Buch lesen: «Lebendige Seelsorge 6/2018»

Schriftart:

INHALT

THEMA

Zwischen Einfühlungsvermögen und Konfliktfähigkeit: Gesprächsräume eröffnen in Zeiten erstarkenden Rechtspopulismus

Von Sonja Angelika Strube

Nicht ohne die Anderen! Widerständiges zur identitären Umformung des Christentums

Von Michael Schüßler

Vertrauen ins Leben statt rückwärtsgewandter Utopien und autoritärer Hoffnungen

Die Replik von Sonja Angelika Strube auf Michael Schüßler

Keine Naivität und kein Ausweichen

Die Replik von Michael Schüßler auf Sonja Angelika Strube

Die politische Theologie der Neuen Rechten

Von Sebastian Pittl

PROJEKT

Wie kann ich auf Stammtischparolen reagieren?

Von Hakan Gürses und Sonja Luksik

INTERVIEW

„Demokratie muss auch für ihre Verächter stark gemacht werden“

Ein Gespräch mit Felix Böhringer

PRAXIS

Die Katholikentage und die AfD

Angst vor der Auseinandersetzung oder Mut zum Konflikt?

Von Gregor Taxacher

TZI mit Rechten

Von Matthias Scharer

Glocken gegen Rechts

Weihbischof Ulrich Boom über seine Erfahrungen mit der NPD Von Ulrich Boom

Der Rechte im Kontext oder warum „The Young Pope“ nicht cool ist

Von Karlheinz Ruhstorfer

Einblicke in die rechte Szene

Eine Seminarauswertung in ethnologischtheologischem Dialog

Von Gilles Reckinger und Christian Bauer

FORUM

Gespannte Flügel

Was die Musikrichtung Neoklassik ausmacht – und über Lebenshaltung und Alltagsgestaltung verrät

Von Stefan Weigand

POPKULTURBEUTEL

Our Tiny House

Von Matthias Slunitschek

NACHLESE

Glosse

Von Annette Schavan

Buchbesprechungen

Impressum

Jahresinhalt

EDITORIAL


Christian Bauer Mitglied der Schriftleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

Eines Morgens war es einfach da. Es ist ungebeten in meine Lebenswelt eingedrungen – das schwarz-gelbe Zeichen der Identitären. Es klebte dort, wo ich sonst immer mein Fahrrad anschließe. Seither jeden Morgen die gleiche Erinnerung: Wir leben in einer gefährdeten Welt. Unsere offene Gesellschaft ist bedroht – und zwar nicht nur von rechten Hipstern wie den sogenannten ‚Identitären’, die sich mit ihrem intellektuell aufgemotzten Rassismus als die, außerparlamentarische Opposition’ des 21. Jahrhunderts gerieren, sondern inzwischen auch von gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern, für die es zwischen rechtem Populismus und Rechtsextremismus keine Grenze mehr zu geben scheint: Willkommen in Dunkeldeutschland!

Angesichts dieser neuen Rechten, die es ja auch in den Reihen der Kirche gibt, stellt sich die Frage: Soll man mit ihnen reden? Und wenn ja: Wie? Kann man das überhaupt in Zeiten von hate speech und fake news? Wie kann es gelingen, rechten Ideologien zu widerstehen und zugleich christliche Alternativen, nichtidentitäre Narrative von Heimat anzubieten? Pastorale Orte eines wechselseitigen Erzählens, an denen das Abenteuer des Lebens im existenziell Offenen angstfrei und fehlerfreundlich eingeübt werden kann – und zwar ohne rechtes Denken zu verharmlosen oder dessen Sympathisanten zu dämonisieren?

Hand auf’s Herz: Haben Sie selbst schon einmal mit wirklich Rechten gesprochen? Gegen die zunehmende Tribalisierung unserer Gesellschaft hilft nur eines: Raus aus der milieuspezifischen Selbstbeschränkung der eigenen Filterblase und hinein in die Gesellschaft. Hin zu denen, die anders denken und fühlen – und mit ihnen sprechen. Face to face. Sie nach ihrer Geschichte fragen und auch die eigene Geschichte erzählen. Auf Bauchgefühle nicht mit Kopfargumenten reagieren. Mehr Demokratie wagen, oder besser: überhaupt Demokratie wagen. Denn man kann eine offene Gesellschaft nicht mit geschlossenem Geist verteidigen.

Mit theoretischen Hilfestellungen und praktischen Beispielen lotet dieses Heft entsprechende Bedingungen und Möglichkeiten aus, die eigene Echokammer zu verlassen und rechts-identitäres Denken in Kirche und Gesellschaft diskursöffnend zu kontern. Also: Verständnis für Vergessene oder Paroli den Parolen?

Ihr


Prof. Dr. Christian Bauer

THEMA

Zwischen Einfühlungsvermögen und Konfliktfähigkeit: Gesprächsräume eröffnen in Zeiten erstarkenden Rechtspopulismus

Sollen Politiker der AfD als Redner auf einen Katholikentag eingeladen werden? Darf eine Podiumsdiskussion mit Vertreter/innen verschiedener Parteien rechte Parteien unberücksichtigt lassen? Müssen örtliche Flüchtlingsinitiativen offen sein für den Dialog mit organisierten „Asylkritikern“ (ein Euphemismus)? Müssen vielleicht gar – so eine Überlegung innerhalb einer Kirchengemeinde – auf einem öffentlichen Podium Geflüchtete mit Pegida-Organisator/innen diskutieren? Wie miteinander reden, wenn man weiß, dass ein großer Teil der Bevölkerung der politischen Gemeinde – und damit eben auch ein großer Teil der Mitglieder örtlicher Kirchengemeinden – AfD oder andere rechte Parteien gewählt haben? Wie umgehen mit rechten Gesinnungen, die innerhalb der Gemeinde vertreten werden? – Gerade weil Christ/innen glauben, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist, sind Konfliktbereitschaft, energischer Widerspruch und auch Abgrenzung gefragt. Sonja Angelika Strube

Kein Zweifel: Christ/innen und Kirchen haben ein großes Potenzial, um in angespannten gesellschaftlichen Konflikten als Mediator/innen zu wirken und um – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – Gesprächsräume zu eröffnen. Zum Selbstverständnis vieler christlich Engagierter gehört die persönliche Bereitschaft, anderen Menschen mit Respekt und Einfühlungsvermögen zu begegnen und zuzuhören, zum Selbstverständnis der kirchlichen Institutionen der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden. Nicht zuletzt die Rolle von Christ/innen und Kirchen während der friedlichen Revolution in der DDR 1989 stellte dieses kommunikative Potenzial eindrucksvoll vor Augen.

Angesichts erstarkten Rechtspopulismus in Deutschland und Europa und zunehmender gesellschaftlicher Spaltung und Polarisierung werden Räume milieuübergreifender Begegnungen ebenso wie kontroverser Debatten heute dringend gebraucht – und die Kirchen können sie bieten, bieten sie schon: neben gemeindlichen Veranstaltungen auch in Jugendarbeit, Diakonie, Familienbildung, Schule, kirchlichen Akademien. Solche Gesprächsräume zu eröffnen ist kein religionsfremdes politisches Handeln, sondern ureigenster Teil

Sonja Angelika Strube

Dr. theol. habil., Privatdozentin für Pastoraltheologie/Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie sowie Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft“, beides an der Universität Osnabrück. der christlichen Sendung in der Welt (GS). Doch wer mit Menschen rechter Gesinnungen reden will, muss mehr im Blick haben, als einfach nur gutwillig oder gutmütig zu sein.

RECHTE IDEOLOGIEN: DER UNGLEICHWERTIGKEIT

Als „rechts“ – dies ist Konsens in der Forschung – werden politische Ideologien bezeichnet, die im Kern von einer Ungleichwertigkeit unterschiedlicher Menschen und Menschengruppen ausgehen: Aufgrund oft äußerlicher, aber unablegbarer Unterschiede wie Herkunft, Abstammung, körperliche Eigenschaften u. ä. unterscheiden rechte Ideologien Menschen hinsichtlich ihrer Rechte und ihrer Würde. Damit sind rechte Politiken nicht einfach irgendwelche politischen Positionen, zu denen Christ/innen auf der Grundlage ihres Glaubens diese oder jene Haltung einnehmen können, sondern sie widersprechen diametral der unverhandelbaren christlichen Grundüberzeugung der Gottebenbildlichkeit ausnahmslos aller Menschen. Sie sind keinesfalls „konservativ“- wertebewahrend, sondern stellen die Grundlagen einer wertorientierten menschenrechtsbasierten Demokratie infrage.

Rechte Politiken, Ideologien und Ideologiefragmente fordern daher christlichen Widerspruch und Widerstand heraus (vgl. Nostra aetate 5), auch, wenn sie in bürgerlicher Gewandung daherkommen, wie dies bisweilen in rechtspopulistischen Parteien und neurechten Brückenmedien („Junge Freiheit“) geschieht. Und auch, wenn sie von Gemeindemitgliedern vertreten werden. Sie erfordern eine kirchliche Streitkultur. Als Christ/in oder Kirche angesichts der Infragestellung der Menschenwürde aller „neutral“ bleiben zu wollen, ist keine Option (vgl. Neutral bleiben; Scheidler).

RECHTE STRATEGIEN: DER DIALOGVERWEIGERUNG

Ein Zweites muss man wissen: Seit den 1960er Jahren entwarfen Rechtsintellektuelle (u. a. Allain de Benoist, Karlheinz Weißmann, heute: Götz Kubitschek) ein Tableau rhetorischer Strategien und manipulativer Taktiken, die inzwischen alle rechten Gruppierungen unter ihren Sympathisant/innen kommunizieren. Deren Anhänger/innen gehen nicht unvorbereitet in Gespräche hinein, sondern verfolgen das erklärte Ziel, das Gesprächsgeschehen zu kontrollieren und zu dominieren, die Ausführung von Gegenpositionen zu behindern sowie kritische Diskussionen über rechte Ideologien, Initiativen und Akteure zu torpedieren und zu unterbinden. Statt durch gute Argumente zu überzeugen, werden Emotionen wie Angst und Wut absichtsvoll geschürt und politisch instrumentalisiert.

Im Unterschied zu vielen anderen Interessengruppen geht es ihnen nicht darum, ihre Meinung als eine unter mehreren konstruktiv in ein größeres Ganzes einzubringen und womöglich im Dialog mit Andersdenkenden einen gemeinsamen Konsens oder Kompromiss zu erzielen, denn zur rechtspopulistischen Überzeugung gehört der Anspruch, allein die eigene Position sei „Volkes Stimme“, und gesellschaftliche Spaltung als Mittel zum „Systemsturz“ ist gewollt.

Ziel einer Aktion kann auch sein, die eigene Gruppe in einem harmlosen, bürgerlichen oder gar „christlichen“ Licht darzustellen, um über die eigentliche politische Ausrichtung hinweg-

zutäuschen. Gezielte offen propagierte Verstellung („Mimikry“) sowie das Besetzen von Themen, die bisher ausdrücklich nicht im rechten Spektrum angesiedelt waren, und der Versuch, Allianzen mit nicht-rechten Gruppen zu bilden (Querfrontstrategie), sind dann Mittel der Wahl. Das Entern christlicher Milieus gelingt über die Themen Familien- und Lebensschutz, Christenverfolgungen und Islam (vgl. Strube 2016a).

Zum Instrumentarium gehören das Unterwandern von öffentlichen Veranstaltungen, konzertierte Wortergreifungen, Desinformation und Falschbehauptungen ebenso wie wortloses körpersprachlich martialisches Auftreten, das einschüchtern und verunsichern soll, oder die Mitleid heischende Selbstdarstellung als Opfer der „Meinungsdiktatur“ Andersdenkender. Solche bewusst auf die Destruktion der Rahmenbedingungen eines freien und ehrlichen Austauschs zielenden Strategien verändern die Voraussetzungen jedes Gesprächs grundlegend: Ein echter Dialog, ein ehrlicher Austausch von Mensch zu Mensch sind nicht mehr möglich, wenn ein Teil der Gesprächspartner/innen eine demokratische Gesprächskultur nicht pflegen, sondern zerstören will (vgl. Strube 2016b).

RECHTE EINSTELLUNGEN: BETREFFEN UNS ALLE

Abwertende Einstellungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ebenso wie Strukturen der Diskriminierung sind kein Randgruppenphänomen, sondern eines der gesellschaftlichen Mitte; sie finden sich in allen gesellschaftlichen Milieus, auch unter Christ/innen und in den Kirchen (vgl. Zick/ Küpper). Mehr noch: Manche Formen von Religiosität können Vorurteiligkeit und feindselige Haltungen gegenüber bestimmten Menschengruppen verstärken und ihrer Rechtfertigung dienen (vgl. Klein).

Ebenso gibt es Christ/innen, die in extrem rechten politischen Zusammenhängen aktiv sind (vgl. Strube 2016a). Eine Exklusion des Problems aus der Kirche ist schon deshalb gar nicht möglich. Eher stellt die kirchlicher- und christlicherseits verbreitete Tendenz, „rein“ sein und das „Böse“ außerhalb der eigenen Mauern halten zu wollen, ein Teil des Problems dar: Sie spiegelt, moralisch aufgeladen, dualistisches Schwarz-Weiß- und Freund-Feind-Denken ebenso wie eine – in diesem Fall an Reinheit orientierte – Homogenitätsideologie, beides Charakteristika rechten Denkens, bei Carl Schmitt und Götz Kubitschek zu finden. Angesichts der rechtspopulistischen Herausforderung geht es deshalb nicht um generelle Denk- oder Sprechverbote oder den Abbruch von Beziehungen, sondern: um den Mut zu inhaltlicher Klarheit, um das Entwickeln einer echten Diskussions- und Streitkultur und um die Frage des Umgangs mit Agitator/innen, ideologischen Aussagen und bewusst eingesetzten Manipulationsstrategien (vgl. Strube 2017b).

KONSEQUENZEN FÜR KIRCHLICHE GESPRÄCHSZUSAMMENHÄNGE

Klarsein in der Sache. Jedes Gespräch mit Menschen, die rechte, menschenfeindliche oder autoritäre Positionen vertreten, verlangt nach einer inhaltlich und sprachlich klaren Positionierung, die Respekt vor der anderen Person nicht mit Zustimmung in der Sache verwechselt. So selbstverständlich diese Unterscheidung in der Theorie erscheinen mag, so schwer fällt sie vielen verständnisvollen Menschen in der Praxis. Zu Respekt gehört immer auch Ehrlichkeit – und damit der Mut zu widersprechen. Wer problematischen Äußerungen seines Gegenübers nicht widerspricht, sondern sie als „sicherlich gar nicht so gemeint“ bewertet, nimmt ihn als mündige Person nicht ernst. Inhaltlich hilfreicher als eine Etikettierung der kritisierten Position (oder gar einer Stigmatisierung der kritisierten Person) als „rechts“ ist es, genau zu beschreiben, was man an der Position problematisch findet und warum. Dialogverweigerung erkennen und als solche behandeln. Dialogprozesse können Individuen und Menschengruppen entfeinden. Sie können ermöglichen, dass Menschen sich verändern. Voraussetzung für ihr Gelingen ist allerdings, dass sich die Beteiligten auf den Prozess einlassen, die von der eigenen Meinung abweichende Position wirklich bedenken und an sich herankommen lassen. Und noch grundlegender: dass sich die Beteiligten an gemeinsame Dialogregeln halten und deren Einhaltung von den Moderator/innen konsequent durchgesetzt wird – ggf. bis hin zum Ausschluss von Personen. Wo ein Teil der Beteiligten Strategien der Dialogverweigerung anwendet (s. o.), dominiert, manipuliert, mit falschen Behauptungen jongliert, verbal oder nonverbal droht, wird echter Dialog unmöglich. Deshalb gilt es, Strategien der Dialogverweigerung auch dann zu erkennen, wenn sie wortreich daherkommen.

Dialogverweigerer kann man nicht zum Dialog zwingen – die klare Beendigung eines Gesprächs unter Angabe der Gründe ist deshalb letztlich sogar eine Form des Respekts: Es respektiert, dass manch ein Gegenüber keinen Dialog, sondern ein Publikum für den eigenen Monolog will, und zieht daraus sinnvolle Konsequenzen.

Bei Gesprächen in Gruppen ist es sinnvoller, mit erreichbaren Menschen zu diskutieren, als sich in Wortgefechte mit besonders Hartgesottenen zu verbeißen und ihnen so einen unverhältnismäßig großen Rederaum zu bieten, den man anderen dadurch nimmt. Wichtiger als einzelne unerreichbare Gegenüber sind zudem die zuhörenden und oft noch unentschiedenen Dritten im Raum. Ihnen durch die eigenen Diskussionsbeiträge gute Argumente gegen Menschenfeindlichkeit an die Hand zu geben, ist das lohnende Ziel.

Das individuell passende Gesprächsformat finden. Eine öffentliche Podiumsdiskussion politischer Kontrahent/innen unter Beteiligung rechter Gruppierungen und Parteien ist immer eine heikle und oft keine konstruktive Form, um sich als Gemeinde oder kirchlicher Bildungsträger mit Rechtspopulismus auseinanderzusetzen oder gar Emotionen, Erfahrungen und mögliche soziale Verwerfungen hinter diesem Phänomen zu thematisieren. Protagonist/ innen der rechten Szene wird dadurch eine Bühne geboten, der kirchennahe Auftritt verhilft ihnen zu einem bürgerlichen Image, ggf. wird einer gedanklichen Normalitätsverschiebung nach Rechts und sprachlicher Verrohrung Vorschub geleistet.

Unabhängig von Persönlichkeit und Argumenten der Gegenredner/innen haben die rechten Redner/innen immer einen Benefit: Tritt ihr Gegenüber defensiv und schwach auf, so erscheinen sie stark und deshalb „überzeugend“; tritt ihr Gegenüber stark auf, so können sie die „Opferkarte“ spielen und empathische Reaktionen des Publikums aktivieren. Eine mögliche organisierte Unterwanderung von Veranstaltungen hinterlässt im Publikum zudem Ohnmachtsgefühle. Wer dennoch ein solches Gesprächsformat anbieten will, muss es gründlich vorbereiten.

Deshalb die Erinnerung: Neben öffentlichen Veranstaltungen haben auch Gespräche in geschlossenen Gruppen und vertrauter Atmosphäre ihr Recht, neben politischen Diskussionen auch der persönliche Erfahrungsaustausch, der geschützte Rahmenbedingungen braucht, neben einer direkten Auseinandersetzung mit Andersdenkenden auch der Informationserwerb „über“ Rechtspopulismus, rechte Gruppen, Medien und Parteien, die Bestärkung unter Gleichgesinnten oder der „Workshop gegen Stammtischparolen“. Sozialtherapeutisch inspirierte Dialogformate wiederum, die Angehörige von Konfliktparteien miteinander ins Gespräch bringen wollen, brauchen neben einem geschützten Raum in Gestalt einer festen geschlossenen Kleingruppe und verbindlichen Gesprächsregeln, deren Einhaltung eingefordert wird, auch ein speziell geschultes erfahrenes Leitungsteam.

Wer als Einzelperson, Seelsorger/in, Gemeinde oder kirchlicher Bildungsträger Veranstaltungen mit Protagonisten der rechten Szene ablehnt, verweigert damit noch lange nicht das Gespräch. Das nämlich kann auch ohne Publikum unter vier oder sechs Augen gesucht werden und stattfinden. Dass dialogische Begegnungen selbst mit Pegida-Gänger/innen möglich, aber auch gefährlich sein können, dokumentiert der Sozialaktivist Ali Can, der als „Asylbewerber Ihres Vertrauens“ auch eine „Hotline für Besorgte Bürger“ betreibt (auch: #MeTwo).

Die eigentlichen Themen finden. Um Gräben zu überwinden und Menschen unterschiedlicher Milieus und Einstellungen zusammenzubringen, braucht es teilweise nur Begegnungsräume, teilweise erfahrungsbezogene Gespräche zu den Themen, die vor Ort auf den Nägeln brennen (und die möglicherweise den existenziellen Hintergrund rechter Einstellungsmuster bilden). Da, wo AfD und Pegida die Bürgerschaft einer Region spalten, wäre nach Themen zu suchen, über die in unaufgeheizter Atmosphäre face-to-face-Kommunikation möglich ist.

In Gesprächen über Abstiegsängste, vielfältige Erfahrungen radikaler biographischer Brüche – nicht zuletzt bei einer ganzen Generation von Menschen im Osten Deutschlands, die Entwertung der eigenen Bildungs- und Erwerbsbiographie durch Langzeitarbeitslosigkeit, Abwanderungsbewegungen, die ländliche Regionen ausbluten lassen, die „Gentrifizierung“ von Stadtteilen usw. treffen sich Biographisches und Sozial-Politisches, schmerzliche Erfahrungen, die ausgesprochen und gehört werden wollen, und gesellschaftliche Probleme, die gemeinsam betrachtet und gelöst werden wollen. An diesen Schmerzpunkten ist Pastoral herausgefordert, zugleich persönlich, sozial und politisch zu sein – und kann Kirche ihr Potenzial entfalten.

Eine Bandbreite an Kommunikationsfähigkeiten entwickeln. Die hier angesprochenen Gesprächssituationen verlangen nach einer großen Bandbreite von Kommunikationsfähigkeiten. Neben Einfühlungsvermögen, Verständnis und der Bereitschaft zuzuhören braucht es die Fähigkeiten, Spannungen auszuhalten und Konflikte auszutragen ebenso wie die, Gemeinschaft plural zu denken und auch von einer christlichen keine Homogenität zu verlangen. Es bedarf gleichermaßen des Mutes zur klaren Positionierung wie einer inneren Flexibilität, auf unterschiedliche Menschen und Gesprächssituationen unterschiedlich reagieren zu können – insbesondere dann, wenn man Gespräche moderiert: Das Eröffnen von weiten Gesprächsräumen, in denen ehrlich auch Problematisches ausgesprochen werden kann, und zugleich das strikte Unterbinden von Hetze, das grundlegende Vertrauen in die Ehrlichkeit meines Gegenübers und zugleich der oft notwendige Faktencheck, der möglichst keine unhaltbaren Behauptungen im Raum stehen lässt, die klare eigene Positionierung, die zugleich anderen die Freiheit zu abweichenden Positionierungen lässt. Zur Kommunikationsfähigkeit gehört schließlich auch die Fähigkeit, eine Kommunikation – mit klarer Begründung – zu beenden.

Weit verbreitete Ohnmachtsgefühle und Sprachlosigkeit gegenüber rechter Hetze lassen sich angehen durch Teilnahme an „Argumentationstrainings gegen Rechts“. Sie erhöhen die persönliche Gesprächskompetenz jedes Menschen vom einfachen Gemeindemitglied bis zum Bischof.

Und schließlich passt vielleicht nicht jede denkbare Gesprächsform zu jedem Menschen: Jede/r darf die eigenen Grenzen respektieren, keine/r kann oder muss die Welt retten – diese Aufgabe dürfen wir gerade als Christ/innen vertrauensvoll Gott überlassen. An die Stelle der eingangs formulierten Fragen „Soll? Darf? Muss?“ tritt die Frage „Was können und was wollen wir hier und jetzt konkret leisten – mit welchen Chancen, Risiken und Konsequenzen?“ Eine Kirche, die niederschwellig vielfältige bigraphisch-persönliche wie sozial-politische Gesprächs- und Begegnungsräume eröffnet, braucht aus meiner Sicht, um notwendigen gesellschaftlichen Dialog zu ermöglichen, Agitator/innen des rechten Spektrums keine Bühne zu bieten.

LITERATUR

Klein, Constantin, Wie sehen Formen von Religiosität aus, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verringern? Einsichten aus 70 Jahren sozialwissenschaftlicher Forschung, in: Strube, Sonja Angelika, Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017, 169-181.

Küpper, Beate/Zick, Andreas, Religiosität und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Ergebnisse der GMF-Studien, in: Strube, Sonja Angelika (Hg.), Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie, Freiburg 2015, 48-63.

Neutral bleiben – keine Option für Christen. Offener Brief von Theologen und Theologinnen der TU Dresden, der EHS Dresden und der EH Moritzburg, auf: www.bistum-dresden-meissen.de/upload/2016/Offener_Brief.pdf. Scheidler, Monika, Unterscheidung der Geister in einer gespaltenen Gesellschaft. Ein Instrumentarium für Seelsorge und religiöse Bildung, in: Strube, Sonja Angelika, Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017, 201-221.

Strube, Sonja Angelika (Hg.), Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017a. Dies. (2017b), Ermutigung zum Widerspruch. Praktisch-theologische Thesen zur Konfliktfähigkeit, in: Dies. (Hg.), Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken – Theologische Ansätze, Freiburg 2017, 222-234.

Dies. (2016b), Familienbild als Einflugschneise: Was Gläubige anfällig macht, in: Neue Caritas. Politik, Praxis, Forschung, Zeitschrift des Deutschen Caritasverbands Heft 20/Nov. 2016, 9-13 (auch auf: www.caritas.de/neuecaritas/heftarchiv/jahrgang2016/artikel/familienbild-als-einflugschneisewas-glaeubige-anfaellig-mac).

Dies. (2016a), Wie, wo und mit wem reden? Wenn Rechtspopulismus in Gemeinden ankommt, erschienen am 28.05.2016 auf feinschwarz.net. Theologisches Feuilleton: www.feinschwarz.net/wenn-rechtspopulismus-inkirchgemeinden-ankommt/.

Weitere Empfehlungen:

Akademie CPH (Hg.), Was tun gegen ‚rechts‘? Empfehlungen für den Umgang mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Kirche und Gesellschaft. Ein Handbuch für die Praxis, Würzburg 2018. Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus BAGKR (Hg.), Impulse für den Umgang mit Rechtspopulismus im kirchlichen Raum – (kostenloses Download auf: bagkr.de/wp-content/uploads/2018/07/Broschu%CC%88re_BAGKR_2017_2.-Auflage_web.pdf).

Nächstenliebe leben. Klarheit zeigen. Handreichung für Gemeinden zum Umgang mit Rechtsradikalität und Fremdenfeindlichkeit, hg. von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie und Menschenrechte, Dresden 2016 (kostenloses Download auf: www.kirche-fuerdemokratie.de/238).

Politisch streiten. Argumentationshilfen und Impulse, hg. vom Diözesanpriesterrat und vom Diözesanrat der Diözese Rottenburg-Stuttgart, informationen-Sonderausgabe Juli 2017, auf: farbebekennen-fuer-demokratie.info/wp-content/uploads/2017/09/INFOPC_Argumentationshilfe-Populismus_1-48.pdf.

€5,99

Genres und Tags

Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
136 S. 11 Illustrationen
ISBN:
9783429063825
Herausgeber:
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
Download-Format:

Mit diesem Buch lesen Leute