grinsen begrüße ich mein Spiegelbild im vorsintflutlichen Bad. Ich stelle fest, hervorragend geschlafen zu haben und in meinem Gesicht zeigen sich noch immer keine Falten oder Knitter. Die Haut ist lupenrein wie immer, vielleicht etwas blass, was bei blonden Menschen wie ich es bin, oft vorkommt. Die grünen Augen glänzen, die Zähne sind makellos, was will ich mehr. Meine jugendliche Figur mit harmonischen Rundungen habe ich mir auch bewahrt, obwohl ich dem guten Essen gerne zuspreche.

Gretchen sagte immer, ich entspringe der Rasse der Babajagas, die alle schlank waren, hoch aufgeschossen und essen konnten, soviel und was sie wollten.

Nur die Größe habe ich von meiner Mutter, oh, und auch die psychologische Ader. Eine spezielle Kunst, im Umgang mit Menschen und ihren Schattenseiten, die an keiner Universität gelehrt wird. Ein vererbtes Talent, eine angeborene Schnüfflernase, gepaart mit einem Gehirn, das Assoziationen und Verknüpfungen herstellen kann, die uns von allen anderen unserer Zunft unterscheidet.

Ich wähle für den Tag eine helle Leinenhose und eine bunte Bluse und da draußen die Sonne scheint, schlüpfe ich in meine neuen Basler Sandalen, die mir Maarten mitgebracht hat.

 

In der Küche sitzen die alten Mädchen bereits beisammen.

„Inger, mein Mädchen, hast du gut geschlafen?“, tönt mir Ullas Ruf entgegen und ich nicke freundlich in ihre Richtung.

Auch Gretchen thront am Esstisch, die Nase hinter der Tageszeitung verborgen. Ich gebe ihr ein Küsschen und richte Maartens Grüße aus.

„Ohh, das Mädchen hat einen Freund?“, ruft Ulla zu Gretchen, die wie eine Schlange den Hals reckt, über den Zeitungsrand lugt und erwidert:

„Und was für einen. Zwei Meter lang, dünn wie eine Bohnenstange, Beine wie ein Storch, Hände und Füße so groß wie Windmühlenflügel und das Gesicht unter lauter rauen Stoppeln vergraben. Der Kerl ist über sechzig und wenn er mal was sagt, was selten vorkommt, dann sind das messerscharfe wohlbedachte Worte, die selbst dich und mich mit einem Schlag mundtot machen!“

Damit verschwinden die blitzenden Augen wieder hinter der Zeitung und Ullas offener Mund und staunender Blick schießen zu mir herum, als hätte sie unerhörte Dinge über mich gehört.

„Mijn Vader!“, sage ich schnell zwischen zwei Schlucken Kaffee, womit sich Ullas Blick entspannt und Gretchen von der Freundin einen Knuff erhält.

„Au!“, schreit Frau Doktor. „Wodurch habe ich den verdient? Ich sagte nichts weiter als die Wahrheit, die reine Wahrheit, so rein wie der Rhein bei Rheinhausen!“

Gekicher wird laut und ich esse Schnittchen vom Vorabend.

„Was steht heute auf dem Plan?“, frage ich und als hätten die Geier nur auf die Futterglocke gewartet, wenden sich mir zwei grinsende Gesichter zu und legen mir eine handgeschriebene Liste vor. Das Schnittchen stellt sich mir quer im Hals. Ich huste und bereue bereits meine Frage.

-Klosterbesichtigung mit Audienz bei Oberin Sr. Bryonia. Tatortbesichtigung und Befragung.

-Besuch in der Löwengasse 13, Wohnsitz des verstorbenen Oskar Metzger, Putzfrau ist vor Ort.

-Besichtigung des Nebenzimmers im Domnapf. Nachfrage, ob für heute Abend - Klassentreffen - alles gerichtet ist.

-Kranzbestellung und Kirchendekoration für die Beerdigungen, zuvor Nachfrage beim Bestattungsunternehmen, ob die Leichen freigegeben sind.

-Schorsch anrufen, ob er die Feierlichkeiten übernimmt.

-Kontaktaufnahme zur Kripo LU Verknüpfungspunkte aufzeigen.

-Hut kaufen für Gretchen.

Änderungen vorbehalten.

„Klosterbesichtigung und Tatortbesichtigung?“, frage ich über den Esstisch hinweg und ernte nur erstauntes Schnauben. Ich ziehe die Achseln hoch, weil mir der Zusammenhang noch immer nicht klar ist, und Gretchen geht ein Licht auf.

„Kindchen, ich vergaß, dir zu erzählen. Wie konnte ich das nur vergessen? Drei Mädels aus unserer Abiturklasse gingen ins Kloster. Liesel, Maria und Johanna. Da, hinter dem Dom wo wir lange Zeit gemeinsam die Schulbank drückten. Sie traten ein in das Kloster zur hl. Bernadette und wurden Nonnen!“

Ulla ergänzte Gretes Worte.

„Es waren genau die drei, von denen das keiner je gedacht hätte. Wir fielen nach dem Lehrerstudium aus allen Wolken, als die Mädels uns das verkündeten. Ich weiß noch, dass ich Gretchen sofort nach Heidelberg schrieb, aber die hatte noch schlechtere Nachrichten. Sie hatte bereits die Koffer gepackt für Holland!“

Wieder Gekicher wie von kleinen Schulmädchen und ich schiebe das Blatt von mir weg.

„Wenn ich das alles recht verstehe, so waren die ersten Opfer Nonnen aus einem Speyerer Kloster zur hl. Bernadette?“

„Genau richtig erkannt!“, ruft Ulla,

„Und in welcher Beziehung stand der getötete Mann zu ihnen?“

„Na das ist doch der springende Punkt!“, schreit Ulla, dass mir die Ohren tönen.

„All die aus unserem Abiturjahrgang, sechs Stück, zwei Buben und vier Mädchen, arbeiteten von der Uni weg im Kloster zur hl. Bernadette. Das war eine Sensation, sag ich dir. Männliches Lehrpersonal an einer Mädchenschule, einer Klosterschule und auch noch mit Internat!“

Ich kann die Sensation nicht mal halbwegs erahnen, von der Ulla hier so aufgeregt berichtete und stehle mich aus der Situation mit der Frage:

„Und wer ist der Schorsch?“

„Na, der Schorsch ist der Domdekan von Speyer, Georg Schmidt, auch ein 38er. Der soll die Beerdigungen und die Feierlichkeiten übernehmen!“

Langsam ziehe ich mich aus den Tagesplanungen zurück, denn die fordern mein Sprachverständnis zu sehr. Nur ein Hellseher könnte den Abmachungen und Planungen der alten Mädchen folgen, die von mir viel zu viel Wissen voraussetzen. Domdekan Schorsch, wie sollte ich auf dessen richtigen Namen schließen können?

Mit einer weiteren Tasse Kaffee gehe ich zum Fenster, das mir den Blick zum Dom bei Tage präsentiert.

Ein herrlicher Julitag ist angebrochen und die ersten Fußgänger sind unterwegs. Ein kleiner Mann mit schütterem Haar blickt lange zu mir herauf und schließlich winkt er freundlich und zieht seinen Hut vor mir. Lächelnd winke ich zurück und werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass ich den Mann nicht zum letzten Mal gesehen habe. Er verschwindet in Richtung des Denkmals des Jakobspilgers, der auf dem Weg nach Santiago de Compostella seinen Standort auf dem gegenüberliegenden Gehsteig nie verändert.

Die Schulkinder radeln unter mir vorbei, obwohl es erst zwanzig Minuten vor acht Uhr ist. Ihre Sprache verstehe ich kaum, ansonsten unterscheiden sie sich nicht von den Kindern meiner Heimat.

„Kindchen!“, ruft Grete, „Mach dich fertig, wir wollen gleich los!“

In der Küche höre ich Geschirrklappern und meine Tasse stelle ich in den Spülautomat dazu. Ulla verschwindet in ihrem Zimmer und ruft mir zu, als wäre ich ein Kind:

„Wird heiß heute, Ingerchen, die Rheinpfalz meldet Temperaturen bis 30° C. Wenn du gelüftet hast, schließ die Fenster und zieh’ die Vorhänge zu, damit die Hitze draußen bleibt, ja?“

„Aye, aye, Käp’ten!“, rufe ich als Antwort und wieder antwortet mir das Altweibergekichere.

Vor der Ausgangstür werde ich erwartet und Ulla sowie Gretchen zupfen an meiner Bluse, mustern mich von oben bis unten und befinden mein Aussehen als passabel, dann erst darf ich auf die sonnenbeschiene Hauptstraße treten.

Mein Herz schlägt höher, als ich bemerke, dass Ulla im Sturmschritt auf den Dom zu marschiert, die Straße überquert und schnurgerade weiter rennt.

Ich sehe bereits nach links und rechts, um die Straße vor dem Dom zu überqueren, da packt mich Ullas kräftige Hand am Arm und zieht mich links herum.

„Hier lang, Kleines, da drüben ist das Kloster!“

Enttäuscht folge ich den beiden und finde keine Zeit, die schönen Häuser zu betrachten, an denen wir vorbeirennen.

„Was ist das für ein Haus?“, frage ich, ernte aber nur ein schnödes:

„Später, Ingerchen!“

Am Speyerbach klammere ich mich am Geländer fest. Das fließende Wasser fesselt meinen Blick. Ich ahne mehr die gefährliche Unterströmung, als ich sie sehen kann, aber das beständige Rauschen ist für mich deutlich genug und Musik in meinen Ohren. Gesäumt von Kastanienbäumen, die ihre halbreifen Früchte zur Sonne strecken, fließt der Bach dem Rhein zu.

Das ungeduldige Schnauben der Damen reißt mich vom Geländer los und ich folge ohne Halt durch das große schmiedeeiserne Tor in den Klostervorhof.

Kühle umfängt mich und vollkommene Ruhe. Das leerstehende alte Schulgebäude lassen wir zur Rechten und nähern uns der gläsernen Pforte, da sehe ich eine Gartenbank zwischen Rosen und Lavendelbüschen, die den Eingang in einen großen Gemüsegarten bilden.

Ich verschwinde, bevor die Freundinnen mein Fehlen bemerken, und lasse sie allein mit der Priorin sprechen.

Noch einmal erinnere ich mich selbst an meinen Beschluss, nicht in die polizeilichen Ermittlungen einzusteigen, denn ich bin als Touristin in der Stadt, schlimm genug, dass die Alten sich einmischen.

Da sitze ich nun und genieße die Natur im Klostergarten. Gedämpft höre ich lateinischen Kirchengesang ohne Orgelbegleitung.

Mein Blick schweift über die nahe Umgebung. Pfirsichbäume stehen nahe an einer alten Mauer, dann Beete gefüllt mit Gemüsen aller Art und rechter Hand Obststräucher. Heimische Blumen blühen dazwischen und Kräuter, dann folgen lange Salatbeete.

Der anschließende Schuppen ist mit Plastikbändern abgesperrt und ich ahne, dass hier einer der abscheulichen Morde passiert sein muss.

Schnell fliegt mein Blick weiter und ich treffe auf ein braunes Augenpaar in einem jungen Gesicht, umrahmt von braunen Locken, die zu einem Zopf gebunden sind.