Philosophisches Taschenwörterbuch

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Setzen wir nun ans Ende, wie an das fast aller Kapitel über die Metaphysik, die beiden Buchstaben, welche die römischen Richter setzten, wenn sie einen Fall nicht durchschauten, N. L., non liquet, das ist nicht klar.

BORNES DE L’ESPRIT HUMAIN – Die Grenzen des menschlichen Geistes

Sie sind überall, armer Doktor. Willst du wissen, wie dein Arm und dein Fuß deinem Willen gehorchen und wie deine Leber diesem nicht gehorcht? Versuchst du herauszufinden, wie der Gedanke sich in deinem kümmerlichen Verstand bildet, und wie dieses Kind in der Gebärmutter dieser Frau? Ich lasse dir Zeit, meine Frage zu beantworten: Was ist Materie? Deinesgleichen hat zehntausend Bände über diesen Gegenstand geschrieben. Sie haben einige Eigenschaften dieser Substanz herausgefunden. Die Kinder kennen sie genauso gut wie du. Aber was ist diese Substanz im Grunde genommen? Und was ist, was du nach dem lateinischen Wort, das Atem* bedeutet, esprit genannt hast, wozu dir auch nichts Besseres einfällt, weil du dir nichts darunter vorstellen kannst?

Betrachte dieses Weizenkorn, das ich auf den Boden werfe, und sage mir, wie es sich aufrichtet und einen Halm erzeugt, der mit einer Ähre besetzt ist. Lehre mich, wie die gleiche Erde einen Apfel oben in diesem Baum hier hervorbringt und eine Kastanie an dem Nachbarbaum. Ich könnte dir einen Folianten mit Fragen füllen, die du wahrscheinlich nur mit vier Wörtern beantworten würdest: Darüber weiß ich nichts.

Und dennoch hast du deine akademischen Würden erhalten, du bist damit überhäuft worden, und einen Doktorhut hast du auch, und man nennt dich einen Lehrer. Und dieser andere hochnäsige Dummkopf, der sich ein Amt gekauft hat, glaubt, dass er damit auch das Recht gekauft habe, darüber zu urteilen und zu missbilligen, was er nicht versteht.

Montaignes Devise war Was weiß ich?,* und deine ist Was weiß ich nicht?

CARACTÈRE – Charakter

Das Wort kommt aus dem Griechischen, es bedeutet »Eindruck«, »Prägung«. Der Charakter ist unsere Prägung durch die Natur, ob wir sie auslöschen können, das ist die große Frage. Wenn ich eine schiefe Nase und zwei Katzenaugen habe, kann ich sie mit einer Maske verbergen. Kann ich stärker auf den Charakter einwirken, den mir die Natur gegeben hat? So wird ein Mann, der von Geburt an ungestüm und leicht aufbrausend war, bei Franz I., dem König Frankreichs, vorstellig, weil er sich über eine ungerechtfertigte Bevorzugung beschweren will. Das Gesicht des Königs, die respektvolle Haltung der Höflinge, der Ort selbst, an dem er sich befindet, machen einen starken Eindruck auf diesen Mann. Er senkt unwillkürlich den Blick, seine raue Stimme wird sanfter, er bringt sein Anliegen demütig vor, man könnte ihn für von Geburt an genauso sanft halten wie es (zumindest in diesem Augenblick) die Höflinge sind, in deren Mitte er sogar verunsichert ist. Doch wenn Franz I. sich mit Physiognomien auskennt, entdeckt er leicht in seinen Augen, die gesenkt sind, in denen aber ein finsteres Feuer glimmt, an den angespannten Muskeln seines Gesichts, an den aufeinander gepressten Lippen, dass dieser Mann nicht so sanft ist, wie er sich gezwungenermaßen geben muss. Dieser Mann folgt ihm nach Pavia, wird mit ihm zusammen festgenommen und kommt mit ihm in Madrid ins Gefängnis.* Die Majestät von Franz I. macht auf ihn nicht mehr den gleichen Eindruck, er wird mit dem Gegenstand seiner Verehrung vertraut. Eines Tages, als er dem König die Stiefel auszieht und sich dabei ungeschickt anstellt, wird der König, verärgert über sein Missgeschick, wütend, unser Mann schickt ihn zum Teufel und wirft seine Stiefel aus dem Fenster.

Sixtus V. war von Geburt an aufbrausend, eigensinnig, hochmütig, heftig, rachsüchtig und anmaßend. Diese Charakterzüge scheinen sich bei den Prüfungen während seines Noviziats abgemildert zu haben. Kaum beginnt er jedoch in seinem Orden etwas an Ansehen zu gewinnen, regt er sich über einen Klostervorsteher auf und streckt ihn mit Faustschlägen nieder. Als Inquisitor in Venedig versieht er sein Amt voller Anmaßung. Er wird Kardinal und ist besessen della rabbia papale*: Diese leidenschaftliche Hingabe lässt ihn sein Naturell bezwingen. Er umgibt seine Person und seinen Charakter mit einem undurchdringlichen Schleier, er gibt sich demütig und dem Tode nahe. Man wählt ihn zum Papst. Dieser Augenblick gibt seiner Tatkraft, die er aus politischen Gründen den Umständen angepasst hatte, allen lange Zeit zurückgehaltenen Schwung wieder. Er ist der stolzeste und despotischste aller Herrscher.

Naturam expellas furca tamen ipsa redibit.*

Religion und Moral können die Gewalt des Naturells in Grenzen halten, aber sie können es nicht zerstören. Der Säufer, der sich im Kloster mit einem Viertelliter Apfelwein pro Mahlzeit begnügen muss, wird sich nicht mehr betrinken, den Wein aber wird er immer lieben.

Das Alter schwächt den Charakter ab, es ist wie mit einem Baum, der nur noch einige degenerierte Früchte trägt, aber sie sind immer noch von der gleichen Art. Sein Stamm wird knotig und ist moosbedeckt, sein Holz wird wurmstichig, aber er ist immer noch Eiche oder Birnbaum. Wenn man seinen Charakter ändern könnte, dann gäbe man sich selbst einen und wäre damit Herr über die Natur. Kann man sich aber selbst etwas geben? Erhalten wir nicht alles? Versucht doch einmal, den Phlegmatiker zu einer kontinuierlichen Aktivität zu veranlassen, die kochende Seele des Heißsporns durch Apathie zu Eis erstarren zu lassen, demjenigen, der keinen Geschmack und kein Gehör hat, Sinn für Musik und Poesie beizubringen. Ihr werdet dabei nicht mehr erreichen, als wenn ihr versuchtet, einem blind Geborenen das Augenlicht zu geben. Wir vervollkommnen, wir mildern, wir verstecken, was die Natur in uns angelegt hat, aber wir sind es nicht, die diese Veranlagungen schaffen.

Man sagt zu einem Landwirt: »Sie haben zu viele Fische in Ihrem Fischteich, so werden sie nicht gedeihen. Es gibt zu viele Tiere auf Ihren Weiden, es fehlt an Gras, sie werden abmagern.« Nach dieser Ermahnung kann es vorkommen, dass die Hechte die Hälfte der Karpfen auffressen und die Wölfe die Hälfte der Schafe, der Rest wird dann fett. Wird sich der Bauer zu seinem wirtschaftlichen Erfolg beglückwünschen? Dieser Landwirt bist jedoch du selber. Eine deiner Leidenschaften hat die anderen aufgezehrt, und du glaubst, über dich triumphiert zu haben. Ähneln wir nicht alle jenem alten General von neunzig Jahren, der, als er einige junge Offiziere traf, die mit leichten Mädchen ein bisschen liederlich lebten, wütend zu ihnen sagte; »Meine Herren, ist das etwa das Beispiel, das ich Ihnen gebe?«

CERTAIN, CERTITUDE – Gewiss, Gewissheit

»Wie alt ist Ihr Freund Christoph?« »Achtundzwanzig Jahre. Ich habe seinen Ehevertrag und seinen Taufschein gesehen, ich kenne ihn seit seiner Kindheit; er ist achtundzwanzig Jahre alt, ich habe die Gewissheit, ich bin mir gewiss.«

Kaum habe ich die Antwort dieses Mannes vernommen, der sich dessen, was er sagt, so sicher ist, und von zwanzig anderen, die dasselbe bestätigen, da erfahre ich, dass man aus geheimen Gründen mit einem einzigartigen Trick Christophs Taufschein vordatiert hat. Diejenigen, mit denen ich gesprochen hatte, wissen davon noch nichts; sie haben immer noch die Gewissheit von etwas, das nicht so ist.

Hätte man vor der Zeit von Kopernikus die Leute auf der ganzen Welt gefragt: »Ist die Sonne heute aufgegangen, ist sie untergegangen?«, so hätten alle Leute geantwortet: »Wir sind uns dessen ganz sicher«; sie waren sich sicher und sie befanden sich dennoch im Irrtum.

Die Zauberei, das Wahrsagen, Wahngebilde sind in den Augen aller Völker lange Zeit die sicherste Sache auf der Welt gewesen; welche unabsehbar große Menge von Menschen hat alle diese schönen Dinge gesehen und war sich deren sicher! Heute hat diese Gewissheit ein wenig nachgelassen.

Ein junger Mann, der mit dem Studium der Geometrie beginnt, sucht mich auf. Er ist erst bis zu der Definition von Dreiecken gekommen. »Sind Sie sich nicht sicher«, so frage ich ihn, »dass die drei Winkel eines Dreiecks so groß wie zwei rechte Winkel sind?« Er erwidert mir, er sei sich dessen nicht nur keineswegs sicher, sondern er habe sogar noch nicht einmal eine klare Vorstellung von diesem Lehrsatz. Ich beweise ihn ihm, so wird er sich seiner ganz sicher und wird es sein Leben lang bleiben.

Hier gibt es eine von den anderen sehr unterschiedliche Gewissheit; diese waren nur Wahrscheinlichkeiten und entpuppten sich bei näherer Untersuchung als Irrtümer, doch die mathematische Gewissheit ist unwandelbar und ewig.

Ich existiere, ich denke, ich empfinde Schmerz, ist all dies ebenso sicher wie eine geometrische Wahrheit? Ja. Weshalb? Deshalb, weil diese Wahrheiten nach dem gleichen Prinzip bewiesen sind, dass eine Sache nämlich nicht gleichzeitig sein und nicht sein kann.* Ich kann nicht gleichzeitig existieren und nicht existieren, empfinden und nicht empfinden. Ein Dreieck kann nicht gleichzeitig eine Winkelsumme von hundertachtzig Grad haben, was zwei rechten Winkeln entspricht, und sie nicht haben.

Die physische Gewissheit meiner Existenz, meines Empfindens und die mathematische Gewissheit sind also von gleichem Wert, obgleich sie von verschiedener Art sind.

Mit der Gewissheit, die durch den Augenschein begründet ist oder durch übereinstimmende Berichte, wie sie uns Menschen erstatten, ist es nicht dasselbe.

»Aber«, wird man mir entgegenhalten, »sind Sie sich nicht sicher, dass Peking existiert? Haben Sie keine Stoffe aus Peking bei sich zu Hause? Haben Sie etwa nicht Menschen aus verschiedenen Ländern und verschiedener Meinung, die heftig gegeneinander geschrieben haben, aber alle in Peking die Wahrheit predigten, haben die Sie nicht der Existenz dieser Stadt versichert?« Darauf antworte ich, dass es mir äußerst wahrscheinlich erscheint, dass es damals eine Stadt Peking gab, ich aber nicht mein Leben verwetten möchte, dass diese Stadt existiert. Hingegen würde ich, wann immer man mich fragte, mein Leben dafür einsetzen, dass die drei Winkel eines Dreiecks genauso groß sind wie zwei rechte Winkel.

 

Man hat in der Enzyklopädie eine sehr amüsante Geschichte abgedruckt; man behauptet dort, dass ein Mensch sich ebenso sicher, ebenso gewiss sein müsste, dass der Marschall von Sachsen wiederauferstanden ist, wenn ganz Paris ihm das erzählt, wie er sich sicher ist, dass der Marschall von Sachsen die Schlacht von Fontenoy* gewonnen hat, wenn ganz Paris es ihm sagt. Sehen Sie sich doch bitte diese wunderbare Argumentation an; ich glaube ganz Paris, wenn man mir etwas erzählt, das allem Anschein nach möglich ist, also muss ich den Parisern auch glauben, wenn man mir etwas erzählt, das weder dem Anschein nach noch physikalisch möglich ist.

Allem Anschein nach hat der Autor dieses Artikels seinen Spaß haben wollen, und der andere Autor, der am Ende dieses Artikels in Begeisterung gerät, schreibt gegen sich selbst und wollte auch lachen.*

CHAÎNE DES ÉVÈNEMENTS – Die Kette der Ereignisse

Vor langer Zeit hat man behauptet, alle Ereignisse seien mit unabwendbarer Zwangsläufigkeit miteinander verkettet; es ist das Schicksal, dem bei Homer sogar Zeus sich zu beugen hat. Derjenige, der über Götter und Menschen bestimmt, erklärt kurz und bündig, er könne nicht verhindern, dass sein Sohn Sarpedon* zu vorgegebener Zeit stirbt. Sarpedon wurde in dem Augenblick geboren, als er geboren werden musste, und konnte in keinem anderen zur Welt kommen; er konnte nirgendwo anders sterben als vor Troja; er konnte nirgendwo anders beerdigt werden als in Lykien; sein Körper musste zur vorgegebenen Zeit Gemüse hervorbringen, das sich in die Nahrung einiger Lykier verwandeln musste; seine Erben mussten eine neue Ordnung in seinem Staat einrichten; diese neue Ordnung musste sich auf die benachbarten Königreiche auswirken; daraus ergab sich ein neues Abkommen über Krieg und Frieden mit den Nachbarn der Nachbarn Lykiens: Auf diese Weise hing nach und nach das Schicksal der ganzen Erde vom Tode Sarpedons ab, der seinerseits von einem anderen Ereignis abhing, das wiederum durch andere mit dem Ursprung aller Dinge verbunden war.

Wäre ein einziges dieser Ereignisse anders verlaufen, wäre daraus ein anderes Universum hervorgegangen: Nun war es aber nicht möglich, dass das jetzige Universum existiert und nicht existiert, deshalb war es Zeus nicht möglich, das Leben seines Sohnes zu retten, ungeachtet dessen, dass er Zeus war.

Dieses System der Notwendigkeit und der Unabwendbarkeit der Ereignisse wurde nach dem, was er sagt, zu unserer Zeit von Leibniz als das erfunden, was er den zureichenden Grund nennt; es ist jedoch schon sehr alt; es ist nicht erst heute so, dass es keine Wirkung ohne Ursache gibt und häufig die kleinste Ursache die größten Wirkungen hervorbringt.

Lord Bolingbroke gibt zu, dass die kleinen Streitigkeiten zwischen Lady Marlborough und Lady Masham ihm die Gelegenheit verschafften, den Einzelvertrag der Königin Anne mit Ludwig XIV. abzuschließen:* Dieser Vertrag führte zum Frieden von Utrecht; dieser Frieden von Utrecht bestätigte wiederum Philipp V. auf dem Thron Spaniens. Philipp V. nahm dann Österreich Neapel und Sizilien ab; der spanische Prinz, der heute König von Neapel ist, verdankt ganz offensichtlich sein Königreich Lady Masham und hätte es nicht bekommen und wäre vielleicht nicht einmal geboren worden, wenn die Herzogin von Marlborough der Königin von England mehr entgegengekommen wäre; seine Existenz in Neapel hing also von einer Dummheit mehr oder weniger am Hofe von London ab. Untersuchen Sie die Situationen aller Völker auf der Welt, sie beruhen derart auf einer Folge von Geschehnissen, die von nichts abzuhängen scheinen und die von allem abhängen. Alles an dieser immensen Maschine sind Zahnräder, Flaschenzüge, Zugseile, Federn.

Mit der physikalischen Ordnung ist es dasselbe. Ein Wind, der aus den Tiefen Afrikas und den südlichen Meeren kommt, bringt einen Teil der afrikanischen Atmosphäre mit, die sich dann als Regen in den Alpentälern niederschlägt; diese Regen befruchten unsere Böden; unser Nordwind seinerseits schickt unsere Dünste zu den Negern; wir tun Guinea Gutes, und Guinea tut uns seinerseits Gutes. Die Kette reicht vom einen Ende der Welt zum anderen.

Mir scheint jedoch, dass man die Wahrheit dieses Prinzips auf merkwürdige Weise missbraucht. Man schließt daraus, dass es kein noch so kleines Atom gibt, dessen Bewegung nicht die augenblickliche Anordnung der ganzen Welt beeinflusst hat; dass es keinen noch so kleinen Zufall gibt, der nicht, sei es bei den Menschen, sei es bei den Tieren, ein wesentliches Glied der großen Kette des Schicksals ist.

Verstehen wir uns recht: Jede Wirkung hat natürlich ihre Ursache, wenn man sie von Ursache zu Ursache bis in den Abgrund der Ewigkeit zurückverfolgt; aber nicht jede Ursache hat ihre Wirkung, wenn man ihr bis an das Ende aller Zeiten folgt. Zugegeben, alle Ereignisse wurden voneinander hervorgebracht; wenn die Vergangenheit die Gegenwart geboren hat, wird die Gegenwart die Zukunft gebären; alles hat einen Vater, aber nicht alles hat immer Kinder. Es ist hier genauso wie mit einer Ahnentafel; jeder Stammbaum geht, wie man weiß, auf Adam zurück, aber in der Familie gibt es sehr wohl Leute, die gestorben sind, ohne Nachkommen zu hinterlassen.

Die Ereignisse auf dieser Welt haben einen Stammbaum. So ist es unbestreitbar, dass die Einwohner von Gallien und die von Spanien von Gomer abstammen; und die Russen von Magog, seinem jüngeren Bruder: Man findet diese Genealogie in so vielen dicken Büchern!* Von daher kann man nicht leugnen, dass wir Magog die sechzigtausend Russen verdanken, die heute in der Nähe von Pommern in Waffen stehen, und die sechzigtausend Franzosen, die sich in der Nähe von Frankfurt aufhalten. Ich sehe aber nicht ein, weshalb es Einfluss auf den Entschluss der Kaiserin Elisabeth von Russland gehabt haben soll, Maria-Theresia, der Kaiserin des Römischen Reiches, eine Armee zu Hilfe zu schicken, dass Magog rechts oder links vom Kaukasus ins Wasser gespuckt hat, zwei oder drei Runden in einem Brunnen gelaufen ist und auf der linken oder rechten Seite geschlafen hat. Ob nun mein Hund, wenn er schläft, träumt oder nicht, ich kann nicht die Beziehung entdecken, die diese wichtige Geschichte zu der des Großmoguls haben könnte.

Man muss bedenken, dass in der Natur nicht alles aus festen Körpern besteht und dass nicht jede Bewegung sich so vom einen zum anderen und nach und nach überträgt, bis sie ihren Weg um die Welt gemacht hat. Werfen Sie mal einen Körper von gleicher Dichte ins Wasser, Sie können sich leicht ausrechnen, dass nach einiger Zeit die Bewegung dieses Körpers und die, die er dem Wasser mitgeteilt hat, aufgehört haben.* Die Bewegungen verlieren und erneuern sich wieder; daher kann die Bewegung, die Magog auslösen konnte, indem er in einen Brunnen spuckte, nicht auf das eingewirkt haben, was heute in Russland und in Preußen geschieht. Also sind die heutigen Ereignisse nicht die Kinder all der vergangenen Ereignisse; sicher gibt es direkte Verbindungslinien, aber tausend kleine Seitenlinien sind zu gar nichts nütze. Noch einmal, jedes Lebewesen hat seinen Vater, aber nicht jedes Lebewesen hat Kinder: Wir werden vielleicht mehr darüber sagen, wenn vom Schicksal die Rede ist.

CHAÎNE DES ÊTRES CRÉÉS – Die Kette der geschaffenen Lebewesen

Das erste Mal, als ich Platon las und von jener Stufenfolge der Lebewesen erfuhr, die vom leichtesten Atom bis zum höchsten Wesen aufsteigen, erregte diese Stufenleiter meine Bewunderung; aber bei aufmerksamer Betrachtung verschwand dieses großartige Phantom, wie sich in früheren Zeiten am Morgen beim ersten Hahnenschrei alle Gespenster verflüchtigten.

Der Vorstellungskraft gefällt es zunächst, den kaum wahrnehmbaren Übergang von der rohen Materie zur organisierten Materie zu sehen, von den Pflanzen zu den Zoophyten*, von diesen Zoophyten zu den Tieren, von ihnen zum Menschen, von den Menschen zu den Geistern und dann von diesen Geistern, die von einem kleinen, luftartigen Körper umhüllt sind, hin zu den immateriellen Substanzen; und schließlich tausend verschiedene Ordnungen dieser Substanzen, die sich von der Schönheit in höchster Vollendung bis zu Gott selbst erheben. Diese Hierarchie gefällt den guten Leuten sehr, die glauben, darin den Papst und seine Kardinäle gefolgt von den Erzbischöfen und Bischöfen zu sehen; nach denen kommen dann die Pfarrer, die Vikare, die einfachen Priester, die Diakone, die Unterdiakone, dann tauchen die Mönche auf, und das Ende der Prozession bilden die Kapuziner.

Aber der Abstand zwischen Gott und seinen vollkommensten Geschöpfen ist etwas größer als der zwischen dem Heiligen Vater und dem Dekan des heiligen Kollegiums: Dieser Dekan kann Papst werden, doch der vollkommenste aller vom höchsten Wesen geschaffenen Geister kann nicht Gott werden; zwischen ihm und Gott befindet sich die Unendlichkeit.

Diese Kette, diese angebliche Abstufung, existiert bei den Pflanzen ebenso wenig wie bei den Tieren; der Beweis dafür ist, dass es Pflanzen- und Tierarten gibt, die vernichtet wurden. Es gibt keine Stachelschnecken mehr. Es war verboten, Greif und Ixion zu essen.* Diese beiden Arten sind von dieser Erde verschwunden, was Bochart auch darüber sagen mag:* Wo ist also die Kette?

Selbst wenn wir nicht schon einige Arten verloren hätten, ist es offensichtlich, dass man welche vernichten kann. Die Löwen, die Nashörner beginnen sehr selten zu werden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es Menschenrassen gegeben hat, die man nicht mehr vorfindet; aber ich nehme an, dass sie alle existiert haben, wie die Weißen, die Neger, die Kaffern, denen die Natur eine Schürze aus ihrer Haut gegeben hat, die von ihrem Bauch bis zur Hälfte der Schenkel herabhängt; die Samoyaden, bei denen die Brustwarzen der Frauen eine schöne Ebenholzfarbe haben, usw.

Besteht nicht deutlich sichtbar eine Leerstelle zwischen dem Affen und dem Menschen? Drängt es sich nicht auf, sich ein Tier mit zwei Beinen und ohne Federn vorzustellen, das intelligent wäre, aber weder über den Gebrauch der Sprache noch unser Aussehen verfügte, das wir zähmen könnten, das auf unsere Zeichen reagierte und uns zu Diensten wäre? Und könnte man sich zwischen dieser neuen Art und den Menschen nicht noch andere vorstellen?

Jenseits der Menschen bringen Sie, göttlicher Platon, im Himmel eine Reihe himmlischer Wesen unter; unsereins glaubt an einige dieser Wesen, weil der Glaube es uns lehrt. Sie aber, welchen Grund haben Sie, daran zu glauben? Sie haben anscheinend nicht mit dem Geist des Sokrates gesprochen; und dieser brave alte Heres, der eigens zu neuem Leben erwachte, nur um Sie die Geheimnisse des Jenseits zu lehren, hat Ihnen nichts über diese Wesen beigebracht?*

Das ändert aber nichts daran, dass diese angebliche Kette im wahrnehmbaren Universum unterbrochen ist.

Welche Abstufung besteht, bitte, zwischen Ihren Planeten? Der Mond ist vierzigmal kleiner als unsere Erdkugel. Wenn Sie vom Mond aus durch die Leere gereist sind, treffen Sie auf die Venus, sie ist ungefähr so groß wie die Erde. Von da aus gehen Sie zum Merkur, er dreht sich in einer Ellipse, die sehr verschieden ist von der Kreisbahn, die die Venus durchläuft; er ist siebenundzwanzigmal kleiner als wir, die Sonne eine Million Mal größer, der Mars fünfmal kleiner; dieser durchläuft seine Bahn in zwei Jahren, Jupiter, sein Nachbar, die seine in zwölf, Saturn in dreißig; und dann ist Saturn, der entfernteste von allen, nicht so groß wie Jupiter.* Wo ist da die angebliche Abstufung?

Sodann, wie soll es denn in den weiten leeren Räumen eine Kette geben, die alles verbindet? Wenn es eine gibt, dann ist es sicher die, die Newton entdeckt hat; sie ist es, die alle Himmelskörper der Planetenwelt in dieser ungeheuren Leere umeinander kreisen lässt.

Oh, so sehr bewunderter Platon! Sie haben nur Fabeln erzählt, und es ist von den Cassideriden-Inseln*, wo zu Ihrer Zeit die Menschen ganz nackt umherliefen, ein Philosoph gekommen, der die Welt Wahrheiten lehrte, die ebenso groß waren wie Ihre Vorstellungen kindisch.